Dienstag, 26. Januar 2021
Segestes - dankbarer Kronzeuge einer politischen Intrige geschichtlichen Ausmaßes ?
Die Varusschlacht ein Buch mit sieben Siegeln ? Nicht mehr so ganz, denn die Schleier lüften sich langsam. Weiß man chronologisch betrachtet wie in diesem Fall, wann die Schlacht geschlagen wurde, dann gesellen sich zu jeder Schlachtenerforschung noch die drei Fragen nach dem „warum“, dem „wo“ und dem „wie“. Bezogen auf die Varusschlacht scheint die Frage nach dem „warum“ noch die einfachste zu sein, denn dazu liegen uns die meisten Anhaltspunkte vor. Sich die Frage zu beantworten wie sich die Schlacht entfaltete wird in diesem Fall schon schwieriger, dafür scheint sich aber die Frage nach dem wo, im Zuge dieser Untersuchung wieder etwas zu erhellen. Aber die vierte Frage macht einen zusätzlichen Schwenk nötig. Denn sie zielt auf ein zweites „warum“ ab nämlich zu hinterfragen, warum sie sich nicht verhindern ließ. Und an dieser Stelle kommt Segestes ins Spiel, denn er will es in seiner Hand gehabt haben, dass es zu gar keiner Varusschlacht hätte kommen müssen, wenn der Feldherr auf ihn gehört hätte. Für das antike Schaltzentrum in Rom spielte er aber nur eine unwesentliche Rolle. Seine Bedeutung wuchs erst dadurch, dass er als Widersacher eines großen römischen Gegenspielers in Erscheinung trat, was ihn für das Imperium interessant machte. Diesem Sachverhalt verdankt er in erster Linie die ihm zuteil gewordene Aufmerksamkeit und verhalf ihm, dem kleinen Germanenfürsten vermutlich aus dem Süden des heutigen Niedersachsens der nur eine unbedeutende Randfigur darstellte, zu hohem Ansehen und Eingang in den Olymp antiker Literatur. In Wahrheit diente zunächst alles wohl mehr seinen eigenen und dann erst später auch den Interessen des damaligen Feldherrn Tiberius. Denn in Segestes fand man einen willigen, scheinbar neutralen, vor allem aber nützlichen Helfer der die Schuld einzig auf Varus lenkte und damit den Ruf vieler anderer vor allem aber den von Tiberius schützte. Vergessen wir nicht, dass Tiberius als er noch Feldherr war, durch sein Verhalten im Zuge des Markomannen Feldzuges eine erhebliche Mitschuld an der Varusniederlage auf sich lud. Genauer gesagt war es das von ihm angeordnete Ausdünnen der Varusarmee vor der Niederlage 9 +. Denn mit dieser Dezimierung und der damit einhergehenden Schwächung trug Tiberius maßgeblich und somit Schlachten entscheidend dazu bei, dass Varus den Krieg verlor, ja sogar verlieren musste. Und dafür lässt sich kaum ein besserer Gewährsmann finden als es der historisch unverdächtige Marbod war, der einstige Zeitzeuge aus Varustagen. Denn er brachte es mit seiner von Tacitus überlieferten Wortwahl „vacuas“ vortrefflich zum Ausdruck, unter welch widrigen Bedingungen Varus eine Provinz aufbauen und sie halten sollte. Denn mit einer Armee die „vacuas“ war, ein Wort das vom lateinischen Wort „vacuus“ abstammt und dem deutschen Wort „leer“ entspricht, ließ sich schlecht siegen. Tacitus erwähnte es in seinen Annalen II. 46 mit den Worten “Quonium tres VACUAS Legiones et ducem fraudis ignarum perfida deceperit“. Das Wort „vacuas“, dass wie kaum ein anderes Überliefertes auch die Irrungen und Wirrungen deutscher Geschichtsforschung wider spiegelt. Nämlich das urmenschliche Bedürfnis, dem auch die antiken Historiker verfielen, wenn sie sich berufen fühlten am historischen Wissenstand der Zeit eigenmächtig textuell zu werkeln um es stimmiger erscheinen zu lassen. Im Falle des Wortes „vacuas“ war es ein neuzeitlicher „Interpret“, der uns das Wort „vacuas“ argumentativ ausreden wollte und durch „vagas“ ersetzte, weil es ihm plausibler erschien. Es war der Philologe und Gymnasiallehrer Anton August Draeger der die Auffassung vertrat und sie 1863 mit recht lapidaren Worten begründete „das man nicht wüsste was vacuas bedeutete“. Sicherlich war auch er bemüht nach Sinnhaftigkeit zu suchen, aber wie hier dargestellt, darf man es auch anders bewerten. Die „Arminen Cherusker“ waren jedenfalls die Erzfeinde sowohl von Marbod, als naturgemäß auch von Tacitus. So war sich Tacitus mit Marbod in der Bewertung einig und er konnte sich auch die Bemerkung nicht ersparen darauf hinzuweisen, dass die Germanen nach Marbod`s Worten ihren Sieg nur der Schwäche der Varus Legionen zu verdanken hatten. Tacitus verfiel somit der Verlockung die Schmährede von Marbod in seinen Schriften zu thematisieren, da sie sich gegen den gemeinsamen Feind die Cherusker richteten. Aber damit verriet er uns gleichzeitig und wohl ungewollt auch den Hauptgrund der Varusniederlage. Denn mit dem Marbod Zitat das Tacitus sicherlich unbeabsichtigt einpflegte gab er den entscheidenden Hinweis, warum Varus die Schlacht verlor. Die demnach folglich weniger etwas mit dem Versagen des Feldherrn, als vielmehr mit der eklatanten Unterbesetzung seiner Armee zu tun hatte. Denn er zog eindeutig mit zu wenig Legionären zu den Aufrührern und das geschah einfach nur deswegen, weil ihm nicht mehr zur Verfügung standen. Und wer wollte da schon glaubhafter sein als Marbod. Aber auch Tacitus bürgte indirekt für die Richtigkeit, denn er verkannte die Brisanz des Wortes „vacuas“ und unterschätzte die darin liegende