Freitag, 26. Juli 2019
Segestes - eine Urquelle für die Varusforschung
Der Cheruskerfürst Segestes, der dubiose Germane im Hintergrund blieb für sechs lange Jahre aus der Sicht des römischen Staates in Ostwestfalen nahezu verschollen. Man wusste zwar in Rom, dass es ihn gab und er am Zustandekommen des Bündnisses mit den Cheruskern beteiligt war und möglicherweise auch eine maßgebliche Rolle dabei spielte, aber nach der Schlacht geriet der Mann in Italien in Vergessenheit. Niemanden in Rom dürfte nach alledem bekannt gewesen sein, was aus ihm geworden ist. Er war nach den Wirren der Varusschlacht in seiner Feste Vogelbeck nahe Einbeck förmlich unter getaucht und er verspürte in der ganzen Zeit nach der Schlacht wohl auch kein Bedürfnis nach römischem Schutz. Wir wissen nicht was sich in diesen sechs Jahren ereignete bzw. zusammen braute. Erst der römische Vernichtungsfeldzug 14 + gegen die Marser wird ihn wieder aufgeschreckt haben. Aber seine Zeit sollte noch kommen, in der er sich für die römisch germanische Forschung unsterblich machen sollte. Denn er war Augenzeuge in einer turbulenten Phase, wie sie in der frühen Geschichte einmalig war, als sich unsere ersten namentlich bekannten Vorfahren auf heute deutschem Boden anschickten sich einen Platz in der Historie zu sichern. Im Jahre 9 + schlug nämlich in Ostwestfalen nicht nur irgend eine beliebige, sondern die entscheidende Sternstunde der frühen deutschen und somit auch europäischen Geschichte. Eine Schlacht deren unerwarteter Ausgang die damals vorherrschende Realität einer römisch geprägten und dominierten Tagespolitik auf den Kopf stellte. Eine militärische Auseinandersetzung die eine Umkehrpolitik einleitete und alles bisherige umwälzte und deren Konsequenzen und Auswirkungen sich damals niemand bewusst sein konnte. Ein Ereignis einer Verwerfung gleich, dass nicht nur die Weichen für die großen Sprachausrichtungen der Zukunft stellen sollte, sondern auch tief in die regionale Dialektik hinein wirkte. Sie führte zu einer Abgrenzung zweier Kulturkreise innerhalb von Mitteleuropa auf Jahrhunderte, wenn nicht sogar auf Jahrtausende und wurde bis ins 19. und 20. Jahrhunderte hinein zu Zwecken der Kriegstreiberei missbraucht. Und es beeinflusst ja belastet, wenn man genau hinschaut, sogar noch bis in unsere Tage das Verhältnis vieler europäischer Staaten untereinander. Was für die germanischen Stämme damals als ein Befreiungsschlag gefeiert wurde, war für das Imperium eine unerwartete Niederlage zu einer denkbar ungünstigen Zeit. Es gelang den Germanen auf dem Höhepunkt imperialer Machtentfaltung römisches Prestige, Selbstvertrauen und die souveräne Gelassenheit eines Weltreiches kurzzeitig zu erschüttern. Man war es in Rom gewohnt und das nicht nur aus architektonischer Sicht betrachtet, sondern auch fußend auf der römischen Gesetzgebung für die Ewigkeit zu planen. Ein unvorstellbarer Gedanke, dass nun rückständige, Wald- und Feld bewohnende, ja angeblich nur menschenähnliche ehemalige Nomadenstämme diese Hochkultur bedrohen sollten. Aber man war guten Glaubens und gedachte diese Schlappe zu gegebener Zeit wieder ausmerzen zu können. Dies sollte sich jedoch in den folgenden Jahren nach 15 +, selbst nach dem Wiedererstarken der Kräfte unter einem Feldherrn Germanicus, als ein Trugschluss heraus stellen. Germanicus wieder die römische Ehre in Germanien herstellen zu lassen mag zweifellos eine strittige Entscheidung gewesen sein, da er schon mit der Niederschlagung des dalmatinischen Aufstandes im Sommer 9 + überfordert schien und Tiberius dafür von Kaiser Augustus eilends herbei gerufen werden musste. So schien es für Rom in den dunkelsten Stunden des Machtverlustes einzig nur darauf anzukommen den geeigneten Moment und den günstigen Anlass abzuwarten, um wieder auf Angriff übergehen zu können. Der Dichter Ovid nutzte diese triste Atmosphäre nach der Schlacht unter der das Imperium damals litt und sich wie ein dunkler Schleier über das Land zu legen schien aus, in dem er das Volk aufmunterte, ihnen eine dichterische Perspektive bot und einen optimistischen Ausblick in die Zukunft wagte. Er schuf ein Epos einer Vision gleich, wie