Mittwoch, 7. April 2021
Wenige Tage vor der Varusschlacht. Die letzte Versammlung der Cherusker. Meldereiter berichten über die aktuelle Lage, alle Blicke sind auf Segimer gerichtet. Die Waffen hat man schon in der Hand. Segestes lässt sich gerade davon überzeugen doch mit zu machen. Die Entscheidung ist gefallen und die ersten Germanen brechen bereits auf. Reliefausschnitt von der Mark-Aurel-Säule (frei interpretiert)

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Varus und sein Ringen, dass Richtige tun zu wollen - Wir müssen uns auf eine komplexe Stimmungslage einlassen.
Schwer vorstellbar, aber der Nethegau war damals für einige Jahre so was wie der militärische Nabel Mitteleuropas. Wir hingegen fühlen uns heute so, als säßen wir in der ersten Reihe und betrachten seelenruhig von einem postantiken, aber vor allem bequemen Podest aus, wie der Beginn der Varusschlacht immer näher rückt. So blicken wir visionär auf die Rheinrückkehrer und sehen, wie sie sich nichts ahnend auf ihren militärischen Exkurs zu den Rebellen vorbereiten. Man bibbert förmlich mit ihnen, da man weiß was sie erwartete. So sollte sich bestätigen, das sich selbst die eingespielteste Routine schnell in Dramatik verwandeln kann, denn Garantien auf einen Sieg gab es zu keiner Zeit. Der damaligen Atmosphäre nachzuspüren, zu versuchen sie einzufangen und die einstigen Entscheidungsprozesse zu erkennen bleibt selbst den Spürsinnigsten unter uns verwehrt, aber der Versuch ist gestattet. Die letzten Stunden komprimiert zu betrachten um es mit den damaligen Möglichkeiten abzugleichen und die Auslegungsspielräume auszuschöpfen erfordert das Zurückstellen unserer inneren Uhr und das nicht nur auf die Winterzeit. Ausgerüstet mit dem frischem Wissen von Cassius Dio im Rücken wird aufs Neue unser Vorstellungsvermögen angespornt. Und gerade in diesem Moment tritt wieder ein ganz besonderer Aspekt besser gesagt ein klassischer Makel in den Vordergrund, dem die Geschichtswissenschaften kaum Beachtung schenken. Nicht, weil es sie nicht interessieren würde oder weil es so unbedeutend wäre, vielmehr muss der Grund dafür an einer besonders deprimierenden und pikanten Stelle gesucht werden, denn er offenbart unser Nichtwissen darüber wie sich Römer und Germane damals sprachlich verständigten. Und noch etwas. Was wissen wir eigentlich über die Existenz oder die Bedeutung keltischer Dolmetscher. Dazu liegen uns ebenfalls keine Erkenntnisse vor, unsere Vorstellungen sind zu "druidenhaft" und mit schleierhaftem Wissen möchte sich keine seriöse Wissenschaft ernsthaft auseinander setzen. Unsere Annahmen reichen von lateinisch sprechenden Germanen über germanisch sprechende Römer bis zu einigen vielleicht sogar beide Sprachen beherrschenden Kelten. Aber sie könnten die damalige Szenerie geprägt haben. Und Kelten könnten somit sogar die Konversation gelenkt und damit beeinflusst haben. Aber der mit Abstand größte Teil aller am damaligen Konflikt beteiligten wird einer schweigenden Mehrheit angehört haben, weil er die Sprache seines Gegenübers nicht konnte. Und alles wurde noch zusätzlich durch die Vielzahl regionaler Dialekte erschwert. Befehle gingen durch viele Münder und fremdartige Zungen, führten zu Verwirrung und der Kreis jener die bei allem den Überblick behielten wird verschwindend gering gewesen sein. Wie kommunizierte man also untereinander an der Weser. Das Volk der Cherusker sprach protogermanisch, urgermanisch, gemeingermanisch oder westgermanisch. Und die Vielzahl von Bezeichnungen die man ihrer Sprache gab verrät elementares Unwissen. Die Cherusker entstammten dem umfänglichen Kulturkreis dem man den Namen Jastorf - und Harpstedt - Nienburger Gruppe gab, waren in der Nachfolge gleichsam deren Bestandteil und somit Grenzstamm dieser Großgemeinschaft, denn sie besiedelten den südlichen Rand ihres Verbreitungsraumes. So unterlagen die Cherusker zwangsläufig stärker den Strömungen und Einflüssen aus dem Norden und Osten Germaniens, da sie bekanntermaßen weder aus dem Süden noch von Westen aus nach Ostwestfalen zuwanderten. Aber sie trugen auch die Kultur ihrer autochthonen Vorfahren in sich. Und diese bestand aus der keltischen Ur - Bevölkerung deren Wohngebiete bis an den Nordrand der Mittelgebirge reichten, bevor der Blick in die Weiten der norddeutschen Bucht fiel. In ihren Siedlungsgebieten zwischen Egge und Harz traf man weit vor der Jahrtausendwende aufeinander, verschmolz miteinander und schuf die Basis unserer heutigen ostwestfälisch/südniedersächsischen Dialekte. Das nicht nur die Kelten in zugewanderten Völkern aufgingen, wenn diese dominanter auftreten, gehört zu den normalen Prozessen der Menschheitsgeschichte und man könnte vereinfacht sagen, so sprachen auch die Cherusker. Und es gibt auch einen möglichen Hinweis darauf, dass die keltische Zunge bei der Kommunikation geholfen haben könnte und dabei als Vermittler zwischen den beiden Kulturblöcken auftrat. Nach allem was sich recherchieren lässt, siedelte der Stamm der Cherusker nördlich der bekannten Sprachgrenze, die heute immer noch unübersehbar - besser gesagt unüberhörbar Deutschland teilt und diese alte Trennlinie markiert. Geht man der Frage nach wie man in Varuszeiten der Sprachlosigkeit zwischen den Kulturen begegnete und die damit verbundenen Probleme überwand, dann nähert man sich unter Einbeziehung der keltischen Ureinwohnerschaft auch unweigerlich jenem Themenkreis an, wo es um die Forschung nach den Ursachen und Zeitabläufen dieser Lautverschiebung geht. Denn es war wohl eher eine germanisch/keltische, denn eine sächsisch/fränkische und noch weniger eine hochdeutsch/althochdeutsche Sprachbarriere. So stieß das Verbreitungsgebiet der vor römischen Kulturen, in diesem Fall der "Jastorf - und Harpstedt - Nienburger Menschen" und so mit auch das der Cherusker in etwa dort auf den angrenzenden Sprachraum, wo heute die Diemel fließt. Daraus lässt sich ableiten, dass es den Kelten südlich der Diemel und des Haarstrangs noch längere Zeit gelang, sich eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber den germanischen Einflüssen zu erhalten und sich ihrer Südexpansion entgegen zu stellen bzw. sich beharrlich zu behaupten. Ein Prozess der sich über die Generationen betrachtet vor allem in Ost- und Südwestfalen bzw. Nordhessen vermutlich eher gelassener vollzog. Und hier im Spannungsfeld älterer Traditionen wandelten seinerzeit auch die Römer in einem stammesgeschichtlich undefinierbaren Terrain, denn wir wissen von Cassius Dio, dass man sich in Rom nie so recht im Klaren darüber war wann man es mit Kelten und wann mit Germanen zu tun hatte bzw. wo und wie sich ihre Siedlungsgebiete und Stämme abgrenzten. Nördlich der Diemel lagen die Dinge anders und auch noch Clothar I schien sich 556 nicht über diese Sprachgrenze hinweg in den Norden vorwagen zu wollen und begnügte sich mit dem Versprechen sächsischer Tributzahlungen. Den Nethegau kannte man am römischen Rhein bislang nur als eine notwendige Zwischenstation zur Weser. Mit den Provinzialisierungsplänen sollte sich dies jedoch ändern. Denn nun lernte man unter Varus die dort lebenden Menschen auch persönlich näher kennen. Nun waren sie auch nicht mehr die Gegner von einst, sondern quasi über Nacht zu neuen Bündnispartnern heran gewachsen. Im heutigen Nethegau der schon östlich von Schwaney beginnt und bis an die Weser reicht betrat Rom ein unbekanntes Mischgebiet. Sie brauchten diese Route um zur Weser zu gelangen und sahen darin einen Korridor, den sie wie selbstverständlich in ihre neue Provinz integrierten. Hatte man es aus römischer Sicht betrachtet hier vielleicht noch mit einem friedfertiger geprägten Menschenschlag wie etwa den Ubiern zu tun, war man noch im keltischen Einzugsgebiet, oder hatte man es bereits mit den ungestümeren Nord- oder Elbgermanen zu tun. Die Cherusker hatten diese Einflüsse in sich aufgesogen, werden sich aus vielen Mentalitäten zusammen gesetzt haben. Lebensweisen wie sie unter allen Grenzvölker zu finden sind, was sie zum einen zu Flexibilität zwingt und zum anderen auch unberechenbar machte, wie sie noch zeigen sollte. Es fällt jedoch auf und es ist sicherlich kein Zufall, dass sich die wissenschaftlicherseits fiktiv gezogene Südgrenze der vor römischen Kulturen in groben Zügen sowohl an den Mittelgebirgen orientierte, als auch zur nahen Benrather Sprachgrenze fasst parallel verläuft. Etwas versetzt und erst nach den Geschehnissen um die Varusschlacht soll dieser These nochmal nach gegangen werden. Denn diese Thematik öffnet die Tür in das fragwürdige Kapitel, ob die Falen und Altsachsen die Nachfahren der Cherusker und Angrivarier waren. Denn dafür bieten sich interessante und noch wenige beachtete Begründungen und Anhaltspunkte, die in späteren Abschnitten separat aufgegriffen werden. Damit ließe sich vielleicht sogar eine weitere Oese in der langen Kette von Beweisführungen schließen wonach die Varusschlacht im Nethegau statt fand und wofür der Titel dieses Internet Buches steht. Denn auch Kelten könnten dabei eine Rolle gespielt haben. Aber zurück in den allseits vermuteten Hexenkessel, also in die Zeit vor dem Verlassen des Sommerlagers. Wir bilden uns ein, während der Stunden vor dem Ausmarsch habe eine explosive Stimmung geherrscht und die blanke Hektik regiert, aber es spricht einiges dafür, dass man sich trotz aller Informationen, Gerüchte und Halbwahrheiten einen kühlen Kopf bewahrte. Aber was