Mittwoch, 5. Dezember 2018
Varus verwaltete die Einnahmen des Imperiums und trieb sie ein, aber auch seinen „Eigenanteil“
Neben der Frage wie man denn bei einem möglichen Ernstfall mit den vielen Frauen und Kindern umgehen sollte, die schlimmsten Falles das Schlachtfeld mit belagern würden, den Soldaten lästig werden konnten und die noch dazu zwischen die Fronten geraten könnten, beschäftigte Varus auch noch ein ganz anderes Thema. Und dies war für ihn nicht minder brisant. Denn Varus war es, wie wir es aus seiner unrühmlichen Vergangenheit her wissen gewohnt, sich auch privat zu bereichern. Bewegliche Werte wie er sie auch in jenem Schicksalsjahr an der Weser anhäufte und gleich welcher Art sie waren, wollte er natürlich unter keinen Umständen im Sommerlager, also bis ins nächste Jahr zurück lassen und zog es daher sicherlich vor, damit seine Schatullen am Rhein aufzufüllen und seine Villen zu schmücken. Und da man nun in ein mögliches Pulverfass aufbrechen würde, wollte er diese beweglichen Güter natürlich auch nicht der Gefahr aussetzen, dass sie im Zuge des Geschehens in Feindeshand gelangen oder beschädigt werden könnten. So ist zu erwarten, dass er die an ihn ergangenen Geschenke germanischer Delegationen genauso an den sicheren Rhein überführen wollte, wie auch sein eigenes prunkvolles und vermutlich zentnerschweres Tafelgeschirr aus gallorömischer oder römischer Manufaktur bestehend aus edlen Metallgefäßen und vielen Kleinodien, gefertigt aus wertvollen Werkstoffen. An welches Tafelsilber ich hier denke, Codewort „Hildesheim“ liegt natürlich auf der Hand. Edelmetalle, Zahlungsmittel in begrenztem Umfang sowie kostbares Mobiliar plus Schmuck werden ebenfalls dazu gehört haben. Requisiten und Auszeichnungen seiner Herrschaftswürde und ja, möglicherweise sogar Augurenstäbe, wenn diese wertvoll waren und auch eine vermessungstechnische und nicht nur eine rituelle Funktion gehabt haben sollten. Und nicht zu vergessen die bereits eingetriebenen monetären bzw. in Barren gegossenen Werte unter anderem aus den Silberbergwerken im Harz oder andere Steuereinnahmen wie man sie so in Besatzungsgebieten zu konfiszieren gewohnt war bzw. wie sie dort requiriert wurden, oder wie man sie sonst den Unterjochten abgepresst hatte. Wie immer es man ausdrücken möge. Güter die vielleicht in erster Linie dem römischen Staat zu standen, sofern Varus gedachte, da einen Trennstrich zu ziehen. Diese Reichtümer um die es ihm und dem Imperium ja letztlich bei allen Eroberungen und der Einrichtung neuer Provinzen nur ging, könnten ein ziemliches Ausmaß angenommen haben und dieses alles in ein mögliches Krisengebiet zu unberechenbaren Rebellen in unkalkulierbare noch nicht gänzlich einverleibte Gefilde mit zu nehmen, stellte zweifellos ein unnötiges aber letztlich vermeidbares Risiko hinsichtlich der Wahrung seines Besitzes dar. Konnte Varus es wagen seinen oder besser gesagt auch noch den Besitz des Kaisers in einen bereits angekündigten Unruheherd mitzunehmen ? Wie hätte er einen möglichen Teilverlust der Steuereinnahmen eines ganzen Jahres je nach Ausgang der Kämpfe dem Kaiser erklären sollen ? So war wohl später auch ein Teil der Trauer die der Kaiser nach der Varusschlacht für alle sichtbar machte auch dem entgangenen Gewinn geschuldet. Im Zwiespalt zwischen Besitzwahrung, man kann es auch Gier nennen und dem Auftrag möglicherweise doch einen Aufstand nieder schlagen zu müssen, war er wohl hin und her gerissen, wie er sich entscheiden sollte. Was sollte er tun ? Wahrlich für einen weniger charakterfesten Menschen wie Varus keine leichte Entscheidung. So wissen wir zum Beispiel von einem niedergermanischen Statthalter Namens Pompeius Paulinus, der zwischen 54 + und 56 + das feindliche Nordland durchzog, dass er sage und schreibe 12.000 Pfund also stolze sechs Tonnen an Tafelsilber mit sich geführt haben soll. Da stellt man sich schon die Frage, wie viel Wachmannschaften und Transportfahrzeuge nötig waren um diese immense Masse über die unebenen Altstraßen, Wälder und Bachläufe Germaniens zu bewegen. Es gehörte zur gewohnten Taktik Roms barbarische Stämme mit blinkendem Tand und Geschirr zu beeindrucken und sie mit der Perspektive auf möglichen Eigenbesitz gefügig zu machen. Man tat ihnen damit eine besondere Ehre an und sie wähnten sich mit dem römischen Reich zumindest für die kurze Zeit des gemeinsamen Gastmahles ebenbürtig und fasst auf Augenhöhe. Ein sehr großer Irrtum, wie es später viele von ihnen spüren und wohl auch bereuen sollten. Wenn schon ein im unteren Rang stehender niedergermanischer Statthalter nur wenige Jahrzehnte nach der Varusschlacht