die gefangenen hinterlistigen Cherusker in Fesseln durch Rom geführt wurden, ohne das dies je zur Realität wurde. Allerdings verfasste er sein Gedicht, wie wir wissen nicht ganz ohne Eigennutz, da er sich erhoffte damit ein Rückkehrrecht aus dem Exil nach Rom erkaufen zu können. Aber wir wollen im auch nicht absprechen, dass er sich darum bemühte seinen persönlichen Beitrag zu leisten um die Phantasien und Hoffnungen auf bessere Zeiten für Kaiser und Volk wieder von neuem zu entfachen und in die Richtung zukünftiger Großtaten zu lenken. Seine ins rechte Licht gerückten Zeilen müssen und sollten wie Balsam auf der verzagten Seele der Menschen eingewirkt haben. Ovid streute bekanntlich seine salbigen Ferse breit, damit sie nicht nur Volk und Oberschicht, sondern auch den Kaiser persönlich erreichten um ihn geneigt zu machen, die Verbannung gegen ihn aufzuheben. Was wir heute über die Varusschlacht wissen, basiert im Kern letztlich alles nur auf den nieder geschriebenen mündlichen Aussagen der ersten Zeitzeugen und dem was noch in den Folgejahren zeitversetzt aus Ostwestfalen nach Rom durch sickerte. Und das wenige, was möglicherweise noch jene Legionäre dazu beitragen konnten, denen eine späte Flucht aus der Gefangenschaft, also der Versklavung gelang, oder das was die freigekauften prominenteren Legionäre berichten konnten und auch wollten. Zu den letzten Quellen aus der Diaspora germanischer Sklaverei könnte auch der seinerzeit im Zuge der Varusschlacht überwältigte Legionär gezählt haben, der vom römischen Militär noch 41 Jahre nach der Schlacht bei den Chatten befreit werden konnte. Inwieweit er sich da nicht schon selbst als Germane empfand, bzw. überhaupt noch die lateinische Sprache beherrschte, sei natürlich dahin gestellt. Da es bislang nicht gelang auch nur einen einzigen Bodenfund zur Präzisierung des Varusschlachtortes zu sichern um darauf basierend einen datierfähigen Zeitpunkt zu rekonstruieren womit sich alles zum Sprechen bringen ließe, hält die Suche sowohl im Boden, als auch in den antiken Quellen unverändert an. Selbst die Archäo -Metallurgie in die man viel Erwartung setzt, ruderte bereits vorsichtig zurück. Denn sollte sich anhand der wissenschaftlichen Untersuchungen an den Funden bei Bramsche bestätigen, dass in Kalkriese tatsächlich die Varusschlacht statt fand, so befürchtet man schon, dass selbst damit die Diskussion noch nicht zu Ende sei. Man fragt sich da natürlich unwillkürlich, was eine Bestätigung überhaupt für einen Wert besitzt, wenn man bereits vorher davon aus geht, dass sie anfechtbar sein wird. Denn bekanntlich kann eine Bestätigung nur angefochten werden, wenn sie nichts sicher bestätigen kann und dann ist es keine Bestätigung mehr sondern eine Hypothese. Ungeachtet dessen sind wir für alles dankbar was weiter hilft. Und nach alledem was die Urquellen aus Germanien zu berichten wussten und was dann davon wiederum die antiken Chronisten übernahmen und verschrifteten, deutet alles darauf hin, dass die Schlacht extrem verlustreich verlaufen sein musste. Mangels besseren Wissens, haben sich die modernen Historiker daher auf eine Festlegung verständigt die da lautet, “alle Römer kamen in ihr um und nur wenige von ihnen überlebten sie“. Wer also nicht schon während der Kämpfe an den ersten Tagen sein Leben ließ, zog das nächste Los und musste Varus auf dem weiteren Weg bis in den Untergang folgen. Immer in der Hoffnung später zu den Überlebenden zu zählen, vergingen für die Legionäre wohl die kritischsten Stunden, Tage und Nächte ihres Lebens. Die germanischen Stämme hatten das Heft in der Hand und konnten den zunehmend dezimierten Legionen in ihrer Zwangslage nach Belieben neue Gemetzel bescheren oder ihnen taktische Ruhephasen gönnen. Man trieb sie zuletzt je nach Kalkül vor sich her lenkte und schleuste sie sukzessive in eine steile Schlucht in der das Verderben über sie herein brach, um es mal theatralisch im Sinne der „Varusschlacht – Festspiele“ auszudrücken. Denn nur eine Fluchtrichtung in Richtung Sonnenuntergang oder der nach Westen ausgerichteten Baumbemoosung versprach ihnen Rettung. Unkontrollierte Fluchtbewegungen „Hals über Kopf“ aus dem