Freitag, 19. Oktober 2018
Der Aufbruch in die Winterlager am Rhein
Varus verbrachte jetzt schon das dritte Jahr hintereinander die Sommermonate an der Weser und er war es seit dem gewohnt, dass man seinen Anweisungen Folge leistete. Dazu gehörte es auch, dass sich die Germanen zu ihm begaben, wenn sie ein Anliegen hatten und er sie zum Gerichtstag vor seinen Richterstuhl rief. Aber im Frühherbst 9 + nahmen die Dinge einen für ihn bislang ungewöhnlichen Verlauf. Nunmehr war von einem dubiosen Aufstand die Rede, der ausnahmsweise einmal die persönliche Anwesenheit von Varus vor Ort erforderlich machte. Es ließ sich offensichtlich nicht vermeiden, dass der Feldherr in diesem Herbst sogar höchst persönlich seine Aufwartung bei den Germanen machen musste, sich also unter sie zu begeben hatte. Denn im südlichen Nethegau schwelte ein Brandherd vor dem ihn Segestes schon seit längerer Zeit warnte und worin dieser sogar schon einen Aufstand gegen Rom erkennen wollte. Was seine Darstellung jedoch von der, der Segimer Gefolgschaft abweichen ließ war die Tatsache, dass Segestes hinter den Aufrührern eben jene cheruskische Segimer/Arminius Koalition sah, während es natürlich von diesen bestritten wurde. Die Forschung fragt sich allerdings seit jeher, wie es den germanischen Großen damals insgesamt gelingen konnte, dass Theaterstück nennen wir es „Die Verlockung des Varus“ nicht nur in Szene zu setzen, sondern auch erfolgreich umzusetzen. Die Position von Segestes scheint historisch deutlich heraus gekommen zu sein, er prophezeite ein über Varus herein brechendes Unheil in Form eines Kampfgeschehens ausgelöst von einer größeren germanischen Allianz. Ohne aber auf andere mit teilnehmende germanische Stämme näher einzugehen, befürwortet er als Vorsichtsmaßnahme nur die Gefangennahme von Cheruskern einschließlich seiner Person. Aber wie stellten es seine Widersacher an ihn zu neutralisieren und gleichzeitig noch erfolgreich zu sein. Ein Aufruhr ließ sich in verbaler Form und bei guter Rhetorik in unterschiedlicher Art und Weise schnell konstruieren und vortragen. So ließ er sich zum Beispiel als die offene Revolte eines oder gleich mehrerer germanischer Stämme gegen Rom darstellen. Diese Variante entspräche in etwa der Lesart des Segestes und man könnte sie aus Sicht Roms als die gefährlichste aller infrage kommenden Möglichkeiten eingestuft haben. Diese hätte dann, würde sie einer Überprüfung stand halten eigentlich nach Bekanntwerden einen unmittelbaren Kampfeinsatz zur Folge haben müssen. Man konnte es aber auch so beschrieben haben, als ob hier diverse germanische Stämme auch in einen Streit unter einander verwickelt gewesen sein könnten. Es sich also um einen innergermanischen Konflikt gehandelt haben könnte. Diesen hätte Varus daher auch nicht als eine unmittelbar gegen ihn bzw. das Imperium gerichtete Bedrohung wahr genommen hätte und er hätte sogar relativ gelassen dem Treiben zu schauen können wenn es sich nur um kleine abseitig siedelnde Stämme gehandelt hätte. Man könnte es aber auch so ausgesehen haben lassen können, als ob sich die germanischen Aufrührer aus zwei gegensetzlichen Fraktionen zusammen setzten, eine die dem Imperium feindlich gesonnen war und eine Gruppierung, die zu Rom tendierte. Die Germanen im Aufrührergebiet also in eine pro Rom als auch in eine contra Rom Fraktion gespalten waren. Die erste Version hätte für Varus einen deutlichen Kampfauftrag mit allen gebotenen Mitteln bedeutet und hätte unweigerlich in einen Waffengang gemündet. In der zweiten harmloseren Version hätte sich Varus dann in der Rolle des Schlichters gewähnt, um als Respektperson unter den Konfliktparteien vermitteln zu können. Die dritte Version aber war die pikanteste von allen drei Szenarien. Denn hier galt es unbedingt der Rom treuen Gruppe beizustehen, sie zu stärken, also zu unterstützen und möglicherweise mit deren Hilfe die Rom kritische Gruppierung zu bekämpfen folglich auszuschalten, wobei man die beiderseitigen Größenverhältnisse nicht kannte und sich erst einen Überblick zu verschaffen hatte. Die eingeschränkte, also die weniger zum Kampf geneigte Reaktion von Varus, nämlich die zahlreichen Abstellungen von denen Dio spricht nicht hinzu gezogen zu haben spricht dafür, dass sich die Germanen tendenziell dazu entschieden haben könnten, den Römern die Version zwei bzw. drei zu verkaufen. Also jene, die von Varus entweder einen Schlichterspruch abverlangt hätte, bei der man aber auch mit einem, allerdings nur begrenzt denkbaren Einsatz von Waffen hätte rechnen müssen. Und so gaukelte man Varus aus der Distanz heraus betrachtet zwei erdachte Konfliktparteien vor und brachte damit einen künstlichen Disput in der gespielten Manier eines kritisch eskalierenden Prozesses bewusst verbal zum Gären. So könnte es gewesen sein und so konnte man es Varus gegenüber auch dargestellt