Donnerstag, 16. November 2017
Tiberius (Claudius Nero)
Der spätere Kaiser Tiberius, der mit dem Titel den Zusatznamen Julius Caesar Augustus annahm, lebte von 42 – bis 37 +. In seine Zeit als Feldherr aber auch als Kaiser fiel Tiberius über den gesamten Zeitraum der Germanenkriege eine interessante, aber auch eine fragwürdige bis dubiose Schlüsselrolle zu. Eine insgesamt betrachtet denkwürdige Epoche frühester Geschichte auf heutigem deutschen Boden. Er ging nach Meinung vieler Historiker als eine rätselhafte Gestalt in die Geschichte ein. Sueton und Tacitus beschrieben ihn als hinterlistig und boshaft. Auch Überheblichkeit bis zur Arroganz wurde ihm nachgesagt. Geistig war er beweglich und man stellte bei ihm auch Anzeichen von Depressivität fest, wie man heute sagen würde. Was trieb ihn aber dazu im Jahre 9 – die körperliche Anstrengung auf sich zu nehmen binnen kürzester Zeit von Mainz nach Ostwestfalen zu reiten um noch seinen Bruder Drusus lebend anzutreffen und zu sprechen, der nicht lange danach verstarb. War die Bruderliebe so groß oder gab es da noch was zu regeln oder für Tiberius noch was zu erfahren, vermutete Tiberius hinter dem „vermeindlichen“ Pferdesturz eine Finte die er durchschauen wollte, nahm er vielleicht an, Drusus wolle eventuell eine Verletzung nur vortäuschen um Zeit für andere Aktionen zu gewinnen, war er besorgt die Germanen könnten sich seiner bemächtigen, brauchte er noch Informationen über die Völker rechts der Elbe, oder kann Depression ein auslösender Faktor gewesen sein ? Kaffeesatzleserei, aber es bleibt unklar was ihn in damaliger Zeit derart antrieb Ostwestfalen in Tag - und Nachtritten zu erreichen. Aber nach dem Tod seines Bruders Drusus war Tiberius als sein Nachfolger in Germanien gesetzt und führte im Jahre 8/7 – wie nicht anders zu erwarten war, „erfolgreich” die Feldzüge seines im Jahr 9 - verstorbenen Bruders zu Ende. Wie sich diese Feldzüge in der Realität auch immer gestalteten ist nicht überliefert, vermutlich passierte in Germanien nach 8 – aber auch erst einmal gar nichts mehr. Zwangsläufig musste er aber um agieren zu können nach der Beisetzung seines Bruders in Rom wieder an den Rhein zurück gekommen sein, um dann dort die Legionen des Drusus für weitere Aktionen übernehmen zu können. Möglicherweise hat er noch das eine oder andere Scharmützel ausgetragen, hat sich dann aber den Umsiedelungen der Sugambrer auf die linke Rheinseite, sowie den Sueben gewidmet. Innerfamiliäre Probleme ließen ihn in Germanien vorerst nicht mehr aktiv werden, so dass nach dem Jahr 7 – Lucius Domitius Ahenobarbus die Feldzüge in Germanien weiter führte. Der erste Vorstoß von Ahenobarbus ist für das Jahr 3 – überliefert. Folglich hat Tiberius zwischen 8/7 – und 4 + in Germanien mit Abwesenheit geglänzt. Er trat in Germanien erst wieder im Zuge des Immensum Bellum in Erscheinung der 1 + ausbrach und in den er 4 + eingriff, nachdem der zwischenzeitlich eingesetzte Feldherr Marcus Vinicius wohl erfolglos blieb. Tiberius beendete ihn dann 5 +. Obwohl Tiberius 12 lange Jahre in Germanien nicht mehr präsent war und sich die dortigen Kräfteverhältnisse in dieser Zeit sicherlich verschoben haben, galt er wohl immer noch als der Germanien Kenner schlechthin und Kaiser Augustus traute ihm zu vor Ort die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die häufigen Durchzüge der römischen Legionen kreuz und quer durch Germanien von Drusus über Ahenobarbus bis Vinicius die auch immer wieder mit heftigen Kämpfen verbunden waren, haben die Germanen zusammen geschweißt und den Nährboden für den Immensum Bellum geschaffen für den Tiberius ab 4 + wieder zuständig war. Tiberius mag sich mit Ahenobarbus nach dessen kurzer Eskapade über die Elbe im Jahre 3 – oder auch mit Marcus Vinicius abgestimmt haben und man wird Kaiser Augustus dazu bewogen haben Entscheidungen zum härteren