Sonntag, 7. März 2021
Cassius Dio löst das Rätsel um den Verrat des Segestes
Pirschen wir uns nun langsam an Cassius Dio heran und das, was er uns über die letzten Stunden vor dem Abzug sagen konnte (oder wollte ?). An dieser Stelle gilt der Augenmerk jedoch vornehmlich dem, was er über Segestes wusste. Cassius Dio hinterließ uns als einziger antiker Historiker die willkommene Zusammenfassung über den kompletten Abriss der Varusschlacht. Erst dank seiner Bemühungen und Aufzeichnungen liegt uns eine halbwegs strukturierte Darstellung über das gesamte Geschehen vor. Aber sein großer Verdienst besteht darin, dass sich die Schlacht erst durch ihn als ein sich über mehrere Tage hinziehendes Marschgefecht identifizieren lässt und sich am ersten Tage noch kein germanischer Feind blicken ließ. Nur er verschaffte uns etwas Einblick in den Verlauf und gab uns die Möglichkeit eine zeitliche und geographische Schablone über die Ereignisse zu legen, wie es uns kein anderer Historiker vor ihm bieten konnte. Auf diese Weise ließ sich eine Plausibilität aufbauen auf deren Basis es erst gelingen konnte, die einzelnen Episoden und Schauplätze an ihren Platz zu setzen und sie der Landschaft Ostwestfalens anzupassen. Seine Schilderungen halfen zu erkennen, dass der erste Marschtag nach dem Verlassen des Lagers bis zum Sonnenuntergang einen ruhigen Verlauf nahm. Ein Marsch auf passabler Straße, bei gutem Wetter, zwischen zwei römischen Niederlassungen und durch Freundesgebiet. An diesem Tag entfernte man sich nur eine Tagesetappe also rund 21 Kilometer vom Hauptlager und er diente lediglich dem Anmarsch zum ersten Rastlager. Und sowohl aus logistischen, als auch tageszeitlichen vor allem aber distanztechnischen Gründen, konnte es nicht nur, sondern durfte es auch an diesem Tag noch zu keinen Kampfhandlungen von Seiten der Germanen kommen. Denn die germanische Taktik beruhte darauf, dass man erst am zweiten Marschtag von Brakel zu den Rebellen in den Angriffsmodus wechseln wollte. Cassius Dio öffnete uns auch erst die Augen dafür, dass Varus den Marschzug aus strategischen Erwägungen heraus aufteilte, ja sogar aufteilen musste. Aber in der puren Logik liegt der Schlüssel zur Varusschlacht. Denn nur Cassius Dio verdeutlichte uns, dass es Arminius gar nicht möglich gewesen sein konnte alle von ihm aufgelisteten und Arminius zugeschriebenen Aktivitäten an einem einzigen Nachmittag, nämlich am ersten Tag vollbringen zu können. Arminius war kein Übermensch, soll aber nach dem großen Aufbruch noch einige Zeit gemeinsam mit Varus geritten sein, bevor er sich entfernte um seine Männer zu mobilisieren. Die hellen Tagesstunden reichten jedoch nicht aus, um dann noch mit seinen Kriegern die Abstellungen nieder zu machen und Varus auch noch in den Rücken fallen zu können. Denn die zu überbrückenden Entfernungen waren dafür zu groß um die Abstellungen samt Tross handstreichartig zu überwältigen, die Gefangenen dingfest zu machen und die Beute zu sichern. Diese Rechnung konnte nur aufgehen, wenn man dafür die frühen Stunden des zweiten Marschtages mit einbezieht. Erst die Ankündigung und das Eintreffen von Arminius auf dem Schlachtfeld könnte für die Stämme am Wegesrand das deutliche Signal gewesen sein, die Kämpfe verstärkt aufzunehmen, denn nun befand sich ihr Feldherr unter ihnen. Plausibel und von unrealistischen Betrachtungen gereinigt liegt nun das Geschehen vor uns, serviert wie auf einem Silbertablett und lässt kaum noch Fragen offen. Kein Florus, Tacitus oder Paterculus brachte es schon fasst so minutiös auf den Punkt wie Cassius Dio es tat. Würden wir seine Aufzeichnungen nicht kennen, dann wäre unser Wissen um die deutsche Frühgeschichte in jener Zeit um ein Vielfaches leerer und rätselhafter als es ohnehin schon ist. Mit ruhiger Hand lässt sich nun auch im Konzert mit den übrigen Historikern das Monumentalgemälde "Varusschlacht" mit