haben. Dadurch vermied man es, dass der an einer Schlichtung weniger gewogene und nicht interessierte Teil der Aufrührer auch nicht den Weg zu ihm an die Weser antreten wollte und man Varus mal den umgekehrten Weg empfahl, zumal dieser auf der Wegstrecke lag. Germanen die möglicherweise sogar bereit waren gegen Rom zu den Waffen zu greifen, die begeben sich nicht noch vorher freiwillig zwecks Empfang eines Richterspruches in die Hände des Feindes bzw. man konnte es nicht von ihnen erwarten. Die wahre Lage, dass man anderes im Schilde führte ließ sich auf diese Weise geschickt und auch lange verschleiern und man konnte ihn damit unter Druck setzen in diesem Fall einmal den gewohnten Weg zu verlassen um einen zu den Germanen einzuschlagen. Unmittelbar vor dem Zug in die Winterquartiere also in eine Phase hinein, die man als nahezu optimal betrachten könnte, trieben die Germanen dann über ihren Mittelsmann, man kann ihn auch Verbindungsoffizier Arminius nennen, die Schilderung bzw. die Dramaturgie auf den Höhepunkt. Sozusagen zum taktisch günstigsten Zeitpunkt ließen die Germanen die Bombe platzen und die Fürsten der Stämme gaben Arminius nun den Startschuss bzw. den Auftrag, er solle jetzt Varus und das vielleicht nur wenige Tage vor dem Verlassen des Lagers jenen verhängnisvollen Vorschlag präsentieren und die Katze aus dem Sack lassen. Der Plan war in sich schlüssig und Arminius als Kenner der innergermanischen Verhaltensweisen und zudem ausgestattet mit bestem Ruf, dürfte es nicht schwer gefallen sein Varus einen überzeugenden Plan zu unterbreiten, wie er denn am Besten mit der Krise und den beteiligten Konfliktparteien seiner Landsleute umzugehen hatte. Es könnte und es sollte sich aus seinem Munde sogar schon fasst wie ein Kinderspiel anhört haben. Er wird auch versucht haben die Gesamtlage noch mal nachdrücklich darzustellen bzw. sie so aussehen zu lassen, als ob nun auch noch zusätzlich Eile geboten sei, da sich die Situation doch auch für ihn unerwartet schnell hoch geschaukelt habe. Bis zu diesem Zeitpunkt könnte Varus noch keine unmittelbaren Eingreifpläne verfolgt haben und alles kam für ihn vermutlich auch etwas überraschend. Man setzte ihn damit gewissermaßen unter Zugzwang nun handeln zu müssen und auch keinen Fehler begehen zu dürfen. Um nun das Problem aus der Welt zu schaffen bzw. Schlimmeres zu verhindern, schlug man nach Absprache Varus vor, die bevorstehende Gelegenheit des herbstlichen Auszuges zu nutzen und die Aufrührer vor Ort zu treffen und zur Rede zu stellen. Man kann sich vorstellen, dass die veränderte Lage auch zu heftigen Diskussionen anlässlich des letzten Gastmahles von Varus geführt haben dürfte. Es sind uns natürlich keine Hintergründe und handfeste Fakten für die Ursachen des Aufruhrs bekannt, was auch nicht verwundert, da ja alles letztlich auch nur auf vorgeschobenen Gründen basierte. Da aber der ganze Prozess nicht an mangelnder Glaubwürdigkeit scheitern durfte, müssen wir uns immer mit der Frage der Plausibilität auseinander setzen. Und ihr kommt man am Nächsten, wenn man versucht sich mit der damaligen Situation, den Rahmenbedingungen und der Ausgangslage vertraut zu machen. Vielleicht liegt in dieser explosiven Stimmung sich möglicherweise überstürzender Ereignisse oder Nachrichten aus dem Aufrührergebiet auch der Grund dafür verborgen, dass man die zahlreichen Abstellungen, die vermutlich aus Römern als auch aus Hilfsvölkern bestanden, aus Zeitgründen gar nicht mehr alarmieren bzw. abziehen konnte und wollte. Nach dem die Entscheidung gefallen war einen Umweg einzuschlagen, hatte man ihnen auf parallelem Weg den Auftrag zukommen lassen nach Beendigung ihrer Tätigkeit den direkten Rückmarsch an die Lippe anzutreten und ihnen noch einen zeitlichen Spielraum gelassen. Arminius indes beschwichtigte Varus und leistete dieser Anordnung möglicherweise noch zusätzlich Vorschub. Vielleicht löste er sie aber auch aus nahe liegenden Gründen erst aus, in dem er Varus dafür im Gegenzug seine bewährten Männer bereitwillig als einen angemessenen Ersatz anbot. Dadurch konnte Varus mit ruhigem Gewissen auf die Truppenverstärkung durch Hinzuziehung der Abstellungen verzichten, die er möglicherweise andernfalls doch noch rechtzeitig herbeigerufen hätte. So ließ sich Varus also überzeugen und Arminius gewann dadurch noch an zusätzlichem Vertrauen. Dieser Akt der Hilfsbereitschaft könnte für Varus auch mit den letzten Ausschlag dafür gegeben haben, die Warnungen von Segestes endgültig in den Wind zu schlagen. Es war Varus bewusst, dass nun vieles von ihm, also seiner Person abhängen würde, denn bald waren seine höchstrichterlichen Talente in einer möglicherweise ernsthaften Lage gefordert um einen denkbaren Aufruhr vielleicht noch im letzten Moment zu verhindern bzw. im Keim zu ersticken. Ob er zu diesem Zeitpunkt noch von einem rein innergermanischen