wissen wir und was lässt sich über die Menschen sagen denen noch nicht bewusst war, dass sie am Abend vor dem Ausmarsch schon hart an der Grenze einer Schlacht standen. Verständlicher wird vieles im Zuge der Recherche, denn nach Lage der Dinge herrschte im Lager aufgrund der nicht ergangenen Segestes Warnung eine mögliche Gelassenheit. Denn wir finden bei Cassius Dio die besten Hinweise dafür, dass es sich bei dem in die Geschichtsbücher eingegrabenen Segestes, dem vermeintlich großen Verräter, nur um eine unscheinbare und unauffällige Hintergrundfigur der Geschehnisse handelte, die aber letztlich stumm blieb. Und so konturlos - und bedeutungslos wie Segestes bei Cassius Dio erscheint könnte man sogar auf den Gedanken kommen, Segestes habe den ganzen Geschehnissen vor der Schlacht im römischen Lager an der Weser noch nicht einmal beigewohnt. Denn das Cassius Dio es noch nicht einmal für nötig befand der Leserschaft seinen Namen zu hinterlassen ist schon befremdlich wo er doch angeblich so bedeutungsvoll gewesen sein soll. Denn mit seinem Fingerzeig darauf, dass es mehrere Personen waren die Varus zur Vorsicht rieten und nicht nur der eine uns allen bekannte Segestes, raubte er ihm gänzlich seinen geschichtlich hinterlegten Nimbus der germanische Unhold schlechthin gewesen zu sein. Wäre es allein nur nach Cassius Dio gegangen und es lägen uns nur seine Schilderungen vor und wir hätten von Paterculus, Tacitus oder Florus nichts über Segestes erfahren, dann hätte es einen Segestes in der antiken und germanistischen Literatur nie gegeben. Zwei Fakten die uns an vielem Zweifel lassen müssen, was man vor Cassius Dio über Segestes nieder schrieb. Damit bricht auch automatisch ein Großteil unserer Visionen in sich zusammen die wir uns über die umtriebige Zeit vor dem großen Ausmarsch gemacht haben. So musste die Forschung bislang davon ausgehen, Varus habe die Warnung von Segestes vernommen, habe sie aber verworfen. Ebenso wie man annehmen durfte, das Varus auch das Angebot von Segestes kannte sich freiwillig in Fesseln zu begeben, er es aber ablehnte. Und genauso mussten wir annehmen, Varus habe gewusst, dass sich hinter Arminius der als allgewaltig beschriebene germanische Rädelsführer verbarg, aber darüber ungläubig hin weg sah. So waren es demnach allesamt Annahmen die Cassius Dio ausräumte da es bei ihm keinerlei Erwähnung fand und keine Bedeutung hatte. Episoden von denen Cassius Dio selbst nichts wusste oder wovon bei ihm nichts zu lesen ist. Und dazu kam dann noch ein Segestes, der bei ihm noch nicht einmal namentlich im Text seiner Annalen auftaucht. Auch mit dem zeitlichen Abstand und den Augen eines Cassius Dio gesehen klingt es so, wie es sich bereits hinlänglich enthüllen und begründen ließ. Denn auch Cassius Dio zeichnet uns ein Bild demnach es die "Segestinischen Prophezeiungen" damals gar nicht gegeben hat. Ein Kartenhaus errichtet auf den schwindelhaften Aussagen eines Mannes der im eigenen Interesse handelte, das aber mangels Beweislage in Rom akzeptiert wurde. Die Bestätigung dafür lässt sich den Konsequenzen entnehmen. Varus organisierte auf umsichtige Weise den großen Ausmarsch. Da er über die nötige Einsicht in die Lage verfügte und sich des Problems bewusst war, folgte er auch dem Ruf des Arminius und nahm die Aufforderung, er möge doch Kraft seiner Würde die Funktion eines Friedensstifter bei den Aufrührern übernehmen an. Er teilte wie sich rekonstruieren lässt den Marschzug auf um überflüssige Güter und gefährdete Zivilpersonen nicht dem Umweg und auch nicht den Kampfhandlungen auszusetzen und stellte zu deren Geleit zudem eine Anzahl Soldaten ab. Im Sommerlager zeigte sich das Leben und Treiben vor dem Auszug von seiner unaufgeregten Seite, das eingespielte Verhalten von Normalität, welches dem Betrachter ein Bild wie im tiefsten Frieden bot. Genauso wie es auch die antiken Historiker zum Ausdruck brachten. Aber alle Geschichtsschreiber haderten letztlich mit der Realität des Faktischen, denn keiner von ihnen konnte sich vorstellen, dass es tatsächlich so gewesen sein sollte. Da doch alle wussten, was später folgen sollte, standen sie kopfschüttelnd vor einer Wand der Ratlosigkeit. So mussten sie sich die Frage stellen, warum man denn zum Teufel vorher im Kreise des Feldherrn von einem derartigen Desaster nichts erfahren haben wollte. Ob nun von Segestes oder von anderen. Immer wieder ging es ihnen durch Kopf und Gemüt wie alles passieren konnte. Und das niemand etwas von der Ernsthaftigkeit der Bedrohung gewusst haben sollte klang für sie völlig unglaublich. Somit tat sich in der Gedankenwelt aller antiken Schreiber ein schwer überbrückbares Rätsel auf. Ein Zwiespalt für den Segestes den optimalen Nährboden für die nach Erklärungen dürstende römische Gesellschaft abgab. So konnte man sich auf diese Weise bequem das Unerklärliche, erklärlicher machen. Nun aber liegt uns die Überlieferung von Cassius Dio vor und aus seinen Worten lässt sich ableiten, dass man Segestes nach dem was ihm zur Auswertung vorlag alles andere war, als der herausragende, geschweige denn ernsthafte Ratgeber oder zuverlässige Berater des römischen Feldherrn. Und so verließ Varus das Sommerlager eben nicht in dem Bewusstsein, dass es zu mehrtägigen und umfangreichen Auseinandersetzungen kommen würde. Nach Cassius Dio blieb ihm nun nichts übrig, als lediglich der Ratschlag einiger namenloser Besorgter, man möge doch wegen des Aufruhrs alle weiteren Schritte mit Umsicht und Bedacht angehen. Eine völlig normale Reaktion unter Menschen. Alles war bei Varus der nüchternen Betrachtung gewichen, dass es lediglich galt eine mittlere Stammesfehde zu beenden und darum dieses möglichst auf dem Wege der Rechtsprechung zu erreichen. Sich unter diesen eher gemäßigt anhörenden Voraussetzungen eine Vorstellung darüber zu machen wie sich die kritischen Stunden oder letzten Tage vor dem Abzug gestalteten, setzt trotzdem ein hohes Maß an Gespür für die alten Zeiten voraus. Es ist allerdings mangels Livebild oder Abhöranlage um in die längst vergangenen Töne hinein zu horchen die maximale Herausforderung an unsere inneren Sensoren. Die DNA soll zwar auch Erinnerungen speichern können, aber es dürfte schwer fallen sie zum Reden zu überreden. Gelänge es halbwegs, dann böte sich uns ein vielleicht ein gemischtes Bild geprägt von Offenherzigkeit aber auch Intrige. Denn List und Tücke blühte nicht nur im Zentrum des Imperium Romanum, die provinzielle Boulevardpresse war noch nicht erfunden und Enthüllungsplattformen standen der Welt noch bevor. Trotzdem gewährten uns die antiken Schreiber und das auch schon mal in teils deftiger Form, immer mal wieder Einblicke in die römische Lebensweise, auch Dekadenz genannt. Aber am nordöstlichsten Zipfel römischer Militärpräsenz im tiefsten Germanien herrschte Frontatmosphäre. Von dort drang nicht viel nach außen und Tote können bekanntlich nicht sprechen. Wie dankbar wären wir für aufschlussreiche Gesprächsmitschnitte, schriftliche Protokolle oder Tagebücher von Dialogen aus altgermanischen Zeiten um uns ein besseres Bild machen zu können. Wie könnten sich die letzten Zwiegespräche angehört haben, wer führte sie miteinander, wie edel unterwürfig oder niederträchtig verliefen sie, wie arglistig und hinterrücks wurden sie geführt, wie mögen sie geklungen haben, in welcher Sprache oder in welchem Dialekt unterhielt man sich, wie drückten sich die Menschen aus und welches Vokabular kam zur Anwendung. Alles Fehlanzeige und wir rätseln weiter wie man kommunizierte. Haben wir mal einen antiken Historiker aufgespürt, den wir zum Textvergleich heranziehen könnten, so lässt das nächste Problem nicht lange auf sich warten. Denn der tragische Fall der keltischen Heldin Boudicca offenbart uns bei alledem noch eine weitere historische Misere. Nämlich einen permanenten Erklärungsnotstand, den uns die antiken Geschichtsschreiber leider zu oft hinterließen. Denn während sich Boudicca die britannische Königin und Heerführerin laut Tacitus nach ihrer Niederlage gegen Rom vergiftet haben soll, konnte Cassius Dio der sich rund 100 Jahre später mit ihr befasste nur berichten, dass sie erkrankte und später verstarb. Tacitus besaß also mehr Detailwissen als Cassius Dio. Und das, obwohl wir oft die Ansicht vertreten, dass der später Schreibende auch über mehr Kenntnis verfügt haben sollte. Mitnichten könnte man in diesem Fall meinen. Beides birgt natürlich keinen Widerspruch in sich, aber warum erwähnt Cassius Dio, der lange nach Tacitus lebte nichts von Gift. Warum übernahm also der jüngere Cassius Dio nicht das offensichtliche Mehr an Wissen, was die Aufzeichnungen des älteren Publius Cornelius Tacitus her gaben. Kannte er am Ende gar nichts von alledem was Tacitus schrieb, lagen ihm andere Berichte vor, aus denen Gift als Ursache nicht hervor ging. Oder war schon Tacitus der, der falsch informiert war. Kalamitäten die sich nicht durchdringen lassen, sodass man sich am Ende die Frage stellen muss wie spitz unsere Lanze sein müsste, um diese historischen Nebel durchstechen zu können. Auch auf die Varusschlacht bezogen kann man schon den Eindruck gewinnen, dass Cassius Dio nichts von dem Wissen seiner Vorgänger, explizit dem von Tacitus besaß oder nicht davon profitierte bzw. profitieren wollte. Hätte Cassius Dio die Überlieferung von Tacitus genutzt, dann hätte er doch auch die Geschehnisse um das Auftürmen der Knochen, woran sich Germanicus