Donnerstag, 27. Dezember 2018
Der Krieg in Pannonien - Marbod triumphierte - Varus hatte das Nachsehen
Beide Ereignisse, sowohl der nur im Ansatz statt gefundene Feldzug gegen Marbod im Jahre 6 +, als auch der mitten in den Aufmarsch hinein geplatzte Aufstand in Pannonien im gleichen Jahr lagen, wenn auch nur wenige Monate oder Jahre, so doch noch vor der Varusschlacht. Sie warfen folglich ihre langen Schatten voraus. Nach über 2000 Jahren ist es allerdings ein schwieriges und nahezu vergebliches Unterfangen den Querverbindungen zwischen den Ereignissen nachzuspüren, die für mögliche Analysen und Zahlenspiele hinsichtlich der Varusschlacht hilfreich sein können. Doch schon bei oberflächlichem Hinsehen fallen sie ins Auge. Der Böhmen - und der Pannonienkonflikt sind in Ursache und Struktur nicht miteinander vergleichbar und erfordern daher auch unterschiedliche Betrachtungsweisen. Das Schicksal hatte Varus, da er als Statthalter über Legionen befehligte die Rolle eines Bindegliedes zugewiesen. Dadurch saß er einige Jahre bildhaft gesprochen, zwischen den berühmten Stühlen der damaligen Weltpolitik. Obwohl er die römische Macht in Ostwestfalen stabilisieren sollte und seine Aufgaben zu erfüllen hatte, verlangten es Loyalität und Raison von ihm, dass auch er seinen Anteil an den militärischen Aktionen zu erbringen hatte. Letztlich wurde er selbst zum Betroffenen und hatte die dramatischen Konsequenzen zu tragen. Aufgrund der komplexen Lage reicht eine Sichtweise allein auf die Ereignisse nicht aus, immer wieder muss daher alles neu aufgeschnürt, angepackt und wenn nötig auch zurück gespult werden um nichts auszulassen. In diesem und den folgenden Abschnitten ist es daher unvermeidlich immer mehrere Standpunkte einzunehmen, die Blickwinkel neu auszurichten sie zu verschieben und immer wieder neue Anläufe zu wagen. Sich quasi wie ein Schatten neben die Protagonisten zu stellen, sie förmlich zu beobachten, um deren Handlungszwänge zu verstehen und zu hinterfragen. Es war eine Zeit kaum fassbarer Herausforderungen die in kürzester Zeit vor allem auf den unumstritten wichtigsten Mann am Platze nämlich Tiberius zu kamen und sich auf ihn konzentrierten. Denn er war der Mann im Mittelpunkt des Geschehens. Seine Wünsche, Ziele und Motivationen ergründen zu können, um sich am Ende in sein Weltbild zu versetzen und sich in seine Zeit zu Denken ist nahezu waghalsig. Kommt man ihm dabei zu nahe, so spürt man schon intuitiv wie dicht die germanischen Speere an ihm vorbei geflogen sein mussten. Denn Tiberius war die herausragende Gestalt schlechthin und er prägte wie kein anderer die germanische Frühgeschichte über viele Jahrzehnte. Und er tat es wohl selbst dann noch, als er schon römischer Kaiser war. Immer wieder begegnet er uns in den Jahren. Und obwohl er bereits auf eine lange Liste militärischer Großtaten zurück blicken konnte, erleben wir ihn in Germanien erst, als er uns durch seinen Gewaltritt auffiel. Wie er nämlich noch seinen sterbenden Bruder vermutlich an der Weser lebend antreffen wollte und dafür einige Tage nicht aus dem Sattel gekommen sein soll. Sollte man mal nach einem Menschen Ausschau halten wollen, der mit an der Wiege des Germanentums zur Zeitenwende gestanden haben könnte, so hätte ihm wohl der Platz am Kopfende zugestanden. Allerdings nicht als Heilsbringer oder Friedensstifter, sondern eher als der schwarze Ritter. Aber zurück zur Realität. Als sich im Frühjahr 6 + die Legionen des Tiberius aus zwei Stoßrichtungen immer näher auf den Markomannen König Marbod zu bewegten, traf urplötzlich die Schreckensnachricht aus Pannonien ein. Man kann annehmen, dass dies in Gestalt reitender Boten geschah. Es musste alles für Tiberius ultimativ, glaubhaft und offensichtlich alternativlos für sein weiteres Handeln geklungen haben. Wer sie überbrachte wissen wir nicht. Was geschah