historische Sprengkraft, wie man heute im nachhinein feststellen darf. Hinzu kommt noch, dass man auch davon ausgehen darf, dass Marbod unparteiisch gewesen sein dürfte, da Tiberius ihn drei Jahre vor der Varusschlacht noch vernichten wollte. So betrachtet hatte Arminius seinen Sieg indirekt Marbod zu verdanken, da Tiberius wegen ihm die Varusarmee reduzierte. In erster Linie lag aber Marbod daran die Cherusker zu schmähen, da sie es nur mit einem unterbesetzten Gegner zu tun hatten, der ihnen da zum Opfer fiel und es ihnen wohl auch recht leicht machte. Es lag an diesem Tag weniger in Marbod`s Absicht und passte nicht in sein Konzept den Römern die Schuld für die Niederlage zu geben. Dem Germanen Arminius den Triumph zu missgönnen hatte bei ihm Vorrang vor dem Nachtreten des geschundenen und schon genug gestraften Erzfeindes Rom. Aber natürlich offenbart er damit im gleichen Atemzug auch den Grund und machte, ohne es zu betonen die römische Politik dafür mit verantwortlich, dass Arminius siegen konnte. Marbod wusste genauso wie Segestes wie schlecht es um die Sollstärke der drei Varuslegionen an der Weser bestellt war, nachdem man ihnen starke Kräfte für den Kampf gegen Marbod und dann übergangslos den Krieg in Pannonien entzog. Aber Marbod konnte von Tiberius im Gegensatz zu Segestes, der Varus die alleinige Schuld gab, nicht zum Schweigen gebracht werden. Marbod kannte die Ursache des Versagens und konnte sie auch ungestraft beim Namen nennen, denn Marbod wie auch Arminius konnte Tiberius nie habhaft werden und so konnte er seine Meinung offen sagen. Versetzen wir uns kurz in die Lage von Tiberius und sein Verhalten wird verständlich. Für Tiberius war die Schlacht in Ostwestfalen schon lange Vergangenheit als ihn, den im Jahre 14 + gerade frisch vom Senat zum Kaiser gewählten Pontifex im Jahre 15 + die Nachricht aus Germanien erreichte, dass ein ihm bekannter Zeitzeuge plötzlich die Seiten gewechselt hatte. Zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht fest, dass Segestes einmal samt Anhang 17 + in Rom erscheinen würde. Kaum einer und auch nicht Tiberius konnte damit rechnen, dass sechs Jahre nach der vergessen geglaubten Schlacht nochmal eine Person aus den Nebeln vergangener Tage trat und seine Kreise stören könnte. Und noch dazu ein Mann, der über umfassende Detailkenntnisse zur Varusschlacht verfügte. Und wenn jemand, natürlich ausgenommen Arminius die genauen Gründe kannte, warum Varus die Schlacht verlor, dann war es außer Marbod sicherlich Segestes. Segestes kannte die römische Truppenstärke vor dem Ausbruch der Kämpfe und die von Varus ausgegebenen Befehle. Segestes wusste alles und wohl auch noch etwas mehr, als es Tiberius lieb sein konnte. Segestes hatte möglicherweise in vertraulichen Gesprächen einiges erfahren. Zum Beispiel war ihm bekannt, dass Tiberius dafür verantwortlich war, dass man Varus Truppenteile für den Markomannen Feldzug im Jahre 6 + entzog, kurz bevor dieser seine Statthalterschaft im Jahre 7 + antrat. Das machte Varus schwach, anfällig und abhängig für Unterstützungsangebote germanischer Kräfte. Je nach dem wie eng das Verhältnis zwischen Varus und Segestes war ist es auch nicht auszuschließen, dass Varus im Zwiegespräch mit ihm über Tiberius sogar recht deutlich wurde und sich mehr als nur kritisch über ihn äußerte. Tiberius musste also daran gelegen sein, dass Segestes als sich abzeichnete, das dieser römischen Boden betreten würde, nur vorher abgestimmte Aussagen über die Zeit machte als Varus noch Statthalter in Germanien war. Im Jahre 17 + als er schon den Kaiserrock trug, musste Tiberius dafür sorgen, dass Segestes seine vorgegebenen Warnungen die nur seiner Entlastung dienten aufrecht hielt und sie bestätigte um jeglichen Makel von seiner eigenen Person fern zu halten. Damit fiel Segestes unversehens eine brisante Rolle zu, in der er sich keinen Fehler leisten durfte und er spielte sie gut. Er musste sich zwangsläufig aber auch nicht widerwillig als Zweckinstrument missbrauchen lassen, was aber in seinem Sinne lag, denn schließlich war es für ihn eine Überlebensfrage. Aber die Weichen seiner Taktik hatte er schon gestellt, als er sich 15 + auf Basis genau dieser Argumentation in die Hände von Germanicus begab. Aber richtig deutlich wurde er erst, als er es es alles nochmal in Rom zu Protokoll geben musste, damit die Nachwelt auch keinen Zweifel an der Alleinschuld von Varus hegen konnte. Der Ausgang der Varusschlacht war demnach 17 + immer noch ein hoch brisantes Politikum aus dem Kaiser Tiberius ungeschoren heraus kommen wollte. Aber mit der von Segestes eingeschlagenen Strategie der vorgetäuschten Warnung trafen sich seine, mit den Interessen von Tiberius und Tiberius fädelte, natürlich ohne selbst in Erscheinung zu treten ein seltsames Bündnis ein, dass Eingang in die Historie fand. Man nennt es auch „eine Hand wäscht die andere“. So bot es nicht nur die Erklärung warum Varus mit seinen Legionen unter ging, sondern trug in sich auch den Keim einer Verschwörung.(26.01.2021)

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Mittwoch, 20. Januar 2021
Der Segestes Verrat - Warum wichen Tacitus und Paterculus voneinander ab ?
