Samstag, 1. August 2020
Segestes fürchtete sich in seiner Burg - aber mehr vor seinen Freunden......
....... als vor seinen Feinden. Und so galt seine Sorge auch eher den anrückenden römischen Legionen des Germanicus, als dass er eine Gefahr hinter den angeblichen cheruskischen Belagerern sah, die ihm nur als willkommener Vorwand dienten. Vieles könnte man Segestes vielleicht vorwerfen, soweit man sich einbildet seinen Charakter zu kennen, aber einen fehlenden Realitätssinn wird man ihm wohl nicht nachsagen können. Denn das Taktieren und Lavirieren zwischen und hinter den Fronten lag ihm wie man weiß und das musste in jenen Tagen auch eine der Grundvoraussetzungen dafür sein, um alt werden zu können. So setzten ihn seine Informanten auch schon frühzeitig über die wachsende militärische Bedrohung und die Gewalttaten der Legionen in Kenntnis, die sich an seiner Südgrenze ereigneten. Ihre Zielrichtung ließ sich nun nicht mehr verheimlichen, wodurch für ihn die Stunde der Entscheidung immer näher rückte. Es mögen sich in den Jahren Antipathien, Animositäten und Differenzen zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn aufgebaut haben und Segestes könnte sich Arminius gegenüber auch aus Gründen des Altersunterschiedes überlegen gefühlt haben, was insgesamt zur Rivalität beigetragen haben dürfte. Aber auch die möglicherweise freiwillige Anwesenheit von Thusnelda rechtfertigt in dieser brisanten Lage noch keine Belagerung, wenn römische Legionen schon vor der Haustür stehen. Sich aber Arminius zu beugen falls man ihn belagert haben sollte um dann für ihn in einer Schlacht gegen Rom zu sterben, zumal seine Pläne bereits weiter viel griffen war für Segestes keine Option. Und die Überlieferungen von Strabo und Tacitus untermauern diese Theorie auf die ich noch eingehen möchte. Er kannte alle Großen und Mächtigen seiner Zeit von Drusus über Tiberius bis Germanicus, möglicherweise auch Augustus, sowie Marbod und natürlich Varus und fasst alle germanischen Fürsten im Großraum, sowie zahlreiche römische Legionskommandeure persönlich. Das machte aus ihm einen nicht zu unterschätzenden und mit allen Wassern gewaschenen Stammenslenker heute würde man sagen Innenpolitiker. Aus der Tiefe der Vergangenheit wirkt er auf uns diplomatisch geschmeidiger, besaß weder die widerborstigen Gene eines Arminius und er war auch kein Hellseher, obwohl er Gefahren gut einschätzen konnte. Hätte er damals voraus sehen können, dass Arminius einmal als Sieger und wohl nicht nur „am grünen Tisch“ die Kriegsschauplätze des Jahres 16 + verlassen würde, so wäre manches anders gelaufen und der krönende Abschluss im Mai 17 + in Rom hätte vermutlich ohne Segestes statt gefunden. Aber in Germanien beherrschte im Frühjahr 15 + Pragmatismus und Überlebenswille sein Verhalten und vieles spricht für sein nüchternes Kalkül. So malte er die Zukunft was auch nicht verwundert, für Germanien in schwärzesten Farben. Er hatte sich bei den vielen politischen Verwerfungen seiner Zeit bislang seine relative Selbstständigkeit bewahren können, war vermutlich auch schon in die politischen Ränkespiele unter dem römischen Konsul Ahenobarbus 1 + verstrickt und wusste wann es Zeit war die Zeichen des Himmels richtig zu deuten. Denn nun bewegte sich die römische Front scheinbar unaufhaltsam wie eine Lawine auf ihn und sein Herrschaftsgebiet zu. Durch sie fühlte er sich nicht nur bedroht, sondern war es auch. Geostrategisch betrachtet sah er sich urplötzlich mitten im Zentrum imperialer Kriegspläne. Lagen doch die Ostgrenzen des römisches Reiches für ihn seit seiner Geburt, etwa um das Jahr 30 - immer am Rhein, so konnte er sich im Hinterland an der Leine über die Zeiten sicher fühlen. Die lange Anmarschstrecke die die Legionen durch die westfälische Bucht zu bewältigen hatten, die schroffe Egge, dann die Weser samt ihren Niederungen und der waldreiche Solling boten ihm Schutz. Und bei Bedrohung konnte er sich zur Not auch in den Harz mit seinen zahlreichen zerklüfteten Schluchten zurück ziehen, der nur nur 20 Kilometer von Vogelbeck entfernt begann. Als man Segestes mit dem römischen Bürgerrecht hofierte, anders ausgedrückt köderte waren die Zeiten andere. Da hatte die Varusschlacht noch nicht die Stimmung getrübt und die neuen Realitäten waren noch nicht absehbar. Aber nun ist Segestes schon lange, besser gesagt zu lange den Beweis schuldig geblieben mit dem er sich für die alte Ehrung hätte erkenntlich zeigen können. Sechs Jahre hätte er Zeit gehabt mit dem Imperium in Kontakt zu treten um alte Verbindungen aufzufrischen. Sein ängstlichen Verhalten spricht dafür, dass er es unterließ. Im Frühjahr 15 + konnte und musste daher auch Germanicus die einstige Würdigung als überholt betrachten und konnte sich sogar die Frage stellen, ob man sie ihm damals überhaupt zurecht zuteil werden ließ. Aber Germanicus kannte die Methode wie Rom sich seine Vasallen heran zog und wusste, dass man derartigen Auszeichnungen keine große Bedeutung beimessen brauchte. So könnte es nicht nur Germanicus gesehen haben und man sah in ihm mehr den Germanen als den „Halbrömer“. Als Römerfreund ist er soweit man es weiß, seitdem nicht mehr auffällig in Erscheinung getreten. Mit seiner Entscheidung das Lager zu wechseln hielt er sich lange zurück, was ihn verdächtig machte. Mit einer frühzeitigen Ergebenheitsadresse an Germanicus, hätte er das Blatt schon eher wenden können. Etwa zu dem Zeitpunkt als dieser mit seinen Legionen die Wetterau gerade hinter sich gelassen hatte. Folglich musste Germanicus in Segestes zunächst einmal den potenziellen Feind sehen und so hätte er ihn, der immerhin auch der Schwiegervater seines größten Widersachers Arminius war, wohl auch im Ernstfall behandelt, folglich schonungslos. Augenfällig war es schon, wie Segestes im Zuge seiner Reputationsrede die Gegenseite eindringlich daran erinnern musste, besser gesagt darauf pochte wie er doch immer treu und fest zu Rom gestanden hatte. Und dazu musste er sich 15 + auch die Mär von seiner an Varus ergangenen Warnung einfallen lassen, um sich seine letzten Chancen zu wahren. Mit dem unglaubwürdigen Status eines selbst ernannten Römerfreundes stand ihm nun bald ein kritischer Seiltanz in Form eines Kotau vor Germanicus bevor. Das war die Ausgangslage einer gänzlich neuen Situation, in der sich Segestes im Frühjahr 15 + wieder fand. Und damit ging eine bittere Erkenntnis einher. Denn nun lief er Gefahr sogar selbst und das noch dazu völlig ungewohnt von Süden her nicht nur bedroht, sondern auch bald angegriffen werden zu können. Segestes war noch ein junger Mann, aber wohl schon stolzer Vater als Drusus vermutlich über das zu seiner Zeit gegründete Höhenkastell Hedemünden zwischen 11 - und 9 - durch das Leinetal nach Norden zog um vielleicht in Wilkenburg die ersten römischen Spuren zu hinterlassen. Dabei kann einem Legionär möglicherweise die 1994 gefundene Bronzemünze des ersten Nemausustyps nahe der Vogelsburg aus der Tasche gefallen sein. Seitdem kam kein römischer Feldherr mehr aus dieser Richtung. Und selbst während des „Immensum Bellum“ der von 1 + bis 5 + andauerte gab es keine römischen Vorstöße aus dem Süden, was der aktuellen Lage eine deutlich kritischere Note verlieh, als alles bisherige. Segestes wurde nun verständlicherweise unruhig, denn er ahnte die Gefahr und so sah er sich gezwungen zu handeln, wollte er sich wieder schadlos halten. So bot ihm die von Strabo beschriebene „günstige Gelegenheit“ im letzten Moment den Anstoß, um den drohenden zukünftigen kriegerischen Auseinandersetzungen geschickt zu entrinnen. Damit gelang es Segestes noch rechtzeitig den schon auf ihn gerichteten römischen Spieß umzudrehen und er suchte nur noch nach einer geeigneten Brücke auf der es sich gut den heiklen Gang ins Imperium antreten ließ. Da passte das Kontingent der Cherusker, dass als Unterstützung der Chatten dienen sollte möglicherweise gut in sein Konzept und er gab diese Germanen als eine Gefahr für sein eigen Leib und Leben aus. Er machte aus ihnen Germanen, die ihn angeblich bedrohen würden, so dass sich auf dieser Basis ein Germanicus als willkommener Retter aufschwingen konnte und sein Ansinnen die Fronten zu wechseln wirkte vor diesem Hintergrund umso glaubhafter. Worauf ich aber noch näher eingehen möchte. Obwohl es vermutlich gar nicht die ureigene Aufgabe und Bestimmung der Cherusker war die Herausgabe von Thusnelda zu erkämpfen, denn sonst hätten sie dieses aufgrund der geschilderten Übermacht gegen die Verteidiger wohl auch geschafft. Diese Theorie soll mit eine Basis für die Überlegung bilden, dass Segestes weniger glaubwürdig als eigennützig handelte und daher sind auch seine angeblichen Warnungen an Varus mit der gebotenen historischen Vorsicht zu genießen. Träfe diese Hypothese zu, würde sich auch der Verlauf der Varusschlacht schärfer abzeichnen, denn dann hätte ein nicht gewarnter Varus seinen Marsch in den Untergang völlig blauäugig angetreten und konnte daher auch um so leichter bezwungen werden. Aber zur Stärkung dieser Hypothese möchte ich mich in den folgenden Kapiteln noch mit den abweichenden Äußerungen der anderen römischen Historiker näher auseinander setzen, die sich zu der Frage wie Varus gewarnt worden sein soll, ebenfalls geäußert haben. Die cheruskischen Krieger rotteten sich jedenfalls wie bereits in der Theorie dargestellt in der Region an der unteren Leine nur in der Absicht zusammen abzuwarten und möglicherweise auf Verstärkung zu hoffen, da man nun mit einem römischen Vorstoß in ihr Kernland rechnen musste. Segestes sah sich unverhofft im Brennpunkt der Geschehnisse und nutzte wie argumentiert diese Gemengelage aus um es Germanicus gegenüber wie eine Bedrohung aussehen zu lassen. Eine Gefahr für seine Person, die es aber de facto nicht gegeben haben muss. Denn die cheruskischen Kämpfer hatten es nach meinem Dafürhalten nicht auf ihn abgesehen, da man diese Kampftruppe für größere Aufgaben abkommandiert hatte, aber nicht um eine schwangere Frau zurück zu bringen. Aber man sollte den Faden auch in die Bereiche des Möglichen spannen. Also noch mal von vorne. Tacitus hatte folglich seine Quellen in dergestalt interpretiert, als ob eine Belagerung statt gefunden hat. Denn Segimund soll es gegenüber Germanicus bei dem Zusammentreffen so zum Ausdruck gebracht, also gesagt haben. Zeugen die diesen Gesprächsverlauf dokumentierten bzw. bestätigen könnten und die es sicherlich gegeben haben dürfte, kennen wir nicht. Und selbst wenn es damals von Anwesenden römischen Kommandeuren aus dem Stab des Germanicus so protokolliert worden wäre, wir hätten nie erfahren, ob Segimund die Wahrheit sagte, oder ob er nur der Anweisung seines Vaters blindlings folge leistete. Und selbst das ist infrage zu stellen, denn es besteht auch die Möglichkeit, dass es Segimund gar nicht sagte und es nur die Protokollanten überlieferten um die Handlungsweise von Germanicus der Nachwelt gegenüber angemessener begründen zu können. Nach der Devise „Traue keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast“, könnte man abgewandelt sagen „Traue keinem antiken Historiker, gleich ob er dabei oder nicht dabei war“. Aber verlassen wir uns nun im Rahmen dieser Theorie darauf, dass Segestes nicht geflunkert hat, seine Burg tatsächlich belagert wurde und Segimund es korrekt Germanicus berichtete. Aber Segimund sprach auch von einer Übermacht. Und da wird man schon nachdenklich und gerät ins Grübeln, denn was wollte man oder er in diesem Zusammenhang mit „Übermacht“ zum Ausdruck bringen. Vermutlich wollte Segestes über seinen Sohn Druck auf Germanicus ausüben, dass dieser nicht lange nachdenken und sich schleunigst auf den Weg machen sollte, bevor es zu spät sein könnte. Germanicus folgte bekanntlich der Bitte und ritt zur Burg des Segestes um ihn zu befreien. Er tat es allerdings ohne Segimund, denn den hatte man schon mal als Geisel zurück gehalten. Dann kam es also zu einer Auseinandersetzung zwischen Germanicus und den belagernden Cheruskern im Umfeld der Burg. Nun sollte man sich die Belagerung die im Zuge dieses Exkurses als glaubhaft eingestuft wird, näher betrachten. Dazu muss man aber zunächst in die Vorgeschichte zurück greifen. Vergegenwärtigt man sich die Lage in der Burg des Segestes die von einer Übermacht an cheruskischen Kämpfern umringt war, so müsste es in diesen Stunden ziemlich spannungsgeladen und turbulent zugegangen sein. Vor den Wällen möglicherweise eine dicht gedrängte grölende Menschenmasse, die gerade mit dem Versuch beschäftigt war sich ins Innere der Burg vorzukämpfen, aber von den Verteidigern noch gerade zurück gedrängt werden konnte. Oder wie sollte man es sich vorstellen ? Eine Belagerung entsteht nicht aus dem Nichts heraus und bahnt sich an. Es könnten untätige Cherusker mit oder ohne Auftrag von Arminius gewesen sein, die nun über die Stränge schlugen und die Phase im Raum Einbeck inne halten