den letzten Federstrichen und Farbtupfern graphisch, vielleicht besser gesagt als Radierung vollenden. Cassius Dio schrieb seine Zeilen aus einer großen Distanz zum Geschehen heraus und in einer völlig anderen Epoche. Bei ihm überwogen klare Wortwahl und sachliche Nüchternheit. Dadurch kann in diesem Kapitel nun ein weiterer bislang irritierender und wenig diskutierter Widerspruch aufgelöst werden, was mit dazu beiträgt der Schlacht weitere Schleier zu entziehen. Im Verlauf dieses Internet Buches ist es aber möglich auch noch andere Argumentationslücken mit Indizien gleichen Vorstellungen zu schließen. So müssen die uns nebulös wirkenden Vorgänge erst aufgeweicht werden um sie wieder erhärten zu können, damit sich gewachsene Mythen besser ausräumen lassen. Wie ein Panoramabild aber beileibe kein Phantombild entsteigt der Schlachtenverlauf dem Betrachtungsraum östlich der Egge und es lassen sich die Stationen von Beginn an nicht nur greifen, sondern dank dem bekannten Endpunkt, dem "Saltus Teutoburgiensi" auch noch an Ort und Stelle lokalisieren. Und man möchte es kaum glauben, denn es lässt sich sogar einigen guten Hinweisen nachgehen, wonach sich fasst parzellenscharf die Örtlichkeit definieren lässt, wo Arminius einst den Schlusspunkt ans Ende des Gemetzels setzte. Der Nethegau, eine unauffällig wirkende und entrückte Nische der Weltgeschichte weitab vom Rampenlicht gelegen, die sich nur aus diesem Grund solange verstecken und unentdeckt bleiben konnte. Denn dort hatte bislang kein Historiker die Varusschlacht auf seinem Schirm. Eben eine typisch deutsche Allerweltlandschaft die auch schon vor 2000 Jahren die gleichen Geländestrukturen aufwies wie heute. Eine Region wo man nicht nach den Römern suchen brauchte und wollte, da dort keiner mit ihnen und erst recht keinem Varus rechnete. Und das obwohl sich nur wenige hundert Meter neben dem Schlachtfeld der 415 Meter hohe "Varenberg" erhebt. Und nur im "Teutoburgiensi saltu" konnte die antike Historie einen fixen Anhaltspunkt entdecken und erwähnen, der sich hinterlassen ließ. Eine schlichte und somit auch unbeschreibliche Kalksteinlandschaft, ohne markante Auffälligkeiten, einprägsame Besonderheiten oder eindrucksvolle Merkwürdigkeiten. Teilweise bedeckt mit dichtem Wald, örtlich verbreiteten Sümpfen, feuchten Niederungen und durchzogen von Bachtälern. Ein welliges Terrain, dass sich nach Süden hin in die Bördeebene öffnet. Das aber auch ein Geländerelief aufweist, dass den Spielraum für übergreifende Verbindungen erheblich einschränkt, denn versumpfte flussnahe Wege wurden gemieden. Ein wesentlicher Faktor der die Suche vereinfacht wodurch sich der Zugkorridor leichter auffinden lässt. Und alles wäre auch völlig namenlos geblieben, gäbe es da nicht diesen besagten Schluchtenpass um dem trichterartigen Nethegau nach Westen hin entkommen zu können. Eine der wenigen geographisch gut bestimmbaren Landmarken und ein Wegweiser ohne den man der Schlacht nicht schon vor zwei Jahrtausenden hätte einen Namen geben können und ohne den Tacitus die Schlacht gar nicht hätte verorten können. Möchte man den heraus ragenden Hinweisgebern zur Entdeckung des Varusschlachtfeldes eine Rangfolge geben, so wäre dies an erster Stelle zweifellos P. C. Tacitus gewesen, ihm folgend C. Dio aber auch H. Klabes. Aber dieser "Bördenpad" muss auf die Legionäre damals wie ein befreiendes Fanal der Rettung gewirkt haben, dass man wie unerreichbar am Horizont erahnte, von weitem als solches im Wald liegend nicht erkennen konnte, von dem man aber wusste, dass man es anzusteuern hat, wenn man noch lebend dem Inferno entgehen wollte. Und die wenigen Entkommenen entgingen wohl auch nur dank dieses Aufstieges dem Tode, gelangten so in Sicherheit und überlebten. Denn außer diesem Anstieg ließ es die Egge weit und breit nicht zu bezwungen zu werden. Viele Römer unter ihnen auch Marcus