Dienstag, 2. Juni 2020
Gab es eine Belagerung der Segestes Burg oder legte Tacitus es so aus ?
Während man den Wirkungsraum von Arminius aufgrund der Überlieferungen auf die Regionen links und rechts der Weser beschränken könnte dürfte der Herrschaftsbereich der Segestessippe davon abgerückt gelegen haben. Man könnte ihn auf Basis von Schlussfolgerungen im östlich davon zum Harz hin neigenden Solling und dem daran anschließenden Leinetal vermuten, wo sich einst auch Heinrich der Vogeler, vermutlich ein Nachfahre des alten Cheruskervolkes ebenfalls häuslich eingerichtet hatte, da er dort Ländereien besaß. In einer entfernt von „Aliso“ liegenden Region, in sicherer Distanz zu den „äußeren Brukterern“ dem „Teutoburgiensi saltu“ und „dem Land an der Visurgis“. Man kann auch sagen weit vom Schuss. Die Wohngebiete des Stammes von Segestes könnten demnach einen Grenzgau gebildet haben, der südlich an die Siedlungsgebiete der Chatten stieß und südöstlich vermutlich in Kontakt zu den Elbgermanen stand, die es wiederum nicht weit zum Markomannenreich hatten. Aber zu den Chatten lebte man in enger Nachbarschaft, sodass bedeutsame Ereignisse die sich in deren Hoheitsgebiet zutrugen auch immer unmittelbare Auswirkungen auf Segestes und seine Politik hatten. Unruhen im dortigen Gebiet zogen infolgedessen auch entsprechende Reaktionen und Konsequenzen bei den cheruskischen Nordanrainern nach sich. Bedrohte man die Chatten nördlich der Eder oder wurde dort sogar gekämpft wie es im Zuge der Verwüstungen durch Germanicus der Fall war, schrillten im vermeintlichen Vogelbeck der Segestesfeste schnell die berühmten Alarmglocken. In dieser aufgeheizten Zeit ist nun bei Tacitus die Rede davon, dass es Cherusker waren, die ausgerechnet in dieser kritischen Phase Segestes belagern würden. Der Begriff Belagerung ist definiert und in der freien Enzyclopädie ist es mit den Worten „Die Belagerung ist eine Sonderform des Angriffs mit dem Ziel, befestigte Anlagen zu erobern oder die Kampfkraft der Verteidiger abzunutzen und sie zumindest zeitweise zu neutralisieren. Dabei wird der Ort so von eigenen Truppen umschlossen, dass möglichst jeder Verkehr zwischen dem Inneren und dem Äußeren des Belagerungsrings unterbunden wird“ auch gut beschrieben. Aber die Darstellung die Tacitus wählte hatte einen Haken. Denn sie könnte ein Synonym dafür sein, wie man sich in alter Zeit eine Vorstellung zur eigenen Vision machte, die aber vom tatsächlichen Verlauf abgewichen sei könnte, da man ihn nicht kannte. Erklärungslücken mit Eigeninterpretationen zu schließen ist ein menschliches Bedürfnis und erschwert die Suche nach der Wahrheit. Tacitus könnte dafür ein gutes Beispiel abgegeben haben. Und nicht nur das, denn die gesamte historische Szene leidet zwangsläufig mit darunter und es fördert das Infragestellen von allem und jedem. Über alle Überlieferung ein netzartiges Punktesystem der Plausibilität zu legen würde uns auch nicht weiter helfen, denn Zweifler werden nie verstummen. Wir brauchen aber andererseits die konstruktive Auseinandersetzung um uns nicht die letzte Chance auf die Wahrheitsfindung zu verbauen. Tacitus vom Historiker zum Geschichtenerzähler abzustufen kann nicht unser Ziel sein. Würden wir ihm aber blindlings folgen, beraubten wir uns unserer eigenen Meinungsfreiheit und Ausgestaltungskraft die auch uns keiner nehmen kann. So müssen wir uns wieder die alte Zeit so lebendig wie möglich geistig erschaffen um Tacitus besser verstehen zu können. Es fing also möglicherweise alles in einem erdachten Raum im Gewölbe des Palatin an. Dort könnte man sich im Jahr 17 + nach dem Germanicus mit der Segestes Familie römischen Boden betrat ein obskures Zusammentreffen vorstellen. Höher gestellte dem Kaiser Tiberius nahe stehende Beamte wollten vieles von Segestes in Erfahrung bringen und bestellten ihn ein. So zum Beispiel ob und wie intensiv sich der Römerfreund Segestes im Jahre 9 + bemüht hatte Varus von der Gefahrenlage zu überzeugen und wie er seinen späten Entschluss erklärte, sich erst im Jahre 15 + auf die römische Seite geschlagen zu haben. Segestes soll sich dazu im Wortlaut so geäußert haben, wie wir es im Kapitel 1.58. (1) im Jahrbuch von Tacitus nach lesen können und glauben sollen. Aus einer bereits dargelegten parallelen Interpretationsversion dieser palatinischen Befragung könnte man den Schluss ziehen, dass die dem Tribunal angehörigen römischen Hofbediensteten im Zuge seiner Erklärungsversuche auch unliebsame Dinge erfuhren und somit die wahren Begebenheiten erkannten. Je nach dem wie gut ihre Verhörmethode waren, konnten sie dem Gespräch entnehmen, was sich im Jahr 9 + aber auch im Jahr 15 + in Germanien hinter den Kulissen zutrug. So hörten sie von Segestes nicht nur wie die Schlacht im „Teutoburger Wald“ ihren Anfang nahm und vieles mehr, sondern auch seine Version der Befreiung im Frühjahr des Jahres 15 +. Was aber betrüblich macht, ist das völlige Fehlen des Gegenparts nämlich das, was dazu nachweislich aus dem Munde des Befreiers Germanicus kam. Hier gibt uns Tacitus zwar vage Hinweise, führt aber an keiner Stelle aus, woher er diese nahm und wie er auf sie kam. Obwohl uns schon ein Anfangssatz glücklich stimmen würde, der da lauten könnte, „Germanicus sprach dazu folgendermaßen“......., aber darauf hoffen wir vergeblich. Das von Segestes Überlieferte bzw. das also solches ausgewiesene kennen wir seinem lateinischen Inhalt nach. Da es aber für unsere Ohren besser gesagt Augen wie eingeübt und hölzern wirkt ist zu vermuten, dass dies nicht seine originalen Worte waren. Denn diese zu Papier zu bringen entsprach insbesondere was die darin geschilderten Umstände in Bezug auf die „Clades Variana“ anbetraf, nicht dem Wunsch des Kaiserhauses. Denn dort stand der allein schuldige Varus schon lange fest. Und in der Tradition vieler Historiker stehend, nämlich die Begebenheiten nicht immer so wieder zu geben, wie sie sich tatsächlich ereigneten, servierte uns auch Tacitus den geschichtsträchtigen Ablauf seiner Rettung auf seine ihm eigene und andersartige Weise. Folglich so, dass es zunächst einmal seinen persönlichen Ansprüchen, Befindungen und Vorstellungen genügen sollte, also seinen eigenen Bewertungen und Einschätzungen stand zu halten hatte. So bemühte er seine ihm gegebene Logik um es für sich glaubhaft zu machen und für die Nachwelt befriedigend zu hinterlassen. Da Segestes sicherlich nicht sein eigener Herr über sein Gesagtes war und es nicht sein durfte und zudem auch selbst nicht imstande war es eigenhändig zu verschriften, lag auch Tacitus kein beglaubigter Segestes Urtext vor, sollte es diesen überhaupt jemals gegeben haben. Ihn erreichte lediglich ein vermutlich wertloses Faksimile, da es aus zweiter Hand stammte. Denn was er vorfand waren nur die Notizen derer, die es einst nach dem „Gewölbegespräch“ auf ihre Weise zu Papier gebracht hatten. Und wer wollte schon erwarten, dass man Segestes ein Protokoll vorlegte besser gesagt ihm ein Schriftstück unterschob, das er selbst nicht einmal lesen konnte, dann aber handschriftlich signieren