daraufhin. Tiberius wird in kürzester Zeit reagiert haben und musste es wohl auch. Er wendete die Einheiten die gerade erst mit ihm aus Carnuntum anmarschierten und dirigierte die aus Nord - und Westarmee gebildete Formation mit der er sich ursprünglich vor dem Hauptangriff auf Marbod vereinigen wollte in einem logistischen Kraftakt ebenfalls nach Pannonien um. Nach dieser schockierenden Katastrophenmeldung wird Tiberius jedenfalls eines garantiert nicht gemacht haben, denn es hätte gegen jede Feldherrn Logik verstoßen. Keinesfalls hätte Tiberius daraufhin die Mainzer Saturninus Westarmee, als auch die niederrheinischen Nord Legionen komplett und sozusagen unverrichteter Dinge wieder zurück in ihre Kastelle an den Rhein entlassen. Denn nun brauchte er alle Legionen noch weit aus dringender, als es für den ursprünglich geplanten Markomannen Feldzug nötig gewesen wäre. Tiberius war es damals selbst, der zwischen 12 – und 9 – Pannonien für das römische Reich erobert hatte. Unvorstellbar, dass er nun tatenlos zuschauen würde, wie sich 15 Jahre später seine Erfolge in Luft auflösen, und sein Kampf umsonst gewesen sein sollte. Den Aufstand in Pannonien nieder zu schlagen, bekam daher für ihn und das Imperium umso mehr die oberste Priorität. Selbst nur Teile aus seinen Legionen auszugliedern um sie wieder in ihre Garnisonen am Rhein zurück zu schicken, wird er nicht in Erwägung gezogen haben. Die Konsequenzen aus der neuen Lage waren für die römische Niederrhein Front in Nordwest Germanien augenscheinlich und sie dürften sich auf alle Planungen des Feldherrn Varus als sehr kritisch erweisen. Diese brisante Phase tiberianischer Wendemanöver könnte in die April bzw. Maitage des Jahres 6 + gefallen sein. Soweit die Ausgangslage zum Zeitpunkt der historischen Ereignisse im Frühjahr 6 +. Aber damit nicht genug, denn nun war für Tiberius guter Rat auch in anderer Hinsicht teuer, denn wie sollte er jetzt mit Marbod weiter verfahren, der nun irgendwo triumphierend in seiner Hütte saß. Und wie wird man Tiberius damals die Tragweite und Dimension des Aufstandes beschrieben haben und welche Vorbereitungen daraus resultierend hatte Tiberius nun zu treffen. Wie beurteilte er um dies Zeit die militärische Lage. Würden die zwölf für den Markomannen Feldzug zusammen gezogenen Legionen überhaupt ausreichen um damit in Pannonien etwas bewirken zu können. Was verrieten die Nachrichten aus Pannonien im Detail. Auf Armeeteile zu verzichten dürfte Tiberius bei der unklaren Informationslage sicherlich für zu gewagt gehalten haben, aber musste er nicht eventuell sogar auch noch an die Aufstockung seiner Truppe für Pannonien denken. Und wie wir wissen, dachte er nicht nur daran sondern er tat es auch. Hier, vielleicht irgendwo an einer strategisch günstigen Stelle des Böhmer - bzw. des Šumava Waldes, weit ab vom „teuto burgiensi saltu“ könnte damals auch von Tiberius eine schicksalhafte Vorentscheidung darüber mit gefallen sein, wie es nun mit Varus in Ostwestfalen weiter gehen sollte. Denn auch die angedachten bzw. von mir fiktiv ins Leben gerufenen zwei Legionen aus seinem Kontingent würde Tiberius im Pannonieneinsatz dringender brauchen und wird sie ihm in dieser heiklen Phase nicht wieder angegliedert haben. Varus war in keiner beneidenswerten Situation. Nach dieser Theorie würde ihm bis auf Weiteres ein nicht unbedeutender Teil an Legionären, die er für den Aufbau eingeplant hatte, nicht zur Verfügung stehen. Trotzdem hatte er die Pflicht und musste die Lage in Germanien stabil halten. Eine neue Provinz zu erschließen ließ sich nicht nach dem Reißbrett umsetzen und Varus wird seine Strategie den Gegebenheiten angepasst haben. Vorkehrungen für eine Schlacht brauchte er jedenfalls nicht treffen, da dies im Jahre 7 + in seinen Gedankenspielen nicht vor kam. Eines scheint aber klar gewesen zu sein. Varus musste dieser