Varus war sich der Quellenlage nach zu urteilen absolut darüber im Klaren, sich also der Tatsache voll bewusst, dass er sich wie man annehmen darf, im südlichen Nethegau in ein Krisengebiet begeben würde, wo keine lammfrommen Germanen auf ihn warten würden. Soweit die Faktenlage. Und darauf wähnte er sich militärisch genügend vorbereitet und operativ bestens gerüstet. Das ihm aber darüber hinaus auch noch zusätzliche, vor allem aber größere Risiken und Gefahren drohen könnten soll ihm wenn, dann jedoch nur indirekt möglicherweise aber auch gar nicht angekündigt worden sein. Die strategische Ausgangslage für Varus war also die, dass er zwar von einem räumlich begrenzten Konflikt ausgehen konnte, aber von weiter reichenden germanischen Plänen nichts wusste. Was sich ihm daher auch zum Zeitpunkt des Ausmarsches in keiner Weise erschloss, war die Dimension dessen was ihn erwarten würde. Denn welche Gefahren es waren, die noch zusätzlich zu den böswilligen Aufrührern auf ihn zukommen sollten, kommt an keiner Stelle in den antiken Schriften klar zum Ausdruck. Das es aber Warnungen über diese zusätzlichen Risiken überhaupt gegeben hat, darf man aus unterschiedlichen Gründen stark bezweifeln. In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage, warum sich Paterculus und Tacitus, wenn es um diese unbeweisbare Vorwarnung geht widersprachen ? Nach Paterculus dem Haudegen und Varusverächter soll nun, und das noch bevor sich Florus und Dio über Segestes äußern, zuerst Tacitus das Wort bekommen“. Und da sollte man ihn beim Wort nehmen. In diesem Kapitel wird nun auf einen seltsamen Dissenz aufmerksam gemacht. Nämlich die Abweichung zwischen dem Umfänglicheren was uns Tacitus aus den brisanten Stunden vor der Schlacht hinterließ und dem Minimalen was wir von Paterculus darüber erfahren haben. Im Wesentlichen besteht dieser Dissenz jedoch nur aus einer kleinen fasst unauffälligen dafür aber interessanten Anekdote. Denn während Paterculus über die Warnung im Singular schrieb, also nur von einem einzigen Warnruf von Segestes an Varus wusste, drückt Tacitus dies im Plural, also in der Mehrzahl aus. Wer von beiden hatte recht, warum wichen ihre Informationen voneinander ab und wieso erwähnte Tacitus mehrere Warnrufe und Paterculus nur einen Warnruf. Und nur von Tacitus erfahren wir zudem auch, dass Segestes den Feldherrn sogar noch am Vorabend vor dem Ausmarsch gewarnt haben soll und bekommen in diesem Zusammenhang auch andere Informationen worüber Paterculus schwieg bzw. nicht berichtete. Nämlich das Segestes während des letzten Gastmahls am Vorabend des Abzuges und noch bevor man unter die Waffen trat gesagt haben soll, dass ein Aufstand gegen ihn in Vorbereitung sei. Also ein Aufstand, nicht mehr und nicht weniger, aber das wusste Varus doch schon vor dem letzten Abend nämlich von Arminius persönlich, der ihm dafür sogar seine Unterstützung zugesagt hatte. Segestes konnte Varus was die Aufrührer anbelangte also nichts Neues sagen. Und was Segestes noch gesagt haben soll war, dass der römische Feldherr doch sicherheitshalber Arminius und die übrigen Anführer gefangen nehmen möge, da das germanische Volk nichts mehr unternehmen würde, wenn man ihm die Fürsten nähme. Es wurde damit, wie es recht selten in der antiken Historie der Fall ist, von Tacitus ein temporär exakt fixierbarer Moment beschrieben, zu dem Segestes seine letzte Warnung ausgesprochen haben soll, nämlich der besagte Augenblick am Vorabend des Ausmarsches. Aber Tacitus gab auch Hinweise zu den näheren Umständen, über die uns Paterculus erstaunlicherweise auch nichts sagte. Aber wie stand es um die persönlichen Befindlichkeiten von Paterculus. Denn wenn Paterculus nur von einem „einzigen Warnruf“ sprach, dem wie er ominös schrieb, „AUS ZEITLICHEN GRÜNDEN“ keine weiteren mehr folgen konnten, so drückt dies auch das detaillierte Wissen eines Mannes aus, der die explosive Situation noch zu spüren schien und der davon selbst noch wie betroffen wirkt. Dramatik spricht gewissermaßen aus seiner Überlieferung, so als ob er selbst noch unter dem Eindruck des turbulenten Geschehens von damals stand, obwohl er nicht dabei war, es also nur als unbeteiligter nach etwa 21 Jahren nieder schrieb. Aber auch er hegte keinen, zumindest keinen nach außen hin erkennbaren Zweifel an den Worten von Segestes. So klingt bei Paterculus auch etwas Bestürzung heraus, wie schmal doch damals der Spalt des Zeitfensters war, in den sich die Ereignisse so kurz vor der Niederlage drängten. Aber warum sollte von Segestes an diesem Vorabend überhaupt alles bis auf des Messers Spitze getrieben worden sein. Denn dafür gab es keinen Grund. Denn der Überlieferung nach war Segestes schon lange in die Vorbereitungsphase mit eingebunden gewesen. Warum sollte er sich also, will man Paterculus glauben sich seine einzige Warnung bis zum letzten Abend aufgespart haben und warnte Varus nicht schon viel früher. Denn Segestes wusste doch sicherlich sogar bis ins Detail, was sich über dem Nethetal zusammen braute. Denn er oder Familienmitglieder nahmen doch an den vorbereitenden Versammlungen im Kreise aller Cherusker teil, wo es der Gegenseite sogar gelang ihn letztlich noch mit in den Krieg hinein