Freitag, 21. Februar 2020
Funde lügen nicht - Und über Kunst urteilt das Auge des Betrachters
Das zum Sprechen bringen zurück liegender Geschehnisse gehört zum Alltagsgeschäft der Geschichtsforschung kann aber auch zu bedenklichen Eigeninterpretationen verleiten. Trotzdem möchte ich mich soweit aus dem Fenster legen in dem ich sage, dass das Gefecht am Kalkrieser Berg zur Unzeit passierte. Vielleicht hätten es sogar einige Germanen gerne vermieden, denn alle Signale sollten in dieser Zeit eigentlich schon auf Frieden gestellt sein, als es zum Zerwürfnis kam. Ein Kampf der sich auch noch bis in das Jahr 18 + verlegen ließe, da Strabo im Zusammenhang mit dem Germanicus Triumphzug vermutlich um das Jahr 17 + oder 18 + am Rande die Zeilen hinterließ, dass Arminius immer noch kämpfen würde, also beteiligt gewesen sein könnte und Tacitus später über einen Freikauf der 16 + schiffbrüchig gewordenen Römer unter Vermittlung der Angrivarier berichtete.In den Jahren kreuzten sich diese beide Wege und historischen Hinweise und verdichteten sich auf die Örtlichkeiten um Kalkriese. Da man militärisch aufgrund kaiserlicher Anordnung nach 16 + nicht mehr in Erscheinung treten durfte, bot das Imperium nun in Kalkriese all das auf, womit sich optisch Eindruck schinden ließ ohne die Waffen zu zeigen. Zehn Auguren waren schon fasst eine Fußballmannschaft und andere schwer zuzuordnende Funde zeugten davon, dass hier kein Römer an Kampf dachte. So führte man prunkvolle Ausrüstungsteile im Gepäck oder legte sie sogar an, als man durch Germanien paradierte. Schmuckvolle und glänzende militärische Defilierobjekte wie sie römische Ritter bei Schaukämpfen trugen. Anders lässt sich der Fund einer versilberten nur das Gesicht bedeckenden Maske mit kleinen Augenschlitzen kaum interpretieren, denn für jegliche Formen des Nahkampfes war sie völlig ungeeignet. Hier sollte die ganze Überlegenheit eines Weltreiches in der germanischen Einöde zur Schau gestellt werden. Ein weiteres sichtbares und untrügliches Zeichen und Argument zugleich mit dem sich beweisen ließe, dass hier die Prachtentfaltung im Vordergrund stehen sollte und kein Kriegsgeheul. Hier wollte man die Überlebenden und Geschundenen begrüßen und ihre Heimkehr feiern aber nicht wieder in die Fußstapfen des Krieges treten. Aber im Xantener Hauptquartier machte man die Rechnung ohne den Wirt, denn die Germanen ließen sich nicht in dem Maße beeindrucken wie erhofft und warfen sich der Delegation nicht vor die Füße. Aber nun zu einem weiteren Gedankengang der sich mit den dekorativ zu nennenden und auch bei Kalkriese gemachten Funde einstiger Luxusgegenstände befasst. Nämlich den nebulös wirkenden Glasaugen die sich noch relativ plausibel in das visionäre Szenario eines Gefangenenaustausches einfügen lassen. Möchte man die Prämisse zugrunde legen, dass man hier den Germanen etwas besonders attraktives bieten und anbieten wollte, so könnten derartige Dinge den Nerv der Zeit getroffen haben. Denn auf einem unbekannten Handwerk beruhendes Gegenständliches mag in trister ländlicher Umgebung, wo nur die Farben der Natur vorherrschten und man sich nur mit wenig Ausdrucksvollem umgeben konnte, hoch willkommen gewesen sein. Wenn es dazu noch farbig Beeindruckte und die Menschen wie ein Augenpaar anstarrte war auch Magie im Spiel. Aber die zum beiderseitigen Nutzen geplante Veranstaltung deren Sinn nur darin bestand gefangene Soldaten gegen Münzen oder Werte einzutauschen sollte von nichts Negativem überschattet werden. Es sollte zu einem von gegenseitigem Respekt getragenen