sogar selbst beteiligte, mit in seinen Mehrtages Schlachtenbericht einflechten können. Eine Frage die wir uns auch in Bezug auf die Schriften des Florus zum Lagerüberfall stellen müssen, denn da erfahren wir auch von Florus Details, die Cassius Dio später nicht erwähnte. Das rätselhafte Auslassen von Ereignissen und Beschreibungen über das ältere Historiker noch verfügten, das aber vom jüngeren antiken Historiker Cassius Dio weg gelassen oder nicht genutzt wurde wirft die immer gleichen Fragen nach der Quellenlage auf. Wie war das also mit den als höchst aufschlussreich gehandelten Senatsakten, wenn doch die Vorgänger von Cassius Dio das eine oder andere doch besser gewusst zu haben schienen als er. Alles bietet viel Raum für Spekulationen und Hypothesen, wenn man es auf die Ungereimtheiten zum Verlauf der Varusschlacht herunter brechen möchte. Als eine Gewissheit sollte man voraus setzen dürfen, dass sich Varus seiner Verantwortung immer bewusst war und sich bemühte mit den Germanen eine geeignete Zugroute abzustimmen, die ihn auf dem besten Weg zu den Aufrührern führte. Und genauso können wir davon ausgehen, dass Varus die genaue Örtlichkeit des fiktiven Aufruhrs, also das Stammesgebiet der Rebellen gar nicht oder nur sehr vage kannte. Denn das Verheimlichen dieser Details gehörte bereits zur Strategie des Arminius. In dieser Phase muss es des Öfteren zu unmittelbaren Gesprächen zwischen Arminius und Varus gekommen sein, denn Varus wusste nicht wo er hin zu marschieren hatte, war auf Arminius angewiesen und musste sich ihm anvertrauen. Über die Häufigkeit in der Varus und Arminius miteinander in Kontakt standen und worüber sie sprachen schweigen alle Quellen. Aber das Verhältnis muss weitaus intensiver gewesen sein, als es uns der historische Lesestoff verrät. Abgesehen von den gemeinsamen Treffen an der Weser und den Tischrunden im Sommerlager war es wohl auch Arminius selbst, der ihm den Scheinaufruhr als Köder unterschob und dazu waren einvernehmliche und vertrauliche Gespräche unabdingbar. Des Weiteren bot Arminius ihm schließlich seine und die Unterstützung seiner Männer an, wozu man sich ebenfalls abzustimmen hatte. Letztlich verließ man gemeinsam das Sommerlager und ritt Seite an Seite was sicherlich auch nicht stumm und ohne Wortwechsel verlief zumal Arminius im Gegensatz zu den vielen anderen Germanen etwas lateinisch sprach. Und das ihn Arminius dann an einer Wegekreuzung verließ um zu seinen Männern zu reiten geschah sicherlich auch nicht ohne vorherige Absprache mit Varus. Und natürlich wollte Varus von Arminius auch wissen, wann dieser gedachte und das vermutlich am Folgetag, wieder Anschluss an ihn zu finden. Daraus wird deutlich wie nahe sich beide nicht nur in den letzten Stunden standen, eine Zeit in der ein Segestes zur völligen Bedeutungslosigkeit verkam und daher bei Cassius Dio auch keine Erwähnung mehr fand. Varus ging in dieser Zeit eng auf Arminius ein und folgte seinen Ratschlägen ganz so, wie es sich aus allem Überlieferten heraus lesen lässt. Quellen an denen sich keine Zweifel fest machen lassen. Hätte Segestes die Kämpfe noch ernsthaft verhindern wollen, dann hätte gerade in diesen Momenten seine Anwesenheit vieles ändern können. Varus beugte sich Arminius im vollen Vertrauen zu, denn Arminius war für ihn nicht nur der Mann in dem er eine militärische Stütze hatte. Arminius war auch Bestandteil der gesamten Operation und er war für Varus immer zugegen und erreichbar. Was für Arminius zweifellos wichtig war, da er Varus im Auge behalten musste um notfalls umdisponieren zu können. Arminius besaß sicherlich Männer die auch dann, wenn er bei Varus weilte schnellen Rittes die neuesten Erkenntnisse an die anderen Stammesführern weiter geben konnte um sich auszutauschen. Denn Arminius war für beide Parteien der entscheidende Mittelsmann in seiner Doppelfunktion als romtreuer Germane. Varus brauchte ihn nun mehr denn je. Arminius musste und konnte gegebenenfalls besänftigend und beschwichtigend auf die Aufrührer einwirken, konnte aber auch ein Machtwort sprechen und bot sich Varus an, an der Aufklärung und Ursachenforschung dieses fiktiven Konfliktes mitzuwirken. So zumindest der suggestive Hintergrund der nötig war um Varus von seinem Plan voll überzeugen zu können. Und so stand er Varus in jener Zeit näher als jeder andere. Varus war also wahrlich auf einen Mann wie Arminius in diesen Stunden in höchstem Maße angewiesen und das war beiden bewusst. Und dem Wenigen was sich seinem naturell entnehmen lässt, wollte und durfte er Arminius in dieser sensiblen Phase sein Vorschlagsrecht sicherlich nicht streitig machen und es besser wissen wollen. Im Gegenteil er wollte alles so anordnen wie es Arminius für richtig hielt und man könnte sich vielleicht sogar die Frage stellen, wer denn der Feldherr war. Er ließ sich von Arminius führen und letztlich verführen nahm von ihm auch Empfehlungen und das vermutlich auch bereitwillig entgegen und delegierte manches an ihn weiter. Schließlich waren es seine germanischen Ortskundigen, die ihm den Weg zu den Aufrührern weisen mussten. Seine Verstärkung gab ihm das Gefühl von Sicherheit und das Machtwort von Arminius zählte bei den vermeintlichen Rebellen möglicherweise sogar mehr als sein eigenes. Wo sich das Zentrum bzw. der Siedlungsraum der Rebellen befand war letztlich unerheblich, denn für die Germanen war bekanntlich der Weg das Ziel. (07.04.2021)

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Sonntag, 28. März 2021
Cassius Dio besaß die bessere Quelle - Aber unser Kombinationstalent ist gefragt
Cassius Dio verfügte wie kein anderer antiker Historiker vor ihm über die zusammen hängenden Kenntnisse und damit aus unserer Sicht über die begehrte Gesamtübersicht zum Schlachtverlauf. Er schilderte uns das Geschehen fasst wie aus einem Guß, zwang uns aber gleichzeitig jedes seiner Worte auf die analytische Goldwaage legen zu müssen um auch seine Botschaften dahinter verstehen zu können. Andererseits vermissen wir bei ihm aber jene kurzen Episoden wodurch das große Ereignis erst an menschlicher Würze gewinnt. Nämlich die berührenden Berichte über die Verhaltensweisen und Reaktionen einzelner, ob sie nun an der Schlacht selbst teilnahmen oder erst sechs Jahre nach der Schlacht die Region aufsuchten. Aber es gibt sie die Überlieferungen die uns einen kleinen Einblick in die Gefühlswelt einiger Protagonisten gewähren, sie verraten uns aber zugleich auch etwas über das Innenleben der jeweiligen Historiker. Beschreibungen wie sie Paterculus, Tacitus und Florus zum Geschehen beisteuerten. Oftmals waren es von ihnen nur eingestreute Halbsätze, insgesamt aber Anhaltspunkte die für die Rekonstruktion und unser Verständnis hilfreich wurden. Um nur das als widerwärtig dargestellte Verhalten von Numonius Vala (Paterculus), die verzweifelte Flucht des blutverschmierten Legionärs samt Legionsadler (Florus) oder die tiefe Betroffenheit des Germanicus angesichts der Knochenbestattung (Tacitus) heraus zu greifen. So musste Cassius Dio der über all dies nichts schrieb sein Wissen einer oder anderen Quellen entnommen haben. Sollten ihm die Schriften von Paterculus, Tacitus und Florus vorgelegen haben so nutzte er sie, warum auch immer, nicht. Vielleicht weil sie sein Konzept störten oder ihn diese Details nicht interessierten. Vielleicht aber auch nur, weil er nicht bei ihnen abschreiben wollte. Wollen wir dem Ursprung seines Wissens auf den Grund gehen, dann stoßen wir auf einen viel zitierten Hinweis, den man schon als nahezu überstrapaziert bezeichnen muss. Eine bedeutsame Quelle die man im Zusammenhang mit seiner politisch hohen Position und den sich daraus abzuleitenden Kompetenzen sehen kann. Mit der Kombination aus beidem lässt sich vieles begründen und rechtfertigen und es bietet uns eine Hilfestellung, wenn wir seiner Glaubwürdigkeit einen Maßstab anlegen möchten. Vielleicht ist auch nur der Wunsch der Vater des Gedanken mit dem wir Cassius Dio zum Allwissenden in Sachen Varusschlacht hoch stilisieren möchten und was schon fasst mythische Züge annimmt. Aber die Faktensammlung und deren Analyse spricht für sich und somit auch für ihn. Denn aufgrund seines gehobenen Standes und Ansehen als römischer Senator und Konsul billigt ihm die Geschichtsforschung seit jeher zu, dass ihm Recht und Privileg zustanden Einblick in die behüteten Senatsakten nehmen zu dürfen. Sozusagen ins Allerheiligste imperialer Dokumentationsbürokratie, nämlich die bibliographische Schatzkammer der kaiserlich römischen Geschichtsschreibung schlechthin. Und die Freiheit darauf zugreifen zu dürfen sollte man ihm auch nicht absprechen, denn er verfügte über diese weit reichende Berechtigung und war offensichtlich auch nur dadurch imstande gewesen den Hergang der Mehrtagesschlacht zumindest in groben Zügen nachvollziehen und darstellen zu können. Und er brachte es unter der Regentschaft vieler nach Varus zeitlichen römischen Kaiser zu Papier. Herrscher, für die die Varusschlacht so weit zurück lag, dass sie sie vielleicht schon gar nicht mehr für wahr hielten. Zeitlich entrückte Dimensionen ähnlich weit, wie es für viele damals auch die Punischen Kriege waren. So darf man sich nach so langer Zeit auch wieder die grundsätzliche Frage stellen was Cassius Dio angetrieben haben könnte, dass fasst Vergessene noch mal zu hinterfragen. Paterculus und Tacitus gelang diese Zusammenfassung noch nicht einmal