sollte; und das rund 800 Jahre vor dem nächsten historischen Fehlgriff. Der konstantinischen Schenkung. Vielleicht dürfen oder müssen wir sogar annehmen, dass Tacitus darin selbst Ungereimtheiten erkannte, die er sich nicht erklären konnte, aber für korrekt halten musste. Wirft man nun einen Blick auf den Text und die Worte die Tacitus aus alledem ableitete und im Zusammenhang mit seiner Art der Geschichtsaufarbeitung verwendete, so müssen wir uns auch der Tatsache bewusst sein, dass Tacitus nicht nur in sein Jahrbuch 1.57 und in die Abschnitte 1 – 5 eigene Schlussfolgerungen eingebaut hat, sondern auch anderswo. Denn er verzichtete und das wohl mangels Wissen zu oft darauf uns mitzuteilen wie er andernfalls auf den Inhalt gekommen sein könnte. Ein einfaches Beispiel dafür ist eine Darstellung im Kontext seiner Jahrbücher. So vertritt, er die Überzeugung, dass sich die Barbaren von Personen, die ein besonders kühnes und wortgewaltiges Auftreten an den Tag legten, eher für einen Waffengang erwärmen lassen, als von zaghaften Anführern. Hier vermittelt er uns eine Weisheit, die so alt ist wie die Welt und zu der es keines Tacitus bedurft hätte, denn es gehört zum allgemeinen Erfahrungsschatz der Zeitgeschichte. Er überbrückt mit derartigem Allgemeinwissen faktenreichere Geschehnisse. Überbrückt sie aber nicht nur sondern überlagert sie auch und beginnt damit seine eigene Geschichte zu erzählen. Und dazu würde dann auch die von ihm dargestellte vermeintliche Tatsache passen indem er, und nur er davon ausging, dass Segestes eigentlich nur belagert worden sein konnte. Ein Sachverhalt der sich ihm nahe liegender weise erschloss, da er sich für ihn aus dem Zusammenhang des Tochterraubes leicht ableiten ließ. Denn seinem Jahresbuch 1.58 (4) ist zu entnehmen, dass er den Kenntnisstand über die innerfamiliären Zwistigkeiten nur den Worten von Segestes verdankt und von keiner anderen Person. So wusste Tacitus auch nur von Segestes, dass der vorher seine Tochter seinem Widersacher Arminius mit Gewalt weg genommen hatte. Es bedurfte also für Tacitus keiner besonderen Anstrengung mehr, daraus eine Belagerungssituation in der Form zu rekonstruieren, als dass Arminius nun wieder bestrebt war seine Angetraute erneut zurück zu holen. Gehen wir an der Stelle in die historische Tiefe der Zeilenforschung so dürfen wir annehmen, dass es nicht Segestes war, der die Begrifflichkeit einer Belagerung in die Welt setzte, sondern Tacitus, der es aufgrund seines Wissens und seiner Gedanken so vor Augen hatte. Tacitus legte also mittels seiner Jahrbücher der Geschichte seine Worte sozusagen in den Mund. Worte und Erklärungen die wir bei Segestes in dieser Form nicht finden. Denn Segestes erwähnte an keiner Stelle in seiner Reputationsrede die Tacitus im Jahrbuch 1.58 (1) veröffentlichte, dass man ihn belagert hätte. Tacitus erwähnte eine Belagerung an zwei Stellen. Unter 1.57 (1) soll es die Delegation so ausgedrückt haben, als sie Germanicus entgegen ritt bzw. ihm gegenüber trat. Und unter 1.57 (3) ist von Germanicus die Rede, der gegen Belagerer kämpfte. Das Wort Belagerer, Tacitus nannte es „obsidentes“, war demnach eine Wortschöpfung von ihm selbst. Aber „obsidentes“ könnte in diesem Zusammenhang auch noch eine andere Bedeutung gehabt haben. Denn in der Form von „obsidere bzw. obsideo“ kann man es auch als „irgendwo sitzen oder sich aufhalten“ auslegen. Und man kann darunter auch noch verstehen „auf etwas lauern oder etwas abpassen“. Und dann ist es schon nicht mehr das was wir uns heute so unter einer Belagerung vorstellen möchten und wie wir es uns mit einer Portion mittelalterlicher Raubritter Dramatik im Hinterkopf ausmalen. So ließe sich die Geschichte von der Befreiung auch anders auslegen und dann wären wir erneut auf nebulösen Pfaden unterwegs. In diesem Fall wäre es eine Version, die uns von einer Belagerungsvision abbringt. Denn nun könnte man den Worten von Tacitus einen anderen Sinn geben. Wir müssten dann allerdings von unserem traditionellen Denken abrücken und dürfen in den Worten von Tacitus keine Belagerung mehr erkennen. Natürlich hilft uns die Aufarbeitung dieser Geschehnisse nicht bei der Suche nach den Örtlichkeiten der Varusschlacht oder deren Verlauf, aber jede Schlacht hat ihre Vorgeschichte und wird nach dem sie geschlagen ist von 1000 Augen anders gesehen und bewertet. Wir möchten wissen mit welchen Menschen und somit auch welchen Charakteren wir es rückblickend zu tun haben und das Jahr 15 + fällt noch in die Phase der Nachbearbeitung zu dieser Schlacht und lässt Rückschlüsse zu die uns verstehen helfen. Aber warum halte ich es ausgerechnet für wichtig mich so lange mit der Frage „Belagerung oder nicht Belagerung“ aufzuhalten. Ich möchte es vorweg nehmen, denn in den vermeintlichen Belagerern könnte man auch jene Germanen erkennen. die den Chatten gegen Germanicus zu Hilfe kommen sollten. Aber darauf möchte ich im weiteren Verlauf noch etwas detaillierter eingehen. Wollen wir aus den Worten eine Belagerung samt Belagerungsring ableiten, dann hätte nicht Segestes die antiken Historiker in die falsche Richtung geleitet. Sondern es wäre auf den Chronisten Tacitus zurück zu führen gewesen, in dem er das Wort „obsidentes“ benutzte und es an anderer Stelle ähnlich beschrieb, weil er es für plausibel hielt. Ungeachtet dessen, ließ Segestes über seinen Sohn Segimund verkünden, dass er sich in einer Gefahrenlage befand. Gleich wie diese ausgesehen haben könnte, Segestes nahm die Existenz der Cherusker die ihren Marsch zu den Chatten unterbrachen zum Anlass, nutzte oder missbrauchte sie indem er daraus einen Grund machte sich ins rettende römische Lager abzusetzen. Und so passt auch alles nur so lange gut zusammen, wie man gewillt ist, es so aus den Worten von Tacitus heraus lesen zu wollen. Und so gehen wir alle heute immer noch davon aus, dass man den armen Segestes im Jahre 15 + wegen seiner Tochter belagern und möglicherweise aushungern lassen wollte. Aber wir wissen das der erdachte Belagerungsring immerhin so lückig war, dass es einer Delegation gelang ihn zu durchbrechen. Aushungern könnte man demnach streichen. Aber man kann auch dem historischen Einmachglas das Verschlussgummi abziehen um zu schauen, was man darin vor 2000 Jahren für die Ewigkeit haltbar machen wollte, was sich aber vielleicht auch anders interpretieren lässt. Fasst man es zusammen, so haben die Hofbeamten des Senats, worunter sich vielleicht auch Senatoren befanden die Aussagen des Segestes zur Varusschlacht geschickt in die Richtung einer an Varus ergangenen Warnung gelenkt und Tacitus weckte in uns die Vision Segestes wäre in seiner Burg belagert worden. So macht alles den Anschein, als ob man nur lange genug schürfen braucht um zu gegenteiligen Auffassungen zu gelangen. Müssten neu nachdenken und dann vielleicht auch einige Illusionen über Bord werfen. (02.06.2020)

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Samstag, 30. Mai 2020
Segestes entführt uns in seine Zeit