Caelius hatten es nicht geschafft. Aber genug der Poesie. Als die Nachricht von der Niederlage des Statthalters Varus in Rom einschlug, zuckte das Imperium zusammen. Historikernamen sind uns aus dieser aufgeheizten Phase I unmittelbar nachdem die Kunde in Rom die Runde machte nicht bekannt. Historiographen wie es Gaius Julius Hyginus einer gewesen sein könnte, könnten zu den Ersten gezählt haben, die die frühen Nachrichten noch persönlich in Empfang genommen haben könnten und zu Papier brachten. Segestes war in dieser Zeit noch ein völlig unbeschriebenes Blatt und auch die Phase II die mit Ovid und Manilius einsetzte, kannte noch keinen Segestes. Erst Strabo der um 23 + verstorben sein soll und den man noch der Phase II zuordnen kann, kannte zwar schon Segestes, wusste oder berichtete aber nichts über seinen Verrat. Die Lage änderte sich erst im Zuge einer Phase III, die mit Paterculus seinen Anfang nahm bzw. durch die auf ihn folgenden Historiker Tacitus, Florus und Dio. Und für alle bis auf Cassius Dio stand fest, dass Segestes mit seiner Warnung die Varusschlacht noch abwenden wollte. Dem ich aber hinzufügen möchte, hätte abwenden können, wenn er es denn ernsthaft gewollt hätte. Diverse analytische Prozesse bezogen auf die Aufarbeitung der Darstellungen von Paterculus, Tacitus und Florus lassen Abweichungen und Irritationen erkennen, die auch an der Glaubwürdigkeit von Segestes rütteln und sie in Frage stellen. Die Phase III endet hier nun mit Cassius Dio. Er brachte uns jedoch insofern in Bedrängnis, als dass sich seiner Überlieferung keine klare Aussage darüber entnehmen lässt, wonach man allein in der Person des Segestes den Verräter sehen könnte. Denn er nannte uns im Gegensatz zu Paterculus, Tacitus und Florus erstaunlicherweise nicht seinen Namen. In der Phase III fanden sich aber offensichtlich all jene zusammen, die letztlich die Auffassung vertraten, Varus habe man vorher und das eingehend auf die Gefahrenlage hingewiesen. Und das trifft zweifellos auch zu, allerdings kann von eingehend keine Rede sein. Und natürlich war Varus vom Grundsatz her seine militärische Lage nicht unbekannt. Denn der erste Germane der Varus überhaupt erst auf einen rebellierenden Stamm und die damit einhergehenden Risiken aufmerksam machte und darauf hinwies war der, der ihn dort hin locken wollte also wohl kein anderer als Arminius selbst, der die heikle Nachricht wie auch immer streute und verbreitete. Er war auch der, der Varus daraufhin großzügig seine militärische Unterstützung anbot, weil er besser als alle wussten, dass es brenzlig werden würde. So gehörte zweifellos auch Arminius zum Kreise derjenigen, die Varus schon frühzeitig auf die möglichen Gefahren hinwies oder wie Cassius Dio es ausdrückte, ihn zur Vorsicht mahnten. Und genauso schrieb es auch Cassius Dio, denn er sprach nicht von einem einzigen Warnruf, gar aus dem Munde von Segestes, sondern er sprach von mehreren Personen, genau genommen sagte er wohl "alle". Varus war demnach also schon von einigen Personen umgeben, die ihm "alle" eindringlich rieten er möge doch besonders achtsam sein. Aber der von Cassius Dio geschilderte Sachverhalt erfordert noch einen kritischen Blick auf die Reihenfolge der Geschehnisse. Denn seiner Überlieferung nach wurden die vielstimmigen Warnungen sonderbarer Weise schon laut, noch bevor sich "gewisse weiter entfernt lebende Germanen empörten", die eigentliche Rebellion also noch gar nicht ausgebrochen war.

Und so hört es sich der Übersetzung nach in einer leichter lesbaren und daher schwach abweichenden Form an, was Cassius Dio zu sagen hatte:

- Varus glaubte sich völlig sicher und befürchtete daher
auch kein Unheil.
- Männer, die die Entwicklung mit Argwohn
beobachteten und ihn zur Vorsicht mahnten schenkte
er keinen Glauben.
- Im Gegenteil er verleumdete sie sogar und warf ihnen
vor sich grundlos zu erregen.....

