Samstag, 6. Juni 2020
Segimund war nicht zu beneiden - Segestes verlangte im Frühjahr 15 + viel von seinem Sohn
Segestes wusste warum er Segimund, oder wie Tacitus ihn latinisiert Segimundum nannte, dem römischen Feldherrn entgegen schickte. Zum einen hatte Segestes ihm vermutlich seinen Wechsel vor dem Ausbruch der Varusschlacht ins Lager des Arminius noch nicht ganz verziehen was er nun wieder gut machen konnte und zum anderen schien Segimund der glaubhafteste Vertreter seiner Sippe gewesen zu sein, dem man es kraft seines Standes noch am Ehesten zutrauen durfte das Anliegen seines Vaters reumütig vorzutragen. Aber es fällt, wie im weiteren Verlauf ersichtlich werden wird, immer schwer Zusammenhänge aus dem Kontext zu reißen, wenn man sie wegen ihrer inhaltlichen Aussage von mehreren Seiten aus betrachten möchte, sie aber später wieder einzugliedern hat. Es ist nicht vermeidbar und ich hoffe verzeihlich. Tacitus beschrieb den Hergang der Belagerung mit den Worten “pugnatumque in obsidentes“, was besagt, dass Germanicus sich erst den Weg, bevor er zu Segestes durchdringen konnte noch mit Waffengewalt gegen die vermeintlichen Belagerer frei kämpfen musste. Wie schwer ihm dies fiel, auf wie viel so genannte Belagerer er stieß und wie umfangreich seine eigene militärische Kraft war mit der er sich aufgrund der Segimundbitte von seiner ursprünglichen Marschstrecke abbringen ließ wissen wir nicht. Nahm er seine gesamte Streitmacht mit der er gegen die Chatten zu Felde gezogen war, oder selektierte er vorher. Aber danach, also im Anschluss an die Kämpfe gegen die Cherusker, wie heftig sie auch immer gewesen sein könnten und wo sie auch immer statt fanden, befreite er Segestes. Tacitus drückt es mit den Worten „et ereptus Segestes“ aus, was in etwa „entreißen“ bedeutet. Er entriss also Segestes und seine Familie sozusagen den Klauen des Feindes. Und das Substantiv des lateinischen Wortes „ereptus“ ist der Raptor, der uns allen bekannte Greifvogel, aber auch der Räuber. Tacitus entwickelte daraus eine Vorstellung und bezeichnete die anwesenden Germanen dem Wortlaut nach wie eine Übermacht bzw. ging von einer germanischen Übermacht aus und als solches schlich es sich in viele Geschichtsbücher ein. Tacitus entnahm dies wie alles andere auch dem ihm vorliegenden Text und formulierte daraus die Worte gemäß seinem Jahrbuch 1.57 (1). Man übersetzte die Belagerer in unsere Sprache auch mit dem Wort Stammesgenossen die dann den Zugang zum Herrschaftssitz des Segestes unzugänglich gemacht haben sollen in dem sie ihn blockierten und den Germanicus nach Dornröschenmanier erst zu durchschlagen hatte. Eine Übermacht, die aber letztlich die Unterhändler mit Segimund an der Spitze passieren ließen. Ihnen demnach den Belagerungsring öffneten, damit diese Germanicus herbei rufen konnten klingt abwegig. Die gleichen „Belagerer“ also die später von Germanicus besiegt werden konnten trugen also dazu bei, dass man gegen sie römische Verstärkung alarmierte. Arminiustreue Kundschafter werden die militärische Lage sondiert haben und sich ein Bild über die anrückenden Soldaten des Germanicus gemacht haben um dann zu entscheiden, ob man sich ihnen in den Weg stellen wollte oder nicht. So stellt sich wie so oft die Grundsatzfrage, ob die Streitkräfte des Germanicus zu stark oder die der Cherusker zu schwach waren. Bis hier hin können wir also dem Tathergang in Spuren folgen die uns Tacitus hinterließ und wie er meinte, es aus seinen Vorlagen ersehen zu können. Zusätzlich zu Hilfe