Und so nimmt er uns symbolisch an seine Hand, als ob er sagen wollte, dass wir nicht alles glauben sollten, was die Römer damals über unsere Vorfahren zu Papier brachten. Segestes musste es wissen, denn in das Räderwerk der germanischen Verteidigungskriege und das was sich damals im Osten Westgermaniens zwischen dem Herbst 9 + und dem Frühjahr 15 + ereignete war außer Arminius keiner so tief verstrickt wie er. Dadurch lassen sich auch nur mit seiner Hilfe weitere Türen in eine spannende Epoche früher deutscher Vorzeit öffnen. Dank unseres historischen Wissens über seine Person ist uns bekannt, dass er im alten Germanien eine zentrale Rolle spielte. Und so ist es unabdingbar seinem vermeintlichen Rat oder ungeschriebenen Vermächtnis zu folgen nicht alles so bedenkenlos hinzunehmen, was uns die antiken Historiker seit Publius Ovidus Naso bis zu Lucius Cassius Dio hinterließen. Und indem man die gesamte Glaubwürdigkeit all der Überlieferungen jener Zeit in Frage stellt und sie hinterfragt, um so mehr erscheinen für uns die Ereignisse vor und nach der Varusschlacht in einem anderen Licht. So lassen sich weitere Ungereimtheiten aufdecken die darauf hindeuten, dass die antiken Historiker sich nicht der unerschütterlichen Wahrheit verpflichtet sahen und erst recht nicht darauf fixiert waren, sich an der Realität bedienen zu wollen. Segestes entsprach so weit wir es überschauen können, sicherlich nicht unseren Idealen die wir von einem ehrenvollen Germanen in uns tragen, aber es könnte so aussehen, als ob man ihn zumindest des Verrats im Jahre 9 + frei sprechen könnte. Aber mit seinem im Jahre 15 + vor über 2000 Jahren eingefädelten Strategiewechsel hat er uns überfordert, da wir von unseren Ahnen eine derartige Intrigengewandtheit nicht erwartet hätten. Sozusagen ein Lehrstück für die prähistorische Mentalitätsforschung in Germanien. In Verbindung mit seinem Varusschlachtgebaren komplettiert es unsere Vorstellungen die wir uns über ihn gemacht haben. Dadurch erscheint auch Varus nicht mehr der unfähige Feldherrn zu sein, den viele in ihm sahen, aber dafür ist es zulässig und wir dürfen wiederum in Arminius einen klugen Strategen erkennen ohne dabei schief angesehen zu werden. Immerhin triumphierte er letztlich über seinen Rivalen aus „Vogelbeck“ was seine Überlegenheit zum Ausdruck bringt. Doch sollte man trotzdem einer tendenziös erscheinenden neuerlich veränderten Sichtweise auf die Varusschlacht mit einer gebotenen Vorsicht begegnen. Die neue Unruhe zuviel nationales Gedankengut in die Varusschlacht implementieren zu wollen wirkt so, als wolle man Blütenbildung im Wurzelbereich deutscher Urgeschichte möglich machen und damit die Realität verdrehen. Zweifellos deuten alle Recherchen und Indizien daraufhin, dass auf römischer Seite im Jahre 9 + anlässlich der Varusschlacht weitaus weniger Legionäre standen, als man es aus den Zahlen von Paterculus ableiten möchte, aber der Varusschlacht den Nimbus eines Wendepunktes verweigern oder absprechen zu wollen greift in die falsche Richtung. Begründet wird dies mit dem Hinweis auf die stolzen Leistungen die Arminius im Zuge der darauf folgenden weitaus umfangreicheren Germanicus Schlachten vollbrachte und die sein wahres Verdienst darstellen. Um es aber kurz zu machen nur ein Satz dazu und der lautet schlicht und einfach. Das es ohne die Varusschlacht auch keine Germanicus Feldzüge gegeben hätte, womit der kleine Exkurs auch schon beendet ist. Nun aber geht die Suche nach weiteren Ungereimtheiten die in der Person des Segestes und seinem Umfeld verborgen liegen weiter und es geht dazu wieder weit zurück bis ins Frühjahr 15 + und in den Mai des Jahres 17 + als Tiberius seinen, wie es scheint einstigen Gegenspieler Germanicus mit einem spektakulären Triumphzug mehr oder weniger in den Ruhestand verabschiedete. Nun trafen beide in Italien wieder aufeinander. Dort, wo das hektische Treiben in der lärmenden Metropole der hundert Sprachen nicht mit den feuchtkalten Wäldern und den verstreut liegenden Behausungen in Germanien vergleichbar ist und wo man noch im diffusen Licht aus den Runen las, ganz so wie wir es uns gerne vorstellen möchten. Germanicus den alle Büsten immer gut rasiert zeigen hatte in der Hauptstadt anders aufzutreten und glänzte nicht mehr ganz so hell wie einst als gefürchteter Feldherr im Barbaricum, wo man ihn vielleicht nur mit Bart kannte. Kaiser Augustus wollte mit Unterstützung seines Feldherrn Germanicus den er 13 + an die Niederrhein Front beorderte vermutlich zwei Ziele erreichen. Seine alten Pläne zur Provinzialisierung Ostgermaniens wieder aufleben lassen und endlich die überfälligen Strafmaßnahmen an den Vertragsbrechern vollziehen. Und wie befohlen begann Germanicus schon im Jahre 14 + den Versuch der Wiedereroberung. Zwei Jahre nach dem Tod von Kaiser Augustus der im Jahr 14 +, dem Monat der seinen Namen trägt verstarb, wendete sich das Blatt, denn Tiberius rief den Feldherrn Germanicus im Jahre 16 + wegen Erfolglosigkeit ab. Es ist müssig zu spekulieren ob ein noch lebender Kaiser Augustus anders entschieden hätte. Aber ein Schlachtenlenker der drei Jahre teils unter rauen Bedingungen im Feld stand musste sich im Rom des Jahres 17 + wie auf verlorenem Posten gefühlt haben und bewegte sich dementsprechend auf ungewohntem Terrain. Glattes Parkett trifft es wohl besser. Denn der neue Kaiser hieß nun Tiberius und Germanicus stand jetzt im Schatten eines Mannes mit dem er einst gemeinsam kämpfte, der seine Stärken, vor allem aber seine Schwachstellen bestens kannte. Hier musste er passiver und kleinlauter in Erscheinung treten, nach dem er aus Germanien krass ausgedrückt von Tiberius zurück gepfiffen wurde und seine Uhr abzulaufen begann. Und so war er auch für Segestes nicht mehr der durchsetzungsfähige Mann von einst, wie er ihn im Frühjahr 15 + in Germanien kennen gelernt hatte, als alle noch auf ein glorreiches Ende seiner Feldzüge gehofft hatten. Die Zeiten hatten sich spätestens zum Zeitpunkt des Triumphzuges 17 + gravierend verändert und Segestes sah sich nun ähnlich wie Germanicus in einer angeschlagenen Position wieder. So tat er vielleicht gut daran zu Germanicus fortan auf Distanz zu gehen. Denn die Nähe zu dem im Sinken begriffenen Stern des Germanicus zu suchen barg Gefahren in sich. Hatte Germanicus wie in früheren Zeiten noch seinen gönnerhaften Schutzschirm über Segestes aufgespannt als er ihn noch brauchen konnte, so könnte er diesen nun zurück gezogen haben. Denn in ihm sah er jetzt nur noch ein notwendiges Übel, ein Relikt aus seiner wenig schmeichelhaften Vergangenheit und ein Mittel zum Zweck, da er seine Aufgabe nach dem Triumphzug erfüllt hatte. Segestes könnte dies insofern recht gewesen sein, denn er nutzte es als Freiraum für seinen Kampf um Reputation. Was wir über Segestes wissen verdanken wir nahezu ausschließlich Tacitus, den rund hundert Jahre von Segestes trennten. Und die Quellen aus denen er sein Wissen schöpfte blieben bis heute unbekannt, da sich beide nie begegnen konnten. Aber seinen wohl in den Jahren 98 + bis 117 + entstandenen Aufzeichnungen lässt sich schon mehr entnehmen als das wenige, was damals