zu müssen nutzen wollten um Thusnelda der Obhut ihres Vaters zu entreißen. Und natürlich hätte er seine Tochter auch ohne Gegenwehr übergeben können, aber er handelte wohl eher nach dem Motto „Nur über meine Leiche“. Segestes und seine Männer beobachteten von der Wallkrone aus, dass sich der Belagerungsring um sie immer enger zog. So beriet er sich im engsten Kreis seiner Sippe und man entschied sich Segimund zu Germanicus zu senden um ihn um Hilfe zu Bitten. Aber von diesem Augenblick an reden wir über ein sehr schmales Zeitfenster und das immer unter der Prämisse betrachtet, dass es diese Belagerung tatsächlich gegeben hat. Dieser Hypothese nach hatte Segestes seinen Fürstensitz auf der Vogelsburg bei Vogelbeck, aber wir kennen nicht die Struktur und die Verteidigungsfähigkeit dieser prähistorischen Anlage in den ersten Jahrzehnten nach der Zeitenwende, zumal sie in den folgenden Jahrhunderten zahlreiche Umbauten erfahren haben dürfte. Fliehburgen in Höhenlagen in denen die Gaufürsten ihren Sitz hatten orientierten sich in der Bauweise an den von der Geologie vorgegebenen Strukturen. Die Vogelsburg gehört nach Ansicht von Dr. Geschwendt zu den eindrucksvollsten Anlagen aus frühgeschichtlicher Zeit in Niedersachsen. Die baulichen Reste befinden sich auf einer 262 Meter hoch gelegenen Bergkuppe am östlichen Leineufer und ihre ersten Bauspuren sollen mindestens in die Phase zwischen 150 – bis 0 -/+ zurück reichen, während Keramikfunde noch weit aus älter sind. Der Hauptzugang in die Doppelwallanlage befand sich im Nordosten, wo er auch stärker gesichert war. Um den Moment des Verlassen der Reiterschar um Segimund rekonstruieren zu können kommt der Frage eine Bedeutung zu, ob die Delegation dabei von den Belagerern beobachtet wurde, oder ob es ihnen gelang unbemerkt in Richtung Germanicus aufzubrechen. Man darf nun rätseln wie die Reiterschar um Segimund die Bergfestung verlassen hat. Waren die Hänge zur Kuppe baumfrei, dann ließ sich die Wallburg von allen Seiten kontrollieren. Benutzte man dafür den Hauptzugang musste man durch die Reihen der Belagerer. War der Anstieg zum Fürstensitz mit Bäumen bestanden und gab es Notausgänge und versteckte Fluchtwege so war es für Berittene riskant die Wälle auf derartigen Pfaden zu verlassen. Es bei Dunkelheit zu wagen ein Pferd zu besteigen um dann schnellen Rittes ein Ziel zu erreichen ist riskant. Und auch wenn Pferde bei Dunkelheit besser sehen als Menschen dürfte ein Nachtritt wenn nicht Selbstmord, so zumindest ein Wagnis gewesen sein. Man könnte also davon ausgehen, dass keine Geheimhaltung möglich war und die Entsendung einer Delegation an Germanicus nicht ohne Wissen der Belagerer statt gefunden hat. Und ab diesem Moment tickte die Uhr und das sowohl für die Eingeschlossenen, als auch für die Belagerer. Denn beide Parteien standen nun vor der Frage wieviel Zeit diese Aktion kosten würde. Die Reiterschar musste eine Wegstrecke unbekannter Distanz zurück legen. Sie musste Germanicus finden und es waren zudem noch überzeugende Gespräche mit ihm zu führen. Germanicus musste dann entscheiden, sich vielleicht auch mit Caecina absprechen um dann nach Norden aufzubrechen. Hier stößt man aber noch unzweifelhaft auf eine gewisse Unlogik. Dadurch, dass Segimund eine Schilderung lieferte, mit der er eine germanische Übermacht zum Ausdruck brachte und die Lage auf Messers spitze stand war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Germanicus umsonst zur Burg des Segestes aufbrach. Denn er hätte bei seiner Ankunft nur noch auf die rauchenden Trümmer einer einstiges Segestesburg blicken können, aus der die Arminen bereits alle Bewohner nach Norden abgeführt hatten. Das Germanicus trotzdem aufbrach ist bemerkenswert und erweckt daher eher den Anschein einer Machtdemonstration mit ungewissem Ausgang oder den Willen einen Kampf riskieren zu wollen. Es lässt aber auch Zweifel an der geschilderten Übermacht der Arminen zu. Aber zurück zur vermeindlichen Realität. Unter günstigen Bedingungen ließe sich also für Hin- und Rückritt ein Zeitfenster von drei Tagen öffnen. Das bedeutet, die Eingeschlossenen mussten drei Tage durchhalten und die Belagerer hatten drei Tage Zeit um die Belagerung erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Es standen sich nun eine Verteidigerschar in einer möglicherweise gut befestigten Wallanlage und eine Übermacht cheruskischer Belagerer gegenüber. Schenken wir Tacitus glauben und tragen wir einer wahrheitsgetreuen Darstellung Rechnung, dann hingen die Tage an der Vogelbecker Vogelsburg an einem seidenen Faden. Wen konnte Segestes aufbieten der ihm bis zuletzt die Treue hielt und der vor allen Dingen sein Leben für Thusnelda auf`s Spiel setzten wollte. Hinzu kam noch, dass er nun auch noch auf die Kämpfer verzichten musste, die mit Segimund zu Germancius unterwegs waren. Auf wie viel Cherusker konnte sich Segestes überhaupt stützen die bereit waren mit ihm die Burg verteidigen zu wollen. Männer auf die später gemeinsam mit Segestes ein Übertritt ins Imperium folgte. Aber Männer über die uns Strabo nichts berichten konnte und wollte, denn seine Aufzählung im Rahmen des Triumphzuges 17 + umfasst keine einfachen namenlosen germanischen Mitstreiter von Segestes die dann mit ihm auf der Tribüne in Rom platz nehmen durften. Männer die noch zwei Jahre zuvor mit ihm gemeinsam die Burg gegen die Arminen verteidigt hatten. So spricht es für eine überschaubare Schar an Cheruskern, die sich da zur Wehr setzte und es unterstreicht die Strategie des Segestes die Belagerung nur vorgetäuscht zu haben um sich auf diese Weise eine goldene Brücke zu Germanicus aufbauen zu können. Allemal eine Episode mit vielen Fragezeichen. Man sollte annehmen die Belagerer, zumal sie als Übermacht dargestellt wurden, hätten die wenigen Tage genutzt um alles auf eine Karte zu setzen. Sollte es also tatsächlich Aufgabe und Auftrag dieser historisch überlieferten „Übermacht“ an arminiustreuen Germanen gewesen sein Thusnelda zu befreien, so gelang es ihnen letztlich nicht die Burg des Segestes in der verbleibenden Zeit sozusagen im Sturmangriff in Besitz zu nehmen, denn Segestes konnte schließlich befreit werden. Werfen wir nochmal einen Blick auf die Methodik einer Belagerung. Wie hätte man sie sich überhaupt vorzustellen. War es eine dichte und undurchdringliche Kette die Segestes mit seinen Männern nicht hätte durchbrechen können, da sich unter den Belagerern auch noch zusätzlich seine eigenen Männer befunden haben sollen. Denn der Hinweis, dass sich auch seine eigenen Stammensgenossen unter den Belagerer befanden lässt aufhorchen. Denn dies kann man den taciteischen Worten „adversus vim popularium“ entnehmen. In deutscher Sprache bedeutet es etwa er wurde „Volk“ belagert bzw. von „dem Volk zugehörigen“ belagert. Und ein Volk ist gemischt und setzt sich aus der Gesamtheit aller Stammesgruppen der Cherusker zusammen. Und so könnte man darunter auch Männer verstehen die zum Segestesclan gehörten. Sein eigener Stamm war also geteilt in Freund und Feind, folglich stand nicht sein gesamter Stamm geschlossen hinter ihm und verteidigte mit ihm seinen Fürstensitz. Und das dem so sein könnte, ist auch nicht aus der Luft gegriffen, denn dies belegt eine Übersetzung aus der sich der Hinweis auf die Anziehungskraft und das Talent eines erfolgreichen, rhetorisch fähigen und taktisch klug agierenden Mannes wie Arminius heraus lesen lässt, der sie alle faszinierte und auch die Kämpfer aus dem Segestesclan magisch mit anzog. Wer sich der Aura von Arminius entziehen konnte blieb bei Segestes, aber es deutet darauf hin, dass ihm da nicht viele Männer gefolgt sein dürften. Um seine Verteidigungsfähigkeit war es also nicht zum Besten bestellt. Aushungern wollte man Segestes wegen seiner Tochter sicherlich auch nicht, aber man sollte auch die Fortifikation frühgermanischer Wallburgen nicht unterschätzen. So stellt man sich dennoch die Frage wie ernsthaft man diese Belagerung einstufen soll, wenn sie unter diesen Voraussetzungen nicht gelang. Entweder war die Übermacht doch nicht so groß wie Segestes über seinen Sohn verlauten ließ bzw. Tacitus es darstellte, oder die Burg war wie dargestellt sehr gut zu verteidigen, bzw. man ging nur halbherzig ans Werk. Und dann geschah das Seltsame. Denn Segestes entschied sich für die heikle Vorgehensweise Germanicus sozusagen über die Köpfe der feindlichen Belagerer hinweg direkt aufsuchen zu lassen um ihm sein Anerbitten mitzuteilen. Und in dieser Form der Kontaktaufnahme zwischen ihm und Germanicus muss man sicherlich mehr ein gewagtes Unternehmen sehen vielleicht sah er darin auch seine letzte Chance und es war alles andere als ein gut durchdachtes Manöver. Aber es weist trotzdem auf einen abgebrühten Schachzug des Taktikers Segestes hin auch in dieser schwierigen Lage noch nicht aufzugeben. Oder den Mut der Verzweiflung die Gunst der Stunde verpassen zu können. Auf Segimund und die anderen, die den Auftrag von Segestes auszuführen hatten wird es wie ein Himmelfahrtskommando gewirkt haben. Denn ein Ritt zu Germanicus hätte für sie im ungünstigen Fall auch in der römischen Gefangenschaft enden können. Denn letztlich war ihnen bewusst, dass sie auch als Geisel dienten, wenn etwas Unvorhergesehene eintreffen könnte bzw. Segestes vielleicht sogar Arglistiges im Schilde führte. Germanicus hat, wie es überliefert ist seine Entscheidung gut abgewogen. Und dazu gehörte eine realistische Einschätzung der Lage. Wie also könnte sich Germanicus außer der Geiselnahme noch abgesichert haben bevor er ins Lager des Segestes aufbrach. Zweifellos war Caecina nicht mehr weit und der Korridor zur Segestesburg berührte auch keine Gaue bzw. kein Stammesgebiet der Arminen konnte also nicht als Provokation aufgefasst werden. Und während Germanicus vermutlich noch zögerte und grübelte, musste Segimund etwas nachhelfen und tischte ihm die Belagerungszenerie auf. Dadurch war Segimund aber auch gezwungen ihm klare Angaben darüber zu machen mit welchen germanischen Kräften aus der Arminius Sippe Germanicus im Umfeld der Segestesburg zu rechnen hatte. Denn davon hing jetzt ab, wie viel Männer Germanicus mitnehmen musste um in keinen Hinterhalt zu geraten. Allerdings lässt sich der Übersetzung der Hinweis entnehmen, dass er seinen ganzen Heereszug drehen ließ. Segimund berichtete ihm wie befohlen, schätzte die Anzahl als überschaubar ein, musste aber das Risiko abgeschwächt darstellen. Denn andernfalls hätte Germanicus möglicherweise auf diese Stippvisite völlig verzichtet, denn in eine ungeplante Schlacht wollte er sich nicht verwickeln lassen. Schließlich hatte er sich schon bevor Segimund kam abgesetzt und seine Pläne die Cherusker im Alleingang von Süden aus anzugreifen, also ohne Caecina hinzu zu ziehen, bereits aufgegeben. Germanicus könnte für die Aktion auch auf genügend schnelle berittene Einheiten zurück gegriffen haben, unter denen sich kampfbereite Männer befanden die im Ernstfall auch schlagkräftig genug waren mit kleineren cheruskischen Ansammlungen fertig zu werden und keine Fusslegionäre die zu unflexibel und deren Anmarsch zu zeitraubend gewesen wäre, wogegen aber die Überlieferung spricht. Und über allem schwebt die Frage, ob das cheruskische Kontingent, dass man als Übermacht darstellte nicht auch für Germanicus ein Wagnis hätte bedeuten können. Segimund gelang es jedenfalls einen überzeugenden Auftritt hinzulegen und das Ansinnen seines Vaters geschickt vorzutragen, denn Germanicus reagierte wie erhofft und ließ seine Kräfte nach Nordosten zurück reiten bzw. marschieren. Bei einem Marsch ist allerdings davon auszugehen, dass die römische Entsatz Armee wohl mehr als drei Tage dafür benötigt hätte. Germanicus muss also die Risiken gut abgewogen und sie zu seinen Gunsten ausgelegt haben, sonst hätte Segestes vergeblich auf seine Befreiung bzw. seinen Seitenwechsel gewartet. Am 26.5.0017 durfte Segestes aber dann dank Germanicus in Rom doch noch seinen großen Tag erleben, aber über seinen weiteren Werdegang schweigt die Historie bis auf den kleinen Hinweis, dass man ihn in Gallien untergebracht haben könnte. Segimund überbrachte im Beisein der Gesandten brav die Botschaft seines Vaters an Germanicus. Und dieser erfuhr möglicherweise auch erst in diesem Moment etwas über die Existenz einer Schar kampfbereiter Cherusker die an der oberen Leine standen und auch davon, dass sich Segestes mit einem kleinen Teil der Cherusker vom Gesamtstamm abspalten wollte. Informationen über die er vorher keine Kenntnis besaß. Diese Erklärung würde zweifellos einer bislang geltenden historischen Auffassung entgegen stehen. Nämlich der, dass Germanicus seinen Frühjahrszug 15 + nur deswegen antrat, da er von den Stammeskonflikten zwischen den Cheruskerfürsten schon in seinem Mainzer Kastell Kenntnis hatte und davon profitieren bzw. deswegen den Zwist für sich nutzen wollte. (01.08.2020)