kommen könnten uns im Rahmen der Raumanalyse noch andere realer klingende, nämlich handfest stehende geographische bzw. topographische Faktoren. Germanicus war wie zu vermuten ist im Frühjahr 15 + von Nordhessen aus auf dem Rückweg an den Niederrhein. Denn von dort aus im Sommer 15 + des gleichen Jahres brach er zu seinem zweiten Feldzug gegen die Wesergermanen auf. Dies schränkte die Wahl seiner Wegstrecke zwischen dem Kampfgebiet ein, da sich der Zielbereich wo sich seine Legionslager befanden lokalisierbar ist. Zweifellos ein aus der Sachlage heraus rekonstruierter Wissensstand der sich daher in dieser Art auch in keiner Überlieferung findet und sich auch nicht mit Segestes als Quelle in Verbindung bringen lässt. Aber man wird einen Zugkorridor gewählt haben, den Segestes gekannt oder erwartet haben könnte. Da sich Germanicus bekanntermaßen auf dem Rückweg befand und Segestes einen Anhaltspunkt brauchte, wo er die von Segimund angeführte Delegation hinzuschicken hatte. Einen großen Angriff oder Krieg mit den Arminius Cheruskern vermied Germanicus im Frühjahr 15 + warum auch immer und ritt wie dargelegt also nicht nach Süden ins Mainzkastell wo er her kam, sondern plausibler Weise nach Westen an den Niederrhein. Die Schlussfolgerung, dass Germanicus nicht durch die Wetterau in Richtung Main ritt ließe sich zudem noch durch die Annahme stützen, dass sich bei dieser Streckenführung die Zugdistanz entgegen gesetzt zum Fürstensitz des Segestes Meile um Meile mehr vergrößert hätte, während er sich im Zuge der Westroute über die Diemel via Rhein noch längere Zeit zwischen Metze und Marsberg also parallel zur Segestes Burg bewegt hätte. Die Segimund Leute brauchten Germanicus infolgedessen nicht nachreiten ihn also nicht aufholen und mussten ihn somit auch nicht zur kompletten Kehrtwende überreden. Sie konnten seitlich auf ihn stoßen und die Distanz zu Segestes wurde für Germanicus verhältnismäßig, abschätz - und überschaubarer. So könnte er sich zum Zeitpunkt des Aufeinandertreffens noch unweit der Grenzen des Segestesgebietes aufgehalten haben. Germanicus umging demnach von Nordhessen aus kommend in der Folge das gesamte cheruskische Territorium an seiner südlichen Diemelflanke. Und somit auch den Herrschaftsbereich des Gaufürsten Segestes, den dieser bis zu seiner südlichen Ausdehnung kontrollierte. Germanicus hätte, ob mit oder ohne seinen Segestesexkurs später vermutlich die Route über den Haarstrang an den Niederrhein genutzt um im Frühjahr die Feuchtregionen zu meiden. Zu diesem frühen Zeitpunkt nach Beendigung der Verwüstungen bei den Chatten wählte er vermutlich eine Rückmarschroute aus Nordhessen kommend, die zwischen den Stämmen der Cherusker und Chatten lag wie man es oft tat um keinen neuerlichen Kriegsgrund zu provozieren. Und es sollte auch nicht übersehen werden, dass Germanicus zu diesem Zeitpunkt in Segestes noch den Feind und nicht den möglichen zukünftigen Partner sah. So war ihm in dieser Phase auch noch nichts über die Turbulenzen am Hof des Segestes bekannt. Und irgendwann nach Verlassen des bei Metze/Gudensberg vermuteten chattischen Hauptortes auf oder nahe dem heutigen Odenberg, dem ehemaligen Wuoden, also Wotansberg“ , als er sich gerade anschickte seinen Rückmarsch aufzunehmen, da stießen nun an einer nicht bekannten Örtlichkeit die Unterhändler von Segestes auf Germanicus und es erreichten ihn die versönlichen Signale aus dem bislang für feindlich gehaltenen Lager. Aber wie stellte es Segestes an, die Nachricht