UND ERST DANACH SCHREIBT CASSIUS DIO :

...."da empörten sich nach geheimer Absprache zuerst gewisse weiter entfernt lebende Germanen".

In seinem Umkreis sorgte man sich also schon zu einem Zeitpunkt ernsthaft um das Wohlergehen aller, als sich die "weiter entfernt lebenden Germanen" noch gar nicht empört hatten. Hier schienen nebulöse Vorabnachrichten den später eingetretenen tatsächlichen Ereignissen voraus geeilt zu sein. Ein Hinweis auf eine sich schon länger anbahnende oder auch erst seit wenigen Tagen bekannte Konfliktsituation. Allemal eine kritische Zuspitzung die sich bereits hoch schaukelte, als Varus selbst noch keine Kenntnis darüber besaß und daher auch die ersten Warnungen in den Wind schlagen konnte. Ein Sachstand der auch darauf hindeutet, dass zwischen den ersten Nachrichten über den ausgebrochenen Aufruhr bis zum Abzug der drei Legionen aus dem Hauptlager nicht viel Zeit verstrich. Und damit brachte Cassius Dio Hektik ins Spiel. Die Verwirrung um den Aufstand könnte auch von Segestes im Hintergrund ausgelöst betrieben oder bezweckt worden sein, der sein Wissen vielleicht zeitgleich mit Arminius darüber im Lager verbreitet hatte und noch bevor die Neuigkeiten Varus erreichten. So fand die aktuelle Lage offensichtlich schon zu einem früheren Zeitpunkt eine größere Verbreitung als der Feldherr noch keine Kenntnis besaß. Aber aus den Erläuterungen von Cassius Dio geht mit keiner Silbe hervor, dass Varus oder das man im römischen Generalstab darüber informiert war, dass Arminius und Segimer dazu die Fäden gezogen hatten. So wie es nach Paterculus, Tacitus und Florus von Segestes behauptet wurde und auch nichts von seinem Vorschlag sich und alle germanischen Fürsten in Fesseln legen zu lassen. Davon schrieb Cassius Dio nichts. Nun war eine erste Unruhe zu verspüren, es herrschte keine gelassene Aufbruchstimmung mehr aber niemand, mit Ausnahme der Germanen wussten genau, was man sich unter diesem Aufstand vorzustellen hatte. Aus welchem Munde Varus letztlich die Nachricht von diesem Aufruhr erhielt ist nicht bekannt. Arminius müsste es lanciert haben, da er es war der Varus auf diese Weise in den Hinterhalt locken wollte. Vielleicht müssen wir hier sogar noch das Undenkbare denken, dass nämlich Segestes in diesem Fall sogar indirekt als Erfüllungsgehilfe von Arminius auftrat in dem er zum Verkünder der Unheilbotschaft hinsichtlich des Aufruhrs avancierte, auch ohne das Cassius Dio seinen Namen erwähnte. Aber es wird eine explosive Gemengelage deutlich in der Arminius dem Feldherrn seine loyale Unterstützung zusagte. Und plötzlich ging alles etwas übereilt vonstatten, denn nun waren neue und andere Planungen nötig. Solange es Arminius gelang den Zeitpunkt der Nachricht vom Aufruhr hinaus zu zögern um so mehr gelang es ihm, eine für die folgenden Aktionen taktisch wichtige Unruhe zu erzeugen. Es scheint, als ob es gelang den Konflikt lange und bis kurz vor dem Abzug geheim zu halten. Es brach nun eine Verwirrung aus, die unsicher macht und die nach schnellen Entscheidungen ruft. Eine Lage die aber auch Fehlentscheidungen begünstigt. Eine Lage in der man nicht mehr lange fragt, sondern sich zum Handeln genötigt sieht. Da wird dann auch ein Hilfsangebot von Arminius mal schnell angenommen ohne über andere taktische Schritte nachzudenken. Eventuell den Aufruhr völlig zu ignorieren oder die treuen Cherusker alleine mit der Niederschlagung zu beauftragen. So ist es denkbar, dass Varus diesen warnenden "Auguren" im begrenzten Maße sogar geglaubt und ihnen ihre Sorgen auch abgenommen hatte, sie aber zu diesem Zeitpunkt mangels klarer Hinweise noch für völlig unbegründet hielt. Erst danach erreichte Varus vielleicht sogar aus dem Munde von Arminius selbst die Nachricht vom Aufruhr und er erkannte nun erst die Realität die hinter den Warnungen steckte die er zuvor erhielt und abtat. Was geschah also nach Cassius Dios