Konflikt ausging, oder ob ihm Arminius ein andersartiges Szenario geschildert hat, wissen wir natürlich nicht. An dieser Stelle möchte ich aber auch festhalten, dass die Überlieferungen der antiken Historiker so kurz sie auch gehalten gewesen sein mögen, doch den exakten Verlauf der entscheidenden Ereignisse recht gut wieder geben. Denn letztlich haben sie uns insgesamt betrachtet doch allesamt das Wesentliche und Nötige hinterlassen um den Ablauf, wenn auch nur in groben Zügen, aber so doch in etwa rekonstruieren zu können. Nun versetzen wir uns also in die Person von Herrn Varus dem ehemaligen Statthalter aus Syrien. Für ihn war es nun eine völlig neue Erfahrung erleben zu müssen, dass er es dieses Mal war und sein sollte, der den Weg zu den Germanen antreten musste und nicht umgekehrt. Was ging da in ihm vor. War es für ihn etwa erniedrigend oder empfand er es als eine besondere Tat der er sich zu stellen hatte, wenn er als „Landesvater“ anerkannt sein wollte. Doch was ging da plötzlich in "old old Germany" vor sich. Hatte er da vielleicht doch eine Lage falsch eingeschätzt, hatte er bisher nicht erfolgreich bewiesen, wie gut seine Politik der ruhigen Hand immer funktioniert hatte ? War am Ende etwa seine ganze dreijährige Aufbauarbeit umsonst ? Die vielen Verhandlungen in denen er Streitigkeiten schlichtete, Urteile fällte, alles umsonst ? Aber vor allem doch zum Wohle der germanischen Welt und um des lieben Friedens willen. Aber das herbstlich gesetzte enge Zeitfenster ließ ihm keine andere Wahl. Es könnten Fragen der Proviantversorgung gewesen sein die ihn auch noch zu alledem unter Druck setzten, und die einer längeren Verweildauer an der Weser im Wege standen um möglicherweise mit den Aufrührern in einen umfassenderen und zeitaufwändigeren Dialog treten zu können oder nach anderen Lösungen zu suchen. Zeit die man nun nicht mehr hatte, da plötzlich alles ganz schnell gehen sollte und nahezu hektisch geworden sein könnte. Denn die Einplanung eines Umweges an dem tausende von Menschen beteiligt waren erforderte allemal eine Vielzahl logistischer Entscheidungen und Weichenstellungen. Man kam jetzt also nicht mehr umhin, denn nun galt es diesen kleinen, aber doch überschaubaren Umweg eine Struktur und ein Konzept zu geben, denn aufs Geratewohl ließen sich keine Legionen führen und schon gar nicht mitsamt des großen anhängigen Trosses. Er wollte es sicherlich mit so wenig wie möglich an Aufwand hinter sich bringen, denn am Rhein lockten ihn die Genüsse der Zivilisation. Was aber stand Varus nun bevor ? War es ein harmloser Streit oder doch schon ein größeres Unterfangen mit dem Potenzial eines Flächenbrandes. Nicht nur er, auch seine Legionskommandanten schwebten im Ungewissen über die Dinge die da auf sie zu kommen würden, aber man war ja personell und waffentechnisch bestens gerüstet und gut vorbereitet. Und da es sich hier wohl eher nur um einen unter den halbwild und unzivilisiert lebenden Germanen nichtigen Zwist über eine Bagatelle vielleicht noch verbunden mit unerheblichen Streitigkeiten über den Grenzverlauf zum Nachbarstamm oder ähnlich Unterschwelligem gehandelt haben könnte, was zu Streitereien führte, die man aber bereits als Aufstand bezeichnete und sich auch gegen Rom hätten richten können war man allerseits guter Dinge. Varus war doch sehr daran gelegen auch diese Ränke möglichst diplomatisch und nicht mit übermäßiger Waffengewalt aufzulösen. Das bloße Vorzeigen römischer Waffen hatte oftmals schon Wunder gewirkt. Aber seine regelmäßige Abstinenz über die langen Wintermonate ließ es nicht zu, dass sich an der Weser ungeklärte Verhältnisse anstauten. Ich gehe auch nicht davon aus, dass sich Varus und seine Kommandanten mit halbherzig geschilderten Bedrohungsszenarien abspeisen ließen, sich die Germanen als Lockmittel also sicherlich schon etwas hatten einfallen lassen müssen. Habe ich was übersehen oder gab es noch andere Motive Varus in den Hinterhalt zu locken ?Aber womit ließen sich die römischen Wölfe noch ködern. So wird oft darüber spekuliert, ob sich auch Sugambrer an der Varusschlacht beteiligt haben könnten. Ich schlussfolgerte bereits, dass sich nach oder kurz vor der tiberianischen Zwangsvertreibung des Jahres 8 – aufgrund ihrer Fluchtbewegung auch neue Stammesgebiete möglicherweise bis weit in den Osten hinein erstreckt haben könnten. Man kann sich vorstellen, dass sich Teile der Sugambrer bis zum Unterlauf der Diemel in den Raum Marsberg abgesetzt haben könnten. Wäre es also denkbar oder könnte man den Schluss ziehen, dass Arminius jene Teile der Sugambrer gegenüber Varus als die vermeintlichen Aufrührer dargestellt haben könnte, da diese noch eine ältere, genau genommen etwa 17 Jahre zurück liegende Rechnung mit dem Imperium zu begleichen hatten ? Strabon überlieferte uns, dass die Stämme des Landes, in diesem Falle meinte er