Durchgreifen zu treffen. Die Fehleinschätzung von Tiberius der den Immensum Bellum als Siegesserie und danach die Lage in Germanien als stabil dargestellt hatte, mündete dann in die Entscheidung Varus nach Ostwestfalen zu entsenden und das Ende kennen wir. Es kam wohl auch unter der Mitwirkung und Beratertätigkeit des Tiberius zustande, dass man Varus herbei rief, der dann die Sache in den Sand setzte. Trotzdem sprach Kaiser Augustus ihm wegen seiner strategischen Erfahrungen mit dem sichtbaren Zeichen der Übertragung des „imperium proconsulare“ sein Vertrauen aus und entsendete ihn zwecks Wiederherstellung der Stabilität vielleicht schon direkt oder erst ein Jahr später nach der Varusniederlage als Mann für besondere Aufgaben erneut an die Germanenfront. Während ihm danach sein "schreibender Verehrer" Velleius Paterculus sogar wieder Vorstöße ins Landesinnere testierte, überliefert uns Cassius Dio keine nennenswerten Übertritte auf die andere Rheinseite und auch archäologisch gibt es dazu keine Befunde. Die Aussagen von C. Dio werden als Glaubhaft betrachtet. Allerdings liegen uns dazu noch ergänzende Überlieferungen von Johannes Zonaras aus dem 12. Jhd. vor, der uns verschollene Teile aus dem C. Dio Text überliefert hat. In etwa mit dem Wortlaut, dass die Germanen befürchteten, Tiberius würde mit einem bedeutenden Heere die Lippe aufwärts heranrücken, um sie nach der Varusschlacht anzugreifen. Dies geschah im Zusammenhang mit dem Entsatz eines Römerlagers, dass von den Germanen bis dato erfolglos belagert wurde. Bei diesem Römerlager indem sich auch Überlebende der Varusschlacht aufgehalten haben könnten, handelte es sich meines Erachtens um das „Bollwerk - bzw. Winterfluchtlager“ Haltern, also das Lager, dass sich den Germanen in den Weg gestellt haben soll, um ihnen den Übertritt über den Rhein zu verwehren bzw. sie aufzuhalten. Dies soll sich wegen des Hinweises auf die Kälte der Nacht im Winter 9/10 + zugetragen haben. Während allerdings C. Dio noch selbst überliefert hat, dass es die von Asprenas dem Feldherrn von Tiberius geschickte Truppe gewesen wäre. Natürlich musste Tiberius trotz seiner Anwesenheit am Rhein nicht unbedingt auch persönlich mit den Legionen den Rhein in Richtung Haltern überquert haben, aber der Vorfall zeigt doch, dass es noch zu begrenzten Einsätzen auf rechtsrheinischem Gebiet im Nachgang zur Varusschlacht in dieser Zeit kam. Grund für keine weiteren Kämpfe in Germanien unmittelbar nach der Varuskatastrophe wird die angespannte unklare Lage und natürlich die winterliche Jahreszeit gewesen sein. Was die verängstigten germanischen Belagerer vor Haltern auch nicht wissen konnten, war die Risikoscheu die Tiberius nach dem Varus Debakel an den Tag legte. Sueton betonte, dass Tiberius sehr umsichtig vorging und sich auch die Vorschläge eines Kriegsrates anhörte. Möglicherweise ein Hinweis darauf, dass diese Gespräche bei Varus zu kurz kamen. Für einen Feldherr ungewöhnlich kontrollierte er sogar bei Vorstößen ins Landesinnere persönlich die Trossladungen um unnötige Beladung zu verhindern. Auch hier wieder der Seitenhieb auf Varus, der sich wohl mit einem zu üppigen Tross belastete. Tiberius wollte vermeiden, dass sich alte Fehler wiederholen konnten, er forderte Disziplin die Varus vielleicht auch vermissen ließ und bewegte sich auch nur innerhalb eines Streifens unbekannter Breite östlich des Rheins, den er noch für vertretbar hielt, da er laut Sueton auf gefährliche Unternehmungen während seines Kommandos am Rhein bis 12 + verzichtete. Aber Anfang 13 + weilt Tiberius auch schon wieder bei Hofe und brachte von dort aus vermutlich auch Germanicus in Stellung, der dann 14 + die Rachefeldzüge aufnahm, die dann wiederum 16 + bei Bramsche ihr Ende fanden. Tiberius scheint sich trotz widriger Bedingungen letztlich immer so geschickt verhalten haben, dass er am Ende immer oben