Worten und was ließ sich daraus ableiten. So kann und muss man wohl auch zu der Auffassung gelangen, dass Varus wenige Tage vor dem Abzug aus dem Sommerlager noch keinerlei Absicht hatte in das Gebiet der Aufrührer zu ziehen, da ihm zu diesem Zeitpunkt der Reihenfolge nach zu urteilen, noch gar nichts von einem rebellierenden Stamm bekannt war. Denn nach Cassius Dio warnte man ihn doch schon bevor ihn Nachrichten über die sich empörenden Germanen erreicht hatten. Kein Grund also um die Rückwegstrecke nur aufgrund einiger Warnrufe zu verändern. Warnrufe von Männern die also schon die Gefahr kannten noch bevor die Nachricht aus dem Süden eintraf, wenn wir seiner Satzfolge folgen. Aber nur in seinem Bericht ist nun erstmals nicht mehr nur allein von "Segestes" die Rede, sondern von "allen" die ihm zur Vorsicht rieten. Ganz im Gegenteil zu Paterculus, Tacitus und Florus die Segestes noch in voller Überzeugung er wäre es allein gewesen nannten. Man war also in seiner Umgebung definitiv schon früher über den Krisenherd oder Ernstfall informiert als Varus selbst, also offiziell Kenntnis davon erhielt. Man kann es sich gut vorstellen und dazu gibt es die schöne Beschreibung, es wurde schon "gemunkelt". Aber nun war der Feldherr informiert und wie so oft erfuhren es die maßgeblichen Entscheidungsträger erst zuletzt und er musste handeln. Und von dem Moment an, als er die Nachricht von der Empörung bekam wurde ihm auch eines unmissverständlich klar. Denn nun fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, dass die vorher an ihn ergangenen Warnungen entgegen seiner ursprünglichen Annahme doch nicht grundlos erfolgten. Er musste sich eingestehen schon gewarnt gewesen zu sein, noch bevor sich die Kunde vom Aufruhr bis zu ihm durchsprach. Eine Entwicklung die ihn hätte beunruhigen sollen, denn sie erreichte ihn nicht von römischen Spähtrupps sondern von germanischen Informanten. Erst von diesem Augenblick an lagen für ihn die Fakten auf dem Tisch. Nun wird ihm wohl sein anfänglicher Optimismus vergangen sein und ein nüchternes Kalkül dürfte die Oberhand gewonnen haben. Denn nun konnte er sich auch nicht mehr so sicher gewesen sein, kein Unheil befürchten zu müssen, wie es die Quellen berichteten. Im Nachhinein musste er nun "kleine Brötchen backen" und hatte auch den schon vorher besorgten Männern in seinem Umfeld glauben zu schenken. Und er durfte ihnen nun erst recht nicht mehr den Vorwurf machen sich grundlos erregt zu haben. Denn nun sprach die Nachricht aus dem Süden für sich und sie war überdeutlich. Das nun aus der klaren Kenntnis der Bedrohungslage heraus auch automatisch der Chor der Warner anschwoll die sich zu Worte meldeten ist verständlich, denn nun krochen die kritischen und besorgten Äußerungen aus allen Löchern. Und jetzt war allen bewusst, dass Vorsicht geboten war und dazu bedurfte es auch keiner großen Phantasie mehr. Und Segestes könnte nun auch einer der vielen anderen gewesen sein, die ihm jetzt erst zur Vorsicht rieten. Aber er wäre demnach nicht mehr der einzige gewesen, der Varus warnte. Eine Warnung von ihm mag es vor diesem Hintergrund auch gegeben haben, aber im Kreis der übrigen Besorgten ging sie unter. Demnach könnte es im Reigen der anderen warnenden Stimmen in der Tat auch eine taktische Warnung von Segestes gegeben haben um nicht in Verdacht zu geraten wissen zurück zu halten. Aber eben auch nicht mehr und nicht weniger und auch ohne das er damit Schaden für die gemeinsame germanische Sache hätte anrichten können. Aber was machte Segestes später daraus als er die Front wechselte. Denn nun wollte er es allein gewesen sein, der um diese Zeit schon genau wusste, wer hinter dem Aufruhr steckte. Und natürlich wusste er es auch und das auch schon lange, aber er verschwieg es dem Feldherrn gegenüber. Varus war nun in Zugzwang und sein weiteres Tun und seine Befehle lassen sich dem Kriegsbericht