Montag, 17. Juni 2019
Segestes - Überlebenskünstler und heimlicher Gewinner der Varusschlacht
In diesem und noch in einigen weiteren Kapiteln möchte ich mich näher mit der Person des Segestes beschäftigen und eine Reihe von Fragen aufwerfen und zu versuchen sie zu beantworten. Hier soll es unter anderem auch um die Kardinalfrage gehen wie es Segestes gelingen konnte, sich unbeschadet aus seinem Verrat des Jahres 9 + heraus zu winden. Und im Weiteren möchte ich den Versuch wagen, ob es mithilfe einer Rekonstruktion der Ereignisse möglich ist zu erfassen, wie sich der Wechsel der Stimmungslage innerhalb des germanischen Lagers im Jahre 15 + gegen Segestes vollzogen haben könnte. Aber auch der Frage nachgehen, was sich im Vorfeld der Belagerung des Segestes Sitzes zugetragen haben könnte, bis ihm Germanicus letztlich die rettende Hand reichte. Zum Ende dieser Analyse bzw. dieses Kapitels eröffnet uns sein Werdegang noch einen unerwartet anderen und neuen Blickwinkel. Diese Thematik greife ich aber erst im nächsten Abschnitt auf, denn der Person des Segestes könnte noch eine weitere wichtige und bislang unter gewichtete Rolle zugefallen sein. Nämlich eine historisch zeitliche Verkettung bzw. Verbindung die der Forschung entgangen sein könnte. Was für Segestes damals die Antriebsfeder dafür war den Feldherrn vor der drohenden Gefahr durch die Cherusker zu warnen wird für immer im Dunkeln bleiben. Das hindert uns aber nicht daran sein mögliches Verhalten und seine Beweggründe zu Hinterfragen. Und obwohl er ihm die Taktik eines Hinterhaltes verriet und er ihn gekannt haben könnte, so liegt der Nachwelt keine Quelle darüber vor, wo sich dieser auf tat, was zu denken gibt. Denn ein Cheruskerfürst wie Segestes könnte, ja muss es fasst sogar gewusst haben, denn er hatte Macht und Einfluss und er stammte aus der Großregion. Da sich nur wenige markante Schluchten wie es das Wort „Saltus“ verrät bzw. zum Ausdruck bringt, lassen sich brauchbare Schlussfolgerungen ziehen und sich der Suchraum eingrenzen bzw. lokalisieren. Und diese Schlucht sollte auch Segestes gekannt haben. Denn der Saltus lag unweit der geographisch und historisch überlieferten Ems - Lippe Quellregion bei den äußersten Brukterern. Bei allem was man sich so unter unseren Vorfahren den Germanen vorstellt, oder was man von ihnen weiß, ist man doch immer wieder über ihre recht fortschrittlichen Verhaltensweisen, ihre funktionierende Soziologie und Kommunikation ohne die sich kein Stamm erfolgreich führen lässt verwundert. So liegen uns Informationen über sie vor, die längst nicht mehr zu einem prähistorisch, unbändigen und schriftlosen Naturvolk passen wollen. Da wird uns über die antiken Historiker und das auch noch relativ ausführlich berichtet, wie sich einer dieser Germanen, nämlich ein gewisser Segest oder auch Segestes genannt im Vorfeld der Varusschlacht verhielt, besser gesagt wie er sich artikulierte und Gehör verschaffte, um seine dunklen Machenschaften zum Erfolg zu führen. Wie wir wissen gingen seine Pläne nicht auf und er zog den Zorn jener auf sich, die er zu Verrätern abstempelte. Aber trotzdem passierte mit ihm nach der Varusschlacht nicht das, was man eigentlich von seiten seiner Widersacher unbedingt erwartet hätte, nämlich in der Konsequenz daraus der fällige Racheakt an ihm. Der letzte Akt wurde an ihm nicht vollzogen. Eine Tat, die eigentlich jeder von uns gestern wie heute erwartet hätte, blieb damals aus. Eigentlich auch eine dramaturgische Fehlleistung mit der heute jeder moderne Regisseur vor einer Jury durchfallen würde, eben eine Geschichte wie sie nur das reale Leben schreiben kann. Denn nach bekannter Hollywood Manier sind wir es gewohnt am Ende immer den Sieg des Guten über das Böse nicht zu verpassen. Auf diesen zerstörenden Moment scheinbarer Gerechtigkeit wartete die Nachwelt vergeblich. Er verriet Varus und damit automatisch dem gesamten römischen Generalstab gleich mit, die Seele und damit das Wesentliche des germanischen Angriffsplanes, nämlich den Hinterhalt. Und darüber hinaus sogar noch den Zeitrahmen und; man mag es kaum glauben, er tat dies mehrfach und es stieß ihm nach der Schlacht nicht das Geringste zu. Er beging damit nicht nur einen Verrat der niederträchtigsten Art an seinem eigenen Volk, sondern er nannte dem römischen Feind obendrein auch noch die Namen der Rädelsführer. Damit lieferte er seine stammesinternen Feinde dem Gegner regelrecht ans Messer. Und wie man weiß, wurden Aufrührer wie Arminius oder Segimer es waren, in der Römerzeit nach ihrer Verurteilung auch schon mal ans Kreuz genagelt. Der Vergleich hinkt allerdings etwas, da Jesus nach Lukas 23 im Gegensatz zu Arminius sein Volk nicht hinter sich wusste. Während die Cherusker ihm bekanntlich einmütig den Rücken stärkten. Segestes verhielt sich in etwa so wie damals Ephialtes von Trachis der 480 - den Persern den Weg um die Thermopylen verriet und danach für die Griechen als der klassische Verräter in die Geschichte ein ging. Mitnichten erging es Segestes ähnlich, denn ihm gelang es unbehelligt zu bleiben. Ein aufgrund seiner Warnungen auf einen Kampf gut vorbereitetes römisches Heer hätte zu einem Blutbad unter den Germanen führen können und vielleicht sogar müssen. Und nicht nur das, er schreckte sogar nicht einmal davor zurück seine eigenen Sippenangehörigen auf diese Weise gleich mit zu opfern. Denn auch viele von ihnen nahmen an der Schlacht auf Seiten der Arminen teil, wie man den historischen Quellen eindeutig entnehmen kann. Viele Männer sogar aus dem engsten Kreise seiner eigenen Familie standen auch auf der Seite von Arminius und kämpften nachweislich gegen Varus. Somit hätte er damit auch eine stattliche Anzahl mutiger Männer seiner eigenen Sippe im Zuge seines Verrats dem Feind ausgeliefert. Das schien er alles in kauf zu nehmen. Nun aber kommt auch noch ein anderer Aspekt hinzu, denn wie verträgt sich das alles mit dem seltsamen Hinweis von Tacitus, dass Segestes nämlich in den Krieg sprich in die