Hypothese nach in Unterzahl seine Ostwestfalen Mission im Jahre 7 + angehen, denn die Männer die einst aufbrachen um Marbod zu besiegen, wurden nun nach dem Schwenk in Richtung Donau in Pannonien mehr gebraucht. Möglicherweise sah Varus darin aber noch nicht einmal ein gravierendes Problem, denn der „Immensum Bellum“ hatte dauerhaft Wirkung hinterlassen, die Germanen in West - und Ostwestfalen waren stark geschwächt und in den Cheruskern sah Varus in dieser Zeit noch vertragstreue Partner und Verbündete, denn ein römischer Ritter Arminius und sein Bruder Flavus hielten bekanntlich für Rom ihre Köpfe hin. Vermutlich rechnete er auch wieder mit Aufstockungen durch ihm möglicherweise zugesagte zurück fließende oder andere Verbände aus Gallien. Aber welchen Truppenbedarf hatte Tiberius in Pannonien. Es ist überliefert, dass ihm für diesen Einsatz drei Legionen mehr zur Verfügung standen als gegen Marbod. Es gibt gute Hinweise dafür, wo und wie er diesen zusätzlichen Bedarf an Kämpfern deckte. Einer Anweisung oder besser gesagt, wohl dem Befehl von Augustus oder Tiberius auch an Varus Kräfte für Pannonien abzustellen, konnte er sich wie ich konstatierte sowieso nicht widersetzen. Varus durfte und wollte es letztlich auch nicht, denn auch schon der Markomannen Feldzug geschah aus einer imperial übergeordneten Interessenslage heraus, die das gesamte System berührte und der Pannonienaufstand erreichte noch eine ganz andere Dimension und nahm für das Reich weit aus kritischere Ausmaße an als der Markomannen Feldzug. Da aber Tiberius noch bis 6 + als Statthalter von Niedergermanien erwähnt wird, könnte er auch selbst die Anweisung an die Kommandanten gegeben haben, noch weitere Kräfte für Pannonien abzustellen. Nach dem „Immensum Bellum“ war und blieb es aber sehr ruhig in Germanien und Varus hatte noch nicht den negativen Ruf, den er später bekam. Sollten germanische Hilfstruppen in diesem Fall auch Cherusker wie ich nicht ausschließen möchte, auch schon für den Feldzug gegen Marbod angeheuert oder verpflichtet worden sein, so hätte Tiberius auch diese bereits im Herbst/Winter 5 + / 6 + ausheben müssen, da der Aufmarsch gegen die Markomannen im Frühjahr 6 + beginnen sollte. Dies ist möglich, aber nicht nachweisbar. Als damals Tiberius noch gegen Marbod und noch nicht für Pannonien mobilisieren brauchte, sprach sich das auch bis Ostwestfalen durch. Die ausgelösten Truppenbewegungen und Verschiebungen an der gesamten Rheingrenze ließen sich nicht verheimlichen. Als aber die Armeen des Tiberius im Frühjahr 6 + gegen Marbod ausrückten und kurz darauf gegen Pannonien gerichtet wurden, lag in Ostwestfalen ein mögliches Anrücken der Varusarmee ein Jahr später im Frühjahr 7 + unvorhersehbar und in weiter Ferne. Es wird angenommen, dass Arminius erst zu jenen Cheruskern gehörte, die sich Tiberius anschlossen, als er seine Armee auf 125.000 Soldaten für Pannonien aufstocken musste. Arminius wird in diesen Zeiten noch ein anderer Mensch gewesen sein. So könnte er demnach auch erst im Sommer oder Herbst des Jahres 6 + zur Tiberius Armee stieß und demzufolge am Markomannen Feldzug noch nicht teilnahm. Es bleibt im Dunklen, aber diese Überlegung ist letztlich für die Gesamtbetrachtung auch unerheblich, da sie keinerlei Auswirkungen auf den Verlauf der Varusschlacht hatte. Aufgrund der umfangreichen infrastrukturellen Maßnahmen parallel zur Lippe und darüber hinaus sowie der Fülle an Funden aus jener Zeit nimmt man an, dass die zahlreichen Kastelle Hafenanlagen und Wegebaumaßnahmen auch in der Zeit als Varus Statthalter war, fort gesetzt wurden. Darauf basierend wird als gegeben angenommen, dass Varus es unmittelbar nach Amtsantritt auch darauf anlegte, nach Ostwestfalen auszurücken, da es für ihn viel zu tun gab. Diese wäre demnach das Jahr 7 + gewesen. Spätestens also als Varus im Frühjahr des Jahres 7 + Xanten verließ, um die weiteren Erschließungsarbeiten in Ostwestfalen anzuordnen oder fortzuführen, kämpfte sein späterer Gegenspieler und Erzfeind Arminius bereits für Rom in Pannonien. Varus querte Ostwestfalen folglich in einer Zeit, als der Aufstand in Pannonien vermutlich seinen Höhenpunkt erreichte oder ihm entgegen steuerte und Tiberius seine ganzen und vielleicht sogar letzten Kräfte gegen die Aufständischen werfen musste, denn der Sieg in Pannonien musste wie man von der Schlacht in den Volcäischen Sümpfen weiß, überall schwer erkämpft werden. So könnte sich in etwa die Chronologie vor und nach dem gestoppten Markomannen Feldzug vollzogen haben. Die alten Herren Segimer und Segestes vermutlich noch in trauter Eintracht mit einander verbunden, handelten mit Varus in diesen Tagen noch den einen oder anderen „Knebelvertrag“ mit Varus aus. Aber in dieser Zeit fiel auch die personelle Schwäche der Varuslegionen noch nicht ins Gewicht, denn sie wurden an keiner Stelle heraus gefordert. Aber so einfach war es nicht. Denn als die bittere Nachricht und das nur fünf Tagesmärsche vor der ersten Feindberührung mit Marbod aus Pannonien eintraf, stellte sich für Tiberius die peinliche Frage, wie denn nun ein sicherlich sehr erstaunter König Marbod auf die plötzlich veränderte Lage reagieren würde. Vergegenwärtigen wir uns seine komfortable Situation. Marbod und seine Oberhäupter sahen in der Ferne ein gewaltiges Heer bestehend aus 12 zu allem bereiten Legionen in zwei Blöcken auf sich zu marschieren, er hatte alle seine Kämpfer sozusagen bis auf den letzten Mann mobilisiert und einen Schlacht- oder notfalls auch einen Rückzugsplan ausgearbeitet. Immer vorausgesetzt er hatte nicht an eine frühzeitige Kapitulation gedacht. Nun erlebte er wie ihm offensichtlich höhere Mächte seine Geschicke aus der Hand nahmen. Welchem Gott hatte er das nur zu verdanken. Wie muss er sich gefühlt haben, als er statt der erwarteten römischen Phalanx im Morgengrauen eine Gruppe Emissäre und Unterhändler in römischen Uniformen auf sein Lager zu reiten sah. Womöglich noch völlig ungewohnt weiße Fahnen schwenkend, die ihm nun ein Gesprächsangebot mit Tiberius, seinem schärfsten Widersacher in Aussicht stellen wollten. Aus der Not geboren, war Tiberius nahezu im Handumdrehen gezwungen, mit seinem ärgsten Gegner von gestern einen für das Imperium höchst unangenehmen, aber doch einen Freundschaftsvertrag genannten Pyrrhusfrieden zu schließen. Eine kaum zu überbietende Schmach und Demütigung für das stolze Imperium, dass sich Tiberius nun zu ihm herab lassen musste. Es gab also kaum eine Alternative, als dass es zu einem sehr fragwürdigen und zerbrechlichen Frieden kommen musste, über den Paterculus später einmal sagte „Marbod habe nun Krieg und Frieden gleichermaßen in der Hand gehalten“. Mit anderen Worten, Tiberius gab Marbod nahezu freie Hand in Germanien, gleich ob er Krieg oder Frieden bevorzugte, Hauptsache er ließ sich besänftigen und Tiberius konnte Pannonien für das Imperium retten. Denn nun galt es vordringlich das Heimatland Italien zu schützen, dem die Aufständischen in Pannonien sogar mit Knechtschaft gedroht hatten. Keiner hat uns überliefert was Tiberius und Marbod gemeinsam aushandelten. Aber was könnte und musste Tiberius ihm alles versprochen und zugesagt haben, um ihm das Versprechen abzuhandeln, Revanchegelüste gleich welcher Art zu unterdrücken. Möglicherweise ließ er ihm unter der Auflage das Imperium nicht anzutasten sogar freie Hand für weitere Abenteuer in Germanien. Das Imperium provozieren brauchte Marbod jetzt jedenfalls nicht mehr, denn es kroch sozusagen vor ihm im Staub. All dies klingt so phantastisch, als ob irgendwo in den Wälder Germaniens bereits unterschriftsreife Vereinbarungen existierten die Tiberius und Marbod nur per Handschlag absegnen brauchten, aber so wird es nicht gewesen