harmonischen Aufeinandertreffen kommen und man wollte keine feindselige Stimmung erzeugen, sie aufkommen oder entstehen lassen. Eben ein Handelsabkommen perfekt zu machen. Folglich ein Tauschgeschäft im üblichen Rahmen samt dazugehörigen Umtrunk wie man es sich in allen Zeiten erhofft und erwünscht und wie man es in Kalkriese gerne einvernehmlich zu Ende gebracht hätte. Doch in Kalkriese einer Zwischenstation die zur bilateralen Normalisierung gedacht war, überwog vermutlich noch das in dreißig Jahren gewachsene Misstrauen und die Vergangenheit holte das Imperium in einem für sie ungünstigen Moment noch mal ein. Man beging den fatalen Fehler in dem man den Gegner von einst, nämlich den nur scheinbar wohlwollenden und gewillten Verhandlungspartner vor allem aber die Stimmungslage falsch einschätzte. Waren nun Schiffbrüchige in den Augen von Germanen auch Kriegsgefangene also „captivus” oder waren es eher Menschen mit denen die Götter spielten, in dem sie sie zuerst straften, dann aber doch retteten und die man in Latein einfach nur “naufragus” nannte. Standen sie im Sinne der Gastfreundschaft nun unter höherem Schutz, waren sie immer noch die alten Feinde an denen man sich rächen wollte, oder dienten sie den Germanen jetzt nur als bloße menschliche Wertgegenstände für die sich eine schöne Auslöse erpressen ließ. Nach Tacitus wurden jene Römer die 16 + Schiffbruch erlitten unter der Vermittlung der Angrivarier von anderen germanischen Stämmen oder Sippen zurück „gekauft“. Er benutzt dazu in seiner Überlieferung das Wort „redemptos“ abgeleitet vom Verb „redimere“ für zurück kaufen, los kaufen aber auch auslösen. Für gewohnt verbinden wir heutzutage mit dem Wort „kaufen“ zuvorderst den Einsatz von Zahlungsmitteln. Und der Rekonstruktion nach dürfte auch Geld in Form von Münzen geflossen sein. So beabsichtigte man den Germanen im Gegenzug für die Opfer der Katastrophe des Jahres 16 + auch Lösegeld anzubieten. Aber über den genauen Preis für die römischen Geisel, die „Otages“ entschied das freie Spiel des „Chasuaren Marktes zu Kalkriese“. Vorverhandlungen waren nicht zeitgemäß, denn der Kurs konnte sich nach Lust und Laune der Germanen stündlich ändern, zumal man den Germanen keine Berechenbarkeit unterstellen kann. Es war für Rom ein vabanque Spiel, verlief ohne feste Regeln und der Ausgang war völlig offen. Nach römischer Sitte wollte man auch noch handeln, musste also noch Werte in der Hinterhand gehabt haben. Den Germanen dürfte dies alles nicht entgangen sein. So stecken darin viele Motive die zur Eskalation hätten beigetragen haben können. Aber „los kaufen“ assoziiert nicht nur das Münzen bar auf den Tisch gelegt werden, sondern könnte auch einen Wert in Form von Waren bedeuten. Germanen kamen mit römischen Münzen in diesen frühen Zeiten unmittelbar nach Anbruch des ersten Millenium, als gerade erst die römischen Okkupationsanstrengungen scheiterten und die Gewalt ihr Ende fand, noch kaum in Berührung. Römische Münzen hatten für sie noch keine Bedeutung und waren auch kein originäres Ziel um sich daran zu bereichern. Germanische Einfälle aus den Regionen östlich des Rhein in römisch besetzte Gebiete sind aus den Jahrzehnten nach dem tiberischen Rückzugsbefehl nicht überliefert. Der sich abzeichnende tiberianische Landlimes vis a vis östlich von Köln etwa zwischen Sieg und Duisburg parallel zum Rhein gelegen, war noch im Stadium einer im Aufbau begriffenen Grenzziehung und bestand mehr aus einer optischen Markierung in Gestalt einer grünen Grenze, als das er verteidigungsfähig gewesen wäre. Und die „germanische Reconquista“ die sich im Zuge der Varusschlacht vollzog reichte vielleicht nur bis Haltern und diente nicht dem vordringlichen Zweck sich in den Besitz römischer Münzen zu bringen. Gelangten sie in ihren Besitz, so war für sie in erster Linie der Metall- also der Materialwert entscheidend und der Überlieferung nach wussten sie wohl dank des urtümlichen Bißtestes auch sehr gut über den wertgebenden Edelmetallanteil bescheid. Römisches Geld war für sie mehr ein Statussymbol, man nahm es an sich um es aufzubewahren. Aber als Zahlungsmittel war es für sie unbrauchbar und hatte gegen den gewohnten Tauschhandel noch keine Chance. Denn es ließ sich schlecht nutzen, da für Münzen kein messbarer Gegenwert fest gelegt war. Für sie lag in der ideellen Bedeutung Münzen zu besitzen das zentrale und eigentliche Bedürfnis der Beschaffung. Aber man kann sicherlich auch nicht ganz ausschließen, dass nicht auch schon mal eine oder mehrere Kühe für einen gold glänzenden Aureus den Besitzer wechselten, denn die Zeiten begannen sich, wenn auch nur langsam in Richtung Geldwirtschaft zu verändern. Aber man weiß dafür etwas anderes besser. Denn es ist bekannt, dass sich unsere Vorfahren neben dem Zweckmäßigen auch von wertlosem Tand aus römischen oder gallischen Produktionsstätten beeindrucken und beeinflussen ließen. Unsere modernen Glitzerwelten der aufwändigen Dekorationen stellen es heute noch eindrucksvoll unter Beweis. Wenn das an sich relativ „Wert lose“ etwas darstellte, ausstrahlte eine faszinierende Wirkung entfaltete und zudem Prunk und Pracht zum Ausdruck brachte gewann es an Attraktivität, man begehrte es und die Augen der Germanen wurden größer. Und natürlich und was auch Niemanden verwundert ist die Tatsache, dass es Neid weckte und das sollte es wohl auch. Neid der ungute Katalysator und häufige Wegbegleiter seit Menschengedenken. Und wenn diese Gegenstände die germanischen Hütten zum Glänzen brachten und zudem noch symbolische Ausstrahlungskraft besaßen, so waren sie auch interessant genug um im Tauschhandel eine nicht zu unterschätzende Rolle zu spielen. Der erste aufkeimende rechtsrheinische Handel mit römischen Produkten beschränkte sich auf das Umfeld der frühen Rhein- und Lippelager sowie die häufiger frequentierten Zugwege an denen die Siedlungen der Germanen lagen oder wo sie sich vielleicht auch erst deswegen dort etabliert hatten und davon profitierten. Und das ergab sich vermutlich sogar schon während dem die Germanienkriege tobten. Natürlich kann man im Zuge der römischen Kriegszüge nicht davon ausgehen, dass es in dieser Zeit zu einem nennenswerten Warenaustausch über die Feindesgrenzen hinaus gekommen ist. Aber dies änderte sich von dem Moment an, als Tiberius 16 + den Frieden befahl. Um die Jahr 17 + oder 18 + als es galt im Zuge des Gefangenenaustausches germanische Stämme, aber in erster Linie die nun wichtig gewordenen angrivarischen Vermittler zufrieden zu stellen, kam auch ein Handel langsam und zäh in Gang. So könnten in diesen Zeiten nun auch andere Tauschartikel von den Germanen stärker nachgefragt worden sein. Und auch gefangene Legionäre zurück zu kaufen ist eine Frage von Angebot und Nachfrage. Man stellte sicherlich auf dem kleinen Garnisonsplatz inmitten des römischen Marschlagers in der Niewedder Senke keine Tische auf um den Angrivariern eine Palette interessanter Objekte zu offerieren. Aber eine Form von Zurschaustellung sollte es gegeben haben. Und natürlich kommt diesem Gefangenenaustausch den uns Tacitus mit so knappen Worten bestätigt, auch eine große