Ansatzweise, während uns Florus immerhin eine Phase des Geschehens heraus griff und sie uns schilderte. Nämlich jene Kämpfe, wie sie sich im zweiten Marschlager nach Brakel dem "Prima Vari Castra" zugetragen haben könnten. Dieses von Florus stammende Wissen stellt damit eine Einmaligkeit und Besonderheit dar, wie wir es in der Abfolge bei keinem anderen Historiker so detailliert lesen konnten. Und selbst Cassius Dio hinterließ uns dazu nicht jene Details wie es Florus tat. Sollte Cassius Dio sein Wissen den Akten aus dem inneren Zirkel des Machtapparates entnommen haben, so las er darin auch noch manches andere, aber auch manches nicht, weil es nicht drin stand. So las er möglicherweise auch nicht, dass der Statthalter Varus von einem Germanen namens Segestes auf die drohende Gefahr hingewiesen wurde. Dafür las er aber, dass Varus von mehreren Personen gewarnt wurde. Es ist in der Tat ein brisanter Satz, den uns da Cassius Dio auf die warnenden Stimmen bezogen da hinterließ und uns ins historische Gewissen schrieb, dessen Ausmaß und Bedeutung sich auf den ersten Blick kaum erschließen lässt. Denn hätte uns nur dieser eine wortgetreue Bericht von Cassius Dio vorgelegen und nichts anderes, dann hätte sich die Geschichtsforschung auch nie mit der Warnung des Cheruskers Segestes beschäftigen brauchen und wir müssten uns einem völlig anderen Sachverhalt und einer geänderten Ausgangslage stellen. Eine Situation die wir uns bislang gar nicht vorstellen wollten, aber auch nicht mochten. Denn heute wie damals auch wollten die Menschen mit ihrem leichten Hang zur Theatralik immer schon gerne einem Mann wie Segestes Platz und Raum in ihren Visionen einräumen. Denn es war ja eigentlich schon immer allen klar, dass es sich auch hier bei Cassius Dio, wenn auch ohne Namensnennung nur um Segestes den Verräter gehandelt haben konnte. Aber seit Cassius Dio müssen wir umdenken und dürfen es nun grundsätzlich infrage stellen. Führen wir uns aber diesen Satz aus einer angemessenen Distanz zu Gemüte, dann lesen wir möglicherweise etwas völlig anderes in ihm und dann lässt sich der Satz auf eine ganz andere Weise interpretieren. Nämlich eine Analyse die völlig ohne den Germanen Segestes auskommt. Denn Cassius Dio las über das Präludium der Schlacht in den Senatsakten und darin stellte sich möglicherweise die Geschichte vom großen Verrat völlig anders dar. Da Cassius Dio von "allen" spricht, so lässt dies aber auch den Schluss zu, dass es zwei abweichende Varianten zum Geschehen gibt. Aber die Version von Cassius Dio wäre die, die sich den Vorstellungen dieser Theorie anpassen ließe. Lesen wir also diesen bedeutsamen Satz noch einmal völlig unbedarft, so als ob wir den Namen Segestes noch nie gehört hätten und tilgen mithin auch seine Untat aus der Geschichtsschreibung. "Stelle mer uns also ma janz dumm". Heinrich Spoerl der Drehbuchautor der Feuerzangenbowle wird es mir verzeihen. Segestes war demnach ein Fürst der Cherusker, er war der Schwiegervater von Arminius und er war später der Mann der sich Germanicus ergab, aber er war kein Verräter. Varus handelte folglich aus der Position einer vermeintlichen Stärke heraus, wie es nur ein Unwissender tun konnte, der weit und breit keine Gefahr erkannte, da sie ihm keiner deutlich machte. Aber durch die neuerlich entstandene Situation, nämlich die plötzliche Nachricht die ihm aus der Aufrührerregion zugetragen wurde auch ohne das es einen Segestes gab, sah er sich gezwungen seinen Plan zu ändern. Er musste also den herbstlichen Rückzug anders gestalten und organisieren, als er es ursprünglich vorgesehen hatte. So stand er in seinem Befehlsgebäude, beriet sich mit seinen Generälen und diskutierte mit ihnen den militärischen Teil des Rückmarsches zum Rhein samt Abstecher zu den Rebellen. Was aber die Rebellion ausgelöst hatte und wogegen sie letztlich gerichtet war, wird weder bei Cassius Dio noch bei irgend einem anderen Historiker deutlich, da alles letztlich von den Ereignissen überrollt und dies für alle an Bedeutung verlieren musste. Denn erst nach der Schlacht wusste jeder Mann, dass es gar keinen Aufruhr gab, dafür aber einen Hinterhalt. Aber von Florus ableitend und ihn hier hinzuziehend wird erkennbar, dass sich Varus mit der Absicht trug die Rebellen aufzusuchen um sich bei ihnen um eine Lösung des Konfliktes am grünen Tisch, also ohne Waffeneinsatz zu bemühen. Es schwebte ihm dem begnadeten Rechtspfleger möglicherweise eine Schlichtungsverhandlung in Form einer jener "allseits beliebten" Gerichtssitzungen vor. Das aufrührerische Volk siedelte Abseits und in gewisser Distanz zum üblichen und bekannten Marschkorridor von Corvey in Richtung Rhein, was einen Umweg erforderlich machte, bevor man wieder auf die Lippe traf. Varus musste also eine Region aufsuchen. die noch nicht in seinen Herrschaftsraum, also den neuen Siedlungsschwerpunkt, der neuen "Korridor" Provinz am Weserufer integriert war. Wo Germanen lebten, mit denen man auch keinen Vertrag geschlossen hatte. Stämme mit denen man auch keine Bündnisse schließen wollte weil man sie nicht brauchte, da sie außerhalb römischer Interessen lebten. Stämme, deren wirtschaftliches Umfeld für Rom zu diesem Zeitpunkt noch uninteressant war oder keine Bodenschätze wie Blei aufwies. Stämme über deren Strukturen, Machtgefüge und innere Angelegenheiten nur die einheimischen Germanen Kenntnis besaßen, aber kein Römer. Die Lage war für Varus klar, er hatte eine aus seiner Sicht schlagkräftige Armee um sich gesammelt und konnte zudem auf die Unterstützung cheruskischer Hilfstruppen bauen. Wo war also das Problem. So konnte er sich in der Tat wie Cassius Dio es auch anschaulich beschrieb, völlig sicher gewesen sein und brauchte auch kein Unheil befürchten, denn was sollte schon passieren. Aber letztlich zog man in ein Rebellengebiet in dem eine unklare Lage herrschte. Varus schilderte man, besser gesagt gaukelte man möglicherweise vielfache Gründe für den Aufruhr vor, Arminius musste es im Detail offen lassen und im Römerlager dürfte man gerätselt haben was dort wirklich vor sich ging. Stritten sich da nur germanische Stämme untereinander, waren römische Belange betroffen oder gar bedroht, wie hoch war deren Anzahl und wie stark waren sie. Aber auch wie es um das dortige Kräfteverhältnis stand. Gab es auch dort wie es sie scheinbar in allen Fürstenhäusern gab, eine Rom zugeneigte Partei oder nur Rom gegenüber kritische Stimmen. So mag sich dies alles seinem Wissen entzogen haben und Varus kam nicht ohne Arminius aus. Zumal dieser auch ihrer Sprache mächtig war. So ist es insgesamt betrachtet ein normaler Prozess gewesen, dass sich bei einer derartigen Militäraktion auch vollmundige Stimmen zu Wort meldeten, die auf mögliche Gefahren hinweisen, man kennt das. Ein nicht unüblicher Verlauf wie er vor jedem kriegerischen Ereignis im Sinne einer Abwägung statt findet und sogar statt finden muss. Denn es galt die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, die nötigen Voraussetzungen einzuleiten und die erforderlichen Entscheidungen zu treffen und sie den Unterführern bekannt zu geben und sicherlich waren an der Strategiefindung auch seine Kommandanten beteiligt. Dazu gehörte im Vorfeld auch der eindringliche Befehl an seine Männer sich durch germanische Hitzköpfe auf dem Weg zu den dortigen Anführern nicht irritieren zu lassen. Also auf keinen Fall voreilig zu den Waffen zu greifen um keinen Germanen ernsthaft zu erzürnen, solange man sich nicht darüber im klaren war, was bei dem rebellierenden Stamm wirklich vor sich ging. Eine weitere vorkehrende Maßnahme könnte es gewesen sein, den störenden, weil umfänglichen zivilen Tross, samt Beamten und sonstigen kriegsuntauglichen Personen, aber womöglich auch Sklaven, denn das war ein lukrativer Geschäftszweig des Imperiums von der militärischen Aktion abzukoppeln. Zur Sprache gekommene zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen hielt Varus jedoch für übertrieben und überzogen, da er sein militärisches Potenzial für ausreichend hielt. Erfahrene Legionäre auch aus den Zeiten des Immensum Bellum könnten ihn darauf hingewiesen haben, dass sich dort im Bereich der Südegge nahe der Diemel damals auch Völker angesiedelt hatten die im Zuge der Deportationen unter Tiberius dahin ausgewichen, also geflohen waren und daher nicht gut auf das Imperium zu sprechen waren. Denn in diesem Raum vermutet man die neuen Wohngebiete der Marser und die sich ihnen angeschlossenen Sugambrer. Varus hingegen vertraute auf seine Stärke und setzte sich auch über derartige Bedenken hinweg und das zu einer Zeit, als er schon vom Aufruhr wusste. Aber auch eine zweite Variante, die ebenfalls auf Segestes verzichten kann, könnte sich hinter den Worten von Cassius Dio verbergen. Varus fühlte sich in der Tat sicher, denn die Sommermonate verliefen äußerst ruhig, friedlich und zufriedenstellend. Daran hatten bekanntlich die Germanen ihren Anteil, da sie ihn in Sicherheit wogen und sich gerne von seinen Richtersprüchen "beglücken" ließen und eine trügerische Ruhe bewahrten. Ein Hinweis darauf, dass der Tag der Entscheidung bereits von langer Hand vorbereitet gewesen sein könnte. Die Atmosphäre knisterte, wurde aber von Varus als solche nicht wahr genommen. Den Schriften Cassius Dio ließe sich entnehmen, dass es Römer aus der Umgebung von Varus gab, die ihr Ohr stärker im Lager der Germanen hatten als andere und sie berichteten schon zu