Unterland an der Nethe zur Lippe machte letztlich der schroffe und steile Eggekamm zwischen Nethegau und Westfälischer Bucht zunichte. Und jeder Römer musste befürchten, dass hinter förmlich jedem Baum schon ein Germane wartete um einem derartigem Ansinnen ein schnelles Ende zu bereiten. Aber damit nicht genug, denn bei bewölktem und regnerischen Wetter half auch das beste Wissen um den Sonnenstand nicht weiter, die Moosbedeckung hat einen breiten Streuwinkel und verriet dem ungeübten Legionär nicht unbedingt den richtige Fluchtweg durch Sumpf und Gebüsch nach Westen. Ausgezehrt vom Kampfgeschehen, mitten im Getümmel und nach nur wenigen Körperdrehungen war es zudem aussichtslos und unmöglich noch dazu in einer Senke einen freien Blick auf die scheinbar rettenden Eggehöhen zu erhaschen. Kein Germane gleich wo, der damals einem fliehenden Römer begegnete, wird hier an Nächstenliebe gedacht haben. So könnte sich möglicherweise die Realität zugetragen haben und auch die Vorstellungskraft jener, die sich nicht zur Flucht hinreißen ließen und wie erstarrt auf ihre Gefangennahme warteten. Irgendwann im letzten Kampfabschnitt sonderte sich wegen der Ausweg- und Aussichtslosigkeit der Lage die Kavallerie des Numonius Vala ab und suchte ihr Heil in der Flucht. Unter ihnen sollen sich noch die meisten Überlebenden befunden haben. Wer es bis zum letzten Tag schaffte einer germanischen Lanze oder einem Schwerthieb zu entgehen, der endete auf dem Altar, wo die Hinrichtung statt fand, ging in die Sklaverei, schlug sich noch ins römische Lager Aliso nach Schwaney durch, kam später gegen Lösegeldzahlung frei oder wurde wie es uns Tacitus in besagten Fall berichtete noch nach 41 Jahren befreit. Letztlich tendierte die Zahl derer die ihre Haut retten konnten, wohl gegen Null. Wer es dann doch noch bis zum Rhein schaffte, der bekam auf höchste kaiserliche Anweisung obendrein noch „Einreiseverbot“ für Italien, denn die Unruhe in den Straßen von Rom war auch so schon für den Kaiser besorgniserregend genug und bedurfte keiner zusätzlichen Befeuerung. Das Imperium vermied in dieser Phase negative Nachrichten jeglicher Art und ging daher auch mit den eigenen Männern nicht zimperlich um. Gerade so, als ob man gar nicht so sehr daran interessiert gewesen wäre, näheres über ihr Schicksal aber auch den Verlauf und die Ursachen der Schlacht erfahren zu wollen. Auf welche News aus Germany könnten sich da noch die antiken Historiker gestürzt oder gar verlassen haben und was ließ sich da von alledem überhaupt noch von ihnen plausibel für die Akten verarbeiten. Die Schlacht war verloren und frei nach dem Motto „nichts ist älter – als die Schlagzeile von gestern“ kann man sich auch fragen, wer war da überhaupt noch an den genauen Umständen interessiert war. Möglicherweise, ja sogar als nahezu sicher könnte man annehmen, dass unser heutiger Wissensdurst an der Varusschlacht ungleich größer war, als damals. Das Verlangen in Rom dürfte also nicht übermächtig groß gewesen sein, sich sofort nach der Schlacht mit den näheren Umständen befassen zu wollen oder sich um Aufklärung zu bemühen. Zum anderen stellt sich seit jeher die Frage nach der damaligen Staatsraison, ob überhaupt berichtet werden durfte und ab wann man Recherche zuließ. Ich gehe daher davon aus, dass in den ersten Jahren nach der Schlacht die Eintragungen der Chronisten am Hofe des Kaisers, die es zweifellos gab, auch nur recht spärlich und mager ausfielen. Traurige Ereignisse verdrängte die Menschheit immer schon gerne, damals wie heute. Und die Begrifflichkeit einer Erinnerungskultur war den damals Lebenden fremd. In die römische Germanenpolitik kehrte nach der Schlacht eine leicht trügerische Ruhe ein. Der sich verschlechternde Gesundheitszustand von Kaiser Augustus bremste in der Übergangsphase jegliche Dynamik innerhalb der Befehlshierarchie. Kaiser Augustus hatte sich mit seinen Taten in der "Res Gestae" verewigt, war aber zögerlich bei der Ernennung von Tiberius zu seinem Nachfolger, konnte aber im Vergleich zu manch anderem Kaiser in Rom auf eine erfolgreiche Regentschaft zurück blicken. Aber welcher langjährig amtierender und schon als Sonnengott