historische Bedeutung zu. Denn nach dreißig Jahren blutiger Fehden könnte dieser Akt nicht nur eine Wende eingeläutet haben. Es war auch die erste und einzige dokumentierte zivile Annäherung die uns so kurz nach dem langen Krieg Roms mit den nun ehemalig zu nennenden Konfliktgegnern bekannt geworden ist. Dieses Zusammentreffen wurde damit auch zu einer ersten Nagelprobe der Verlässlichkeit in einer neu anbrechenden Zeit. Nun waren die beiden einstigen römischen Schlachtrösser Silius oder Caecina gezwungenermaßen auf das Niveau von Bittstellern herab gesunken und man darf sich die Frage stellen, wie sich Kaiser Tiberius zu diesem diplomatischen Drahtseilakt stellte. Schließlich dürfte dieses ungewöhnliche Prozedere brisant gewesen sein und entsprechend hohe Wellen geschlagen haben. Wellen gleichen Ausmaßes wie die, die einst die römischen Schiffe zum Zerbersten brachten, aber auf anderem Parkett. In Kalkriese durfte also nichts schief gehen. Denn man läutete dort den letzten Akt einer misslungenen Serie unbefriedigender Germanicus Feldzüge ein und wollte auf diesem Weg die Schmach ohne großes Aufsehen zu erregen zügig zu Ende bringen. Die peinlichen Pannen des zwar in weiten Kreisen beliebten aber erfolglosen Feldherrn Germanicus sollten endgültig ausgeräumt und vergessen gemacht werden. Tiberius muss dem Gefangenenaustausch zugestimmt haben und möglicherweise gab es auch noch ein altes Vermächtnis mit Germanicus an das sich Tiberius hielt oder halten wollte. Denn es wurde überliefert, wie innig Germanicus einst über den Flottenverlust und die Opfer getrauert haben soll. In diesem Sinne könnte Germanicus den Schiffbrüchigen noch einen letzten Dienst erwiesen haben und für den Gefangenenaustausch noch indirekt mit die Weichen gestellt haben und er war somit für diese Aktion vielleicht sogar mit verantwortlich, zumal er sie im Zuge seines letzten Kriegsjahres 16 +, obwohl nicht beabsichtigt erst ausgelöst hatte. Es könnte mit erklären helfen, warum das Imperium das Risiko Kalkriese überhaupt ein ging um die Schiffbrüchigen zurück zu holen. Aber schon kurz nach dem für Germanicus veranstalteten Triumphzug im Mai 17 also noch im gleichen Jahr trennte sich Tiberius von ihm und schickte ihn in den Osten des Reiches nach Griechenland. Da der angenommene Gefangenenaustausch auch erst im Folgejahr 18 + statt gefunden haben könnte, dürfte Germanicus vom Ausgang des Gefechtes bei Kalkriese nichts mehr erfahren haben. Denn Germanicus wurde 19 + in Antiochia möglicherweise vergiftet. Der Unbill der Natur also der Zorn der Götter ließen das Unwetter in der deutschen Bucht damals geschehen und es war bei genauerer Betrachtung eine äußerst heikle Mission, in der die römische Delegation seinerzeit in Sachen „Schiffbrüchige“ zu den Angrivariern aufbrach um das Reglement abzuwickeln um das Unvermeidbare hinter sich zu bringen. Das Imperium musste alles erdenkliche aufbieten um den Austausch nicht zu einem Misserfolg werden zu lassen und so las man den Germanen so ziemlich jeden Wunsch von den Augen ab. Vielleicht waren die wenigen Worte die Tacitus dafür fand schon der Diskretion gezollt. Man könnte ihnen demnach ein Überangebot präsentiert haben, das die Germanen nicht ablehnen konnten. Auch ohne „Live Übertragung“ dürften alle Augen im Imperium bis hinunter zu den begüterten Familienangehörigen der Gefangenen in Italien in dieser Zeit auf Kalkriese gerichtet gewesen sein. Aber besonders waren es die Augen von Kaiser Tiberius und seinem Hofstaat, denn es sollte und musste alles in einen glorreichen Erfolg münden, der