die Stämme östlich des Rheins, die etwa im heutigen Bergischen Land siedelten, von Tiberius gegen ihren Willen ins Keltenland und dort nachgewiesenermaßen in die Region um Xanten umgesiedelt wurden. Teile wanderten besser wohl gesagt flüchteten aber wie zum Beispiel auch die Marser und Sueben schon vor der Deportation ins rechtsrheinische Landesinnere bzw. Hinterland und damit folglich nach Osten ab. Im alten Stammesgebiet blieben danach nur noch wenige Sugambrer übrig bzw. sesshaft. Ob isoliert oder im Verbund mit den Marsern gelangten somit auch Sugambrer in neue östliche Siedlungsräume. Und bei den Sugambrern handelte es sich aus römischer Sicht wie wir wissen um wahrliche Störenfriede. Denn sie machten schon zu Cäsars Zeiten auf sich aufmerksam und vereitelten ein schnelleres Vordringen der Römer über den Rhein hinaus. Diese ehemals aufgeriebenen Reststämme vom Rhein nun als Abtrünnige und Aufrührer darzustellen, könnte daher auch sehr gut in das Konzept von Arminius und das Klischee der Römer gepasst haben. Es ist daher aufgrund ihrer Vorgeschichte auch gut denkbar, dass die Sugambrer in der späteren antiken Literatur keinerlei Erwähnung mehr fanden, da sie als eliminiert und für das Imperium als unschädlich galten und daher nach römischer Lesart an der oberen Diemel gar nicht mehr existieren durften. Und bei dem Stichwort „Sugambrer“ oder „Sicambrer“ brauchte Arminius sicherlich auch nicht mehr weiter ins Detail gehen, denn mit diesem Stamm kannte man sich auch im Jahre 9 + im alten Rom und darüber hinaus noch bestens aus. Varus mag hier aber auch noch mal eine Chance gewittert haben, um sein allen gut bekanntes vielleicht besser ausgedrückt berüchtigtes Recht sprechen zu können. Sollten hier noch immer Sugambrer ihre Finger mit im Spiel gehabt haben, so hätte ihm auch die Rolle als der endgültige Bezwinger der Sugambrer gut zu Gesicht gestanden und er konnte sich so einen weiteren Platz in den römischen Geschichtsbücher sichern. Vielleicht reichte alles auch schon für einen kleinen Triumphzug in Rom aus oder zumindest um Augustus zu imponieren. Dieser möglicherweise geschickte Hinweis von Arminius auf die Sugambrer könnte allein schon geholfen haben, Varus den Weg in den Untergang schmackhaft zu machen. Da Arminius für alle Fälle großräumig zu planen hatte ist es auch denkbar, dass er die Legionen in einen Raum führen musste, der vielleicht sogar noch weiter in den Süden bis an die Diemel bei Scherfede gereicht haben könnte. Varus wollte seinem Auftrag im Germanenland unbedingt gerecht werden, getreu seinem Selbstanspruch die Provinz für Rom zu stabilisieren steuerpflichtig zu machen und dieses in Gänze zu erfüllen. Das er dies letztlich bis zum letzten Augenblick bzw. Atemzug erfüllte, war ihm zu dieser Zeit noch nicht bewusst. So wollte er sich diese unerwartete Gelegenheit auch nicht entgehen lassen und es mag in ihm eine Reihe von Beweggründe gegeben haben, auf die Pläne von Arminius einzugehen. Arminius hatte ihm auch zu verstehen gegeben, dass es sich hier möglicherweise auch nur um eine kleine Auseinandersetzung handeln könnte, die im Zuge der Herbstsonnenwendfeier und den damit verbundenen Opfer- und Weihefesten auf den Anhöhen der Osen Egge nicht unüblich war. Unter Einfluss des berauschenden Met wäre das in dieser Zeit allemal denkbar gewesen. Arminius machte aber auch vage Andeutungen, es könne eventuell auch mehr dahinter stecken, womit er Varus wiederum gezielt in Unruhe versetzen wollte. Arminius musste es gelingen und so galt es für ihn ein perfektes Doppelspiel zu beherrschen. Das fiktive Siedlungsgebiet sollte und musste daher sicherlich mitten im Zentrum der Aufrührer liegen. Dennoch durfte der ausgelegte Köder des vorgeblich unruhigen Stammes nicht weit entfernt von einem der wenigen nutzbaren Eggedurchgänge liegen. Sich also auch an einem Rückweg zur Lippe befinden, der wiederum nicht zu weit weg vom Sommerlager entfernt gelegen haben kann, um die Bedingungen für den Hinterhalt zu erfüllen. Ich lokalisierte diesen wie bereits voraus geschickt im Großraum um die Eggeschlucht westlich von Borlinghausen. Für Varus sollte der Marsch eine kalkulierbare Aktion mit überschaubares Risiko sein, er brauchte daher auch seine Legionen nicht umfangreich in Alarmbereitschaft versetzen, oder die Marschordnung ändern bzw. die Strecke absichern und er hielt es daher auch nicht für nötig berittene Kundschafter in alle Richtungen aber insbesondere voraus zu senden. Viel hing davon ab, ob Varus den Verhältnissen nach nun mit einer Strafexpedition oder mit größeren Kampfhandlungen rechnen musste. Er verließ sich da offensichtlich völlig auf die Einschätzung von Arminius. Ihm unterstanden fünf Legionen, zwei davon führte Asprenas unbeschadet an den Rhein. Drei Legionen wurden im Jahre 9 + aufgerieben. Die Sommerlager an der Weser verließen jedoch nur drei