Freitag, 26. Februar 2021
Publius Annius Florus - Das Absurde zwang ihn sich selbst zu widersprechen
Bevor dank Cassius Dio die mögliche Auflösung naht ist es nötig noch mal abschließend den Überlieferungen des Publius Annius Florus etwas auf den Zahn zu fühlen. Denn seine Worte sind, was Segestes anbelangt symptomatisch für das überkommene Wissen der Zeit und sie gleichen jenen der Historiker Paterculus und Tacitus. Was er uns über ihn sagte schrieb er im Original in Kapitel 2.30 Absatz (33 + 34) in lateinischer Schrift nieder. Es folgen nachstehend die drei gängigsten Übersetzungen.
Zu Beginn die Begründung von Florus für die Entscheidung von Varus den Umweg trotz der Warnung angetreten zu haben:

(33) 
( lateinischer Originaltext soweit wie überliefert)

"cum interim tanta erat Varo pacis fiducia, ut ne prodita quidem per Segesten unum principum coniuratione commoueretur".

Dazu drei Übersetzungen:

(33) 

"unterdessen war das Vertrauen des Varus in den Frieden so groß, dass er sich nicht einmal rührte, als ihm die Verschwörung durch Segestes, einen der Fürsten, aufgedeckt wurde".

(33)

"zwischenzeitlich war Varus so zuversichtlich, dass er selbst dann nicht beunruhigt war, als Segestes, einer der Häuptlinge, ihm die Verschwörung verriet".

(33)

"Varus vertraute indessen dem Frieden so fest, dass ihn selbst eine vorhergesagte und von Segestes, einem Fürsten, entdeckte Verschwörung nicht aus der Ruhe bringen konnte".

Daraus resultierend entwickelte sich nun das unvermeidbare Desaster, so wie Florus es beschrieb:

(34) 
( lateinischer Originaltext soweit wie überliefert)

"Itaque improuidum et nihil tale metuentem ex inprouiso adorti, cum ille - o securitas! - ad tribunal citaret, undique inuadunt; castra rapiuntur, tres legiones opprimuntur". 

Dazu drei Übersetzungen:

(34)

"Und als Varus unvorbereitet war und keine Angst vor so etwas hatte, erhoben sie sich in einem Moment, in dem er sie tatsächlich aufforderte, vor seinem Tribunal zu erscheinen, und griffen ihn von allen Seiten an. Sein Lager wurde besetzt und drei Legionen wurden überwältigt".

(34)

"Folglich griffen sie ihn, der nichts ahnte und so etwas nicht fürchtete, unvermutet losbrechend, von allen Seiten an, als er - welch eine Selbstsicherheit - zum Tribunal rief ; das Lager wurde geplündert, und drei Legionen wurden vernichtet". 

(34)

"Und so überfallen sie unerwartet den Unvorsichtigen und nichts der Art Befürchtenden. Gerade wie er, - o, diese Sicherheit - Leute vor Gericht laden lässt brechen sie unversehens von allen Seiten herein, nehmen das Lager im Sturm weg und machen drei Legionen nieder".