sich politisch ausschlachten ließ. Das Imperium durfte und wollte sich unter Kaiser Tiberius kein erneutes militärisches Debakel gegen ein rückständiges Volk leisten, denn die Liste der Peinlichkeiten war schon recht umfänglich und es gab sie schon zur Genüge. Wie wir wissen wurde alles was Rom damals in Germanien, wenn auch manchmal nur halbwegs zustande brachte, wie eine Heldentat von gesamtstaatlicher Bedeutung überschwänglich und wenn nötig bis zur Faktenverdrehung gefeiert. Und man möchte gar nicht wissen wie man in Rom einen erfolgreichen Gefangenenaustausch ausgeschlachtet hätte. Denn dafür gibt es genügend Beispiele. Ob man wie geschehen Germanen wie Gefangene vorführte die sich jedoch vorher freiwillig in römische Hände begeben hatten, ob man sich für die Zurschaustellung an Germanen vergriff, die mit den Germanicusschlachten gar nicht im Zusammenhang standen, oder ob man Feldherren Triumphalinsignien zuerkannte die ihnen bei genauer Betrachtung nicht zustanden, da es ihre Verdienste nicht hergaben. Oder ob man die Rückführung von Legionsadlern mit opulent übertriebenem Beiwerk ausschmückte. Alles stellte man gerne als einen totalen Erfolg wie ein Jubelereignis der Sonderklasse heraus und es passte zur „Brot und Spiele“ Philosophie. Das es aber in Kalkriese zum Gefecht kam und dieses in einer römischen Niederlage endete, wurde in den späteren Annalen, wie so vieles andere auch geflissentlich verschwiegen und Tacitus konnte darüber auch nur sehr wenig weiter geben und erst recht nicht über ein Fiasko schreiben, weil es sich aus seinen Quellen nicht erschließen ließ. Das er es aber überhaupt erwähnte zeugt davon, dass der Gefangenenaustausch doch eine gewisse Größenordnung angenommen haben musste. Aber zum guten Angebot sozusagen einem Rundumpaket an die Germanen gehörten damals auch andere Dinge als Münzen. Wie etwa die zweckmäßigen Dinge des Alltags aber auch die unzweckmäßigen, wenn sie nur ansprechend genug waren und schön genug aussahen und das in jeder Variation und Ausstattung aber immer nach dem römischen Geschmack der Zeit. Gegenstände vielleicht aus modernster Manufaktur die zeitgemäß und daher hoch im Kurs gestanden haben könnten. Sich selbst versorgende kleinbäuerlich geprägte Völker mussten auch immer praktisch veranlagte Menschen sein, wollten aber auch mal über den Tellerrand blicken. Während sich die in Kalkriese gefundenen Millefiori Scherben gut einem Gefäß zuordnen lassen, müssen die dort aufgefundenen „Glas Augen Scherben“ aber immer noch als undefinierbar eingestuft werden. Möglicherweise kam ihnen im intakten Zustand als Teil eines Ganzen eine Doppelfunktion zu. So könnte man sie sowohl als Nutzgegenstand in römischen Kastellen verwendet haben, sie aber auch für Handelszwecke geeignet gewesen sein. Aus herstellungstechnischer Sicht betrachtet ist es ein Faktum und daher von Bedeutung, dass es sich bei den gefundenen „Glasaugen“ insgesamt um Teile handelt, die allesamt nur aus farbigen Glaselementen bestanden. Aber es waren in sich betrachtet jeweils Einzelstücke, denn kein Glasauge sah aus wie das andere. Unter ihnen befindet sich also kein Teil oder aus durchsichtigem Glas produziertes Element. Farbiges Glas herzustellen gelang in Italien noch bevor es möglich war durchsichtiges Glas anzufertigen. Denn die manuell erstellten Teile, wenn sie auch nicht unseren Reinheitsvorstellungen entsprachen aus durchsichtigem Glas zu produzieren war erst um das Jahr Null möglich. Aber farbiges Glas für den alltäglichen Gebrauch wurde auch in den folgenden Jahrzehnten weiter also