zu ziehen. Treffen sich hier am Vorabend möglicherweise die beiden Überlieferungen von Tacitus und Paterculus. Dann hätte Segestes, so wie Tacitus es schrieb, weil er es nicht besser wusste an jenem Vorabend seinen letzten Warnruf allerdings einen von mehreren ausgesprochen und nach Paterculus wäre es an diesem Abend zu dem einzigen Warnruf gekommen. Im Gegensatz zu Paterculus berichtete also Tacitus, dass Segestes schon vor dem Vorabend diverse Warnhinweise gegenüber Varus äußerte und dies klingt auch plausibel. Denn warum hätte Segestes es bei nur einer Warnung an Varus belassen sollen und damit sogar noch bis zum letzten aller letzten Moment warten sollen. Man kann sich in Segestes hinein denken wie er 17 + in seiner Argumentationsnot nervös auf dem Verhörstuhl in Rom sitzend gesagt haben könnte “Ich habe doch den Varus noch bis zuletzt gewarnt, aber er wollte ja immer noch nicht auf mich hören, als ich im sagte, dass es für ihn sehr gefährlich werden könnte“. Es macht aber definitiv einen Unterschied, ob es durch Segestes nur zu „einem“ Verrat am eigenen Volke gekommen sein soll, wie Paterculus berichtet, oder ob es „mehrere“ Hinweise auf Verrat von ihm einem Fremdherrscher gegenüber gab, so wie Tacitus es schreibt. Man wird also versuchen die Angaben von Tacitus zu deuten, indem man sie auch noch mit den zwei anderen zur Verfügung stehenden Überlieferungen, aus denen auch Hinweise über das Getane oder eben das Unterlassene des Segestes vorliegen, vergleicht. Denn es folgen auf Paterculus und Tacitus noch die beiden schriftlichen Überlieferungen von Florus und Dio über Segestes und seine Warnung die mit bewertet werden können. Denn immerhin haben sich alle vier antiken Historiker diesbezüglich an Segestes abgearbeitet. Allein daraus spricht schon die immense historische Bedeutung die schon in der Antike dem Verräter Segestes beigemessen wurde und die nur verwundern kann. Vier Historiker die alle mehr oder weniger einen Beitrag zur Varusschlacht beisteuerten, sich aber alle in einem Punkt und das unabhängig voneinander einig waren. Nämlich darin auf keinen Fall auf den germanischen Wortführer Segestes verzichten zu dürfen. Das Verhalten von Segestes muss sie demnach alle enorm fasziniert haben. Oder drückte dies bereits schon Zweifel an ihm aus, dass es auch anders gewesen sein könnte ? Denn noch so viele Wiederholungen des ein und desselben Geschehen oder Gesagten lösen keinen Automatismus hin zu mehr Glaubwürdigkeit aus und erhöhen auch nicht die Zuverlässigkeit von Segestes dem fahnenflüchtigen Strolch. Aber alles was sich aus den Zeilen der alten Historiker, oder zwischen den Zeilen herauslesen lässt, kommt einem Drahtseilakt gleich, möchte man seine eigene Reputation nicht ausreizen und ins phantasievolle abgleiten. Um aber Segestes der dreisten Täuschung, infamen Falschaussage oder geschickten Notlüge zu bezichtigen, ließen sich schon eine Reihe guter Gründe vorweisen. Lässt es also die Stichhaltigkeit der Theorien zu, wähnt man sich der Lösung nahe, oder ist man gar persönlich davon überzeugt, kann man in die zweite Reihe zurück treten, denn man hat das Seine getan, hat etwas zur Erhellung beigetragen und darf mit Interesse die Gegenargumente abwarten. Einige schlüssige Argumente die für diese Theorie der Varusschlacht im Nethegau samt den meines Erachtens nicht vollzogenen Segestes Warnungen sprechen, wurden bereits in den letzten Abschnitten ausgiebig behandelt. So könnte Segestes, der mit seinem Verhalten den Verlauf der Geschichte explizit den der Varusschlacht in der Tat in einem äußerst heiklen Moment ganz entscheidend mit beeinflusst haben. Aber nicht auf die Weise wie man es in den antiken Schriften lesen kann, sondern im Gegenteil, nämlich in dem er sich aus geschwiegen hat, statt Varus auf die reale und größere Gefahr hinzuweisen. Denn die kam nicht von Seiten der Köder also der Aufrührer, sondern wurde ausgelöst von einer Vielzahl von Menschen aus unterschiedlichen Stämmen und Regionen, die sich hier von einer Besatzungsmacht befreien wollten. Denn wenn Segestes vor der Varusschlacht gegenüber Varus im Gegensatz zum herkömmlichen Kenntnisstand keine Warnungen absetzte, so hätte Segestes auch keinen Verrat vollzogen. Varus könnte man dann auch nicht unterstellen er wäre plump, sehenden Auges und im vollen Bewusstsein einer drohenden, da angekündigten Gefahr ins offene Messer gelaufen. Denn in den Hinterhalt lockte man ihn ohne sein Wissen. Genauso so wie es auch alle Quellen übereinstimmend berichten. Aber in eine Falle locken lässt sich bekanntlich nur jemand der ahnungslos ist und nicht jemand den man bereits darauf hingewiesen hat, dass ihm die eigentliche Gefahr schon auf dem Weg in die Falle begegnen sollte. Denn ein Mensch der verlockt wird oder sich verlocken lässt, der weiß auch nichts von einer Warnung. Denn aus der Wortschöpfung „Locken“ spricht immer Unwissenheit und Unkenntnis vor einer konkreten Gefahr. Varus hingegen unterstellte man bekanntlich das krasse Gegenteil, er ließ sich wohlwissend von der Gefahr die ihm schon auf dem Marsch drohte zu den Rebellen ködern. So konnte man ihn für alle Zeiten zum ewigen Sündenbock machen. Diese Kerntheorie beruht jedoch auf der