Rumpflegionen, da sich viele Legionäre unter den Abstellungen befanden und man davon aus geht, dass auch zahlreiche Legionäre auf Aliso und Anreppen konzentriert wurden bzw. auch einige zu Sicherungsarbeiten andere Funktionen übernommen hatten. Das klingt trotz reduzierter Kampfkraft immer noch mehr danach, dass man mit einem größeren Kampfeinsatz statt einer Strafexpedition zu rechnen hatte, wobei es schwer fällt hier einen Trennstrich zu ziehen. Allerdings hätte eine Strafexpedition auch von einer im Kampf geübten Kavallerieeinheit ausgeführt werden können. Arminius hatte und er musste Varus im Unklaren lassen, was ihm bevor stehen könnte, dass gehörte zu seinem Plan. Man entschloss sich also nach Bekanntwerden der Unruhen bzw. Zuspitzung der Lage schon an den Vortagen noch diese Kurskorrektur mit einzuplanen und hatte wegen der Änderung des Zugverlaufs zum Rhein vielleicht sogar schon vorher angeordnet, dass die Lippeflotte in diesem Jahr von Anreppen etwas weiter flussabwärts in Richtung Lippstadt verlegt werden solle, um den Legionen die abweichende etwas längere wieder nach Norden führende und damit unnötig gewordene Route bis Anreppen zu ersparen. Bei normaler Wetterlage konnte um diese Jahreszeit mit gut 12 Stunden Helligkeit gerechnet werden, was für einen Marschtag gute Bedingungen bedeutete. Die Regenwahrscheinlichkeit hoch zu rechnen gelang bekanntlich erst später und die sich jahreszeitlich verändernde Wolkenbildung in Germanien konnten die Römer offensichtlich nicht deuten und da sie die Sprache der Unterdrückten nicht beherrschten, wussten sie auch nicht was „Schöpkes uuërdan Dröppkes“ also „Schäfchenwolken bringen Regen“ bedeutet. Aber letztlich konnten sie sich das Wetter auch nicht aussuchen. Erschwerend hinzu kommt, dass auch die feuchtere und auch kühlere Jahreszeit über diese Region von Deutschland östlich der Egge nahezu 14 Tage früher herein bricht, als zum Beispiel in der milderen Warburger Börde. Das Ausgangslager der unglücklichen Odyssee des Varus lag in einem Flusstal und über Flusstälern breitet sich über viele Tage im Jahr und das besonders im Herbst je nach Wetterlage eine geschlossene Nebeldecke aus. Man konnte die dichte Nebeldecke damals vielleicht schon fasst greifen aber auch sehr gut erkennen, wenn man von Schwaney zum Solling blickt und dazwischen das nebelverhangene Wesertal nur erahnen kann. Nebel in der Schreibweise von Nibel begegnet uns auch in den Sagengestalten der Nibelungen und in den Dialektformen Niewel, Newel, newelig oder niwelig. Im holländischen und niederdeutschen Raum spricht man es auch als Nevel aus. Als Niflheim ist es uns aus dem Altisländischen bekannt. Die Nibelungen, auch sie kamen aus dem Nebel und verschwanden dann wieder irgendwo im Nebel der Geschichte und kamen der Sage nach auch nicht mehr wieder, sie gingen bis auf einen blinden überlebenden Barden unter. Und natürlich gehört auch das Wesertal dort, wo sich die Nethe in den Fluss ergießt zu einer nebelreichen Region, wenn sich der Regen aus dem Westen über der Egge abgeregnet hat und als Nebel ins Wesertal abfällt. Sollte Varus für seinen Zug zum Rhein einen dieser unseligen Nebeltage ausgewählt haben, so traf ihn neben den folgenden regenreichen Niederschlagstagen schon beim Abzug das Pech. Denn Nebel entfaltet bekanntlich immer seine ureigenen mystischen Kräfte. Hat sich erst einmal eine Nebelsuppe schön ausgebreitet, kann man sich gut vorstellen wie schwierig es ist unter diesen Bedingungen einen geordneten Marsch zu bewerkstelligen. Abstände lassen sich nicht immer einhalten, Stimmen und Rufe im Nebel klingen anders, wirken teilweise wie verschluckt, Signalhörner täuschen Nähe vor, obwohl sie aus weiterer Distanz kamen aber auch umgekehrt. Alle Geräusche wirken dumpfer und lassen sich schlechter lokalisieren, Baumstämme erscheinen wie Gestalten und ziehende Nebelschwaden werden zu lebenden Wesen. Hier fühlten sich die Germanen nicht nur in ihrem Element, hier waren sie es auch. Und Menschen die in solchen Regionen aufwachsen, empfinden Nebel und Regen nicht als einen Feind, da sie damit vertraut sind. Die Tatsache, dass Dio von niederschlagsreichen Marschtagen berichtet, bedeutet um diese Jahreszeit auch immer Bodennebel, da in der Übergangszeit beides in einander über geht. Schon lange vor Sonnenaufgang erschallten an diesem besonderen Tag im September, eventuell dem besagten 24.9.0009 die Signalhörner oder Fanfaren der Hornisten, Sie riefen die Legionäre in aller Frühe zum Sammeln und signalisierten auch allen anderen, dass der Zeitpunkt der großen alljährlichen Rückreise gekommen war. In gewohnter Hektik, denn jeder hatte noch irgend etwas vergessen, sammelte sich der Heerwurm vielleicht sogar schon vor Tagesanbruch teils vor und teils im Lager in der großen Weserschleife. Einen viele Kilometer langen Treck mit den nötigen Versorgungswagen