verherrlichter Kaiser verabschiedete sich gerne von der Macht. Wir kennen das auch aus der neudeutschen Politik. Auch Tiberius konnte sich selbst noch nicht mit seiner neuen Rolle als designierter Kaiser identifizieren aber die Ereignisse zwangen ihn zum Handeln und sie ließen sich nicht aussitzen. Nicht nur oberflächlich betrachtet sind diese führungslosen „Interregnen“ seit jeher auch der Nährstoff der zu Revolten führen kann. Germanicus bekam es 15 + in Neuss zu spüren. So war es wohl so, dass sich Roms Legionäre in dieser Übergangsphase überflüssig fühlten und untätig in ihren Standlagern und Ausgangsquartieren am Rhein verharren mussten. In den Jahren 9 + bis 15 + blickte man von dort aus noch wie gebannt auf die germanische Schlange, die sich aber nicht bewegte. Nichts rührte sich in Innergermanien. Über die Varusschlacht begann langsam das Gras zu wachsen und man begnügte sich noch mit der Rheinabsicherung und leistete sich lediglich in sporadischen Abständen ein auf Imponiergehabe beruhende Vorneverteidigung. Und diese vermutlich auch nur innerhalb der „Tiberianischen Landwehr“ vor der künstlich gezogenen sugambrischen Ostgrenze. In dieser gegenseitigen Stillhaltephase begann Tiberius bereits ab dem Jahre 10 + an den ersten Strategien zur Rückeroberung zu schmieden, die er jedoch zeitweilig unterbrechen musste. Aber es war wohl auch kein Zufall, dass kaum nach dem Tod von Kaiser Augustus im August 14 + Tiberius freie Hand hatte, um in Abstimmung mit dem in Dalmatien glücklosen vielleicht aber auch unfähigen Germanicus in Germanien zurück zu schlagen. Bevor ich aber in die Rolle des Segestes einsteige der auch in diesem Kapitel die Hauptperson ist bedarf es noch einer Rezeption. Wir müssen uns nämlich noch auf jene holprigen Wegen begeben, auf denen sich auch die Spuren der Hufe der römischer Schlachtrösser vom Sommerlager bis in den Saltus eindrückten, jenem schaurigen Ort an dem die Schlacht zur Neige ging. Suffektkonsul und Legat unter Varus war im Jahre 9 + sein Neffe Asprenas, dem zwangsläufig nach der Schlacht als ranghöchstem Befehlshaber die gesamte Verantwortung über das weitere Vorgehen zu fiel, nachdem es ihm gelang sich mit seinen zwei Legionen hinter den Rhein in Sicherheit zu bringen. Man rechnete ihm die sichere Rückführung der Truppen hoch an, obwohl der germanische Arm dazu wohl nicht mehr die nötige Kraft aufbringen konnte um ihn daran zu hindern bzw. ihm in diesen Tagen noch bis an den Rhein nachstellen zu können. Tiberius der nach der Katastrophe bereits im Winter 9 + /10 + an den Niederrhein eilte, nahm ihm die Last von den Schultern und traf die wichtigen Vorbereitungen und Entscheidungen um gegen einen möglicherweise späteren Vorstoß der Germanen „gewappnet“ zu sein. Übrigens “Gewappnet“, das uralte Wort und Vorläufer des namens Waffen, im englischen Weapon, das wir heute noch in der Wappenkunde, der Heraldik wieder finden. Das bemalte Wappenschild diente im ursprünglichen Sinne als Abwehrwaffe verlor in der Zeit aber seine Funktion als Waffe, geriet mehr zum Erkennungssymbol in der Schlacht und wurde später zum Ahnenzeichen von Familientraditionen. Und auch die Cherusker könnten sich schon mit einfachen Schilden vor römischen Schwerthieben geschützt haben. Die Reiter der Vala Kavallerie waren vermutlich die ersten die Xanten über den Haarweg erreichten und Asprenas Bericht erstatteten, aber sie blieben bekanntlich nicht bis zum „Showdown“ im Saltus. Ihr Kenntnisstand riss schon vorher ab und reichte nicht aus um Angaben über die letzten Kampfaktivitäten zu machen. Zuerst war es natürlich Asprenas, er müsste es eigentlich mit erlebt haben, wie die ersten ausgehungerten und mehr Tod als lebendig erscheinenden Überlebenden nach gewaltiger Kraftanstrengung und Nachtmärschen die römische Zivilisation und das Rheinufer erreichten. Tiberius und auch Germanicus wird noch den einen oder anderen persönlich befragt haben können. Was sie beschrieben, nach dem sie zu Kräften kamen, diente wohl eher weniger einer komplexen Aufhellung der Ereignisse, sondern weckte die allseitige Bewunderung, dass ihnen überhaupt noch die Flucht wie auch immer gelang. Aber ihre