Donnerstag, 28. November 2019
„Kalkriese“ im Lichte neuer Argumente - Ein profaner Raubüberfall
Zu wissen, wie viel römische Legionäre im Raum Kalkriese kämpften, könnte zu einer der Schlüsselfragen für Grund und Ursache der dortigen Auseinandersetzung werden, denn sich mit germanischen Kontingenten zu befassen dürfte aussichtslos sein. Aber anhand der Anzahl römischer Soldaten ließe sich eventuell ermessen, wie viel Bedeutung man überhaupt diesem rätselhaften Kräftemessen innerhalb der antiken Welt zukommen lassen wollte. Vielleicht ging es im Zeitalter der tiberianischen Geschichtsschreibung auch nur einfach unter und blieb unerwähnt weil man in der Begebenheit keine grundsätzliche Notwendigkeit für eine Berichterstattung erkannte. Denn die griechischen oder römischen Historiker widmeten sich nicht allen Konflikten in Germanien und selbst die großen Auseinandersetzungen sind ihnen oft nur Randnotizen wert. Und was wir so über die antike Geschichtsschreibung aus den Händen von Dichtern, Astronomen oder Geographen erfahren haben, ist mehr als eigentümlich. „Kalkriese“ hat schon viele Fragezeichen produziert. Wollten die Legionäre die in den Engpass von Kalkriese vor stießen denn letztlich überhaupt kämpfen, mussten sie also mit einem offenem Kampf rechnen. Hatte denn ihre Anwesenheit in dem schmalen, teilweise Bach feuchten Korridor mit südlich angrenzendem Berganstieg und nördlich vorgelagerter Moorlandschaft möglicherweise einen völlig anderen Zweck und Charakter, als dort eine Gefahr oder ein Risiko einzukalkulieren sich also verteidigen zu müssen. Waren die römischen Streitkräfte, oder hatten sie sich überhaupt darauf vorbereitet hier von ihren Waffen Gebrauch machen zu müssen, waren sie also letztlich nicht vielleicht in einem völlig anderen Auftrag unterwegs der keinen Waffeneinsatz erwarten ließ. Hatten sie etwa einer Order zu folgen, die kampflos verlaufen sollte. Dies könnte dann auch die vielen zivilen Gerätschaften unter den Funden erklären helfen. Sie sprechen jedenfalls diese Sprache und es klingt nicht danach, dass man sich einem bevorstehenden Kampf zu stellen bzw. ihn zu befürchten hatte. Alles trug daher vielmehr die Züge einer unplanmäßig und überraschend vorgetragenen germanischen Attacke die Verwirrung auslöste, die unverhofft über sie herein brach und die hastige und überstürzte Fluchtbewegungen in die unterschiedlichsten Richtungen auslöste. Hier war anfänglich keine vorgewarnte und umsichtige römische Kolonne auf dem Marsch, die nach allen Richtungen zu observieren hatte. Hier wähnte man sich solange in Sicherheit bis man die ersten untrügliche Anzeichen dafür erkannte, dass ein Überfall drohte. Und hier war demnach wohl auch kein Varus unterwegs, der sich nach den Worten von Cassius Dio am dritten Tag bereits dem Ende seiner Tage nahe sehen musste und sich der drohenden Gefahr bewusst gewesen war. Es schien sich dort nicht um die dramatische Schlussphase einer mehrtägigen Auseinandersetzung zu handeln in der man gegen alle Vernunft noch immer über reichhaltig Bargeld verfügte und zudem umgeben war mit Glocken tragenden Maultieren. Ganz so, als ob man der Überzeugung war, es gäbe jetzt noch Hoffnung darauf, etwas von alledem retten zu können. Sich sogar am heran nahenden letzten Kampftag noch ausgestattet mit hinderlichen Maskenhelmen einem Nahkampf zu stellen ist nicht nur unpraktisch, sondern kann sich für den Träger auch als störend erweisen oder gar tödlich enden. Denn metallene Masken schränken den Sichtwinkel