Strabo über Segestes hinterließ. Denn Tacitus lagen die Texte darüber vor, was Segestes im Jahre 17 + in Rom über die Lippen kam und was sich daher nur auf seinen urpersönlichen Wissenstand zurück führen lässt. Aber was wir auch erkennen können waren Dinge, die die Welt der Historik gar nicht so gerne mag. Denn Tacitus schien die Angaben von Segestes in einigen Passagen komplettiert, ergänzt und etwas abgerundet zu haben. Da Tacitus auf die wichtige Reputationsrede des Segestes Bezug nehmen konnte, war er gegenüber Strabo im Vorteil, der den wortwörtlichen Inhalt nicht kannte, genau genommen ihn nicht erwähnte, falls er ihn bereits gewusst haben sollte. So war Tacitus, da er diese Details kannte schon einen Schritt weiter als Strabo. Denn Strabo beschrieb die Rettung von Segestes im Frühjahr 15 + nur unter der Verwendung eines einzigen Hinweises mit den Worten, dass sich Segestes eine „günstige Gelegenheit“ bot. Gemeint war damit die geschilderte Rettung durch Germanicus aus der Umklammerung feindlicher Belagerer die noch dazu aus dem eigenen Volk stammten. So schien es bei genauer Betrachtung demnach nur diesem einen Zufall zu verdanken gewesen zu sein, dass der Römerfeldherr auf seinem Rückzug ausgerechnet in dem Moment unweit der Segestesburg weilte, als seine Burg von gegnerischen Kräften bedroht wurde. Folglich wäre die Rettungsaktion andererseits geplatzt. Cherusker die in Kriegszeiten nichts anderes zu tun hatten, als eine andere cheruskische Festung zu erobern bzw. ein Cheruskerfürst Namens Arminius der in diesen kritischen Zeiten seine Kräfte aufspaltete, während noch vor nicht all zu langer Zeit römische Legionäre die Fürstensitze und Heimstätten benachbarter Völker wie die der Chatten in Schutt und Asche legten steht im Kontrast zur damaligen Gefahrenlage. Und dies zudem noch in einer Zeit als Arminius sogar cheruskische Heerhaufen aufstellte um eben jenen Chatten zu Hilfe zu kommen. Man rekapituliere. Da wird also unweit südlich des cheruskischen Territoriums ein befreundetes Nachbarvolk vom Feind angegriffen welches man unterstützen will, ist aber gleichzeitig damit beschäftigt die Burg eines anderen Cheruskerfüsten zu belagern um angeblich eine Fürstentochter zu befreien. Nun können wir unseren Vorfahren zweifellos grenzenlose Rauflust unterstellen oder zutrauen, aber hier scheinen zwei Abläufe nicht zusammen gehen zu wollen und an Zufälle glaubt man auch nicht gerne. Man muss sich also einen Reim darauf machen wie ein cheruskischer Heerhaufen in den Krieg gegen Rom zieht und parallel dazu ein anderer die Burg eines verfeindetet Cheruskerfürsten belagert haben soll. Allemal eine Gemengelage die unsere Phantasie beflügelt und uns gleichzeitig Rätsel aufgibt. Und wie das Glück so spielt, bot sich dann justament in dieser Phase Segestes die einmalige Chance zum Übertritt ins römische Lager. Gleichsam einem Fenster, das nur kurze Zeit geöffnet stand und was er spontan nutzen musste, um diesen einen günstigen Moment nicht verstreichen zu lassen. Und da kann man sich die Frage stellen, was aus der Segestesfamilie geworden wäre, wenn Germanicus seine Hilfe verweigert hätte. So darf man dann wie auch im Falle der Varusschlacht annehmen, dass sich in diesem Fall Segestes wieder einmal hätte „hinein ziehen“ lassen, nur dieses Mal in die Schlachten des Germanicus. Tacitus kannte gegenüber Strabo den Inhalt der von Segestes schwungvoll gehaltenen Verteidigungsrede und wusste daher rund hundert Jahre nach Strabo auch schon einiges mehr und konnte über zusätzliche Details der Rettungsaktion des Jahres 15 + berichten. Denn dank Tacitus lässt sich nun dieser einsam im Raum stehende Hinweis von Strabo auf diese alles entscheidende sich bietende „günstige Gelegenheit“ relativieren und präzisieren. Und Tacitus konnte es mit den lateinischen Worten „auxilium orantes“ komplettieren die besagen, dass man Germanicus „um Hilfe“ bat. Ein Geschenk des Himmels in Gestalt des Germanicus der Segestes 15 + den Absprung erleichterte, als sich dieser urplötzlich in der Großregion aufhielt und das er nur nutzen brauchte um sein Glück am Schopf zu greifen. Allerdings musste Segestes vorher noch einen Köder auslegen, sonst hätte Germanicus sich vermutlich die Frage gestellt, warum sich Segestes nicht mit seiner ganzen Familie samt Freundeskreis selbst auf`s Pferd gesetzt hätte um sich eigenständig zu ihm aufzumachen. Es bedurfte also eines plausiblen Rettungsgrundes. Denn Segestes durfte und wollte es nicht wie eine Flucht aus Germanien, sondern wie eine Rettung aussehen lassen, denn Germanicus hätte Segestes im ungünstigen Fall auch gefangen nehmen können. Segimund schickte er daher vor um Germanicus gütig zu stimmen, was ihm auch gelang. Der schilderte dann dramatisch die cheruskische Kämpfer im Umfeld seiner Burg, die er als feindliche Umklammerung titulierte, aus der er sich selbst nicht mehr befreien konnte und seine Hilfe brauchte. Aber Segestes wollte letztlich nicht nur von Germanicus befreit werden, denn sein Ziel war der damit verbundene freiwillige Übertritt ins römische Imperium. Dies war seine wahre Absicht die er hinter der Belagerung verbarg, denn ein Germanicus der ihn nur befreit hätte um dann nach der erfolgreichen Befreiung wieder davon zu reiten lag weder in der Absicht von Germanicus noch in der des Segestes. Sich den Römern anzuschließen war für ihn auch nicht gleichbedeutend damit, dass er nun seine Heimat für immer aufgeben wollte. Im Zuge der militärischen Zuspitzung in Land und Region wird sich Segestes schon länger mit dem Gedanken beschäftigt haben die Seiten zu wechseln, lediglich der richtige Zeitpunkt dafür hatte sich noch nicht eingestellt. Aber zur Erfüllung seines Plans war es nötig Germanicus gegenüber seine volle Loyalität zu Rom unter Beweis stellen und wollte nicht in den Verdacht geraten mit zu jenen Cheruskern zu zählen und gemeinsame Sache zu machen die sich Germanicus gemeinsam mit den Chatten entgegen stellen wollten. Denn er spekulierte dieser Theorie folgend auf den späteren römischen Endsieg in den Germanenkriegen. So nannte er im Zuge dieses aus der günstigen Situation heraus geborenen spontanen Entschlusses als Grund, dass seine Festung belagert werde. Und damit stellte er klar auf welcher Seite er stand und machte sich zum Komplizen und Kampfgenossen von Germanicus im Kampf gegen die Arminen. Die Befreiung durch Germanicus und seine römischen Legionen feierte er für alle sichtbar wie einen Schulterschluss mit der zu erwartenden späteren Siegermacht. Er band sich damit an Rom und erwartete im Gegenzug, dass man ihn in Bälde dem neu zu ernennenden römischen Prokonsul als zuverlässigen Cheruskerfürst an die Seite stellen würde und dies dürfte sich auch mit den Plänen von Germanicus gedeckt haben. So nutzte Germanicus die Gunst der Stunde, denn mit Segestes an der Spitze der Cherusker konnte man sicher sein, dass es zu keiner Neuauflage der Varusschlacht kommen würde. Nun bewegte sich Germanicus etwa in Tages ritt Reichweite zu Segestes, konnte und wollte ihm also den Wunsch erfüllen dafür zu