zusammen zu stellen und zu ordnen bedeutet sicherlich immer eine beträchtliche Herausforderung für die Organisatoren und bedurfte trotz Routine immer noch tagelanger generalstabsmäßiger Vorarbeit. Um den Versuch eines Vergleichs zu wagen und um sich eine bessere Vorstellung über das Bevorstehende zu machen, habe ich mich mal an einem möglicherweise ähnlichen Ablauf orientiert. So war der Kölner Rosenmontagszug etwa 2007 Jahre später am 8. Februar 2016 etwa 8 Kilometer lang. Die Länge der Zugstrecke durch die Straßen von Köln betrug etwa 7,5 Kilometer, während die Vorbeimarschzeit bei etwa 4 Stunden lag. Beteiligt waren 114 Fest-, Prunk -, als auch Persiflage Wagen sowie Kutschen, 90 Traktoren und 85 Baggage Wagen. Die übrigens auch Wurfmaterial allerdings von anderer Qualität mit sich führten. Der Zug bestand aus immerhin 12.000 Teilnehmern, 82 Musikkapellen marschierten mit, 500 Pferde und fast 3000 Helfer sei es als Traktorfahrer oder Schildträger begleiteten 2016 diesen modernen Lindwurm. Damit kommen wir der Dimension und Ausdehnung der Varus Legionen doch schon etwas näher. Interessant ist dabei aber, dass der Karnevalsumzug „nur“ etwa 8 Kilometer lang war, obwohl er auch von zahlreichen Personen aber auch relativ vielen Fahrzeugen begleitet wurde. Zweifellos sind allerdings die Straßen von Köln auch breiter, als der römische Hellweg von Höxter nach Brakel. Aber auch diese Art von Marschzug zu ordnen, zusammen zu halten und zusammen zu stellen bedeutete viel Aufwand. Und wo ich mir hier schon einen kleinen Schwenk zum Kölner Karneval gestatte, sei mir auch noch ein anderer erlaubt. Er bezieht sich noch mal auf diese ebenfalls nebulös erscheinenden Sugambrer, die damals überall aufzutauchen schienen und immer für Ärger sorgten. Die im Zusammenhang mit den Römerkriegen mehrfache Erwähnung finden und die möglicherweise schon gegen Varus ihre Kämpfer mit ins Feld führten. Die schon unter Cäsar Schlagzeilen machten und mit denen natürlich Lollius seine liebe Not hatte. Die Tiberius in fasst ihrer gesamten Volksmasse auf die linke Rheinseite vertrieb. Die sich aber teilweise noch rechtzeitig nach Osten absetzen konnten. Und die wie Phönix aus der Asche in der Person des Merowingerkönigs Chlodwig später mit an der Wiege Europas standen. Aber bis in unsere Tage treffen wir sie erstaunlicherweise immer noch dort an, wo sie schon seit jenen prähistorischen Zeiten ihre angestammten Siedlungsgebiete inne hatten. Und dieses sozusagen mit Blickkontakt zur Kernmetropole Köln stehende Völkchen, wollte sich doch nie so recht mit den „ubischen“ linksrheinischen Stadtteilen verbrüdern. Und dafür mag es auch noch einen kurios zu nennenden Hinweis geben, der an diese lange zurück liegende und noch heute tagesaktuelle Diskrepanz erinnert. Denn diesem alten Stamm der Sicambrer oder auch Sigambrer wie sie lateinisch genannt werden, könnte es vergönnt gewesen sein in der Neuzeit zu einer recht seltsamen Berühmtheit bzw. Wiedergeburt aber an einem völlig unerwartetem Platze gekommen zu sein. So gelingt es mir vielleicht, neben dem einige Kilometer östlich von Köln verlaufenden vorgelagerten Saum eines uralten aber nachweisbaren dialektischen Unterschiedes noch ein weiteres Argument für das Vorhandensein unserer frühen Vorfahren zwischen Rhein und Bergischem Land ins Bewusstsein zu rücken. Und wer jetzt noch letzte ernsthafte Zweifel oder Bedenken an meiner Theorie haben sollte, der möge es zum Ausdruck bringen „oder für immer schweigen“. Denn dies wäre dann in der Tat der letzte „unerschütterliche“ und „unbestreitbare“ Beweis dafür, dass die Sugambrer im rechtsrheinischen Bergischen Land und dort in jenem schmalen und langen Sprachkorridor der so genannten niederländischen Varietät die Zeiten problemlos überdauerten. Und genau dafür gibt es einen untrüglichen und auch noch bis in unsere Tage modern gebliebenen und besonders lebhaften da handfesten Anhaltspunkt der so seine Blüten treibt. Und bei der Erforschung bzw. Aufarbeitung und Analyse was der große trennende Rheinstrom so alles bewirkte, kommt uns wieder einmal das ureigene alte Wissen um die besonderen Gemütszustände, die Mentalitäten und die Charaktere unserer Altvorderen zu Hilfe. Nämlich die unbeschreibliche Disharmonie die sich zwischen dem sinnenfrohen und kontaktfreudigen Rheinländer links und dem wie man so sagt miesepetrigen und muffeligen Rheinländer rechts des Flusses auftut. Diese unverwechselbaren Charaktere treten besonders in den beiden rheinischen Originalen des Tünnes und des Schäls zutage. Wobei die damit verbundene Vorstellung der rheinischen Frohnatur natürlich einzig und allein auf den linksrheinischen Tünnes zutrifft und nicht auf den mürrischen, dafür aber mit äußerst trockenem Humor ausgestatteten Schäl vom rechten Rheinufer, der berühmten „schäl Sick“. Es mag noch andere Beispiele dafür geben die im