parallel produziert, als die Fertigung von durchsichtigem Glas bereits möglich war. Sodass es nicht möglich ist, für die Funde in Kalkriese aus farbigem Glas sowohl eine Herstellungszeit und natürlich auch nicht den Produktionsort bestimmen zu können. Die farbigen Glasobjekte könnten demnach auch während einer sehr langen Zeitphase in den Kalkrieser Boden gelangt sein. Es lässt sich also nicht exakt sagen, ob sie im Kern dem Fundhorizont etwa der Jahre 9 + bis 18 + zugeordnet werden können, besser gesagt, es lässt sich gegenwärtig nicht beurteilen. Denn die Kalkrieser Glasaugen können epochal betrachtet auch noch lange nach der Aufgabe der letzten Lippelager in den Niewedder Boden gelangt sein. Es ist allerdings sehr nahe liegend, dass diese Glasobjekte im Zuge einer Kampfhandlung zerstört wurden und in dem vorgefundenen Zustand zu Boden fielen, gleich wann dieses statt fand. Das sich die Augen ähnlichen Glasscherben die man in Kalkriese entdeckte in Aussehen und Machbarkeit von denen unterschieden die sich an anderen Stellen in Germanien fanden wie etwa an der Lippe zeugt vermutlich von der Individualität der Meister, ihrer jeweiligen Handwerkskunst und ihrer Möglichkeiten. Aber Produkte aus farbigem Glas, fände man sie noch dazu „in situ“ also in Original Fundlage, Schicht oder Position innerhalb der Örtlichkeit und das um diese Zeit in den weit vom Rhein abgewandten östlichen Fundregionen ist nicht nur eine Besonderheit, sondern sogar eine Überraschung und wie in diesem Fall schon sensationell zu nennen. Dabei tritt zunächst die Frage nach der Herstellungsmethode, oder danach welche Stoffe und Elemente man vor 2000 Jahren für den Schmelzprozess einsetzte in den Hintergrund. Denn das bloße Vorhandensein und die Existenz der Teile nahe zum 5240. Breitengrad wo er Germanien quert ist nach unseren Vorstellungen bereits äußerst bemerkenswert. Denken wir an die römische Glasherstellung des 1. Jhdt. wie sie uns Plinius der Ältere beschrieben hat und werfen wir einen Blick auf andere augusteische Spitzenerzeugnisse der Glasmacherkunst, so erscheinen uns die „toten farbigen Glas Augen“ von Kalkriese angesichts der Fortschritte gar Sprünge, die die Glasmacherkunst schon im frühen ersten Jahrhundert machte schon fasst wie Produkte aus einer rückständigen Epoche. Denn die Forschung kann anhand von Bodenfunden nachweisen, dass hochwertiges, also sowohl buntes als auch durchsichtiges und verziertes Glas in bester zeitgemäßer Qualität bereits in vor römischer Zeit in Palästina, Syrien, Ägypten und Mesopotamien produziert und verarbeitet werden konnte. Von dort dürfte es schon in den Zeiten der dortigen Hochkulturen den Weg über die Häfen, etwa Griechenlands oder Alexandrias, also über das Mittelmeer ins römische Reich gefunden haben. Gegen diese Meisterleistungen erscheinen die diversen farbigen Scherbenfunde nördlich der Alpen in der Tat so, als wären sie für den damaligen Geschmack gerade noch gut genug gewesen. Was wiederum nicht verwundert denn auch um das Jahr 18 + steckte man, was die Produktion durchsichtigen Glases anbelangt auch in Italien noch in einer frühen Experimentierphase. Aber schon die farbigen Glasfertigprodukte mögen bereits ausgereicht haben und erfüllten ihren Zweck um die Germanen in Verzückung zu versetzen. Anfänglich hatte auch im italienischen Teil des Imperium Romanum farbiges Glas noch eine stärkere Verbreitung, so wie es das bei Kalkriese gefundene Glasaugenteil materiell verkörpert. Um das Jahr Null wurde das komplett farblose bzw. durchsichtige Glas erfunden und die Qualität