Einschätzung, dass Segestes gegenüber Varus schwieg und ihm das wahre Ausmaß nicht offenbarte. So erscheint vieles, möchte man die Quellen so auslegen plausibler und Varus könnte man somit in weiten Teilen von seinem bitteren Versagerimage frei sprechen. Und es gibt in der Tat einige gewichtige Argumente, dass es sich in der Tat so zugetragen haben könnte. Ein weiteres bietet nun eine Textstudie aus den Annalen des Tacitus. Unter Trajan der von Januar 98 + bis 117 + römischer Kaiser war, stellte der persische Meerbusen die äußerste östliche Grenze des Imperium Romanum dar. Tacitus lebte in dieser Zeit, wusste dies und berichtete auch darüber was den Schluss zulässt, dass in dieser Zeit oder kurz darauf auch seine für die Varusschlacht bedeutsamen Annalen entstanden sein könnten. Allgemein wird daher für seine Niederschrift ein verschwommener Zeitraum zwischen 115 + bis 120 + angenommen. Aber dieser kleine geographische Exkurs soll lediglich verdeutlichen wie weit sich Tacitus, der auf Paterculus folgte schon zeitlich, innerlich aber auch thematisch vom Wesen und vom Inhalt des Geschehens um die Varusschlacht entfernt hatte. Eine große Zeitspanne von über hundert Jahren in der schon vieles an Originalwissen verloren ging und alle Überlebenden der Schlacht bereits seit Jahrzehnten tot waren. In der Zeit in der Tacitus schrieb hatten die Kaiser andere Probleme und Herausforderungen zu bestehen, als einst Augustus. Seine Aufarbeitung entstand im gehörigen Abstand zum Ereignis und er berichtete über eine schon fasst vergessene Zeit für einen überschaubaren Personenkreis, der immer mehr zusammen geschmolzen war. Alles driftete in eine Epoche hinein, die die Schlacht zum unbegreiflichen Trauma werden ließ und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verlor sich mangels Wissen über sie auch das Interesse daran um sich um Erklärungen zu bemühen und sich die Anstrengung der Aufarbeit anzutun. So war es nur einer vom Volke weit entfernten und Hand verlesenen müßigen Oberschicht vergönnt in Momenten dekadenter Endzeitstimmung den alten Faden noch mal aufzunehmen. Bei Tacitus tritt hervor wie wichtig für ihn der Faktor Moral war, wenn er germanisches mit römischem Leben verglich. Was für ihn vielleicht sogar bedeutsamer war, als sein geschichtlicher Nachlass. Für alle Generationen gilt, dass die Geschichte immer da ihren Platz hat, wo sie auch hin gehört, nämlich in die Vergangenheit. Aber Tacitus konnte rückblickend viele Konsequenzen und politische Entwicklungen in seine Betrachtungen mit einbezogen haben, die Paterculus nicht mehr erlebte. Nachdem Tiberius im Jahre 16 + das Ende der Germanenkriege befahl war bis zum Bataveraufstand 69 + die Kriegsgefahr am Niederrhein gebannt. Tacitus blickte auch auf diese Zeit zurück und wusste, wie sich das Verhältnis von Römern und Germanen zwischen Rhein und Weser veränderte, wie sich die Kräfte verschoben und die Grenze am tiberianischen Landlimes zu erstarren begann. Sein rückblickendes Wissen umfasste eine Zeitspanne von rund 100 Jahren. So konnte er auch das triste Ende der einst so Epoche machenden Cherusker, als sie sich noch als ein in sich gefestigter Stamm präsentierten, kommentieren. Es klingt bei Tacitus sogar etwas Wehmut heraus, wenn man sich seine Übersetzung zu Arminius durch liest, die da in etwa lautet: „Er war unbestritten der Befreier Germaniens und hat das römische Volk nicht wie andere Könige und Heerführer in seinen kleinen Anfängen herausgefordert, sondern als das Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. In Schlachten war er nicht immer erfolgreich, im Kriege blieb er unbesiegt. Sein Leben währte siebenunddreißig Jahre, zwölf seine Herrschaft. Noch heute besingen ihn die Barbarenstämme“. Und das hätte er demnach in den Jahren zwischen 115 + und 120 + nieder geschrieben. Aber zurück zu den anderen Fakten. Seine Angaben bezieht man sie auf die Örtlichkeit des Saltus ließen sich theoretisch auch auf andere Passwege westlich der Weser in der Nähe germanischer Fliehburgen beziehen, gäbe es da nicht schon einen schlüssigen Kontext auf eine Örtlichkeit, die auf den Koordinaten „9°02'20" E / 51°34'32" N liegt. Aber dann vollzieht Tacitus einen ungewöhnlichen literarischen Sprung in seiner Darstellung. Es liegt uns zwar nur eine Information von ihm vor in der er auf die Warnung des Segestes und das Geschehen vor der Varusschlacht ein ging, aber sie lässt aufhorchen. Die eigentliche Schlacht ließ er bekanntlich völlig unkommentiert und nahm den Faden erst sechs Jahre später wieder auf als Caecina und Germanicus 15 +, wohl an der Spitze der Legionen den Schlachtort aufsuchten. Aber der vermeintliche Warnruf des Segestes noch bevor es zur Schlacht kam, war es ihm doch wert es zu erwähnen. Seit Segestes 17 + in Rom am Triumphzug für Germanicus teil nahm gingen etwa hundert Jahre ins Land bis Tacitus in seinen Annalen schrieb, wie Germanicus im Jahre 15 + die Knochen der getöteten Legionäre beisetzte. Etwa 85 Jahre nach dem Paterculus uns die Information hinterließ, dass Segestes für Varus nur einen einzigen Warner übrig hatte, berichtet uns Tacitus nun aus einer Distanz von rund 100 Jahren eine von Paterculus, dem Zeitzeugen abweichende