regionalen Volkstum längs des Rheinstromes verwurzelt sind und ebenfalls auf die mentalen Unterschiede zwischen den beiden vom Fluss getrennten Völkern mit ihren jeweiligen Attitüden und Allüren anspielen. Vielleicht gehört dazu auch die gespielte Animosität zwischen Wiesbaden und Mainz, wo man sagt, dass das Beste an Wiesbaden die Busverbindung nach Mainz sein soll. Aber hier spricht man nicht von der "schäl - Sick" sondern von der "Ebsch - Side". Obwohl es richtig "Eebsch" lauten müsste, da dass "E" lang gezogen gesprochen wird. Aber was besagt die "Ebsch - Side". "Eebsch" bedeutet im dialektischen Sinne schlichtweg die schlechte Laune, die man offensichtlich den rechtsrheinischen Hessen unterstellt. Es könnte somit eine Fortführung des Mentalitätsgefälles sein, dass durch den Rhein ausgelöst wurde. Im rechtsrheinischen Großraum Wiesbaden lebte demnach der gleiche Menschenschlag wie man ihn auch vom Kölner Dom aus sehen kann wenn man nach Osten blickt. Das man in der Bezeichnung "Eebsch - Side" einen eindeutigen Hinweis auf die Rheinseite, also "Side" entnehmen kann wie es bei der kölnischen Bedeutung "Sick" etymologisch nicht nachweisbar ist, könnte dafür Hinweis gebend sein, dass die Wortfindung "Ebsch - Side" jüngeren Datums ist. Der linksrheinische und bauchige Tünnes wird gerne mit einer roten Schnaps farbigen Knollennase dargestellt, gilt als rustikal und bodenständig, verfügt aber trotz friedlichem Gemüt über eine gesunde Portion Bauernschläue. Der schäle Schäl ist der schielende Vertreter einer aus linksrheinischer Sicht natürlich kulturell eher zurück gebliebenen rechtsrheinischen Landbevölkerung. Schäl steht auch für „ne falsche Fuffziger“ oder „ne schleite Keel“, also ein schlechter Kerl, der die Attribute nicht so „sauber“ und ehrlich zu sein verkörpert. Schäl ist knochig und schlank, trägt Frack und ist hinterlistig, also „ne janz besonders schräge Typ“. Diese zwei Gestalten des Kölner Karneval symbolisieren wie keine anderen Figuren eine alte mentale Mauer oder Trennlinie, die sich scheinbar immer noch unsichtbar mitten im Rhein auftut und die man auch bei genauem Hinsehen von der Hohenzollernbrücke aus nicht sehen kann. Das rechte Rheingebiet war in römischer Zeit die Germania Magna, hier begann das germanische Kerngebiet und bewahrte sich ihre Distanz auch noch bis weit über die Herrschaftszeit der Franken hinaus. Schäl führen die Brauchtumsforscher daher auf einen sehr alten Typus Mensch zurück und bringen ihn wegen seiner Augenstellung in Verbindung mit jenem einäugigen germanischen Gott Wotan, Wodan oder Odin. Dieser soll der Mythologie nach sein zweites Auge für den Blick in den Brunnen der Erkenntnis geopfert haben. Schäl steht auch für schielen, wobei mir allerdings nicht klar ist, wie man mit nur einem Auge schielen kann. Aber man sagt auch, der schielt um die Ecke, so dass man es wohl gelten lassen könnte. Während man sich im römisch, christlichen und zivilisierter geprägten Linksrheinischen zu den alten germanischen rechtsrheinischen Gottheiten seit den Zeiten des Imperium Romana eine größere Distanz bewahrte, war das heidnische im Osten von Köln noch eine sehr lange Zeit dominant und vorherrschend. Das Schäle hat sich auch noch in der Bezeichnung für die so genannte „schäl Sick“ also die schäle und wie man auch sagt die falsche rechtsrheinische Seite erhalten. Man führt es auch auf die Jahre der Treidelschifffahrt zurück, wo wegen des Sonnenstandes den Treidelpferden die Augen verbunden wurden, da man schäl auch mit blinzeln übersetzt. Aber vieles was legenden reich überliefert ist, gilt als nicht hinreichend belegt und muss daher in Frage gestellt werden. In der Zusammenfassung soll es also so gewesen sein, dass der Kölner Schäl von der „schäl Sick“, den heidnischen verschrobenen Altgermanen vom anderen Ufer symbolisiert und der bauernschlaue ihm überlegene Tünnes den intelligenteren Part übernahm. Schäl fügt sich demnach auch besser in den alten Bergischen Jargon in dem man sagt, er ist eben wie ein Schwebebahnpfeiler „oben krumm und unten nass“. Aber damit ist das Rätsel um die Bezeichnung der „schäl Sick“ immer noch nicht gelöst. Denn es tun sich in der Übersetzung des Wortes „Sick“, das man in dieser Kombination immer mit dem Wort „Seite“ gleich setzt bzw. auf eine Stufe stellt, tiefe Wort - Historische Gräben auf. Schaut man in das etymologische Wörterbuch, dem Kluge aus dem „de Gruyter Verlag“ von 1883 mit all seinen bearbeiteten Neuauflagen, so sucht man nämlich vergebens nach einer Querverbindung zwischen Sick und Seite. Was auch nicht verwundert, denn dem Wort Sick lässt sich keine sprach verwandtschaftliche Bedeutung für Seite entlocken. Das Wort Seite kennen wir nur bzw. erst aus dem althochdeutschen und es erscheint dort in seiner ältesten Form in der Schreibweise als „sita“ und im altsächsischen als „sida“. Es folgt dann im