Die Szenerie wie sie Florus in Textstelle (33) beschreibt, spielte noch vor dem Abzug aus dem Sommerlager an der Weser. Sein Vertrauen und seine Zuversicht in den Frieden werden in diesen Stunden bei Varus groß geschrieben. Er stützte und verließ sich offensichtlich auf die cheruskische Unterstützung. Varus war in dieser Phase wie man annehmen darf im Begriff alle Vorbereitungen für den herbstlichen Rückzug in die oder das Winterlager am Rhein zu treffen. Ein Marsch bei dem man vorher noch einen abseitig gelegenen Landstrich durchqueren wollte, weil es dort laut Arminius zu Unruhen gekommen sein soll. Varus fühlte sich der Lage gewachsen und war sich der Situation völlig bewusst. Und er war sich sicher, dass er bevor er in das Aufrührergebiet ziehen würde alle dafür nötigen Maßnahmen ergriffen hatte. Eine Region in der er auf militärisch unklare Verhältnisse stoßen würde. Was sich ihm jedoch nicht in seiner Gesamtheit erschloss und was er nicht erwarten konnte war die Tatsache, dass es schon auf dem Hinzug zu den Rebellen zu einem Angriff auf den Marschzug kommen würde und nicht erst in deren Stammesgebiet. Das sich nach Lage der Dinge ein Feldherr auf eine militärische Auseinandersetzung vorzubereiten hatte ist ein normaler Vorgang der daher auch bei keinem Militärangehörigen eine erhöhte Beunruhigung auslöste. Das Varus dies mit seinem Rückzug zum Rhein verbinden wollte, erhöhte allerdings den logistischen Aufwand, dem er aber mit einer Marschzugaufteilung begegnete. Varus verstand also in diesem Moment nicht, warum er hier von Segestes darüber hinaus noch zu übermäßiger Vorsicht angehalten wurde. Die Sachlage war für Varus klar zumal sich Segestes ihm gegenüber nicht in Details verstieg und Hintergrundwissen über das ihm Bevorstehende missen ließ. Und so akzeptierte er auch nicht den aus seiner Sicht irrwitzig zu nennenden Vorschlag von Segestes die germanischen Häupter in Fesseln zu legen und verwarf ihn konsequenterweise. Hätte es ihn gegeben und Varus hätte so gehandelt, wäre es ein höchst aggressiver Akt gegen das führende Fürstenhaus gewesen und hätte zwangsläufig zu einem unerwünschten Bruch mit ihm geführt und das in einem denkbar ungünstigen Moment. Soweit aber nur die Darstellung, wie man sie sich aus der Sicht des Segestes gerne vorstellen möchte und wie er sie vermutlich im Jahre 17 + in Rom überzeugend vortrug. Das es dann anders kam, ist hinlänglich bekannt. Und auch Florus kam nicht umhin uns einen Unvorbereiteten zu beschreiben, der er aber nicht war. Und darin liegt der Disens. Denn Florus bringt zum Ausdruck, dass Varus nicht nur unvorbereitet war, sondern das er auch nichts ahnte und alles für ihn völlig unerwartet kam. Aber so konnte es bekanntermaßen nicht gewesen sein. Denn immer unter der Prämisse betrachtet, dass die Segestes Warnung statt fand, war Varus keineswegs unvorbereitet, weder nichtsahnend und es kam für ihn auch nicht völlig unerwartet. Denn er wusste bereits von Arminius, dass man einen Konflikt nicht völlig ausschließen konnte, gleich wo er statt fand, ob bei den Aufrührern oder vielleicht sogar schon früher. Florus musste anhand seiner Vorlagen davon ausgehen, dass Varus aus dem Munde des Segestes bekannt war, dass eine Verschwörung im Gange sei. Aber Varus könnte den von Arminius angekündigten Aufruhr bereits für die ihm von Segestes mitgeteilte Verschwörung gehalten haben. Auch wenn er seine Worte nicht ernst nahm, so war er doch definitiv weder unvorbereitet noch nichtsahnend. Warum konnte also Florus Varus so unvorbereitet erscheinen lassen, wo er es doch gar nicht war. Eine mögliche Erklärung läge darin, dass auch Florus wie alle anderen Historiker darum rang nach Begründungen dafür zu suchen, wie ein mehrfach Vorgewarnter dann doch sehenden Auges ins Verderben reiten konnte. Und erneut wird deutlich, Varus war nicht vorgewarnt zumindest nicht von Segestes. Es ist auch denkbar, dass Florus dem Versuch erlag, seine Quellen so interpretieren zu müssen, als ob Varus die Warnung von Segestes schon völlig vergessen oder verdrängt hatte, als die Germanen über sein Lager her fielen, in dem er es als einen völlig unerwarteten Vorfall beschrieb. Da also Varus zumindest von Arminius über die grundsätzliche Gefahr in Kenntnis gesetzt war, trifft die Florus Beschreibung "nichtsahnend" und "unerwartet" nicht zu. Und auch ein Aufruhr also eine Erhebung so wie es geschildert wurde war kein alltägliches Vorkommnis. Man könnte annehmen, dass Florus dafür keine andere Erklärung hatte, als nur zu vermuten für Varus käme alles plötzlich und unerwartet. Denn es wollte nicht zusammen passen, aber er wollte es passend machen. Hier die deutliche Warnung vor einer Verschwörung und einem Aufruhr und als es dann zum angekündigten Überfall kam, soll er völlig unvorbereitet gewesen sein. Man kann darin auch für einen kurzen Moment auf den Gedanken kommen, dass auch schon Florus an der Segestes Warnung so seine Zweifel hatte. Gab es sie, oder gab es sie nicht ? Was den wie angenommen nicht vorgewarnten Varus dann maximal überrascht haben wird und worüber er auch über alle Maße erstaunt gewesen sein dürfte, war dann höchstens die Tatsache, wie unerwartet heftig ihm die Germanen entgegen traten. Und das sich die abtrünnigen Cherusker im unmittelbarem Gefolge von Arminius dann auch noch zusätzlich gegen ihn erhoben, hatte ihm auch ein Segestes nicht angekündigt und ihm nicht "en detail" erläutert. So hätte Segestes Varus zum Beispiel auch auf die leicht zu durch schauende brisante Konstellation hinweisen können, in dem man ihn um Abstellungen zum Zwecke des Trossgeleit gebeten hatte mit dem Hintergedanken seine Kampfkraft zu schwächen. Segestes hätte ihm sagen können, dass dies schon Teil der Strategie vor der eigentlichen Schlacht war. Er hätte ihm auch sagen können, dass Arminius und seine Auxiliartruppen ihm dann nach dem Ausschalten dieser Abstellungen nach reiten würden, um ihm in den Rücken zu fallen. Er hätte ihn mit der Gefahrenlage konfrontieren können, dass man ihn nahe der Egge in eine Sackgasse ähnliche äußerst abwegige Region ohne sichere Wegeverbindungen lockte und das ihm dort kaum ein Ausweg blieb und ihm kein sicheres Lager mehr zur Verfügung stehen würde. Allesamt reichlich Material, denn Segestes verfügte über genügend Detailkenntnisse womit er seine Glaubwürdigkeit hätte bequem unterstreichen können, wenn er gewollt hätte. Aber er hat geschwiegen. Und Segestes hätte dieses Wissen auch nicht nur an Varus weiter geben, sondern es auch mit dem römischen Generalsstab teilen können ja sogar müssen, der schließlich aus drei verantwortungsvollen Legionskommandeuren und anderen Befehlshabern bestand. Denn auch zu ihnen dürfte er Zugang gehabt haben. Denn wenn ihm schon Varus kein Gehör schenkte, dann doch vielleicht seine militärischen Profis denen er sich hätte anvertrauen können. Erinnert sei an die Worte von Paterculus der da sagte, dass die Varuslegionen von allen die Tapfersten waren was ihre Zucht, Schlagkraft und Erfahrung anbelangt. Und solche Kommandanten sind nicht leicht zu überlisten und hätten schon erkannt und gut abgewogen, was ihnen da ein Segestes