früher Stunde etwas anderes, denn sie warnten ihn und versuchten ihm bereits vor dem Abzug zum Rhein einen gewissen Ernst der Lage zu verdeutlichen. In diese schon vorher als kriselnd und Besorgnis erregend beschriebene Stimmungslage hinein platzte nun die plötzliche Warnung von Arminius oder anderer Germanen, dass sich im südlichen Nethegau Aufrührer zusammen geschlossen hätten. Für die römischen Herrscher verbargen sich dahinter außer Kontrolle geratene Auswüchse und die bekannte überschäumende Erregung der germanischen Urbevölkerung. Man kannte dies von ihnen und es galt wieder Ruhe herzustellen. Eine von Varus schon mehrfach angewendete Spezialität. Man bedenke auch, dass es hier Germanen waren, die Varus in diesem Fall sogar vor ihren eigenen Landsleuten warnten. Eine heikle Lage die für jeden Menschen ob er nun antiker oder neuzeitlicher Herkunft ist ungewohnt und unüblich klingen muss. Varus musste also den Eindruck gewonnen haben, dass die Cherusker ihm gegenüber über alle Maßen so loyal eingestellt waren, dass sie sich in diesem Fall sogar an die Seite Roms stellten und sich gegen ihr eigenes Volk mit Varus verbündeten. Aber dazu gesellt sich noch ein anderer Betrachtungswinkel. Nämlich der, wie glaubhaft es doch die Cherusker angestellt haben mussten um ihm dem Feldherrn Varus vermitteln zu können warum sie sich, die ebenfalls Germanen waren nun einem etwas weiter entfernt siedelnden Germanenstamm im südlichen Nethegau als Vermittler anbieten wollten, sich als Partner darzustellen, der nötigenfalls sogar dazu bereit war für Rom und Varus auf die eigenen Landsleute einzuschlagen. Wie diffuse und unübersichtlich musste Varus das Beziehungsgeflecht innerhalb der einzelnen Germanenstämme vorgekommen sein, wenn er sich davon überzeugen ließ. So gestattet dies auch einen Blick auf das gesamte Gefüge des Zusammenlebens der unterschiedlichen Germanenstämme in einem doch recht überschaubaren Siedlungsraum. Ging man denn tatsächlich im Römerlager davon aus, dass jeder Germanenstamm mit dem nächsten im Zwist lag, sodass es Varus völlig normal erschien, dass die Cherusker ihm näher standen, als anderen Germanenstämmen obwohl sie gleicher Abstammung waren. Und natürlich gehörte auch dies zum gut durchdachten Plan von Arminius, denn er konnte vorgeben, dass es zum Kampf bei den Aufrührern schließlich nur im äußersten Notfall kommen sollte. Nämlich erst dann, wenn schlussendlich alle angestrebten Schlichtungsbemühungen von Varus erfolglos bleiben würden und auch erst dann, wenn die Germanen dort völlig unerwartet die Waffen gegen Rom erheben sollten. Und dieses gesamte Zusammenspiel innerhalb unseres historischen Wissenstandes wie es sich aus den Berichten der vier antiken Geschichtsschreiber erschließen lässt ermöglicht uns auch erst diesen Verlauf plastisch nachvollziehen und ihn mit Leben erfüllen zu können. Denn demnach unterschätzte Varus möglicherweise ein über Generationen gewachsenes Zusammengehörigkeitsgefühl, das unter den damaligen Stämmen herrschte, die alle in Rom den gemeinsamen Feind sahen. Ob die Aufrührer nun in Arminius mehr den Feind, den Freund oder den Schlichter sahen, zeigt die heikle Lage in die Varus schlitterte und wie schwer es für ihn war, alles richtig zu bewerten. Wie brisant sie war und wie abhängig er nun von den mit ihm befreundeten Cheruskern war. So konnte sich Varus auch zu keiner Zeit vorstellen, wie es denn nur möglich sein könnte, dass es unter diesen Bedingungen überhaupt zu einer Allianz mehrerer Stämme gegen ihn kommen konnte. Stämme eines Volkes die er nun alle für untereinander zerstritten halten musste, die sich dann aber verbünden würden, um sich im Zuge einer Schlacht gegen ihn zu stellen. Aus seiner Sicht eine absurde Vorstellung. Ein Argument dass Varus auf seiner Seite verbuchen konnte, denn wer hätte ihn denn angreifen sollen, wenn die Stämme schon in sich uneins waren. Er sah keine Bündnisgefahr gegen sich, verfolgte die Taktik "divide et impera" und wusste zudem seine germanischen Bündnisgenossen und seine Legionen hinter sich. Betrachtet man nun also die Überlieferungen von Cassius Dio, wie er sie möglicherweise den Senatsakten entnahm, so existierte neben den Aussagen wie wir sie von Paterculus, Tacitus und Florus her kennen noch diese eine wichtige vierte Variante. Eine Interpretation in der ein Segestes nicht vorkommt, weil er sich gar nicht unter denjenigen befand, die Varus gewarnt hatten und von denen er zu erhöhter Vorsichtsmaßnahme aufgefordert wurde. Es lässt sich daraus schließen, das zuerst Paterculus und dann Tacitus und Florus der Informationsschiene folgten wie sie 17 + von Segestes in Rom verbreitet wurde. Cassius Dio wiederum hatte die unverfälschten Originalberichte vor sich aus denen klar und sachlich und ohne das von Segestes Beigemischte erkennbar wurde, welche Stimmung in Germanien an den Vortagen der Schlacht und nach Eingang der Nachricht von rebellierenden Germanen herrschte. Wenn Varus von vielen Personen auf die Gefahr hingewiesen wurde, dann waren es auch keine Einzelpersonen und es war erst recht kein Zwiegespräch mehr zwischen Varus und Segestes. Man sorgte sich und die kritische Lage wurde von mehreren Personen geschildert unter denen sich dann theoretisch auch Überlebende der Schlacht befunden haben könnten, jene die Germanicus später die Schlachtzentren zeigen konnten und die ihre Berichte in Rom erst zeitversetzt einbrachten. Vor diesem Hintergrund klingen die Überlieferungen von Cassius Dio mit Abstand plausibler, als dass was Paterculus, Tacitus und Florus lange Zeit vor ihm berichteten. Gleich ob man nun in Segestes den geschickten Spieler und Taktiker erkennen möchte in dem Paterculus, Tacitus und Florus noch den ehrenhaften Germanen sahen oder Dio, der auf Segestes als Person gar nicht einging. Der Sachverhalt und das Ergebnis bleiben das gleiche. Varus war gewarnt, setzte sich über die wohl gemeinten Ratschläge hin weg und verließ sich auf seine gut ausgebildete Militärmaschinerie. Den Germanen hingegen gelang es Varus in den bekannten Hinterhalt zu locken, denn er sah die Hauptgefahr nur im unmittelbaren Stammesgebiet der Aufrührer, konnte aber nicht ahnen, dass die eigentliche Gefahr schon früher einsetzte, nämlich in dem Moment als sich ihm Arminius schon am zweiten Marschtag auf dem Weg dahin in den Rücken warf bzw. sich ihm entgegen stellte. Es entwickelte sich ein Szenario dessen Verlauf und Ausgang letztlich für beide Seiten unvorhersehbar sein würde. Die Auswirkungen und die Tragweite die diese Schlacht haben würde waren unmittelbar danach nebensächlich, denn man lebte im Jetzt. Ursächlich für die Niederlage waren eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren. Auch herbei geführt durch diverse miteinander verkettete Aktionen. Vorteile die auf einer guten germanischen Bündnispolitik beruhten plus einer Portion günstiger Begleitumstände. So war die Niederlage die logische Konsequenz aus alledem. Und Segestes ? Ja, wer war eigentlich Segestes ? (27.03.2021)

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Sonntag, 7. März 2021
Cassius Dio löst das Rätsel um den Verrat des Segestes
Pirschen wir uns nun langsam an Cassius Dio heran und das, was er uns über die letzten Stunden vor dem Abzug sagen konnte (oder wollte ?). An dieser Stelle gilt der Augenmerk jedoch vornehmlich dem, was er über Segestes wusste. Cassius Dio hinterließ uns als einziger antiker Historiker die willkommene Zusammenfassung über den kompletten Abriss der Varusschlacht. Erst dank seiner Bemühungen und Aufzeichnungen liegt uns eine halbwegs strukturierte Darstellung über das gesamte Geschehen vor. Aber sein großer Verdienst besteht darin, dass sich die Schlacht erst durch ihn als ein sich über mehrere Tage hinziehendes Marschgefecht identifizieren lässt und sich am ersten Tage noch kein germanischer Feind blicken ließ. Nur er verschaffte uns etwas Einblick in den Verlauf und gab uns die Möglichkeit eine zeitliche und geographische Schablone über die Ereignisse zu legen, wie es uns kein anderer Historiker vor ihm bieten konnte. Auf diese Weise ließ sich eine Plausibilität aufbauen auf deren Basis es erst gelingen konnte, die einzelnen Episoden und Schauplätze an ihren Platz zu setzen und sie der Landschaft Ostwestfalens anzupassen. Seine Schilderungen halfen zu erkennen, dass der erste Marschtag nach dem Verlassen des Lagers bis zum Sonnenuntergang einen ruhigen Verlauf nahm. Ein Marsch auf passabler Straße, bei gutem Wetter, zwischen zwei römischen Niederlassungen und durch Freundesgebiet. An diesem Tag entfernte man sich nur eine Tagesetappe also rund 21 Kilometer vom Hauptlager und er diente lediglich dem Anmarsch zum ersten Rastlager. Und sowohl aus logistischen, als auch tageszeitlichen vor allem aber distanztechnischen Gründen, konnte es nicht nur, sondern durfte es auch an diesem Tag noch zu keinen Kampfhandlungen von Seiten der Germanen kommen. Denn die germanische Taktik beruhte darauf, dass man erst am zweiten Marschtag von Brakel zu den Rebellen in den Angriffsmodus wechseln wollte. Cassius Dio öffnete uns auch erst die Augen dafür, dass Varus den Marschzug aus strategischen Erwägungen heraus aufteilte, ja sogar aufteilen musste. Aber in der puren Logik liegt der Schlüssel zur Varusschlacht. Denn nur Cassius Dio verdeutlichte uns, dass es Arminius gar nicht möglich gewesen sein konnte alle von ihm aufgelisteten und Arminius zugeschriebenen