Dienstag, 7. Juli 2020
Germanische Spuren am Gebäudekomplex der karolingischen Reichsabtei Corvey ?
Geschichtliche Vorgänge und Abläufe bis in die Prähistorie hinein vollziehen sich willkürlich, immer ohne Drehbuch und unterliegen den Gesetzen von Chronologie und Vergänglichkeit. Das erschwert die Menschen gemachte zeitlich versetzte Geschichtsschreibung worunter die exakte Reihenfolge, die gewünschte Zuordnung und die Verständlichkeit leidet. Das trifft zum Beispiel zu, wenn sich aufgrund der Bodenschichten etwa Funde aus der Bandkeramikerzeit mit römerzeitlichen abwechseln. Denn je nach dem Stand der aktuellen Forschung und neuer Entdeckungen springt sie förmlich über die Jahrtausende hinweg, so als wären dazwischen nur wenige Augenblicke vergangen Das Einsortieren der Erkenntnisse in die richtige Epoche stellt daher sowohl für Fachleute, aufgrund der getrennten Systematik der Fachbereiche, als auch an Laien hohe Anforderungen an epochale Vorkenntnis, Kommunikation und Wissensdurst. Ähnlich verhielt sich die Historie mit der berühmten karolingischen Reichsabtei Corvey an der Weser. Man stellte sie baugeschichtlich auf den Kopf, brachte ihre Entstehungsgeschichte gar mit Varus in Verbindung, nannte später Karl den Großen als ihren Gründervater und ließ sie spätestens im Zuge der Säkularisation in Vergessenheit geraten. So wehten die Jahrhunderte über sie hinweg. Aber die frühe Festlegung auf Kalkriese als Ort der Varusschlacht löste bei den Skeptikern eine Renaissance um die Frage der Glaubwürdigkeit aus und längst als überholt betrachtete Örtlichkeiten erlebten ihre Wiedergeburt. So stellte sich auch wieder die Frage neu, ob sich Varus nicht doch statt in West - Westfalen in Ost - Westfalen umbrachte. Aber er und Arminius sind in Ostwestfalen, wenn auch nur in den Geschichtsbüchern bis heute allgegenwärtig geblieben. Das man die Schriften des römischen Geschichtsschreibers Tacitus ausgerechnet im frühen Mittelalter vermutlich von Hersfeld über Fulda nach Corvey verbrachte wo man sie 1508 raubte, musste einen Grund gehabt haben. Vermutlich fielen den klösterlichen Scriptoren in Fulda schon damals die darin enthaltenen lateinischen Worte auf, die auf sie wie ein ausgestreckter Fingerzeig wirkten der sie in die Region an der Weser lenkte. Dahin wo die Corveyer Mönche lebten, die nun dank der Schriften auf die Ereignisse weit vor ihrer Zeit aufmerksam gemacht wurden. Auch sie waren des Lateinischen mächtig genug und erkannten im Flussnamen "Virsurgis" schnell die Weser. Denn Tacitus schrieb in seinem Jahrbuch 2,5 (1o) "Flumen Visurgis Romanos Cheruscosque interfluebat", übersetzt "Jetzt trennte Römer und Cherusker nur noch die Weser".  Daraus gewannen die Mönche die Erkenntnis, dass in ihrer Region einmal, wenn sie es nicht schon wussten Menschen lebten, die sich Cherusker nannten. Aber nicht nur darin erkannten die Mönche die Schauplätze ältester Geschichte die nun vor ihrer eigenen Haustür lagen. Von der sie allerdings nur rund 800 Jahre entfernt waren, während wir es schon über 2000 Jahre sind. So sah und fand man im frühen Mittelalter auch noch viele Relikte auf den Äckern die sie bestellten und blickten noch auf zahlreiche Ruinen die das menschliche Auge im hohen Mittelalter schon nicht mehr sah, da es zwischenzeitlich für den Bau neuer Häuser oder Stadtmauern gebraucht wurde. Und man traf und nutzte in ihren Zeiten auch noch ein gut ausgebautes Wegenetz und das besonders an den kritischen Steilbereichen und fragte sich möglicherweise, wer es einst erbaute. Aber unterschätzen wir nicht das Wissen der pilgernden, also weit gereisten Mönche vor allem wenn sie bereits in Gallien oder gar in Italien waren. Und da waren da auch noch die alten germanischen Stammesnamen und die damit verbundenen Erinnerungen, Sagen und Legenden, die noch nicht gänzlich verstummt waren und man erkannte auch noch viele andere Übereinstimmungen die für unser Zeitverständnis längst entschwunden sind. So schien man sich sicher, dass sich die Geschichten des Tacitus nur in den Landschaften an der Weser zugetragen haben konnten und manche werden vielleicht schon damals, wenn sie historisch interessiert waren nach weiteren Anhaltspunkten und Vergleichen gesucht und geforscht haben. Und natürlich dürfte den Mönchen auch noch klar gewesen sein, warum man die aufragenden Gemäuer einst "Selicasa" nannte. Denn es glänzte in der Sonne immer noch wie Silicatmarmor ein von Silikaten durchsetztes Kalkgestein, was in der Region an der Weser überall zu finden war und ist und was in der römischen Architektur beliebt war. Dazu erschien aber bereits ein Abschnitt unter dem Titel" Auguensischer Gau mit der Marca Huxori". Aber natürlich durfte ihr Interesse nur so weit reichen, wie es sich mit der klösterlich christlichen Ordnung und den Werten des Katholizismus vertrug. Aber das man es an der Weser etwas lockerer nahm, beweisen bekanntlich die für die damaligen Zeiten mutigen Fresken im ersten Geschoss der Abtei die die Mönche, auch wenn sie schon Jahrhunderte älter gewesen sein könnten, trotzdem nicht entfernen und zerstören wollten weil sie ihnen gefielen. Auch der "Teutoburgiensi saltu" den Tacitus erwähnte wird ihre Aufmerksamkeit geweckt, aber die Bezeichnung wird ihnen keine großen Bestimmungsmühen bereitet haben. Denn der sich reich an Schluchten, also Saltuus, vor ihnen erstreckende "Asning" mit seinen vielen Flieh- bzw. Volksburgen teils noch aus vor cheruskischer Zeit passte in ihr Vorstellungsvermögen. Das frühe christliche Mittelalter an der Weser folgte in den Anfängen der weniger strengen iroschottischen Glaubensrichtung und man schien sich freigeistiger verhalten zu haben. So übernahm man auch bereits vorhandene Elemente aus der Bauzeit und integrierte sie ohne sich mit den Fragen der Sittsamkeit zu belasten. Daher mochte man unter anderem auch auf einen eingelassenen antiken Schriftzug nicht verzichten und beließ ihn an seinem ursprünglichen und würdigen Platz nämlich direkt über dem Eingangsportal. Der Text lautete in seiner lateinischen "Endlosversion" "CIVITATEMISTAMTVCIRCUMDADNEETANGELITVICVSTODIANTMVROSEIVS", und aus Gründen der Verständlichkeit getrennt geschrieben "CIVITATEM ISTAM TV CIRCUMDA DNE ET ANGELI TVI CVSTODIANT MVROS EIVS" und man kann ihn als Kopie des Originals in Stein gemeißelt auch heute noch trotz der goldenen Buchstaben die entfernt wurden, gut lesen. Der lateinische Wortlaut musste schon viele Interpretationen über sich ergehen lassen, bis man ihn letztlich besonders auf das Kürzel "DNE" bezogen bibelfest auslegen konnte. Denn auch schon Kaiser Augustus schmückte man mit dem Beinamen "DNE" für Dominus. Die zahlreichen Ungereimtheiten dazu waren bereits Thema im Kapitel "Varus verließ die Civitas an der Weser - nach dem die Gestirne grünes Licht gaben". Aber die Diskussionen über seinen tieferen Sinn werden weiter gehen. Was alles in der Summe betrachtet auch heutzutage wünschenswert, der Mystik geschuldet und dem Zeitgeist förderlich ist. Denn mit derartig verklärten Vorstellungen lassen sich mehr Besucher in die ehrwürdige Abtei locken. Aber nun folgt der angekündigte Sprung in die "deutsche" Prähistorie und damit die Frage, ob es noch andere Hinweise auf die römische Vergangenheit der Reichsabtei Corvey gibt als die zahlreichen von Heribert Clabes in seinem Buch "Corvey - Eine karolingische Klostergründung an der Weser - Auf den Mauern einer römischen Civitas". Greifen wir seine Forschungen auf und knüpfen daran an, so müssen wir auch zwangsläufig ins Jahr 9 + zurück reisen. Ein wichtiges Jahr, das in diesem Internetbuch unstrittig die Hauptrolle einnimmt. Der von großen Träumen und Zielsetzungen beseelte Machtpolitiker Varus, der mit dem Auftrag seines Kaisers in der Tasche die Welt der Germanen umkrempeln wollte hatte sich viel vorgenommen. Es konnte ihm nicht schnell genug gehen seine ausgreifenden Pläne umzusetzen und er riskierte seinen Vorstoß sogar militärisch schwach bestückt mit drei ausgedünnten Legionen. Denn einen Großteil seiner Legionäre konnte er nicht über die Lippe mit nach Osten nehmen, da er diese vorher an den Feldherrn Tiberius für seinen Markomannenfeldzug abtreten musste, den der dann allerdings wegen dem Pannonienkrieg absagen musste. Marbod brachte es damals mit dem Wort "vacuas" für "entleert bzw. inhaltslos" trefflich zum Ausdruck. Fakten schaffen, domestizieren, Gesetze erlassen, im römischen Geiste missionieren und erziehen sowie die nötige Ifrastruktur errichten, waren seine Ziele und Hauptaufgaben, die er mit seinen neuen Vertragspartnern den Cheruskern umsetzen wollte. Für die römische Expansion bot sich dieser Germanenstamm an, da sein Siedlungsgebiet an der Weserfurth und auf der Trasse in Richtung Elbe günstig lag. Aber hier ist es nötig an dieser Stelle, ein neues Kapitel in integrierter Form aufzuschlagen. Denn es ist unvermeidbar und zieht sich wie eine rote Linie durch die Germanenforschung nämlich den Versuch zu wagen, die damalige Verteilung der germanischen Stämme mit ihren jeweiligen Siedlungsgebieten in Einklang zu bringen. So müssen wir uns diesem Zusammenhang noch mit einem nahezu unverdaulichen Stamm beschäftigen. Nämlich dem der Sueben. Den Stamm der Sueben zu definieren und zu verorten um ihn dann in ein Verhältnis bzw. in ein Zusammenwirken mit den Cheruskern zu setzen, ist nicht unproblematisch. Strabo trennt sie in seiner Ausdruckswahl voneinander in dem er schreibt, dass die Cherusker, die Chattuarier und die Chatten im Vergleich zu den Sueben eher schwächere Stämme darstellen. Er erweckt damit den Eindruck Cherusker und Sueben stünden sich nicht wie Teilstämme eines gemeinsamen Großstammes gegenüber. Natürlich immer davon abgesehen, dass wir sie alle für Germanen halten. Plinius hingegen strukturiert sie über den Sammel- bzw. Oberbegriff der Hermionen. Eine Definition wo hinter man aber auch einen gemeinsamen Kulturkreis, einen Zusammenschluss, ein Zugehörigkeitsgefühl oder eine religiöse Gemeinschaft erkennen kann. In diesem Sinne führt er die Stämme getrennt auf und fasst die Sueben, Hermunduren, Chatten und Cherusker als Hermionen zusammen. Eine Bezeichnung die ich als besonders wehrhaft zu verstehen wissen möchte. Tacitus und Ptolemäus zählte die Cherusker auch nicht in klarer Deutlichkeit zu den Sueben. Wobei es irritiert, dass Ptolemäus wiederum die den Cheruskern eng benachbarten Angrivarier und Brukterer zu den Sueben rechnet, aber nicht die Cherusker. Cäsar vereinfachte es sich zunächst in dem er alle Stämme östlich der Sugambrer und Ubier als Sueben bezeichnete stellt aber dann fest, dass Cherusker und Sueben durch einen Wald, vermutlich war es der Harz voneinander getrennt wären. Jedenfalls siedelten auch bei Cäsar Cherusker und Sueben relativ nahe beieinander. Festzuhalten ließe sich, dass man in den Cheruskern sowohl einen Teilstamm der Sueben sehen