mitgeteilt hätte. Denn in vielen Kriegen waren sie unter allen römischen Truppen die Ersten und das wären sie nicht gewesen, wenn sie sich wie unreife Truppenführer verhalten hätten. Und diese als kriegserfahren beschriebenen Top Legionen sollen alle nichts von dem erfahren haben, was Segestes Varus geraten haben wollte. Seine unbewiesenen Prophezeiungen die sich als Verrat in die Geschichtsbücher eingeschlichen haben gingen letzlich in Erfüllung und das Resultat bekam den Namen Varusschlacht. Dem Inszenator Segestes dienten sie als guter Vorwand in schwieriger Lebenslage um nicht von den aufziehenden Germanicus Feldzügen betroffen zu werden. Für die römische Gesellschaft war es das gefundene Fressen und geeignet als unterhaltsame Vorlage mit hohem melodramatischen Wert. Tiberius hingegen nutzte es als Machtkalkül und es diente seinem guten Ruf. Denn als römischer Kaiser wollte er aufgrund der von ihm angeordneten Ausdünnung der Varuslegionen nicht als Mitschuldiger an der Niederlage in Erscheinung treten. Eine Tragödie die dank vieler Facetten auch reichlich Stoff für zukünftige Mythen und Legenden bot, worauf ich noch eingehen möchte. Von alledem unbeirrt nahm die Schlacht ihren Verlauf und selbst für den Fall, dass es die Warnung eines Segestes tatsächlich gegeben haben sollte, so hätte dies am späteren Hergang nichts geändert, denn Arminius war der Mann dem Rom vertraute und mehr noch, nämlich vertrauen musste. Es bedurfte auch keines Verrats von Segestes, denn den Aufruhr hatte Arminius dem Feldherr schon vorher auf seine Weise "verraten". Worunter man allerdings keinen Verrat versteht, sondern den wichtigen Hinweis eines befreundeten Germanenfürsten. Arminius hatte die Lage unmissverständlich geschildert und Varus glaubhaft machen können, sodass dieser es nicht mehr ignorieren konnte. Segestes hätte sich die Warnung, selbst wenn er gewollt hätte allerdings ersparen können, denn er wäre damit bei Varus auf taube Ohren gestoßen. Anekdotenhaft ließe sich noch anmerken, dass mangels nutzbarer schneller Kommunikationswege in die Krisenregion jegliche Fernaufklärung scheitern musste, womit sich die Schlacht noch hätte vermeiden lassen können. Nach allem was sich recherchieren lässt hatte Varus hatte also Pech im Unglück. Segestes nutzte die diffusen Umstände für seine Reputation, konnte alles unbesorgt in seinem Sinne auslegen und für sich aufhübschen. Dem Abschnitt 2.30 (33) bei Florus lässt sich also eigenartigerweise die gleiche Darstellung entnehmen, wie sie bereits von Paterculus und Tacitus als Rechtfertigung für das Verhalten von Varus dargelegt wurde und womit sich in Rom sein Untergang so vortrefflich begründen ließ. Eben jene skurrile Charakterbeschreibung des Versagers Varus wie sie für einen einerseits friedliebenden und als gutmütig beschriebenen Menschen hinterlegt ist, der dann aber zum brutalen Richter mutieren konnte, sich letztlich aber als militärisch unfähig erwies. Ein perfektes Melodram für eine neue Showbühne war geboren. Und darauf das derartiges in Rom nicht ausufern konnte achtete Kaiser Tiberius sogar höchst persönlich. Denn es ist überliefert, dass er sich auch schon mal gezwungen sah, so wie es 23 + geschah, das Theatervolk zu maßregeln, wenn es über die Stränge schlug. Allesamt Beschreibungen die in sich unschlüssig wirken und daher die Geschichtsforschung in die Sackgasse ewiger Ratlosigkeit führten. Aber wie schrieb Florus noch gleich. Sein Vertrauen in den Frieden war so groß und fest und er war so zuversichtlich und in keiner Weise beunruhigt. Varus muss sich also in der Tat nicht nur in seinem Sommerlager wie in einem völlig gefahrlosen Außenposten des Imperiums gefühlt haben, sondern hat auch die Risiken im Großraum an der Weser als völlig unproblematisch eingeschätzt, also unterschätzt. Hand aufs Herz, kann man natürlich die Frage aufwerfen, wer denn dieses alles in Rom später überhaupt so gut gewusst haben könnte. Aber man weiß letztlich von wenigen Überlebenden der Schlacht, die die Stimmung so wie sie sie damals erlebten wieder gegeben haben könnten. Aber auch noch ein Segestes könnte die Lage unabhängig von seiner ominösen Warnung in Rom in der Form geschildert haben. Die Warnung des Segestes immer als zutreffend voraus gesetzt, lässt sich aus den Überlieferungen des Florus nun folgendes Fazit ziehen. Varus war guter Dinge und er trat den Marsch zu den Aufrührer in der vollen Überzeugung an, es könne ihm keinerlei Gefahr drohen. Für Florus musste alles so erscheinen, als ob Varus trotz Vorwarnung wirklich völlig unvorbereitet war. Eine absurde Situation die Florus letztlich dazu zwang sich in seinen Darstellungen selbst zu widersprechen. Denn die Textstelle 33.) ist nicht kompatibel mit der Textstelle 34.). Denn wie konnte sich ein Varus um Himmelswillen sicher fühlen, obwohl er doch von der Warnung des Segestes gewusst hatte. Aber es gibt nur dann ein perfektes Konstrukt ab, wenn man aus Varus einen Totalversager machen möchte und das war er beileibe nicht. Was dann die Florus Darstellung eines Überraschungsangriff auf das Lager anbetrifft, als Varus zu Gericht rief, so griff er diesen Hinweis nicht aus der Luft, denn dazu verfügte er über Quellen und Informationen, die sich nahtlos in das Geschehen der Varusschlacht einbinden lassen. Kenntnisse, die im Gegensatz zu seinen Überlieferungen über Segestes wahrhaftiger Natur waren, da man diese nicht manipulieren brauchte, denn es wird kein Nutznießer erkennbar. Da aber der besagte Lagerüberfall auf die Person Segestes kein Bezug nimmt, soll darauf an anderer Stelle vertiefend eingegangen werden. Was aber die hinlänglich verbreitete, aber auf tönernen Füßen stehende "Großtat" des Segestes in Bezug auf seine Warnung anbelangt, die uns in den letzten Kapiteln auf Schritt und Tritt verfolgt hat, so erscheint nun doch endlich noch das lang ersehnte Licht der Aufklärung am Tunnelende. Und dieses Licht lässt auch die innere Ruhe und Gelassenheit besser verstehen, in der sich Varus vor dem Abzug wie in Friedenszeiten wähnte und es lässt sich vieles unter einem anderen Licht betrachten. Nämlich befreit von Verschwörungsabsichten und Reputationsbemühungen wie Segestes sie einst in Rom auftischte, gab es damals nur eine geschickt eingefädelte Täuschung und die gelang nur Arminius mit Unterstützung seines Vaters. Aber neben den schwer zu deutenden aber in puncto Segestes von Paterculus, Tacitus und Florus auch kaum glaubhaften Quellen haben wir noch den besagten Hoffnungsschimmer. Denn es existierte noch eine unverfälschte Version über die Begebenheiten an den Tagen vor dem Abzug aus dem Sommerlager. Es war Cassius Dio der es erst lange nach Florus zu Papier brachte. Und fortan spukt auch nun kein Segestes mehr durch das Varusereignis. Denn Dio beschert uns einen zweiten und was den Fall Segestes anbelangt, auch einen von seinen Vorgängern unabhängigen und nachvollziehbaren Erzählstrang und er öffnet damit die Tür zu besagter zweiter Quelle. Informationen die nur ihm vor lagen und die nur er auswerten konnte. Demnach müsste man ihn aus der Phase III entlassen, denn ihm steht eine eigene Kategorie zu. (26.02.2021)