sorgen, dass ihm ein sicheres Geleit hinter die römischen Linien garantiert werden kann. Somit hätte Segestes sein Ziel erreicht. Dem ehrgeizigen Germanen wurde der Schutz des Imperiums zuteil und Germanicus ebnete ihm den Weg wie für einen gleichrangigen würdevollen Partner auf angemessene Weise. In dieser Stunde konnte einschließlich Kaiser Tiberius niemand ahnen, dass alle Träume schon nach wenigen Jahren ihr Ende finden würden. Und ob es diese Belagerung gab ­oder ob Segestes sie erfand darf angezweifelt werden. Und natürlich war die in Zweifel zu ziehende Belagerung nicht der Grund aus dem Segestes für immer sein angestammtes Hoheitsgebiet verließ und seinem Stamm abtrünnig wurde, dem seine Sippe wohl schon seit vielen Generationen vorstand. Und da darf bzw. muss man ihm wohl auch die Absicht unterstellen dürfen, dass es nicht sein Ziel war diese alte Machtvollkommenheit für immer aus der Hand zu geben, sondern wollte sie sich wenn die Kriege vorüber waren zu einem geeigneten Zeitpunkt mit Hilfe Roms wieder holen. So darf man schlussfolgern, dass seine Taktik darin bestand Germanicus eine Notlage vorzutäuschen um sich auf diese Weise vorüber gehend ins römische Asyl zu begeben bis die Zeit für seine Rückkehr reif war. Das eröffnet ein weiteres Feld um neue Zweifel an allen Aussagen zu begründen die von Segestes überliefert sind. Denn die Eigennützigkeit war immer die Antriebskraft seines Handelns und wenn Arminius in dessen Schatten er stand der große Stratege war, so war er der nicht weniger große aber zielbewusste Taktierer. Das man in Germanien auch Fürsten mit Roms Gnaden als Oberhäupter akzeptierte die lange außer Landes waren zeigt die Einsetzung von Italicus dem Sohn des Arminius Bruders Flavus dreißig Jahre nach dem Triumphzug im Jahre 47 +. So kann man davon ausgehen, dass man auch Segestes wieder in seinem Stamm aufgenommen hätte. Tacitus konnte aus der Distanz heraus über die Beweggründe des Segestes im Jahre 15 + also schon ausführlicher berichten als Strabo rund hundert Jahre zuvor. Aber alles entwickelte sich nun anders, als es sich Segestes erdacht hatte. Segestes musste, wollte er sich gegenüber dem Tribunal als Römerfreund ausweisen mehr liefern als nur die „günstige Gelegenheit“ wie es Strabo formulierte als Grund für seine Flucht nennen. Denn dies allein dürfte dem Tribunal nicht gereicht haben um ihm die Absolution auszusprechen sich keines Vergehens gegen Rom schuldig gemacht zu haben. Nämlich die dürftige Erklärung, Germanicus nur deswegen um Rettung gebeten zu haben, weil der sich gerade zufällig in einer gewissen Nähe zu ihm aufhielt. Ein kurz entschlossenes Handeln oder spontanes Aufflackern einer vielleicht auch übereilt getroffenen Ad hoc Entscheidung macht aus einem Cherusker keinen Römerfreund und wird die Herren in Rom nicht überzeugt haben. So musste sich Segestes im Zusammenhang mit seiner Rettung 15 + noch etwas Hass schürendes gegen Arminius einfallen lassen. Es ist auch nicht abwegig anzunehmen, dass er seinen Entschluss später bedauert haben könnte, nachdem Germanicus der sicher geglaubte Sieg über die Arminen misslang und sich Segestes statt als neues Oberhaupt der Cherusker zu sehen nun machtlos in Rom wieder fand. Das die erhoffte pompöse Rückkehr nach Ostgermanien als Fürst von römischen Gnaden vermutlich Teil seiner Strategie war, sich retten zu lassen, durfte er daher in Rom auch nicht zum Thema machen. So musste sich zu alledem Segestes auch noch für seine späte Entscheidung die Fronten zu wechseln rechtfertigen, denn er hätte sich auch schon Monate und sogar Jahre vor dem Frühjahr 15 + von den rivalisierenden Cheruskern absondern und distanzieren und sich hinter den Rhein ins imperiale Hoheitsgebiet zurück ziehen können. Das er dafür sechs lange Jahre keinerlei Notwendigkeit sah, wollte ebenfalls gut begründet sein. Also musste er in Rom noch mehr sinnhafte Würze hinzu geben, um den Schritt ins Römische Reich glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Und dazu brachte er eine fiktive Notlage ins Spiel. Nämlich eine Bedrohung durch die Männer des Arminius ausgelöst durch die Anwesenheit seiner schwangeren Tochter Thusnelda in seiner Burg. Ein durchdachter Plan mit guten Erfolgsaussichten. Verschärft und rhetorisch im Jahr 17 + gut inszeniert wurde daraus sein Königsweg zur Erlangung der Glaubwürdigkeit zu seinem Verhalten im Jahre 15 +. Und so beschrieb es uns dann auch nichts ahnend Tacitus, denn so las es sich für ihn auch in seinen Vorlagen, so schrieb er es ab und warum hätte er daran zweifeln sollen. Sein Vorstellungsvermögen auf Basis der Worte von Segestes nur hundert Jahre nach den Ereignissen reichte ihm dazu vollkommen aus. Und auch wir können uns heutzutage immer noch genauso gut in die Geschehnisse hinein denken wie es einst auch Tacitus aus nahe liegenden Gründen tat. Denn ihm lag schließlich das vor, was man auch eine Zeugenaussage nennen könnte. Worte die danach klingen, wie dankbar und trotzdem immer noch imposant einst Segestes möglicherweise im Eingangstor seiner Wallburg stehend Germanicus mit offenen Armen empfing und sich für sein Kommen bedankte. Aber wie zuverlässig waren die Angaben auf die sich Tacitus stützte und vor allem wie zuverlässig war er selbst. Denn auch schon damals bestand die Welt nicht nur aus schwarz und weiß. (30.05.2020)

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Freitag, 15. Mai 2020
Segestes, traf er 15 + eine Fehlentscheidung ? Und sein besonderes Verhältnis zu Germanicus
Die Metapher „es ist einem schon fasst zum Haare raufen zumute“ trifft es recht gut. Denn wer sich mit den antiken Geschichtsschreibern beschäftigt, der muss sich gleichzeitig auch immer die Frage stellen, welche Kriterien diese Togen tragenden alten Herren, zu denen wir alle so ehrfurchtsvoll auf blicken, für ihre Textauswahl zugrunde legten. Denn sie schrieben oft auch nur selbst von anderen Vorlagen ab und waren selten Zeitzeugen eines Geschehens, wie es etwa Strabo oder Paterculus waren, was sie glaubhafter gemacht hätte. In Zusammenhang mit der Varusschlacht sind hier besonders Florus, Tacitus und Cassius Dio anzuführen, die sich alle nur auf älteres Material stützen konnten, da die Schlacht schon lange vor ihrer Geburt Geschichte war. Was entnahmen die drei also ihren Quellen um es für ihre eigene Geschichtsschreibung zu verwenden und was interessierte sie nicht bzw. hielten sie nicht für bedeutsam und der Abschrift nicht würdig. Sie nutzten sicherlich nicht alles was sie vorfanden, besaßen möglicherweise Vorlieben für das eine oder andere oder gaben sich eine Zielrichtung vor, zu der das Gelesene passen sollte. Vieles was wir gerne erfahren hätten schoben sie möglicherweise zur Seite und gaben Verläufen den Vorzug, auf die wir auch hätten verzichten können. Wo zogen sie den Trennstrich zwischen wichtig und unwichtig. Bestand vielleicht ein Mangel an geeigneten Quellen und sie mussten daher nach allem greifen was sie fanden, oder lag ihnen ausführliches Material vor und sie konnten sich sogar den Luxus leisten zu selektieren. Lag es etwa