könnte, gleichzeitig aber auch einen Stamm der sich seine Eigenarten bewahrt haben könnte. Letztlich werden die germanischen Stämme immer Zweck- und Notgemeinschaften gewesen sein und gebildet haben, könnten aber auch aufgrund sprachlicher Barrieren kulturelle Trennlinien aufgebaut haben. Unserem gesamten überlieferten Wissen nach zu urteilen muss das Siedlungsgebiet der Sueben eine immense Ausdehnung vom Rhein bis an die Elbe, die Ostsee und sogar bis an die Oder und möglicherweise darüber hinaus gehabt haben. Varus hätte sich demnach für einen kleinen Stamm entschieden, sich also einen leichter manipulierbaren und scheinbar bequemeren Juniorpartner an die Hand genommen mit dem er sein Werk der Provinzialisierung vollenden wollte, um sich dann für größere Aufgaben anzubieten bzw. auf sie vorzubereiten, denn er wollte seinem Kaiser gefallen. Welche Rolle dieses sich auch nach Strabo enorm großflächig verbreitete Volk der Sueben im Zuge der Geschehnissen um die Varusschlacht einnahm, ist nebulös und erforschen lässt es sich auf der Basis unserer heutigen Möglichkeiten nicht mehr. Aber Strabo war zuerst Geograph und dann Geschichtsschreiber was seine Überlieferungen insbesondere Lokalisierungen glaubhafter macht und er war auch ein Pedant, was seine zahlreichen Aufzeichnungen beweisen und so wird er auch bei seinen Angaben über die Siedlungsgebiete der Sueben nicht oberflächlich recherchiert haben. Aber wer möchte schon ernsthaft annehmen, dass sich ausgerechnet dieses nahezu gigantisch wirkende Grossvolk der Sueben mit ihren vielen Teilstämmen aus der Varusschlacht und der römischen Okkupation völlig heraus gehalten haben soll. Ein Volk, dass wenn auch untereinander in üblicher Manier eigene Interessen verfolgte aber damals einen komplexen Machtblock in Zentralgermanien dargestellt haben musste. Und trotzdem wird ihr Name von den antiken Historikern selten bis gar nicht in Bezug auf ihre Taten und Handlungen im Zusammenhang mit der Varusschlacht erwähnt. Immer nur standen die Cherusker mit ihren unmittelbar verbündeten im Vordergrund der antiken Betrachtung, aber bei den Sueben versiegten und versagten auch ihre eigenen Quellen. Die Sueben konnten sich in ihrer Gesamtheit der römischen Geschichtsschreibung vermutlich entziehen, da sie sich immer nur in Teilstämmen offenbarten. Wie und woher hätte man auch unter den antiken Historikern wissen sollen, in welchen Abhängigkeitsverhältnissen sie zueinander standen.Und trotzdem zieht sich ihr großer und heldenhafter Name durch die gesamte Welt der germanischen Forschungsgeschichte. Cäsar besiegte den suebischen Anführer Ariovist schon 58 - vermutlich auf der elsässischen Rheinseite, er sah aber ihr Stammensgebiet letztlich doch im Kern nördlich der Cherusker und von ihnen nur getrennt vom Bacensis Wald, den man für den Harz hält. Tiberius, als er noch Feldherr war siedelte rebellisch gewordene Sueben zusammen mit Teilen der Sugambrer 8 - von der rechts - auf die linksrheinische Seite nahe Xanten um und im ersten Jahrhundert siedelten Sueben auch noch in Rheinnähe nur 10 Kilometer östlich von Mannheim. Und obwohl ihre Wohngebiete vielerorts bis an den Rhein reichten, fasst man sie heute aufgrund des archäologischen Fundmaterials unter der Bezeichnung Elbgermanen zusammen. Versucht man der Existenz der Sueben auf den Grund zu gehen, oder möchte man sich darauf einlassen sie zu lokalisieren, dann schienen sie überall ihre Spuren hinterlassen zu haben und legten sich wie ein Teppich zwischen Rhein und Elbe bis zur Oder und nach Tacitus sogar von der Donau bis zur Weichsel der für andere suebische Kleinstämme falls es diese in der Germania Magna überhaupt gab scheinbar nur noch wenige Siedlungsgebiete frei ließ. Man kann den Eindruck bekommen, als ob die Sueben wie eine große schweigende Mehrheit der Germanen auftraten, die in ihrem Kern das souveräne Germanien abbildeten. Ein wie stoisch wirkendes und doch kaum in Erscheinung tretendes, aber allgegenwärtiges Volk verkörperten sie gewissermaßen das germanische Gemüt. Ein Großstamm bestehend aus Langobarden, Quaden, Semnonen, Markomannen, Hermunduren und sogar Brukterer und Angrivarier und vielen anderen. Sie treten auf wie ein umfassendes Stammesgeflecht, dass sich von der Ostsee bis mindestens an die deutschen Mittelgebirge erstreckte und schon zu Zeiten von Cäsar und Kaiser Augustus unmittelbar östlich des Rhein nachgewiesen ist. Aufgrund ihrer Substanz schien man sie kaum aus der Ruhe bringen zu können und sie ließen sich wegen ihrer Volksmasse und Ausdehnung auch von keinem römischen Imperium beeindrucken. Und letztlich sollen auch sie es im Kern gewesen sein, die unter der Sammelbezeichnung "aller Männer" als Alemannen in die Geschichtsbücher eingingen und ab 259 + begannen die römischen Strukturen auf der Suche nach neuen Siedlungsgebieten aufzulösen. Teile der Sueben gelangten im Zuge der Völkerwanderung bis nach Nordspanien. Und das man heute in Spanien unter dem Wort "suave" einen sanften und milden Charakter versteht, könnte dafür noch bezeichnend sein. Obwohl ihre Nachfahren nicht nur auf deutschen Boden in erster Linie offenbar ihre Ruhe haben wollen, trifft es die Umschreibung "rau aber herzlich" vielleicht besser. Man kennt ja seine Wurzeln und in Westfalen, wo die Anrede "Na Du alten Drecksack" eine liebevolle Begrüßung darstellt, gilt dass auch für die Schwaben, da lässt es sich sogar um das Wort "Arschloch" erweitern. Man darf eben einen Westfalen oder einen Schwaben nicht in Wut oder Rage versetzen und das musste auch schon das römische Imperium oftmals bitter erfahren. Die Sueben brachten Köpfe wie Marbod und Ariovist hervor und sicherlich noch viele andere Anführer deren Namen uns nicht überliefert wurden. Vermutlich spielten sie im Hintergrund eine weitaus bedeutsamere und auch militärisch wichtigere Rolle als allgemein angenommen, aber man sollte sie behutsam anfassen. Zöge man ihre Existenz und versteckte Bedeutung stärker ins Kalkül, ließen sich möglicherweise so manche Ereignisse zwischen den Jahren 9 + und 16 + anders erklären. Die Sueben eine große germanische graue Eminenz von der die antiken Historiker zu wenig bis nichts wussten und wir daher auch nicht. Wer waren ihre Anführer und wo siedelten die einzelnen Stämme, so dass man auch schon im alten Rom bis auf den von ihnen seitlich getragenen Zopf von keiner näheren Kenntnis beleckt war. Tiberius stieß 5 + auf die suebischen Langobarden und soll ihre Macht laut Paterculus gebrochen haben, nur weil sie sich vor ihm über die Elbe in Sicherheit begaben. Eine Fluchtstrategie oder ein Reflex den alle Germanen erfolgreich beherrschten bis sie am Tag X wieder auf der Bildfläche erschienen. Des Weiteren wird im Widsith erwähnt, dass der Angelnherrscher Offa in seiner Konkurrenz mit den Dänen vermutlich an der Eider kämpfte, wo es um den Grenzverlauf der Angeln und der Swaefen ging, bei denen es sich um Sueben gehandelt haben soll. Womit sich untermauern ließe, da sie sich sogar im heutigen Schleswig - Holstein verorten lassen, es sich bei den Sueben vermutlich um eine frühe Sammelbezeichnung für alle Germanen gehandelt haben könnte. Aber was tat zur gleichen Zeit der nebulöse Vielvölkerstamm der Sueben, als Varus an der Weser seine Dependance errichten wollte, schaute er nur zu oder fungierte er aus dem Hintergrund heraus als eine diskrete Schutzmacht der kleineren Cherusker. Mangels wissen verorten wir die Cherusker vordringlich auf der rechten Weserseite und ihre Siedlungsgebiete im Nordharz etwa bis bis Goslar und auf unbestimmte Entfernung auch nach Norden ausgreifend. Eine Definition, die sich aber nicht mit den Angaben der antiken Berichterstattung deckt, denn demnach soll an der scharfen Abgrenzung des markanten Nordharzrandes bereits das Stammesgebiet eben jener Sueben begonnen haben, während man die Cherusker südlich dieses Bacenis Silva auch Sueven Wald genannt, annimmt. Das Grenzgebiet zwischen Cheruskern und Sueben könnte dieser Theorie nach bereits an den nordwestlichen Ausläufer des Harzes begonnen haben, wo das Land zur Elbe beginnt flacher zu werden. Dann hätte man sich etwa 60 Kilometer nordöstlich von Höxter schon nicht mehr auf cheruskischem Boden befunden. So musste es Varus zwangsläufig auch an einem guten Verhältnis zu den Sueben gelegen sein. Aber auch die suebischen Germanen die sich einst von Tiberius im Immensum Bellum über die Elbe trieben ließen um nicht Opfer seiner Kriegführung zu werden verfügten über ein gutes Gedächtnis. Und in den Köpfen der Sueben war auch immer noch der von Rom angezettelte Flächenbrandkrieg der nur vier Jahre vor der Varusschlacht zu Ende ging präsent. Varus könnte, ja müsste sogar seine Politik an der Weser mit eben diesen Sueben abgestimmt haben, wenn er seine Provizialisierungspläne langfristig ausrichten wollte. Das er in ihnen keine Bedrohung für seine im Aufbau befindliche Provinz sah zeugt davon, dass in ihnen Tiberius und somit auch Varus nicht die gleiche Gefahr sahen wie in Marbod. Man könnte davon ausgehen, dass Varus zu den Sueben nördlich des Harzes bis zur Elbe "Sonderkonditionen" ausgehandelt hat, auf gut deutsch er musste sich tunlichst mit ihnen verständigen also "gut halten". Und so brauchte er ihr Einschreiten auch solange nicht befürchten, wie er die Cherusker als Garant für seine Pläne auf seiner Seite wusste, denn sie waren das Bindeglied nach Osten. Eine an sich gute Strategie könnte er da gewählt haben die er sich dann allerdings im Zuge seines maßlosen Unvermögens selbst zunichte machte. Man könnte das Kräfteverhältnisse zwischen Varus und den unzufriedenen Germanen im Jahre 9 + vor der Varusschlacht so deutlich auf Seiten der Germanen sehen, dass diese sich nicht um die Unterstützung durch die Sueben bemühen mussten. Für die vermutlich an der Schlacht beteiligten Marser, Chatten, Brukterer und Cherusker waren die drei Rumpflegionen des Varus keine große Herausforderung um zusätzliche Kräfte aus größeren Entfernungen mobilisieren zu müssen. Dies wurde erst im Zuge der Germanicus Kriege erkennbar und erforderlich. Varus musste sich wie ein neuer Machthaber an der Weser nach allen Seiten absichern zumal sein abgeschmolzenes Kontingent keine Eskapaden duldete. Die Langobardischen Sueben der große Bruder der Cherusker im Nordosten, war daher nicht minder von Bedeutung als der andere Suebenstamm unter der Führung von Marbod im Südosten. Aber zwischen Langobarden und Cheruskern nördlich des Harzes siedelte noch ein weiterer mit den Langobarden verbundener suebischer Teilstamm anderen Namens. Seine Siedlungsgebiete befanden sich am Mittellauf ebenfalls westlich der Elbe. Ptolemäus rückt diesen suebischen Teilstamm in die Nähe der nicht lokalisierbaren Fosen aber auch auf die westliche Elbeseite. Jene Fosen die im engen Kampfverbund zu den Cheruskern gestanden haben sollen. Es hatte also auch einen