und Festigkeit wurde zunehmend verbessert. Durch den wachsenden Erfindungsgeist wurde auch die Produktionspalette um neue Erzeugnisse und Gestaltungsideen aus farblosem und damit durchsichtigem Glas erweitert. Während der Pax Romana machte unter Kaiser Augustus die Produktion von Glas so immense Fortschritte, dass sie nicht nur auf Italien beschränkt blieb, sondern zu einem Erfolgsschlager in der römisch geprägten antiken Welt wurde. So wurden aus Glas hergestellte Dinge des Alltags auch nach Spanien, Gallien und Germanien aber auch an die Donau exportiert, wo sie sich schon in augusteischer Zeit auf dem Magdalensberg nachweisen lassen. Mit dem Export also dem Transfer der Produkte von Italien ausgehend, vollzog und verbreitete sich auch schnell das Wissen um die jeweiligen Herstellungsprozesse und Methoden. In der Folgezeit war es daher möglich überall an geeigneten Orten Schmelzöfen zu errichten und die Kunst des Meisters und der Geschmack und die Zahlungskraft der Abnehmer entschieden wohl über die Vielfalt der Angebotspalette. Aber die Funde von Kalkriese erreichten noch nicht den hochwertigen Zustand und sollten es auch nicht, denn sie waren nichts anderes als Gegenstände des Alltags. Der Römerstadt Augusta Raurica, die heutige Schweizer Stadt Kaiseraugst bzw. das deutsche Augst am Rhein nahe Basel fiel in dieser Zeit eine besondere Bedeutung zu. Zahlreiche Funde der Epoche wie sie hier nachweisbar sind, ob zuerst farbiges oder später durchsichtiges Glas bestätigen dies und es lässt sich bereits für die augusteischen Zeiten belegen, dass sich dort einst ein oder sogar das Zentrum der frühen Glasherstellung nördlich der Alpen befand. Eine äußerst geeignete Region am Oberrhein, einem geographisch bedeutsamen verkehrstechnischen Knotenpunkt nördlich der Alpen. In Augusta Raurica und möglicherweise auch in der unter Basel vermuteten Erstgründung könnte man auch die gesuchte römische Stadt sehen, in der man sich als erste Kapitale nördlich der Gebirgskette auf alles Innovative stürzte, was den Weg aus Italien in den Norden fand. Und nach Augusta Raurica das bereits vor der römischen Stadtgründung von Trier bestand hatte, öffnete sich dank des Rheins auch die Tür nach Germanien. Mit der Produktionsstätte ging zwangsläufig auch der nötige Handelsstützpunkt einher aus dem sich ein Warenumschlagplatz entwickelte. Die Glasmanufaktur samt Vertrieb prosperierte und besaß Wasseranschluss mittels Hafen, sodass der bequeme Transport rheinabwärts somit sichergestellt war und reibungslos funktionierte. Den Rheinfall hatten sie ab Augst bekanntlich nicht mehr zu überwinden und die anderen Hindernisse im Fluss schienen beherrschbar gewesen zu sein. Die Stadt wurde zum Mittelpunkt der Herstellung also auch gänzlich unmilitärischer Erzeugnisse nämlich auch dem besagten „poculum vitreum“ mit dem das Imperium auch diesseits der Alpen seine technische Vorrang- und Vormachtstellung unter Beweis stellte und durch Fortschritt punkten konnte. Kriege und Schlachten waren befristete Eskalationsspitzen, aber dazwischen lagen auch längere Friedensperioden, Phasen in denen letztlich jene Dinge auf die Reise gingen, die den kulturellen Einfluss ausmachten die Begehrlichkeiten weckten und die die Impulse einer modernen Zeit kontinuierlich nach Norden transferierten. Damit rückte das Imperium für Germanien auf Jahrhunderte in den Blickpunkt und wurde zum Leitmaß der Dinge bis die Völkerwanderung diese alten Grenzen wieder verschob. Das nach der Zeitenwende die in einfachen Produktionsschritten hergestellten undurchsichtigen