Sonntag, 23. September 2018
Sommerlager und Marschgefecht - Übernommene Wortkreationen aus dem 19. Jahrhundert
Die Geschichte um die Varusniederlage ist seit dem die alten Schriften von Tacitus vor rund fünfhundertfünfzig Jahren 1455 von Enoch von Ascoli in Bad Hersfeld angekauft und damit zuerst für die Fachwelt des „Heiligen Stuhls“ entdeckt wurden und sich jene von Velleius Paterculus dann 1515 dazu gesellten lebendig und sie ist es bis heute geblieben. Immer wieder wird sie bei uns aufgrund neuer Bodenfunde und attraktiver musealer Gestaltungsideen wach gehalten und durch gelungene plastische Darstellungen und Präsentationen im Zusammenwirken mit medienwirksamer Zurschaustellung und im Einklang mit der nötigen Vermarktung in Erinnerung gerufen. Bereichert durch aufhorchende Kombinationen und Theorien, behält die alte Schlacht ihre Aktualität auch dann, wenn man manchmal meint, dass sie im Zeitgeschehen etwas Unterzugehen droht. Aber ein offensichtlich nie enden wollender Wunsch die Details der Ereignisse zu ergründen, drängte oftmals das überlieferte Kernwissen an den Rand und ließ die Aufarbeitung des Varus Ereignisses nach dem Jahre 9 + zu einem eigenständigen Komplex innerhalb der Geschichtsforschung werden. Auf der einen Seite die bedeutende Schlacht im Nebel der Vergangenheit und auf der anderen Seite all das, was man aus ihr machte und was aus ihr für Blüten trieben. Ein kaum mehr zu überschauender Wust an Interpretationsbemühungen, in dem sich viele Berufs- und Hobbyhistoriker wie auch ich, nach Herzenslust austoben dürfen. Um sich innerhalb der vielen Erklärungsnöte die die Varusschlacht umso spannender macht, einen Überblick zu verschaffen, kreierte die Forschung und das besonders die des 19. Jahrhundert ihre eigenen Begriffe um den darin verborgenen Untiefen auf die Schliche zu kommen. So haben sich seit dem viele Bezeichnungen einen festen Platz innerhalb der Forschungslandschaft erobert, die zu Selbstläufern wurden. Ein Produkt dieser Zeit war es auch dazu überzugehen einem Lager des Varus, dass man dank Cassius Dio in der Nähe der Weser vermutete den Stempel “Sommerlager” aufzudrücken, statt es bei dem Namen Kastell zu belassen. Ebenfalls auf Basis des antiken Historiker C. Dio nannte man dann die Kämpfe die auf dem Zug zum Rhein statt fanden, entweder Marschgefechte oder Mehrtageschlacht. Damit waren neue Begriffe geboren, die zu Streitfällen wurden und ihre eigene Interpretationsgeschichte entfalteten, die zu neuen Vorstellungen und Phantasien heran reiften und wieder andere Theorien und Auslegungen nach sich zogen, obwohl diese Wortschöpfungen in dieser Form von den antiken Historikern nie verwendet wurden. Nach C. Dio lockten die Cherusker Varus an die Weser, wo er dann seine Niederlassung begründete, die man dann in Sommerlager umtaufte. Sommerlager weil man schlussfolgerte, dass man ein Lager, welches man im Herbst verließ folglich nur den Sommer über genutzt haben konnte. Das man darin möglicherweise auch eine Besatzung für den Winter zurück ließ, geriet dabei aus dem Blickwinkel. Als Varus auf dem Rückzug in den Hinterhalt der Germanen marschierte überlieferte und C. Dio auch kein ununterbrochen andauerndes Gefecht. Eine Mehrtagesschlacht, die schon am ersten Tag nach dem Abzug aus dem Weserlager begann fand nicht statt. Bis zum Untergang im Teutoburgiensi saltu gab es lediglich diverse Kampfhandlungen, die an einem bestimmten Punkt einsetzten, sich verstärkten wieder abschwächten, dann Höhepunkte erfuhren und letztlich in eine Niederlage mündeten. Trotzdem arrangierte man sich im Laufe der Zeit mit diesen neuen Wortfindungen und unterschied später mit ihrer Hilfe auch die Gegenthese zum Schlachtenverlauf von Cassius Dio, nämlich dem Überfall auf ein römisches Lager, wie es uns deutlich von Florus beschrieben wurde. Auch dieser Lagerüberfall ist historisch konkreter Natur, da er sich teilweise auch aus den Schriften anderer antiker Historikern erschließen lässt. Mit Sommerlager und Marschgefecht gab man den möglichen Abläufen Namen, aber ohne deren Sinn und ihre Berechtigung zu hinterfragen und vor allem ohne sie mit Florus kompatibel zu machen. Man kann die beiden Worte so wie ich es auch tat zweifellos übernehmen und stehen lassen, sollte sich aber immer darüber im Klaren sein, dass beides künstliche Wortschöpfungen späterer Zeitgenossen waren, die aus der Not heraus geboren wurden, um sich die Dinge besser erschließen zu können. Es blieben daher Begriffe übrig, die nicht unbedingt zutreffen bzw. die tatsächlichen Begebenheiten auch nicht wortgetreu widerspiegeln müssen. (22.9.18)

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