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Samstag, 13. Februar 2021
Publius Annius Florus - Man sollte ihm mehr glauben schenken
Publius Annius Florus ist der letzte antike Historiker, der sich mit Varus aber auch Segestes befasst hat, bevor wir dank Cassius Dio rund 100 Jahre nach ihm den Verläufen am Vorabend der Schlacht näher zu kommen scheinen. Solange uns nicht Cassius Dio seinen Blickwinkel auf die Gestalt des Segestes vor Augen führt, solange erschien uns alles was sich über Segestes recherchieren ließ wie eine extrem unverdauliche historische Kost und solange waren wir gezwungen in Segestes den großen Heuchler und Vortäuscher seiner nie ergangenen Warnungen zu sehen. Aber auch Cassius Dio wird ihn nicht von diesem negativen Image befreien können, im Gegenteil, er weist ihm ohne seinen Namen zu nennen einen Platz im Geschehen zu wonach er eine noch unbedeutendere Rolle eingenommen haben dürfte, als die die ihm bislang im Zuge dieser Recherche zugefallen sein könnte. Um es anders auszudrücken, so wirkt er mit Hilfe von Cassius Dio sogar noch unscheinbarer als weithin angenommen. Dieser Sprung ins übernächste Kapitel dient dem besseren Verständnis. Denn das Wissen von Florus beruht immer noch auf dem Kenntnisstand, den vor ihm auch Paterculus und Tacitus hatten, während uns nach ihm Cassius Dio völlig neue Erkenntnisse über Segestes ermöglicht. Trotzdem darf Florus auf Segestes bezogen bei der Gesamtbewertung nicht außen vor gelassen werden. Was ihn interessant macht ist das Wissen darum, dass seine Reputation schon fasst ins Unseriöse abdriftet. So werden antike Dichter wie Florus es einer war, der noch dazu über ausgezeichnete rhetorische Fähigkeiten verfügte, es aber dennoch wagte, sich als Historiker zu betätigen von der Geschichtsforschung immer schon mit besonderem Argwohn betrachtet. Dadurch geriet seine Glaubwürdigkeit schon frühzeitig unter Generalverdacht. Aber auch aus anderen Gründen traute man ihm nicht so recht über den Weg, was wohl an dem subtilen Schriftwechsel lag, den er sich mit Kaiser Hadrian lieferte. Denn danach zu urteilen müsste der Dichter Florus, lebte er im heutigen München die Schwemme im Keller des Hofbräuhauses schon fasst als seine Zweitadresse angegeben haben. Aber erst richtig mit Skepsis überschüttet, wurde er durch seinen ungeklärten, weil aus dem Rahmen gefallenen Überfall der Germanen auf ein römisches Lager. Dieses und das folgende Kapitel soll sich aber mehr mit dem beschäftigen, was er über Segestes zu berichten hatte. Im Zusammenspiel mit den drei anderen historischen Protagonisten der Recherchephase III, Paterculus, Tacitus und Dio kommt es zwangsläufig wieder zu übergreifenden Betrachtungen. Grundsätzlich gilt aber auch hier die strittige Ausgangslage die da lautet, dass es nach allgemeiner Auffassung zu keiner Schlacht gekommen wäre, wenn Varus auf Segestes gehört hätte. Bevor Cassius Dio nicht mit seinem Bericht zur Klärung und fasst schon Auflösung der Dinge beiträgt, ist die Seele dieser Theorie die Annahme, dass Segestes den Feldherrn in keiner Weise vor einer Verschwörung gewarnt hatte. Infolgedessen trat nach der bisherigen Einschätzung Varus auch seinen Rückmarsch zum Rhein mit Abstecher durch die Siedlungsgebiete der Aufrührer an, ohne übermäßige Vorkehrungen getroffen zu haben. Trat also Segestes nicht in der überlieferten Verräterpose in Erscheinung so liest sich das, was sich in der Anfangsphase und noch im Sommerlager zutrug noch relativ friedvoll. Das nämlich ein Feldherr wie im tiefsten Frieden agierte und sich korrekt an die militärischen Regeln hielt. Ein souveräner Varus der mit keinen voluminösen Gefechten rechnen brauchte, bereitete sich auf den traditionellen Rückmarsch vor, der dieses Mal nur insofern von der Routine abwich, als dass man vorher noch die Wohngebiete eines vertraglich nicht an Rom gebundenen und aufwieglerischen Germanenstammes zu passieren hatte. Er verließ vielleicht letztmalig noch ein Sommerlager, dass möglicherweise schon in Bälde in ein festes Winterlager mit Standbesatzung umgewandelt werden sollte. Denn die nach Osten orientierte römische Siedlungspolitik griff immer weiter aus und Höxter war noch um 120 km weiter vom Rhein entfernt, als die Römerstadt Waldgirmes/Dorlar. Es war ein Lager im Übergang zur Provinzhauptstadt, dass bereits erste Konturen annahm. Eine Baustelle die in die Zukunft gerichtet war. Da uns außer den Cheruskern keine weiteren germanischen Vertragspartner überliefert sind, überwog in der Großregion ein Zustand von Vertragslosigkeit. Für Rom waren die Cherusker der ideale Partner. Die Treue mit der die germanischen Ritter zum Imperium standen und den Göttern in Köln dienten weckte den Wunsch auf festere Anbindung an die neuen Machthaber. Und auch die strategische Planung sprach für diesen Stamm. Letztlich beruhte alles auf der Geographie. Denn es waren die Cherusker, die den Korridor nach Osten und die wichtige Weserfurt kontrollierten. Rom schloss bekanntlich keine Sympathieverträge. Was für Varus den Rückmarsch zum Rhein prekär machte, waren einzig nur die Unruhen die Arminius dem Feldherrn geschildert hatte. Aber darauf war er vorbereitet und dafür hatte Arminius ihm seine Unterstützung zugesagt. Nur diese Gefahrenlage kannte er und sie dachte er unter Kontrolle zu haben. Von einer anderen und größeren wusste er nichts. Eine konspirative Organisationsleistung auf deren Basis die Germanen leichtes Spiel haben sollten und wodurch sie dem Gegner ihre Schlachtsystematik aufzwingen konnten. Was die vermeintliche Warnung des Segestes anbetraf vor allem aber das, was man in Rom daraus machte so weiß man, dass schon vor 2000 Jahren der Palatin eine Hochburg von Heimtücke und Verrat war und der Mord an Cäsar war nur ein Höhepunkt von vielen. Alle denkbaren Ränkespiele vom Komplott über die Verbannung bis zum Giftmord oder erzwungenem Klippensprung standen auf der Tagesordnung und hinter den Kulissen schien alles erlaubt gewesen zu sein, was der Macht diente. Wir tun also gut daran, wenn wir alle Berichte der antiken Historiker eines kritischen Blickes unterziehen und mit Vorbehalt genießen, denn auch schon damals wurden gute Gelegenheiten genutzt um aus jeder noch so dramatischen Entwicklung auch Vorteile zum eigenen Nutzen ziehen zu können. Und das trifft auch auf das zu, was uns die antiken Historiker über Segestes hinterließen. Und selbst bei Arminius können wir uns nicht sicher sein, ob nicht auch sein Verhalten von einer unbekannten Triebfeder gesteuert war hinter der sich handfeste persönliche Interessen verborgen haben könnten. Hinweise die den Verdacht hinreichend stützen, es könnte auch durch Segestes selbst oder in seinem Umfeld ähnlich unlauter zugegangen sein summierten sich im Zuge der Recherche. Sie lassen die Vermutung eines prähistorischen Politikums aufkommen, oder nähren zumindest den Verdacht einer beabsichtigten Täuschung. Und ausgerechnet Paterculus war es, der es seiner Darstellung nach zu urteilen eigentlich besser hätte wissen müssen. Denn von ihm stammt eine genauso aufschlussreiche wie erschreckende Charakterbeschreibung über das Wesen der Germanen. So schrieb er um das Jahr 30 + im Abschnitt 118.(1), dass die Germanen und was kaum jemand glaubt, der es nicht selbst erlebt hat ein Menschenschlag wären, der bei aller Wildheit sehr schlau ist. Seine Überlieferung gipfelte in den Worten, dass sie schon wie zum Lügen geboren wurden, also als Lügner zur Welt kamen. Eine derart heftige Anschuldigung die er hier vor rund 2000 Jahren pauschal, also alle Germanen betreffend in die Welt setzte, lässt viel Verärgerung und Misstrauen gegenüber diesem Volk erkennen, worüber man nur staunen kann. Offensichtlich hatte er einige schlechte Erfahrungen mit ihnen machen müssen. Er schrieb es allen Germanen ins Stammbuch, schockierte damit aber vor allem seine römische Leserschaft und beeinflusste somit ganze Generationen nach ihm. So wie es durch die Härte seiner Worte zum Ausdruck kam, tat er es mit voller Absicht. Seine Zeitgenossen und die Personen, die später seine Zeilen lasen waren sich fortan in ihrer Denkweise sicher und durch ihn geprägt, dass nördlich der Alpen nur Menschen lebten, auf die kein Verlass ist. Lügner, Verräter und Vertragsbrecher. Da seine Darstellung im Kontext mit Varus und seinem Richteramt fiel, dachte er dabei wohl an jene Germanen die sich besonders viel Mühe damit gaben, Varus mit vorgetäuschten Konflikten vorzuführen und der Lächerlichkeit preis zu geben. Ein Hinweis der verdeutlicht wie man sich damals mit den gegebenen Verhältnissen arrangierte in dem man es verstand sich sogar in Germanenkreisen zu belustigen. Eine Mischung aus verbittertem Galgenhumor und stillem Überlegenheitsgefühl. Aber auch ein unerwartetes Zeugnis frühgeschichtlicher Witzigkeit, das da an unvermuteter Stelle durch die Zeitgeschichte weht. Man diskreditierte damit den überlegenen Eindringling, redete ihn sich klein, stärkte sich die Moral und kaschierte den eigenen Ohnmachtszustand, der sich dadurch