ein und wecken auch unliebsame Begehrlichkeiten, stellen aber, ob man sie nun trug, im Gepäck oder an der Gürtelschnalle mit sich führte in kritischer Lage immer überflüssigen und entbehrlichen Ballast dar. Dem gesamten Verlauf nach so wie wir es Cassius Dio entnehmen können wirkt es auf Basis des Fundmaterials unlogisch und Militär strategisch nicht haltbar. In Kalkriese werden die römischen Soldaten meines Erachtens wohl in anderer Eigenschaft unterwegs gewesen sein, als sich in einer Verzweiflungstat eine letzte Chance zu erkämpfen. Beeindruckendes gemischt mit Imponiergehabe wollte man bei dieser Mission zum Ausdruck bringen. Denn im römischen Reich waren zu dieser Zeit Gesichtsmasken, die die Regungen der Legionäre unkenntlich machen sollten, den repräsentativen Anlässen vorbehalten. Gedacht für Schaukämpfe der römischen Reiterei in den Arenen jener Zeit, wo man mit ihnen auf zeremoniell pompöse Weise in inszenierten Auftritten römische Macht und Prunk versinnbildlichen und symbolisieren wollte. Glänzende Parademasken waren das sichtbare Attribut für Triumph, aber für ernste Kämpfe untauglich und nicht gedacht für den harten Einsatz im Feld. In Kalkriese konnte und wollte man es sich offensichtlich erlauben und es riskieren sie zu tragen bzw. sie mit sich zu führen. Die explosionsartig verteilten Funde bedecken ein größeres Terrain. Und es werden daran sowohl Fluchtrichtungen und Absetzbewegungen erkennbar die dorthin führten, wo man sich einen Ausweg erhoffte. Es lassen sich aber auch Kampfnester davon ableiten die erkennen lassen, dass man sie dort bereits erwartete oder ihnen folgte. Der eingestürzte Teil eines Wallabschnittes des Marschlagers deutet daraufhin, dass hier einer der Ausgangspunkte des Kampfes gelegen haben könnte. Ein offensichtlich fehlendes kompaktes Fundareal in einem möglichen Zentrum deutet darauf hin, dass es früh nach der ersten Feindberührung schon zu Fluchtverhalten kam. Der viel zitierte germanische „Schlachtentourismus“ dürfte sich nur auf lukrative Teile konzentriert haben, während man Kleinteile unbeachtet ließ und nicht unter die Grasnarbe schaute. Teile aber, die der heutigen akribischen Archäologie nicht entgangen sind bzw. mit denen sich ein Hot Spot der Auseinandersetzung zentrieren ließe. Kurz aber heftig ließe sich vielleicht das Szenario beschreiben. Ein Argument für einen überraschenden Überfall und keine langen Verteidigungsbemühungen. Die Überfallenen suchten das Weite und entkamen soweit es die Geographie zuließ. Im unmittelbaren Schlachtfeld also im Umfeld des relativ klein dimensionierten römischen Rastlagers fand man daher bisher auch nur acht Knochengruben die sich 17 Menschen im Alter zwischen zwischen 20 und 45 Jahren zuordnen ließen. Relativ wenig um damit ein umfangreiches Schlachtgeschehen im Kern der Ereignisse plausibel begründen zu können. Sodass uns diese wenigen Knochenfunde auch nichts über die Mannstärken verraten können, die sich einst an dieser Stelle gegenüber standen. Die wenigen Funde lassen eine Rekonstruktion nicht zu und helfen uns somit gegenwärtig nicht weiter, zumal weitere Skelettteile bislang nicht entdeckt werden konnten. Man könnte also auch davon ausgehen, dass es sich bei den beigesetzten Skeletten nur um die zu Tode gekommenen Römer handelte, die sich im Zentrum des Kampfgeschehens den Germanen bis zuletzt zur Wehr gesetzt hatten und nicht flüchten konnten oder wollten. Da keine weiteren menschlichen Knochenreste aufgespürt wurden, ließe sich daraus