bruchstückhaften Erlebnisberichte aus dem Kessel der Clades Variana einschließlich dem Wissen der Überlebenden Kavalleristen waren der ultimative Kern von alledem, was uns heute zur Auswertung zur Verfügung steht. Nur diese Augenzeugen waren es die, wie in allen Kriegen der Welt die authentischsten Nachrichtenquellen bildeten und damit zur Grundlage späterer Veröffentlichungen wurden. Die römischen Befehlshaber am Niederrhein waren die höchsten Repräsentanten des Reiches in Niedergermanien und sie konnten sich in den Jahren nach der Schlacht die beste Übersicht über den Verlauf der Varusschlacht machen. Nur sie besaßen den umfassendsten Kenntnisstand in jenen Tagen. Aber kein antiker Historiker verweist, warum auch immer als Quelle auf diese bedeutenden Schlachtenlenker hin. Kein Asprenas, kein Tiberius und kein Germanicus findet sich unter den Personen die die späteren Historiker als Quelle anführten. Was waren die Ursachen dafür bzw. wie weit griff eine mögliche Verdunkelungsanweisung. Tiberius war eben kein Cäsar und er wollte uns keine „De bello Germanico“ hinterlassen. Wir können also nur rätseln warum er schwieg. Dem in Verdacht geratenen Asprenas, denn man unterstellte ihm, er habe sich an der Kasse der untergegangenen drei Legionen bedient bzw. bereichert, kann nicht daran gelegen gewesen sein, die Überlebenden die nach Tagen, Wochen oder Monaten den Weg nach Xanten zurück fanden mit offenen Armen und Konfetti zu empfangen, was viel Raum für weitere Spekulation lässt. Das er an Aktenvermerken kein Interesse hatte scheint daher plausibel. Tiberius sein Vorgesetzter, der Feldherr und spätere Kaiser der bereits ab dem Winter 9 +/10 + in Xanten anwesend war, müsste als Nachfolger von Varus und nur wenige Monate nach dessen Niederlage über die besten und authentischsten Nachrichten aus dem Teutoburger Wald verfügt haben. So hätte er die entkommenen Reiter aus den Vala Schwadronen vernehmen bzw. befragt haben können ja sogar müssen. Denn ihr Wissen umfasste nicht nur den Schlachtverlauf sondern erlaubte auch tiefere strategische Einblicke in die Hierachie der Cherusker und vieles mehr, heute würde man es Spionage nennen. Mit seinem Wissen ausgestattet hätten wir möglicherweise allen Spekulationen für alle Zeit einen Riegel vorschieben können, wo in etwa die Marschstrecke verlief, wie viel Tage die Schlacht andauerte und manches mehr. Sein Name findet jedoch an keiner Stelle als Quelle Erwähnung, so dass es recht fraglich ist, ob man an den tatsächlichen Ursachen und den Abläufen der Schlacht in den ersten Jahrzehnten nach der Schockstarre überhaupt interessiert war. Andererseits könnte man aber auch die Frage aufwerfen, ob Tiberius schwieg weil er zuviel unangenehmes wusste, oder eben einfach auch nur deshalb, weil er nichts wusste, also niemand bei ihm vorstellig wurde um Aussagen zum Hergang zu machen oder machen zu wollen. Ich hatte an anderer Stelle den Verdacht geäußert, dass der massive Truppenabzug von allen Fronten für den Markomannenfeldzug und den folgenden Pannonienkrieg die drei Varus Legionen stark entblößte und dies Varus später geschwächt hatte. So fühlte sich Tiberius am Desaster gewissermaßen selbst mit schuldig. Der Markomannenfeldzug entwuchs zweifellos einem römisches Prestigebedürfnis. Es entwickelte sich daraus aber letztlich für das Imperium ein glücklicher Umstand. Denn dadurch hatte Tiberius bereits in relativer Nähe zu Pannonien komplette Legionen einsatzbereit, war verhältnismäßig schnell vor Ort und eine tiefe Mobilmachung konnte zu großen Teilen entfallen. Vergessen wir bei den ersten Berichten der Überlebenden in Xanten auch nicht, dass es sich dabei möglicherweise nur um einfache Legionäre handelte, die aufgrund der Aufregung nur konfus zusammen gewürfelte Darstellungen liefern konnten, je nach dem an welcher Position des Marschzuges sie eingeteilt waren, wo und als was sie gedient hatten. Aber ohne ihnen zu nahe treten zu wollen, glichen sie vielleicht mehr einem geschundenen menschlichen Kampfkörper, der nicht imstande war detaillierte Zusammenhänge vermitteln zu können und auch ihr Bildungsgrad lässt ich nur erahnen. Für sie verlief alles chaotisch, blutig, regnerisch