sein. Verträge in der damaligen Zeit konnten eine sehr kurze Lebensdauer haben aber das so genannte Verhandlungsergebnis stand dann doch irgendwann und Tiberius konnte sich nach Pannonien begeben. Wie man aber dieses seltsam zustande gekommene Stillhalteabkommen zwischen den zwei Großmächten allerdings auf Ostwestfalen bezogen unter den Cheruskern aber auch den anderen germanischen Stämmen die bis zur Elbe und darüber hinaus siedelten bewertete, ist fraglich. Vermutlich noch im Frühsommer 6 + veränderte der Aufstand in Pannonien somit von einem Tag auf den anderen die gesamte geostrategische Lage in Zentralgermanien. Im Jahre 6 + war Ostwestfalen im Zuge des Flächenbrandkrieges des „Immensum Bellum“ noch zu stark geschwächt und daher unfähig jeder Art Widerstandsgedanken gegen wen auch immer zu hegen. Aber nun spielten aufgrund der aktuellen Ereignisse in Pannonien plötzlich die Markomannen eine dominante Rolle, die bis nach Ostwestfalen ausstrahlte. Willfährige und von Marbod abhängige Kleinstämme konnten nun unkontrolliert oder sogar im verdeckten Auftrag Marbods auch in Thüringen oder in die Harzregion einfallen um dort frei schalten und walten zu können. Marbod hätte ungestraft jede Beteiligung daran zurück weisen können und konnte auf diese Weise sogar seine Zusagen gegenüber Tiberius bequem einhalten. Alles war denkbar, alles war ihm zuzutrauen und alles hätte für die Region an der Mittelweser gefährlich werden können. Der germanische Stamm der Markomannen, der nach seiner Niederlage gegen Rom 9 - seine alten Wohnsitze am Main verlassen musste und nach Böhmen abwanderte bzw. sich dahin rettete war dagegen wieder erstarkt und aus der Asche auferstanden. Sie standen von Harz und Weser nur einige Tagesmärsche entfernter, als die nun durch den Pannonien Aufstand eingeschränkt angriffsfähigen und zur Zurückhaltung gezwungenen Römer am Niederrhein. In Germanien sprich in Ostwestfalen und Südniedersachsen gingen alle diese bedrohlichen Nachrichten wie Lauffeuer durch die Fürstenhöfe. Denn nun deutete sich für die Region an der Weser schon nahezu ein Zweifrontenkrieg ab. Im Südosten lauerten die Markomannen und ihre Vasallen und im Westen der ungeliebte neue Vertragspartner Rom, von dem man auch nicht wusste was man von ihm, der sie gerade mit Krieg überzogen hatte, erwarten sollte. Was tat die Altwelt in derartigen Fällen ? Wie überall, sie schaute sich nach neuen Bündnispartnern um und schmiedete neue Allianzen um sich nötigenfalls dieser möglichen Gefahrenlage durch die Markomannen entgegen stellen zu können. Für den Fall, dass diese die Absicht haben sollten, dass römische Vakuum in Ostwestfalen für ihre Interessen im Zuge des römischen Zwangsfriedens zu nutzen, so wären sie gerüstet gewesen. Und nun hatte Varus ausgerechnet in dieser Umbruchzeit seine Provinzpläne für Ostwestfalen gefasst bzw. wollte sie umsetzen und nicht aufgeben. In einer Phase in der man die letzten Kräfte nicht mobilisieren sollte und derartige Eskapaden eigentlich unterlassen müsste. Auch dann, wenn sie in Ostwestfalen für scheinbar friedliche Aktionen gedacht waren. Das es nun nicht zu einem Angriff von Marbod nach diesem für ihn aus dem Himmel gefallenen Friedensabkommen im Frühjahr 6 + gegen die neue römische Wesergrenze im Osten kommen würde, war natürlich in der zweiten Hälfte des Jahres 6 + noch von keiner Seite zu erahnen. Denn auch die Pläne des Feldherrn Varus lagen in dieser Zeit noch verdeckt in der Schublade. Man musste sich aber im römischen Beraterstab in weiser Voraussicht darauf vorbereiten, dass sich ein Marbod nicht an das Handschlag Abkommen mit Tiberius halten würde und folglich die Gunst der Stunde nutzten könnte, um in Germanien freies Spiel zu haben, so wie es auch Paterculus andeutete. Tiberius wird sich also auch weiterhin gedanklich mit allen Fronten und Gefahrenherden des Imperiums