schließen, dass sich viele Römer absetzen konnten und ihnen somit auch die Flucht gelungen sein könnte. Legionäre die einzeln oder in Gruppen flüchteten könnten zweifellos auch später noch getötet worden sein und ihre Überreste könnte man, wenn überhaupt also nur mit sehr viel Glück zerstreut im weiteren Umkreis finden. Ein Gesamtbild, das aber den Schluss zulässt, dass in Kalkriese nur ein kleiner Anteil römischer Legionäre den Tod fand, aber die meißten entkommen konnten oder im Umkreis fielen. Dies wäre wiederum ein Hinweis dafür, dass es in Kalkriese zu keiner länger andauernden frontalen Auseinandersetzung zwischen Römern und Germanen kam. Die bislang ergrabenen Wallreste eines Lagers boten etwa 3.000 bis 4.000 Soldaten Raum, Schutz und Unterkunft, wobei die Stärke einer Legion zwischen 3.000 und 6.000 Mann schwanken konnte. Nur aus dem Vorhandensein dieser Strukturen zu schließen, das Lager wäre erst oder könne nur im Zusammenhang mit den Kämpfen errichtet worden sein, ist nicht nachweisbar. Anzunehmen, man könne von der Größe also der Dimension des ergrabenen Rastlagers und dem darin unterbringungsfähigen Personalbestand auch auf die Gesamtstärke der bei Kalkriese kämpfenden Legionäre schließen ist daher ebenfalls nicht haltbar. Denn die bei Kalkriese unterlegenen Römer können die maximale Belegungskapazität des ausgegrabenen Rastlagers sowohl über - als auch unterschritten haben. Das an dieser Stelle existierende Marschlager könnte dort also zweifellos auch schon länger vorhanden gewesen sein und bereits vor den Kampfhandlungen bestanden haben. Es wurde aber erst im Zuge der Kämpfe zerstört. So muss die Kapazität bzw. das personelle Fassungsvermögen dieses Lagers auch nicht mit den an der Schlacht beteiligten Legionären korrespondiert haben. Ursprünglich einmal könnte das Lager den römischen Einheiten auf dem Hellweg von der Ems zur Porta Westfalica schon einige Jahre lang als Etappenlager für kleinere Marschbewegungen einzelner Legionen gedient haben. Über zusätzliche provisorische Zelt- oder Barackenlager in der Nähe oder innerhalb des Lagerkomplexes könnte es vorübergehend auch eine Erweiterung bzw. Aufstockung erfahren haben wie man es mit vielen Kleinlagern bei Bedarf gehandhabt haben dürfte. Aufgrund dieser Unsicherheitsfaktoren ist die Dimension der am Kampf beteiligten Legionäre auch nicht einschätzbar. Es kann sowohl zu einem Scharmützel einiger tausend Römer, als auch zu einem darüber hinaus gehenden Gefecht gekommen sein, ebenso kann es aber auch wesentlich kleinere Ausmaße angenommen haben. Aber die Tatsache, dass die Germanen an diesem sehr weit westlich gelegenen Schauplatz einen Kampf für sich entscheiden konnten weist auf eine zahlenmäßig eher überschaubare römische Kampfeinheit in dieser Region hin. Es war ein auf sich gestellter Heereszug der isoliert von größeren Verbänden unterwegs war und einer Richtung folgte deren Ziel wir noch ergründen müssen. Das Kampfgebiet befand sich nach 16 + außerhalb der neuen imperialen Grenzziehung bereits mitten in Germanien und dort in etwa im Grenzgebiet von Ampsivariern und Angrivariern mit einer Tendenz zu den Erstgenannten. Waren germanische Kampfverbände zahlenmäßig überlegen, so konnten diese für einen römischen Marschzug zwangsläufig immer zu einer Gefahr werden. Der Frage nach zugehen wer sich germanischerseits hier zusammen getan haben könnte, möchte ich noch nach gehen. Aber im Hinblick auf die umfangreichen finanziellen Hinterlassenschaften und die anderen wertvollen