in einer heillosen Flucht nach vorne und Germanen von allen Seiten. Sie mussten auch vorsichtig sein, denn am Ende unterstellte man ihnen noch mangelnden Kampfeswillen, denn überlebt zu haben lässt sich auch als Feigheit auslegen. Auch Germanicus war noch nahe dran, als er erstmals 11 + Tiberius an den Niederrhein folgte sich dann nochmal kurzzeitig nach Rom begab um sich dann aber ab Januar 13 + für einige Jahre in Germanien aufzuhalten. Ab dem Spätherbst des Jahre 14 + begann er sich darum zu bemühen die alte Ostgrenze des Imperiums wieder herzustellen, sprich Krieg zu führen. Auch aus dem Munde von Germanicus erhalten wir über die Varusschlacht keinerlei Informationen. Erst zeitversetzt, über Umwege und lediglich im Zusammenhang mit der Knochenbeisetzung der toten Legionäre im Jahre 15 + an der er mit Hand anlegte und anlässlich der er sich als priesterlicher Augur zum Ärger von Tiberius befleckte, ließ er sich wieder etwas in die historischen Karten schauen. Vielleicht spielte bei diesem Disput auch etwas die Rivalität eine Rolle, da die Soldaten des Germanicus statt Tiberius wohl ihn gerne als Kaiser gesehen hätten. Es klingt aber eher so, als ob es Tiberius angenehmer gewesen wäre, Germanicus hätte die alten Schauplätze gar nicht mehr auf gesucht. Tiberius, der nunmehr Kaiser war störte sich vermutlich mehr daran, dass Germanicus im Zuge des Bestattungsrituals wieder die alten Wunden aufriss, als dass er mit Leichenteilen in Berührung kam. Die Narben sollten vernarben. So haben wir im Zusammenhang betrachtet sowohl in Tiberius als auch Germanicus gleich zwei namhafte römische Schlachtenlenker zu denen uns keine Informationen darüber vorliegen, ob es von ihnen überhaupt Schilderungen zum Verlauf der Varusschlacht gab. Obwohl sie im 2. Jahrzehnt des neuen Jahrtausend am Nächsten zum Geschehen standen, blieb es erst rund 1oo Jahre später einem Tacitus vorbehalten, uns zumindest noch die Szenerie der Knochenbestattung des Jahres 15 + zu schildern, während wir von ihm rätselhafterweise kein Wort über den Verlauf der Schlacht erfahren. Dafür hinterließ er uns allerdings den wichtigen geographischen Fixpunkt, wo wir nach den Resten der drei Legionen zu suchen haben, nämlich den römischen Namen für die Eggeschlucht zwischen Borlinghausen und Kleinenberg. Germanicus dürfte spätestens seit dem Jahr 11 + als er Germanien als designierter Konsul erstmals betrat, wo er auf Tiberius traf zumindest ungefähr gewusst haben, wo sich die denkwürdige Varusschlacht ereignet hat. Man wird es ihm beschrieben haben. Aber im Jahre 15 + steuerte er sie nicht auf dem direkten Weg an, da sie nicht auf seinem Zugweg ins Kerngebiet der Cherusker lag, die er anzugreifen gedachte, sondern streifte sie nur nördlich in einem Abstand von etwa 20 Kilometern. Während man in Velleius Paterculus schon fasst eine Art persönlichen Biographen des Feldherrn Tiberius sehen kann, wissen wir von keinem der Germanicus chronistisch begleitete. Germanicus ging in Rom der Tätigkeit eines Patronus vor den ordentlichen Gerichten nach. Wie uns Sueton hinterließ wurde Germanicus in rhetorischer Hinsicht besonders gefördert und ausgebildet. Augustus hatte Germanicus, der sein Enkel war noch selbst nach Germanien entsandt, um den Krieg gegen die Germanen erneut aufzunehmen. Tiberius als auch Germanicus könnten auf höhere Weisungen um das brisante Thema Varusschlacht einen größeren Bogen gemacht haben, weil Augustus es vielleicht so wünschte. Germanicus hätte also allemal genügend Talent und Erfahrung besessen um an der schriftlichen Aufarbeitung der Varusschlacht mitwirken zu können, wenn er es denn gewollt hätte, oder wenn man ihn gelassen hätte. So müssen wir uns wohl damit begnügen, es hier mit zwei sehr schweigsamen Männern zu tun gehabt zu haben. Und, dass das Wissen dieser beiden Feldherren nicht in die Annalen der Varusschlacht, so wie wir sie kennen eingeflossen ist, ist meines Erachtens daran zu erkennen, dass alles was wir historisch in Erfahrung bringen können, mit Ausnahme der Überlieferungen von Velleius Paterculus, nie durch die Hände eines militärisch geschulten und erfahrenen römischen Kommandanten wie