schwamm und wirkte mal vor und mal hinter den Kulissen. Als ihm dann nahezu schicksalhaft mangels anderer familiärer Thronfolger die Nachfolge von Augustus in den Schoss fiel, tat er sich sehr schwer damit sie anzutreten und scheute sich offensichtlich vor der plötzlichen Übernahme dieser gewaltigen Verantwortung und Herausforderung. Erst auf Druck des Senats soll er dann wohl mehr halbherzig der Übernahme dieses hohen Amtes zugestimmt haben. Vor diesem Hintergrund müssen wir versuchen die politische Lage nach der Varusschlacht in Rom einzuschätzen. Augustus musste sich eingestehen an Tiberius nach dem Tod seiner bevorzugten Enkel nicht mehr vorbei zu kommen und hatte sich sehr schwer getan in ihm seinen Nachfolger zu sehen. Auch für Augustus traf Tiberius wohl eine nicht zu unterschätzende Mitschuld an allem was in Germanien schief ging, aber als geschickter Taktiker konnte und wollte er ihn auch nicht vor der Öffentlichkeit demontieren. Theatralisch wofür er bekannt war, heute würde man sagen medienwirksam, samt seiner Sondereinlage “Kopf an die Wand schlagen” präsentierte Augustus der Nachwelt seinen verdächtig gut inszenierten Zornesausbruch. Wenn berichtet wird, dass er in Schwermut versank und seine Hygiene vernachlässigte, so wäre er nicht Augustus gewesen, wenn er nicht auch dieses Mittel im Sinne seiner Methode einen Staat zu lenken eingesetzt hätte. Mit dem Druckmittel, das Imperium sei in Gefahr ließen sich bequemer nicht opportune Entscheidungen begründen und die Senatoren durften nie übermütig werden. Auch der Tacitus Hinweis, dass er seine von ihm sofort nach der Katastrophe entlassene germanische Leibwache, die er aber nur geschickt irgendwo versteckt haben soll, schon wenige Jahre später wieder zurück holte lässt erkennen, dass sein Groll befristet war. Er richtete seine Bestürzung auch bewusst nur gegen Varus der nun mal so war wie er war, nämlich alles andere als ein erfolgreicher Feldherr in Germanien. Während Augustus Varus bzw. seinem Kopf ein, nennen wir es Staatsbegräbnis gewährte, litt seine Frau Claudia Pulchra und der Varus Sprössling noch lange unter den Repressalien des Tiberius, die ihm vermutlich äußerst peinlich all seine persönlichen Verfehlungen im Nachhinein in die Schuhe schob. Eine personelle Fehlbesetzung ist eben auch immer die Fehlentscheidung der “Personalabteilung” und die Umstände könnten dafür sprechen, dass Tiberius an der Varusentsendung einen nicht unerheblichen Anteil hatte. Nachdem aber die Rheinfront ruhig blieb, wird Kaiser Augustus die Varusniederlage schnell verdaut haben, da er ja schließlich auch noch andere Konfliktregionen zu befrieden hatte. Tiberius begegnet uns nach den unbefriedigenden Germanicus Feldzügen wieder als Kaiser und fällt durch seine erstaunliche und wahrhaft kaiserliche Entscheidung auf, man möge doch jetzt in Germanien weitere Eroberungen stoppen und die Rheinfront akzeptieren und zu stabilisieren. Die weise Entscheidung eines Mannes, der in diesem Fall sicherlich richtig handelte. Mit diesem Exkurs über Tiberius wollte ich aber auch die gärende Frage nach der möglichen “Verfälschung der Senatsakten” aufgreifen bzw. nochmal aufwerfen. Schließlich neigen viele Historiker dazu, dass Werk des Historikers C. Dio was seine Überlieferung zur Varusschlacht anbelangt, deswegen in Frage zu stellen. C. Dio hatte bekanntlich indirekt den Wahrheitsgehalt der Senatsakten infrage gestellt und damit Spekulationen geschürt, dass alles was er über die Varusschlacht schreiben würde zweifelhaft sein könnte. Wie er zu der Auffassung gelangte wissen wir nicht. Vielleicht kamen ihm die ganzen Schilderungen aber auch so schier unglaublich vor, dass man bzw. er sie selbst kaum glauben konnte. Wurden die Schriften im Archiv tatsächlich wahrheitswidrig verfasst oder verändert dann hätte C. Dio auf diesen tönernen Füssen basierend die Welt trotz seines