Transportgüter kann es sich auch um ein Aufeinandertreffen vor dem Hintergrund eines profanen Raubüberfalls gehandelt haben. Raubzüge und Überfälle missgünstiger Stämme auch untereinander waren seinerzeit nicht unüblich wie wir auch von Cassius Dio erfahren haben, denn damals hatte auch Varus Legionäre zum Schutz von Transporten abgestellt. Aber römische Maultier Karawanen versprachen sicherlich bessere Beute. Man wollte auf Basis dieser Theorie also im Schlauch bei Kalkriese demnach keinen Varus und auch keine Legionen vernichten, man wollte sich schlicht und einfach in den Besitz der Werte bringen. Hier waren also keine germanischen Patrioten, Sittenwächter oder Stammesverteidiger am Werk. Das Pekuniäre und andere interessante Dinge könnten allein schon ein ausschlaggebender Grund dafür gewesen sein, diesen Marschzug zu überfallen. Es wäre demnach nur eine minder schwere Auseinandersetzung gewesen, die daher auch historisch keinen bedeutsamen Wiederhall oder Niederschlag gefunden hat, weil sie ohne größere strategische Auswirkung blieb. Ein peinliches Ereignis allemal, das man nicht thematisiert hat oder es nicht für nötig hielt es hervor zu heben, zumal es einen Ausgang zum Nachteil des Imperiums nahm, wie es auch noch andere ähnliche andere gegeben haben dürfte. Denn die antiken Historiker haben uns bekanntlich keine Liste über alle Gefechte in Germanien hinterlassen. Ob man dem Vorfall schon den Stellenwert einer Schlacht oder gar Clades zuschreiben sollte und ob es diese hohe Einstufung verdient, ist fraglich. Eine strittige Interpretation für den Schlachtenhorizont Kalkriese hat sich auf die letzten Stunden der Varusschlacht verständigt, als die Feinde Varus immer näher kamen. Varus wäre es demnach selbst unter ungünstigsten Bedingungen noch gelungen, bis in die letzte Phase des Endkampfes enorme Geldsummen den Germanen vorenthalten zu können. Schätze und Werte samt medizinischem Gerät vor allem aber Gegenstände die man selbst im Defiliergefecht noch bis zuletzt in eigener Obhut behalten konnte und wollte, obwohl sich an den Vortagen der Niedergang bereits deutlich abzeichnete und die wie ein Köder gewirkt hätten. Aber der interessante Fundhorizont, die Suche nach der passenden zeitlichen Zuordnung, die Örtlichkeit und die Erwartungshaltung auf weitere spektakuläre Funde werden uns als Anreiz um alles in einen plausiblen Kontext zu setzen sicherlich noch lange beschäftigen. In der Einführung hatte ich bereits darauf hingewiesen, dass uns Strabo aus seiner Darstellung des Triumphzuges noch vieles mehr hinter lassen hat, auf das es sich lohnt einzugehen. In der Kapitelabfolge bewege ich mich aber immer noch auf den Spuren die uns Strabo über den Cheruskerfürsten Segestes hinterließ. Der Mann, dem die römische Welt und deren Oberschicht später viele Kenntnisse verdankt, deren Wahrheitsgehalt ich allerdings für fraglich halte. Aber im Zusammenhang mit einer rätselhaften und eben von jenem Strabo verwendeten Wortwahl spielt hier an einer unerwarteten Stelle urplötzlich ein völlig anderes Thema mit hinein, dass sich nicht ausklammern lässt. Denn wer hätte je gedacht, dass man dem Text aus der Feder von Strabo auch etwas Interessantes in Bezug auf die These von einer möglichen „Varusschlacht nördlich von Osnabrück“ abgewinnen kann. So gerät das Thema „Kalkriese“ unverhofft mit in die „Segestes - Verschwörung“ hinein und man kann die beiden Säulen der Geschichtsforschung nicht von einander trennen. Aber der Reihe nach. Wenn auch