in ihrem Interesse ihre Quellen für ureigene persönliche Botschaften und Einschätzungen an den Leser zu nutzen, dann beeinflussten und veränderten sie möglicherweise den Inhalt bis er ihren Vorstellungen entsprach. Aber damit stechen wir tief in die Grauzone der Manipulation und geraten dabei auch schnell selbst in Gefahr uns mit daran zu beteiligen. Denn auch wir würden gerne unsere Vorstellungen bestätigt sehen, aber Neutralität beizubehalten ist dem Menschen selten gegeben. Im Rahmen dieser Untersuchung stoßen wir bei Tacitus unter 1.57 (5) auf eine Begebenheit bei der wir uns fragen müssen, warum Tacitus sie thematisierte. Offensichtlich schien er sie nicht für eine Nebensächlichkeit zu halten. Eine Episode in der ein seltsamer Widerspruch zum Ausdruck kommt. Es ist sein Hinweis in dem er auf das Zusammentragen des alten Raubgutes eingeht. Nämlich Beute die nur jenen Germanen zustand die 9 + auch ihre Waffe gegen Varus mit erhoben hatten. Persönliche Kriegserinnerungen, die aber nun anlässlich der Befreiung des Segestes in seiner Burg wieder auftauchten und von römischen Legionären eingesammelt wurden. Möglicherweise befanden sich darunter auch äußerst prachtvolle Attribute, die sich der eine einst blutig erkämpfte während der andere sie nur vom Boden aufheben brauchte. Aber problematisch wurde alles erst dadurch, dass die Teile ausgerechnet zum Besitz jener Oberschicht zählten, die nun zu Germanicus flüchten wollten. Und dies dürfte für Germanicus der ultimative Hinweis dafür gewesen sein, dass er nun seinen Fuß nicht nur in das Wespennest eines Bittstellers, sondern gleichzeitig auch in ein Zentrum des Erzfeindes gesetzt hatte. Aber es lässt auch noch eine weitere Frage aufkommen. Nämlich die Recherche zu wagen, was sich außerdem noch in den Händen jener Segestes Anhänger befunden haben muss, die sich zum Zeitpunkt seiner Befreiung nicht in seinem unmittelbaren Gefolge, sondern im Umland aufhielten und die nicht mit ihm die Seite wechseln wollten. Germanen die ihrer Region treu blieben und nun in Arminius ihren neuen Anführer sahen, nachdem sich Segestes aus dem Staub gemacht hat. Germanen die danach auf Seiten von Arminius in die Kämpfe gegen Germanicus eingegriffen, haben könnten, obwohl sie einst zur Segestes Sippe gehörten. Und natürlich kommt noch der Beutefundus hinzu, der in die Hände aller anderen Germanen fiel, die sich am Kampf gegen Varus beteiligt hatten. Selbst wenn Varus die Hälfte seiner Legionen an Tiberius für den Markomannen Feldzug abtreten musste, fielen den Germanen immer noch einige Tonnen Metallteile bestehend aus Rüstungen oder Waffen etc. in die Hände. Tacitus ließ die historische Tatsache um die Beutestücke, die er seinen Quellen entnahm und die man für authentisch hält nicht unter den Tisch fallen, weil er sie für genauso bedeutsam wie widersprüchlich hielt. Aber er hätte es weg fallen lassen können, denn es lag in seiner Hand, ob er dieses Wissen über seine Annalen weiter geben wollte oder nicht. Er inspirierte damit unser Vorstellungsvermögen, und man darf sich fragen, was er mit der Erwähnung bezweckte. Das Auffinden der Teile könnte auch ihn irritiert haben, da es so gar nicht in den Kontext der Geschehnisse passen wollte. Und er lässt damit nicht nur einen Funken, sondern schon eine gehörige Portion Skepsis an alledem aufkommen, was die Person des Segestes umgab. Aber Tacitus kommentierte es nicht, obwohl ihm vielleicht der Sinn danach stand. Die lange Zeit die nach der Varusschlacht verstrich, etwa hundert Jahre reichte möglicherweise noch nicht aus um die Geschichte um den Alleinschuldigen Varus neu zu schreiben und auf den Prüfstand zu stellen, denn inzwischen war daraus ein Staatsdogma geworden an dem niemand mehr rütteln wollte. Trotzdem setzte es Tacitus indirekt in Kontrast zu den Worten, die Segestes für seine Reputation fand, so als ob er dem Leser die Entscheidung überlassen wollte, für wie glaubhaft er Segestes halten wollte. So wahrte Tacitus einen dezenten Abstand zu den alten Ereignissen. Wenn man aber bislang annehmen konnte, dass vieles der Begebenheiten die sich innerhalb der Segestesburg zutrugen seinen Worten entsprang so wissen wir anhand der Beutestücke nun, dass es auch noch eine Reihe anderer Zeitgenossen als nur Segestes gegeben haben muss, die ihre Spuren in den Quellen des Palatin hinterließen. Denn Segestes hätte wohl nicht von sich aus über diese Affäre gesprochen. Personen aus dem Umfeld des Germanicus, die im vermeintlichen „Vogelbeck“ der möglichen Segestes Burg mit dabei waren und die dieses Wissen weiter geben konnten. Zeitzeugen die später nicht nur über die Befreiung des Segestes berichteten, sondern auch ihr Wissen über die Feldzüge des Germanicus den Tacitus Annalen beisteuerten. In Rom wusste man also 17 + und schon bevor Segestes eintraf von diesen interessanten Beutestücken, da man auf sie in Germanien schon zwei Jahre zuvor im Jahre 15 + gestoßen war. Segestes konnte es also gar nicht mehr vermeiden dieses unangenehme Kapitel auszusparen und musste auch darauf Bezug nehmen bzw. sich auf derartige Fragen vorbereiten. Man konfrontierte ihn letztlich mit den varianischen Beutestücke und brachte damit die peinliche Geschichte zur Sprache. Für die Befreiungstat des Jahres 15 + gab es also anders als nach der Varusschlacht viele Zeugen die berichten konnten und es auch taten. Sodass uns nicht nur der wie eine Befreiungstat dargestellte Ritt von Germanicus zu Segestes eine weit aus bessere Quellenlage bescherte und hinterließ, als es bei den älteren Vorgängen im Zusammenhang mit der Varusschlacht der Fall war. Denn während für die Schlacht im Jahre 9 + auf römischer Seite nur wenige Überlebende genannt werden, verlief das Scharmützel mit den Cheruskern die im Umfeld der Segestesburg lagerten für Germanicus bei weitem nicht so verlustreich, so dass es im Frühjahr 15 + auch mehr römische Legionäre und Offiziere gab, die in Rom darüber berichten konnten. So ließ sich das Auffinden von Beutestücken die aus der Varusschlacht stammten auch nicht, wie es vielleicht Segestes erhofft hatte, vor der Geschichte geheim halten. Aber alles wurde in den Quellen zusammen getragen und ging dann aus ihnen hervor, als Tacitus sie hundert Jahre später einsah und nutzte. Aber diese Überlieferung dürfte Tacitus wie dargestellt ins Grübeln gebracht haben. Und genau an diesem wunden Punkt holte auch Segestes noch einmal die ungeliebte Vergangenheit ein. Eine Zeit in der er möglicherweise auch die falsche Entscheidung traf und vielleicht besser an der Leine geblieben wäre. Denn in seinem Schicksalsjahr 15 + konnte er noch nicht ahnen, dass er auch zu diesen Ereignissen einmal im Palatin Rede und Antwort zu stehen hatte. Vielleicht hatte er es 17 + sogar schon selbst fasst vergessen oder verdrängt, dass Germanicus damals die Beutestücke fand, hatte nie damit gerechnet und war verblüfft, dass es noch einmal zur Sprache kommen würde. Völlig anders verhielt es sich mit der im Jahrbuch 1.58 zu Papier gebrachten Segestes Rede die in dieser Form nur in Rom vorgetragen worden sein