und farbigen Teile aus Glas auch vermehrt im Alltag Verwendung gefunden haben, dürfte unstrittig sein, während das hochwertigere durchsichtige Glas von einem höher gestellten und wohlhabenderen Personenkreis genutzt wurde. In Kalkriese fand man durchsichtiges Glas bislang nicht und man wird es wohl auch dort nicht finden. Man fand die rätselhaften fünf, sechs oder waren es gar sieben Glasaugen nicht nur an der Marschstraße bei Kalkriese, sondern in ähnlicher Ausführung auch in den Lippelagern und in Xanten. Aber da wo man sie noch ausgrub, befanden sich jeweils stattliche und wichtige militärische Bollwerke des Imperiums. Dies war neben Xanten auch in Haltern, Oberaden und Anreppen längst der Lippe der Fall. Und natürlich in Kaiseraugst dem alten Augusta Raurica das möglicherweise als Kolonie schon 44 – gegründet wurde. Das man die Scherben nicht vermehrt auch auf Äckern im Münsterland fand mag daran liegen, dass man in ihnen keine Teile aus früh römischer Produktion erkannte und sie daher nicht beachtete. Aber überall dort, wo sich diese Scherben fanden, existierten auch römische Niederlassungen die sich auch dank dieser Funde einem zeitlich erfassbaren Rahmen zuordnen lassen. So bleibt und wird die Zeit in der sie in den Boden gelangt sein konnten für uns überschaubar bzw. lässt sich besser eingrenzen. Das alle Gegenstände die in diesen Jahren nach Westfalen gelangt sind nur in Verbindung mit Kastellen oder Marschlagern zum Vorschein kamen unterstreicht den engen Kontakt zu den Zivilisationsstätten und Zentren der frühen römischen Besiedelung. Unstrittig ist sicherlich, dass diese Teile auch nur in den Boden gelangt sein konnten, als diese Kastelle schon existierten. Und natürlich auch nur immer solange, wie sie sich auch noch in der Nutzung befunden hatten. Denn danach ging dort kein Tischgeschirr mehr zu Bruch. Und man fand sie sogar noch weit flussaufwärts bis nach Anreppen, dem jüngsten Römerlager am Lippeoberlauf, das man nur etwa 5 Jahre genutzt hatte, denn selbst bis dahin hatte man ähnliche Glasobjekte schon transportiert bzw. man benötigte sie dort. So sollten natürlich auch noch viele von ihnen nicht auffindbar auch im ehemals besetzten Teil Germaniens im Boden schlummern, die zudem schwer zu entdecken sind, da sie sich nicht mit Metallsuchgeräten aufspüren lassen. Das man aber alle Glasaugen bis auf Kalkriese nur in Römerstädten bzw. Römerkastellen fand ist nicht unlogisch. Denn nur dort gab es auch Bedarf an Tischgeschirr. In diesem Kontext festzustellen, dass alle Funde grundsätzlich nur einen Bruchteil dessen wieder spiegeln, was tatsächlich noch im Boden vorhanden ist, dürfte unstrittig sein. Jedoch weisen die Fundorte darauf hin, dass die Glasaugen, als sie noch Bestandteil eines Behältnisses oder eines großen Ganzen waren die Legionäre aber auch die Händler bis in ihre Militärlager und auf ihren Marschzügen begleiteten. Wo also die frühe römische Zivilisation beheimatet war und wo sich ihre, wenn auch nur vorübergehenden Stützpunkte befanden. Wo sich römisches Leben ausbreitete also Fuß fasste, waren offensichtlich auch Glasaugen ähnliche Teile nicht weit. Folglich war ihr Verbreitungsraum umfänglicher als gedacht und man sollte daher annehmen, dass man sie auch in jeder anderen römischen Siedlung vorfinden könnte. Glasaugen die auf die naive germanische Seele einwirkten, die man vielleicht an Bändern befestigt hatte, die sich an den Fensteröffnungen im Zugwind bewegten wo sie dann leise gegeneinander schlugen.(20.02.2020)

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