Tiberius im Herbst 16 + den weiteren Krieg gegen die Germanen untersagte, so musste es dem Imperium doch daran gelegen sein auch weiterhin das wichtige natürliche Bollwerk nämlich die Rheingrenze zu sichern, die zu den fragilsten Abschnitten im ganzen römischen Reich zählte. Die Zahl der am Rhein stationierten Legionäre war folglich nicht unerheblich, wie sich nicht nur anhand von Hochrechnungen ermitteln lässt. Und diese Soldaten wollten und mussten auch nach dem Beschluss von Kaiser Tiberius in den Folgejahren beschäftigt werden bzw. wollten beschäftigt sein, denn den vielen Soldaten nur das Wache schieben zu verordnen, dürfte schon damals nicht im Sinne einer nahezu alles beherrschenden Großmacht gewesen sein. Als Germanicus Germanien für immer verließ und seine Reise nach Rom antrat um zu seinem Triumphzug am 26. Mai 0017 pünktlich zu sein, nahm er meines Erachtens auch Segestes seine Familie sowie die zahlreichen Gefangenen mit. Statt ihm blieb der mit ihm nachgewiesenermaßen eng befreundete Gaius Silius am Rhein zurück und übernahm seine Funktionen die teils im defensiven Bereich lagen, aber wenn nötig auch begrenzte operative Züge tragen durften. Tacitus nannte Gaius Silius etwas nebulös einen Moderator also einen Vermittler, obwohl Silius weit aus mehr war als das. Vermutlich traf er aber mit seiner Wortwahl den Nagel auf den Kopf, denn um diese Zeit war auf römischer Seite in Germanien mehr ein Moderator als ein Feldherr vonnöten. Denn in Germanien galt es nun nach der Entscheidung von Tiberius neue Leitlinien zu ziehen nach dem man von zukünftigen Angriffskriegen mit dem Ziel neue Provinzen zu schaffen Abstand nahm. Dauerhafte Grenzsicherung zu betreiben lautete nun die Devise die schon im Zuge der von mir thematisierten „Tiberianischen Landwehr“ östlich von Köln durch Sugambrerland deutlich wurde. Aber gleichzeitig musste man immer imstande sein auch zukünftig Angriffe, also begrenzte Feldzüge und Kommandoaktionen östlich des Rheins im Sinne dieser Strategie umzusetzen. Dies sollte Bestandteil des neuen Prinzips, heute würde man sagen der Militärdoktrin sein. Denn eine starre Grenze hätte sich taktisch als fatal und sich als ein Zeichen von Schwäche im Sinne von Einschanzen erweisen können. Denn es galt auch weiterhin östliche Regionen die der eigenen Versorgung dienten und von keinem schützenden Rhein mehr abgeschirmt wurden, nicht aus der Kontrollzone zu entlassen. Weitere militärische Präventionen also Vorwärtsverteidigungen gehörten daher zur Gesamtstrategie und die Vorgabe an Silius war es möglicherweise die beiden germanischen Distrikte Ober- und Untergermanien auf die neue Gefechtslage vorzubereiten, die Truppenteile zu koordinieren, sie also nach Tacitus zu moderieren. Dazu diente fortan die römische Streitmacht auf der westlichen Rheinseite. Permanente Abschreckung bei nötiger Offensive war den Germanen gegenüber glaubhaft zu machen. Germanien sollte also immer im Auge behalten werden, aber ohne in Gänze vom Land Besitz ergreifen zu wollen. Das war das Gebot der Zeit und die Herausforderung an die römische Staatsmacht. Eine frühe Festlegung in Form einer Selbstbeschränkung, die über die gesamte Zeit in der das römische und später weströmische Reich in Germanien existierte Bestand haben sollte. Dies führte in der Konsequenz zu einer epochalen Weichenstellung, die der Varusschlacht den historisch gewichtigen Stellenwert in der deutschen Frühgeschichte einbrachte und eine Zeitenwende besiegelte. Ein Ergebnis daraus ist