darüber, dass er in der sprichwörtlichen Klemme saß, an Germanicus zu überbringen. Und damit gleichzeitig die wichtige Botschaft, dass er sich nun entschlossen habe, die Fronten dauerhaft zu wechseln. Segestes wusste, dass Germanicus nicht weit südlich von ihm militärisch gegen die Chatten operiert hatte und konnte also seinen Aufenthaltsbereich grob erfassen, was auch noch auf seinen Rückmarschweg zutrifft. So konnte er Segimund dirigieren, denn seine Boten mussten Germanicus letztlich auch erst finden um ihn abfangen zu können. Die großen prähistorischen Transitwege von Ost nach West und umgekehrt vor dem Überschreiten der Diemel in der Region Ossendorf bis Marsberg mit Anschluss an den „Großen Hellweg“ waren überschaubar und die germanischen Buschtrommeln verrieten allen seinen Standort. Möchten wir es aber wagen in die pikanten Details einzusteigen, so stünde zunächst einmal eine Frage an. Nämlich die, wie es einer Delegation Segestes treuer Anhänger unter ihnen besagter Segimund und einer Reihe anderer überhaupt gelingen konnte unerkannt an den nur von Tacitus erwähnten Belagerern vorbei zu kommen. Wie von Segestes beschrieben und von Tacitus übermittelt soll es sich, wie es allerdings umstritten ist, um eine größere Anzahl gehandelt haben, von denen Segestes sich wie er vorgegeben hatte bedroht fühlte, so dass man für die Befreiung auf römische Unterstützung angewiesen war und sie erhoffte. Aber was wissen wir noch über die Belagerer die es laut Tacitus angeblich auf die Rückführung der Fürstentochter abgesehen hatten. Tacitus liefert uns dazu eine Darstellung die sicherlich nicht ganz oben auf dem Stapel seiner Lektüre lag und die er schon zu seinen Zeiten unter den alten Papieren aufstöbern musste. Denn nach fasst 100 Jahren dürften alle Schriftstücke aus den Tagen des Jahres 17 + schwerlich aufzufinden und erst recht nicht alphabetisch geordnet gewesen sein. In seinem Jahrbuch 1,57 (1) schreibt Tacitus dazu, das Segestes Germanicus um Hilfe bitten ließ. Dem entnehmen wir unzweifelhaft auch, dass er selbst in seiner Burg zurück blieb. Und auch was diese Textstelle und die weiteren anbelangt, so finden wir wieder keinen Hinweis darauf, wie Tacitus zu den zahlreichen detaillierten Ausführungen kam. Er stellte sie alle als Fakten dar und wir müssen rätseln, ob diese Informationen seinem Interpretationsbedürfnis entsprangen, den Segestes Verhören zu verdanken waren, oder aus dem Umkreis des Germanicus stammten. Und so schrieb Tacitus in seiner Sprache wie bereits dargestellt auch nichts von einer Übermacht die Segestes belagert haben soll. Dies leitete er wie so vieles auch nur aus den lateinischen Worten ab die ihm vorlagen. Denn was sollte es anderes gewesen sein als eine Übermacht, sonst hätte man Germanicus schließlich nicht um Hilfe gebeten. Tacitus verwendete die Worte „adversus vim popularium“. Worte die auch schon Cäsar benutzte, so dass sie sich aufgrund dessen gut übersetzen lassen, da es mehrere Bezüge und Vergleichsmöglichkeiten dazu gibt. Was meinte also der „Experte“ Julius Cäsar. Das lateinische Wort „adversus“ stellt grundsätzlich keine übersetzungstechnische Herausforderung dar, denn es bedeutet „gegen“. Der „Adversus“ war vom Prinzip her aber auch der politische Gegner bzw. das feindliche Gegenüber, dem ist auch nichts hinzuzufügen. Es war also von Gegnern die Rede, die Segestes in Gefahr brachten. Das Wort „vim“ steht schlechthin für Gewalt und auch das passt in die Szenerie wie sie Segestes einst in Rom vermittelt haben