Aktivitäten an einem einzigen Nachmittag, nämlich am ersten Tag vollbringen zu können. Arminius war kein Übermensch, soll aber nach dem großen Aufbruch noch einige Zeit gemeinsam mit Varus geritten sein, bevor er sich entfernte um seine Männer zu mobilisieren. Die hellen Tagesstunden reichten jedoch nicht aus, um dann noch mit seinen Kriegern die Abstellungen nieder zu machen und Varus auch noch in den Rücken fallen zu können. Denn die zu überbrückenden Entfernungen waren dafür zu groß um die Abstellungen samt Tross handstreichartig zu überwältigen, die Gefangenen dingfest zu machen und die Beute zu sichern. Diese Rechnung konnte nur aufgehen, wenn man dafür die frühen Stunden des zweiten Marschtages mit einbezieht. Erst die Ankündigung und das Eintreffen von Arminius auf dem Schlachtfeld könnte für die Stämme am Wegesrand das deutliche Signal gewesen sein, die Kämpfe verstärkt aufzunehmen, denn nun befand sich ihr Feldherr unter ihnen. Plausibel und von unrealistischen Betrachtungen gereinigt liegt nun das Geschehen vor uns, serviert wie auf einem Silbertablett und lässt kaum noch Fragen offen. Kein Florus, Tacitus oder Paterculus brachte es schon fasst so minutiös auf den Punkt wie Cassius Dio es tat. Würden wir seine Aufzeichnungen nicht kennen, dann wäre unser Wissen um die deutsche Frühgeschichte in jener Zeit um ein Vielfaches leerer und rätselhafter als es ohnehin schon ist. Mit ruhiger Hand lässt sich nun auch im Konzert mit den übrigen Historikern das Monumentalgemälde "Varusschlacht" mit den letzten Federstrichen und Farbtupfern graphisch, vielleicht besser gesagt als Radierung vollenden. Cassius Dio schrieb seine Zeilen aus einer großen Distanz zum Geschehen heraus und in einer völlig anderen Epoche. Bei ihm überwogen klare Wortwahl und sachliche Nüchternheit. Dadurch kann in diesem Kapitel nun ein weiterer bislang irritierender und wenig diskutierter Widerspruch aufgelöst werden, was mit dazu beiträgt der Schlacht weitere Schleier zu entziehen. Im Verlauf dieses Internet Buches ist es aber möglich auch noch andere Argumentationslücken mit Indizien gleichen Vorstellungen zu schließen. So müssen die uns nebulös wirkenden Vorgänge erst aufgeweicht werden um sie wieder erhärten zu können, damit sich gewachsene Mythen besser ausräumen lassen. Wie ein Panoramabild aber beileibe kein Phantombild entsteigt der Schlachtenverlauf dem Betrachtungsraum östlich der Egge und es lassen sich die Stationen von Beginn an nicht nur greifen, sondern dank dem bekannten Endpunkt, dem "Saltus Teutoburgiensi" auch noch an Ort und Stelle lokalisieren. Und man möchte es kaum glauben, denn es lässt sich sogar einigen guten Hinweisen nachgehen, wonach sich fasst parzellenscharf die Örtlichkeit definieren lässt, wo Arminius einst den Schlusspunkt ans Ende des Gemetzels setzte. Der Nethegau, eine unauffällig wirkende und entrückte Nische der Weltgeschichte weitab vom Rampenlicht gelegen, die sich nur aus diesem Grund solange verstecken und unentdeckt bleiben konnte. Denn dort hatte bislang kein Historiker die Varusschlacht auf seinem Schirm. Eben eine typisch deutsche Allerweltlandschaft die auch schon vor 2000 Jahren die gleichen Geländestrukturen aufwies wie heute. Eine Region wo man nicht nach den Römern suchen brauchte und wollte, da dort keiner mit ihnen und erst recht keinem Varus rechnete. Und das obwohl sich nur wenige hundert Meter neben dem Schlachtfeld der 415 Meter hohe "Varenberg" erhebt. Und nur im "Teutoburgiensi saltu" konnte die antike Historie einen fixen Anhaltspunkt entdecken und erwähnen, der sich hinterlassen ließ. Eine schlichte und somit auch unbeschreibliche Kalksteinlandschaft, ohne markante Auffälligkeiten, einprägsame Besonderheiten oder eindrucksvolle Merkwürdigkeiten. Teilweise bedeckt mit dichtem Wald, örtlich verbreiteten Sümpfen, feuchten Niederungen und durchzogen von Bachtälern. Ein welliges Terrain, dass sich nach Süden hin in die Bördeebene öffnet. Das aber auch ein Geländerelief aufweist, dass den Spielraum für übergreifende Verbindungen erheblich einschränkt, denn versumpfte flussnahe Wege wurden gemieden. Ein wesentlicher Faktor der die Suche vereinfacht wodurch sich der Zugkorridor leichter auffinden lässt. Und alles wäre auch völlig namenlos geblieben, gäbe es da nicht diesen besagten Schluchtenpass um dem trichterartigen Nethegau nach Westen hin entkommen zu können. Eine der wenigen geographisch gut bestimmbaren Landmarken und ein Wegweiser ohne den man der Schlacht nicht schon vor zwei Jahrtausenden hätte einen Namen geben können und ohne den Tacitus die Schlacht gar nicht hätte verorten können. Möchte man den heraus ragenden Hinweisgebern zur Entdeckung des Varusschlachtfeldes eine Rangfolge geben, so wäre dies an erster Stelle zweifellos P. C. Tacitus gewesen, ihm folgend C. Dio aber auch H. Klabes. Aber dieser "Bördenpad" muss auf die Legionäre damals wie ein befreiendes Fanal der Rettung gewirkt haben, dass man wie unerreichbar am Horizont erahnte, von weitem als solches im Wald liegend nicht erkennen konnte, von dem man aber wusste, dass man es anzusteuern hat, wenn man noch lebend dem Inferno entgehen wollte. Und die wenigen Entkommenen entgingen wohl auch nur dank dieses Aufstieges dem Tode, gelangten so in Sicherheit und überlebten. Denn außer diesem Anstieg ließ es die Egge weit und breit nicht zu bezwungen zu werden. Viele Römer unter ihnen auch Marcus Caelius hatten es nicht geschafft. Aber genug der Poesie. Als die Nachricht von der Niederlage des Statthalters Varus in Rom einschlug, zuckte das Imperium zusammen. Historikernamen sind uns aus dieser aufgeheizten Phase I unmittelbar nachdem die Kunde in Rom die Runde machte nicht bekannt. Historiographen wie es Gaius Julius Hyginus einer gewesen sein könnte, könnten zu den Ersten gezählt haben, die die frühen Nachrichten noch persönlich in Empfang genommen haben könnten und zu Papier brachten. Segestes war in dieser Zeit noch ein völlig unbeschriebenes Blatt und auch die Phase II die mit Ovid und Manilius einsetzte, kannte noch keinen Segestes. Erst Strabo der um 23 + verstorben sein soll und den man noch der Phase II zuordnen kann, kannte zwar schon Segestes, wusste oder berichtete aber nichts über seinen Verrat. Die Lage änderte sich erst im Zuge einer Phase III, die mit Paterculus seinen Anfang nahm bzw. durch die auf ihn folgenden Historiker Tacitus, Florus und Dio. Und für alle bis auf Cassius Dio stand fest, dass Segestes mit seiner Warnung die Varusschlacht noch abwenden wollte. Dem ich aber hinzufügen möchte, hätte abwenden können, wenn er es denn ernsthaft gewollt hätte. Diverse analytische Prozesse bezogen auf die Aufarbeitung der Darstellungen von Paterculus, Tacitus und Florus lassen Abweichungen und Irritationen erkennen, die auch an der Glaubwürdigkeit von Segestes rütteln und sie in Frage stellen. Die Phase III endet hier nun mit Cassius Dio. Er brachte uns jedoch insofern in Bedrängnis, als dass sich seiner Überlieferung keine klare Aussage darüber entnehmen lässt, wonach man allein in der Person des Segestes den Verräter sehen könnte. Denn er nannte uns im Gegensatz zu Paterculus, Tacitus und Florus erstaunlicherweise nicht seinen Namen. In der Phase III fanden sich aber offensichtlich all jene zusammen, die letztlich die Auffassung vertraten, Varus habe man vorher und das eingehend auf die Gefahrenlage hingewiesen. Und das trifft zweifellos auch zu, allerdings kann von eingehend keine Rede sein. Und natürlich war Varus vom Grundsatz her seine militärische Lage nicht unbekannt. Denn der erste Germane der Varus überhaupt erst auf einen rebellierenden Stamm und die damit einhergehenden Risiken aufmerksam machte und darauf hinwies war der, der ihn dort hin locken wollte also wohl kein anderer als Arminius selbst, der die heikle Nachricht wie auch immer streute und verbreitete. Er war auch der, der Varus daraufhin großzügig seine militärische Unterstützung anbot, weil er besser als alle wussten, dass es brenzlig werden würde. So gehörte zweifellos auch Arminius zum Kreise derjenigen, die Varus schon frühzeitig auf die möglichen Gefahren hinwies oder wie Cassius Dio es ausdrückte, ihn zur Vorsicht mahnten. Und genauso schrieb es auch Cassius Dio, denn er sprach nicht von einem einzigen Warnruf, gar aus dem Munde von Segestes, sondern er sprach von mehreren Personen, genau genommen sagte er wohl "alle". Varus war demnach also schon von einigen Personen umgeben, die ihm "alle" eindringlich rieten er möge doch besonders achtsam sein. Aber der von Cassius Dio geschilderte Sachverhalt erfordert noch einen kritischen Blick auf die Reihenfolge der Geschehnisse. Denn seiner Überlieferung nach wurden die vielstimmigen Warnungen sonderbarer Weise schon laut, noch bevor sich "gewisse weiter entfernt lebende Germanen empörten", die eigentliche Rebellion also noch gar nicht ausgebrochen war.

Und so hört es sich der Übersetzung nach in einer leichter lesbaren und daher schwach abweichenden Form an, was Cassius Dio zu sagen hatte:

- Varus glaubte sich völlig sicher und befürchtete daher
auch kein Unheil.
- Männer, die die Entwicklung mit Argwohn
beobachteten und ihn zur Vorsicht mahnten schenkte
er keinen Glauben.
- Im Gegenteil er verleumdete sie sogar und warf ihnen
vor sich grundlos zu erregen.....

UND ERST DANACH SCHREIBT CASSIUS DIO :

...."da empörten sich nach geheimer Absprache zuerst gewisse weiter entfernt lebende Germanen".