die Tatsache, dass sich fortan der Rhein zu einer heute noch spürbaren Kultur- und Dialektgrenze entwickelt hat. Das östliche Germanien sollte im Status quo verharren und kein germanischer Stamm sollte sich auch nach den letzten Kämpfen im Herbst 16 + völlig sicher fühlen dürfen. Der Moderator Gaius Silius hatte seit dem Jahr 13 + neben Lucius Munatius Plancus das Zweite Konsulat inne. Der erste Konsul Plancus war selbst bereits in Germanien als er Germanicus 14 + half einen Aufstand meuternder Legionäre zu verhindern. Auch Gaius Silius stand von Beginn der Germanicus Feldzüge im Jahre 14 + an der Seite von Germanicus und für ihn wurde schon 15 + aufgrund seiner besonderen Verdienste und Erfolge zu seinen Ehren in Rom ein Triumph organisiert. Die Tatsache, dass man einen Zweiten Konsul auf Dauer und einen Ersten Konsul in einer schwierigen Lage nach Germanien entsandte unterstreicht die Bedeutung Germaniens für das römische Reich in jener Zeit. Ein Germanien in dem bereits ein Cäsar kämpfte und vermutet wird, dass der spätere Kaiser Augustus auch schon bis nach Trier kam. Das man den Zweiten Konsul Gaius Silius nach dem Ende der Germanicus Feldzüge mit der Verwaltung Germaniens beauftragte verdeutlicht erneut den hohen Stellenwert, den die Region für Rom besaß und das gewachsene Sicherheitsbedürfnis an der Nordflanke, dem man Rechnung zu tragen hatte.

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An dieser Stelle sei ein Exkurs in die freie Enzyklopädie (Wikipedia) angebracht die mir zwar in vielerlei Hinsicht bei der schnellen Quellensuche hilfreich ist und auf deren Basis ich meine Kenntnis je nach Bedarf über den Buchbestand der Universitätsbibliothek Trier aufbessere, ergänzend hinzuziehe und vervollständige bzw. abgleiche. Der man aber auch mit einer gewissen Skepsis begegnen sollte. Unter Gaius Silius (Konsul 13) ist zu lesen, dass er im Jahre 13 + zum ordentlichen Konsul ernannt wurde. Des Weiteren, dass er „im Jahre 18 mit dem Aufbau der Flotte beauftragt wurde und das er einen Kriegszug gegen die Chatten führte, bei dem er erst nach zwei Jahren erfolgreich war“. Wikipedia bezieht sich in diesem Fall auf die Literatur und gibt als Quelle die „Prosopographia Imperii Romani“ an sowie „Ronald Syme“. Im Zuge meiner Recherche konnte ich diese Werke noch nicht einsehen und muss daher meine Schlussfolgerungen daraus unter Vorbehalt stellen. Der zitierte namhafte Ronald Syme war von 1948 bis 1952 Präsident der "Society for the Promotion of Roman Studies" also der "Roman Society" und gilt unbestritten als ein Experte dieser Epoche. Das es sich aus der antiken Literatur heraus lesen ließ, dass Gaius Silius im Jahre 18 + den Auftrag bekam den Aufbau der römischen Flotte in Germanien zu übernehmen steht im Kontext zu den Ereignissen nach dem Germanicus Germanien verließ. Denn Gaius Silius war bis 21 + Oberbefehlshaber des Ober Germanischen Heeres. Das aber dem Wikipedia Hinweis zu entnehmen ist, dass und das noch nach 18 + Gaius Silius zwei Jahre benötigte um die Chatten zu bezwingen halte ich nicht für schlüssig, denn er hätte sich damit den Anweisungen des Kaiser Tiberius widersetzt. Zudem hätte sich ein erneuter zwei jähriger Krieg in Germanien nicht mehr mit der Zielvorstellung von Grenzsicherung oder Vorneverteidigung rechtfertigen lassen und ich konnte es bislang auch keiner antiken Quelle entnehmen. Wegen der erschwerten Recherche werde ich mich im weiteren Verlauf Formulierungen bedienen müssen, die dem Rechnung tragen.