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Mittwoch, 15. Juli 2020
Arminius musste im Frühjahr 15 + mit einem Zweifrontenkrieg rechnen
Und nicht nur das. Er hatte auch noch in seinen Reihen den berüchtigten „unsicheren Kantonisten“, also den Mann auf den man sich nicht verlassen konnte und dem die Lage in seiner Burg langsam zu heiß wurde. Diese vor Nebulösität triefenden Wochen im Frühjahr 15 + stellen neben der Varusschlacht eines der elektrisierendsten Kapitel der Varusforschung dar und verdienen es sich ihnen in umfänglicher Hinsicht zu widmen. Folglich wieder alle Möglichkeiten auszuschöpfen und nach Erklärungen für längst vergangene Abläufe zu fahnden. Nicht nur das Jahr 1989 brachte eine Wende. Auch für das Jahr 9 + , dass 1980 Jahre früher statt fand, darf man das Wort Wendejahr ruhigen Gewissens anwenden. Und die damaligen Geschehnisse trugen sogar noch ein großes Stück weiter als das uns allen geläufigere Jahr 1989. Die Varusschlacht wurde bekanntlich nicht nur zum Auslöser der kriegerischen Epoche zwischen den Jahren 14 + und 16 + und hinterließ uns viel Rätselhaftes. Sie weckte auch den germanischen Widerstand auf Nachhaltigste und beschleunigte den Zusammenschluss der Stämme zu Völkern. Oftmals stoßen wir bei der Aufarbeitung dieser Kernphase auch auf direkte Bezüge mit denen sich Verbindungen zur Varusschlacht herstellen lassen. Schlussfolgerungen, die auch ein Lokalisieren ermöglichen und unser Bild komplettieren helfen. Manchmal verbergen sich kleine Hinweise hinter unscheinbaren Nebensätzen und kurzen Bemerkungen, aber am Ende bleiben uns dann doch die alten Geschichtsschreiber eine zielgenaue Antwort schuldig. Aber für das Frühjahr 15 + ist uns Segestes zu einem wichtigen Gewährsmann und Meilenstein der Forschung geworden, dessen letzter Weg ihn im Mai 17 + durch Rom führte und den uns Strabo als ein Zeuge des Geschehens, vermutlich im Folgejahr 18 + beschrieb. Im Frühjahr 15 + zogen Germanicus und Caecina mit dem Ziel Arminius zu stellen erneut in die besser gesagt durch die Stammesgebiete der Feinde von einst. Den Chatten und Marsern. Die Legionen der römischen Feldherren belauerten förmlich ihren Erzgegner und näherten sich scheinbar unaufhörlich den Grenzen seiner Herrschaft. Und wo diese Stämme zu ihren Gegnern wurden, da lag auch das Zentrum der Varusschlacht nicht fern. So umkreisten ihre Operationsgebiete in dieser Zeit zwangsläufig auch wieder jene fiktive Konzentrationszone auf die sich sechs Jahre zuvor die Endkämpfe mit den Resten der Varuslegionen konzentrierten. Ein Zufall scheint wohl ausgeschlossen, dass sich beide römischen Feldherren wieder genau dort aufhielten, wo alles seinen Anfang nahm und genau dort musste Germanicus auch wieder die Fährte seines größten Widersachers aufnehmen. So war der Verlust der Varus Legionen immer noch Antriebsfeder genug um auch nach 14 + wieder genau diese Region anzusteuern um dort die Entscheidung zu suchen und möglicherweise wäre es im Frühjahr 15 + bereits zu besagter Machtprobe gegen die Cherusker gekommen. Denn Germanicus war schon auf dem Weg zu Caecina um mit ihm gemeinsam einen Keil über die Weser zu schlagen, wenn nicht wie aus heiterem Himmel die Reiterschar um Segimund die Pläne von Germanicus durchkreuzt hätten. So könnte man sogar annehmen, dass mit dem Wissen von Segestes die Pläne und Ambitionen von Germanicus beeinflusst, in eine andere Richtung und letztendlich auch gebremst worden sein könnten, sodass er den möglicherweise schon gemeinsam mit Caecina gefassten Beschluss eines Frontangriff durch den Nethegau und die Weser unterließ bzw. verschob. Was in diesem Zusammenhang auffällt und worauf uns ebenfalls die historische Antwort fehlt, ist die Frage, ob sich nur die hohe Fürstenfamilie des Segestes und eine große Anzahl seiner Anhänger zu Germanicus begab, oder ob auch einfache Krieger und Leute aus seinem Stamm mit ihm die Chance bekamen, die Seite wechselten. Brachte sich da nur die Führungsschicht noch rechtzeitig vor dem großen Kräftemessen in Sicherheit oder durfte sich auch der einfache Krieger der Segestes Sippe anschließen, wenn er es gewollt hätte oder hätte ihm dann römischerseits die Sklaverei gedroht. Der Auflistung nach zu urteilen, die uns Strabo vom Triumphzug hinterließ macht es den Eindruck, als ob es nur ein erlauchter Kreis war, der sich damals absetzen konnte bzw. durfte. Es ist zwar bei Strabo von Gefangenen die Rede aber nicht von Untertanen des Segestes. So würde es ein völlig anderes Licht auf die Ereignisse werfen, wenn Segestes tatsächlich nur mit den wenigen Personen der ihm Nahestehenden geflüchtet sein sollte, deren Namen man dank Strabo kennt. Somit wird aber erneut ein Überlieferungsdissens augenfällig. Denn bei den bekannten Namen muss es sich nicht unbedingt um alle Personen gehandelt haben, die mit Segestes und Germanicus zwei Jahre zuvor den Herrschaftssitzes des Germanen verließen. Aber Tacitus berichtet uns dazu in seinem Jahresbuch 1.57 (3) noch Genaueres. Denn nach ihm soll es sich um eine „große Anzahl“ von Personen gehandelt haben, die von Segestes abhängig waren und die dann Germanicus rettete oder abführte, ganz so wie man es lesen möchte. Während uns aber Strabo nur eine Handvoll Germanen namentlich aufzählte, die in Rom beim Triumphzug auf der Empore anwesend waren. Und man darf wohl davon ausgehen, dass sich unter den in Rom in Fesseln vorgeführten Germanen nicht jene befanden, die Germanicus zwei Jahre zuvor im vermeindlichen Vogelbeck rettete und die mit Segestes die Seite gewechselt hatten. Sicherlich verließen damals nur hoch gestellte Personen um Segestes ihr Land die in Ihrer Heimat für sich keine Zukunft mehr sahen und befürchteten, dass ihnen an der Leine keine ruhigen Jahre mehr vergönnt waren. Denn wer bleiben wollte der hatte genug Möglichkeiten und nicht nur bei Nacht und Nebel ins Lager des Arminius überzuwechseln. Was natürlich nicht für die Tochter von Segestes galt. Der einfache Stammeskrieger oder Bürger im damaligen Sinne, wird jedenfalls nicht darunter gewesen sein. So deutet alles darauf hin, dass Segestes damals mit seiner Entscheidung die Zustimmung seines gesamten Stammes verloren hatte, als er sich mit seinen „Clientium manu“ wie sie Tacitus nannte zum Übertritt entschied. Tacitus hatte es richtig beschrieben aber auch hier verwendete er wieder eine bzw. seine ihm eigene und kommentierende Wortwahl in Ergänzung und besserer Vollendung dessen was vor ihm schon Strabo schrieb. Denn während Strabo sich mit der Nennung der Namen begnügte, erweiterte es Tacitus und machte daraus die „Clientium manu“. Tacitus rekapitulierte selbstständig und kam zu dem Ergebnis, dass sie doch letztlich alle auf Segestes angewiesen waren, machte aus dem von Strabo erwähnten Personenkreis gleich eine große Anzahl und half damit etwas nach die Worte von Strabo zu verstehen und argumentiert es auch plausibel. Was aber wieder augenscheinlich wird, ist sein Interpretationsbedürfnis auf Basis dessen was ihm vorlag. Aber außer dem was ihm von Strabo vorlag hatte er wohl nichts mehr in der Hand was er hätte kommentieren können, denn es war in der Summe recht mager. Denn Strabo sagte nichts von abhängigen Personen dafür erwähnte aber Strabo die zahlreichen gefangenen Germanen die im Triumphzug und das gegen ihren Willen vorgeführt wurden. Diese Leidtragenden wurde von Tacitus nicht erwähnt auf sie verzichtete er, denn es waren die üblichen Kolateralereignisse und Nebensächlichkeiten einer Krieg führenden Nation. So bleibt uns auch hier die Feststellung und verschafft uns eine relative Gewissheit, dass Tacitus auch dieses Wissen erneut nur den Hinterlassenschaften seines Vorgängers und Zeitgenossen der damaligen Ereignisse nämlich Strabo entnehmen konnte. Und er ergänzte es genauso, wie das von Segestes später in Rom Gesagte wie man annehmen kann und übernahm es als glaubwürdig und unstrittig in seine Jahrbücher weil es ihm plausibel erschien und er es nicht mehr hinterfragen konnte. Tacitus hätte aber gut daran getan in Segestes weniger einen gewissenhaften und glaubwürdigen Informanten und Berichterstatter zu sehen, als einen Menschen, der völlig andere Pläne verfolgte und es in seiner Lage auch musste. Ein Germane dem in dieser Situation alles wichtiger war, nur nicht die Wahrheit. Aber damit nicht genug. Denn nun ließe sich schlussfolgern, dass es dem in der Heimat verbliebenen Segestes Clan und seinem Stamm auch Recht gewesen sein könnte, wenn ihr Fürst seinen Stammsitz verließ und man ihn auch nicht mehr halten wollte. Ungeachtet dessen, dürfte die Nachricht von der Flucht des Segestes samt seines Husarenstücks auch noch einen römischen Feldherrn mit eingebunden zu haben in der Großregion wie eine Bombe eingeschlagen haben. Vermutlich übernahm danach kurzzeitig sein Bruder Segimer seine Funktion, bevor sich dieser im Zuge des Sommerfeldzuges 15 + ebenfalls Rom unter Mitwirkung und Mithilfe von Lucius Stertinius auslieferte. So lässt sich den wenigen Worten von Tacitus vieles entnehmen, was sich in nur wenigen Tagen, Wochen oder Monaten in jener Zeit in Germanien zutrug. Wüssten wir alles, wir würden wohl staunen, welche Fülle an Nachrichten damals das Land bewegten. Neuigkeiten die unsere heutigen Medien dazu nutzen würden Sondersendungen am laufenden Band zu produzieren. Die zwiespältige Gesinnung von Segestes war in Germanien hinreichend bekannt und man könnte Angesichts der herauf ziehenden Gefahren froh gewesen sein, einen Quertreiber wie er es war, weniger in den eigenen Reihen zu haben. Man legte ihm also keine Knüppel in den Weg, als er in Begleitung von Germanicus seine Burg verließ. Nach seinem Weggang und dem Abgang seines Bruders wird es keine anderen höher Dekorierten mehr an der oberen Leine gegeben haben die Anspruch auf seine Herrschaft erhoben hätten, sodass Arminius die Gaue von Segestes in seinen Machtbereich integriert haben dürfte. Derartige Fragen werden seltener gestellt, gehören aber genauso in den Kontext, wie die Frage warum Germanicus nicht schon im Frühjahr 15 + die Knochen der Varusarmee bestattete, wo er doch unweit des „Teutoburgiensi Saltu“ agierte aber eben nicht nördlich besagter Stätte des Grauens wie im Sommer 15 + sondern südlich davon. Aber auch dafür könnte es Erklärungen geben.