von Cassius Dio entnehmen und rekonstruieren. Aus den Worten von Cassius Dio lässt sich nun in verständlicher Weise auch der Sachstand vor dem Abzug entnehmen. Keine Äußerung von ihm dahingehend, dass Segestes der Mann der Stunde war und auch kein Wort zu seinem Vorschlag, man möge doch alle in Fesseln legen. All dies vermissen wir bei Cassius Dio der sich für die Mehrzahl "allen" entschied und Segestes die Schicksal spielende Rolle versagte und der es ihm absprach die Hauptperson gewesen zu sein. Segestes tritt bei ihm mit keiner Silbe in Erscheinung. Durchschaute Cassius Dio möglicherweise 200 Jahre nach der Schlacht das doppelte Spiel, das damals Segestes trieb und konzentrierte sich nur auf den reinen für ihn nachvollziehbaren Sachverhalt. Oder konnte er diese Details über Segestes den so hoch gehandelten Senatsakten gar nicht mehr entnehmen, weil sie nicht darin vorkamen. Warum auch hätte Cassius Dio, wenn er denn den Namen Segestes gelesen hätte, ihn nicht auch angeben sollen. Kein Wort mehr über den Mann, dem Paterculus, Tacitus und Florus noch alle an den Lippen klebten, dessen Lebensbeichte sie alle verinnerlicht hatten und dem sie sich alle bedingungslos anschlossen und es sich zu eigen machten und der sie, und damit auch uns vermutlich hinters Licht führte. Doch als Cassius Dio schrieb existierte wohl ein Segestes schon gar nicht mehr in seinem Geschichtswerk. Segestes, der Schutz suchende abtrünnige Germane dem es erst 15 + in Ostwestfalen zu heiß zu werden schien und der einen Grund brauchte sich absetzen zu können. Der Mann der mal in aller Munde war und den man damals frei wirken und reden ließ, den man aber auch instrumentalisiert haben könnte, den man dann aber aus der Historie tilgte, als man seine Aufgabe als erfüllt ansah. Somit setzte Cassius Dio im 3. Jahrhundert den Schlusspunkt in der Reihe der antiken Historiker der Phase III, die sich mit der Warnung bzw. der Person Segestes befassten. Denn er schilderte die Ereignisse völlig anders als seine drei Vorgänger, setzte sie in einen anderen Kontext und auch eine andere Reihenfolge. Und es ist auch keine Rede mehr bei ihm von einer oder mehreren letzten Warnung auch noch am Vorabend der Schlacht. Für ihn besaß Segestes keine Bedeutung mehr. Zweifellos hatte Cassius Dio Probleme damit, dass Überkommene nach bestem Wissen und Gewissen zu strukturieren. So ließ sich rekonstruieren, dass Cassius Dio mit der chronologischen Abfolge, etwas überspitzt ausgedrückt zeitweise auf Kriegsfuß stand. So sollte man noch am Rande vermerken, dass man die Warnungen der besorgten Männer möglicherweise auch als ein zeitgleiches Ereignis zur Botschaft aus den Rebellengebieten betrachten könnte. Das also die besorgten Minen der umstehenden erst in dem Moment ihren Ängsten Ausdruck gaben, als die Nachricht der vermeintlichen Aufrührer schon im Sommerlager und auch bei Varus bekannt war. Aber dieser Umstand wirkt sich nicht wesentlich auf den Hergang aus, denn der deutliche Hinweis von Cassius Dio auf "mehrere" bzw. "alle" warnenden Stimmen macht das essentiell Bedeutsame vor allem aber Glaubhafte seiner Erwähnung aus. Und natürlich muss uns Cassius Dio der letzte antike Historiker mit seinem Hinweis verwirren, dass es eben "alle" Männer waren die dem Rückzug der Legionen ins Rheinkastell samt späterem Abstecher, also dem Umweg über den Saltus mit Sorge, Skepsis und Argwohn entgegen sahen, was auch nicht verwundert. Also ausnahmslos "alle" die Varus nahe standen waren nun der gleichen Meinung. Varus also völlige Unkenntnis zu unterstellen wie es etwa bei Florus anklingt, greift folglich zu kurz. Vereinfacht ausgedrückt hatte er die Lage letztlich nur unterschätzt. Aber wo sollte der Grund dafür zu suchen sein, dass bei C. Dio der Name Segestes nicht mehr auftaucht. Hatte sich etwa der Kenntnisstand nach dem ersten Auftreten von Segestes in Rom in den Jahrhunderten danach