es etwa Tiberius oder Germanicus gewesen wären, gegangen ist. Denn alles Sonstige uns auch aus dem 2. Jahrhundert Hinterlassene trägt weder die erkennbare Handschrift noch die Züge von Militärhistorikern. Da wir also diese zwei berühmten Persönlichkeiten ausklammern müssen, geht uns leider nicht nur der wichtige römische Zeitzeuge Tiberius verloren. Sondern auch die Quelle eines „Beinahezeitzeugen“; denn auch Germanicus verriet uns nichts darüber, was sich mit ihm zum Verlauf der Schlacht in Verbindung bringen ließe. Nähern wir uns aber nun der wesentlichen Frage dieses Kapitels an. Sie lautet. Wurde der Germane Segestes im Jahre 17 + mangels aussagefähiger Überlebender römischer Schlachtenteilnehmer und zweier unwilliger, kenntnisarmer oder zum Schweigen verpflichteter römischer Feldherren zu einer der Urquellen für alle römischen Chronisten, die über die Ereignisse um die Varusschlacht berichteten. Wohl wissend, dass es sie gab möchte ich mir einer gewissen Provokanz bewusst, die Frage aufwerfen, ob man imstande wäre auch römische Quellen anhand der Schriftenanalyse der antiken Berichterstatter auszumachen. Informationen die sich sicher von der Urquelle Segestes isolieren lassen um nachzuweisen, dass es sie gab. Die eindeutig römischen Ursprungs waren und in denen sich auch ein Bezug erkennen lässt. Und natürlich gab es auch schon vor dem Eintreffen von Segestes in Rom Berichte zur Varusschlacht, aber aus welchen Quellen diese stammen wird für uns immer ein Rätsel bleiben. Im voraus gegangenen Abschnitt hatte ich den Verdacht geäußert, dass sich Segestes mit seinem tieferen Wissen über die Varusschlacht gegenüber Chronisten und Machthabern in Rom förmlich frei kaufen musste, in dem er sich literarisch und rhetorisch selbst erhöhte, wenn er nicht als Doppelspion in der Arena enden wollte. Das zwang ihn der römischen Gerichtsbarkeit eine ausgewogene und überzeugende Darstellung zu offerieren, die ihn zum beinahe Märtyrer und leidenschaftlichen Vorkämpfer der römischen Provinzialisierung in Ostwestfalen machte. Er brauchte die nötige Unbedenklichkeitsbescheinigung möglichst mit Siegel um im damaligen Hexenkessel Rom überleben zu können. Um aus den vorhandenen Quellen jene Hinweise heraus zu filtern von denen man annehmen könnte, sie entsprächen dem O - Ton eines Segestes ist noch folgendes festzustellen. Römische Historiker gleich um welchen von ihnen es sich handelte, sollte ihr Wissen und ihre Überlieferungen auf Segestes beruhen, werden dies nicht im Quellenverweis kenntlich gemacht haben. Sie werden in ihren Texten grundsätzlich Formulierungen angewendet haben, die den Eindruck erwecken, dass alles nieder geschriebene aus dem Munde von Landsleuten also Überlebenden oder anderen römischen Gewährsmännern stammte. Alles wurde und musste aus der Sicht der römischen Schlachtenteilnehmer dargestellt werden, denn nur ein einziger Hinweis auf eine germanische Quelle hätte ihr Werk „ad absurdum“ geführt und vor den Augen einer kritischen Leserschaft unglaubwürdig gemacht. Man wäre nun an einem Punkt angelangt feststellen zu müssen, welche Aussagen wie auch immer Segestes sie inhaltlich vorbrachte ihm genutzt haben könnten und was für ihn um seine Haut zuretten unerheblich war. Segestes besaß, obwohl er wie man allgemein schlussfolgert selbst nicht an der Varusschlacht teil nahm umfängliche Kenntnisse über den Verlauf. Zumal er in den Krieg „hinein gezogen“ wurde, könnten ihm taktische Abläufe und Schritte im Zuge der Thingversammlungen und seinem Status als Fürst offen oder verdeckt zu Ohren gekommen, ihm zugetragen oder ihm zugänglich gewesen sein. Zum anderen nahmen auch selbst seine engsten Sippenangehörigen an der Schlacht teil und konnten ihm danach berichten, was sich wie und wo zutrug. Da er selbst nicht im Gefecht stand und er sein Wissen nur über germanische Zungen hatte, konnte er nichts aus der Sicht der römischen Legionäre berichten, denn ihnen begegnete er nach der Schlacht nicht mehr. Es sei denn er wäre auch noch in den Sklavenhandel mit gefangenen Legionären nach der Schlacht verstrickt gewesen. Was allerdings tief blicken lassen würde. So käme es nun darauf an den Wissensstand