Varusschlacht „hinein gezogen“ worden wäre. Denn Tacitus schrieb: „Segestes, quamquam consensu gentis in bellum tractus, discors manebat, auctis privatim odiis“. Und in der Übersetzung lautet dies „Obgleich Segestes durch die Einmütigkeit des Stammes in den Krieg hinein gezogen war “. Er könnte sich also auf eine uns nicht bekannte Art in irgendeiner Weise dann doch noch für sein Volk eingesetzt bzw. sich noch im letzten Augenblick auf ihre Seite gestellt haben. Denn die Wortwahl nach der Übersetzung „hinein gezogen“ klingt danach so, als ob er sich vor Beginn der Kämpfe sogar noch in den Dienst der Arminen gestellt haben könnte. Aber es lässt sich kein Hinweis entdecken, dass Segestes selbst mit gekämpft hat. Aber wie sollte ein möglicher Kampfeinsatz eines wohl älteren Mannes wie Segestes auch ausgesehen haben. Denn ein Mann der wie er, nicht aus voller innerer Überzeugung hinter dieser gesamt germanischen Tat stand, wäre auf dem Schlachtfeld auf germanischer Seite völlig fehl am Platze gewesen. Halbherzig kann man als ein Überzeugungstäter der zum römischen Gegner tendiert, kein Schwert gegen eben diese Römer ziehen. Also gegen jene römischen Soldaten mit denen er seit langem sympathisierte und kollaborierte. Segestes musste also einen Königsweg gefunden haben, wie er zwischen den beiden Fronten erfolgreich lavirieren konnte. Verrat zu üben aber trotzdem schadlos zu bleiben, muss für ihn ein Balanceakt gewesen sein. Denn letztlich gelang es ihm bekanntlich sich dem Zorn seiner Landsleute zu entziehen. Aber warum rächte sich eigentlich nach der Varusschlacht kein Armine an ihm. Es mussten sich also Dinge zugetragen haben, die die Germanen aus dem Segimer Clan davor zurück schrecken ließ Segestes gegenüber handgreiflich zu werden. Zwar ging seine Rechnung nicht auf, denn die Römer gingen als Verlierer aus der Schlacht hervor, aber damit ließ sich sein Verrat nicht schön reden und schon gar rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund betrachtet wird besonders das Ausmaß deutlich, welch gefährliches Vabanque Spiel selbst ein Segestes trieb. Denn er schlug sich vorher und das sogar noch am letzten Abend unverhelt auf die Seite von Varus, ließ sich dann aber doch noch in das Geschehen auf germanischer Seite „hinein ziehen“ wenn man Tacitus so interpretieren möchte. Oder gab es da möglicherweise eine Rückversicherung, bzw. er konnte sich sicher gefühlt haben, dass ihm von germanischer Seite trotz seines Verrats keine Repressalien drohen würden. Er hätte eigentlich und das gleich wie die Schlacht ausgegangen wäre, damit rechnen müssen, dass man ihn für sein Verhalten alsbald bestraft und zur Rechenschaft gezogen hätte. Wir hätten ihn verstehen können und es hätte auch niemanden verwundert, wenn er und seine Getreuen unmittelbar nach Kenntnis vom Schlachtausgang ihre Pferde gesattelt hätten um vor seinen Landsleuten ins römische Mogontiacum zu flüchten um der Gefahr zu entkommen. Aber er blieb. Und daher stellt sich auch hier die interessante Frage nach seinem Verbleib und wie es nach der Varusschlacht mit ihm, dem Fürsten Segestes weiter ging zumal seine römische Fraktion die Unterlegene war und nahezu mit Mann und Maus unter ging. Auch wenn sich daraus keine Örtlichkeitsanalysen zum Schlachtort und Schlachthergang ableiten lassen, so stellt doch die Segestesfrage die Geschichtswissenschaft immer wieder vor ein Rätsel und sie gehört daher auch mit in den großen Kontext dieser nebulösen Varusschlacht. Denn plötzlich waren die kläglichen Reste seiner alten ehemaligen römischen Verbündeten, sofern sie das Inferno überhaupt überlebt hatten, Hals über Kopf auseinander gestoben hatten sich nach Aliso begeben und sich dann hinter den Rhein zurück gezogen. Was geschah also in dem Moment, als die römischen Truppen Höxter verließen Segestes sich aber nach unserem Kenntnisstand zu urteilen nicht daran beteiligte, weil er nicht gegen das Imperium kämpfen wollte und konnte und daher im Gegensatz zu Arminius auch Varus nicht begleitete. Wäre es an dem gewesen, es wäre möglicherweise aus den Quellen hervor gegangen, denn das hätten sie uns wohl nach alledem nicht verschwiegen. Er könnte an der Weser zurück geblieben sein, um dort auf die aus römischer und seiner Sicht erhoffte positive Siegesmeldung aus dem „Teutoburgiensi saltu“ zu warten. Aber die Nachricht fiel nicht in seinem Sinne aus. Doch was passierte statt dessen. Also was tat Segestes möglicherweise in den entscheidenden Stunden nachdem er erfuhr, dass die Schlacht zum römischen Fiasko wurde. Wagen wir also den Versuch einer Rekonstruktion. Wir schreiben den fiktiven 25.9.0009, den zweiten Marschtag und damit den ersten Kampftag der Legionen, wie sie sich auf ihrem Weg vom Sommerlager in den Untergang befanden und sich etwas südlich von Brakel vor arbeiteten. Varus räumte mit den zum Kampf auserwählten Legionen am frühen Morgen nach meiner Theorie das erste Marschlager in der Region Brakel. Zeitversetzt brach auch der zivile Treck mit Frauen, Kindern, Wertsachen, Veteranen, Blessierten, Priestern und Verwaltungsbeamten auf der den direkten Weg zur Lippe nehmen durfte. Die Legionen trafen nach meiner Zeitrechnung am frühen Nachmittag dieses zweiten Marschtages auf den ersten heftiger werdenden Widerstand der Germanen. Dies geschah in einer Zeit, als sich das Wetter wendete und die Wege unpassierbar wurden. Ob Segestes irgendwo im sicheren Hinterland in dieser frühen Phase schon Kenntnis von den konkreten Ereignissen hatte ist fraglich, denn wer hätte sich um diese Zeit schon als Nachrichtenübermittler betätigen sollen. Er wartete also unruhig ab und harrte der Dinge. Als er dann nach dem vierten Tag den Ausgang der Kämpfe und dies möglicherweise sogar noch aus den Mündern seiner eigenen Sippenleuten erfuhr, da diese selbst an den Schmähreden gegen den Leichnam von Varus beteiligt waren wurde ihm bewusst, dass er auf die falsche Karte gesetzt hatte. Trotz innerer Unruhe, hatte er vermutlich bis zuletzt damit gerechnet