so verbessert, dass Dio es schon als erwiesen ansehen konnte, oder das sich ihm der Verdacht förmlich aufzwang, dass es nicht nur einen gab, sondern es sogar "alle" waren, die Varus darauf aufmerksam machten und er es daher literarisch problemlos wagen durfte, nun sogar von mehreren warnenden Stimmen sprechen zu können. Ungeachtet dessen, kam von Cassius Dio der letzte bekannt gewordene geschichtliche Hinweis darüber, dass man Varus vor der Schlacht eindeutig auf eine mögliche Gefahr hinwies. Ergänzungen oder Korrekturen anderer Historiker folgten danach nicht mehr. Oder aber hatte sich die "Ruhmestat" des Segestes, der von Varus nicht erhört wurde, nach rund 200 Jahren schon so verfestigt, dass Cassius Dio ohne Skrupel zu spüren sogar darauf verzichten konnte Segestes beim Namen zu nennen. Möglich, denn auch Segestes war dem Varus nahe stehend und könnte auch zu dem Personenkreis gezählt der ihn warnte. Und darin ist nichts verwerfliches oder unglaubwürdiges zu erkennen. Segestes musste ihn ja schon nahezu gewarnt haben um nicht verdächtig oder gar als Mittäter zu wirken. Um es auf den Punkt zu bringen und ohne an dieser Stelle auf die brisanten restlichen Formulierungen und Inhalte der diesbezüglichen Überlieferung von C. Dio näher einzugehen sticht zweifellos diese eine Kernaussage heraus. Und sie besteht eigentlich nur aus dem schlichten Wort "ALLEN". Nachdem Paterculus, Tacitus und Florus einzig immer nur Segestes mit der Warnung verbanden und sonst niemanden, durchbricht Cassius Dio damit nun auf komplexe Weise mit seiner Überlieferung dieses wie eingeschwore wirkenden Dreigestirn. Nach Dio, sah sich Varus also schon einem ganzen Chor von Unkenrufern gegenüber, die allesamt ihre warnende Stimme erhoben. Römische Generäle, hohe Staatsbeamte, auch einflussreiche Germanen, vor allem aber jene Germanen der Arminius Koalition, die die Absicht verfolgten ihn trotz der Gefahrenlage zu dem Umweg zu ermuntern. Als eine weitere Erklärungsvariante gesellt sich noch die Überlegung hinzu, dass sich abgehoben von anderen Darstellungen Cassius Dio eine eigene Realität fernab vom Ursprungskern der Paterculus Überlieferung schaffen und sich nicht an ihm orientieren wollte. Sozusagen seiner schriftstellerischen Seele freien Lauf lassen wollte, dass es nicht nur einen Warnruf gegeben haben konnte, sondern es davon definitiv mehrere gegeben haben musste. Denn ein Varus und ein Segestes stehen nie allein auf der großen Bühne wenige Stunden vor einem für die damaligen Verhältnisse gigantischen Marschzug Geschehen. Wir wissen zwar sogar von Cassius Dio selbst, dass ihm viel an der Plausibilität und Verständlichkeit seiner Niederschrift lag und er sich daher möglicherweise kleinerer Abweichungen bedient haben könnte, aber hier geht es schon nicht mehr nur um unbedeutende Nuancen, sondern um einen gravierenden Unterschied. Ungeachtet dessen, kommt aber Cassius Dio, wie seine drei Vorgänger auch nicht völlig umhin, den früheren Darstellungen zur ergangenen Warnung einige Zeilen zu widmen und es somit zu erwähnen. Auch er wollte darauf nicht verzichten, obwohl es eine logische Konsequenz ist, dass man auf der Hut sein sollte, wenn ein derartiger Marsch bevor steht, so dass es zusätzlicher Warnungen eigentlich schon gar nicht mehr bedurft hätte. Cassius Dio, der den Schlusspunkt unter die Varusschlacht setzte sendete damit das beeindruckende und gleichzeitig trügerische Signal, wie bedeutsam man doch die im Vorfeld an Varus ergangene Warnung noch über 200 Jahre nach der Schlacht in der Antike einstufte. Das eine war das Verhalten eines einzelnen Germanen, dass auf viele Römer so abschreckend und unverständlich zugleich gewirkt haben muss und das andere, dass dieser Mann gegen alle moralischen Vorbehalte sogar Verrat am eigenen Volk verübt haben soll. Dies grub sich letztlich nur in die Köpfe von Tacitus und Florus stark ein, die zwischen