Variante 1.)

Germanicus kam im Frühjahr 15 + auf dem Weg zu Caecina nicht bis in die Nähe der Region in der sich der letzte Marschtag des Varus und seine Selbsttötung vollzog, da er vorher von Segimund abgefangen bzw. umgelenkt wurde. Die verbleibende Entfernung war also noch zu groß, so dass sich daraus für ihn nicht die sprichwörtlich günstige „Strabo“ Gelegenheit bot, die er hätte nutzen können. Was auch mehr für ein Zusammentreffen zwischen Germanicus und Segimund im Raum Oberelsungen oder sogar weiter südlich sprechen könnte, von wo aus der „Teutoburgiensi Saltu“ noch etwa 27 Kilometer Luftlinie entfernt liegt. Germanicus hätte dann von dort aus seinen Kurs über Hedemünden in Richtung Leinetal verändert und Segimund hätte dann bis zu Germanicus 66 Kilometer zurück legen müssen um ihn zu erreichen. Für Berittene keine große Anstrengung zumal man direkte Wege nutzen konnte und auf kein Straßennetz angewiesen war.

Variante 2.)

Der Besuch der „Varus Walstatt“ fand letztlich im Sommer 15 + statt, als sich Germanicus zwischen Ems und Lippe bei den äußersten Brukterern aufhielt, die man den Schilderungen nach im Raum Schwaney verorten kann. Bis zum „Teutoburgiensi Saltu“ wären es von dort 18 Kilometer gewesen, was wiederum gegenüber „Oberelsungen“ ein kurz entschlossenes Aufsuchen der „Varusgedenkstätte“ zusätzlich vereinfacht hat.

Variante 3.)

Des Weiteren kann man auch davon ausgehen, dass Germanicus im Frühjahr 15 + nicht zum Saltus ritt, da er unter seinen Legionären die in Mainz stationiert waren keine Ortskundigen hatte die wussten, wo sich die Kämpfe mit Varus damals zugetragen hatten. Denn er selbst wusste nicht wo er die Stätten hätte finden sollte.

Variante 4.)

Sollte Germanicus jedoch Ortskundige in seinen Reihen gehabt haben, die damals auch noch selbst an den Kämpfen beteiligt waren, so konnten diese den Weg von Süden aus nicht beschreiben. Denn aus der Richtung Brakel kommend aus der sich damals der Varusszug nach Süden bewegte wirkt di Landschaft unkenntlicher. Ihre Erinnerung daran war folglich eine andere, denn ihr Fluchtweg dürfte sie damals nach Westen oder Norden geführt haben und nicht nach Süden. Nun standen sie aber südlich der Diemel. Um die Wegeführungen nach sechs Jahren wieder zu finden oder noch mühsam zu rekonstruieren war im Frühjahr 15 + zudem die Zeit nicht reif und es war wohl auch kein Legionär daran interessiert Germanicus im Frühjahr 15 + auf eine moralische Bestattungspflicht hinzuweisen.

Variante 5.)

Im weiteren Verlauf mit Segestes plus Anhang in seiner Mitte dürfte Germanicus zudem nicht der Sinn danach gestanden haben noch bei Varus vorbei zu schauen. Die Route die er mit Segestes zum Rhein einschlug und bei der er sich von der Leine kommend an der Diemel orientiert haben könnte, führte ihn schon recht nahe an die südlich Ausläufer der Egge heran, möglicherweise bei Scherfede, von wo aus er auch einen freien Blick auf einen 415 Meter hohen Berg hatte, der (noch) heute den Namen "Varenberg" trägt, wann auch immer man ihn so benannt hatte.