oder gehofft, dass die Sieg gewohnten Legionen dem germanischen Spuk ein schnelles Ende bereiten würden. Aber er hatte seine Landsleute unterschätzt und den germanischen Sieg nicht erwartet. Jetzt musste er umdisponieren und sein "Plan B" greifen, der uns nicht bekannt geworden ist. Nach den heftigen Kämpfen, dessen unmittelbare Auswirkungen sich noch bis Aliso und darüber hinaus entfalten sollten, hatte in den Reihen der Cherusker noch niemand Zeit und Muße sich mit dem einstigen Verräter Segestes näher zu beschäftigen. Der mühsam errungene Sieg und die anschließende gerechte Verteilung der Beutestücke nahm die volle Konzentration der Cherusker in Anspruch. Segestes dürfte sich nach der für ihn sicherlich Hiobsbotschaft zu nennenden Nachricht aus dem Saltus schnell und weit vom Weserbereich abgesetzt haben, und sich in seine Fluchtburg hinter die Wälle seines Fürstensitzes an der Leine zurück gezogen haben, wo er den Dingen entgegen sah. Die Tatsache, dass sich sogar in seiner eigenen Sippe Freunde von Arminius aufhielten und von ihm akzeptiert wurden bzw. werden mussten, könnte einiges erklären helfen. Denn auch sie hätten im Falle eines römischen Sieges auf der falschen Seite gestanden, wurden aber offensichtlich toleriert und konnten sich im Hause des Segestes behaupten. Es gab also Sippenangehörige in seinem Clan, die sich erdreisteten bzw. sich durch ihr Verhalten renitent und abtrünnig gegenüber ihrem Fürsten Segestes verhielten, indem sie sich nicht nur gegen ihn stellten, sondern sogar auf der Seite von Arminius mit kämpften und trotzdem geduldet wurden. Und diese Männer wussten sehr wohl, dass Segestes sie tendenziell mit verraten hatte. Unter ihnen sogar Anverwandte von Segestes, die wie sich später heraus stellte, sogar den Leichnam von Varus verspotteten und sich zudem 15 + gegenüber Germanicus noch mit dem Besitz römischer Waffen aus der Varusschlacht brüsteten. Ein an sich untrügliches Zeichen für ein in sich tief gespaltetes Fürstenhaus des Segestes. So in sich zerstritten, wie wir es bei Segimer trotz der eindeutigen Positionierung von Flavus seines anderen Sohnes für die römische Seite nicht erkennen können. Und nicht erst nach dem Ende der Varusschlacht dürfte sich für Segestes ein massiver Macht- und Akzeptanzverlust eingestellt haben. Dieser wird sich bereits lange vor der Varusschlacht bemerkbar gemacht haben. Zu einem Zeitpunkt, als sich unter den Germanen bereits ein erheblicher Zorn gegen die Besatzungsmacht aufzubauen begann, der sich letztlich in der Schlacht entlud. Die Volkesstimme die nach Vergeltung für die römische Knute rief und die sich wegen ihrer rostenden Schwerter sorgte konnte Segestes nicht verborgen geblieben sein und er beging trotzdem seinen Verrat an den Cheruskern. Parallel dazu wurde den Arminen bewusst, dass sie in Segestes einen üblen Gegenspieler in ihren Reihen hatten. Untrüglicher Fakt und Sachstand ist es jedoch immer noch, dass man ihn nach der Varusschlacht nicht belangte, ihn also am Leben ließ und ihm offensichtlich nicht nach selbigem trachtete. Somit führte sein Verrat unmittelbar nach der Schlacht erstaunlicherweise zu keinerlei Konsequenzen. Wie das, möchte man sich da fragen. Vielleicht wurde er zuletzt nur noch durch die römische Präsenz gestützt und von den anderen Germanen demzufolge nur geduldet. Vielleicht hatte er bereits ein hohes Alter erreicht oder konnte sich noch auf frühere Erfolge stützen, die ihm Achtung einbrachten und man ließ ihn gewähren. Neben anderen Faktoren, die sich heute kaum gedanklich erschließen oder nachvollziehen lassen, sehe ich drei Hauptgründe, die dazu führten, dass man Segestes nach der Varusschlacht über eine lange Zeit hinweg nicht behelligte, ihn also ungeschoren ließ. Dazu bedarf es einer übergreifenden Betrachtung bis für ihn schlussendlich rund 6 Jahre nach der Varusschlacht dann doch noch die Stunde der Wahrheit heran nahen sollte. Denn es sollte noch bis in dieses Schicksalsjahr 15 + dauern, bis auch er um sein Leben vor seinen eigenen Stammesgenossen bangen musste. Begeben wir uns also auf die Suche nach der möglichen Antwort. Denn wie konnte es den Germanen gelungen sein unter sich ihren Konflikt mit Segestes aus zu tragen, ohne das dies den Römern auffiel und sie sich dadurch ihrer Siegeschancen beraubten. Da sehe ich zum einen die germanischen Traditionen und das germanische Gedankengut, das uns da vielleicht weiter helfen kann. Segimer und Segestes werden auch auf positive gemeinsame Jahre zurück geblickt und nicht nur konfliktträchtige Perioden erlebt haben. So dürften sie sich nicht immer nur feindlich gesinnt gewesen sein. Man erinnerte sich also der gemeinsamen Vergangenheit. Das der Sieg letztlich auf ihrer Seite war, trug ebenfalls dazu bei, Wunden schneller heilen zu lassen. Aber es könnte noch eine andere starke Kraft im archaischen Alltagsleben an der Weser vorgeherrscht haben. Nämlich eine tief greifende Verbundenheit und Solidarität in den Stammesbeziehungen der beiden Fürstenhäuser und wie sie von ihnen gelebt wurde. Diese rauen Zeiten richtig zu bewerten dürfte daher auch eine wesentliche Rolle bei der Betrachtung der Menschen um die Jahrtausendwende gespielt haben. Denn auch der Stamm der Cherusker wird auf eine lange Existenz zurück geblickt haben. Wann sie entstanden sind, sich aus der Jasdorf Kultur entwickelten oder sich zu einem Stamm oder Volk formierten bzw. zusammen schlossen, liegt im Nebel der germanischen Zuwanderungen aus dem Norden und Osten Europas, sowie der Vermischungsprozesse mit den vorher dort lebenden, ich nenne sie mal Nordkelten. Und eine gemeinsame Entstehungsgeschichte opfert man möglicherweise auch dann nicht oder wirft sie über Bord, wenn der Fürst der Nachbarsippe eine andere Auffassung vertritt zumal man auch mal gemeinsam einen Bündnisvertrag mit Rom schloss bzw. schließen musste. Auch dann, wenn diese Meinungsverschiedenheit wie im Falle der Varusschlacht immense Ausmaße hätte annehmen können. Auch diese gewachsene