imstande war derartigen Reichtum vorzuführen, so ist es gut denkbar, dass ein höher gestellter Feldherr wie Varus noch über einen weitaus größeren Luxus verfügte. Nehmen wir nur an, er hätte ebenfalls sechs Tonnen Silber transportiert, wie viel Karren müssten allein dafür erforderlich gewesen sein und wie umfangreich erst wäre die Schutzmannschaft ausgefallen die er dafür abstellte. Desto wertvoller also die Fracht, desto umfangreicher der Geleitschutz. Alle diese Wagen hätte Varus, wenn er sich nicht anders entschieden hätte, über ein unbekanntes und holpriges Wegenetz mit ins unsichere Krisengebiet nehmen müssen. Wer wollte ihm verdenken, wenn er sich darüber Gedanken machte und wer wollte ihm diese Entscheidung abnehmen. Schon zum Zeitpunkt des Abzuges aus Höxter könnte er für sich genommen im berühmten „stillen Kämmerlein“ schon eine Aufteilung seiner Wertsachen beschlossen haben, um im äußersten Fall zumindest einen Teil seines Reichtums zu retten. Auf Varus lastete große Verantwortung. Sowohl für sich und seinen Reichtum als auch für seine Soldaten und zudem auch noch für eine große Menschenmenge, die er wohl behalten an den Rhein führen wollte. Da war für ihn der gut ausgebaute steinerne römische Hellweg der von Brakel aus nördlich von Neuenheerse nach Schwaney/Aliso die Egge hoch führte die weit aus bessere Alternative Frauen, Kinder und Werte aus allem heraus zu halten. Schließlich wurde diese Trasse für schnelle Karrentransporte und Kuriere vermutlich schon unter Drusus begonnen und dann bis zur Verkehrsader ausgebaut. Man stieß wie Friedrich Ludwig Hölzermann berichtete Mitte des 19. Jahrhunderts an zwei Stellen auf diesen alten der Beschreibung nach römischen Steinweg. Er könnte jenem ähnlich sein, der bei Oesterholz über die große Egge führte. Nach dem dieser frei gelegt und vermessen wurde erkannte man im Felsboden Gleisspuren die im Abstand von 1,40 Metern verliefen. Der Hohlweg konnte nicht datiert werden, aber die Spurbreite von Karren betrug zu Zeiten des römischen Imperiums 1,50 Meter, wobei es aber Abweichungen von mehreren Dezimetern gab. Die Steinwege die Hölzermann östlich von Schwaney beschrieb fand man am Netenberg bzw. dem heutigen Netheberg und dort wo die „Westfälische Eisenbahn“ die Egge durchschnitt statt. Warum also alles einem beschwerlichen und gefährlichen Umweg aussetzen, wenn es auch risikoloser ging. Damit kommt neben dem Schutz der Frauen und Kinder noch ein weiteres gewichtiges Argument hinzu, warum Varus ab Brakel seinen Zug spaltete und ihn auf zwei Wegen weiter marschieren ließ. Varus war kein unvermögender Mann war. Man sagte ihm ein übermäßiges Gewinnstreben nach, was er in Syria unter Beweis stellte. Paterculus prägte dazu den denkwürdigen Satz „Als armer Mann betrat er das reiche Syrien und als reicher Mann verließ er das arme Syrien“. Aber in Germanien soll sich dann der gleiche Varus, der in Claudia Pulchra eine äußerst anspruchsvolle und dem Kaiserhaus nahe stehende Adlige zur Frau hatte, wie ein sparsamer Asket benommen haben. Schwer vorstellbar. Einzig Cassius Dio wäre es bei seinem zeitlichen Abstand zu den Geschehnissen noch zuzutrauen gewesen, dass er auf das pikante Kapitel „Varus und sein Hort“ näher hätte eingehen können. Aber dazu wie pompös Varus an der Weser residierte und wie gut situiert er die Region alljährlich verließ, verriet uns Cassius Dio nichts. Es verwundert nicht, dass die antiken Historiker auch aus diesem Grund auf die vermeintliche Tatsache den Marschzug zu trennen mit keiner Silbe eingehen. Vermutlich, weil man ähnlich wie heute über diese Dinge die auch zu damaliger Zeit für die höheren Schichten als selbstverständlich galten, kein Wort verlieren brauchte. Ebenso logisch wie konsequent, dass Varus auch Germanien nicht als armer Mann verlassen wollte erwähnte Cassius Dio auch nicht, dass es da noch sehr Vieles um den Verlauf der Varusschlacht gab, zu dem auch er schwieg. Vielleicht liegt auch in der Sicherung seines persönliches Besitzstandes mit ein Schlüssel für die Frage begraben, warum es Varus wie magnetisch jeweils im Herbst in die warmen Winterquartiere am Rhein zog. Im Zuge der späteren Verdächtigungen gegenüber dem Legat Asprenas, dem Neffen von Varus, sich an den zurück gelassenen Besitztümer der umgekommenen Legionäre bereichert zu haben ist zu erkennen, dass auch der kleine Mann Vorsorge leistete und keine unnützen Risiken im Feindesland einging. Natürlich war es für Varus sehr wichtig diesem Transport in Richtung Aliso trotzdem auch eine angemessene Schutztruppe beizustellen. Soldaten die er später schmerzlich vermissen sollte. (05.12.2018)