besser ertragen ließ. Eine Methode die auch den Rheinländern dabei half die napoleonische Besatzungszeit zu überstehen und somit ein „deutlicher Hinweis“ darauf, dass der Kölner Karneval seine Geburtsstunde an der Weser erlebte. Diese Information wirft aber auch noch die Frage auf, wie alles damals zusammen gepasst haben soll. Denn einerseits machte man Varus seine drakonischen Urteile über die Germanen zum Vorwurf, andererseits aber schien es ein verbreitetes Amüsement gewesen zu sein, dass schon fasst zur Volksbelustigung ausartete und nach Jahrmarkttreiben klingt. Varus die Zwistigkeiten nur vorzugaukeln schien in diesen Tagen der Brüller gewesen zu sein. Dieser Dissens lässt sich nicht ausräumen und ermöglicht viel Spielraum in der Bewertung der wahren Geschehnisse an der Weser, zumindest könnte man den Eindruck gewinnen, Varus war nicht so schlimm wie man ihn machte und die Germanen hatten ihn quasi unter Kontrolle. Gerade zu so, als ob sie auf diese Weise seine Handlungen schon indirekt mit bestimmten. Anders ausgedrückt man war schon erfolgreich damit beschäftigt sich ihn um den Finger zu wickeln. Eine reife Manipulationsleistung unserer Altvorderen. Er war zwar „ne janz fiese möpp“, aber man wusste um seine Schwachstellen. Aber mit dieser negativen und extremen Einschätzung des Paterculus über das Volk der Germanen, teilte er in etwa auch jene von Varus selbst, der in ihnen auch nur Gestalten sah, die nur was ihre Stimme und ihren Körperbau anbelangte mit Menschen vergleichbar sind. Er sie also fatalerweise nicht ernst nahm. Darin schienen sich Varus und Paterculus die beiden Zeitgenossen wieder einig gewesen zu sein. Aber mit der Kenntnis über die scheinheilig vorgetragenen und improvisierten Streitfälle, bewies auch Paterculus schon ein recht ordentliches Insiderwissen über das, was sich in den Wochen vor jener denkwürdigen Schlacht ereignete. Eine Stimmungslage die sich hoch kochte, den Widerstandswillen schürte und die Pläne reifen ließ die zur Eskalation führten. Aber wir rätseln zu recht weiter woher er dieses Wissen gehabt haben könnte. Denn mit dieser Darstellung betrieb Paterculus indirekt seine eigenen Ursachenforschungen und erkannte auch darin schon die Gründe und Erklärungen die dem Elend voraus gingen. Paterculus, dem diese Umstände bekannt waren und der sie gerne erwähnte, da sich damit erneut Varus sein vermeintlicher Gegenspieler in Misskredit bringen ließ. Wenn er sich die germanischen Streiche nicht selbst aus den Fingern gesogen hatte, musste er folglich mit Personen gesprochen, oder es von anderer Seite erfahren haben, dass es sich in etwa so oder ähnlich schalkenhaft am Sommersitz des Statthalters an der Weser zugetragen haben soll. Aber auch bei ihm ähnlich wie bei Tacitus riss trotzdem der Faden in dem Moment abrupt ab, wo es an den eigentlichen Schlachtverlauf ging. Denn darüber konnten oder wollten beide nichts berichten. Erst dem schillernden Bonvivant und Kneipengänger Florus verdanken wir den ersten belastbaren Hinweis darüber, was sich 9 + in den Sümpfen und Mooren Ostwestfalens im Verlauf der Varusschlacht Blutiges tat. Aber man erkennt auch hier wieder, dass es Paterculus nutzte um erneut gegen Varus nachtreten zu können indem er dieses peinliche Vorspiel am Hof des Statthalters für seine Annalen verwendete. Wieder stellt er klar, welch leutseligen Versager man da zum Statthalter in Germanien ernannt hatte und ihn, den erfahrenen und fähigeren Diplomaten und Militaristen ausbootete, da er anders als Varus keine Verwandtschaft zum Kaiserhaus vorweisen konnte. Sein Wissensstand klingt jedoch nicht danach, als dass ihn diese Informationen über römische Zungen erreichten. Denn dann sollte man annehmen, dass auch Varus schon frühzeitig das hinterlistige Gebaren der Germanen hätte durchschauen müssen. Vielleicht stammte dieses Wissen auch aus Begleitprotokollen der Gespräche mit Segestes, die nur Paterculus vorlagen. Aber eines gelang Paterculus mit dieser Darstellung vortrefflich. Er blieb sich seiner Linie treu in dem er zum einen die abtrünnigen Germanen verurteilte und zum anderen erneut Varus seine infantile Vertrauensseligkeit zum Vorwurf machen konnte. Verhaltensmuster wie sie eines römischen Feldherrn unwürdig waren. Diese überzeugende Darlegung über das niederträchtige Wesen aller Germanen hielt ihn dann jedoch nicht davon ab, eine Person von seinen bitteren Vorurteilen über die Schlechtigkeit der Germanen gänzlich auszunehmen. Es war eine der beeindruckensten Figuren der deutschen Frühgeschichte, nämlich Segestes. Ihm schenkte er uneingeschränkt Glauben und ihn machte er über jeden Zweifel erhaben. Es gab ihn also doch noch den guten Germanen, der nicht schon als Lügner geboren wurde, wenn er nur ins Konzept passte. Oder doch nicht ? Und so stand die Glaubwürdigkeit von Segestes auf hoher politischer Ebene außer Frage und niemand wagte sich Verdacht zu äußern, er könne Unwahres gesprochen haben. Und dazu gehörte all das was von ihm überliefert wurde und auch das, was die einen Verrat und die anderen eine Warnung nannten. Segestes genoss also das volle Vertrauen der römischen Oberschicht und damit aller Staatsorgane einschließlich des Kaisers. Und einem Germanen gegenüber, der sich noch dazu freiwillig in eine unmittelbare Abhängigkeit begeben hatte, dadurch in Gänze manipulierbar wurde und am seidenen Faden ihres guten Willens hing, soviel Zuverlässigkeit auszusprechen, klingt schon recht merkwürdig und für diese Zeiten nahezu naiv. Stellt man zwischen der nieder schmetternden Aussage von Paterculus in die er alle Germanen einbezog einen Bezug zum Ausnahmefall Segestes her, dann darf man sich auch die Frage stellen, warum dieser Widerspruch von der Forschung bislang so unkommentiert hingenommen wurde. Aber selbst wenn es Anhaltspunkte oder gar belastbare Beweise gegen Segestes, also auch Gegenzeugen zu seinen Äußerungen gegeben hätte, woher auch immer sie hätten kommen sollen. So wäre es auch dann nie zu einem Prozess gegen ihn wegen Falschaussage vor dem palatinischen Tribunal gekommen, da man auf Segestes als Kronzeugen nicht verzichten wollte und ihn nicht nur brauchte, sondern je nach Lesart auch missbrauchte. Auf Paterculus der in diesem Fall knapp an der Glaubwürdigkeit vorbei schrammte, folgte Tacitus und nun ist Florus, der sich ebenfalls über Segestes äußerte am Zug. Florus gilt unter allen Vieren wie bereits dargelegt, als der unzuverlässige Kandidat im Reigen der antiken Historiker, obwohl er erstaunliches an Wissen über die Varusschlacht beisteuern konnte. Wer ihn wegen seiner Abweichungen zur landläufigen Grundannahme bzgl. eines nicht plausibel genug erscheinenden und daher unpassenden Lagerüberfalles demontieren möchte, der machte es sich schon immer zu leicht mit ihm. Denn der bevorzugte es, dass Gegensätzliche in seinen Überlieferungen aufzuspüren und über zu betonen und weniger nach dem zu suchen, was sich an Verbindendem und Kompatiblem finden lässt. Der verwirft grundlegend die Theorie des Lagerüberfalls, obwohl es ihn gab. Der vertritt auch den Standpunkt, dass es sich in eindeutiger Weise bei dem überfallenen römischen Gerichtslager nur um ein exzellent zu verteidigendes und nahezu uneinnehmbares mit Türmen bewehrtes Dreilegionenlager gehandelt haben kann und muss. Und der übersieht daher auch schnell, dass die Gerichtsverhandlung nicht im Hauptlager statt gefunden haben kann, sondern naheliegender Weise nur bei dem als aufrührerisch geschilderten Stamm anberaumt werden konnte. Und der stellt auch die bautechnischen Leistungen in Abrede, von denen uns Florus berichtete und die bereits unter Drusus, also schon vor 9 – angegangen wurden. Militärische Lager die angezweifelt werden, da sich manche von ihnen an Maas und Rhein, aber insbesondere an Weser und Elbe noch nicht nachweisen ließen. Der zweifelt auch seine Bemerkung an, dass Kaiser Augustus sich zum Ziel gesetzt hatte Germanien zu besiegen und zur Provinz zu machen. Und der ignoriert auch seine Überlieferung, wonach ein blutverschmierter Legionär mit der Standarte am Wehrgehänge entkommen konnte. Aber sein Hinweis darauf, dass Segestes die Verschwörung dem Feldherrn Varus verriet, der sie aber abtat wird hingegen wieder von aller Welt voll akzeptiert und trifft erstaunlicherweise auch auf uneingeschränkte Glaubwürdigkeit seiner Kritiker. Unstrittig und über jeden Zweifel erhaben ist diese Überlieferung von Florus bezogen auf Segestes wohl deshalb, weil es vor ihm schon zwei so namhafte Größen wie Paterculus und Tacitus genauso oder ähnlich berichteten, während ihm für seine anderen Überlieferungen leider die Gewährsleute fehlten und sich keine Historiker finden lassen, bei denen er hätte abschreiben können. Somit steht sein Wissensstand auf dem Niveau und vielleicht sogar über dem der anderen, die auch alle in Varus den unbelehrbaren Feldherrn erkannten und man ließ seine Worte über Segestes unangetastet und als glaubhaft durchgehen. Ein Fingerzeig dahin gehend, dass Florus zumindest in diesem Fall die gleiche Quelle