In seinem Umkreis sorgte man sich also schon zu einem Zeitpunkt ernsthaft um das Wohlergehen aller, als sich die "weiter entfernt lebenden Germanen" noch gar nicht empört hatten. Hier schienen nebulöse Vorabnachrichten den später eingetretenen tatsächlichen Ereignissen voraus geeilt zu sein. Ein Hinweis auf eine sich schon länger anbahnende oder auch erst seit wenigen Tagen bekannte Konfliktsituation. Allemal eine kritische Zuspitzung die sich bereits hoch schaukelte, als Varus selbst noch keine Kenntnis darüber besaß und daher auch die ersten Warnungen in den Wind schlagen konnte. Ein Sachstand der auch darauf hindeutet, dass zwischen den ersten Nachrichten über den ausgebrochenen Aufruhr bis zum Abzug der drei Legionen aus dem Hauptlager nicht viel Zeit verstrich. Und damit brachte Cassius Dio Hektik ins Spiel. Die Verwirrung um den Aufstand könnte auch von Segestes im Hintergrund ausgelöst betrieben oder bezweckt worden sein, der sein Wissen vielleicht zeitgleich mit Arminius darüber im Lager verbreitet hatte und noch bevor die Neuigkeiten Varus erreichten. So fand die aktuelle Lage offensichtlich schon zu einem früheren Zeitpunkt eine größere Verbreitung als der Feldherr noch keine Kenntnis besaß. Aber aus den Erläuterungen von Cassius Dio geht mit keiner Silbe hervor, dass Varus oder das man im römischen Generalstab darüber informiert war, dass Arminius und Segimer dazu die Fäden gezogen hatten. So wie es nach Paterculus, Tacitus und Florus von Segestes behauptet wurde und auch nichts von seinem Vorschlag sich und alle germanischen Fürsten in Fesseln legen zu lassen. Davon schrieb Cassius Dio nichts. Nun war eine erste Unruhe zu verspüren, es herrschte keine gelassene Aufbruchstimmung mehr aber niemand, mit Ausnahme der Germanen wussten genau, was man sich unter diesem Aufstand vorzustellen hatte. Aus welchem Munde Varus letztlich die Nachricht von diesem Aufruhr erhielt ist nicht bekannt. Arminius müsste es lanciert haben, da er es war der Varus auf diese Weise in den Hinterhalt locken wollte. Vielleicht müssen wir hier sogar noch das Undenkbare denken, dass nämlich Segestes in diesem Fall sogar indirekt als Erfüllungsgehilfe von Arminius auftrat in dem er zum Verkünder der Unheilbotschaft hinsichtlich des Aufruhrs avancierte, auch ohne das Cassius Dio seinen Namen erwähnte. Aber es wird eine explosive Gemengelage deutlich in der Arminius dem Feldherrn seine loyale Unterstützung zusagte. Und plötzlich ging alles etwas übereilt vonstatten, denn nun waren neue und andere Planungen nötig. Solange es Arminius gelang den Zeitpunkt der Nachricht vom Aufruhr hinaus zu zögern um so mehr gelang es ihm, eine für die folgenden Aktionen taktisch wichtige Unruhe zu erzeugen. Es scheint, als ob es gelang den Konflikt lange und bis kurz vor dem Abzug geheim zu halten. Es brach nun eine Verwirrung aus, die unsicher macht und die nach schnellen Entscheidungen ruft. Eine Lage die aber auch Fehlentscheidungen begünstigt. Eine Lage in der man nicht mehr lange fragt, sondern sich zum Handeln genötigt sieht. Da wird dann auch ein Hilfsangebot von Arminius mal schnell angenommen ohne über andere taktische Schritte nachzudenken. Eventuell den Aufruhr völlig zu ignorieren oder die treuen Cherusker alleine mit der Niederschlagung zu beauftragen. So ist es denkbar, dass Varus diesen warnenden "Auguren" im begrenzten Maße sogar geglaubt und ihnen ihre Sorgen auch abgenommen hatte, sie aber zu diesem Zeitpunkt mangels klarer Hinweise noch für völlig unbegründet hielt. Erst danach erreichte Varus vielleicht sogar aus dem Munde von Arminius selbst die Nachricht vom Aufruhr und er erkannte nun erst die Realität die hinter den Warnungen steckte die er zuvor erhielt und abtat. Was geschah also nach Cassius Dios Worten und was ließ sich daraus ableiten. So kann und muss man wohl auch zu der Auffassung gelangen, dass Varus wenige Tage vor dem Abzug aus dem Sommerlager noch keinerlei Absicht hatte in das Gebiet der Aufrührer zu ziehen, da ihm zu diesem Zeitpunkt der Reihenfolge nach zu urteilen, noch gar nichts von einem rebellierenden Stamm bekannt war. Denn nach Cassius Dio warnte man ihn doch schon bevor ihn Nachrichten über die sich empörenden Germanen erreicht hatten. Kein Grund also um die Rückwegstrecke nur aufgrund einiger Warnrufe zu verändern. Warnrufe von Männern die also schon die Gefahr kannten noch bevor die Nachricht aus dem Süden eintraf, wenn wir seiner Satzfolge folgen. Aber nur in seinem Bericht ist nun erstmals nicht mehr nur allein von "Segestes" die Rede, sondern von "allen" die ihm zur Vorsicht rieten. Ganz im Gegenteil zu Paterculus, Tacitus und Florus die Segestes noch in voller Überzeugung er wäre es allein gewesen nannten. Man war also in seiner Umgebung definitiv schon früher über den Krisenherd oder Ernstfall informiert als Varus selbst, also offiziell Kenntnis davon erhielt. Man kann es sich gut vorstellen und dazu gibt es die schöne Beschreibung, es wurde schon "gemunkelt". Aber nun war der Feldherr informiert und wie so oft erfuhren es die maßgeblichen Entscheidungsträger erst zuletzt und er musste handeln. Und von dem Moment an, als er die Nachricht von der Empörung bekam wurde ihm auch eines unmissverständlich klar. Denn nun fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, dass die vorher an ihn ergangenen Warnungen entgegen seiner ursprünglichen Annahme doch nicht grundlos erfolgten. Er musste sich eingestehen schon gewarnt gewesen zu sein, noch bevor sich die Kunde vom Aufruhr bis zu ihm durchsprach. Eine Entwicklung die ihn hätte beunruhigen sollen, denn sie erreichte ihn nicht von römischen Spähtrupps sondern von germanischen Informanten. Erst von diesem Augenblick an lagen für ihn die Fakten auf dem Tisch. Nun wird ihm wohl sein anfänglicher Optimismus vergangen sein und ein nüchternes Kalkül dürfte die Oberhand gewonnen haben. Denn nun konnte er sich auch nicht mehr so sicher gewesen sein, kein Unheil befürchten zu müssen, wie es die Quellen berichteten. Im Nachhinein musste er nun "kleine Brötchen backen" und hatte auch den schon vorher besorgten Männern in seinem Umfeld glauben zu schenken. Und er durfte ihnen nun erst recht nicht mehr den Vorwurf machen sich grundlos erregt zu haben. Denn nun sprach die Nachricht aus dem Süden für sich und sie war überdeutlich. Das nun aus der klaren Kenntnis der Bedrohungslage heraus auch automatisch der Chor der Warner anschwoll die sich zu Worte meldeten ist verständlich, denn nun krochen die kritischen und besorgten Äußerungen aus allen Löchern. Und jetzt war allen bewusst, dass Vorsicht geboten war und dazu bedurfte es auch keiner großen Phantasie mehr. Und Segestes könnte nun auch einer der vielen anderen gewesen sein, die ihm jetzt erst zur Vorsicht rieten. Aber er wäre demnach nicht mehr der einzige gewesen, der Varus warnte. Eine Warnung von ihm mag es vor diesem Hintergrund auch gegeben haben, aber im Kreis der übrigen Besorgten ging sie unter. Demnach könnte es im Reigen der anderen warnenden Stimmen in der Tat auch eine taktische Warnung von Segestes gegeben haben um nicht in Verdacht zu geraten wissen zurück zu halten. Aber eben auch nicht mehr und nicht weniger und auch ohne das er damit Schaden für die gemeinsame germanische Sache hätte anrichten können. Aber was machte Segestes später daraus als er die Front wechselte. Denn nun wollte er es allein gewesen sein, der um diese Zeit schon genau wusste, wer hinter dem Aufruhr steckte. Und natürlich wusste er es auch und das auch schon lange, aber er verschwieg es dem Feldherrn gegenüber. Varus war nun in Zugzwang und sein weiteres Tun und seine Befehle lassen sich dem Kriegsbericht von Cassius Dio entnehmen und rekonstruieren. Aus den Worten von Cassius Dio lässt sich nun in verständlicher Weise auch der Sachstand vor dem Abzug entnehmen. Keine Äußerung von ihm dahingehend, dass Segestes der Mann der Stunde war und auch kein Wort zu seinem Vorschlag, man möge doch alle in Fesseln legen. All dies vermissen wir bei Cassius Dio der sich für die Mehrzahl "allen" entschied und Segestes die Schicksal spielende Rolle versagte und der es ihm absprach die Hauptperson gewesen zu sein. Segestes tritt bei ihm mit keiner Silbe in Erscheinung. Durchschaute Cassius Dio möglicherweise 200 Jahre nach der Schlacht das doppelte Spiel, das damals Segestes trieb und konzentrierte sich nur auf den reinen für ihn nachvollziehbaren Sachverhalt. Oder konnte er diese Details über Segestes den so hoch gehandelten Senatsakten gar nicht mehr entnehmen, weil sie nicht darin vorkamen. Warum auch hätte Cassius Dio, wenn er denn den Namen Segestes gelesen hätte, ihn nicht auch angeben sollen. Kein Wort mehr über den Mann, dem Paterculus, Tacitus und Florus noch alle an den Lippen klebten, dessen Lebensbeichte sie alle verinnerlicht hatten und dem sie sich alle bedingungslos anschlossen und es sich zu eigen machten und der sie, und damit auch uns vermutlich hinters Licht führte. Doch als Cassius Dio schrieb existierte wohl ein Segestes schon gar nicht mehr in seinem Geschichtswerk. Segestes, der Schutz suchende abtrünnige Germane dem es erst 15 + in Ostwestfalen zu heiß zu werden schien und der einen Grund brauchte sich absetzen zu können. Der Mann der mal in aller Munde war und den man damals frei wirken und reden ließ, den man aber auch instrumentalisiert haben könnte, den man dann aber aus der Historie tilgte, als man seine Aufgabe als erfüllt ansah. Somit setzte Cassius Dio im 3. Jahrhundert den Schlusspunkt in der Reihe der antiken Historiker der Phase III, die sich mit der Warnung bzw. der Person Segestes befassten. Denn er schilderte die Ereignisse völlig anders als seine drei Vorgänger, setzte sie in einen