suebischen Teilstamm gegeben der vermutlich noch näher als die Langobarden zu den Cheruskern siedelte. Die Westgrenze dieses suebischen Teilstammes könnte demzufolge in überschaubarer Distanz zu den Fosen aber auch den Cheruskern und somit auch in der Nähe von Varus gelegen haben. Ptolemäus nannte dieses suebischen Teilstamm "Sueboi Angiler" oder "Angeiloi" und Tacitus "Suevi Anglier bzw. Anglii". Ein Stamm nördlich des Harzes der in engem Verhältnis zu den Cherusker aber vor allem im Verbund und Kontakt zu den anderen Suebenstämmen im Osten stand. Eine Volksmasse in denen die Cherusker eine stille Reserve gesehen haben könnten die auch ihre Existenz in Krisenzeiten mit garantierte. Aber wo begann das Siedlungsgebiet der "Angeiloi" und wie ließe es sich verorten. Der 1527 in Antwerpen geborene Geo- und Kartograph Abraham Ortelius hinterließ uns dazu eine Landmarkierung, wo es nach seinen Vorstellungen gelegen haben könnte und nutzte dazu das ihm in seiner Zeit bekannte Wissen. Ortelius der mit Gerhard Mercator zusammen gearbeitet haben soll, haben wir auch die beste Reproduktion der Tabula Peutingeriana zu verdanken und er hatte sich auch mit den Ptolemäischen Koordinaten und den germanischen Stammesnamen beschäftigt. Das Stammesgebiet der Angilier oder Angiler verortete er auf seiner Karte ?Germaniae Veteris typus? aus dem Jahr 1587 auf der rechten Weserseite nördlich des Harzes. Den suebischen Stamm nannte Ortelius ?Angili? und er trug ihn östlich des ?Idistavus campus? ein. Er platzierte die "Angili" auf seiner Karte südlich der Langobarden und Dulgubiner und nördlich der Cherusker. Die Nerteranes verortete er am rechten Ufer des Main. So darf man zweifellos spekulieren und die Existenz dieser suebischen Angilier die er Angili nannte auch in Bezug zu Höxter an der Weser, genauer gesagt zu der unweit befindlichen Inschrift über den Corveyer Westwerk setzen. Also dem berühmten Satz: "CIVITATEM ISTAM TV CIRCUMDA DNE ET ANGELI TVI CVSTODIANT MVROS EIVS" mit den bekannten Übersetzungsvarianten. "Herr, umgib diese Stadt und lass deine Engel Wächter ihrer Mauern sein." Oder auch:
"Diese Civitates umfasse du Herr und deine Boten mögen ihre Mauern bewachen. Auf Basis dieser Übersetzungen versteht man unter "Herr" den christlichen Gott und unter den "Angeli" also entweder seine Boten oder Engel. Und in beiden Fällen mochte man in den "Angeli" bevorzugt höhere oder geflügelte Wesen aber keine Abkömmlinge irdischer Art und Natur sprich Menschen sehen. Wechseln wir über in die "suebische Theorie" die wir in Verbindung zu der Überlegung setzen, dass die Inschrift bereits in den Zeiten unter Varus in Stein gemeißelt wurde und sich nicht auf den christlichen Gott, sondern auf Kaiser Augustus bezieht. Dann hätte Varus damit möglicherweise zum Ausdruck gebracht, oder zum Ausdruck bringen wollen, dass er das Gebäude dem Schutz der starken Sueben anvertraut hat oder anvertrauen wollte. Er nahm sie mithin in die Pflicht ebenfalls diesen Gebäudekomplex zu schützen, sich für ihn mitverantwortlich zu fühlen und den Bestand mit zu garantierten. Wie weit er zu ihnen auf Tuchfühlung ging, mit ihnen vielleicht schon Vorverträge schloss, oder dabei war ein nachbarschaftliches Verhältnis aufzubauen ist denkbar, denn sie sie siedelten recht nahe zu ihm. Aber sie sollten nicht nur den Bestand dieser varianischen Principia sichern helfen, sondern auch ihre Hand über sein Tun und Wirken an der Weser gleich mit. Und wer wollte auf die Idee kommen, die strategischen Zwänge und Notwendigkeiten eines Varus in seiner Lage mit zu berücksichtigen, der gerade den mächtigen suebischen Angeiloi sein Entgegenkommen zeigen musste. Man kann natürlich für alles und jedes Argumente herbei pflücken mit denen sich auch X beliebige Thesen stützen lassen. Warum also nicht auch dieser Theorie Raum geben und sie nicht gleich vom Tisch wischen. Varus stellte damit eine Überordnung her, bettete sich in die Welt der germanischen Stämme ein und band nicht nur die Cherusker, sondern ihren großen Partner im Osten gleichermaßen mit in seine Geschicke ein. Mit der Inschrift wurde von Varus aber auch zum Ausdruck gebracht, dass man sich den Stämmen im Osten nicht in Feindschaft annähern wollte und auch in ihnen einen möglicherweise zukünftigen Bündnispartner sah. Denn die römischen Überlegungen und Strategien gingen weiter und bereits über die Bildung einer Provinz der Cherusker hinaus und bezogen schon das Elbevorland für ihre künftigen weit reichenden Pläne mit ein. Eine langfristig ausgelegte Vorgehensweise in dem man zunächst die suebischen Anglii mit einbezog bzw. mit einbeziehen musste, da sie die schon relativ nahe liegenden Territorien im Osten bewohnten. In der Umgestaltung bzw. neuen Lesart könnte man die Inschrift nun auch wie folgt auffassen:

Kaiser Augustus umgib diese Stadt und lass die Anglii/Anglier/Angilier (statt Angeli) die  Wächter ihrer Mauern sein".

oder

".. umfasse du Kaiser Augustus diese Civitas und die Anglii/Anglier/Angilier (statt Angeli) mögen ihre Mauern bewachen.

Es besteht etymologisch betrachtet kein Zusammenhang zwischen dem suebischen Stamm der Anglii/Anglier/Angilier und dem griechischen Namen Angelos für Bote oder Engel und das muss es auch nicht. Aber diese Theorie stellt eine neue Deutung des Urtextes dar. Ptolemäus der um 100 + geborene Zeitgenosse von Tacitus benutzte auch die Bezeichnung "Angeiloi" für den suebischen Teilstamm der nahe den Cheruskern siedelte und er ist mit der Schreibweise des Corvey`schen "Angeli" schon auffallend identisch. Angeloi im Plural "Angelos" steht im griechischen für "Bote" und "Engel". Und wenn sowohl Ptolemäus als auch Tacitus diesen suebischen Stamm mit Namen kannten, darf man davon ausgehen, dass auch Varus ihn kannte. Und Varus kannte ihn nicht nur, er suchte auch den Status Quo zu ihnen und wird ihnen auch seine Aufwartung gemacht haben (müssen). Und da gab es möglicherweise noch einen anderen Römer, einen Mann der die suebischen Angeiloi wohl noch früher vor allem aber "besser" kennen gelernt haben könnte, als Varus. Denn in den Zeiten, als Varus vermutlich noch seiner Statthaltertätigkeit in Africa nach ging könnte auch dieser Subenstamm mit dabei gewesen sein, als man den römischen Streitkäften eine eindrucksvolle Schlacht lieferte. Es war Drusus, der für Rom in den rechtsrheinischen Regionen den Frieden mit der Waffe herbei führen sollte. So stieß er im Jahr 11 - bis zu den Cheruskern an die Weser, sozusagen ins Herz der Suebenstämme vor. Einer Region aus der uns aber im Zuge seiner "Befriedungsmaßnahmen" keine Schlachten oder Kämpfe mit den dortigen Stämmen überliefert sind. Aber hier wurde für ihn der Rückzug zum Problem, denn man stellte ihm eine Falle im Kessel von Arbalo. Der Engpass kann, da von Weser und Rhein die Rede ist dazwischen überall gelegen haben. Je weiter Drusus jedoch nach Osten vordrang um so mehr schloss man daraus, dass sich damit die Gefahr vergrößerte auch dort in das Rückzugsgefecht verwickelt gewesen zu sein und es unweit der Weser statt fand. Der Korridor durch den er auf dem Hinweg kam dürfte in etwa auch identisch mit dem Rückweg gewesen sein, bot aber nicht die topographisch günstigen Möglichkeiten wie sie östlich von Paderborn vorzufinden sind. Letztlich wird aber die Rückmarschrichtung vom Ausgangsort bestimmt und da dürfte Drusus wohl eher in Xanten sein Standlager gehabt haben als in Nimwegen. Auf dem Hinweg zur Weser bezwang er die Stämme die sich ihm entgegen stellten und warf wohl auch die nieder, die sich passiv verhielten. Sugambrische Siedlungen konnte er zwar verwüsten, aber ihre Krieger traf er nicht an. Als Drusus die Weser erreichte musste er dort vermutlich aus logistischen Gründen sowohl seinen Feldzug abbrechen, als auch die schmerzliche Erfahrung machen auf dem Rückweg noch angegriffen zu werden. Plinius der Ältere (11,17.) nannte die Örtlichkeit Arbalonem, die wir heute auf Arbalo abkürzen. Drusus hatte "fortun" und es gelang ihm zu entkommen oder zu siegen, man weiß es nicht. Cassius Dio vermutete die Germanen hätten siegen können, wären sie nicht so undiszipliniert gewesen. Plinius der Ältere ließ es für Drusus glücklich enden, wobei seine Darstellung "prosperrime" auch mit "günstig" übersetzt wird. Aber auf germanischer Seite war man sich schon so sicher Drusus bezwingen zu können, dass man die erwartete Beute bereits vor dem Sieg aufteilte. Und dieser Verteilungssschlüssel verrät uns möglicherweise auch die Lage des Schlachtortes. Denn danach waren sowohl Cherusker, Sugambrer als auch Sueben am Kampf beteiligt. Man ist natürlich geneigt immer die Stämme in einer kriegerischen Auseinandersetzung zu sehen die auch in der Region ihr Siedlungsgebiet hatten. Jedoch sollte man auch nicht verkennen, dass die Krieger der Sugambrer die ihr Siedlungsgebiet eher in Rheinnähe hatten mit sicherem Abstand den Legionen des Drusus nach Osten folgten um eine gute Gelegenheit für einen Angriff zu finden. Hier bietet sich aber noch eine andere Theorie an. Das nämlich die Sugambrer ihren Feldzug gegen die Chatten abbrachen um sich im Norden gemeinsam mit anderen Germanen den Legionen des Drusus entgegen zu stellen. Bekanntlich fand Drusus die Siedlungsgebiete der Sugambrer aus dem Grund unverteidigt vor, da diese gegen die Chatten zu Felde gezogen waren. So mag es auch zur Erwähnung der Sugambrer im östlichen Hinterland gekommen sein, obwohl diese nicht an der Weser siedelten. Wer aber dort lebte waren die, ich möchte sie hier mal als suebische Cherusker ansprechen sowie die weiter östlich lebenden suebischen Angeloi. Es war eine archaisch, heterogen geprägte Zeit die keine starre Herangehensweise duldet, denn die wahren Interessenslagen und Bedürfnisse der Menschen entziehen sich unserem Vorstellungsvermögen. Aber über den Beute - Verteilungsschlüssel erfahren wir, dass man Sueben von Cheruskern namentlich trennte. Denn wir wissen, dass die Sueben im Falle eines Sieges alles Gold und Silber für sich beanspruchten, während die Sugambrer die Sklaven und die Cherusker die Pferde einforderten. Aber man machte die Rechnung bekanntlich ohne Drusus. Denn seine Kampftaktik führte dazu, dass die möglicherweise angilischen Sueben ebenso wie Cherusker und Sugambrer mit leeren Händen nach Hause ziehen mussten. Auch diese Episode erschwert wieder die Definition der Sueben. Sie waren an allen Fronten römisch germanischer Krisenherde in Zentralgermanien zu finden mal unter dem Namen Sueben mal unter dem Namen eines ihrer Teilstämme, unter dem Strich aber immer Sueben. So verwundert es nicht, dass Varus zu den Angeloi - Sueben ein besonderes Verhältnis pflegen musste, zumal er sie nicht in den "Cheruskisch Römischen Bündnisvertrag" einbezogen hatte. (07.07.2020)

... link


Donnerstag, 2. Juli 2020
Germanicus, Caecina, Segestes und Arminius, die großen Protagonisten im Frühjahr 15 +.