genutzt haben könnte wie Tacitus, oder gar in ihm eine direkte Quelle hatte wie auch angenommen wird, er also letztlich ganz profan nur bei ihm abschrieb. Da aber Florus von einem Lagerüberfall wusste und berichtete, von dem wir bei Tacitus nichts lesen können kannte Florus möglicherweise in Teilen das, was auch Paterculus überlieferte. Denn Paterculus war der erste Historiker der wie Florus auch, über einen Lagerüberfall schrieb. Genau genommen wusste Paterculus sogar noch mehr, nämlich von zwei Lagerüberfällen, während Florus nur von dem einen Überfall auf das Gerichtslager wusste. Denn Paterculus überlieferte, dass sich der Römer Eggius der Lagerkommandant des wohl viel zitierten „Prima Vari Castra“ beherzt zur Wehr gesetzt hatte, was er hingegen über Ceionius dem Lagerkommandanten des vermeintlich zu nennenden „Secundus Vari Castra“, also dem letzten Notlager von Varus verständlicherweise nicht sagen konnte. Aber die Übereinstimmung der Florus Überlieferung was die Warnung von Segestes anbetrifft, sowohl auf der Basis des Textes von Paterculus und im Grundsätzlichen auch auf der von Tacitus unterstreichen die absolute Glaubwürdigkeit von Florus, zumindest was den damaligen Wissenstand vor Cassius Dio anbelangt. Abstriche müssen bei Florus, wie übrigens bei allen antiken Historiker immer an den Stellen gemacht werden, wo sie mangels Plausibilität gezwungen waren eigene Visionen einfließen zu lassen, da sich dem ihnen vorliegenden Stoff zu wenig Hergang und Aktivität entlocken ließ. Und auch bei Florus wird erkennbar, wie bedeutsam sich doch die theatralische Tat von Segestes von allem abhob und in die ewige Geschichte ein ging, obwohl man sie wie dargestellt in Abrede stellen darf. Denn auch bei Florus fand sie Eingang in seine, wenn auch nur sehr mageren Worte, die er für die Varusschlacht übrig hatte. Aber gerade dieses Wenige macht seinen Hinweis auf Segestes um so wertvoller und interessanter. Und der gleiche Grund der auch seine knappe Darstellung erklärt gilt auch für die gesamte antike Historikerschafft die über Varus schrieb und lässt sich gut nachvollziehen. Denn das Wissen zum Verlauf und zu den Details der Varusschlacht war in Rom mangels Zeitzeugen derart minimal, lückenhaft, darüber hinaus zusammenhanglos und Bestand aus so vielen Ungereimtheiten und Bruchstücken, dass jede Information, woher sie auch immer kam und wie aussagekräftig sie auch gewesen sein mag, von jedem antiken Geschichtsschreiber dankbar aufgegriffen und manchmal auch etwas eigensinnig interpretiert wurde. Was aber nicht abwertend gemeint sein soll, denn man kann sicherlich allen zubilligen, dass sie sich grundsätzlich bemühten der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Letztlich verwundert es auch nicht, denn angesichts der wenigen Überlebenden hatten sie keine andere Wahl, als sich auch etwas in die Grauzonen hervor wagen zu müssen. Aber bei allen ist immer noch das starke Bedürfnis erkennbar, der Nachwelt Zeugnis dieser großen Tragödie hinterlassen zu wollen. Aber wie spitzen sich seine Quellen auf Segestes bezogen zu, bzw. auf welche Historiker soll oder könnte er sich nach Ansicht der Forschung bezogen haben. Genannt werden Titus Livius, Sallust, Lucan, Seneca der Ältere aber auch Tacitus. Ob Florus auf Seneca den Älteren zurück greifen konnte ist fraglich, denn der äußerte sich nur einmal kurz über das Schicksal jener gut betuchten Römer die die Varusschlacht zwar überlebten, aber ihren sozialen Stand danach nicht mehr halten konnten und armselig endeten. Seneca äußerte sich über Segestes zwar selbst nicht, Florus hätte aber von den Davongekommenen über Seneca das eine oder andere vom Verlauf der Schlacht erfahren haben können. Bittere Wahrheiten die durch Florus auf diesem Weg erst lange Jahre nach der Schlacht den Weg an die Öffentlichkeit fanden. Titus Livius verstarb schon um 17 + und sein Werk reichte nur bis 9 -. Ob ihn trotzdem noch Informationen von ihm über Segestes im Zusammenhang mit dem Triumphzug im Jahr seines Todes erreichten, ist in Zweifel zu ziehen. Aus den Überlieferungen von Lukan ist nicht ersichtlich, ob er sich überhaupt jemals über das Thema Varusschlacht ausgelassen hat. Er wurde nur 26 Jahre alt und viel Zeit blieb ihm wohl auch nicht um Florus Material hinterlassen zu haben. Da aber auch der später schreibende Historiker Cassius Dio wie Paterculus über einen Lagerüberfall berichten konnte, wie er sich im Zuge der Mehrtagesschlacht ereignete, muss auch Florus über Quellen verfügt haben aus denen sich dieses ableiten bzw. erschließen ließ und Seneca könnte dazu seinen Beitrag geleistet haben. Dio schrieb über heftige Kämpfe die sich nur am zweiten Marschtag nach dem Abzug aus dem vermutlichen Brakeler Quartier zugetragen haben können, als auch am Folgetag dem dritten Marschtag, als man das angenommene „Prima Vari Castra“ verließ. Das vermeintliche Gerichtslager in dem Varus beabsichtigte seine Schlichtungsbemühungen zum Erfolg zu führen. In der Zusammenfassung lässt sich was Segestes anbetrifft fest halten, dass auch Florus dem Wissenstand der Zeit treu blieb in dem letztlich auch seine Zeilen nur auf dem basierten, was Segestes nach seinem Eintreffen in Rom an Erklärungen für sein Verhalten abgab. Florus kann uns also in der Summe auch nicht mehr berichten als das, was uns Paterculus und Tacitus auch überlieferten, dass nämlich Segestes Varus gewarnt haben soll. Aber was lässt sich unter Zuhilfenahme der Übersetzung den Worten von Florus über Segestes entnehmen. Denn auch wenn Varus wie Florus schreibt unvorbereitet war und er nichts befürchtete, so kommt auch bei ihm unstrittig zum Ausdruck, dass Varus von Segestes vorgewarnt war. Wie Varus dann mit dieser halbherzig vorgetragenen Warnung umging oder wie er das Wissen später nutzte bleibt auch bei Florus offen. Genauso wie niemand weiß, wie sich Varus im späteren Kampfgeschehen verhielt, aufführte oder gar bewährte. Denn wer war dabei wie Varus möglicherweise gegen viele anderslautende Annahmen verbissen und mit aller Kraft versuchte die plötzlich aufgetretene militärische Lage unter Kontrolle zu bringen. Wie er seine Generäle anspornte und seine Männer antrieb das Lager bis zuletzt zu verteidigen. Wer wollte denn in Rom das Gegenteil davon behaupten. Beliebt war wohl eher die Vorstellung, dass sich Varus am ganzen Körper zitternd, gleich in den ersten Kampfstunden schon geschützt von seiner Leibwache in seine bequeme Karosse zurück zog und ängstliche Blicke umher warf. Aber dafür fanden sich keine Zeugen mehr, also rätselte man und die Suche nach dem Schuldigen dauerte nicht lange. Alles bleibt aber nur deswegen rätselhaft, weil es sich aus der vermeintlich zu nennenden Tatsache erschließt, Varus wäre im Detail gewarnt worden, dem ich widersprechen möchte. Die Anderslautende, also auch die historisch begründbare Gegenthese dazu geht davon aus, dass Varus so himmelschreiend unvernünftig, selbstsicher bis zur Hochnäsigkeit und Arroganz bei gleichzeitig sträflicher Vernachlässigung aller milititärisch gebotenen Vorsichtsmassregeln dem falschen Flügel des Cheruskerclans das volle Vertrauen schenkte und wohl wissend um die ihm bevorstehende Gefahr keine zusätzlichen vorkehrenden Maßnahmen ergriff. Eine Annahme die uns die Geschichtsschreibung und ihre Impulsgeber aus alten Zeiten so verkaufen besser gesagt ein suggerieren möchten, die aber gegen jede Vernunft eines Vorgewarnten spricht und selbst einem Varus schwerlich zu unterstellen ist. Zwei Theorien die sich trotzdem gegenüber stehen. Wovon aber die eine außer acht lässt, dass Varus auch nicht völlig wehrlos zu den Aufrührern zog. Nämlich in eine Region in der man einen feindlichen Akt nicht ausschließen konnte und nicht schon auf dem Weg dahin damit rechnete. Immerhin befehligte er eine schlagkräftige Armee die ihm Sicherheit für seinen Gerichtstag versprach. Er konnte es sich also sowohl erlauben die Segestes Worte, wenn es sie denn gab, in den Wind zu schlagen, als auch ungewarnt den Marsch zu den Aufrührern anzutreten. Ob mit oder ohne vorherige Warnung, keine von beiden Theorien hätte seine Entscheidung zu den Rebellen zu marschieren noch umstoßen können. Sein mögliches Motto: „Mit ihnen würde er schon fertig werden“. Segestes dürfte oder sollte, selbst wenn er gewollt hätte erkannt haben, dass eine Warnung überflüssig war, denn Varus wäre in jedem Fall zu den Rebellen aufgebrochen. Die Zeit, dass sich Varus da noch in letzter Minute herein reden ließ war verstrichen wie es auch Paterculus schrieb. Insofern konnte Segestes, selbst wenn er die Absicht gehabt haben sollte Varus zu warnen, sich dieses ersparen. Ein weiteres Argument, was dafür spräche, dass Segestes schwieg. Aber was hätte Varus anderes tun können wenn er nicht, wie es ihm angeblich Segestes empfahl die cheruskische Elite in Ketten legen wollte. Gab es noch einen dritten Weg ? Hierzu Analysen anzustellen ist nicht möglich, da sich auf erdachten Handlungen keine Argumente sei es für das eine oder das andere aufbauen lassen. (13.02.2021)