beschäftigt haben und nicht nur mit dem aktuellen Brandherd Pannonien. Er war in einer misslichen Lage, denn er befand sich nach dem Gewaltschwenk im Sommer 6 + auf dem Zug nach Pannonien und konnte sich über die Vertragstreue eines hinter sich zurück gelassenen Marbod nicht absolut sicher sein. Keine gute Ausgangslage kurz vor einem neuen Krieg. Tiberius kannte andererseits natürlich die Pläne von Varus nach Ostwestfalen zu ziehen, denn Varus wird es nicht eigenmächtig also aus freien Stücken angegangen sein, ohne sich vorher mit den Großen des Reiches beraten zu haben. Pläne die man schon fasste, als man noch davon ausging, man könne Marbod im Zuge eines einzigen erfolgreichen Sommerfeldzuges im Jahre 6 + nieder werfen. Davon war nun keine Rede mehr und die Lage hatte sich eher ins Gegenteil gekehrt. In Tiberius sehe ich aufgrund seiner heraus ragenden Stellung eine Person, die ich noch hierarchisch zwischen Varus und Kaiser Augustus schieben möchte und halte ihn daher Varus gegenüber wenn nicht sogar für weisungsbefugt, so doch in einer Position der Stärke die Varus nicht ignorieren konnte. Denn Tiberius stellte schließlich noch in seiner Zeit als Statthalter von Niedergermanien das Heer gegen Marbod auf und er musste entscheiden wie viel Mann er dafür einsetzte und wo er sie heraus zog. Tiberius stand folglich wieder vor schwierigen politischen Entscheidungen. Sollte er Varus vielleicht besser aufgrund des neu entstandenen Sicherheitsrisikos für ihn und seine geschwächte Heeresgruppe von Ostwestfalen wieder an die Rheingrenze in die sicheren Standlager zurück beordern bzw. ihm dies mit Nachdruck dringend nahe legen. Aber Marbod kannte wohl ebenfalls die Pläne, dass Varus beabsichtigte im Osten neue Marken im „Auguensischen“ zu festigen und Grenzen für das Imperium zu ziehen. In diesem Fall hätte Marbod den Rückzug als eine Schwäche Roms auslegen können. Andererseits konnte er es auch als einen Akt des Misstrauens gegenüber seiner Person und damit seiner Vertragstreue verstehen. Als ob man damit indirekt seine Zuverlässigkeit in Abrede stellen würde, was bei empfindsamen Menschen schon für einen Zwist ausgereicht haben könnte. Letztlich konnte er den Verbleib von Varus in den Rheinkastellen aber auch noch als eine Einladung und ein stilles Einverständnis sehen, dass man von römischer Seite bereit war Ostwestfalen in seinen Machtbereich übergehen zu lassen. Würde er aber Varus seine Vorbereitungen in Ostwestfalen weiter führen lassen, so bewies er Führungsstärke, Vertrauen in den Vertragsabschluss mit Marbod was ihm schmeichelte, man konnte die Strategie der Kontinuität und Zuverlässigkeit fortsetzen und neue Gebiete für Rom annektieren. Die Provinzialisierung konnte also ungeachtet der bedrohlichen Entwicklung im Südosten weiter geführt werden. Ein unklares Machtvakuum wollte Tiberius an der Weser im Raum Ostwestfalen nicht hinterlassen, schließlich hatte er dafür gekämpft. Aber Tiberius erreichte noch ein weiteres Ziel, in dem er Varus nicht aus Ostwestfalen zurück hielt. Er festigte und stabilisierte damit die Weser endgültig als die neue römische Ostgrenze und damit auch als eine Demarkationslinie gegenüber den Markomannen und das umfasste auch den Verlauf der Werra über Hedemünden hinaus. So führte er das zu Ende, was schon sein Bruder Drusus begonnen hatte. Denn es ist überliefert, dass Drusus zur Sicherung der Provinzen Wallanlagen und feste Plätze auch an der Weser errichtete, was man lange nicht glauben wollte. Da es auch in diesem Abschnitt um den Versuch geht darzustellen, mit welch schwacher militärischer Stärke im Rücken Varus letztlich seine Mission in Ostwestfalen anging, fällt dem Markomannen Feldzug eine nicht unwichtige Bedeutung zu. Tiberius musste für seinen Feldzug 6 + meiner Auffassung nach zwangsläufig auch auf Legionen zurück greifen, die am Niederrhein