Darstellung. Zweifellos genießen Überlieferungen die den Ereignissen zeitlich näher stehen, immer einen höheren Wert an Glaubwürdigkeit als jene, die erst 85 Jahre später zu Papier gebracht wurden. Weniger wahrscheinlich dürfte aber sein, dass Tacitus besser informiert war und über weiter gehende Informationen verfügte als Paterculus nur weil er sie zu Papier brachte. Denn mit dem zeitlichen Abstand verringerten sich auch die Quellen. Das augenfällig unterschiedliche zwischen der Überlieferung von Paterculus und der von Tacitus ist die Tatsache, dass wir im Gegensatz zu Paterculus von Tacitus erfahren, Segestes habe den Feldherrn Varus sogar mehrmals gewarnt. Und nicht nur das, er wird sogar noch ausführlicher als Paterculus in dem er schreibt, Segestes habe Varus sogar noch beim letzten gemeinsamen Mal mit den Worten gewarnt. „Arminius turbator Germaniae, Segestes parari rebellionem saepe (oft) alias et supremo convivio“. Aber was sagt uns die Abweichung zwischen der Angabe von Paterculus, der nur von einem einzigen Warner zu berichten wusste und der Aussage des Tacitus, der von oft bzw. mehreren Warnhinweisen sprach. In erster Linie erkennen wir unzweifelhaft, dass unterschiedliche Versionen zum Verhalten von Segestes aus jenen Tagen historisch im Umlauf waren. Aber welche Angabe ist nun die richtige bzw. die glaubwürdigere. Man könnte und sollte ungeachtet späterer Manipulationen an der Segestes Aussage davon ausgehen, dass sich der Wissenstand darüber, was er im vermeintlichen Verhör im Jahre 17 + an Geschichtsträchtigen von sich gab auch in der Folgezeit nicht wesentlich verändert haben dürfte. Seine Darstellung stand fix im Raum und andere Personen außer ihm die man hätte befragen können bietet uns die Historie nicht an. Unter dieser Prämisse betrachtet könnte man dem mehr Glauben schenken, was der den Zeiten näher stehende Paterculus berichten konnte. Tacitus ging auf das Geschehen der Varusschlacht mit keiner Silbe ein. Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass er über den Verlauf der Schlacht auch nichts wusste, oder nichts berichten wollte. Was jedoch ins Auge fällt ist ein Hinweis von ihm der erkennen lässt, dass er über einige Ereignisse die sich vor der Schlacht, ereigneten und zwar sogar unmittelbar davor, nämlich am Vorabend bevor man „unter die Waffen trat“ dann doch wieder recht gut informiert gewesen war. Dann aber riss sein Interesse ab, der Nachwelt mehr hinterlassen zu wollen. Segestes stellte, möchte man die Angaben von Tacitus in der Gestalt interpretieren den Sachverhalt im Jahre 17 + so dar, als ob er sich erst nach dem seine Warnungen bei Varus auf taube Ohren stießen förmlich gezwungen sah nun gemeinsam mit Arminius geradezu an der Schlacht teilnehmen zu müssen. Obwohl er dies nicht beabsichtigt hatte. Demnach war es der Vorabend als es zum besagten letzten Warnruf kam und dies war dann möglicherweise auch der einzige Warnruf, so wie es auch Paterculus hinterließ, weil er näher am Geschehen lebte. Was Tacitus letztlich veranlasste von mehreren Warnrufen zu schreiben bleibt offen. Segestes könnte auch einen einmalig statt gefundenen Warnruf dem römischen Tribunal gegenüber plausibel dargelegt haben. Segestes argumentierte es in dergestalt, als dass Varus durch sein schroffes und abweisendes Verhalten indirekt auch seine Teilnahme am Kampfgeschehen erzwang. Ein Argument mit dem es sich auch gut aus aller Verantwortung heraus reden ließ. Im Zuge seines ihm durch Varus entgegen gebrachten Misstrauens forderte dieser es nahezu heraus. Segestes konnte sich Achsel zuckend und unschuldig zurück lehnend dem Tribunal sozusagen selbstredend als Opfer der Situation präsentieren und alles wirkte stimmig. Nach dem Varus ihn also brüskierte in dem er ihm keinen Glauben schenkte, sah Segestes auch keine Veranlassung mehr, sich an der Schlacht nicht zu beteiligen um dann irgendwo in rückwärtiger Stellung den Ausgang abzuwarten. Er hatte seinen Beitrag geleistet. Eine Handlungsweise die auch für die interessierte Fragerunde im Palatin im Jahre 17 + nachvollziehbar erschien, da sie ihm glauben wollte vor allem aufgrund höherer Direktive auch musste. Schlussfolgerung. Auch Tacitus war zum Zeitpunkt der Niederschrift seiner Annalen nicht bekannt, dass die Äußerungen von Segestes 17 + möglicherweise nur auf Schutzbehauptungen beruhten, er hielt dass, was ihm an schriftlichen Zeugnissen zur Verfügung stand für korrekt und es klang für ihn authentisch. Aber entnahm Tacitus seinen Wissensstand wirklich einer Quelle, die nicht identisch war mit der über die Paterculus verfügte bzw. gab es diese überhaupt. Man darf annehmen, dass wie Paterculus auch Tacitus Kenntnis über die Aussagen des Segestes hatte und mit Paterculus in etwa auf gleichen Wissenstand war. Aber die Anzahl der Warnrufe macht den kleinen Unterschied zwischen beiden Überlieferungen und für diese Differenz gilt es eine Erklärung zu finden. Daher die Frage, ob es gegenüber Paterculus abweichende Quellen gab, Zwischenquellen, die es Tacitus gestattet hätten anderes zu berichten als Paterculus. So darf man sich mit der hypothetischen Frage auseinander setzen, wem im römischen Herrscherhaus noch daran gelegen sein könnte und