könnte. Aber für das Wort „Übermacht“ lässt sich in seinen Jahrbüchern unmittelbar kein lateinisches Wort finden. Übermacht kann man folglich als ein aus der Rekonstruktion geborenes Wort bezeichnen. Aber der Begriff „popularium“ erschwert die Klärung wer denn nun Segestes tatsächlich belagert haben sollte, so wie es Tacitus uns versucht hat näher zu bringen. Cäsar verwendet es mehrfach im Zusammenhang mit „volksfreundlich“, „volkstümlich“ oder „zum Volk gehörig“. Die gängige Übersetzungsliteratur beschränkt sich auf die Worte Stammesgenossen aber auch Landsleute. Heute würden wir jene Germanen die angeblich Segestes belagerten vielleicht auch Eingeborene oder Ureinwohner nennen. In beiden Fällen klingt es widersprüchlich, denn es müsste sich dabei sowohl um Kämpfer gehandelt haben die auf seiner Seite, als auch auf der des Arminius standen. Es war demnach ein in sich gemischt zusammen gewürfeltes Volk aus Cheruskern das vorsichtig ausgedrückt nicht mehr in Gänze die Meinung von Segestes und den ihm nahe stehenden Verwandten vertrat. Und genau so lässt es sich auch aus den Zeilen von Tacitus heraus lesen. Denn er erinnert uns zwischen den Zeilen an die menschliche Schwäche die uns oft nur zum scheinbar Stärkeren tendieren lässt. Und diesen hohen Stellenwert besaß in jener Zeit unter allen Cheruskern nur Arminius. Und das sowohl bei seinen eigenen Männern, als auch bei jenen der Segestes Sippe. Denn die Kühnheit die Arminius nicht nur ausstrahlte, sondern auch im Zuge seiner Erfolge unter Beweis stellte war beeindruckend, wirkte bei allen Germanen gleichermaßen und ließ sie in ihm ihren Anführer erkennen. Und Gegner bezeichnet man für gewöhnlich auch nicht als Genossen oder Landsleute, denn im Wort Genossen erkennt man einen im positiven Sinne besetzten Bezug zu einem nahe stehenden Personenkreis. Es waren eben auch Menschen darunter die in einer Region lebten, wo Segestes ihr angestammter Fürst war und nicht Arminius. So wird klar, dass Tacitus keinen Unterschied zwischen den beiden Anhängerschaften des Arminius bzw. des Segestes machte. So waren es schlechthin die „popularium“, also das ganze Volk, das sich auf die Seite von Arminius schlug und das demnach nicht nur im Jahr 9 + sondern offensichtlich auch wieder im Jahr 15 + . Es wäre aufgrund der Lage allerdings nahe liegender und plausibel gewesen, wenn bei Tacitus zum Ausdruck gekommen wäre, dass es sich bei den Belagerern nur um Männer aus der Arminiussippe handelte. Statt dessen wird kein Trennstrich gezogen, sodass man davon ausgehen darf, dass Segestes von Cheruskern belagert wurde die aus beiden Lagern stammten sich nach Darstellung von Tacitus also gemeinsam im Umkreis der Segestes Burg aufhielten und demnach dort etwas gegen ihn im Schilde geführt haben könnten. Ein Ansinnen das Segestes als Bedrohung ansah, es so gegenüber dem Tribunal im Palatin auch interpretierte oder es so auslegen wollte. Kurz gesagt. Segestes wurde nicht nur von Arminius Getreuen, sondern sogar von seinen eigenen Männern bedrängt was aber nicht bedeutet, dass er auch durch sie bedroht wurde. Männer die vielleicht auch ein ganz anderes Ziel verfolgten als nur Thusnelda zurück zu holen. Männer unter denen sich erstaunlicherweise nicht Arminius befand. Und es macht schon einen großen Unterschied, wenn Segestes nun außer den Arminen auch noch seine eigenen Männern gegen sich gehabt hätte. Erinnern wir uns, Germanicus stieß bei Segestes auf erhebliches Beutegut stammend aus den Varus Schlachtfeld Plünderungen allesamt also