Somit gäbe es wie dargestellt eine Reihe von Erklärungen vorzubringen, warum Germanicus nicht schon im Frühjahr 15 + die Knochen der Varusarmee bestatten wollte oder konnte. Überlegungen die für die Lokalisierung der Schlachtenschauplätze dienlich sein könnten. Denn sie schließen nicht aus und unterstreichen die Wahrscheinlichkeit bzw. offenbaren im Hintergrund die Möglichkeit, dass sich Germanicus trotz der Tatsache sich im Frühjahr 15 + nicht der Knochenbestattung gewidmet zu haben und die räumliche Nähe dazu auch keine Erwähnung fand, sich doch nahe den „Theudoburgen“ am Saltus dem Osenegger Schliefen aufgehalten haben könnte. Aber es sind Fragestellungen die nie beantwortet werden können, so dass jegliche Schlussfolgerungen die wir ziehen auf Indizien und Mutmaßungen beruhen muss. Es verdeutlicht uns aber wie umfangreich unser Nichtwissen ist, was sich nur mit Spekulationen füllen lässt. Die Alternative dazu kennen wir und sie ist die triste Feststellung unser Unwissen letztlich akzeptieren zu müssen. Der Theorie Raum zu geben wie sich die Cherusker verhalten hätten, wenn die Marser im Frühjahr 15 + gegen Caecina erfolgreich gewesen wären ist müßig und würde nur die Phantasie strapazieren. Nachdem sich Germanicus und Caecina im Frühjahr 15 + mit Segestes und Sippe ohne einen Angriff auf die Cherusker durchgeführt zu haben an den Rhein zurück zogen hielten es die Cherusker letztlich für ratsamer in ihren sicheren Stammesgebieten zu verbleiben, was sie aber möglicherweise im Falle eines Sieges der Marser auch getan hätten. Das gewohnte Nachkarten hätte gleich wie die Schlacht ausgegangen wäre, den Germanen üblicherweise gut zu Gesicht gestanden, fand aber im Frühjahr 15 + (noch) nicht statt. Aber zurück zu den Ereignissen in der Phase als Germanicus in in die nordhessischen Chattenkämpfe verstrickt war. Das zur Unterstützung der Chatten vorgesehene cheruskische Kontingent setzte also aufgrund der unklaren Gefechtslage seinen weiteren Marsch nach Süden lt. Tacitus nicht mehr fort, Germanicus könnte aber gleichzeitig seine Aufgabe in Nordhessen auch als erfüllt betrachtet haben, verließ die Region und plante mit Caecina nun einen von westlicher Seite denkbaren konzertierten Vorstoß gegen die Cherusker. Man könnte den Versuch machen auf die Region einen optischen Lichtkegel fallen zu lassen um sich die Lage bewusster zu machen. Oben rechts im Feld eine Zusammenballung unschlüssiger cheruskischer Kräfte bei Vogelbeck an der Leine, südlich davon Germanicus bereits in der Marschbewegung befindlich und sich auf die Diemel zu bewegend und Caecina am westlichen Rand noch mal mit einem blauen Auge davon gekommen irgendwo mittig zwischen Paderborn und Bredelar stehend. Caecina stand also in jenem Raum von wo aus er Tacitus zufolge den Cheruskern den Rückweg hätte abschneiden können und man sie gegen Germanicus gedrückt hätte. Und daraus resultierend hätten wir es nun mit einer untätig gewordenen Schar Germanen zu tun. Junge Männer die innerlich auf Kampf eingestellt waren, die aber auf neue Anweisungen von Arminius warteten. Heißspornige, die sich im Großraum an der oberen Leine sammelten, die aber nur bis dort hin kamen und sich nun die Zeit in einer Region vertrieben, wo unweit Segestes, wie ich vermute seine Burg hatte. Und diese Germanen lagerten nun in seinem Umfeld und man konnte sie daher auch wie Tacitus es tat Stammesgenossen von Segestes nennen, man konnte sie aber auch wie Tacitus es ebenfalls zum Ausdruck brachte in ihnen feindliche Belagerer sehen. Sie waren demnach beides. Germanen die sich dem anrückenden Germanicus an unbekannter Stelle in den Weg stellten, aber für einen größere Schlacht nicht gewappnet bzw. dazu auch nicht befugt waren. Denn Arminius wird sich in dieser, für sein Volk relativ ungefährdeten Lage für eine defensive abwartende Handlungsweise entschieden haben. Es bleibt aber eine verschwommene Interpretation der Quellenlage und man könnte dahinter ein Gefecht sehen, dass wohl nicht über ein Scharmützel hinaus ging, was Germanucs führen musste um Segestes „zu übernehmen“. Aber die Cherusker könnte man „last not least“ auch eine zusammen gewürfelte Menge Krieger aus allen cheruskischen Lagern einschließlich dem des Segestes ansprechen, die nun untätig geworden wieder im Rückzug begriffen war und sich zu zerstreuen begann. Denn Arminius hatte ihren ursprünglich nach Süden angeordneten Marsch gestoppt. Allemal aber waren es Germanen die sich für viele Interpretationen und Auslegungen der Historie eigneten oder möchte man es negativ sehen, sich vielleicht sogar missbrauchen ließen. Und auch Tacitus könnte aufgrund der ihm vorliegenden Schilderungen dem Glauben verfallen sein, hier ginge es einzig darum eine Fürstentochter zu befreien und vergas dabei das flächige Desaster, in dem sich die Cherusker in diesen Tagen befanden. Vielmehr ist es denkbar, dass sich hier ein trickreicher aber auch verängstigter, seines Volkes überdrüssig gewordener Cheruskerfürst geschickt absetzen wollte und schob die Rettungsaktion lediglich vor um im Imperium als ein angesehener Germane auftreten zu können bzw. so empfangen und behandelt zu werden. Ein Germane der eigentlich nur die erwartungsgemäß siegreichen Kriege des Germanicus in Ostwestfalen am Rhein geruhsam überdauern wollte, um sich danach im Schutze des römischen Reiches in Germanien in ein gemachtes Nest setzen zu können. Das die Segestes Story in Rom endete war nicht sein Wunschziel. Aber wie verhält sich ein Germanenfürst wie Arminius der befürchten musste, dass gegen ihn nun eine römische Doppelspitze antreten würde, um ihn von zwei Seiten aus anzugreifen. Welche Taktik wählte er als er erkannte, dass sowohl Germanicus als auch Caecina siegreich waren und er nun das nächste Ziel sein würde. Auf seine einstigen Partnervölker die Marser und Chatten konnte er nicht mehr zählen. Allenfalls hätten ihm noch die Brukterer zur Seite stehen können. Aber sie steckten in der gleichen Falle wie das Cheruskerkontingent. Hätten sie den Zusammenschluss mit Arminius rechts der Weser gesucht, wären auch sie in die Gefahr geraten von ihren Siedlungsgebieten abgeschnitten zu werden. Die Cherusker waren auf sich gestellt. Wie eine Rebellenarmee die sich in Unterzahl befand hätte man aus den unzugänglichen Waldgebieten heraus operieren müssen und eine Strategie der Nadelstiche anwenden können. Oft erfolgreich und gefürchtet. Abwarten, flüchten oder den Widerstandskampf aufnehmen waren die Optionen. Und dann geschah das Unvorhersehbare. Germanicus zog ab, ritt aber noch mal zurück um den Segestesclan in seine Obhut zu nehmen und verschwand dann mit ihnen in Richtung Rhein. Kein Zusammenschluss mit Caecina und auch kein Angriff auf die Cherusker im Frühjahr 15 +. Denn Germanicus hätte wie Segimund auch, Segestes unter Bewachung auf das linke Rheinufer abschieben können um dann gemeinsam mit Caecina die Cherusker anzugreifen, aber es passierte nicht. Um zu rätseln was Germanicus davon abgehalten haben könnte lassen sich viele Szenarien durchspielen. Dazu gehört auch, dass Segestes ihn, wie bereits dargestellt davon abgeraten haben könnte. Aber da steht noch eine andere Theorie. Einen Arminius wird man nicht gegen seinen Willen zur Schlachtbank führen können und so traf er Vorsorge. Die Historikerwelt ist sich noch im Unklaren darüber, warum Germanicus im Zuge seines Sommerfeldzuges 15 + nach einem kurzen Gefecht mit den Cheruskern, die ihn über die Weser lockten schon den Krieg abbrach und auf zwei getrennten Routen den Rückmarsch antrat. Ohne also einen nennenswerten Erfolg gegen sie erzielt zu haben. Und dann folgt bereits das nächste Rätsel, denn wie konnte es den Germanen gelingen die Großschlachten des Jahres 16 +, die zumindest unentschieden gegen die gewaltige Heeresmacht eines Germanicus ausgingen, zu überstehen. Die Antwort darauf könnte sein, dass Arminius bereits im Frühjahr 15 + einen engeren Kontakt zu anderen Germanenstämmen zwecks Unterstützung aufgebaut hat die aber für das ganze Jahr 15 + in keiner taciteischen Überlieferung auftauchen. So dürfte er sich zum einen mit den Angrivariern abgesprochen haben. Und zum anderen sind da auch noch die Suebenstämme zu nennen, die nördlich und östlich des Harzes siedelten wie die Langobarden oder die Angeloi bzw. Angili. Sollte Segestes von diesen Bündnissen erfahren haben, wird er Germanicus im Frühjahr 15 + davon abgeraten haben mit seinen durch die Marser und Chattenkämpfe geschwächten Legionen auch noch die Cherusker anzugreifen. Dies würde auch noch sein vorsichtiges Taktieren im Sommer 15 + verständlich machen. Aber die erwartete Kraftprobe blieb im Frühjahr 15 + aus und Arminius hatte wieder Zeit gewonnen die er nutzen konnte.(15.07.2020)