ob überhaupt ein Interesse daran bestand, nach dem Jahr 30 + in dem Paterculus schrieb das Kapitel Varusschlacht noch einmal aufzugreifen, es fort zu schreiben um es durch ergänzende spätere Berichte zu komplettieren. Tiberius regierte bis 37 + und nach ihm regierten bis in die Zeit in der Tacitus seine Annalen veröffentlichte weitere immerhin etwa 22 römische Kaiser. Neue Enthüllungen zur Varusschlacht in diesen Jahren dürfte es wohl über die gesamte Zeit betrachtet nicht mehr gegeben haben. So wird mit Paterculus die geschichtliche Quellensichtung zur Schlacht auch ihr vorläufiges Ende gefunden haben. Demnach zu urteilen könnte man annehmen, dass sich alle Historiker nach Paterculus an dem Wissensstand abgearbeitet haben dürften, wie er bis zu diesem Zeitpunkt also dem Jahr 30 + hinterlegt war. Man könnte möglicherweise sogar so weit gehen zu behaupten das auch das, was viele Jahre später Cassius Dio niederschrieb, schon dem Wissenstand entsprach den Paterculus besaß, der aber nicht darüber berichtete. Es nicht verschriftete, da sein Interesse am Untergang seines möglichen Rivalen um die Statthalterschaft in Germanien, nämlich Varus nur mäßig vorhanden war. Möglicherweise hätte er noch über Abläufe berichten müssen, die Varus sogar noch in ein besseres Licht hätten rücken können. Denn es scheint nahezu unvorstellbar das verspätet, also noch nach 30 + eingegangene Zeitzeugenberichte noch von einem akribischen Bibliothekar nachträglich den alten Senatsakten angeheftet worden wären, selbst wenn es sie gegeben hätte. Was auf dem Tisch lag, das lag bis 30 + auf ihm und über 21 Jahre nach der Schlacht verspürte niemand mehr ein Interesse Details über eine verlorene Schlacht zu erfahren. Es gab niemanden mehr den man hätte zur Rechenschaft ziehen können oder wollen und über Niederlagen sprach und referierte man nicht gerne. Da sich schulischer Lehrstoff daraus auch nicht gewinnen ließ, könnte das Wissen um den Schlachtverlauf nur in römischen Militärakademien oder ähnlichen Institutionen auf Interesse gestoßen sein, die es jedoch im Imperium nicht gab. So kann angenommen werden, dass mit dem Jahr 30 + auch jegliche Auf- und Nachbearbeitung aller bis dato bekannten Informationen zur Varusschlacht zum Abschluss gekommen sind und die Akten geschlossen wurden. Und auch ein Florus wusste nicht mehr als das, was schon Paterculus bekannt wurde bzw. ihm schon bekannt war. Nach allem was Tacitus einsah oder meinte beurteilen zu können, wollte er Segestes über jeden Zweifel erhaben machen, steigerte sich in der Begrifflichkeit und wollte möglicherweise die Plausibilität damit stärken, in dem er aus dem einmaligen Warnruf, je nach Übersetzung sein „oft“ oder „mehrfach“ bekräftigte. Tacitus wähnte sich in den Fußstapfen von Paterculus der ähnlich schrieb und ihm könnte daran gelegen gewesen sein, der Aussage von Segestes ein Mehr an Gewicht und Glaubwürdigkeit zu verleihen und unterstrich dies mit dem Hinweis auf mehrere ergangene Warnungen. Somit beteiligte er sich mit einer kleinen Randbemerkung aktiv an der möglichen Legendenbildung des doch so treuen Segestes der letztlich aus sich selbst seine ureigene Quelle machte. Auch hier schimmert wieder der Wunsch nach Eigeninterpretation durch, die einem Paterculus weniger zu Gesicht stand, dieses mal aus der Feder von Tacitus. Die aber wiederum Paterculus glaubwürdiger erscheinen lässt. Denn um so häufiger Segestes Varus warnte, um so mehr ließ sich sich Varus zu einem völlig unbelehrbaren Feldherr abstempeln, der in Gänze fehl am Platz war. Tacitus übernahm damit im Kern die Darstellung wie sie bereits bei Paterculus zum Ausdruck kam. Denn auch Paterculus erklärte Varus zum Alleinschuldigen und Tacitus tat es ihm gleich. Und desto mehr man Varus damals noch unter Tiberius ins schlechte Licht rückte, um so besser war es für das Image des Kaiserhauses. Um so hilfreicher waren auch die Angaben und Aussagen von Segestes um vom gesamten militärischen Versagen und den Versäumnissen vor und während der Varusschlacht abzulenken. Denn die Legionen wollte und musste man sauber halten, sie waren eine Macht im Staate und entschieden kraft ihres militärischen Gewichtes auch über wohl und wehe des Kaisers bis hin zu seiner Absetzung. Und das galt auch noch für die Zeit in der Tacitus schrieb. Man könnte aufgrund der dargestellten Abweichung zwischen Paterculus und Tacitus auch an eine frühe Quellenverfälschung schon im Verhörsaal des Kaisers denken, der bereits Paterculus zum Opfer gefallen sein könnte. So könnten die Angaben von Segestes auch schon im Jahr 17 + zum Spielball politischer Auslegungen, Ränken und Interessen im Sinne der vorherrschenden Politik geworden sein oder die Protokolle enthielten einen irreführenden Satzaufbau der falsche Interpretationen zuließ. So ließe sich daraus schlussfolgern, dass das Kaiserhaus sich der Brisanz der Segestes Aussagen durchaus bewusst war und sie sich nutzen ließen um das Kapitel Varusschlacht damit innenpolitisch zum Abschluss zu bringen. Weitere spätere Vervollständigungen die der Aufhellung hätten dienen können waren nicht mehr gewünscht. So könnten auch Unterlagen die sich noch in der Palatinischen Bibliothek befanden schon zu Zeiten