aus einst römischem Besitz. Segestes war also tief in das damalige Geschehen des Jahres 9 + verstrickt, anders als er und man es uns glaubhaft machen will. Zudem sah er nun, wenn er von der Wallkrone seiner Burg herunter blickte auch auf seine eigenen Landsleute. Hier wurde ein Riss deutlich der durch den engsten Kreis seines Fürstenhauses und seines Stammes oder Volkes ging. Es bestand ein offener Konflikt zwischen seinen Untergebenen und ihm der die Elite verkörperte und für den es Gründe zu suchen gilt, Gründe die uns die Historie vielleicht nicht offenbarte und die wir zwischen den Zeilen suchen müssen. Gründe die unseren Blick nur in die eine Richtung lenken wollen, nämlich in die eines Familienzwistes. Man muss sich aber auch die Frage stellen, was diese Germanen noch angetrieben und veranlasst haben könnte, Segestes „angeblich“ zu belagern. Allgemein nehmen wir gerne grob das Schema „Romeo und Julia“ an, da Derartiges die Menschen immer schon berührt hat. Arminius soll also seine Frau Thusnelda, deren Name uns nur Strabo hinterlassen hat von Segestes entführt und dann geheiratet haben. Dem darf man annehmen, sollte also eine Vermählung voraus gegangen sein. Allerdings eine Hochzeit abzuhalten an der der Schwiegervater Segestes nicht beteiligt war, dürfte für die damaligen matriarchalischen Zeiten schwer vorstellbar sein. Segestes soll sie dann nach der Hochzeit wieder zu sich zurück geholt haben, was als Gewaltakt dargestellt wird. Arminius wiederum soll in dieser Phase seltsamerweise sogar zeitweise ein Gefangener von Segestes gewesen sein, entkam ihm dann aber. In einem dritten Akt soll dann Arminius versucht haben, Thusnelda erneut den Händen seines Schwiegervaters zu entreißen. Wir grübeln hier also schon über einem dritten Entführungsfall in Folge. Ein Mehrfachraub, der sich möglicherweise über einige Monate oder Jahre hinzog. Der uns nur aber wiederum nur aus dem Munde des Segestes überliefert ist und uns daher misstrauisch machen muss. Hier kochte sich also möglicherweise wie man so sagt ein Cheruskerfürst seine eigene Suppe zusammen und die bestand darin geschickt ein Absetzmanöver zu begründen und zu inszenieren. Nun befand sich also Thusnelda bei ihrem Vater Segestes in seiner Burg und das eventuell gar nicht mal so unfreiwillig. Aber so muss es nicht gewesen sein, denn auch dafür gibt es keine Hinweise anderer Historiker die man zum Vergleich heranziehen könnte. Und wie so oft scheint es auch hier wieder so, als ob es dafür nur den einen Gewährsmann gab, nämlich Segestes persönlich. Seine Tochter hätte also auch ohne Entführung durch den Vater zu ihrem Vater zurück gegangen sein können. Was auch verwundert ist die Vorstellung, dass Segestes von einer recht zahlreichen Schar Germanen belagert worden sein soll. Aber was ist diese große Kriegshorde wert, wenn es ihr trotzdem nicht gelang, die Segestes Burg zu erstürmen. Man könnte also auch davon ausgehen, dass die Männer gar nicht die Absicht hatten die Burg zu nehmen. Was aber umso mehr erstaunt ist eine Erkenntnis, die sich aus den Zeilen von Tacitus erschließt und die irritierend wirkt. Denn Arminius befand sich noch nicht einmal selbst unter diesen Belagerern. Aber hätte man nicht erwarten dürfen ja sogar müssen, dass sich gerade Arminius zu Segestes aufgemacht haben sollte, um seine Angetraute von ihm zurück zu holen. Aber mitnichten, denn er hielt offensichtlich andere Dinge für wichtiger. Möglicherweise zog er es vor die heimische Abwehrfront gegen Germanicus aufzubauen