beider sich wider streitender Fronten also den Kontrahenten von damals aufzuarbeiten, ihn zu kennzeichnen und voneinander zu trennen. Am Ende der Analyse stünde uns möglicherweise eine Antwort bevor aus der hervor gehen könnte, dass vieles von dem was wir meinen über die Schlacht zu wissen, auch der überzogenen Dialektik eines Segestes entsprungen sein könnte. Andererseits könnte uns dies aber auch zu einem ungetrübteren und nüchteneren Blick verhelfen. Wir werden aber auch Hinweise finden, die keine klare Zuordnung ermöglichen und zulassen, und denen eine Vermischung römisch/germanischer Quellen zugrunde gelegen haben könnte. Aber in welcher Form bringt uns eine derartige Analyse hinsichtlich der Varusforschung überhaupt weiter. Wir könnten Plausibiliäten oder Parallelitäten erkennen, vielleicht sogar Glaubwürdigkeitsfragen abklären oder Unterscheidungsmerkmale zwischen den Schlachtenbeschreibern Florus und Dio heraus arbeiten. Wir müssen aber auch befürchten und uns unter Umständen eingestehen, dass unter Berücksichtigung des zeitlichen Abstandes nach dem die beiden bedeutenden antiken römischen Chronisten Florus und Dio berichteten theoretisch alles aus dem Munde von Segestes geflossen sein könnte und somit verfälscht in unsere Zeit über gekommen ist. Denn selbst die früheste Quelle einer Ära nach dem Segestes Auftritt in Rom am 26.5.0017 nämlich der des Velleius Paterculus der um bzw. nach 30 + verstorben sein soll, könnte schon auf den anzuzweifelnden Aussagen des Segestes beruht haben. Denn auch er schrieb erst, nach dem Segestes im Jahre 17 + von den römischen Advokaten verhört wurde. Sie sehen selbst, dass hier eine Tür aufgestoßen ist, die uns auf Abläufe blicken lässt, die nicht im Handumdrehen zu beantworten sind. Genau genommen scheint es unvermeidbar zu sein vor diesem Hintergrund die Angaben aller antiken Historiker noch einmal miteinander abgleichen zu müssen. Aber die Arbeit verspricht auch ihren Reiz. Den viele Angaben aus antiken Quellen werden nicht nur, sondern müssen geradezu ins Wanken geraten. Was dann übrig bleibt könnte zwar stofflich betrachtet ärmer und nicht so blumig oder gar drastisch ausfallen, aber dadurch vielleicht an Glaubwürdigkeit gewinnen. Aber selbst; ich möchte sie mal provokant die Geschichten des Segestes bezeichnen, bieten uns wieder neue Nahrung die uns hilft tiefer in die germanische Seele Einblick zu nehmen. Denn auch die „Erzählungen des Herrn Segestes“ sind immerhin schon 2000 Jahre alt und bilden und bieten uns innerhalb der „Clades Variana“ einen neuen und eigenen Forschungskomplex an, wenn es denn gelingt sie aufzuspüren. Aber die Chronologie weist uns den Weg zurück und hilft uns die Überlieferungen die ab dem Jahr 9 + verfasst wurden unter der Lupe der „Segestesforschung“ zu betrachten. An den Anfang gestellt gehört eine Kurzanalyse wie sich der Informationsfluss von der Borlinghausener Saltusschlucht nach Rom vollzog. Asprenas flüchtet aus einer uns nicht bekannten Region, die sich rechts des Rheines befand mit seinen zwei Legionen an den Rhein und jeder Flucht geht bekanntlich ein Grund dazu voraus. Asprenas erfuhr also vom Ausgang der Schlacht, eilte aber Varus nicht mehr zur Hilfe da er zu weit entfernt stand oder von der Aussichtslosigkeit wusste oder sie erkannte was ihn davon abhielt zu ihm zu eilen. Er und seine Legionäre in Verbindung mit der entkommenen Vala Reiterei dürften wie schon dargestellt die ersten gewesen sein, die die Katastrophennachricht aus Ostwestfalen an den Rhein brachten. Meldereiter brachen dann unverzüglich nach Rom auf um den Kaiser zu informieren, der dann historisch gesichert am 6. Oktober 0009 die Nachricht bekam und Tiberius daraufhin an den Niederrhein beorderte. Von nun an beginnt die Aufarbeitung der Informationsflüsse aus Ostwestfalen zum Palatin. Was wussten die antiken Historiker wann, was berichteten sie und woher hätten sie ihr wissen gehabt haben können. Und natürlich ab wann und mit welchem Wissen Segestes dazu stieß und womit er die Historie bereicherte oder eben auch nicht, da seine Berichte strittig sein könnten.(26.7.2019)

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