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Montag, 1. Februar 2021
Die Antithese: Segestes war am Komplott beteiligt - Die Vision: Varus blieb Sieger
Bevor es in den nächsten zwei Kapiteln verstärkter um die Analyse der Überlieferungen aus der Feder von Publius Annius Florus über Segestes geht, ist immer eine angemessene Verknüpfung mit dem bisherigen Sachstand nützlich und angebracht. Gemeinsam und übereinstimmend berichteten seine beiden Vorgänger, zuerst war es Paterculus und ihm folgte später Tacitus, dass Varus von Segestes vor den Gefahren eines offenen Gewaltausbruchs gewarnt wurde. Aber beide wichen in einem Punkt voneinander ab. Denn Paterculus zu Folge kam es nur zu einer einzigen Warnung, da für eine zweite keine Zeit mehr blieb und nach Tacitus geschah es mehrfach und sogar noch am Vorabend vor dem Marsch in den Unruheherd. Wir wissen nicht wer recht hatte aber ungeachtet dessen zeugt diese Abweichung von einer für beide bestehende unklare Quellen - oder Interpretationslage. Zumindest aber löst dieser Dissens Fragen nach der Glaubwürdigkeit segestinischer Warnung aus. Aber alle und darin einbezogen auch die in den nächsten Abschnitten noch folgenden Überlieferungen von Publius Annius Florus und Cassius Dio schweigen, wenn es um die Frage geht wie präzise sich Segestes gegenüber Varus hinsichtlich der auf ihn zukommenden Gefahren ausgedrückt haben soll oder will. Auf was also genau Segestes den Feldherrn hingewiesen haben will wissen wir nicht. Denn lediglich auf ein Bedrohungsszenario hinzuweisen sagt nichts über das Inhaltliche aus was er damit gemeint hat. Denn alle angesprochenen Historiker berichten lediglich von Warnungen, aber keiner von Ihnen konnte deutlich werden und war imstande uns genaueres zu hinterlassen, sodass ihre Worte diesbezüglich inhaltsleer blieben. Sollte Segestes, ob es nun eine einzige Warnung gab, oder ob er mehrere Warnungen tatsächlich ausgesprochen haben will, was sich nach über 2000 Jahren nicht mehr beweisen lässt, so ist es ihm jedenfalls nicht gelungen dem Feldherrn das ihm Drohende so plausibel zu verdeutlichen, dass Varus ihm glauben konnte und sogar glauben musste damit er die nötigen militärischen Konsequenzen zog. Bekanntlich geht diese Theorie davon aus dass sich Segestes weder minimal noch optimal zur Gefahrenlage äußerte sondern gar nicht. Den Überlieferungen zufolge blieb Segestes demnach oberflächlich, ging hinsichtlich seiner Warnung nicht in die Tiefe und ließ es scheinbar darauf ankommen, ob Varus ihm nun glauben würde oder eben nicht. So die gewonnene Auffassung die sich aus den alten Schriften herleiten lässt. Sollte er Varus gewarnt haben, dann kann man auch den Eindruck gewinnen, als ob er auf die wichtigen Details verzichten wollte oder musste. Aber die Varusschlacht fiel nicht urplötzlich aus dem Himmel. Sie erforderte unter den Germanen zahlreiche Kontakttreffen, Abstimmungen, Absprachen vor allem aber Überzeugungsarbeit bis alle auf die Vorgehensweise und das Ziel eingeschworen waren und auch der Letzte die Pläne akzeptierte. Segestes dürfte der Quelleninterpretation nach zu urteilen und Kraft seiner gehobenen fürstlichen Position auch Teilnehmer an den vor beratenden Versammlungen der Germanen gewesen sein. Somit war er auch in die Geschehnisse einbezogen und könnte sich sogar an der Strategiedebatte beteiligt haben. Ein demaskierender Umstand den er der Nachwelt verständlicherweise verschweigen musste. Mitwisser von alledem war er allemal, denn auch im alten Germanien hatten die Wände Ohren. Und das er tiefer im Geschehen steckte als er es uns glauben machte, davon zeugt eine seltsame Begebenheit. Denn seine Sippe oder waren es sogar Angehörige seiner unmittelbaren Familie prahlten 15 + gegenüber dem römischen Feldherrn Germanicus noch stolz mit den in der Varusschlacht erbeuteten Waffen. Segestes konnte oder wollte warum auch immer diesen Akt sechs Jahre nach der Schlacht nicht unterbinden, denn er lief seiner Verteidigungsstrategie zuwider. Es war für ihn vermutlich ein peinlicher, aber für die Aufarbeitung der Zusammenhänge aufschlussreicher Zwischenfall, der uns hier über eine römische und sicherlich keine Quelle aus dem Hause Segestes erreichte. Und dann berichtet Tacitus noch unter 1,55 (3), dass Segestes obwohl er mit Arminius uneinig blieb sich trotzdem wegen dem „consensu gentis“, also der Zustimmung des Volkes in den Krieg mit hinein ziehen ließ. So darf und muss man geradezu annehmen, dass er auf Seiten der Germanen wie es auch immer stattfand, an der Varusschlacht selbst mit teilnahm. Als ein hoch angesehener Germanenfürst wie er es war, erwartete es sein Stamm förmlich von ihm, dass auch er selbst mit das Schwert gegen Rom erhob. Denn seine eigene Sippe oder Familie vorzuschicken und kämpfen zu lassen, sich selbst aber zurück zu halten, hätte gegen jeden germanischen Ehrenkodex verstoßen und man hätte ihm zudem noch Feigheit anlasten können. Nachdem er, wie man es auch interpretieren kann vom ganzen Volk unter Druck gesetzt wurde und was wohl das Volk in seinem Fall für nötig erachtete, so stand er offensichtlich schon unter argwöhnischer Beobachtung. Natürlich nur unter der Prämisse betrachtet, dass es sich so zutrug, denn Segestes musste immer noch nach einem Vorwand dafür suchen, warum er nicht schon viel früher die Seiten gewechselt hatte. Nimmt man des Volkes Stimme als eine Tatsache hin, so darf man davon ausgehen, dass er es sich auch nicht erlauben konnte sich zu drücken. Aber selbst redend geschah es „natürlich alles gegen seinen ureigenen Willen“. Insgesamt Hinweise und Schlussfolgerungen die es gestatten annehmen zu dürfen, dass er nicht nur mit kämpfte, sondern auch die gesamte germanische Vorgehensweise recht gut kannte. Was man ihm noch einzig zubilligen könnte, wäre der Umstand, dass er halbherzig zwischen den Fronten schwebte, aber Schizophrenie sollte man ihm nicht unterstellen. Denn nüchtern betrachtet taten sich bezogen auf sein Verhalten unüberbrückbare Verständnislücken auf. Auf der einen Seite über Detailwissen zu verfügen, dieses aber im entscheidenden Moment Varus gegenüber zu verschweigen passt nicht zusammen. Aber bei dieser Sachlage kann und muss man aufgrund seines guten Wissenstandes auch noch einen anderen wichtigen Aspekt mit in Betracht ziehen. Denn er gehörte auch zu jenen, die über die besten Kenntnisse zum Kräfteverhältnis der beiden Konfliktparteien verfügte. Er kannte zudem die germanische Strategie, kannte die Zugstrecke von Varus, kannte das Terrain wo man Varus angreifen wollte, kannte auch die anderen Germanenstämme die Arminius ihre Unterstützung zugesagt hatten und wusste um ihre Anmarschwege. Und wer Kenntnis über diese großen Zusammenhänge besaß, der weiß auch noch etwas anderes. Denn der erkennt auch, dass die Germanen nicht nur eine reelle Chance hatten den Sieg davon zu tragen. Dem erschließt sich auch frühzeitig wer als Gewinner den Platz verlassen würde. Selbst wenn er innerlich das Ansinnen verspürt haben sollte Varus warnen zu müssen, so wird ihn allein schon dieser Umstand davon abgehalten haben. Denn unter derartigen Bedingungen stellt man sich nicht mehr und das angeblich sogar noch, sozusagen in letzter Sekunde auf die Seite eines möglichen späteren Unterlegenen. Ganz im Gegenteil, denn dann sucht man rechtzeitig die Nähe zur anderen Seite. Überzeugend hätte er gewirkt, wenn er sich mit allen Konsequenzen klar positioniert hätte. Dann hätte er sich in seiner Handlungsweise ultimativ und alternativlos gegen sein Volk und gegen die Arminen Cherusker aussprechen und sich voll auf die Seite der Römer stellen müssen. Wenn auch seine Sippe Arminius zuneigte, so hätte dies nicht für ihn gelten brauchen. Er hätte sich demonstrativ neben Varus stellen können, hätte ihn auf dem Marsch sogar begleiten können und hätte auch für ihn gegen sein eigenes Volk die Waffe schwingen können und müssen, wenn er seinen Worten Gewicht hätte verleihen wollen. Er tat es nicht. Vor diesem Hintergrund wirkt seine angebliche Warnung bereits wie eine plumpe Ausrede die glauben konnte, wer wollte. Auch aus dieser Indizienkette lässt sich ableiten, dass auf Segestes auch das harte Wort Lügner angewendet werden könnte, denn er log insofern, als dass es von ihm weder eine einzige noch mehrere Warnungen gab. Interessant wäre es in diesem Zusammenhang auch die Fragestellung aufzuwerfen, was aus Segestes im umgekehrten Fall geworden wäre. Was wäre passiert wenn Varus, der wie man annehmen darf von Segestes mit keiner Silbe gewarnt wurde, dann doch aufgrund unerwarteter Fügung dem Massaker hätte knapp entkommen können, oder wenn Varus gegen alle Erwartungen die Schlacht sogar für sich entschieden hätte. Varus wäre dann mit seinen siegreichen Legionen in die Winterlager am Rhein weiter gezogen. Wäre aber im Frühjahr 10 + wieder gekommen. Und noch etwas. Er hätte dann auch wieder über seine ursprüngliche Sollstärke verfügen können, da ihm weitere Legionäre aus dem Dalmatienkonflikt zugeflossen wären, die ihm im Herbst 9 + noch fehlten. Mit einem Großaufgebot hätte Varus eine Strafmaßnahme umgesetzt und den fälligen Rachefeldzug gegen die Cherusker geführt. Dann aber gegen alle Cherusker. Und er hätte auch vor Segestes nicht halt gemacht, der sich in den Krieg mit hinein ziehen ließ. Auch Segestes hätte dann bei Varus keine Gnade gefunden. Aber wie sich Segestes vor dieser schicksalhaften Wende hätte absichern können, falls Rom tatsächlich gesiegt hätte, soll hier nicht zum Gegenstand weiterer Spekulationen werden. Es sollte aber auch nicht unerwähnt bleiben, denn auch diese Möglichkeit könnte sein Verhalten beeinflusst haben. Aber er brauchte diese Möglichkeit nicht in seine Entscheidung einbeziehen, da er keinen römischen Sieg erwartete. Aber zurück zum Versuch die Theorie lebendig werden zu lassen. War also Segestes später sogar selbst auf dem Kriegsschauplatz aktiv, so musste ihm auch bekannt gewesen sein, wo bzw. auf welchem Streckenabschnitt es zum Gefecht bzw. zum ersten Aufeinandertreffen kommen sollte. Denn der Nethegau war auch ihm nicht unbekannt und die Methodik verrät, dass die Germanen nicht völlig strategie- und kopflos, konfuse oder vom Zufall