Hinweises letztlich aber doch getäuscht, so müsste sein Werk zur Varusschlacht verworfen werden. Handelt ein Historiker in dergestalt, dass er eine ausführliche Darstellung veröffentlicht die er aber gleichzeitig wieder in Frage stellt. Wäre sein Verdacht allerdings tiefer verwurzelt und konkret gewesen, hätte er ihn als guter Historiker möglicherweise komplett weg gelassen. Daher ist diese Frage nach der Glaubwürdigkeit für die gesamte Varusforschung auch von elementarer Bedeutung. Träfe es zu, bliebe uns nur noch die Florus - Lager - Überfall - Variante und sie müsste allen Strängen der Interpretation zugrunde gelegt werden. Dies würde das Feld des möglichen Schlachtenverlaufs erheblich einschränken und viele Spekulationen schlagartig verstummen lassen. Stellt man sich nun die Frage, wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, die zu Papier gebrachten Senatsakten umzudeuten, zu verändern oder wie auch immer zu beschönigen, so wird bevorzugt auf Kaiser Augustus verwiesen, obwohl diese Handlungsweise noch eher Tiberius zuzutrauen gewesen wäre oder vielleicht auch anderen unbekannten Experten für Verdunkelungen. Tiberius folgte ihm im Amt und mögliche Darstellungen die schlechtes Licht auf seine aktive Rolle in Sachen „Varus“ hätten werfen konnten, wollte er darin nicht sehen. Denn er war es immerhin, der damals noch als Feldherr mitten im Geschehen stand, die besten Kenntnisse von den Ereignissen gehabt haben musste und zudem viele Weichen mit stellte die zum späteren Desaster führten. Andererseits brauchte Tiberius sich diese Mühe wiederum nicht zu machen, denn von ihm war ja im Zuge und nach der Varusschlacht überhaupt nicht mehr die Rede gewesen, da Augustus die politische Verantwortung für alles übernahm. Schuld trug eben in den Augen aller immer Varus der Versager, die vertragsbrüchigen und untreuen Germanen, die zornigen Götter und das schlechte Wetter. Warum also von den Schreiberlingen nach dem Tod von Augustus oder seinem Nachfolger noch mal in alten Papieren wühlen lassen. Kaiser Tiberius hatte jetzt die Macht, aber auch andere Sorgen und größere Probleme als Geschichtsklitterung zu betreiben, zumal man derartiges in Rom auch sicherlich nicht hätte geheim halten können. Meiner Ansicht nach wurden diese Akten von den Beamten angelegt, nachdem sie sich ein glaubhaftes Bild über die Abfolge der Ereignisse machen konnten und man wollte keinesfalls den Kenntnisstand „der Straße“ übernehmen. Inwieweit von den Beamten spätere zusätzliche Erkenntnisse zeitversetzt ergänzt und dann nachgetragen wurden ist unbekannt. Man könnte spekulieren und sagen, dass die ersten Nachrichten die aus dem Norden in Rom eintrafen wie ein Lagerüberfall geschildert wurden und späteren Nachrichten andere und vielleicht detailliertere und authentischere oder einfach nur glaubhaftere Informationen zu entnehmen waren. So zum Beispiel, dass der Niedergang Angesichts der Vielzahl der getöteten Legionäre, immerhin waren es drei Legionen definitiv nicht das Resultat eines einzigen Lagerüberfalls gewesen sein konnte. Eine Vernichtungsschlacht die sich über Tage hingezogen hatte schien da wohl für alle zutreffender zu sein. Eben genau so wie Dio sie bei den Beamten abschrieb und uns überlieferte. Vielleicht grassierten in den Senatsakten auch unterschiedliche Erläuterungen und Betrachtungen zum Schlachtverlauf und sie hatten die freie Auswahl. Was soll ein Beamter zu Papier bringen, dem man nach und nach die unterschiedlichsten Versionen vorlegte. So zitierten die späteren antiken Historiker mal aus diesem und mal aus jenem Papier, je nachdem was ihnen die Beamten nach den vielen Jahren aus den verstaubten Archiven hervor holten. Von einer geplanten Manipulation von kaiserlicher Seite, wer es auch immer von beiden hätte angeordnet haben können, gehe ich daher nicht aus. (zuletzt bearbeitet 10.12.2017 - 23:29)