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Dienstag, 7. Juli 2020
Germanische Spuren am Gebäudekomplex der karolingischen Reichsabtei Corvey ?
Geschichtliche Vorgänge und Abläufe bis in die Prähistorie hinein vollziehen sich willkürlich, immer ohne Drehbuch und unterliegen den Gesetzen von Chronologie und Vergänglichkeit. Das erschwert die Menschen gemachte zeitlich versetzte Geschichtsschreibung worunter die exakte Reihenfolge, die gewünschte Zuordnung und die Verständlichkeit leidet. Das trifft zum Beispiel zu, wenn sich aufgrund der Bodenschichten etwa Funde aus der Bandkeramikerzeit mit römerzeitlichen abwechseln. Denn je nach dem Stand der aktuellen Forschung und neuer Entdeckungen springt sie förmlich über die Jahrtausende hinweg, so als wären dazwischen nur wenige Augenblicke vergangen Das Einsortieren der Erkenntnisse in die richtige Epoche stellt daher sowohl für Fachleute, aufgrund der getrennten Systematik der Fachbereiche, als auch an Laien hohe Anforderungen an epochale Vorkenntnis, Kommunikation und Wissensdurst. Ähnlich verhielt sich die Historie mit der berühmten karolingischen Reichsabtei Corvey an der Weser. Man stellte sie baugeschichtlich auf den Kopf, brachte ihre Entstehungsgeschichte gar mit Varus in Verbindung, nannte später Karl den Großen als ihren Gründervater und ließ sie spätestens im Zuge der Säkularisation in Vergessenheit geraten. So wehten die Jahrhunderte über sie hinweg. Aber die frühe Festlegung auf Kalkriese als Ort der Varusschlacht löste bei den Skeptikern eine Renaissance um die Frage der Glaubwürdigkeit aus und längst als überholt betrachtete Örtlichkeiten erlebten ihre Wiedergeburt. So stellte sich auch wieder die Frage neu, ob sich Varus nicht doch statt in West - Westfalen in Ost - Westfalen umbrachte. Aber er und Arminius sind in Ostwestfalen, wenn auch nur in den Geschichtsbüchern bis heute allgegenwärtig geblieben. Das man die Schriften des römischen Geschichtsschreibers Tacitus ausgerechnet im frühen Mittelalter vermutlich von Hersfeld über Fulda nach Corvey verbrachte wo man sie 1508 raubte, musste einen Grund gehabt haben. Vermutlich fielen den klösterlichen Scriptoren in Fulda schon damals die darin enthaltenen lateinischen Worte auf, die auf sie wie ein ausgestreckter Fingerzeig wirkten der sie in die Region an der Weser lenkte. Dahin wo die Corveyer Mönche lebten, die nun dank der Schriften auf die Ereignisse weit vor ihrer Zeit aufmerksam gemacht wurden. Auch sie waren des Lateinischen mächtig genug und erkannten im Flussnamen "Virsurgis" schnell die Weser. Denn Tacitus schrieb in seinem Jahrbuch 2,5 (1o) "Flumen Visurgis Romanos Cheruscosque interfluebat", übersetzt "Jetzt trennte Römer und Cherusker nur noch die Weser".  Daraus gewannen die Mönche die Erkenntnis, dass in ihrer Region einmal, wenn sie es nicht schon wussten Menschen lebten, die sich Cherusker nannten. Aber nicht nur darin erkannten die Mönche die Schauplätze ältester Geschichte die nun vor ihrer eigenen Haustür lagen. Von der sie allerdings nur rund 800 Jahre entfernt waren, während wir es schon über 2000 Jahre sind. So sah und fand man im frühen Mittelalter auch noch viele Relikte auf den Äckern die sie bestellten und blickten noch auf zahlreiche Ruinen die das menschliche Auge im hohen Mittelalter schon nicht mehr sah, da es zwischenzeitlich für den Bau neuer Häuser oder Stadtmauern gebraucht wurde. Und man traf und nutzte in ihren Zeiten auch noch ein gut ausgebautes Wegenetz und das besonders an den kritischen Steilbereichen und fragte sich möglicherweise, wer es einst erbaute. Aber unterschätzen wir nicht das Wissen der pilgernden, also weit gereisten Mönche vor allem wenn sie bereits in Gallien oder gar in Italien waren. Und da waren da auch noch die alten germanischen Stammesnamen und die damit verbundenen Erinnerungen, Sagen und Legenden, die noch nicht gänzlich verstummt waren und man erkannte auch noch viele andere Übereinstimmungen die für unser Zeitverständnis längst entschwunden sind. So schien man sich sicher, dass sich die Geschichten des Tacitus nur in den Landschaften an der Weser zugetragen haben konnten und manche werden vielleicht schon damals, wenn sie historisch interessiert waren nach weiteren Anhaltspunkten und Vergleichen gesucht und geforscht haben. Und natürlich dürfte den Mönchen auch noch klar gewesen sein, warum man die aufragenden Gemäuer einst "Selicasa" nannte. Denn es glänzte in der Sonne immer noch wie Silicatmarmor ein von Silikaten durchsetztes Kalkgestein, was in der Region an der Weser überall zu finden war und ist und was in der römischen Architektur beliebt war. Dazu erschien aber bereits ein Abschnitt unter dem Titel" Auguensischer Gau mit der Marca Huxori". Aber natürlich durfte ihr Interesse nur so weit reichen, wie es sich mit der klösterlich christlichen Ordnung und den Werten des Katholizismus vertrug. Aber das man es an der Weser etwas lockerer nahm, beweisen bekanntlich die für die damaligen Zeiten mutigen Fresken im ersten Geschoss der Abtei die die Mönche, auch wenn sie schon Jahrhunderte älter gewesen sein könnten, trotzdem nicht entfernen und zerstören wollten weil sie ihnen gefielen. Auch der "Teutoburgiensi saltu" den Tacitus erwähnte wird ihre Aufmerksamkeit geweckt, aber die Bezeichnung wird ihnen keine großen Bestimmungsmühen bereitet haben. Denn der sich reich an Schluchten, also Saltuus, vor ihnen erstreckende "Asning" mit seinen vielen Flieh- bzw. Volksburgen teils noch aus vor cheruskischer Zeit passte in ihr Vorstellungsvermögen. Das frühe christliche Mittelalter an der Weser folgte in den Anfängen der weniger strengen iroschottischen Glaubensrichtung und man schien sich freigeistiger verhalten zu haben. So übernahm man auch bereits vorhandene Elemente aus der Bauzeit und integrierte sie ohne sich mit den Fragen der Sittsamkeit zu belasten. Daher mochte man unter anderem auch auf einen eingelassenen antiken Schriftzug nicht verzichten und beließ ihn an seinem ursprünglichen und würdigen Platz nämlich direkt über dem Eingangsportal. Der Text lautete in seiner lateinischen "Endlosversion" "CIVITATEMISTAMTVCIRCUMDADNEETANGELITVICVSTODIANTMVROSEIVS", und aus Gründen der Verständlichkeit getrennt geschrieben "CIVITATEM ISTAM TV CIRCUMDA DNE ET ANGELI TVI CVSTODIANT MVROS EIVS" und man kann ihn als Kopie des Originals in Stein gemeißelt auch heute noch trotz der goldenen Buchstaben die entfernt wurden, gut lesen. Der lateinische Wortlaut musste schon viele Interpretationen über sich ergehen lassen, bis man ihn letztlich besonders auf das Kürzel "DNE" bezogen bibelfest auslegen konnte. Denn auch schon Kaiser Augustus schmückte man mit dem Beinamen "DNE" für Dominus. Die zahlreichen Ungereimtheiten dazu waren bereits Thema im Kapitel "Varus verließ die Civitas an der Weser - nach dem die Gestirne grünes Licht gaben". Aber die Diskussionen über seinen tieferen Sinn werden weiter gehen. Was alles in der Summe betrachtet auch heutzutage wünschenswert, der Mystik geschuldet und dem Zeitgeist förderlich ist. Denn mit derartig verklärten Vorstellungen lassen sich mehr Besucher in die ehrwürdige Abtei locken. Aber nun folgt der angekündigte Sprung in die "deutsche" Prähistorie und damit die Frage, ob es noch andere Hinweise auf die römische Vergangenheit der Reichsabtei Corvey gibt als die zahlreichen von Heribert Clabes in seinem Buch "Corvey - Eine karolingische Klostergründung an der Weser - Auf den Mauern einer römischen Civitas". Greifen wir seine Forschungen auf und knüpfen daran an, so müssen wir auch zwangsläufig ins Jahr 9 + zurück reisen. Ein wichtiges Jahr, das in diesem Internetbuch unstrittig die Hauptrolle einnimmt. Der von großen Träumen und Zielsetzungen beseelte Machtpolitiker Varus, der mit dem Auftrag seines Kaisers in der Tasche die Welt der Germanen umkrempeln wollte hatte sich viel vorgenommen. Es konnte ihm nicht schnell genug gehen seine ausgreifenden Pläne umzusetzen und er riskierte seinen Vorstoß sogar militärisch schwach bestückt mit drei ausgedünnten Legionen. Denn einen Großteil seiner Legionäre konnte er nicht über die Lippe mit nach Osten nehmen, da er diese vorher an den Feldherrn Tiberius für seinen Markomannenfeldzug abtreten musste, den der dann allerdings wegen dem Pannonienkrieg absagen musste. Marbod brachte es damals mit dem Wort "vacuas" für "entleert bzw. inhaltslos" trefflich zum Ausdruck. Fakten schaffen, domestizieren, Gesetze erlassen, im römischen Geiste missionieren und erziehen sowie die nötige Ifrastruktur errichten, waren seine Ziele und Hauptaufgaben, die er mit seinen neuen Vertragspartnern den Cheruskern umsetzen wollte. Für die römische Expansion bot sich dieser Germanenstamm an, da sein Siedlungsgebiet an der Weserfurth und auf der Trasse in Richtung Elbe günstig lag. Aber hier ist es nötig an dieser Stelle, ein neues Kapitel in integrierter Form aufzuschlagen. Denn es ist unvermeidbar und zieht sich wie eine rote Linie durch die Germanenforschung nämlich den Versuch zu wagen, die damalige Verteilung der germanischen Stämme mit ihren jeweiligen Siedlungsgebieten in Einklang zu bringen. So müssen wir uns diesem Zusammenhang noch mit einem nahezu unverdaulichen Stamm beschäftigen. Nämlich dem der Sueben. Den Stamm der Sueben zu definieren und zu verorten um ihn dann in ein Verhältnis bzw. in ein Zusammenwirken mit den Cheruskern zu setzen, ist nicht unproblematisch. Strabo trennt sie in seiner Ausdruckswahl voneinander in dem er schreibt, dass die Cherusker, die Chattuarier und die Chatten im Vergleich zu den Sueben eher schwächere Stämme darstellen. Er erweckt damit den Eindruck Cherusker und Sueben stünden sich nicht wie Teilstämme eines gemeinsamen Großstammes gegenüber. Natürlich immer davon abgesehen, dass wir sie alle für Germanen halten. Plinius hingegen strukturiert sie über den Sammel- bzw. Oberbegriff der Hermionen. Eine Definition wo hinter man aber auch einen gemeinsamen Kulturkreis, einen Zusammenschluss, ein Zugehörigkeitsgefühl oder eine religiöse Gemeinschaft erkennen kann. In diesem Sinne führt er die Stämme getrennt auf und fasst die Sueben, Hermunduren, Chatten und Cherusker als Hermionen zusammen. Eine Bezeichnung die ich als besonders wehrhaft zu verstehen wissen möchte. Tacitus und Ptolemäus zählte die Cherusker auch nicht in klarer Deutlichkeit zu den Sueben. Wobei es irritiert, dass Ptolemäus wiederum die den Cheruskern eng benachbarten Angrivarier und Brukterer zu den Sueben rechnet, aber nicht die Cherusker. Cäsar vereinfachte es sich zunächst in dem er alle Stämme östlich der Sugambrer und Ubier als Sueben bezeichnete stellt aber dann fest, dass Cherusker und Sueben durch einen Wald, vermutlich war es der Harz voneinander getrennt wären. Jedenfalls siedelten auch bei Cäsar Cherusker und Sueben relativ nahe beieinander. Festzuhalten ließe sich, dass man in den Cheruskern sowohl einen Teilstamm der Sueben sehen könnte, gleichzeitig aber auch einen Stamm der sich seine Eigenarten bewahrt haben könnte. Letztlich werden die germanischen Stämme immer Zweck- und Notgemeinschaften gewesen sein und gebildet haben, könnten aber auch aufgrund sprachlicher Barrieren kulturelle Trennlinien aufgebaut haben. Unserem gesamten überlieferten Wissen nach zu urteilen muss das Siedlungsgebiet der Sueben eine immense Ausdehnung vom Rhein bis an die Elbe, die Ostsee und sogar bis an die Oder und möglicherweise darüber hinaus gehabt haben. Varus hätte sich demnach für einen kleinen Stamm entschieden, sich also einen leichter manipulierbaren und scheinbar bequemeren Juniorpartner an die Hand genommen mit dem er sein Werk der Provinzialisierung vollenden wollte, um sich dann für größere Aufgaben anzubieten bzw. auf sie vorzubereiten, denn er wollte seinem Kaiser gefallen. Welche Rolle dieses sich auch nach Strabo enorm großflächig verbreitete Volk der Sueben im Zuge der Geschehnissen um die Varusschlacht einnahm, ist nebulös und erforschen lässt es sich auf der Basis unserer heutigen Möglichkeiten nicht mehr. Aber Strabo war zuerst Geograph und dann Geschichtsschreiber was seine Überlieferungen insbesondere Lokalisierungen glaubhafter macht und er war auch ein Pedant, was seine zahlreichen Aufzeichnungen beweisen und so wird er auch bei seinen Angaben über die Siedlungsgebiete der Sueben nicht oberflächlich recherchiert haben. Aber wer möchte schon ernsthaft annehmen, dass sich ausgerechnet dieses nahezu gigantisch wirkende Grossvolk der Sueben mit ihren vielen Teilstämmen aus der Varusschlacht und der römischen Okkupation völlig heraus gehalten haben soll. Ein Volk, dass wenn auch untereinander in üblicher Manier eigene Interessen verfolgte aber damals einen komplexen Machtblock in Zentralgermanien dargestellt haben musste. Und trotzdem wird ihr Name von den antiken Historikern selten bis gar nicht in Bezug auf ihre Taten und Handlungen im Zusammenhang mit der Varusschlacht erwähnt. Immer nur standen die Cherusker mit ihren unmittelbar verbündeten im Vordergrund der antiken Betrachtung, aber bei den Sueben versiegten und versagten auch ihre eigenen Quellen. Die Sueben konnten sich in ihrer Gesamtheit der römischen Geschichtsschreibung vermutlich entziehen, da sie sich immer nur in Teilstämmen offenbarten. Wie und woher hätte man auch unter den antiken Historikern