Paterculus und Cassius Dio lebten und unter dem Einfluss des "Paterculus Syndrom" standen. Ausgerechnet ein Germane, wo sie doch nach Paterculus alles Lügner gewesen sein sollen glaubte man jedes Wort. Das andere war der politische Druck der sogar noch nach seinem Tod auf Varus lastete und immer wieder wach gehalten wurde. Aber was könnte Cassius Dio so lange Zeit nach der Schlacht noch seinen Vorlagen entnommen haben woher stammten sie und wie zuverlässig waren sie. Schriften die ihm vorgelegen, auf die er detailliert einging und die wir mangels anderes Wissens als glaubwürdig einschätzen. Glaubhaft auch, weil vieles andere aus seiner Feder schlüssig und nicht nach Phantasie klingt. Machte sich möglicherweise auch noch das Wissen der erst später frei gekauften oder befreiten römischen Geiseln in den ihm vorliegenden Papieren bemerkbar und floss mit ein, dass Tacitus und Florus noch nicht besaßen. Wir wissen zudem, dass es auch wenige Überlebende gab, die für die Informationen in Frage gekommen sein könnten. Denn von ihnen könnten auch noch einige persönlich an den Gesprächen mit Varus im Sommerlager teil genommen haben und sich unter den damaligen Zuhörern befunden haben, was erst verspätet Eingang in die Akten gefunden hätte. Nach Cassius Dio zu urteilen sollen die Umstehenden Varus heftig angegangen sein, denn er musste sie nahezu brüsk zurück weisen, da sie sich seiner Ansicht nach unnötig erregten. Wagt man den Versuch in Tacitus eine mögliche Quelle für Cassius Dio zu sehen, dann ließe sich dies, wenn überhaupt am Ehesten in den Schicksalsstunden am Vorabend der Schlacht ausmachen. Der Abend an dem Segestes nach Tacitus 1,55 (2) den letzten von mehreren Versuchen gestartet haben soll Varus die Augen vor der tatsächlichen Gefahr zu öffnen, nämlich vor den Arminius Cheruskern. Aber auf diesen Vorabend als das beschriebene Gastmahl statt fand und man danach die Waffen für den folgenden Tag an sich nahm, geht Cassius Dio mit keiner Silbe ein. Dies wäre dann nach Cassius Dio der entscheidende Zeitpunkt gewesen zudem Varus das penetrante Verhalten "aller" die ihn warnten schroff zurück gewiesen haben müsste. Diese von Cassius Dio geschilderte Episode jedoch an diesen Vorabend zu verlegen ist schlecht möglich. Denn am Vorabend des Abzuges gab es bereits niemanden mehr, der sich "grundlos oder unnötig" erregt hätte. Denn spätestens am Vorabend wusste jeder und natürlich auch Varus, dass man durch ein Krisengebiet ziehen würde was mit nicht kalkulierbaren Unabwägbarkeiten verbunden war. Zur Heftigkeit wie es Cassius Dio zum Ausdruck brachte müsste es demnach gekommen sein, als man im Hauptlager noch gar nichts vom Aufruhr wusste. Ein Zeitpunkt zudem sich Varus daher auch noch völlig sicher fühlen konnte, denn sonst hätte er die Warnungen nicht abgetan. Denn an diesem Vorabend erregte sich keiner mehr unnötig und aus allen Minen dürfte man eher Besorgnis heraus gelesen haben. Dio hatte also nicht die gleiche Quelle genutzt wie Tacitus und es ist auch nicht erkennbar, dass er in Teilen bei Tacitus abgeschrieben haben könnte. Somit lässt sich diese Überlegung nicht aufrecht erhalten. Hinweise auf Paterculus oder Florus als unmittelbare Quelle lassen sich nicht erkennen, obwohl seine Schilderungen mit ihnen kompatibel sind. Man geht also bis Cassius Dio davon aus, dass Varus wenn überhaupt, dann auch immer nur von Segestes gewarnt wurde. Da es aber wohl keine authentischere Quelle als die des Paterculus gab, der sozusagen noch seine Hand fasst am Puls von Segestes hatte, kann man daraus wohl schließen, dass sich Segestes immer nur persönlich als der "große Warner" verkaufte. Von anderen warnenden Stimmen war bei Paterculus, Tacitus oder Florus nichts zu lesen. Erst Cassius Dio bereitete dem Phantom Geschehen um Segestes ein Ende, indem er ihm eine unbedeutende Rolle im Konflikt zuwies und völlig ohne ihn auskam.(07.03.2021)