Mittelhochdeutschen die Schreibweise „sit (e)“. Aber weit und breit ist kein Sick aufzuspüren. So scheint es, als ob man das Wort Sick „eingekölscht“ hat und man dort darunter mangels anderer Erklärungen fortan das Wort Seite versteht oder verstehen möchte. Natürlich lasse ich mich auch hier immer wieder gerne eines Besseren belehren. Was uns in diesem Fall allerdings näher steht und auch gut in die historisch gewachsene Landschaft passen würde, wäre es, wenn man das Wort Sick, nicht mit „ck“ als Sick, sondern wie die ähnlich klingenden angebrochenen Worte „Sig“ bzw. als „Sic“ schreiben würde. Denn da hätte ich etwas Interessantes anzubieten, nämlich eine Brücke zu den einst im rechtsrheinischen siedelnden Sigambrer zu schlagen oder wie man sie auch in der lateinischen Sprache nannte, die Sicambrer in ihrem alten Stammsitz „Sicambria“ zwischen Ruhr und Sieg und Sieg vielleicht, wie auch gerätselt wird möglicherweise als Si(e)g. Und zu unser aller Vorliebe längere Worte kurzerhand mittels Abkürzung griffiger zu machen, hätten wir hier ein schönes Beispiel für die Langlebigkeit historischer Begebenheiten in Verbindung mit den menschlichen Eigenheiten und Eigenarten. Würde dieser Vergleich also zutreffen, so läge auch eine Begründung für die Bezeichnung „schäl Sick“ auf der Hand. Wir würden hinter Schäl einen Sigambrer erkennen und dann über jene alten schlitzohrigen und schälen Sicambrer sprechen, denen es gelang sowohl der tiberianischen Vertreibung, als auch der Auswanderung nach Osten und der Unterdrückung zu entgehen und ihr langer ausgestreckter Arm würde noch immer über den Rhein und sogar bis in den Kölner Karneval reichen. Bei dieser Standfestig - und Bodenständigkeit und allen Zerwürfnissen zum Trotz, kann man es den heutigen Sigambrern oder Sicambrern zwischen Duisburg und Römershagen dann natürlich auch nicht verdenken, wenn sie sich dann schon mal als etwas mürrischer und verschlossener erweisen, als die munteren Rheinländer mit ihrem Himmel und Ääd.
Aber zurück zu Varus, den der Kölner Karneval nicht in sein Herz geschlossen hat. Die Vorbeimarschzeit des Rosenmontagszuges betrug bei etwa 15.000 Teilnehmern und einer Marschlänge von 8 Kilometern zirka vier Stunden. Verzögerungen und Störungen entstehen sowohl bei Rosenmontagszügen und sind auch für den Varuszug belegt. Beide Züge waren bunt gemischt und können uns zur Orientierung dienen, da sie einen ähnlichen Charakter aufweisen. So lässt sich der Kölner Umzug für einen groben Vergleich allemal heran ziehen, könnte also in etwa mit dem des Varus Zuges deckungsgleich sein. Es ist daher wie auch beim Rosenmontagszug denkbar und möglich, dass der Marschzug vor 2000 Jahren bereits am Tag vor dem Abmarsch, was die beladenen Trosswagen noch ohne Zugtiere anbelangt und unbesetzt in Formation geschoben wurde. Diese strukturell nötigen Vorarbeiten hätte man dann nicht mehr am frühen Morgen und dadurch folglich noch im Dunklen durchführen müssen. Wäre der Zug trotzdem erst am Morgen des Abmarschtages in Formation gebracht worden, so hätte sich der Ausmarschzeitpunkt dann natürlich um diese Zeit erheblich in den Vormittag hinein verschoben, was wiederum zu einem entsprechend späteren Eintreffen im ersten Marschlager geführt hätte. Sowohl die Errechnung der Varus unterstellten Legionäre als auch die darauf basierende Zuglänge und die davon abzuleitende Marschzeit sind natürlich für die weiteren Betrachtungen von ausschlaggebender Bedeutung, da sich mit ihrer Hilfe nicht nur der gesamte Zeitrahmen der Varusschlacht besser rekonstruieren lässt. Auch die Anzahl ihrer germanischen Widersacher, möglicherweise auch die Hochrechnung der jeweiligen Verluste verteilt auf die einzelnen Kampftage und sogar die Dimension der errichteten Marsch - oder Notlager ließe sich anhand der Überlebenden erfassen bzw. überschauen. Varus dürfte aufgrund der ihm bekannten kritischen Lage an diesem Morgen nicht die Gelassenheit in Person zur Schau gestellt und er wird einen gewissen Nachdruck ausgeübt, aber auch eine damit verbundene Unruhe erzeugt haben. Vielleicht erwartete er auch noch Teile an Abstellungen von rechts der Weser, die nicht pünktlich am Sammelpunkt erschienen sind oder Nachrichten über den Aufenthaltsort von Asprenas. Er wollte verständlicherweise auch nicht zuletzt wegen der nun längeren und ausschweifenden Rückreisedistanz keine unnötige Zeit mehr verlieren. Sie wussten alle Bescheid, kannten seinen Befehl, würden danach handeln oder würden dazu stoßen. Man entschied wie vorgesehen zuerst eine Strecke in Marschrichtung Amelunxen bzw. Brakel auf dem gut ausgebauten römischen Hellweg zurück zu legen, von wo aus man dann an einer geeignet erscheinenden Stelle gedachte, auf die Abzweigung in die südliche Richtung einzuschwenken, also einen gradlinig und direkteren Weg in die Region der Aufrührer einzuschlagen.(19.10.2018)