Kriege, Schlachten, Entführung und Befreiung. Im Jahr 15 + bot uns die Historie das ganze Spektrum militärisch ziviler Dramatik an. Wilde Zeiten, aber die Topographie und Geographie helfen uns weiter und sind die zwei Seiten einer Medaille die uns die Ereignisse verdeutlichen. Weitere Säulen der Forschung sind nicht nur die Truppenstärken, sondern auch die Marschleistungen, die Wetterbedingungen und die Bedrohungslage. Es mittels Draufsicht auf einen Blick zu bannen macht es vielleicht verständlicher, denn alles klebte förmlich aneinander. Hier der „freihändige Versuch“ einer Darstellung. Und mittig gelegen der "Teutoburgiensi saltu", aber nennen wir ihn besser den Osenegger - Schliefen, denn das ahd. sliofan könnte man so ausgesprochen haben. (02.07.2020)

... link


Was geschah im Frühjahr 15 + im Leinetal ?
Glauben wir Tacitus, dann blicken wir auf eine gescheiterte Militäraktion der Cherusker zurück, weil man einen als „Nachbarschaftshilfe“ für die bedrohten Chatten gedachten Angriff auf Germanicus bereits in der Vorbereitungsphase abbrechen musste. Aus welchen cheruskischen Stämmen oder Sippen sich diese Kämpfer zusammen setzten, welcher Gaufürst es angeordnet hatte oder über sie herrschte erfahren wir nicht. Aber nicht nur das, denn Tacitus berichtet uns auch noch von einem anderen Vorfall. Nämlich von der Belagerung der Segestesburg einem Ereignis, dass sich wie es den Anschein macht nahezu zeitlich zum Erstgenannten ereignete. Und in beiden Fällen waren es Kämpfer aus dem Volk der Cherusker. Wir lesen also von zwei Geschehnissen die sich fasst parallel zueinander im Frühjahr 15 + vollzogen. Aber waren es auch voneinander getrennte zeitgleiche Ereignisse. So kann und muss man sich auch der Frage widmen, ob nicht beide Handlungsabläufe so eng mit einander in Verbindung standen, dass man darin sogar eine Verbindungslinie und eine gewisse Identität erkennen könnte. Gab es da einen gemeinsamen Hintergrund, Auslöser oder Ursprung und standen da etwa die Ereignisse in einem viel näheren Zusammenhang als es auf den ersten Blick den Eindruck macht. Aber so wie uns Tacitus die Abläufe in zwei verschiedenen Kapiteln überliefert, müssen sie auf uns wirken, als ob es zwei räumlich und zeitlich also unabhängig voneinander verlaufende historische Prozesse gewesen wären. Zum einen waren es Cherusker die Segimund gegenüber Germanicus zu einer Gefahr für seinen Vater und seine Familie hoch stilisierte und in denen Tacitus Belagerer sah und zum anderen ein Kontingent Cherusker das eingeschüchtert von Caecinas Erfolg in der Marserschlacht nun den Chatten nicht mehr beistehen wollte. Für Belagerer hätte Tacitus vielleicht auch den Namen „oppugnator oder oppugnatorem“ verwenden können aber er umschrieb es, weil er sich vielleicht nicht so sicher in der damaligen Begründung war. Aber Tacitus konnte oder wollte auf Basis dessen, was er über Segimund nachlesen konnte auch nichts anderes daraus ableiten, als dass es sich um Belagerer gehandelt haben musste, die die Segestes Burg abgeschnürt, abgeriegelt, oder isoliert sprich belagert haben sollen. Aber was war denn da los im Frühjahr 15 + im heutigen Süden Niedersachsens. Das die einen Cherusker gegen Germanicus kämpfen wollten, während die anderen die Burg eines Fürsten belagerten entbehrt eines gewissen Verständnisses bzw. einer Grundlage. Beide Ereignisse mittels einer kombinierten Sichtweise zusammen zu rücken und nebeneinander zu stellen wäre wünschenswert will man sie verständlicher machen. Um dem konträr gegenüberstehendem Tun der Cherusker im eigenen Land auf den Grund zu gehen, könnte es hilfreich sein sie zeitlich einzuordnen und zu versuchen ihre jeweilige Abfolge zu rekonstruieren. Also den abgebrochenen Versuch von Cheruskern sich in den chattisch römischen Konflikt einzumischen, als sich auch dem zu widmen, was sich vor der Segestesburg tat. Beide Darstellungen entstammen dem historischem Stoff den wir dank Tacitus schon seit Jahrhunderten analysieren dürfen. Man müsste bei der schwierigen Frage ansetzen, wie die Cherusker im Frühjahr 15 + die herauf ziehende Gefahrenlage bewerteten die sich bei ihren südlichen und westlichen Nachbarn auftat. Viele Legionen, also Massen an römischen Soldaten sowie weitere Hilfskräfte walzten sich zielgerichtet aus Richtung Westen und Süden auf sie zu, schienen sich unaufhaltsam vorzuarbeiten und erstickten jeglichen Widerstand mit Waffengewalt. Im Westen kämpften sie erfolgreich gegen die Marser und im Süden bezwangen sie die Chatten. Als nächstes mussten sich die Cherusker als Angriffsziel betrachten. Verlängert man über eine gedachte Linie die zu erwartenden Marschrichtungen vom angenommenen nordhessischen Gudensberg wo Germanicus kämpfte, als auch eine aus dem Raum um Atteln südlich von Paderborn wo Caecina gestanden haben könnte, dann ergibt sich ein Schnittpunkt im Weserknie bei Bad Karlshafen. Neben dem Korridor von Nordhessen ins Leinetal über Hedemünden und Ellerode war es eines von zwei historischen Einfallstoren in die Gaue der Cherusker. Arminius zog die Fäden und die Germanen erwarteten von ihm wie gewohnt taktisches Geschick und strategische Vorgehensweise. Aber jetzt wo es begann für die Cherusker brenzlig zu werden, wurden auch wieder die alten Unkenrufe laut. Denn jetzt nach dem sich die Lage zuzuspitzen begann, musste sich auch Arminius den Vorwürfen stellen, dass er es schließlich mit verschuldet hatte, wenn ihm das Imperium nun seine Rachearmeen entgegen schickte. So musste er die Herausforderung annehmen, was er sechs Jahre nach der Varusschlacht nicht mehr erwartet hatte, die sich aber bereits im Vorjahr abzeichnete. Unter den damaligen Umständen wird er kein cheruskisches Heer angewiesen haben die eigenen Stammesgebiete dem Feind auszuliefern um einem Nachbarstamm zumal in aussichtsloser Lage zu Hilfe zu kommen. Aber man sollte auch nicht übersehen, dass die Chatten den Cheruskern in der Schlacht gegen Varus sechs Jahre zuvor ebenfalls zu Hilfe kamen, sodaß ungeschriebene Bündnisverpflichtungen gelten könnten und solidarisches Eingreifen wenn auch nur kosmetischer Natur denkbar ist. Die Chatten im Süden zu unterstützen heißt auch immer eigene Stammesgebiete zu schützen, bedeutet aber keine Selbstopferung. In Arminius sehen wir einen Feldherr der sein Talent als ein weitsichtiger Befehlshaber schon bewiesen hatte und er war kein Mann der voreilige Entschlüsse fasste. Im Frühjahr 15 + musste er definitiv mit einem Angriff auf sein Territorium rechnen, suchte sich also Bündnispartner um den Heeren von Germanicus und Caecina widerstehen zu können und entwickelte Strategien. In solch kritischen Phasen hatte man ein besonderes Augenmerk auf die wichtigen Wegeverbindungen durch die Flusstäler und die Paßstrassen, während man römischerseits sicherlich die Waldgebiete meiden würde. Die Ausguckposten auf den erhöhten Lagen links der Weser zwischen Herstelle und der Nethemündung wird man ebenso wie die Querverbindung ins Leinetal besetzt haben um feindliche Bewegungen frühzeitig erkennen zu können. Und in Krisenzeiten zieht man die eigenen Kräfte zusammen, konzentriert sie an strategisch günstigen Orten und entsendet sie nicht. Germanische Heerhaufen sammelte Arminius in den cheruskischen Gauen und vordringlich da, wo man mit Gefahr zu rechnen hatte. Die Entsendung eines Expeditionskontingentes ins nordhessische Kampfgebiet in dieser Zeit wäre unklug und scheint abwegig. Vermutlich deuteten römische Späher oder germanische Informanten die ersten cheruskischen Sammelbewegungen etwa im Leinetal als mögliche Unterstützung für die Chatten, legten sie dementsprechend aus oder wollten es als eine Begründung für die spätere Kursänderungen des Germanicus so sehen. Denn die Schriften des Tacitus, einem Sympathisanten von Germanicus waren tendenziös geprägt. Wir wähnen uns folglich am möglichen Vorabend eines römischen Angriffs auf die cheruskischen Gaulandschaften von zwei Stoßrichtungen aus. Germancius hatte kurz zu vor den chattischen Hauptort verwüstet und Caecina erwartet seine Befehle. Im Quartier von Arminius wo die Fäden zusammen liefen trafen die Informationen der Kundschafter ein. Staffettenreiter werden die Cherusker auch gekannt haben und sie trugen ihm die Nachrichten zu. Seine Strategie können wir nur erahnen, aber er wird vorsichtig agiert haben solange er nicht wusste was auf ihn und sein Volk zukommen würde aber auch aus welchen Richtungen die Gefahr drohte. Musste er mit Caecina an der Weserfurth bei Godelheim rechnen oder mit Germanicus im oberen Leinetal. Wo sollte er seine Kräfte zusammen ziehen, wo sich ihnen entgegen stellen um den größtmöglichen Geländevorteil auf seiner Seite zu haben. Oder musste und wollte er im Frühjahr 15 + noch die offenen Schlachten wie sie im Jahre 16 + folgen sollte vermeiden und sich nach Norden in die Weiten zurück ziehen. Inmitten dieser angespannten Phase geschieht nun Sonderbares. Denn nun verlässt eine illustre Reiterschar von Unterhändlern unter dem Kommando von Segimund die vermeindliche Segestesburg südlich von Einbeck um das drohende Schicksal dem man sich nun ausgesetzt sah doch noch abwenden zu können. Die Vernichtung der Segestes Sippe und die Verwüstung seiner Gaue schien jetzt nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Wollte er es verhindern, musste er handeln und zwar schnell. So erkannte er in der Teilkapitulation seines Herrschaftsbereiches die einzige Chance mit heiler Haut für sich, seine Familie, Sippe und andere die so dachten wie er dem möglichen Untergang zu entkommen. Segimund ritt nach Süden wo er Germanicus zwar vermutete, aber nicht antraf. Einige Meilen westlich hatte er mehr Glück, denn zum Zeitpunkt des Verlassens von Vogelbeck konnte er nicht damit rechnen, dass sich Germanicus inzwischen