ihre Standlager hatten. Die zwar später Varus unterstanden, die ihm dann aber ab 7 + nicht mehr zur Verfügung standen. Denn nur so gelang es Tiberius die überlieferte Anzahl von 12 Legionen überhaupt zu erreichen. Da meine Hochrechnung niedrig ansetzt, in dem ich davon ausgehe, dass Tiberius nur zwei niederrheinische Legionen nach Böhmen befehligte die er später auch mit an die Pannonienfront nahm, stellt sich die Frage mit wie viel Legionen Varus auf seinem ersten Zug nach Ostwestfalen im Jahre 7 + aufbrach. Es ist auch an keiner Stelle überliefert, dass sich Varus in den Jahren 7 + und 8 + überhaupt in Ostwestfalen aufhielt. Diese Schlussfolgerungen werden wie bereits dargestellt davon abgeleitet, dass Varus vermutlich im Jahre 7 + als Statthalter eingesetzt wurde und die Aufgabe hatte Germanien in eine Provinz zu verwandeln. Da es einen erheblichen römischen Fundus im Münsterland an der Lippe und darüber hinaus gibt, die auf die Anwesenheit römischer Soldaten hinweisen nimmt man an, dass diese zahlreichen Hinweise nicht nur auf das Jahr 9 + zurück zu führen sind, dem Jahr in dem die drei Varuslegionen umkamen, sondern auch auf die unmittelbaren Jahre davor. Da die nach Böhmen entsendeten Legionen aus dem Machtbereich von Varus nach dem Abbruch des Markomannen Feldzug für den Pannonieneinsatz benötigt wurden, musste Varus zwangsläufig noch bis zum Ende des Pannonienkrieges auch auf diese zwei Legionen verzichten. Der Pannonieneinsatz wurde im Jahre 8 + beendet, so dass auch erst im Verlauf dieses Jahres beide Legionen wieder zurück an den Rhein marschieren konnten um sich wieder den anderen Varuslegionen anschließen zu können. Dabei könnte sich theoretisch auch Arminius mit seinen Cheruskern unter diesen Legionen befunden haben. Zweifellos und das ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil meiner Theorie hat auch nicht jeder Legionär aus diesen zwei Legionen den Pannonienkrieg gesund überstanden bzw. überlebt. Wenn diese im Jahre 8 + wieder in die Truppen am Niederrhein integriert wurden, so sicherlich nicht in der vollen Kampfstärke in der sie einst die Region im Jahre 5 + / 6 + verließen. Sollten diese zwei gerupften Rumpflegionen später mit zum Bestand der Legionen in der Varusschlacht gehört haben, so wäre daraus ein erneuter Hinweis abzuleiten, dass im Nethegau und im Teutoburgiensi Saltu nur vor geschwächte Legionen gegen die Germanen ins Feld geführt werden konnten. Ein weiterer Beleg dafür, dass zwar in der Varusschlacht die besagten drei Legionen umkamen, aber beileibe nicht in der angenommenen Sollstärke. Somit auch ein zusätzliches Indiz dafür, dass es die Germanen mit einem weit aus weniger gefährlichen Gegner zu tun hatten, als es der Hinweis auf die bloße Zahl dreier umgekommener Legionen zulässt. Daraus lässt sich wiederum ableiten, dass im Jahre 9 + auch auf germanischer Seite nicht die Anzahl an Kämpfern zu den Waffen greifen brauchte, wie häufig angenommen wird. Die Varusschlacht könnte durch diesen Umstand für die Germanen „Gewinnbarer“ geworden sein. Möglicherweise fiele damit auch etwas vom „schönen nationalen Glanz“ ab, der die Schlacht umgibt und sie zu etwas Besonderem in der deutschen Geschichte machte, aber das muss man in kauf nehmen. Die Varusschlacht war wie durch die historischen Hinweise belegt ist, trotzdem kein Leichtgewicht für alle daran beteiligten Kämpfer. Ihre historische Bedeutung ist zudem ungleich höher einzustufen und lässt sich nicht allein auf Basis der Anzahl umgekommener Kämpfer bewerten. Die germanische Sichtweise der Ereignisse trug wiederum gänzlich andere Züge, als die Gedanken die sich damals ein Marbod ein Varus oder ein Tiberius machen mussten. Denn es waren ihre ureigenen Stammesgebiete und ihr Grund und Boden, über den hier andere Mächte verfügen wollten. Aber sie waren in der Zeit nur das schwächere Glied und nur