anderen Kontext und auch eine andere Reihenfolge. Und es ist auch keine Rede mehr bei ihm von einer oder mehreren letzten Warnung auch noch am Vorabend der Schlacht. Für ihn besaß Segestes keine Bedeutung mehr. Zweifellos hatte Cassius Dio Probleme damit, dass Überkommene nach bestem Wissen und Gewissen zu strukturieren. So ließ sich rekonstruieren, dass Cassius Dio mit der chronologischen Abfolge, etwas überspitzt ausgedrückt zeitweise auf Kriegsfuß stand. So sollte man noch am Rande vermerken, dass man die Warnungen der besorgten Männer möglicherweise auch als ein zeitgleiches Ereignis zur Botschaft aus den Rebellengebieten betrachten könnte. Das also die besorgten Minen der umstehenden erst in dem Moment ihren Ängsten Ausdruck gaben, als die Nachricht der vermeintlichen Aufrührer schon im Sommerlager und auch bei Varus bekannt war. Aber dieser Umstand wirkt sich nicht wesentlich auf den Hergang aus, denn der deutliche Hinweis von Cassius Dio auf "mehrere" bzw. "alle" warnenden Stimmen macht das essentiell Bedeutsame vor allem aber Glaubhafte seiner Erwähnung aus. Und natürlich muss uns Cassius Dio der letzte antike Historiker mit seinem Hinweis verwirren, dass es eben "alle" Männer waren die dem Rückzug der Legionen ins Rheinkastell samt späterem Abstecher, also dem Umweg über den Saltus mit Sorge, Skepsis und Argwohn entgegen sahen, was auch nicht verwundert. Also ausnahmslos "alle" die Varus nahe standen waren nun der gleichen Meinung. Varus also völlige Unkenntnis zu unterstellen wie es etwa bei Florus anklingt, greift folglich zu kurz. Vereinfacht ausgedrückt hatte er die Lage letztlich nur unterschätzt. Aber wo sollte der Grund dafür zu suchen sein, dass bei C. Dio der Name Segestes nicht mehr auftaucht. Hatte sich etwa der Kenntnisstand nach dem ersten Auftreten von Segestes in Rom in den Jahrhunderten danach so verbessert, dass Dio es schon als erwiesen ansehen konnte, oder das sich ihm der Verdacht förmlich aufzwang, dass es nicht nur einen gab, sondern es sogar "alle" waren, die Varus darauf aufmerksam machten und er es daher literarisch problemlos wagen durfte, nun sogar von mehreren warnenden Stimmen sprechen zu können. Ungeachtet dessen, kam von Cassius Dio der letzte bekannt gewordene geschichtliche Hinweis darüber, dass man Varus vor der Schlacht eindeutig auf eine mögliche Gefahr hinwies. Ergänzungen oder Korrekturen anderer Historiker folgten danach nicht mehr. Oder aber hatte sich die "Ruhmestat" des Segestes, der von Varus nicht erhört wurde, nach rund 200 Jahren schon so verfestigt, dass Cassius Dio ohne Skrupel zu spüren sogar darauf verzichten konnte Segestes beim Namen zu nennen. Möglich, denn auch Segestes war dem Varus nahe stehend und könnte auch zu dem Personenkreis gezählt der ihn warnte. Und darin ist nichts verwerfliches oder unglaubwürdiges zu erkennen. Segestes musste ihn ja schon nahezu gewarnt haben um nicht verdächtig oder gar als Mittäter zu wirken. Um es auf den Punkt zu bringen und ohne an dieser Stelle auf die brisanten restlichen Formulierungen und Inhalte der diesbezüglichen Überlieferung von C. Dio näher einzugehen sticht zweifellos diese eine Kernaussage heraus. Und sie besteht eigentlich nur aus dem schlichten Wort "ALLEN". Nachdem Paterculus, Tacitus und Florus einzig immer nur Segestes mit der Warnung verbanden und sonst niemanden, durchbricht Cassius Dio damit nun auf komplexe Weise mit seiner Überlieferung dieses wie eingeschwore wirkenden Dreigestirn. Nach Dio, sah sich Varus also schon einem ganzen Chor von Unkenrufern gegenüber, die allesamt ihre warnende Stimme erhoben. Römische Generäle, hohe Staatsbeamte, auch einflussreiche Germanen, vor allem aber jene Germanen der Arminius Koalition, die die Absicht verfolgten ihn trotz der Gefahrenlage zu dem Umweg zu ermuntern. Als eine weitere Erklärungsvariante gesellt sich noch die Überlegung hinzu, dass sich abgehoben von anderen Darstellungen Cassius Dio eine eigene Realität fernab vom Ursprungskern der Paterculus Überlieferung schaffen und sich nicht an ihm orientieren wollte. Sozusagen seiner schriftstellerischen Seele freien Lauf lassen wollte, dass es nicht nur einen Warnruf gegeben haben konnte, sondern es davon definitiv mehrere gegeben haben musste. Denn ein Varus und ein Segestes stehen nie allein auf der großen Bühne wenige Stunden vor einem für die damaligen Verhältnisse gigantischen Marschzug Geschehen. Wir wissen zwar sogar von Cassius Dio selbst, dass ihm viel an der Plausibilität und Verständlichkeit seiner Niederschrift lag und er sich daher möglicherweise kleinerer Abweichungen bedient haben könnte, aber hier geht es schon nicht mehr nur um unbedeutende Nuancen, sondern um einen gravierenden Unterschied. Ungeachtet dessen, kommt aber Cassius Dio, wie seine drei Vorgänger auch nicht völlig umhin, den früheren Darstellungen zur ergangenen Warnung einige Zeilen zu widmen und es somit zu erwähnen. Auch er wollte darauf nicht verzichten, obwohl es eine logische Konsequenz ist, dass man auf der Hut sein sollte, wenn ein derartiger Marsch bevor steht, so dass es zusätzlicher Warnungen eigentlich schon gar nicht mehr bedurft hätte. Cassius Dio, der den Schlusspunkt unter die Varusschlacht setzte sendete damit das beeindruckende und gleichzeitig trügerische Signal, wie bedeutsam man doch die im Vorfeld an Varus ergangene Warnung noch über 200 Jahre nach der Schlacht in der Antike einstufte. Das eine war das Verhalten eines einzelnen Germanen, dass auf viele Römer so abschreckend und unverständlich zugleich gewirkt haben muss und das andere, dass dieser Mann gegen alle moralischen Vorbehalte sogar Verrat am eigenen Volk verübt haben soll. Dies grub sich letztlich nur in die Köpfe von Tacitus und Florus stark ein, die zwischen Paterculus und Cassius Dio lebten und unter dem Einfluss des "Paterculus Syndrom" standen. Ausgerechnet ein Germane, wo sie doch nach Paterculus alles Lügner gewesen sein sollen glaubte man jedes Wort. Das andere war der politische Druck der sogar noch nach seinem Tod auf Varus lastete und immer wieder wach gehalten wurde. Aber was könnte Cassius Dio so lange Zeit nach der Schlacht noch seinen Vorlagen entnommen haben woher stammten sie und wie zuverlässig waren sie. Schriften die ihm vorgelegen, auf die er detailliert einging und die wir mangels anderes Wissens als glaubwürdig einschätzen. Glaubhaft auch, weil vieles andere aus seiner Feder schlüssig und nicht nach Phantasie klingt. Machte sich möglicherweise auch noch das Wissen der erst später frei gekauften oder befreiten römischen Geiseln in den ihm vorliegenden Papieren bemerkbar und floss mit ein, dass Tacitus und Florus noch nicht besaßen. Wir wissen zudem, dass es auch wenige Überlebende gab, die für die Informationen in Frage gekommen sein könnten. Denn von ihnen könnten auch noch einige persönlich an den Gesprächen mit Varus im Sommerlager teil genommen haben und sich unter den damaligen Zuhörern befunden haben, was erst verspätet Eingang in die Akten gefunden hätte. Nach Cassius Dio zu urteilen sollen die Umstehenden Varus heftig angegangen sein, denn er musste sie nahezu brüsk zurück weisen, da sie sich seiner Ansicht nach unnötig erregten. Wagt man den Versuch in Tacitus eine mögliche Quelle für Cassius Dio zu sehen, dann ließe sich dies, wenn überhaupt am Ehesten in den Schicksalsstunden am Vorabend der Schlacht ausmachen. Der Abend an dem Segestes nach Tacitus 1,55 (2) den letzten von mehreren Versuchen gestartet haben soll Varus die Augen vor der tatsächlichen Gefahr zu öffnen, nämlich vor den Arminius Cheruskern. Aber auf diesen Vorabend als das beschriebene Gastmahl statt fand und man danach die Waffen für den folgenden Tag an sich nahm, geht Cassius Dio mit keiner Silbe ein. Dies wäre dann nach Cassius Dio der entscheidende Zeitpunkt gewesen zudem Varus das penetrante Verhalten "aller" die ihn warnten schroff zurück gewiesen haben müsste. Diese von Cassius Dio geschilderte Episode jedoch an diesen Vorabend zu verlegen ist schlecht möglich. Denn am Vorabend des Abzuges gab es bereits niemanden mehr, der sich "grundlos oder unnötig" erregt hätte. Denn spätestens am Vorabend wusste jeder und natürlich auch Varus, dass man durch ein Krisengebiet ziehen würde was mit nicht kalkulierbaren Unabwägbarkeiten verbunden war. Zur Heftigkeit wie es Cassius Dio zum Ausdruck brachte müsste es demnach gekommen sein, als man im Hauptlager noch gar nichts vom Aufruhr wusste. Ein Zeitpunkt zudem sich Varus daher auch noch völlig sicher fühlen konnte, denn sonst hätte er die Warnungen nicht abgetan. Denn an diesem Vorabend erregte sich keiner mehr unnötig und aus allen Minen dürfte man eher Besorgnis heraus gelesen haben. Dio hatte also nicht die gleiche Quelle genutzt wie Tacitus und es ist auch nicht erkennbar, dass er in Teilen bei Tacitus abgeschrieben haben könnte. Somit lässt sich diese Überlegung nicht aufrecht erhalten. Hinweise auf Paterculus oder Florus als unmittelbare Quelle lassen sich nicht erkennen, obwohl seine Schilderungen mit ihnen kompatibel sind. Man geht also bis Cassius Dio davon aus, dass Varus wenn überhaupt, dann auch immer nur von Segestes gewarnt wurde. Da es aber wohl keine authentischere Quelle als die des Paterculus gab, der sozusagen noch seine Hand fasst am Puls von Segestes hatte, kann man daraus wohl schließen, dass sich Segestes immer nur persönlich als der "große Warner" verkaufte. Von anderen warnenden Stimmen war bei Paterculus, Tacitus oder Florus nichts zu lesen. Erst Cassius Dio bereitete dem Phantom Geschehen um Segestes ein Ende, indem er ihm eine unbedeutende Rolle im Konflikt zuwies und völlig ohne ihn auskam.(07.03.2021)

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