wissen sollen, in welchen Abhängigkeitsverhältnissen sie zueinander standen.Und trotzdem zieht sich ihr großer und heldenhafter Name durch die gesamte Welt der germanischen Forschungsgeschichte. Cäsar besiegte den suebischen Anführer Ariovist schon 58 - vermutlich auf der elsässischen Rheinseite, er sah aber ihr Stammensgebiet letztlich doch im Kern nördlich der Cherusker und von ihnen nur getrennt vom Bacensis Wald, den man für den Harz hält. Tiberius, als er noch Feldherr war siedelte rebellisch gewordene Sueben zusammen mit Teilen der Sugambrer 8 - von der rechts - auf die linksrheinische Seite nahe Xanten um und im ersten Jahrhundert siedelten Sueben auch noch in Rheinnähe nur 10 Kilometer östlich von Mannheim. Und obwohl ihre Wohngebiete vielerorts bis an den Rhein reichten, fasst man sie heute aufgrund des archäologischen Fundmaterials unter der Bezeichnung Elbgermanen zusammen. Versucht man der Existenz der Sueben auf den Grund zu gehen, oder möchte man sich darauf einlassen sie zu lokalisieren, dann schienen sie überall ihre Spuren hinterlassen zu haben und legten sich wie ein Teppich zwischen Rhein und Elbe bis zur Oder und nach Tacitus sogar von der Donau bis zur Weichsel der für andere suebische Kleinstämme falls es diese in der Germania Magna überhaupt gab scheinbar nur noch wenige Siedlungsgebiete frei ließ. Man kann den Eindruck bekommen, als ob die Sueben wie eine große schweigende Mehrheit der Germanen auftraten, die in ihrem Kern das souveräne Germanien abbildeten. Ein wie stoisch wirkendes und doch kaum in Erscheinung tretendes, aber allgegenwärtiges Volk verkörperten sie gewissermaßen das germanische Gemüt. Ein Großstamm bestehend aus Langobarden, Quaden, Semnonen, Markomannen, Hermunduren und sogar Brukterer und Angrivarier und vielen anderen. Sie treten auf wie ein umfassendes Stammesgeflecht, dass sich von der Ostsee bis mindestens an die deutschen Mittelgebirge erstreckte und schon zu Zeiten von Cäsar und Kaiser Augustus unmittelbar östlich des Rhein nachgewiesen ist. Aufgrund ihrer Substanz schien man sie kaum aus der Ruhe bringen zu können und sie ließen sich wegen ihrer Volksmasse und Ausdehnung auch von keinem römischen Imperium beeindrucken. Und letztlich sollen auch sie es im Kern gewesen sein, die unter der Sammelbezeichnung "aller Männer" als Alemannen in die Geschichtsbücher eingingen und ab 259 + begannen die römischen Strukturen auf der Suche nach neuen Siedlungsgebieten aufzulösen. Teile der Sueben gelangten im Zuge der Völkerwanderung bis nach Nordspanien. Und das man heute in Spanien unter dem Wort "suave" einen sanften und milden Charakter versteht, könnte dafür noch bezeichnend sein. Obwohl ihre Nachfahren nicht nur auf deutschen Boden in erster Linie offenbar ihre Ruhe haben wollen, trifft es die Umschreibung "rau aber herzlich" vielleicht besser. Man kennt ja seine Wurzeln und in Westfalen, wo die Anrede "Na Du alten Drecksack" eine liebevolle Begrüßung darstellt, gilt dass auch für die Schwaben, da lässt es sich sogar um das Wort "Arschloch" erweitern. Man darf eben einen Westfalen oder einen Schwaben nicht in Wut oder Rage versetzen und das musste auch schon das römische Imperium oftmals bitter erfahren. Die Sueben brachten Köpfe wie Marbod und Ariovist hervor und sicherlich noch viele andere Anführer deren Namen uns nicht überliefert wurden. Vermutlich spielten sie im Hintergrund eine weitaus bedeutsamere und auch militärisch wichtigere Rolle als allgemein angenommen, aber man sollte sie behutsam anfassen. Zöge man ihre Existenz und versteckte Bedeutung stärker ins Kalkül, ließen sich möglicherweise so manche Ereignisse zwischen den Jahren 9 + und 16 + anders erklären. Die Sueben eine große germanische graue Eminenz von der die antiken Historiker zu wenig bis nichts wussten und wir daher auch nicht. Wer waren ihre Anführer und wo siedelten die einzelnen Stämme, so dass man auch schon im alten Rom bis auf den von ihnen seitlich getragenen Zopf von keiner näheren Kenntnis beleckt war. Tiberius stieß 5 + auf die suebischen Langobarden und soll ihre Macht laut Paterculus gebrochen haben, nur weil sie sich vor ihm über die Elbe in Sicherheit begaben. Eine Fluchtstrategie oder ein Reflex den alle Germanen erfolgreich beherrschten bis sie am Tag X wieder auf der Bildfläche erschienen. Des Weiteren wird im Widsith erwähnt, dass der Angelnherrscher Offa in seiner Konkurrenz mit den Dänen vermutlich an der Eider kämpfte, wo es um den Grenzverlauf der Angeln und der Swaefen ging, bei denen es sich um Sueben gehandelt haben soll. Womit sich untermauern ließe, da sie sich sogar im heutigen Schleswig - Holstein verorten lassen, es sich bei den Sueben vermutlich um eine frühe Sammelbezeichnung für alle Germanen gehandelt haben könnte. Aber was tat zur gleichen Zeit der nebulöse Vielvölkerstamm der Sueben, als Varus an der Weser seine Dependance errichten wollte, schaute er nur zu oder fungierte er aus dem Hintergrund heraus als eine diskrete Schutzmacht der kleineren Cherusker. Mangels wissen verorten wir die Cherusker vordringlich auf der rechten Weserseite und ihre Siedlungsgebiete im Nordharz etwa bis bis Goslar und auf unbestimmte Entfernung auch nach Norden ausgreifend. Eine Definition, die sich aber nicht mit den Angaben der antiken Berichterstattung deckt, denn demnach soll an der scharfen Abgrenzung des markanten Nordharzrandes bereits das Stammesgebiet eben jener Sueben begonnen haben, während man die Cherusker südlich dieses Bacenis Silva auch Sueven Wald genannt, annimmt. Das Grenzgebiet zwischen Cheruskern und Sueben könnte dieser Theorie nach bereits an den nordwestlichen Ausläufer des Harzes begonnen haben, wo das Land zur Elbe beginnt flacher zu werden. Dann hätte man sich etwa 60 Kilometer nordöstlich von Höxter schon nicht mehr auf cheruskischem Boden befunden. So musste es Varus zwangsläufig auch an einem guten Verhältnis zu den Sueben gelegen sein. Aber auch die suebischen Germanen die sich einst von Tiberius im Immensum Bellum über die Elbe trieben ließen um nicht Opfer seiner Kriegführung zu werden verfügten über ein gutes Gedächtnis. Und in den Köpfen der Sueben war auch immer noch der von Rom angezettelte Flächenbrandkrieg der nur vier Jahre vor der Varusschlacht zu Ende ging präsent. Varus könnte, ja müsste sogar seine Politik an der Weser mit eben diesen Sueben abgestimmt haben, wenn er seine Provizialisierungspläne langfristig ausrichten wollte. Das er in ihnen keine Bedrohung für seine im Aufbau befindliche Provinz sah zeugt davon, dass in ihnen Tiberius und somit auch Varus nicht die gleiche Gefahr sahen wie in Marbod. Man könnte davon ausgehen, dass Varus zu den Sueben nördlich des Harzes bis zur Elbe "Sonderkonditionen" ausgehandelt hat, auf gut deutsch er musste sich tunlichst mit ihnen verständigen also "gut halten". Und so brauchte er ihr Einschreiten auch solange nicht befürchten, wie er die Cherusker als Garant für seine Pläne auf seiner Seite wusste, denn sie waren das Bindeglied nach Osten. Eine an sich gute Strategie könnte er da gewählt haben die er sich dann allerdings im Zuge seines maßlosen Unvermögens selbst zunichte machte. Man könnte das Kräfteverhältnisse zwischen Varus und den unzufriedenen Germanen im Jahre 9 + vor der Varusschlacht so deutlich auf Seiten der Germanen sehen, dass diese sich nicht um die Unterstützung durch die Sueben bemühen mussten. Für die vermutlich an der Schlacht beteiligten Marser, Chatten, Brukterer und Cherusker waren die drei Rumpflegionen des Varus keine große Herausforderung um zusätzliche Kräfte aus größeren Entfernungen mobilisieren zu müssen. Dies wurde erst im Zuge der Germanicus Kriege erkennbar und erforderlich. Varus musste sich wie ein neuer Machthaber an der Weser nach allen Seiten absichern zumal sein abgeschmolzenes Kontingent keine Eskapaden duldete. Die Langobardischen Sueben der große Bruder der Cherusker im Nordosten, war daher nicht minder von Bedeutung als der andere Suebenstamm unter der Führung von Marbod im Südosten. Aber zwischen Langobarden und Cheruskern nördlich des Harzes siedelte noch ein weiterer mit den Langobarden verbundener suebischer Teilstamm anderen Namens. Seine Siedlungsgebiete befanden sich am Mittellauf ebenfalls westlich der Elbe. Ptolemäus rückt diesen suebischen Teilstamm in die Nähe der nicht lokalisierbaren Fosen aber auch auf die westliche Elbeseite. Jene Fosen die im engen Kampfverbund zu den Cheruskern gestanden haben sollen. Es hatte also auch einen suebischen Teilstamm gegeben der vermutlich noch näher als die Langobarden zu den Cheruskern siedelte. Die Westgrenze dieses suebischen Teilstammes könnte demzufolge in überschaubarer Distanz zu den Fosen aber auch den Cheruskern und somit auch in der Nähe von Varus gelegen haben. Ptolemäus nannte dieses suebischen Teilstamm "Sueboi Angiler" oder "Angeiloi" und Tacitus "Suevi Anglier bzw. Anglii". Ein Stamm nördlich des Harzes der in engem Verhältnis zu den Cherusker aber vor allem im Verbund und Kontakt zu den anderen Suebenstämmen im Osten stand. Eine Volksmasse in denen die Cherusker eine stille Reserve gesehen haben könnten die auch ihre Existenz in Krisenzeiten mit garantierte. Aber wo begann das Siedlungsgebiet der "Angeiloi" und wie ließe es sich verorten. Der 1527 in Antwerpen geborene Geo- und Kartograph Abraham Ortelius hinterließ uns dazu eine Landmarkierung, wo es nach seinen Vorstellungen gelegen haben könnte und nutzte dazu das ihm in seiner Zeit bekannte Wissen. Ortelius der mit Gerhard Mercator zusammen gearbeitet haben soll, haben wir auch die beste Reproduktion der Tabula Peutingeriana zu verdanken und er hatte sich auch mit den Ptolemäischen Koordinaten und den germanischen Stammesnamen beschäftigt. Das Stammesgebiet der Angilier oder Angiler verortete er auf seiner Karte ?Germaniae Veteris typus? aus dem Jahr 1587 auf der rechten Weserseite nördlich des Harzes. Den suebischen Stamm nannte Ortelius ?Angili? und er trug ihn östlich des ?Idistavus campus? ein. Er platzierte die "Angili" auf seiner Karte südlich der Langobarden und Dulgubiner und nördlich der Cherusker. Die Nerteranes verortete er am rechten Ufer des Main. So darf man zweifellos spekulieren und die Existenz dieser suebischen Angilier die er Angili nannte auch in Bezug zu Höxter an der Weser, genauer gesagt zu der unweit befindlichen Inschrift über den Corveyer Westwerk setzen. Also dem berühmten Satz: "CIVITATEM ISTAM TV CIRCUMDA DNE ET ANGELI TVI CVSTODIANT MVROS EIVS" mit den bekannten Übersetzungsvarianten. "Herr, umgib diese Stadt und lass deine Engel Wächter ihrer Mauern sein." Oder auch:
"Diese Civitates umfasse du Herr und deine Boten mögen ihre Mauern bewachen. Auf Basis dieser Übersetzungen versteht man unter "Herr" den christlichen Gott und unter den "Angeli" also entweder seine Boten oder Engel. Und in beiden Fällen mochte man in den "Angeli" bevorzugt höhere oder geflügelte Wesen aber keine Abkömmlinge irdischer Art und Natur sprich Menschen sehen. Wechseln wir über in die "suebische Theorie" die wir in Verbindung zu der Überlegung setzen, dass die Inschrift bereits in den Zeiten unter Varus in Stein gemeißelt wurde und sich nicht auf den christlichen Gott, sondern auf Kaiser Augustus bezieht. Dann hätte Varus damit möglicherweise zum Ausdruck gebracht, oder zum Ausdruck bringen wollen, dass er das Gebäude dem Schutz der starken Sueben anvertraut hat oder anvertrauen wollte. Er nahm sie mithin in die Pflicht ebenfalls diesen Gebäudekomplex zu schützen, sich für ihn mitverantwortlich zu fühlen und den Bestand mit zu garantierten. Wie weit er zu ihnen auf Tuchfühlung ging, mit ihnen vielleicht schon Vorverträge schloss, oder dabei war ein nachbarschaftliches Verhältnis aufzubauen ist denkbar, denn sie sie siedelten recht nahe zu ihm. Aber sie sollten nicht nur den Bestand dieser varianischen Principia sichern helfen, sondern auch ihre Hand über sein Tun und Wirken an der Weser gleich mit. Und wer wollte auf die Idee kommen, die strategischen Zwänge und Notwendigkeiten eines Varus in seiner Lage mit zu berücksichtigen, der gerade den mächtigen suebischen Angeiloi sein Entgegenkommen zeigen musste. Man kann natürlich für alles und jedes Argumente herbei pflücken mit denen sich auch X beliebige Thesen stützen lassen. Warum also nicht auch dieser Theorie Raum geben und sie nicht gleich vom Tisch wischen. Varus stellte damit eine Überordnung her, bettete sich in die Welt der germanischen Stämme ein und band nicht nur die Cherusker, sondern ihren großen Partner im Osten gleichermaßen mit in seine Geschicke ein. Mit der Inschrift wurde von Varus aber auch zum Ausdruck gebracht, dass man sich den Stämmen im Osten nicht in Feindschaft annähern wollte und auch in ihnen einen möglicherweise zukünftigen Bündnispartner sah. Denn die römischen Überlegungen und Strategien gingen weiter und bereits über die Bildung einer Provinz der Cherusker hinaus und bezogen schon das Elbevorland für ihre künftigen weit reichenden Pläne mit ein. Eine langfristig ausgelegte Vorgehensweise in dem man zunächst die suebischen Anglii mit einbezog bzw. mit einbeziehen musste, da sie die schon relativ nahe liegenden Territorien im Osten bewohnten. In der Umgestaltung bzw. neuen Lesart könnte man die Inschrift nun auch wie folgt auffassen:

Kaiser Augustus umgib diese Stadt und lass die Anglii/Anglier/Angilier (statt Angeli) die  Wächter ihrer Mauern sein".

oder

".. umfasse du Kaiser Augustus diese Civitas und die Anglii/Anglier/Angilier (statt Angeli) mögen ihre Mauern bewachen.

Es besteht etymologisch betrachtet kein Zusammenhang zwischen dem suebischen Stamm der Anglii/Anglier/Angilier und dem griechischen Namen Angelos für Bote oder Engel und das muss es auch nicht. Aber diese Theorie stellt eine neue Deutung des Urtextes dar. Ptolemäus der um 100 + geborene Zeitgenosse von Tacitus benutzte auch die Bezeichnung "Angeiloi" für den suebischen Teilstamm der nahe den Cheruskern siedelte und er ist mit der Schreibweise des Corvey`schen "Angeli" schon auffallend identisch. Angeloi im Plural "Angelos" steht im griechischen für "Bote" und "Engel". Und wenn sowohl Ptolemäus als auch Tacitus diesen suebischen Stamm mit Namen kannten, darf man davon ausgehen, dass auch Varus ihn kannte. Und Varus kannte ihn nicht nur, er suchte auch den Status Quo zu ihnen und wird ihnen auch seine Aufwartung gemacht haben (müssen). Und da gab es möglicherweise noch einen anderen Römer, einen Mann der die suebischen Angeiloi wohl noch früher vor allem aber "besser" kennen gelernt haben könnte, als Varus. Denn in den Zeiten, als Varus vermutlich noch seiner Statthaltertätigkeit in Africa nach ging könnte auch dieser Subenstamm mit dabei gewesen sein, als man den römischen Streitkäften eine eindrucksvolle Schlacht lieferte. Es war Drusus, der für Rom in den rechtsrheinischen Regionen den Frieden mit der Waffe herbei führen sollte. So stieß er im Jahr 11 - bis zu den Cheruskern an die Weser, sozusagen ins Herz der Suebenstämme vor. Einer Region aus der uns aber im Zuge seiner "Befriedungsmaßnahmen" keine Schlachten oder Kämpfe mit den dortigen Stämmen überliefert sind. Aber hier wurde für ihn der Rückzug zum Problem, denn man stellte ihm eine Falle im Kessel von Arbalo. Der Engpass kann, da von Weser und Rhein die Rede ist dazwischen überall gelegen haben. Je weiter Drusus jedoch nach Osten vordrang um so mehr schloss man daraus, dass sich damit die Gefahr vergrößerte auch dort in das Rückzugsgefecht verwickelt gewesen zu sein und es unweit der Weser statt fand. Der Korridor durch den er auf dem Hinweg kam dürfte in etwa auch identisch mit dem Rückweg gewesen sein, bot aber nicht die topographisch günstigen Möglichkeiten wie sie östlich von Paderborn vorzufinden sind. Letztlich wird aber die Rückmarschrichtung vom Ausgangsort bestimmt und da dürfte Drusus wohl eher in Xanten sein Standlager gehabt haben als in Nimwegen. Auf dem Hinweg zur Weser bezwang er die Stämme die sich ihm entgegen stellten und warf wohl auch die nieder, die sich passiv verhielten. Sugambrische Siedlungen konnte er zwar verwüsten, aber ihre Krieger traf er nicht an. Als Drusus die Weser erreichte musste er dort vermutlich aus logistischen Gründen sowohl seinen Feldzug abbrechen, als auch die schmerzliche Erfahrung machen auf dem Rückweg noch angegriffen zu werden. Plinius der Ältere (11,17.) nannte die Örtlichkeit Arbalonem, die wir heute auf Arbalo abkürzen. Drusus hatte "fortun" und es gelang ihm zu entkommen oder zu siegen, man weiß es nicht. Cassius Dio vermutete die Germanen hätten siegen können, wären sie nicht so undiszipliniert gewesen. Plinius der Ältere ließ es für Drusus glücklich enden, wobei seine Darstellung "prosperrime" auch mit "günstig" übersetzt wird. Aber auf germanischer Seite war man sich schon so sicher Drusus bezwingen zu können, dass man die erwartete Beute bereits vor dem Sieg aufteilte. Und dieser Verteilungssschlüssel verrät uns möglicherweise auch die Lage des Schlachtortes. Denn danach waren sowohl Cherusker, Sugambrer als auch Sueben am Kampf beteiligt. Man ist natürlich geneigt immer die Stämme in einer kriegerischen Auseinandersetzung zu sehen die auch in der Region ihr Siedlungsgebiet hatten. Jedoch sollte man auch nicht verkennen, dass die Krieger der Sugambrer die ihr Siedlungsgebiet eher in Rheinnähe hatten mit sicherem Abstand den Legionen des Drusus nach Osten folgten um eine gute Gelegenheit für einen Angriff zu finden. Hier bietet sich aber noch eine andere Theorie an. Das nämlich die Sugambrer ihren Feldzug gegen die Chatten abbrachen um sich im Norden gemeinsam mit anderen Germanen den Legionen des Drusus entgegen zu stellen. Bekanntlich fand Drusus die Siedlungsgebiete der Sugambrer aus dem Grund unverteidigt vor, da diese gegen die Chatten zu Felde gezogen waren. So mag es auch zur Erwähnung der Sugambrer im östlichen Hinterland gekommen sein, obwohl diese nicht an der Weser siedelten. Wer aber dort lebte waren die, ich möchte sie hier mal als suebische Cherusker ansprechen sowie die weiter östlich lebenden suebischen Angeloi. Es war eine archaisch, heterogen geprägte Zeit die keine starre Herangehensweise duldet, denn die wahren Interessenslagen und Bedürfnisse der Menschen entziehen sich unserem Vorstellungsvermögen. Aber über den Beute - Verteilungsschlüssel erfahren wir, dass man Sueben von Cheruskern namentlich trennte. Denn wir wissen, dass die Sueben im Falle eines Sieges alles Gold und Silber für sich beanspruchten, während die Sugambrer die Sklaven und die Cherusker die Pferde einforderten. Aber man machte die Rechnung bekanntlich ohne Drusus. Denn seine Kampftaktik führte dazu, dass die möglicherweise angilischen Sueben ebenso wie Cherusker und Sugambrer mit leeren Händen nach Hause ziehen mussten. Auch diese Episode erschwert wieder die Definition der Sueben. Sie waren an allen Fronten römisch germanischer Krisenherde in Zentralgermanien zu finden mal unter dem Namen Sueben mal unter dem Namen eines ihrer Teilstämme, unter dem Strich aber immer Sueben. So verwundert es nicht, dass Varus zu den Angeloi - Sueben ein besonderes Verhältnis pflegen musste, zumal er sie nicht in den "Cheruskisch Römischen Bündnisvertrag" einbezogen hatte. (07.07.2020)

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