von Tiberius gezielt separiert bzw. aussortiert worden sein um auch an seiner Person keinen Makel entstehen zu lassen. Tacitus durfte und konnte sich also den Details zur eigentlichen Varusschlacht nicht mehr widmen, weil diese Quellen auch wenn sie noch existierten, nicht mehr auffindbar oder zugänglich waren. Man kann zudem nicht ausschließen, dass möglicherweise sogar einiges vernichtet, oder gar nicht erst im Protokoll festgehalten wurde. Es könnten aber auch Berichte existiert haben, die zu den Zeiten von Tacitus noch unter Verschluss lagen und erst von Cassius Dio genutzt werden konnten, denn es will nicht zu Tacitus passen, dass dieser das Kapitel Varusschlacht komplett ausklammerte, wenn er denn Details gewusst hätte. Was Tacitus zu Augen kam, darüber berichtete er und brachte es zu Papier, andere Quellen konnte er nicht erreichen. Hätte er Unterlagen vorgefunden, hätte man dies als späte Kritik an Tiberius wegen seiner Germanenpolitik auslegen können, das vermied möglicherweise schon frühzeitig der Kaiser. Aber warum Paterculus kein Wort über das Gastmahl am Vorabend und über den Vorschlag man könne doch die Fürsten gefangen nehmen verlor, so wie es Tacitus im Abschnitt 1,55 (2) hinterließ, lässt andere Gedankengänge zu. Einer davon könnte sich auf Paterculus den Militaristen beziehen, dem das Lagerleben verpönt war. Er verachtete daher das Verhalten von Varus, da der den bequemen Aufenthalt gegenüber einem aufreibenden Sommerfeldzug bevorzugte. Damit ließe sich erklären, warum Paterculus sich eine Bemerkung über den illustren Abend samt Gaumenfreuden ersparte. Aber was hinderte Paterculus daran auf die Idee von Segestes einzugehen, die höher gestellten Germanen in Haft nehmen zu lassen. Denkbar ist grundsätzlich, dass Paterculus nicht auf jedes Detail einging. Er also nicht alles aus den Gesprächen zwischen Segestes und den Staatsbeamten in Rom für sein Geschichtswerk übernahm und nutzte, obwohl ihm vieles daraus bekannt gewesen sein dürfte. Paterculus wusste auch was sich in der Burg des Segestes 15 + zutrug, als sich dieser von Germanicus retten ließ. Und auch über Germanicus hätte er mehr schreiben können, der ihm aber nicht viele Zeilen wert war, da er von seinen unrühmlichen militärischen Defiziten im Pannonienkrieg wusste und wie unzufrieden Kaiser Augustus deswegen mit ihm war. So blieben für Tacitus noch diverse Begebenheiten die dieser in seinen Annalen verarbeiten konnte. Detailreiches Wissen über die Ergebnisse des Verhörs mit Segestes, dass Tacitus den Protokollen entnahm erfahren wir folglich erst rund 100 Jahre nach Paterculus. Den nur vermeintlich guten Schachzug die Fürsten in Fesseln legen zu lassen stufte der erfahrene Paterculus als Kenner der Umstände möglicherweise auch als grotesk bis lächerlich ein und unterließ es daher es zu zitieren. In einem früheren Kapitel wurden die Gründe dafür bereits ausführlich dargelegt. Der unverkennbare Disenz der Warnrufe aus den zwei Quellen erlaubt einen Blick in das Wesen antiker Geschichtsschreibung schlechthin. In diesem Punkt unterscheidet es sich auch nur wenig von der modernen Vorgehensweise die auch aus dieser Erfahrung heraus soviel wert auf einen korrekten Quellennachweis legt. Allerdings nur wenn man über eine Internationale Standardbuchnummer veröffentlichen, sich also vermarkten möchte. So ist auch hier die Erklärung so einfach wie simpel. Denn auch Tacitus konnte keine neuen Quellen mehr auftun, die ihm anderes verraten hätten. Da es sie nicht gab, musste er sich auf die eine Urquelle beschränken und sich mit ihr begnügen aus der sie alle schöpften. Das sich nach etwa einhundert Jahren kleine Unterschiede in der Bewertung und Auslegung einschlichen ist nachvollziehbar. Das es wie in diesem Fall nur minimale Nuancen und keine Grundsätzlichkeiten sind, bestätigt zudem die Glaubwürdigkeit der Urquelle nämlich der immer wieder kehrende Verweis auf Segestes bzw. seine Behauptung. Diese Tatsache ist daher von weitaus größerer Bedeutung, als das was Tacitus später aus den Worten seines Vorgängers Paterculus machte, nur weil ihm ein Warnruf zu wenig erschien. Und wer will schon seinen Kopf dafür hinhalten, dass es nicht auch einen unentdeckten Bericht von Paterculus gab in dem er selbst von mehreren Warnrufen sprach. Mangels Wissen gehorcht und unterliegt es einer kaum vermeidbaren Zwangsläufigkeit, dass der Jüngere unausweichlich vom Älteren abschrieb und es daher ungeprüft übernehmen muss, weil er keine andere Wahl hat. Es spiegelt wider, wie sich eine einmal aufgestellte Behauptung ausbreiten kann und wofür die Historie viele Beispiele kennt. In diesem Fall führte es zu der möglicherweise irrigen Annahme, dass es beinahe einem Mann möglich gewesen wäre, eine ganze Schlacht mit tausenden von Toten verhindern zu können. (20.01.2021)

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Montag, 4. Januar 2021
Ostwestfalen - Südwestengland
Nicht nur die Heraldik verbindet die Regionen.
Möchte man sich auf die Suche nach dem Grab von Varus begeben ist allerdings ein unerwarteter Umweg nicht zu vermeiden.


Das Ross der Westfalen


Das Ross der Angelsachsen in der Grafschaft Kent

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