und das warum auch immer für einen Schwenk nach Westen entschieden hatte. Segimund präsentierte Germanicus seine gut gewählten Worte und berichtete über alles was er über Arminius und seine Getreuen wusste um sich erkenntlich zu zeigen. So beschrieb er möglicherweise auch wo sich nun der gemeinsame Feind konzentrierte, wie stark er war und welche Taktik er einschlagen könnte. So gab er wohl auch die Informtion weiter, dass sich einige Hundertschaften der Cherusker auch im Leinetal unweit der Segestessitzes zusammen gerottet hatten, um auf Verstärkung zu warten bzw. sich einem möglichen römischen Angriff entgegen stellen zu können. Aber der Wegritt der Segimund Delegation war auch den Kämpfern des Arminius nicht verborgen geblieben und auch ihnen waren die Absichten von Segestes bekannt geworden. Es war also ein unzweideutiger Frontenwechsel der hier seinen Anfang nahm und der sich auch schnell zu Arminius herum gesprochen haben dürfte. Die Annäherung der Segestesippe an Germanicus war bezeichnend für die Lage, denn damit war eine Rückkehr zu den alten Beziehungen zwischen Segestes und Arminius ausgeschlossen und man wird ihn unter den Cheruskern nicht mehr geduldet haben. Das nun erwartete dauerhafte Verlassen seiner Burg war die Konsequenz seiner Entscheidung. Das Stationieren einer aus Cheruskern bestehenden Kampfeinheit mit dem Auftrag der Grenzsicherung und weniger des aktiven Einschreitens auf Seiten der Chatten dürfte eher das Gebot der Stunde gewesen sein. Und das diese Hundertschaften nun das Warten damit überbrückt haben sollen um zum Zeitvertreib den Widersacher von Arminius unter Druck zu setzen ist auch denkbar. Folgt man dieser These, dann wären beide Kriegerscharen möglicherweise identisch miteinander gewesen. In diesem Fall wären es auch jene Germanen gewesen, gegen die Germanicus wie es überliefert ist anzukämpfen hatte. Cherusker die sich gesammelt hatten oder auf dem Weg zu den Chatten waren. Kämpfer die dem Befehl von Arminius folgten und die sich nun Angesichts einer militärischen unklaren Lage im Umfeld der Segestes Festung aufgehalten haben könnten. Es waren aber auch die Germanen die der Erfolg von Caecina gegen die Marser zögerlich gemacht haben könnte. Aber es waren Germanen die auf der Seite von Arminius standen und es waren darunter keine, die Segestes die Treue geschworen hatten, zumindest ist in den Überlieferungen keine Rede davon. Da aber nur ein Teil der Leute um Segestes später zu Germanicus übergingen, darf man davon ausgehen, dass wieder ein großer Teil seiner Männer der Stimme von Arminius folgte und sich letztlich gegen ihn stellte. Es ist aber auch durchaus denkbar, dass die Cherusker, ob sie nun dem Chattenkontingent zuzurechnen sind oder Segestes das Leben schwer machen wollten im Raum Einbeck nur einen Halt einlegten um der weiteren Dinge zu harren. Aber sie taten dies wohl nicht vordergründig in der Absicht Segestes zu belagern. Doch ab hier gehen die Spekulationen fächerartig auseinander. Denn einer Kampftruppe die eventuell auch nur der Abschreckung oder Grenzsicherung dienen sollte stand nicht unbedingt der Sinn danach zur Abwechslung eine Fürstenburg zu umlagern. Sollte Segestes von Cheruskern belagert worden sein und handelte es sich dabei um die Chattenhelfer dann wäre folgendes Szenario denkbar. Unter den Arminen war bekannt geworden das Germanicus nach Westen ritt um sich möglicherweise mit Caecina zusammen zu schließen. Arminius kannte die Rückzugspläne von Germanicus nicht, sodass für ihn die Gefahr auch jetzt noch konkret und nicht gebannt war, denn nun schien den Cheruskern ein Angriff von Germanicus über die Weser und nicht mehr durch das Leinetal zu drohen. Da Germanicus diesen im Verbund mit Caecina angegangen wäre und sich mit ihm zusammen geschlossen hätte brauchte Arminius in dieser Notlage jetzt jeden Mann. Man fühlte sich in Cheruskerkreisen wie in der Ruhe vor dem Sturm. Eine Phase in der die Arminen auch auf die Unterstützung von Männer setzten, die von Segestes angeführt wurden. Was dieser jedoch vermutlich verweigerte und was den Konflikt ausgelöst haben könnte. Denn seine Ablehnung sich gegen Germanicus zu stellen könnte zur Nagelprobe der Loyalität innerhalb der Cheruskerfürsten geführt haben. Die Ereignisse werden sich kurz vor einem möglichen Kriegsausbruch überschlagen haben und wie man annehmen darf entsendete genau in dieser Lage Segestes seinen Sohn zu Germanicus mit der Bitte um Unterstützung. Hier könnte es also zu einer konzertierten Aktion zweier wie parallel erscheinender Ereignisse gekommen sein hinter der jedoch ein und dieselbe Cheruskergruppe stand. Aber was macht diese Schlussfolgerung interessant. Nutzte Segestes das Vorhandensein dieses Cherusker Kontingents oder brachte es ihn überhaupt erst auf die Idee um mit ihnen seine besondere Notlage gegenüber Germanicus glaubwürdiger vermitteln zu können. Segestes bzw. seinem Sohn gelang es jedenfalls auf diese Weise Germanicus zu ihm zu locken auch wenn möglicherweise gar keine Belagerung statt fand bzw. diese nur den Vorstellungen von Tacitus entsprang. Fakt war, dass Germanicus bevor er auf Segestes traf auf cheruskische Kämpfer stieß. Er musste sie verjagen vielleicht auch bekämpfen um sie besiegen zu können und um zu Segestes durch zu dringen. Wo er aber auf sie stieß bleibt unklar, denn der Weg den Germanicus zu Segestes einschlug lässt sich nur in groben Zügen erfassen. Germanicus könnte ihnen also auf seinem Ritt zum vermeintlichen Vogelbeck schon an der oberen Leine begegnet sein und nicht erst unmittelbar vor seiner Burg. So fand das Scharmützel vielleicht schon viele Kilometer vor „Vogelbeck“ und nicht erst am Herrschaftssitz statt. Hätte Segestes jedoch nicht auf das Argument der ihn Belagernden zurück gegriffen, hätte Germanicus ihm bzw. seinem Sohn souverän antworten können, warum er zu ihm komme sollte und warum sich Segestes nicht zu ihm aufmachen wollte. Denn Germanicus wollte sich nicht als Eskorte für einen Cheruskerfürsten missbrauchen lassen. Da klang in den Ohren von Germanicus eine Belagerung schon ganz anders und er konnte die Rolle eines Retters in der Not übernehmen. Und wie sollte Germanicus auch einen Unterschied zwischen einem cheruskischen Chatten - Hilfskontingent oder cheruskischen Belagerern erkennen können, die nur in den Gedankenspielen von Tacitus existierten. Es mögen sich ihm dann auch zweifellos einige Cherusker entgegen gestellt haben, wie es Tacitus schreibt und er bezwang sie auch, aber Segimund drückte es weisungsgemäß krass aus spielte es hoch. Eine Argumentation wie sie ihm von seinem Vater eingetrichtert wurde. Segestes brauchte diesen Grund um sich von Germanicus frei schlagen zu lassen. Natürlich hätte er die Fronten auch anders wechseln können, aber in diesem Fall wäre er wie ein minderwertiger und feiger fahnenflüchtiger Abtrünniger empfangen worden, was seine Glaubwürdigkeit beschädigt hätte. Von eigenen Männern belagert worden zu sein unterstreicht hingegen seine römerfreundliche Gesinnung umso mehr, als wenn er vor Cheruskern geflüchtet wäre, die ihm nicht nach trauerten und auch nicht nach dem Leben trachteten oder sogar seinen Wechsel ins römische Lager begrüßt hätten. Letztlich wollte er auch sicherzustellen, dass er samt seiner Sippe, wenn man sich schon aus freien Stücken zu Germanicus begeben hätte sie nicht doch noch an unübersichtlicher Stelle von den Arminen zur Umkehr oder Schlimmerem gezwungen hätte. So lässt sich erkennen, dass auch im Frühjahr 15 + Segestes wieder Herr der Lage zu sein schien und er die großen seiner Zeit wie Spielfiguren einsetzte und sich sogar dem Zugriff seines Widersachers Arminius noch rechtzeitig entziehen konnte, bevor sich über dem Nethe - und Leinegau das große Brandschatzen ausbreitete. Man kann in der Tat derartige Gedanken verfolgen auch wenn diese Theorie wie an den Haaren herbei gezogen klingt, aber die Geschichte kennt bekanntlich keine glatten und sauber abgeschnittenen Ereignisse, denn es gab immer ein davor und danach, denn das Leben schreibt die Geschichte und die steht in keinem Roman. Das sich arminiustreue Cherusker Germanicus in den Weg stellten, war eine Frage der Ehre, als dieser auf sie zukam was einleuchtet, aber zu einem größeren Gefecht wird es nicht gekommen sein und ist auch nicht überliefert, denn dazu bestand für die Germanen aus strategischer Sicht betrachtet in dieser frühen Phase noch keine Veranlassung. Nachdem Germanicus Segestes in seine Reihen aufnahm, traf er vermutlich auf Caecina und setzte seinen Zug an den Rhein fort. Was erfuhr also Germanicus von Segestes noch und was ihn davon abgehalten haben könnte nun gemeinsam mit Caecina von Westen her die Cherusker anzugreifen. Jetzt nachdem er Segestes in seiner Hand hatte kannte er die Verhältnisse und Interna in den Cheruskergauen. Dieses Wissen könnte den Ausschlag gegeben haben, dass Germanicus im Frühjahr 15 + auf den Angriff verzichtete, den er möglicherweise schon gemeinsam mit Caecina ins Visier genommen hatte. Segestes musste sich erkenntlich zeigen und Germanicus war ein aufmerksamer Zuhörer. Es scheint, als ob es Segestes war, der seinen Beitrag dazu leistete Germanicus von einem Angriff im Frühjahr 15 + abzuhalten. Segestes war aufgrund eigener Machtansprüche daran gelegen, dass Rom die Cherusker in Gänze bezwang, damit seine spätere alleinige Herrschaft nicht mehr gefährdet war. Aber im Frühjahr 15 + mussten sowohl Germanicus als auch Caecina bereits Verluste gehabt haben was einen weiteren Schlag nun gegen die Cherusker gerichtet verhinderte. Segestes wird die Stärke der Cherusker gekannt und beschrieben und wird ebenfalls davon abgeraten haben. Aber mit militärischem Sachverstand ausgestattet, käme noch ein weiterer Aspekt hinzu. Im Frühjahr 15 + erwartete jeder Cherusker den Angriff aus dem Süden und dem Westen und Arminius hatte im Kernland seine Bündniskräfte mobilisiert. Nachdem sich Germanicus aber zum Rhein zurück zog, fiel diese Strategie in sich zusammen, da der Krieg ausblieb. Aber einen aus dem Stand angegangenen Sommerfeldzug in Form eines schnell vorgetragenen Vorstoßes noch im gleichen Jahr, nach einer gewissen Ruhephase mit hinzu gezogenen frischen Kräften, Pferden und guter Logistik erwartete in diesem Jahr kein Cherusker mehr an der Weser. Ein plötzlicher Überraschungsangriff durch die westfälische Bucht hätte auf einen unvorbereiteten Arminus treffen können und mehr Erfolg versprochen, als ein dritter Krieg ausgezehrter Legionen im Frühjahr 15 +. Die Tatsache, dass sich Arminius nicht unter den Kämpfern befand, gegen die Germanicus vermutlich an der Leine antreten musste, bevor er mit Segestes wieder zurück in den Südwesten ritt ist bezeichnend für die Lage. Arminius verhielt sich wie ein Schlachtenlenker, wusste von der voraus gegangenen Seitwärtsbewegung des Germanicus und erwartete daher auch seine Rückkehr wieder zurück etwa an die Örtlichkeit wo ihm Segimund begegnete und sah daher in seiner kurzen Eskapade an die Leine auch keine unmittelbare herauf ziehende Gefahr, auf die Arminius hätte militärisch reagieren müssen. Und das sich Germanicus nach der Kapitulation von Segestes in der fragilen Grenzlage der ihm unterstehenden Gaue nicht für einen Kriegszug entscheiden würde, war nach seinem freiwilligen Überlaufen nicht zu erwarten. Und wogegen hätte er kämpfen sollen denn wer hätte ihm als Gegner gegenüber gestanden, einem Segestes oder einem Arminius treuen Kämpfer. Aufgrund der voraus gegangenen Verhaltensweise von Germanicus erwartete Arminius einen massiven Vorstoß von Westen aus nach der Zusammenführung der Kräfte von Germanicus und Caecina. Aber mit einem Komplettabbruch schon im Frühjahr 15 + hatte wohl niemand gerechnet. Denn das Beendigen eines Krieges war so früh im Jahr für Rom ungewöhnlich, denn es war eine Zeit in der man für gewöhnlich mit dem Kriege führen erst begann. Germanicus war militärisch hoch flexibel, nutzte alle technischen Möglichkeiten seiner Zeit und die jahreszeitlichen Spielräume. Im Jahre 14 + zog er sogar noch im Herbst gegen die Marser und 16 + wählte er die gewagte Taktik auf den Einsatz von Flußschiffen zu setzen. Aber in einem Jahr zu zwei Feldzügen auszurücken musste einen besonderen Grund haben. So wird es verständlicher, dass uns hier so wenig überliefert wurde, denn auf das Wissen derart komplexer Zusammenhänge konnten die römischen Historiker nicht zurück greifen. So stand Tacitus auch nicht viel an Material zur Verfügung und es blieben ihm nur die „vorgefärbten“ Quellen die Segestes nahe standen und die seine Überlieferungen stützten. Wurde aber Segestes gar nicht belagert, befürchtete er es vielleicht nur und nutzte es als Argument um noch Teile seiner Wertsachen aus dem erwarteten baldigen Krisengebiet ins römische zu retten. Dann hätte sich Segestes den Hergang um seine Befreiung aus den Klauen der Arminen möglicherweise ebenso aus den Fingern gesogen, wie seine damals von ihm an Varus ergangene Warnung vor der Intrige des Segimer und seines Sohnes Arminius vor dem Ausbruch der Varusschlacht. Zogen wir etwa seit dem wir uns mit den alten Begebenheiten beschäftigen immer nur an historischen Fäden, an denen sich am anderen Ende immer nur eine Informationsquelle befand nämlich Segestes ? (02.07.2020)

... link


Freitag, 12. Juni 2020
Germanicu`s Ritt zur Segestes Burg – welches Risiko ging er ein ?
Germanische Gaufürsten waren wie man annehmen darf autochthon, weitgehend unabhängig und hoch angesehene Stammesführer. Und das waren sie nicht nur innerhalb ihres eigenen Stammes oder Volkes, sondern besaßen auch einen unantastbaren Stellenwert innerhalb der ihnen gleich gestellten Führungsschicht in den benachbarten Fürstentümern. In den Thingversammlungen war man sich ebenbürtig und stand sich auf Augenhöhe gegenüber. So besaßen sie in ihren Herrschaftsregionen auch das angestammte Recht die Politik zu bestimmen. Nicht grundlos lebt die Vermutung bis heute fort, man habe Arminius getötet, da er die Alleinherrschaft angestrebt haben soll, was die Einflusssphäre der anderen Großen eingeschränkt hätte. Denn diesen Machtzugewinn duldete man nur zeitlich befristet und er galt nur in Kriegszeiten. Wie später bei den Sachsen so auch bei den Cheruskern. Und noch hunderte von Jahren später scheiterten Versuche den ursprünglichen Stammesgedanken zu zerstören. Und nicht von ungefähr hatte daher auch eine Eheschließung in den hohen Stämmeskreisen wichtige symbolische Bedeutung, denn das blaue Blut der Adelsschicht wollte man rein halten und die Erbschaftsansprüche in sicheren Händen wissen. In die Territorien die andere Fürsten beanspruchten brach man auch nicht ein, wenn es dafür keinen besonderen Grund gab und wenn, dann nur nach vorheriger Vereinbarung. Segestes hingegen war es daran gelegen gegenüber Germanicus eine in der Eskalation befindliche Stammesfehde glaubhaft zu machen was man anzweifeln darf. Man kann es für ein vorgeschobenes Argument halten und zu der Überzeugung kommen, dass seine Autorität nicht bedroht war er lediglich einen Grund brauchte und er grundsätzlich zu sich rufen konnte wen er wollte, ohne dafür Rechenschaft abzulegen bzw. um Erlaubnis fragen zu müssen. Denn im Frühjahr 15 + befand sich Germanicus mit den Cheruskern nicht im Krieg, es gab keine unmittelbare Bedrohung und man machte überdies sogar vor den cheruskischen Grenzen halt und wandte sich von ihnen ab. Über wie viel Gaubezirke Segestes aber auch Arminius damals herrschte wissen wir nicht. Aber es dürfte abgesehen von Sümpfen oder dichten Waldgebieten klare geographische oder sonstige gegenseitig akzeptierte und respektierte Grenzziehungen zwischen ihnen gegeben haben. Germanicus wird also aufgrund der ihn Begleitenden gewusst haben welchen Weg es einzuschlagen galt um nicht die Hoheitsgrenzen zu überschreiten und unbeschadet Segestes zu erreichen. Was die Beweggründe anbetrifft, die Germanicus veranlassten im Frühjahr des Jahres 15 + von zwei Stoßrichtungen aus mit geballter Macht in Germanien einzufallen, so liegen uns dazu diverse Spekulationen und Schlussfolgerungen zahlreicher Historiker vor. Annahmen, die sich aber letztendlich alle nur auf die wenigen Zeilen stützen die Tacitus uns in seinem Jahrbuch 1.56 (1 - 5) hinterließ. Wissen, dass auch er nur von anderen Vorlagen abschrieb. Wenn wir sie für stimmig halten, so bot Germanicus im Frühjahr 15 + seine gesamte Kampfkraft auf, die ihm sowohl in Mainz als auch am Niederrhein zur Verfügung stand um seinen Rachefeldzug gegen die Stämme die Varus bezwangen fortzusetzen. Es waren zwei gewaltige Heeressäulen die sich im Zangenangriff auf die Stammesgebiete der Sugambrer, Brukterer, Marser, Chatten und letztlich die Cherusker zu bewegten. Stämme gegen die man nun die längst fällige Vergeltung üben wollte. Dem römischen Senator Aulus Caecina Severus der vermutlich von Xanten in Verbindung mit Neuß anrückte standen über vier Legionen plus 5000 Soldaten bestehend aus Hilfstruppen zur Verfügung. Germanicus selbst befehligte ebenfalls vier Legionen und hinzu kamen weitere 10.000 Soldaten an Auxiliarkräften. Legt man einen vorsichtigen Mittelwert pro Legion zugrunde, dann könnten beide Heeresgruppen einschließlich der nicht römischen Unterstützung zusammen gefasst über etwa 50.000 bis 55.000 Kämpfer verfügt haben. Folglich marschierten acht römische Legionen sowie 15.000 Kelten, Germanen und Soldaten aus anderen Völkern von Westen und von Süden aus in Richtung Weserknie bei Bad Karlshafen. Es war eine immense Armada die sich da zu Lande im zeitigen Frühjahr 15 + in Bewegung gesetzt hatte. Wirft man nun einen Blick auf die aktuelle historische Analyse, so ist oft die Rede davon, dass man sich bei Germanicus die Zwistigkeiten innerhalb der Cherusker aus der Gunst der Stunde heraus zu nutze machen wollte und deswegen vor dem eigentlichen großen, aber erst für den Sommer 15 + geplanten Feldzug noch einen ursprünglich nicht geplanten Frühjahrsfeldzug dazwischen schieben wollte bzw. den Vorzug gab, um den Rom treuen Cheruskerflügel zu unterstützen. Aber diese Auslegung wirft Fragezeichen auf und das nicht nur weil man einen solchen gigantischen Feldzug nicht im Schnellverfahren aufnehmen kann. So beginnt alles bereits mit der vermeintlichen Erkenntnis, dass es sich vom entfernten Ostwestfalen aus bis zu Germanicus herum gesprochen haben soll, dass es Unstimmigkeiten innerhalb der cheruskischen Fürstenhäuser gab. Und wie selbstverständlich geht man auch immer davon aus, dass die Cherusker nur von zwei Fürsten befehligt wurden, nämlich von Segestes und Arminius bzw. vor ihm seinem Vater Segimer. Da Feldzüge für gewöhnlich im Frühjahr aufgenommen werden und man den Feldzug 14 + nur wegen dem Aufruhr in den Legionslagern am Rhein heraus in den Herbst legte, könnte man davon ausgehen, dass sich Germanicus mit dem zeitig angesetzten Frühjahrsfeldzug 15 + einen, wenn nicht sogar den entscheidenden Durchbruch in Germanien erhoffte. Denn er bot immerhin max. 55.000 Soldaten auf, was der Gesamtzahl des nieder – und obergermanischen Militärkommandos entsprach. Somit war es ein Aufmarsch der umfangreiche logistische Vorbereitungen erforderlich gemacht haben dürfte. Waffen waren zu schmieden oder zu reparieren, Pferde mussten ausreichend zur Verfügung stehen und Nahrungsmittel und Ausrüstung waren transportfähig zu machen. Zumal im zeitigen Frühjahr der Boden noch nicht genügend Nahrung für Mensch und Tier her gibt und auch die Germanen um diese Jahreszeit noch Entbehrungen zu durchstehen hatten. So lässt sich ein Kraftakt dieser Art nicht aus