konnte, aber nicht im Moment des Erscheinen von Germanicus in seiner Burg. Und zwischen den Funden der Beutestücke im Fürstensitz von Segestes und seiner Rede gibt es einen Unterschied in Aufbau und Ablauf der Geschehnisse. Denn ein Wortlaut den die Advokaten des Senats mit schreiben also protokollieren konnten, als Segestes es aus der Erinnerung vortrug, ist nicht mit dem vergleichbar, was römische Legionäre in Germanien in der Praxis vor Ort in Form der Beutestücke mit eigenen Augen sehen konnten. Tacitus nutzte für seine Jahrbücher beides, also zum einen die Augenzeugenberichte der Legionäre und zum anderen die Mitschrift der „Reputationsrede“ des Segestes. Zwei Notizen aus unterschiedlichen Quellen die er den Senatsakten entnahm, die er aber in eine ihm gefällige Chronologie einfügte. Er verlegte beide Vorkommnisse nach Germanien. Obwohl Segestes zwar in Germanien in Gefangenschaft geriet, aber seine Rede nicht dort, sondern erst 17 + in Rom hielt. Seine bedeutsame Rede die er genötigt sah zu halten, als man ihn neben den Varusschlacht Ungereimtheiten zu allem Überfluss auch noch auf diese ärgerlichen Beutefunde hin ansprach. Tacitus versuchte verständlicherweise den Ereignissen einen nachvollziehbaren Verlauf zu geben. Er konnte den literarischen Bruchstücken vielleicht noch nicht einmal entnehmen, wo sie hin gehörten oder wo sie einst gesprochen wurden, ob sie nun den originalen Schauplätzen entstammten, oder ob sie nachträglich aufgearbeitet wurden. Schriftstücke und Aktenvermerke die vielleicht gar kein Datum trugen und aus denen nicht hervor ging wann und unter welchen Umständen man sie abfasste. Befragungen die vor zweitausend Jahre alle noch ohne Tonbandmitschnitt auskommen mussten. Es ist heute ein Leichtes Behauptungen oder Hypothesen aufzustellen, so dass die Erzeugung von Plausibilität und Kausalität wie es auch schon Tacitus tat zum wichtigsten Hilfsmitteln der Enträtselung wird. So wird uns bei alledem wieder umso verständlicher wie bedeutungsvoll die Rolle von Segestes auf dem Höhepunkt der römisch germanischen Schlachten der Jahre 9 + bis 15 + war. Und es wird wieder deutlich welchen maßgeblichen Anteil Segestes an unserem Geschichtsverständnis über die damalige Zeit hatte und welchen Mittelpunkt er darin einnahm. Wir haben also auch ihm unsere, wenn auch nicht profunden Kenntnisse über den Verlauf der Varusschlacht zu verdanken. Ein Wissenstand, den er aber insofern in Teilen mit prägte, als dass er ihn im eigenen Interesse „bearbeitet“ hatte. Aber wir hörten Segestes gerne zu, waren über die Jahrhunderte betrachtet bereit ihm alles zu glauben und mochten ihn nie in Frage stellen. Denn nicht erst in Rom passten seine Erklärungen hervorragend zur tagesaktuellen Innenpolitik. Auch in unseren Zeiten schmücken sie das illustre Bild, dass wir von unseren Ahnen lebendig erhalten möchten. Sei es nun falsch oder richtig, wir möchten nicht daran rütteln. Bei vielem was Tacitus schrieb, nutzte er die dritte Person, schrieb es von höherer Warte aus, nannte keine Quellen, zitierte kaum die Protagonisten und vermied es Herkunft und Ursprung deutlich zu machen, was mangelnde Objektivität befürchten lässt. Seinen Zeilen lässt sich folglich oft nicht entnehmen, wer es einst berichtete. Es kommt daher auch nur selten vor, dass man eine Aussage explizit auf die wichtige Person des Germanicus zurück führen kann wie zum Beispiel seine gütige Antwort, die er angeblich Segestes gab in dem er ihm Straffreiheit versprach. Und so kann genau diese Antwort der Objektivität zum Opfer gefallen sein und in der Form gar nicht statt gefunden haben. Es lässt sich also nur wenig heraus lesen, womit sich unser Wissen über den Sachverhalt des Jahres 15 + auf Germanicus oder seine engsten Begleiter zurück führen lässt. Schriftliche Zeugnisse auf die man den Namen Kriegstagebuch hätte anwenden können oder vergleichbare Aufzeichungen vermissen wir aus der Feder von Germanicus oder seinen Begleitern. So wissen wir nicht, wem wir die Abläufe und Beschreibungen seiner Feldzüge zu verdanken haben die uns Tacitus überlieferte. Germanicus war eben nicht Julius Cäsar und könnte man Germanicus charakterisieren, so könnte man aus seinen Handlungsweisen, die zeitweise unorthodox und kaum nachvollziehbar erscheinen auch schlussfolgern, dass er es bewusst vermied Tatenberichte zu hinterlassen. Details also mit Absicht nicht zu offenbaren könnte seinem Wesen entsprochen haben um zu erreichen, dass das oftmals Konfuse seiner Taten nicht an die spätere Öffentlichkeit kommt und dies dann Anlass dafür hätte geben können, sein Verhalten zu hinterfragen. Und da gibt es zahlreiche Vermerke über ihn für die sich separate Recherchen lohnen würden. Allein die Abberufung aus dem Pannonienkrieg wegen militärischer Unfähigkeit, sein dubioses Verhalten beim Soldatenaufstand 14 + und die anschließende brutale Marseroffensive, aber andererseits auch seine tiefe Trauer über die schiffbrüchigen Römer im Jahre 16 + machen ihn zu einer gespaltenen Person hinter der man viele Schwachstellen spürt. Seine Kriege und Schlachten in Germanien erscheinen salopp ausgedrückt wie ein Sammelsurium aus chaotisch gefassten und schlecht vorbereiteten Militär strategischen Beschlüssen und falschen Entscheidungen. Denn so gut konnten die Germanen gar nicht gekämpft haben, wie es ihnen erst ein schlechter Feldherr wie Germanicus ermöglichte, denn bekanntlich ist jeder Heerführer immer nur so gut wie es sein Gegner zulässt. Es gäbe da also sehr viel was ihm zum Nachteil auslegen könnten. Was dann diese Eigenschaften für einen Blick auf die Aussagen des Segestes in Rom frei geben, möchte man sich gar nicht vorstellen. Möglicherweise ließ Germanicus ihn auch gewähren, da er für ihn seine Bedeutung mit dem Tag des Triumphzuges verloren hatte. Und erwies es ihm als letzten Dienst ihn vor dem Tribunal sagen zu lassen was er wollte, ob falsch oder richtig, zumal er mit sich selbst und seiner eigenen Reputation und Zukunft voll auf beschäftigt war. So plauderte sich Segestes in die Weltgeschichte. Aber er musste im Jahre 17 + nicht nur über die Dinge Auskunft geben, die sich im Zuge der Varusschlacht 9 + ereigneten, sondern eben auch über seine Beweggründe, die ihn sechs Jahre später dazu veranlassten, sich mit seiner Familie in die Hände von Germanicus zu begeben. Somit lässt es sich nachvollziehen, dass viele Aussagen die einst die römische Geschichtsschreibung dokumentieren konnte, nur auf diese unmittelbaren Teilnehmer und Zeitzeugen wie es auch Segestes einer war, zurück geführt werden können. Aussagen von ihm vor allem bezogen auf die Varusschlacht, wo er keine Mitwisser zu befürchten hatte. Für Germanicus konnte es nichts besseres geben, als die Überläufer 15 + mit offenen Armen in Empfang zu nehmen, denn sie waren später eine der wenigen erfreulichen Begebenheiten, die er auf seinem Konto verbuchen konnte. Denn seinen erfolglosen Kriegen und erst recht seinen zweifelhaften und umstrittenen Siegen ließ sich nicht viel Positives abgewinnen, denn das Resultat war letztlich die von oben angeordnete Kapitulation. Zu wenige Römer kraft Geburt und zu viele zweifelhafte Hilfstruppen standen den Unbillen der Natur und einer scheinbar kaum versiegenden Masse an germanischen Kämpfern gegenüber die immer wieder Zuwachs aus den Elbregionen bekamen. „Das war der Römer Not“. So konnte Segestes damals ungestraft auch über viele Dinge unkontrollierbare und