Vergangenheit schmiedete sie aneinander. Zudem ist nichts für die Ewigkeit und auch im Hause des Segestes stand nach menschlichem Ermessen und das in gar nicht so langer Zeit auch wieder ein fälliger Generationswechsel an, also setzte man andere Maßstäbe an und verhielt sich vielleicht geduldiger als wir uns heute so unsere Vorfahren vorstellen mögen. Aber nun kommt noch die besagte weitere Überlegung hinzu. Denn was hat man sich darunter vorzustellen, dass gemäß der Überlieferung große Einmütigkeit im Stamme bzw. Volk der Cherusker darüber herrschte, dass man gegen Varus nun eine Schlacht riskieren und daher alle Kräfte sammeln müsse. Es war allerdings keine Schlacht auf offenem Felde, sondern eine Schlacht wie sie ein schwächerer Gegner führen muss, wenn er seine Chance wahren will. Aber wie gelangte Tacitus bzw. seine Quellen überhaupt zu der Auffassung, dass unter den Cheruskern Einmütigkeit also „consensu“ bzw. ein Konsens darüber herrschte, was den Angriff auf die römischen Legionen anbetraf. Was meinte Tacitus damit und welche Informationen lagen darüber vor, oder vielleicht besser gesagt, welche Phantasien gab es über die internen Meinungsbildungsprozesse und Schlachtpläne innerhalb der germanischen Stämme im antiken Rom. Denn von den Germanen die als Halbwilde galten, wusste man in der fernen römischen Hauptstadt herzlich wenig. Ging man dort von einer mehrheitlichen Beschlußlage aus, oder erschloss man sich den Tatbestand einer germanischen Einmütigkeit auf andere Weise. Etwa aufgrund der logischen Voraussetzung und Annahme, dass nur ein Volk ohne Abweichler und welches nach innen volle Geschlossenheit zeigte, zu solch einem waghalsigen Unternehmen imstande gewesen sein konnte. Aber in Germanien hatten Thingversammlungen also Malstätten wie man sie später nannte eine Tradition. Der Stadtteil Malstatt von Saarbrücken bewahrt heute noch diese alte Tradition im Namen. Und vor einem derart gewaltigen Waffengang wird es sicherlich eine oder mehrere davon und das nicht nur im Stamm der Cherusker, sondern auch bei den anderen angeschlossenen Stämmen des Bündnisses gegeben haben. Versammlungen auf denen diese „taciteische Einmütigkeit“ erst einvernehmlich hergestellt sein wollte. Vergessen wir nicht, die Germanen waren bekanntlich „frank und frei“ und wählten sich ihren Anführer, nämlich den, der vor ihnen her zog bzw, herziehen durfte, den Herzog nur in äußerst kriegerischen Zeiten. In der übrigen Zeit duldeten sie keinen Gesamtherrscher. Und das alles geschah natürlich unter dem strengen Siegel der Verschwiegenheit vor den römischen Besatzern. Die Treffen fanden also sicherlich nicht vor deren Augen statt. Wenn davon überhaupt etwas nach außen drang, könnten es nur wenige verbreitet haben. Das Verraten von Thingbeschlüssen an den Feind war sicherlich auch ein Straftatbestand vergleichbar mit einem Hochverrat. Sollten Römer sie belauscht haben, dürfte dies nicht so problematisch gewesen sein, denn römische Legionäre konnten westgermanische Dialekte nicht verstehen und Germanen sprachen kein Latein. Es wird also wie man möglicherweise südlich der Alpen annahm, keine stillschweigende Übereinkunft ohne jegliche Vorabsprachen Strategien, Meinungen und Gegenmeinungen gegeben haben, sondern eine Abstimmung die auf allgemeine Zustimmung stieß und mittels Schildklopfen, begleitet von gestikulierendem Verhalten angenommen wurde. Vielleicht bietet uns das britische Unterhaus, das „House of commons“ mit seiner bekannt rauen Geräuschkulisse noch eine alte Erinnerung daran, wie es beim Thing zugegangen sein könnte. Derartige Einmütigkeiten, wie man sie den kurzen Zeilen von Tacitus entnehmen könnte, konnten also auch im alten Germanien nicht aus dem Himmel gefallen sein. Und genauso wenig, konnte auch ein dabei anwesender Fürst Segestes nicht gegen seinen Willen dazu gezwungen worden sein, sich in den Krieg „hinein ziehen“ zu lassen. Man konnte ihn nicht mit Gewalt in die Schlacht hinein ziehen, könnte aber Druck auf ihn ausgeübt haben. Letztlich wurde es uns dann so dargestellt oder man könnte es so interpretieren, als ob er sich trotz seines voraus gegangenen mehrfachen Verrats noch einem einmütigen Beschluss, also letztlich der Mehrheitsmeinung beugte bzw. sich ihr fügte oder unterwarf. Es könnte in diesem Zusammenhang also zu einer Art Abstimmung oder eben einer germanischen Thingversammlung gekommen sein, bei der sich alle germanischen Großen der Region gegenüber standen, um sich der besonderen Problematik zu stellen und möglicherweise einen Kompromiss bzw. einen Ausweg zu finden, wie sich die Stämme und die Fürstenhäuser zusammen halten ließen. Es könnte sogar auch noch eine dritte Fraktion gegeben haben, von der wir nie erfuhren, die sich im Sinne einer Schlichtung eingesetzt haben könnte. Eben einen Ausweg aus dem Dilemma zu suchen, dass sich unter ihnen ein Fürst befand, der gegen die Interessen der Mehrheit votierte. Diese Versammlung, wenn sie denn in dergestalt statt fand, könnte sich nur unmittelbar vor den Kampfhandlungen zugetragen haben. Denn im Zuge einer vermutlich letzten Thingversammlung vor der Schlacht, hatte man Segestes ja letztlich in den Krieg hinein gezogen bzw. ihn hinein ziehen können. Zu einem früheren Zeitpunkt hätte eine derartige Versammlung noch keinen Sinn ergeben, denn da war die Gesamtsituation noch unübersichtlich und nicht abstimmungsreif. Dies ist eine interessante Phase, denn der Hinweis von Tacitus, Segestes wäre in den Krieg hinein gezogen worden, weist auf vorherige Prozeduren oder Absprachen hin. Deutet aber indirekt auch auf eine gewisse Mittäterschaft seiner Person hin, denn ein „Hineingezogener“ ist ja im inneren germanischen Zirkel angekommen. In diesem Moment müsste aber Segestes auch über Detailinformationen, was den geplanten Hinterhalt und seine Planung, Taktik und Örtlichkeit anbelangt verfügt haben. Denn wenn man weiß, dass es zu einem Krieg kommt und wenn man sich in diesen hinein ziehen lässt, so weiß oder sollte man auch wissen