dem Stand heraus umsetzen. So wird es ein Kriegszug gewesen sein in dessen Planungen man bereits im Winter 14/15 +, wenn nicht gar früher hätte einsteigen müssen. Folgt man nun den historischen Bewertungen und Annahmen, so soll das Zerwürfnis innerhalb der cheruskischen Fürstenfamilie eine große Rolle beim vorgezogenen Kampfeinsatz gespielt haben und war möglicherweise sogar der Auslöser dafür. Aber in dieser Phase dürfte man im römischen Generalstab jedoch noch keinen Sommerfeldzug auf dem Schirm gehabt haben. Denn vom grünen Tisch aus zwei Feldzüge in einem Jahr hinter einander zu legen entspringt keiner Logik. Und ein derart massives Truppenaufgebot einzig basierend auf der Vorstellung zu mobilisieren es mit der Zielsetzung nach Ostwestfalen zu entsenden um sich damit den Bruch zwischen den Fürstenhäusern im Sinne Roms zu nutzen zu machen liefert zu wenig Argumente für einen derartigen Kriegseinsatz. Wer hätte auch Germanicus zum Zeitpunkt des Ausmarsches garantieren sollen, dass man ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen problemlos bis ins Zentrum der Cherusker hätte vorstoßen können um dort auf das römerfreundliche Lager zu treffen um dann dort einem anderen Cheruskerfürsten in einem innergermanischen Konflikt beistehen zu können. In der Hoffnung einen leichten Sieg zu erringen. Da klingt diese Theorie etwas zu neuzeitlich gedacht. Letztlich basierte sie darauf, dass Segestes die Fürstenhäuser hätte spalten können und ein erhofftes stattliches Aufgebot seiner Kämpfern hätte sich dann auf die Seite von Germanicus stellen sollen. Und alles unter der Prämisse betrachtet, dass Germancus die Interna im Cheruskerland bestens kannte um sie für seine Strategie zu nutzen. So stand bei Germanicus sicherlich einzig im Vordergrund die im Zenit stehenden Stämme zu besiegen und letztlich den Erzfeind, die Cherusker nieder zu werfen. Germanicus von Süden vorstoßend musste um zu den Cheruskern zu gelangen zuerst die Siedlungsgebiete der Chatten passieren und Caecina hätte zu Beginn die Sugambrer, Brukterer und Marser gegen sich gehabt, bevor er bei den Cheruskern eingetroffen wäre. Germanicus wird sich also der modernen Forschung nicht unterworfen bzw. nicht darauf verlassen haben seinen Feldzug auf derart vagen Annahmen zu beginnen. Germanicus und Caecina wollten letztendlich die Cherusker in zwei Keilformationen bezwingen und ob diese nun mit oder ohne Segestes in ihren Reihen antraten, dürfte für Germanicus unerheblich gewesen sein. Aber das Wissen um die innergermanischen Konflikte stammte wie sich rekonstruieren lässt und es auch nicht anders sein konnte, erneut aus dem Munde eines Mannes. Nämlich eines Germanen der allerdings völlig andere Interessen verfolgte, als uns einen plausiblen Einblick in die alten Geschehnisse zu ermöglichen. Segestes. Ein Informationsstand, den er vermutlich erst im Jahre 17 + in seinen palatinischen Verhören einem interessierten Zuhörerkreis gegenüber verlautbart hatte, den Tacitus aufgriff und den er dann für seine Jahrbücher nutzte. Aber was lief da im Frühjahr 15 + falsch. Germanicus bezwang die Chatten in dem er bis zu ihrem Hauptort vordrang. Nahm einige von ihnen gefangen, tötete wohl auch viele von ihnen, aber der Rest entkam in die Wälder, wie es in diesen Zeiten gang und gäbe war. Caecina besiegte in einer Schlacht die einen glücklichen Verlauf nahm die Marser. Aber halt. Denn es waren doch jene Marser die man erst ein Jahr zuvor 14 + bei ihrem Fest überrascht hatte und die dann angeblich vernichtend geschlagen worden sein sollen. Marser die Caecina nun im Frühjahr 15 + mit immerhin rund 25.000 Kämpfern und das auch nur mit Glück bezwingen konnte. Marser die sich nach nur einem Jahres schon wieder als so kampfstark erweisen konnten, dass sie es sogar wagten sich Caecina mit seinen rund 25.000 Mann in den Weg zu stellen. So wird es wohl im Frühjahr 15 + in der Realität wieder einmal anders gewesen sein, als wir es den Zeilen von Tacitus entnehmen können. Caecina stoppte jedenfalls nach der Marserschlacht ob geplant oder ungeplant sein weiteres Vordringen nach Osten und kam demzufolge auch nicht bis ans Weserufer nach dem er die Marser möglicherweise im nördlichen Sauerland oder der angrenzenden westfälischen Bucht bezwang. Aber auch Germanicus setzte seine Zugrichtung erstaunlicherweise trotz seiner Erfolge gegen die Chatten nicht nach Norden über die Diemle und die Weser in das Siedlungsgebiet der Cherusker fort. Man begnügte sich offensichtlich mit dem Erreichten. So brach man den Feldzug schon nach wenigen Wochen noch im Frühjahr wieder ab, obwohl das Schlachtenjahr gerade erst begonnen hatte. Ein Heer von etwa 55.000 Kriegern stand zu diesem Zeitpunkt möglicherweise erst zwei Monate im Felde, als es sich wieder in die Legionslager zurück ziehen musste. Sollte man daraus schließen können, dass die Germanen ihrem römischen Feind in der Summe und noch ohne das sich die Cherusker an den Kämpfen beteiligten im Frühjahr 15 + schon so große Anzahlen an Kriegern entgegen schicken konnten, dass sich Germanicus und Caecina gezwungen sahen, den Feldzug vorzeitig abzubrechen und man das Risiko nun auch noch die Cherusker angreifen zu wollen meiden wollte. Dann wären die Kämpfe gegen die Chatten und Marser allerdings heftiger gewesen als es uns Tacitus vermittelte. Jedenfalls macht es den Eindruck und Germanicus zog daraus die Konsequenz in dem er nach dem Abbruch des Chattenkrieges die Entscheidung traf die Niederrhein Kastelle aufzusuchen, neue Kräfte zu sammeln um die Legionen wieder auf Sollstärke zu bringen. Folglich einen ursprünglich möglicherweise gar nicht beabsichtigten Sommerfeldzug ins Auge zu fassen. Zweifellos waren die Männer um Arminius zwar über alle Bewegungen aber nicht über die Strategien der beiden römischen Generäle wenn auch nicht zeitnah so doch relativ gut informiert. So mussten sie jederzeit auch mit einem Vorstoß auf ihr Territorium rechnen und wollten darauf vorbereitet sein. Und Arminius wird auch früh die Nachricht erhalten haben, dass sich Germanicus, als er von den Chatten abließ sich wider erwartend nicht nach Norden in seine Richtung in Bewegung setzte sondern sich von den Cheruskern abwendete. Denn mit einem Vorstoß in ihre Richtung wird man von Seiten der Cherusker schon gerechnet haben. Und auch Caecina bewegte sich über das Marsergebiet nicht hinaus also weiter östlich auf die Cherusker zu. Mit rund 25.000 Legionären die lediglich aufbrachen um ein Volk zu besiegen, dass sie bereits 14 + besiegt gedacht hatten klingt da etwas mager für einen Frühjahrsfeldzug. Vielmehr verharrte er vermutlich im Stammesgebiet der Marser und nach dieser Theorie begab sich Germanicus im weiteren Verlauf zu Caecina. Arminius und sein Führungsstab wiederum mussten, da sie nicht davon ausgehen konnten das Germanicus seinen Frühjahrsfeldzug bereits so früh beenden wollte annehmen, dass er beide Blöcke zusammen fassen wollte um sie danach über den Nethegau anzugreifen. Arminius bereitete sich also vor, die römischen Legionen ganz nach germanischer Tradition in den offenen Raum im Frühjahr 15 + über die Weser zu locken wo man sie dann an einer verwundbaren Stelle treffen konnte nämlich an ihrer logistischen Schwäche. Man selbst konnte dann über die Örtlichkeit auch die Kampftakik bestimmen. Aber wie man weiß kam es im Frühjahr 15 + nicht dazu. In Anknüpfung an das vorherige Kapitel und was den Ort der Begegnung von Germanicus und Segimund anbelangt ist wie immer Realitätssinn gepaart mit geographischem Einfühlungsvermögen in die damaligen Verhältnisse gefragt, Denn man möchte die Szenerie letztlich sowohl aus römischer als auch aus germanischer Sicht so authentisch wie möglich versuchen abzubilden. Germanicus könnte also bereits an der mittleren Diemel gestanden haben als die Männer von Segestes und das für ihn vermutlich völlig unerwartet Kontakt zu ihm aufnahmen. Und erst zu diesem Zeitpunkt wurde Germanicus auch bewusst, wie sich die Lage unter den cherukischen Fürstenhäusern bereits zugespitzt hatte. Die Verortung bedarf noch einer Erklärung. Denn für eine im Krieg stehende Armee bestimmen letztlich die Witterungsverhältnisse den Kalender. Das Schlachtenjahr in Gestalt des Frühjahrsfeldzuges könnte für Rom also frühestens Ende Februar oder Anfang März begonnen haben. Da jedoch ein weiterer Feldzug für den Sommer des gleichen Jahres überliefert ist, müsste der Frühjahrsfeldzug zum Ende dieses Frühjahrs hin wieder beendet, vielleicht besser gesagt abgebrochen worden sein. Das schränkt den Aktionszeitraum dieses Frühjahrsfeldzuges ein verkürzt also seine Zeitdauer und stellt damit seine gesamte Sinnhaftigkeit in Frage. Wann verließ Germanicus Mainz, wie lange brauchte er bis zum ersten Schlagabtausch an der Eder, wie viel Zeit könnte man für die Zerstörung des chattischen Hauptortes veranschlagen und wieviel Tage verbrachte seine Armee in den Rheinkastellen, wenn man vielleicht schon im Mai/Juni zum Sommerfeldzug aufbrechen wollte. Das gibt in der Summe Anlass zu der Schlussfolgerung, dass sich Germanicus auch nicht mehr einem zeitaufwendigen Umweg über Mainz aussetzte, sondern sich von Nordhessen aus auf dem direkten Weg nach Xanten oder Neuß befand, als ihn die Reiterschar von Segestes erreichte. Man wird keine Notwendigkeit gesehen haben um den Rhein in Eilmärschen erreichen zu müssen, ließ sich Zeit und so könnte man daraus resultierend die Schlussfolgerung ableiten, dass Germanicus sich noch nahe der Diemel aufhielt. Denn bis zur mittleren Lippe wird ihm keine Segestesdelegation nachgeeilt sein und er wird von dort aus auch keinen Rückweg mehr bis hinter die Weser angetreten haben. Eine Argumentation die darauf basiert, dass die Kräfte beider Armeekeile nicht mehr stark genug waren, um gegen die Cherusker