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Für das Jahr 18 + was auch logistisch nachvollziehbar ist, ist zu lesen, dass Silius begann die einst zerstörte römische Flotte wieder aufzubauen. Eine an sich konsequente militärisch logistische Maßnahme die die Neuausrichtung an der Germanenfront belegt und dem Geiste der neuen Grenzstrategie nicht widerspricht. Im östlichen Terrain vor dem Rheinlimes durfte sich keine germanische Bedrohung mehr zusammen ballen können. Die abseitig siedelnden Wesergermanen werden während dieser Zeit alle römischen Aktivitäten misstrauisch aus der Distanz begleitet haben und mussten aufgrund der römischen Strategie zwangsläufig immer mit einem Aufflackern neuer Kämpfe, die auch gegen sie gerichtet sein konnten rechnen. So werden sie eine Schutzzone im Sinne einer Frühwarnabsicherung zu ihrem Territorium aufgebaut haben. Eine Grenzziehung ab der sie sich unmittelbar bedroht fühlten und zu den Waffen rufen mussten. Sie werden ihre geographische Westgrenze besonders im Auge behalten haben und sie könnte sich östlich des Rheins in unbekannter Region und Tiefe befunden haben um noch rechtzeitig reagieren zu können. In der zweiten Hälfte des Jahres 17 + steckte der neu ernannte Befehlshaber Gaius Silius demzufolge noch in der Sondierungsphase um sich mit der neuen Lage vertraut zu machen. Aber mit dem Jahr 18 + stand der an ihn ergangene Befehl zur Umsetzung an und man erwartete erste Erfolgsnachrichten. Denn ab 18 + nahm Gaius Silius gemeinsam mit Aulus Caecina Severus und dem übrigen Führungsstab den Flottenaufbau in Angriff. Vermutlich die erwartete Ersatzmaßnahme für die zahlreichen im Jahre 16 + an der Küste zerschellten Schiffe. Dazu müssten sie sich zwangsläufig an den Wasserwegen aufgehalten haben. Also an Flussabschnitten an denen sich in dieser Zeit Werften bzw. Plätze befanden, wo man leichte Fluss – oder Küstenschiffe herstellen konnte. Möglicherweise auch Werften in denen germanische Schiffbauer für sie gegen Lohn tätig gewesen sein könnten. Bootsbau, der nicht unbedingt nur im linksrheinisch römischen Besatzungsgebiet statt gefunden haben muss. Da der Mittelrhein vis a vis der Lahnmündung weniger zum Gefahrenbereich zählte, könnte man diese Arbeiten auch an mehreren geeigneten genügend wasserführenden Flüssen angegangen haben, möglicherweise sowohl am Niederrhein als auch an kleineren Flüssen wie Ijssel oder Ems etwa bei Rheine oder Emsdetten. Zwischen Rheine und dem vermuteten Drususkanal „der langen Renne“ liegen etwa drei Tagesmärsche oder 58 Kilometer. Und von Rheine aus sind es wiederum lediglich 3o Kilometer bis zum magischen Kalkrieser Berg. Wenn schon Weser oder Elbe nicht mehr erreichbar waren, so könnte man annehmen, dass zumindest der Flussverlauf der Ems bevor sie in Richtung Quelle um die westfälische Bucht nach Osten bog als der östlichste und ebenfalls nach Norden entwässernde Grenzfluss die Funktion eines vorgeschobenen Limes besaß oder aber inmitten eines Kontrollraumes lag, den das Imperium noch für sich beanspruchte. Somit könnte es sich bei dem Kalkrieser Berg als dem westlichsten Ausläufer der Mittelgebirgskette, um ein von weitem aus sichtbares Landschaftselement gehandelt haben, das eine geographisch markierende Funktion zur Germania Magna bildete. Gaius Silius oder andere Legaten könnten sich 18 + auch noch bis ans linke Ufer der Ems gewagt bzw. sich dort aufgehalten haben um die dortige Lage bei den Ampsivariern zu inspizieren und vielleicht sogar den Fortgang von Schiffsbauarbeiten zu kontrollieren. (28.11.19)

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