wo er statt findet. Er warnte Rom vor eben jenem Hinterhalt, also dürfte er auch gewusst haben, wo und ab wann Arminius gedachte die Falle zu stellen. Folglich müsste Segestes zum Zeitpunkt des alles entscheidenden letzten Volksthing, über nähere Informationen verfügt haben. Diese Versammlung könnte sich demzufolge einige Tage vor dem Abzug der Römer aus dem Sommerlager ereignet haben. Sie fand natürlich statt, als sich noch keine Kriegshandlungen zutrugen bzw. erkennbar wurden. Aber aus dem weiteren Verlauf lässt sich ein Schlussfolgerung ziehen. Nämlich die, dass es auf der besagten letzten Thingversammlung zu einer Vereinbarung unter den Großen gekommen sein könnte. Segestes schwenkte also um und ließ sich dann doch noch in den Krieg hinein ziehen, obwohl er noch kurz zuvor diverse Warnungen an die römische Seite weiter gegeben hatte. Da er aber im Zuge der letzten Versammlung zu einem der ihren wurde, hatte er sich auch der Mehrheitsmeinung anzuschließen bzw. sich ihr angeschlossen. Die Mehrheit verpflichtete ihn sich zukünftig entsprechend zu verhalten besser gesagt zurück zu halten. So musste bzw. durfte Segestes ab dem Zeitpunkt des Übereinkommens der Thing Parteien im Zuge der Versammlung gegenüber Varus sicherlich fortan keine das Unternehmen gefährdenden Hinweise mehr geben. Der Kompromiss den er mit der Mehrheit seines Volk schloss, wäre demnach auch sein Schweigen zur genauen Örtlichkeit der Schlacht gewesen. Aber nicht nur das. Er durfte auch nichts über das den Römer gegenüber stehende germanische Aufgebot bzw. Kräfteverhältnis sagen. Denn auch darüber konnte er sich im Rahmen der Versammlung ein Bild machen. Das war oder könnte der Preis gewesen sein, den Segestes bereit war zu zahlen bzw. zahlen musste um zukünftige Racheaktionen der Germanen gegen ihn zu vermeiden. Wenn er also wieder mit Varus in Kontakt trat, so musste das Thema Hinterhalt im Detail betrachtet Tabu bleiben. Segestes ging also gegenüber Varus nur so weit, als das er wie zuvor auch lediglich pauschale Warnungen aussprach. Segestes hätte demnach auch gewusst, dass die Legionen am zweiten Marschtag ab Brakel südwärts mit dem Angriff zu rechnen hatten. Dies war aber auch nicht unbedingt überraschend, denn von da ab näherten sich die Legionen sowieso unaufhaltsam dem Gebiet der stigmatisierten Aufrührer an. Das im Kern Wesentliche, was aber Segestes beim letzten Gastmahl bei Varus für sich behielt bzw. behalten musste, waren zwei Faktoren, die letztlich die Niederlage herbei führten. Zum einen, dass Varus an diesem zweiten Marschtag noch völlig unvorbereitet sein musste, da zu diesem Zeitpunkt noch kein Römer einen Angriff erwartet hatte bzw. hätte. Zum anderen, dass auch kein Römer damit rechnete, dass nicht nur die eigentlich schon erwarteten Rebellen Varus gegenüber traten bzw. angreifen würden, sondern das ihnen eine größere Allianz bestehend aus Cheruskern und anderen Stämmen gegenüber stehen würde. Und eben nicht nur dieser kleine rebellisch gewordene Teilstamm im Süden des Nethegaus. Segestes verriet Varus also viel, jedoch nicht alles. Danach verfügte Varus auch nur über Halbwissen. Er besaß zwar die Kenntnis, dass Arminius und andere die Rädelsführer des Aufstandes waren, er wusste auch das ihnen Gefahr drohte, aber er kannte nicht die Dimension und wusste nicht, ab welchem Marschkilometer die Germanen zum Angriff ansetzen würden und er konnte sich kein Bild über die Ernsthaftigkeit, die Strategie, das Aufgebot also die Stärke des germanischen Gegners machen. In dem Segestes gegenüber Varus die Wahrheit nur halbherzig offenbarte, ließ er sich eine wichtige Tür offen mit der ihm der Drahtseilakt gelungen sein könnte, die Geschehnisse lebend zu überstehen. Letztlich wird der Sieg dazu beigetragen haben, die Ereignisse zu verwischen. Aber das war es nicht allein. Man war sich im Germanien der Cheruskerzeit sicherlich auch einig darin, dass es etwas anderes war, wenn es galt sich gegen einen Feind von außen zur Wehr zu setzen, als einen internen Stammeszwist herauf zu beschwören, sich also gegenseitig zu zerfleischen. Man kannte sich und das alte Zusammenhalts bzw. Zusammengehörigkeitsgefühl überwog in jenen Jahren. Und gegen einen gemeinsamen Feind aufzustehen, war etwas grundlegend anderes als eine Revolte im eigenen Volk auszulösen bzw. zu riskieren. Man war mehrheitlich bereit Arminius und Segimer im Jahre 9 + in den Kampf zu folgen, aber man hätte innerhalb der Cherusker keine Zustimmung dafür gefunden, bei der es am Ende auf einen Konflikt zwischen dem Haus Segimer und dem Haus Segestes hinaus gelaufen wäre. Diese Eskalationsstufe war nach der Schlacht gegen Varus noch nicht erreicht, bzw. wieder ab geebbt, mag das Verhalten von Segestes auch noch so verwerflich gewesen sein. Man hätte im Clan der Segimer Cherusker keinesfalls eine Zustimmung dafür bekommen Segestes anzugreifen. Außerdem hätten sich auch noch all jene Kämpfer des Segestes die vorher auf der Seite des Arminius gegen Varus kämpften in diesem Moment von Arminius abgewandt, da sie sich Segestes gegenüber verpflichtet sahen und hätten sich dann gegen Arminius gestellt. Es verlief sicherlich ein Riss zwischen beiden Fürstenhäusern, den man aber auch anlässlich der Thingversammlung nicht zum Ausbruch kommen lassen wollte. Stolz und Familienbande werden allemal groß und die Beziehungen beider Häuser eng mit einander verflochten gewesen sein. Man musste und wird es wohl zähneknirschend hingenommen haben, dass man Segestes aufgrund des Thingbeschlusses dann unmittelbar nach der Varusschlacht nicht greifen konnte und durfte, um ihn für seinen Verrat zur Rechenschaft zu ziehen. Aber es war meines Erachtens eine Entscheidung der Thingversammlung, die niemand zu brechen gewagt hätte. Aber wie konnte diese alte schon fast verheilte Narbe des Segestes Verrats nach den vielen Jahren die nach der Varusschlacht verstrichen, dann doch wieder aufbrechen und sich die Stimmungslage wieder gegen ihn drehen. Blicken wir zurück auf das