und sie moralisch zu stärken, zu stabilisieren, sie auf die kommenden Aufgaben einzuschwören, sich also mehr dem Kriegshandwerk zu widmen, als sich um die Freilassung seiner Frau zu bemühen. So beließ es Arminius dabei, wenn wir dieser Geschichte glauben schenken wollen, indem er lediglich ein Kontingent ins vermeintliche Vogelbeck entsandte, dass seinen Befehl ausführen sollte. Versetzen wir uns aber auch in die Lage von Thusnelda. Sollte sie wirklich von ihrem Vater gegen ihren Willen festgehalten worden sein, so wird sie sich die Frage gestellt haben, warum sich ihr Mann nicht selbst an ihrer Befreiung beteiligen konnte oder wollte. War sie es ihm nicht wert, dass er persönlich kommen wollte, war er wirklich nicht abkömmlich, oder war es im Umkehrschluss nicht sogar so, dass sie bei ihrem Vater aus freien Stücken heraus bleiben wollte, weil ihr die Lage im zukünftigen Kampfgebiet zu gefährlich wurde und auch ihr Mann Arminius dabei hätte umkommen können. Hatte nicht Segestes vielleicht auch eine Frau, die dann möglicherweise ihre Mutter gewesen wäre und bei sie sich sicherer gefühlt hätte. Und war es tatsächlich so, dass Arminius überhaupt diese Abordnung entsandt hatte um durch sie seine Frau zu befreien und der Grund nicht ein ganz anderer war, denn er selbst befand sich bekanntlich nicht darunter. So könnte man auch fragen, warum es den Arminen nicht gelungen sein soll die Festung zu erobern. Der Verteidungszustand mag gut gewesen sein und unklar ist auch wie viel Männer überhaupt noch hinter Segestes standen die die Burg gegen die vermeintlichen Belagerer verteidigen konnten. Eine allemal diffuse möglicherweise auch nicht glaubwürdige Überlieferungslage die uns im wesentlichen nur von Segestes zugetragen wurde. Segestes war über den Krieg den die Römer gegen seine unmittelbaren Nachbarn im Süden überzogen informiert. So geriet er unvermittelt zwischen die Fronten. Auf der einen Seite jene Germanen die sich Arminius zugehörig fühlten und zum anderen die Legionen des Germanicus. Mit dieser Lage sah er sich nun im Frühjahr 15 + konfrontiert und es verdeutlichte ihm seine missliche Situation. So verharrte er in seiner Burg und ließ sich soweit es damals möglich war informieren. Boten trugen ihm die Nachricht zu, dass Caecina die Marser bezwang und das zusammen gerufene Cheruskerkontingent daraufhin in vorsichtige Wartestellung ging. Aber dann bekam Segestes die Nachricht, dass sich Germanicus aus Nordhessen zurück zog und die Ereignisse überschlugen sich. Was ihn den Entschluss fassen ließ, diese möglicherweise letzte Gelegenheit zu nutzen sich aus Germanien abzusetzen. Segestes ging nun das Risiko ein, sich ausgerechnet jenem Mann anzuvertrauen der sich die Germanen zum erbitterten Feind gemacht hatte. So entschied er sich also seinen Sohn Segimund zu Germanicus zu entsenden um vorfühlen zu lassen. Segimund wird von Tacitus „juvenis“ genannt und somit von ihm als Jüngling beschrieben, der sich recht unwohl in seiner Rolle wähnte und der nun im Auftrag seines Vaters den heiklen diplomatischen Drahtseilakt durchzuführen hatte. Aber auch hier stürzt uns Tacitus wieder in ein Gewirr an Informationen die uns keine Sichtachse auf die Herkunft seiner Einschätzung frei geben. Denn wer hätte in der damaligen Zeit für Tacitus Zeilen hinterlassen aus denen man einen nahezu verängstigten und zögerlichen Jüngling hätte heraus lesen können. Auf welche Weise sollten derartig persönlich gehaltene, ja sogar gefühlsartige Äußerungen in Form von Beschreibungen