abhängig, irgendwo am Wegesrand dem römischen Marschzuges aufgelauert und auf die Legionäre gewartet haben um dann blindlinks los zu dreschen. Denn das vorherige Ausschalten der Abstellungen, also des zivilen Trosses und andere belastbare Hinweise lassen eine gut durchdachte und vielleicht sogar schon langfristig angelegte germanische Strategie erkennen. Cassius Dio bestätigte uns ihre, nennen wir sie Weitsicht, also die frühzeitige Vorbereitung für den Tag des großen Kraftaktes in seiner Textstelle 56.18–22. Er stellte es darin so dar, als ob man das Imperium schon von Beginn an bewusst in eine abwegige Region lockte. Dahin wo sich ihnen keine schiffbare Ostwestverbindung mehr bot, denn die Weser fließt bekanntlich nach Norden und wo man zudem noch den aufwendigen Wegeausbau anzugehen hatte. Man zwang Rom auf diese Weise in Anreppen alles umladen und alle Marschbewegungen, seien sie von logistischer oder militärischer Natur auf den Landweg verlegen zu müssen. Und das Wegstück vom Oberlauf der Lippe bis an die Weser hatte es in sich und war ungleich beschwerlicher, denn sie mussten immer den Eggeanstieg von beiden Seiten aus bewältigen. So spricht aus den Worten von Cassius Dio im übertragenen Sinne auch die an anderer Stelle überlieferte Kernaussage, dass die Germanen das Land und die Natur für sich kämpfen ließen. Rom ließ sich leicht verführen und daran könnte schon Segimer beteiligt gewesen sein. Denn nach dem Rhein erkannte man im Imperium in der Weser bereits das nächste Okkupationsziel, verkannte aber die geographisch kritische Lage. Des Weiteren brachte Cassius Dio zum Ausdruck wie geschickt man damals in Germanien vorging in dem man sich für einen entfernt lebenden Stamm als Zielort entschied und ihn vorschob, also keinen der im Nahbereich zum Sommerlager oder zum Hellweg siedelte. Vor allem hielt Cassius Dio fest, dass man Varus in dem Glauben ließ im Freundesgebiet unterwegs zu sein. Was auch für den ersten Marschtag noch vollumfänglich zugetroffen haben mag, denn von Höxter nach Brakel bewegte man sich im Cheruskerland. Aber seine Bemerkung gipfelt in der präzisen Aussage, dass alles nach einem „abgesprochenem“ Plan verlief. Ein Ablauf dem eine eindeutige Strategie zugrunde lag. Aber demzufolge auch einer Taktik folgte die Segestes gekannt haben muss. So sollte also auch Segestes gewusst haben, welchen Weg er dort hin zu nehmen hatte und wo, wenn nicht auch er selbst, so doch seine Sippe sich in die verabredete Gefechtsphalanx der Germanen einzufügen hatte um effektiv zu sein. Da nicht überliefert ist, dass Segestes gemeinsam mit Varus das Sommerlager verließ, sondern nur Arminius gemeinsam mit Varus ritt, könnte sich Segestes erst am zweiten Tag, dann aber wohl unmittelbar „an die Front“ begeben haben und da er und seine Sippe nicht aufs Geratewohl aufgebrochen sein dürfte, wird er auch die Zielrichtung gut gekannt haben. Aber alle diese sehr aufschlussreichen Details erfuhr Varus von keiner Seite und auch nicht aus dem Munde von Segestes. Darüber ließ man ihn im Unklaren, obwohl genau das dazu hätte führen können, dass Varus Segestes die ernsthafte Bedrohung da detailgetreu geschildert hätte abnehmen können. Denn diesem präzisen Wissen über den Ablauf hätte Varus auch nichts mehr entgegen setzen können und hätte ihm glauben müssen. Allesamt dürfte Segestes bereits ausgereifte Pläne zumindest aber Gedanken gehabt haben, die er aber dieser Theorie nach Varus gegenüber am Vorabend des Ausmarsches verschwiegen hat. Denn zum besagten Zeitpunkt am Vorabend sollte Segestes schon genau gewusst haben, wie er sich später selbst verhalten würde. Und der Vorabend wäre demnach auch der richtige Zeitpunkt für ihn gewesen, dem Feldherrn gegenüber Schritt für Schritt die Strategie der Germanen offen zu legen, um Varus von der Ernsthaftigkeit der Gefahr zu überzeugen und um ihm die Schlacht bzw. Niederlage zu ersparen. Es war die letzte Möglichkeit, denn danach sah er ihn wohl nie wieder. Er hätte Varus also beim Gastmahl in jedem Fall sagen müssen, dass auf ihn eine größere Auseinandersetzung zukommen würde und diese nicht vergleichbar mit dem sei, was ihn bei den so genannten Aufrührern erwarten würde. Das es auf einen möglicherweise mehrtägigen Zermürbungskampf hinaus laufen würde, das es zu keiner offenen Feldschlacht kommen würde und auch das der Kampf nicht zentriert nur dort statt finden würde, wo er die Aufrührer anzutreffen gedachte. Das Stammesgebiet jener Rebellen wo er seine Konvention, wie Florus es nannte, also eine Versammlung bzw. einen Gerichtstag abhalten wollte. All dies unterließ Segestes letztlich, denn von seiner vermeintlichen Warnung lesen wir „nur“ im Geschichtsbuch, einem dicken Buch in dem leider zu oft „nur“ Geschichten stehen. Ereignisse die oft alle so nicht zutrafen, wie wir es heute annehmen. Sicherlich verschwieg es Segestes ihm nicht aus Gründen der Peinlichkeit, weil er befürchtete, Varus möglicherweise später sogar noch auf dem Kampfplatz selbst hätte begegnen können. Denn wie anders sollte man auch die Textstelle auffassen, wo nach sich Segestes noch „in den Krieg mit hinein ziehen ließe“. Wobei allerdings in Historikerkreisen auch die Auffassung vertreten wird, dass damit gemeint sei, Segestes habe sich erst nach der Varusschlacht gezwungen gesehen am Aufstand gegen Rom teilzunehmen. In diesem Fall sei dann aber die Frage erlaubt, an welchen Aufstand die Historiker dabei gedacht haben mögen. Denn davon ist nichts dergleichen überliefert. Offensichtlich tut man sich mit der Vorstellung schwer, Segestes habe sogar selbst wie seine Männer auch gegen Varus zur Waffe gegriffen. Denkt man alle historischen Hinweise zu Ende dann wäre Segestes bei seinen Warnungen, hätte es sie gegeben bewusst unpräzise geblieben. Denn desto mehr Hintergrundwissen er gehabt und Varus offenbart hätte, um so exakter wären dann auch seine Informationen an ihn ausgefallen und um so glaubwürdiger wäre er auch ihm gegenüber gewesen. Dann hätte Varus sich anders verhalten müssen. Segestes hätte sich dann aber auch selbst einer nicht minder großen Gefahr ausgesetzt nämlich der als Doppelspion zu agieren. Denn dann hätte sich Segestes bei diesen Detailkenntnissen auch auf die Frage von Varus vorbereiten müssen, woher dieser denn genau wusste, was die Germanen so alles gegen ihn im Schilde führten. Denn wer über so viel Insiderwissen verfügte, der könnte auch schon am Komplott gegen ihn mit gewirkt haben und der würde nicht noch 5 Minuten vor 12 die Front wechseln. Dies hätte ihn zweifellos sehr verdächtig gemacht und am Ende hätte dann nur einer in Fesseln gelegen, nämlich Segestes. Varus hätte hinter seinen Worten dann sogar möglicherweise ein geschicktes Täuschungsmanöver ganz anderer Natur und mit völlig anderem Hintergrund sehen können. Etwa ein Segestes der den Auftrag hatte Rom in eine völlig andere Position zu dirigieren. Vielmehr stehe ich allerdings für die Behauptung, dass Segestes Varus gegenüber in Gänze schwieg, es keine Warnung und demzufolge auch keinen Verrat von seiner Seite gab und sich andere Spekulationen erübrigen. Dieser Dissens in der Wahrnehmung und Gewichtung der alten Überlieferung muss auffallen, wenn man versucht die Szenerie nach menschlichem Ermessen zu greifen und nachzuspielen. Erst diese Vorgehensweise lässt uns auf die verschwiegenen Lücken innerhalb der historischen Berichterstattung stoßen. Folglich unplausible und halbherzige Warnungen auszustoßen um dann doch noch gegen Varus mit zu kämpfen, da Beute lockt, oder weil man sich vom Volk genötigt fühlt, wirkt widersprüchlich und macht wenig Sinn. Gleiches gilt für die in historischen Kreisen geäußerte Vermutung, Segestes habe sich erst nach der Varusniederlage den späteren römischen Rückzugskämpfen, also gegen Aliso oder die Lippekastelle angeschlossen. Aber nicht nur das Volk wird Segestes unter Zugzwang gesetzt haben auch seine eigene Familie und Sippe wird Einfluss ausgeübt haben, dem er sich nicht entziehen konnte. So musste er sich im entscheidenden Moment doch mehr zur germanischen als zur römischen Sache bekennen. Jedenfalls wird auch an dieser Stelle deutlich um wieviel enger der oft unterschätzte Protagonist Segestes gegenüber Arminius mit in die Ereignisse verstrickt war und nicht viel Wahlfreiheit besaß. Er erwartete oder erhoffte vielleicht sogar einen römischen Sieg, konnte aber auch eine Niederlage nicht völlig ausschließen, was dann für ihn bedeutet hätte auch weiterhin entweder mit den siegreichen unter Umständen aber auch mit geschlagenen Germanen zusammen leben zu müssen. Aber das Risiko sich mit seiner Sippe direkt dem Rückmarsch in die römischen Winterlager am Rhein anzuschließen schien ihm dann doch zu groß gewesen zu sein. Mit anderen Worten ausgedrückt fällt es schwer für diese Faktenlage andere Argumente aufzutischen als die von mir vertretenen. Denn wer am Vorabend der Schlacht noch seinen vermeintlichen Freund Varus gewarnt haben wollte um dann gegen ihn am übernächsten Tag und nur rund 4o Stunden danach selbst das Schwert zu ziehen, lässt kaum andere Schlüsse zu, als dass es keine Warnung gab. Wenn sich ein von außen als Germane erkennbarer Kämpfer wie Segestes im Kampfbereich sehen ließ, musste er auch davon ausgehen von römischen Legionären sowohl erkannt als auch angegriffen zu werden und sich verteidigen zu müssen. Somit verstrickte er sich, selbst wenn er etwas passiver auftrat, mitten ins Gefecht. Wäre es anders gewesen, hätte der strahlende Sieger Arminius ihn, den Verräter auch nicht sechs lange Jahre nach der Schlacht in seinem Umfeld geduldet und ihm den Frieden gelassen. Und das auch dann nicht, wenn er mit ihm verwandt gewesen wäre. Aber die reale Geschichte schlug wohl andere Wege ein und schließlich ging für die Germanen alles gut aus. Schließlich „durfte“ Arminius der Widersacher fünf Jahre nach der Varusschlacht noch seine Tochter Thusnelda schwängern und so etwas passierte im alten Germanien sicherlich nicht hinter dem Rücken des Schwiegervaters, sondern war eine abgesprochene und eingefädelte vor allem aber traditionelle und übliche Verbindung unter den Fürstenhäusern (01.02.2021)

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