Jahr 10 +. Was taten die Römer nach der Varusschlacht am Rhein. Ich ging dazu in einem anderen Kapitel näher auf meine Theorie von der „tiberianischen Landwehr“ ein. Man sicherte sich ab verschanzte und schützte sich am Rhein in den ersten Jahren nach der Schlacht vor einem unerwarteten germanischen Angriff mittels eines Pufferstreifens. Errichtet wurde er in einer Region abgerückt vom Rheintal im Bergischen Land, wo sich die Mittelgebirge für eine limesartige Schneise anboten und aus der man vorher große Teile der Sugambrer zwangs umgesiedelt hatte. In dieser überschaubaren Zone wagte man sich rechts des Rheins militärisch aktiv zu bleiben und Präsenz zu zeigen. Östlich davon sind auch keine nennenswerten Vorstöße bis zum besagten Jahr 14 + bekannt geworden. So trat nach der Varusschlacht in Ostwestfalen und an der Weser Ruhe ein. Man hatte sich die alte Freiheit wieder zurück erkämpft und wendete sich, nach dem sich der Siegestaumel verflüchtigt hatte, moralisch gestärkt wieder den früheren Lebensgewohnheiten zu. Die Lage normalisierte sich von Jahr zu Jahr zusehend. Der Feind blieb weitgehend hinter dem Rhein und so folgten sechs lange Jahre des Friedens in denen die alten Wunden verheilen konnten. In dieser Zeit könnte sich auch die Stimmung zwischen den zwei Sippen wieder aufgehellt haben und man näherte sich wieder an, denn die traditionellen Familienverbindungen zwischen den Sippen ließen es nicht zu, dass man sich unter einander bekriegte. Zumal wie ich schlussfolgerte Segestes sich an die Vorgaben der Thingversammlung hielt und man zudem die Schlacht gewonnen hatte. Aber dann brach das Schicksalsjahr 14 + an. Erst schien es so, als ob dieses Jahr wieder so verlaufen würde, wie die Jahre zuvor auch. Aber dann neigte sich der Sommer des Jahres 14 + dem Ende zu und es zeigte sich, dass die Ruhe nur trügerisch war. Die Lage in den römischen Kastellen am Rhein entwickelte sich unübersichtlich und selbst Germanicus hatte Mühe die Disziplin unter seinen Legionären aufrecht zu halten. Germanicus entschloss sich daher zum Handeln, zog aus der Revolte innerhalb seiner Soldaten die Konsequenzen und entschied sich zu einer ungewöhnlich späten Jahreszeit dazu erstmals nach dem Jahr 9 +, die Germanen im Inneren anzugreifen. Womit niemand gerechnet hatte, denn dieser plötzliche Rachfeldzug ohne Erklärung und Vorwarnung um seine Soldaten vom Meutern abzulenken kam bekanntlich für alle Germanen völlig unerwartet. Damit beschäftigte Germanicus die römischen Legionäre am Rhein und schlug ihren Aufstand geschickt nieder. Mit ihrem erlernten Kriegshandwerk konnten sie sich abreagieren und Germanicus konnte die Lage am Rheinlimes wieder unter seine Kontrolle bekommen. Die alten Revanche- und Eroberungsgelüste boten sich dafür hervorragend an. Auf die Germanen musste der blutige Feldzug gegen die Marser im Spätsommer bzw. Frühherbst dieses Jahres 14 + wie ein Schock gewirkt haben. Er nahm meines Erachtens seinen Anfang in Neuss und erstreckte sich vermutlich bis in den Raum Niedermarsberg, in dessen östlicher Region ich auch Tamfana verorte. Auf germanischer Seite vollzog sich in dieser Zeit ein Generationswechsel, der aufgrund der geringeren Lebenserwartung dynamischer verlief. Jüngere noch heranwachsende Germanen die im Jahre 9 + erst 11 Jahre alt waren, wollten und konnten sechs Jahre später bereits ein Schwert führen und das wollten sie auch. Die Stimmung heizte sich auch in Ostwestfalen auf, das bislang verschont blieb. Man konnte von Seiten der Cherusker und der anderen Stämme um diese Zeit noch nicht erkennen, welche Taten bzw. ob noch Feldzüge von römischer Seite dem folgen würden. Aber der letzte ruhige Sommer des Jahres 14 + vor dem römischen Angriff auf die Marser und den folgenden zwei harten Schlachtenjahren 15 und 16 + barg auch noch ein anderes Geheimnis. Denn das Wissen um die spätere Gemahlin von Arminius nämlich Thusnelda, lässt uns natürlich einen Blick auf die als zerstritten geschilderten Familienbande beider Fürstenhäusern werfen. Wobei unklar ist, ab wann man zerstritten war. Möglicherweise unterlag dies über die Jahre betrachtet einem auf und ab, je nach dem welche Probleme sich aufschaukelten. Das sich Arminius und Thusnelda möglicherweise schon von Kindesbeinen auf kannten ist denkbar. Thusnelda soll um 10 – geboren worden sein und wäre im Jahr der Varusschlacht demnach etwa 19 Jahre alt gewesen. In dieser Zeit lebte sie sicherlich noch in der Obhut ihres Vaters Segestes. Aber die Geschichte der beiden Fürstenkinder verlief tragisch, wie uns Tacitus berichtete. Tacitus nennt sie zwar im Gegensatz zu Strabo nie mit Namen, aber es kann sich in seinen Aufzeichnungen in Bezug auf Arminius nur um Thusnelda gehandelt haben. Von Tacitus erfuhren wir vom Hass, mit dem sich beide Fürstenhäuser gegenüberstanden, was nach den Ereignissen um die Varusschlacht auch nicht verwundert. Wie verhielt es sich also mit der historisch überlieferten Zerrissenheit der beiden Fürstenhäuser. So könnte man die These aufstellen, dass sich die Sippen erst untereinander zerstritten, als es im Zuge der römischen Besatzung und der späteren Varusschlacht zu erheblichen Differenzen kam. Differenzen, die es in den Jahren davor nicht bzw. in der Intensität nicht gab. Jahre in denen man gut nebeneinander her leben konnte und in denen man auch zur Verheiratung von Arminius und Thusnelda noch eine gemeinsame Richtung verfolgte bzw. Übereinstimmung erzielen konnte. Erst die großen Umbrüche brachten es mit sich, dass sich ein Keil zwischen die Sippen schob. So erfahren wir von Tacitus, dass sich das Zerwürfnis der Sippen später bis in den privaten Bereich ausdehnte und von Segestes besonders gegen Arminius gerichtet war. Möglicherweise rückte Segestes erst nach der Varusschlacht von der ursprünglichen Vereinbarung ab und versprach Thusnelda einem anderen Mann. Arminius schritt daraufhin zu einem nicht bekannten Zeitpunkt ein und raubte bzw. entführte sie aus dem Elternhaus, je nach dem wie man es