nicht revidierbare Behauptungen aufstellen, denn es gab niemanden der ihm Einhalt geboten hätte oder gebieten wollte. Warum auch, denn es passte alles gut in die damalige politische Welt. Und so wie die Warnung an Varus, vielleicht besser gesagt Behauptung von Segestes aus dem Jahre 9 + wie eingemeißelt die Zeiten in den Geschichtsbüchern überdauerte, erging es möglicherweise auch seinen Darstellungen die er im Jahre 17 + über die Zusammenhänge seiner Flucht im Jahre 15 + von sich gab. Was die Angaben Strabo`s über den Triumphzug anbelangten, so handelte es sich dabei wohl eher um einen Kenntnisstand von teilweise oberflächlicher Natur, der zum Allgemeinwissen der Zeit gehörte und was sich eben so herum gesprochen hatte, mehr konnte er nicht zur Sachlage beitragen. Er nutzte teilweise die gängige Mund zu Mund Methode die unseren heutigen Medien im Zeitalter der Fake News voraus ging und reicherte sie an bzw. recherchierte noch diverse Details in der Folgezeit nach, bis er alles vermutlich im Jahre 18 + zu Papier brachte. Und zu Segestes kann man resümierend sagen, dass das, was von ihm im „Auditorium de jure“ an die verlesene Öffentlichkeit geriet, wo man ihn vielleicht schon fasst wie einen Delinquenten behandelt haben könnte, für ihn wohl konsequenzlos blieb. Denn sowohl das von Strabo zum Triumphzug nieder geschriebene, sowie das von Segestes im Jahr 17 + gesagte, als auch das von Tacitus später mühsam recherchierte, blieb bis in unsere Tage erhalten. Immerhin über 2000 Jahre und es stieß folglich wider besseren Wissens zwangsläufig immer wieder auf allgemeine Akzeptanz. Strabo ließ sich nichts zu Schulden kommen und es traf in kein Groll römischer Kaiser, denn es waren eher harmlose Details, die sich bei ihm nach lesen lassen, wie etwa einzelne Namen aus der germanischen Fürstenfamilie und diverse Verwandschaftsverhältnisse. Und Tacitus blieb hundert Jahre später völlig unangetastet von Seiten der Herrscherhäuser. Von Segestes, wenn wir in ihm einmal eine der Hauptquellen der Zeit sehen möchten, überdauerten dank Strabo und Tacitus konkrete Informationen, sowohl was die Varusschlacht anbelangt, als auch über das was sich sechs Jahre später um seinem Fürstensitz tat. Und so tritt immer wieder die Kardinalfrage in den Vordergrund von wem, als außer Segestes die vielen Informationen und Interna der damaligen Zeit gestammt haben sollen. Segestes dem über allen stehenden Familienoberhaupt, das für seine ganze in Rom anwesende Sippe sprach. Alle hatten sie in Rom seine Anweisungen zu befolgen, mussten schweigen und ihm das Zepter und den Vortritt überlassen. Wer von ihnen auf möglicherweise spitzfindig gestellte Fragen von Seiten der Regierungsbeamten geantwortet hätte, konnte sich selbst und Segestes schnell in Gefahr bringen, würde dann von ihm fallen gelassen werden und ging einem ungewissen Schicksal entgegen, denn sein Gerüst durfte nicht ins Wanken gebracht werden. Es dürfte eine Zeit der Willkür geherrscht haben, in der so mancher Germane auf der Strecke blieb, denn über das Schicksal der meisten von ihnen die am Triumphzugtag beteiligt waren, ist uns nichts bekannt geworden und ihre Spuren verliefen sich. Letztlich konnte, wenn überhaupt nur Segestes versucht haben die Haut all jener retten, die sich ihm anvertraut hatten, nachdem sie ihr Schicksal unerwartet bis ins weite Rom verschlug. Strabo schilderte es als einen günstigen Umstand, den sich Segestes 15 + für seine Flucht zunutze machte. Er bestand darin die Nähe zu Germanicus zum Anlass zu nehmen um mit ihm in Kontakt zu treten. Eine passende und bequeme Gelegenheit den Absprung aus einer sich anbahnenden Krisenregion zu wagen und um allen zukünftig drohenden Gefahren aus dem Weg zu gehen. Und es erschien ihm wohl wie ein Wink des Himmels gewesen zu sein noch im letzten Moment den bald ausbrechenden Schlachten auf diesem Wege entkommen zu können. All das, was Segestes damals einfädelte, könnte im Jahre 17 + den Hofbeamten und hohen Herren des Senats die ihn zu sich kommen ließen, auch wie eine feige Tat vorgekommen sein. Eine Tat aus der puren Berechnung heraus um seine eigene Haut zu retten, hätten ihn also demnach zu einem Überläufer werden lassen. Eine Handlungsweise die auch in Rom nichts ehrenwertes an sich hatte. Und auch das barg Risiken in sich, die seine gesamte Glaubwürdigkeit erschüttern konnten. Segestes musste sich also nicht nur für sein Verhalten im Vorfeld der Varusschlacht verantworten, er musste auch noch triftige Erklärungen für das liefern, was sechs Jahre nach Varus geschah um vom Tribunal nicht als Abtrünniger aus niederem Selbstinteresse und Beweggründen angesehen zu werden. Dieses Hintergrundwissen, dass Strabo noch fehlte besaß Tacitus. Damit ausgestattet, konnte er hundert Jahre später um das Geschehen am Hof des Segestes herum im Zusammenhang mit seinem Abgang ein anderes von ihm angereichertes Bild malen. Denn die von Segestes dargestellten Rechtfertigungsbemühungen lassen sich auch aus einer anderen Perspektive heraus betrachten. Eine Sichtweise die den Verdacht aufkommen lässt, dass Segestes damals vieles zu verbergen hatte. Und der, man möge es kaum glauben, durch seine an Varus „nicht“ ergangene Warnung die Varusschlacht erst zu einem gesamt germanischen und damit durchschlagenden Erfolg werden ließ. Daraus lässt sich dann wie bereits aus mehreren Blickwinkel betrachtet eine plausible Erklärung dafür ableiten, warum Varus den Germanen nicht nur wegen Unterzahl an Kämpfern, sondern auch wegen seiner persönlichen Unwissenheit unterliegen musste. Segestes musste also seinerzeit, betrachtet man sowohl die Umstände im Herbst 9 + als auch die im Frühjahr 15 + in Rom in zweifacher Hinsicht um seine Reputation bangen und mit Worten ringen. Segestes sah sich genötigt eine ganze Kette gespickt mit Argumenten zusammen zu reimen und musste sich zum Meister der Vortäuschung und Intrige aufschwingen um die kritische Phase vor und nach dem Triumphzug zu überstehen. Denn alles hatte in sich schlüssig zu sein um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, dass es doch alles ganz anders gewesen sein könnte. Denn es gab sicherlich Kräfte in Rom, die neben Arminius, dem sie nie habhaft werden konnten, gerne seinen Kopf an dessen Stelle gesehen hätten, da sie ihm nicht glaubten. Komprimieren wir alle Theorien und Hypothesen die sich um Segestes anstellen lassen, verdichtet sich auch unser Blick auf die Varusschlacht und ihr Verlauf erscheint uns immer plastischer zu werden. Es ist nicht mehr die weit entfernt zurück liegende Schlacht sondern wird zur historischen Hardware und lässt sich durch Plausibilität zum Leben erwecken. (15.05.2020)

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