Eingang in die Quellen gefunden haben aus denen Tacitus schöpfte. Sollte tatsächlich ein höherer Offizier aus der Umgebung des Germanicus etwas derart Mitleid erhaschendes in einer melancholischen Phase über den bedauerlichen Segimund später zu Protokoll gegeben haben. Kaum vorstellbar, sodass man auch hier annehmen darf, dass Tacitus wieder seinem inneren Gemüt folgend sich das Zusammentreffen so vorstellte. Apropos „juvenis“. Also die Jugend mit seiner Leichtigkeit schlechthin, bzw. die „junge Person“, sprich der Jüngling. Ein lateinisches Wort zu dem Tacitus griff um altersbedingte Hilflosigkeit und Unerfahrenheit zum Ausdruck zu bringen. Segimund demnach also eine bedauernswerte Kreatur, jung an Jahren, leidgeprüft Vater und Schwester verpflichtet und zu nun Füßen des großen Feldherrn liegend, schmachtend und sich erniedrigend. Daneben dann der alles verzeihende großmütige Germanicus ganz so wie es Tacitus seine Träume vorgaukelten. Aber auch realistisch ? Vor dem Ausbruch der Varusschlacht war Segimund ein heidnisch frommer Tempeldiener in Köln. Aber in seiner Männlichkeit erwachend auch beseelt vom Kampfesmut seines Idols Arminius schlug er sich auf seine Seite und kämpfte mit ihm gegen Varus. Wenn er ein kräftiger Bursche war, konnte er ihm vielleicht schon im Alter von 15 oder 16 Jahren nützlich gewesen sein. Ihn also mit den Worten von Tacitus über fünf Jahre später noch als „juvenis“ anzusprechen, als er schon über zwanzig war klingt da schon etwas fragwürdig. Woher Tacitus dann erfuhr, dass man Segimund auf das gallische Ufer führte könnte demzufolgte wieder eine historische Lückenschliessung dargestellt haben, also eine reale Information, die er dann mit seinen Vorstellungen verband. Vermutlich war aber Segimund auch einer der wenigen die etwas der lateinischen Sprache mächtig waren und die er sich angeeignet haben könnte, als er eine Zeit als Priester am Ubieraltar in Köln diente. Und dieser Segimund stand nun vor Germanicus und hatte die Aufgabe das so genannte freie Geleit für sich und seine Familie zuerst durch die germanischen und gleichzeitig die römischen Linien auszuhandeln. Es wurde aber auch für ihn zur Feuertaufe, denn er gehörte damals zu den Familienangehörigen des Segestesclans die besonders für die Arminiusfraktion brannten und wir kennen alle die Episode wie er sich das heilige Band vom Kopf riß bevor er zu Arminius über trat. Nun musste er eine Kehrtwendung vollziehen, ganze Überzeugungsarbeit leisten und mit Engelszungen sprechen um Germanicus zu versichern, dass im vermeintlichen Vogelbeck keine Falle auf ihn warten würde. Segimund war nun der Mann, dem man die schwere Bürde auftrug alle Register der Unterwürfingkeit zu ziehen, damit der Plan seines Vaters in Erfüllung ging. Aber kein Historiker verriet uns welcher Dialog sich da zwischen Germanicus und Segimund entspannte als sie aufeinander trafen. Und nachdem Germanicus ihn angehört hatte, hatte auch der Mohr Segimund seine Schuldigkeit schnell getan und Germanicus veranlasste, dass man ihn unter Bewachung auf die westliche Rheinseite bringt. Ein indirekter Hinweis auf seine Geiselnahme falls die Eskapade unerwartet verlaufen wäre, denn den Ritt zur Segestesburg machte er wohl schon ohne ihn. Unterdessen verharrte Segestes in seiner Burg und blickte gebannt vielleicht in die Richtung des nur 60 Kilometer entfernten Desenberges, einer südlichen frühsächsischen vielleicht auch schon cheruskischen Grenzfestung aus der Germanicus hätte kommen können.(06.06.2020)