lesen möchte. Da man im alten Germanien bei derartigen Dingen sehr empfindsam war, so wird diese Tat nicht aus dem Nichts heraus geschehen sein und Arminius dürfte seine Gründe dafür gehabt haben. Zum Beispiel könnte auch damals schon, eine möglicherweise statt gefundene Verlobung bereits ein mündliches Eheversprechen gewesen sein, dass Segestes brach, zumal Ehevereinbarungen von Fürstenkindern schon in sehr frühen Jahren abgeschlossen wurden. So kann man annehmen, dass zwischen den adligen Fürstenhäuser beider Stämme Einigkeit darüber herrschte, dass es hier zu einer arrangierten Ehe kommen sollte. Sie waren sich sozusagen versprochen. Es wurde also elterlicherseits entschieden, dass beide schon früh für einander bestimmt waren, also die Hiwa die germanische Ehe einzugehen. Was noch über die indogermanische Schiene dem altindischen Wort „Vivaha“ für Eheschließung etwas ähnelt. Wir wissen nicht wann sich Arminius und Thusnelda näher kamen. Da sie im Frühjahr 15 + sichtbar schwanger war, könnte es im Sommer, also noch vor dem Angriff der Römer auf die Marser zu einem Tête-à-Tête zwischen beiden gekommen sein. Eine Zeit in der sich Germanien wie im tiefsten Frieden wähnte. Und da es kaum vorstellbar ist, dass es zu Begegnungen von Arminius und Thusnelda kam, ohne das Segestes davon erfuhr, dürfte sich die Lage zwischen den Fürstenhäusern nach der Varusschlacht wie ich schlussfolgere wieder stabilisiert und entspannt haben. Thusnelda war im heiratsfähigen Alter und man hielt die seinerzeit beschlossene Familientradition bei, die die Fürstenhäuser mit einander verband, bzw. verbinden sollte. Aber die Lage nach dem römischen Blitzangriff auf die Marser sollte die gesamte Stimmungslage an der Weser in kürzester Zeit grundlegend verändern. Die Unken hatten es prophezeit. Rom würde die Schmach des Untergangs der Legionen im jahre 9 + nicht widerstandslos hinnehmen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es soweit war. Nun konnten sich auch alle vorstellen, dass der Marserfeldzug nur der Anfang einer neuen Phase von Kriegen und Gemetzel sein würde. Frühere Warnungen die man wohl zeitweise aus dem Westen erhielt, trafen folglich zu und man tat gut daran sich im Weserraum wieder zu rüsten, auf alles vorzubereiten und alte aber auch neue Allianzen zu schmieden. Man kannte die römischen Pläne und deren Stoßrichtung zwar nicht im Detail, aber den Arminen war nach der Marserattacke schnell klar, worauf man es abgesehen haben könnte, nämlich auf die Feinde von einst. Segestes der Römerfreund und wohl immer noch Rom nahe stehende Germane dürfte es ähnlich gesehen haben und die übrigen Germanen kannten seine Gesinnung. Segestes erkannte ebenfalls die Zeichen der Zeit und wird nach der richtigen Taktik für sich und seine Familie gesucht haben. Rom war wieder im Vormarsch begriffen alte und damals schon fasst sicher geglaubte Territorien wieder zurück gewinnen zu können. Nach Lage der Dinge musste man also mit einem massiven Truppenaufgebot von römischer Seite aus rechnen, denn es war bekannt welche Armeen Rom am Nieder- und Oberrhein zusammen gezogen hatte. Eine Truppenstärke die die des Jahres 9 + erheblich übertraf. Wenn er nun nicht in die neuen nun zu erwartenden und wohl heftig ausfallenden kriegerischen Turbulenzen mit hinein gezogen werden wollte, musste Segestes die richtigen Schritte einleiten. Zu aller erst war es dringend nötig einen nach außen hin deutlich sichtbaren Schnitt zum alten Römerfeind Arminius und dem Haus Segimer zu vollziehen. Nachdem man in Germanien unschwer erkennen konnte, mit welcher Brachialgewalt das Imperium wieder begann zurück zu schlagen, war dies das Gebot der Stunde. Denn nun konnte eine Nähe zu ihnen für Segestes zu einem gefährlichen Nachteil erwachsen. Folglich wäre ihm anzuraten gewesen, auf erste vorsichtige vielleicht noch zögerliche Distanz zu den Arminen zu gehen. Im Winter 14/15 + als die Legionen nach dem Marserfeldzug wieder links des Rheins standen, reifte dann möglicherweise sein Entschluss, die ersten nötigen Konsequenzen zu ziehen. Seine schwangere Tochter, die Gemahlin des Arminius die wie man annehmen kann auch bei Arminius lebte, konnte für Segestes somit zur Gefahr für ihn werden. Denn dies könnte man auf römischer Seite so auslegen, als dass Segestes und die Arminen nach der Varusschlacht wieder zusammen gefunden hatten. Denn wer seine Tochter dem größten Römerfeind zur Frau gibt, der konnte definitiv nicht mehr auf römischer Seite stehen. Er musste sich von den Arminen absetzen sich also deutlich distanzieren um diesen Eindruck zu vermeiden. Und sicherlich war auch Segestes die stark gewachsene Stärke und Präsenz der römischen Armee nach sechs Ruhejahren bewusst, was für die Germanen nichts Gutes versprach. Irgendwann hätte das Imperium damit begonnen, die alte Schmach wett zu machen bzw. zu rächen und das gründlich. Der überaus heimtückische Angriff auf die Marser war unmißverständlich. So könnte auch der Fall eingetreten sein, dass Segestes seine Tochter der vermeintlich drohenden Gefahr eines weiteren römischen Feldzuges im Jahr 15 + nicht aussetzen wollte. Zumal man allerseits davon ausging, dass es auch im Jahr 15 + zu einem weiteren Vorstoß römischer Truppen und das möglicherweise auch bis nach Ostwestfalen kommen könnte. Und dann war zweifellos Arminius und damit auch Thusnelda das Ziel eines römischen Feldzuges. Segestes könnte sich also bereits die Frage gestellt haben, ob es für seine Tochter nicht besser wäre, sie zu sich zu holen, statt sie bei ihrem Mann zu belassen, der als bald wieder ein Schwert in die Hand nehmen müsste. Germanicus führte seine Truppen im Frühjahr 15 + von Mainz aus nach Norden und Segestes verfolgte aufmerksam alle seine Bewegungen. Sich Segestes als einen treu sorgenden und fürsorglich denkenden Familienvater vorzustellen fällt allerdings schwer, ist aber denkbar zumal es auch seiner eigenen Sicherheit diente. Er könnte und dürfte meines Erachtens folglich auf die Idee gekommen sein, Thusnelda