der dritte Spieler im Bunde mit den zwei großen Mächten westlich und östlich von ihnen. Was sich aber in Bälde grundsätzlich ändern sollte. Im Jahre 6 + als sich Rom gegen Marbod rüstete, wussten die Germanen in Ostwestfalen noch nicht, dass sich der glückliche Marbod im Amt halten konnte und das alles in einen großen Pannonienkrieg münden würde. Des Weiteren ahnte im Frühjahr 6 + auch noch keiner, dass mal ein Statthalter Varus an ihre Türen klopfen würde, um sich ihr Land anzueignen und sie zu Sklaven machen wollte. Als aber gegen alle Erwartungen Tiberius mit Marbod Frieden schließen musste und ein Varus noch nicht auf der Bildfläche erschien, sahen die Germanen nur die Gefahr sich möglicherweise gegen einen vor Kraft strotzenden Marbod zur Wehr setzen zu müssen. So beschlossen sie vermutlich wie bereits angedeutet, im Jahre 6 + dem eine eigene Allianz entgegen zu setzen. Hier löste möglicherweise auch eine innergermanische Gefahr den Druck aus größere Bündnisse schließen zu müssen und nicht der viel beschworene Kontakt zur mediterranen Welt. Drohendes Ungemach aus Westen war 6 + für die Wesergermanen noch nicht in Sicht und die Markomannen hielten sich nach dem böhmischen Friedensvertrag mit Tiberius aus Ostwestfalen zurück. Aber das konnte 6 + in Ostwestfalen noch keiner wissen. Aber man könnte annehmen, dass dieses einst aufgrund des erstarkten Marbod eingegangene Bündnis innerhalb der Germanenstämme noch eine neue Bedeutung bekommen sollte. Denn es war langlebiger, als man meinen sollte und hielt sich noch bis ins Jahre 9 + wo es sich dann im Zuge der Varusschlacht wieder bemerkbar gemacht haben könnte, da es gebraucht wurde und sogar darüber hinaus. Jedoch dann nicht um einem Feind aus dem Osten entgegen treten zu müssen, sondern um gegen das römische Joch zu rebellieren. Anhand dieser Darstellung lässt sich ablesen wie Komplex die Lage damals schon in Ostwestfalen war und das sich die Varusschlacht innerhalb eines voluminösen Pulverfasses entzündete, in das auch viele andere Interessen hinein spielten. Man war nun aus römischer Sicht betrachtet in dieser bedrohlichen Zeit schon gut beraten, wenigstens die Weser behaupten zu können und moderne Historiker die schon in der Elbe eine leicht erreichbare römische Ostgrenze zu erkennen glaubten, mussten bis auf weiteres ihre Visionen begraben. Als Augustus seufzte und um Varus und seine Legionen trauernd im Jahre 9 + mit Sorge nach Germanien blickte, galt sein Hauptaugenmerk wohl einem ganz anderen Problem. Denn mit Mühe hatten seine Truppen soeben den dalmatinischen Aufstand nieder geschlagen und nun befürchtete er unmittelbar nach der Varusschlacht, dass auf seine Truppen auch an der Weser neue Herausforderungen warten würden. Varus war zwar tot, aber Marbod lebte und er verfügte immer noch über die unumschränkte Macht im heutigen Mitteldeutschland und konnte nach der Niederlage von Varus über Nacht im Verbund mit anderen Germanen plötzlich und erneut zum ernsthaften Gegner für Rom werden. Das sich Marbod danach noch so kooperativ und beinahe zahm zeigen sollte, hatte wohl kaum einer in Rom oder irgendwo anders von ihm erwartet, als er den wieder ausgegrabenen Kopf des Varus als Zeichen seiner Treue weiter reichte. Und schon gar nicht Arminius. Das aber die Markomannen sogar Ende des 2. Jahrhunderts immer noch als nicht besiegt galten, konnten die alten Protagonisten zu den Zeiten des Kaiser Augustus auch noch nicht ahnen. Marbod erkannte zwar aus seinem Blickwinkel die geschwächten Legionen nach dem Aufstand in Pannonien und wusste auch um die vernichteten Varuslegionen. Er nutzte aber die Gelegenheit nicht aus, um danach zum großen Gegenschlag auszuholen, obwohl er an der Weser auf ein stark angeschlagenes Imperium und auf Kampfes müde Germanen gestoßen wäre. (27.12.2018)

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