und möglicherweise noch andere mit ihnen in Verbindung stehen Stämme vorzugehen. Aber lassen wir nun wieder Segimund zu Worte kommen, dem der schwierigste Teil seiner Botschaft bevor stand. Denn ein Fehlverhalten seinerseits hätte die ganze Aktion zum Scheitern bringen können. Man war in jener Zeit skeptisch. So musste Segimund auch jegliche Zweifel ausräumen, dass man Germanicus nicht sogar in eine Falle locken wollte. Daraus wird auch der Grund ersichtlich warum Segestes seinen Sohn schickte, denn nur auf dem Weg der Geiselstellung ließ sich das Risiko für Germanicus minimieren, denn opfern wollte Segestes seinen Sohn sicher nicht. Und die mögliche Falle die man Germanicus hätte stellen können und wovor er sich abzusichern hatte, hatte auch einen Namen. Denn sie bestand aus jenem Hilfskontingent, dass die Cherusker aufstellten um damit ihr Territorium zu sichern, oder was sie in den Süden schicken wollten um damit möglicherweise den Chatten beizustehen. So wie es uns Tacitus unter 1.56 (5) mit den Worten „Cheruscis juvare Chattos“ überlieferte, dass also diese Cherusker den Chatten helfen also sie unterstützen sollten. Aber nun manövrierte ihn Segimund in eine sowohl militärisch als auch politische Konfliktlage. Denn Germanicus setzte sich nicht nur der Gefahr aus erstmals tiefer in die cheruskischen Stammlande einzudringen, sondern musste befürchten, dass er auf dem Weg zu Segestes auch auf das cheruskische Hilfskontingent stoßen würde, dass sich in eine Wartestellung zurück gezogen hatte. Germanicus wusste also um das Risiko das er einging, wenn er sich in das Stammesgebiet der Cherusker begab und dürfte es daher vorher gut abgewogen haben. Tacitus brachte es im Jahrbuch 1.57 (3) mit den Worten “pretium fuit convertere“ insofern zum Ausdruck, alsdass es Germanicus der Preis wert gewesen war, sich sowohl dem Risiko als auch der Mühe auszusetzen. Denn das Ziel war verlockend. So könnte für Germanicus letztlich der Reiz in den Besitz der Fürstenfamilie zu kommen den Ausschlag gegeben haben, sich sogar der möglichen Gefahr auszusetzen. Germanicus zeigte folglich eine gewisse Risikobereitschaft, da er dem Anerbitten nach kam und somit zwangsläufig tiefer ins cheruskische Hoheitsgebiet vorstoßen musste. Hätte also Segestes ihn nicht um Hilfe gebeten, wäre Germanicus auf seiner ursprünglich eingeschlagenen Route geblieben. Das er sich nun zu diesem unerwarteten Exkurs verleiten ließ lässt erkennen, dass sich der Plan Segestes zu befreien völlig von dem unter schied. was seine einstige Absicht war. Denn nach dem Chattenkrieg standen die Cherusker zumindest im Frühjahr 15 + nicht auf der Liste seiner Gegner. Aber der Wegritt der Segimund Delegation und das spätere Zusammentreffen mit Germanicus war Arminius nicht verborgen geblieben. So war ihm auch nicht entgangen, dass Germanicus daraufhin seinen Kurs änderte und ihn seine neue Zielrichtung geradewegs zur Burg des Segestes führte. Damit stand für Arminius fest, dass es Germanicus nur um die Person und die Familie des Segestes ging, der sich auf diese Weise vor aller Augen spektakulär und demonstrativ von Germanicus ins Imperium geleiten lassen wollte. Aber auch, dass Germanicus nicht gewillt war auf Angriff und offene Konfrontation umzuschalten um einen entscheidenden Schlag gegen das Gesamtaufgebot der Cherusker zu führen. Arminius erkannte darin auf Basis dieser Einschätzung ein strategisch unbedeutenden Randereignis dem er daher aus der Distanz heraus relativ gelassen zuschauen und somit darauf verzichten konnte militärische Vorkehrungen zu treffen. Auch für Germanicus lief es auf einen Abstecher ohne größere Konsequenzen und Komplikationen hinaus und er erwartete keine größere Auseinandersetzung. Man vermied aus taktischen Gründen beiderseits eine größere Konfrontation und konnte das Gesicht wahren. Aber man profitierte auch gegenseitig. Denn während sich Germanicus eines Cheruskerfürsten samt Familie bemächtigen konnte war Arminius eine unliebsame Klientel los, die ihm bei den zu erwartenden Kriegen nur hinderlich sein konnte. Ob Thusnelda für Arminius eine so gewichtige Rolle gespielt hat wie häufig angenommen wird, sei in diesem Zusammenhang einmal dahin gestellt sein. So erwähnte Tacitus die Kämpfe des Germanicus gegen die vermeintlichen Belagerer möglicherweise auch deswegen, um damit die Entscheidung von Germanicus etwas hervor zu heben und damit zu rechtfertigen Segestes zu Hilfe zu kommen, in dem er ihm noch eine unterschwellige Auseinandersetzung zubilligte. Denn sie besaß eher nicht den Charakter einer groß angelegten Befreiungsoffensive und erreichten auch nicht den Stellenwert einer größeren Schlacht. Aber Germanicus kämpfte gegen die Cherusker wo auch immer sie sich sie gestellt haben könnte und wie heftig er es auch immer tat, obwohl dies seiner ursprünglichen Absicht widersprach. Und ob diese Kämpfe vor der Segestes Burg oder schon 20 Kilometer davor ausgetragen wurden, könnte auch noch ein Spekuationsthema sein. Ob Germanicus genau wusste von Segestes residierte ist nicht bekannt. So begab er sich vermutlich unter der Führung von Gelände kundigen Cheruskern die in Begleitung von Segimund zu ihm kamen nach Norden in die Richtung der Burg des Segestes. Um ihn aus seiner scheinbaren Misere zu befreien durchquerte er von Süden aus kommend mit seinen Reiterschwadronen vermutlich nur jene Gaulandschaften die Segestes unterstanden. Territorien die eher nicht den Gaufürsten Segimer/Arminiusclan unterstanden. Der Segestes Fürstensitz dürfte sich in zentraler Lage innerhalb des großen cheruskischen Herrschaftsgebietes mit Tendenz zu den chattischen Hoheitsgebieten befunden haben. Denn es ließe sich annehmen, dass die bedeutsame Segestessippe dafür keinen Ort ausgewählt hat, der sich nahe an der Grenze zu einem welch auch immer anderen Volk befand. Ein theoretisches Verständnis dafür zu entwickeln das Volumen des gesamten Territoriums zu greifen in dem alle Cheruskerfürsten herrschten und denen ihre mehr oder weniger großen eigenen Hegemonien lagen, die sie verwalteten ist schwerlich möglich. Man vermutet ihr gesamtes Siedlungsgebiet, dass sich rechts und teilweise auch links der Weser erstreckte, im Norden an Hildesheim reichte, sich ins Nordharzvorland ausdehnte und an der heutigen hessischen Nordgrenze endete. Segestes und seinerzeit Segimer beherrschten vermutlich jene Regionen die für die Expansionsziele des Imperiums bedeutsam waren da sie sich an der Westostroute zur Elbe befanden, dem Hellwegskorridor und daher auf deren Zustimmung angewiesen waren. Gaulandschaften mit den für sie zuständigen Cheruskerfürsten die östlich oder nordöstlich von Einbeck lagen befanden sich noch außerhalb ihrer Interessenssphäre. Deswegen werden diese damals auch mit am Verhandlungstisch gesessen haben, als der römisch/cheruskische Teilbündnisvertrag geschlossen wurde. Denn es ist nicht überliefert, ob noch andere territorial lokalisierbare cheruskische Fürsten dabei anwesend waren. Denn gegen Rom hatte sich zu Zeiten der Varusschlacht offensichtlich nur der Teil der Cherusker zur Wehr gesetzt, der vom römischen Eroberungsbestreben unmittelbar betroffen war. Cherusker zwischen Goslar und Salzgitter verfolgten also möglicherweise in den Jahren 14 + und 15 + im Zusammenhang mit den Elbgermanen noch über andere Interessen und fühlten sich noch nicht zuständig und auch nicht bedroht. Was sich allerdings 16 + ändern sollte. Die von Segestes beherrschte Region könnte im Raum Solling/Leine gelegen haben und das räumliche Einschätzen der Distanzen gelingt noch am Ehesten auf Basis praktischer Annahmen wie etwa einer Tagesrittentfernung oder Leistung. Man geht davon aus, dass es zu Pferde möglich ist und das auch ohne Pferdewechsel bei einem normalen Reisetempo 5o bis 60 Kilometer am Tag zurück legen zu können. Von einem fiktiven Standort der Germanicus Armee im Raum Warburg an der Diemel bis ins vermeintliche Vogelbeck an der Leine liegen 65 Kilometer Luftlinie. Schnellen Rittes hätte Germanicus die Strecke in Form eines Husarenritts durch Cheruskergebiet also an einem guten Tag bewältigen können. Als ein Anhaltspunkt für den Zeitbedarf der Aktion könnte es ausreichend sein. Und die Zustimmung die Gaue bzw. Pagi von Segestes queren zu dürfen wird Segimund dem Feldherrn sicherlich zugesichert haben. Ausgehend vom späteren sächsischen Hessimgau nahe Warburg an der Diemel könnte er im Lochne Gau dem Gau an der oberen Leine den Machtbereich des Cheruskerfürsten Segestes betreten haben, zog durch den Morunga Gau und erreichte dann das mögliche Kerngebiet von Segestes mit seiner Burg „Vogelbeck“ im Sülberg Gau um Einbeck. Ein mittelalterlicher Gaubezirk der sich zwischen dem Solling und der Leine befand und an den sich westlich der Augau und der Nethegau anschlossen. Man nannte ihn auch Suilbergau und im ersten Jahrtausend Pagus Silbirgi. Und es war ein Gau der sich weder in Ost Falen noch in West Falen befand. Man könnte auch den Überraschungsmoment auf seiner Seite annehmen und Germanicus wollte sich auch nicht unnötig lange in der Region aufhalten. Denn auch wenn sich dort verstreut möglicherweise noch zahlreiche Arminen aufhielten dürfte man an einer schnellen Abwicklung der Überführung interessiert gewesen sein. Aber völlig kampflos lief die Befreiung von Segestes mit einer großen Zahl von Familienangehörigen und Germanen die noch zu Segestes hielten der Überlieferung nach bekanntlich nicht ab. Aber zu einem größeren Gefecht dürfte es nicht gekommen sein, denn dann hätte Tacitus vermutlich zu einem angemessenen Vokabular gegriffen. Arminius ließ Germanicus im Frühjahr 15 + noch schalten und walten und hielt sich zurück. Der Verlust seiner Frau war der Preis den die zurück haltende Strategie einforderte.(12.06.2020)

... link