noch rechtzeitig in Sicherheit zu wissen und sie in seinen Fürstensitz gelockt oder entführt haben, wie es heißt. Mit der Entführung stellte er auch die Weichen, dass Thusnelda nicht in die befürchteten Kriegswirren geraten konnte. Denn Germanicus hätte auch schon im Frühjahr des Jahres 15 + einen Durchmarsch bis in die cheruskischen Stammesgebiete, also auch bis bzw. durch seine Stammesgebiete unternehmen können, was allerdings im Frühjahr 15 + ausblieb. Germanicus schlug aber, wie ich theoretisiere nach der chattischen Ederattacke auf seine Truppen wider erwartend den Rückweg zum Niederrhein ein. Dieser Schwenk blieb auch Arminius nicht verborgen und er nutzte den Rückzug von Germanicus um die zuvor von Segestes entführte Thusnelda wieder dem seinem Zugriff zu entziehen. Aber jetzt muss ich doch mal Herrn Segestes persönlich etwas fragen. „Edler Segestes, war Ihnen denn vorher nicht klar, dass Arminius die Entführung seiner Frau nicht hinnehmen würde und er daher alles tun würde, um sie wieder zu sich zurück zu holen und dafür auch vor eine Belagerung Ihres Fürstensitzes nicht zurück schrecken würde ? Edler Fremder, ich wollte meine Tochter doch nur solange in Sicherheit wissen, bis die Kriegsgefahr vorüber ist, dann hätte ich sie ihm sofort zurück geschickt. Erst als er sie sich mit Gewalt holen wollte, habe ich mich anders besonnen“. So weit so schlecht. Allgemein könnte man auch davon ausgehen, dass Segestes seine Tochter bereits in der vollen Absicht entführte, sich und seine Sippe bei nächster Gelegenheit Germanicus auszuliefern. Fakt ist aber auch, dass Segestes Germanicus erst um Hilfe anging als die Arminen ihn belagerten und keiner weiß wie es ausgegangen wäre, wenn die Arminen ihn nicht belagert hätten. Das Arminius die Belagerung nicht glückte könnte mehrere Ursachen gehabt haben die ich hier nicht thematisieren möchte. Vielleicht wäre Segestes hätte Arminius ihn nicht belagert dann sogar an der Leine geblieben. Als also Germanicus im Frühjahr 15 + gegen die Chatten vorging und bis zur Eder vorstieß, geschah dies sehr früh im Jahr, denn es folgte darauf hin noch ein weiterer römischer Feldzug im gleichen Jahr gegen die Brukterer und Cherusker im nämlich schon im Sommer 15 +, der umfangreiche Vorarbeiten nötig machte. Germanicus der die Eder überschritt, bewegte sich möglicherweise in Nordhessen und dürfte sich auf dem Weg zum Niederhein befunden haben, von wo aus er den Sommerfeldzug plante. Um die bekannten 30.000 Soldaten vom Oberrhein ins Ijsselmeer zu verschiffen brauchte er nicht den Umweg zurück nach Mainz auf sich nehmen. Möglicherweise stand er um diese Zeit etwa 50 Kilometer nordwestlich der Ederübergänge von Geismar etwa im Raum Korbach oder Brilon und wollte vermutlich als Rückweg zum Rhein den alten Haarweg nutzen, als ihn die Information von der Belagerung des Segestes Fürstensitzes durch Arminius und seiner Getreuen erreichte. Da ich die Wallanlagen von Segestes in Vogelbeck südlich von Einbeck vermute, hätte Germanicus dafür etwa eine Strecke von rund 96 km Luftlinie zurück legen müssen. Ob er für die Befreiungsaktion nur seine Kavallerie oder auch Fußtruppen nutzte ist nicht bekannt. Beritten konnte er die Region im Leinetal relativ schnell erreichen. Das Germanicus die Befreiung gelang beweist, dass die Kämpfer von Arminius sowohl zu schwach waren die Festung einzunehmen, als auch sich gegen Germanicus zur Wehr zu setzen. Als im Mehrschlachten Jahr 16 + die Entscheidungen fielen und Kaiser Tiberius das Ende der Kriegshandlungen ausrief lebte Segestes bereits im römischen Exil vermutlich in Gallien. Wer dann für ihn im Jahre 16 + bei Idistaviso und am Angrivarierdamm den cheruskischen Segestes Clan gegen Germanicus anführte ist nicht bekannt und ihm kann es egal gewesen sein. Möglicherweise lag im Jahre 16 + alles in der alleinigen Hand von Arminius und seinen neuen Verbündeten aus dem Nordosten Germaniens. Aber Segestes hatte es geschafft. Er war den Wirren der Varusschlacht entkommen, lebte bis ins Jahr 15 + noch sechs lange Jahre als allseits respektierter Fürst in Germanien, floh dann mit seiner ganzen Familie in römische Obhut und überließ den Segimer Cheruskern den Kampf gegen Rom, der ab dem Sommerfeldzug 15 + an Härte zu nahm. Segestes überlebte schwierige und unsichere Zeiten in denen auch Marbod eine Rolle spielte und nicht einschätzbar war. Durch seine taktisch man könnte auch sagen kluge Vorgehensweise entging er somit auch den gewaltigen Schlachten des Jahres 16 + bei Idistaviso am Angrivarierdamm und möglicherweise auch in der Niewedder Senke, in die er möglicherweise auch kraft Thingversammlung mit „hinein gezogen“ worden sein könnte. Man mag sich süffisant ausdenken oder ausschmücken wie seine letzten Jahre im gallischen Exil umgeben von einer gepflegten Villa Rustica mit Sklaven und niveauvollen Tischsitten ausgeklungen sein könnten. Segestes war beileibe kein germanischer Märtyrer, aber nahm innerhalb der politischen Gemengelage auch die Funktion eines wichtigen Gegenpols ein und vertrat somit die konträre Seite seiner Zeit. Heute würde man sagen, er stellte die Opposition. Vielleicht war er auch ein beschwichtigender Mäßiger, der einfach nur das große Risiko einer germanischen Niederlage scheute. Denn die hätte verheerende Auswirkungen haben können. Im Jahre 9 + konnte noch niemand ahnen, dass es der germanischen Allianz sogar gelang einen Feldherrn Germanicus mit seinem immensen Aufgebot an Kampfkraft letztendlich abzuwehren. Er hatte sicherlich auch das nötige Glück, doch alles klingt so, als ob er in den Wirren der Zeit einen bzw. seinen Weg fand, wie er sich den Kopf retten konnte. Möchte man noch ein Resüme ziehen, könnte man die Meinung vertreten, dass ein Geschichtswerk über sein Leben, gäbe es denn ein solches, sicherlich genauso interessant wäre, wie das verschollene Werk von Plinius dem Älteren und vielleicht sogar noch etwas authentischer. (17.6.2016)

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