Samstag, 1. Januar 2022
Das "prima Vari castra" aber außer Absteckungen nichts gewesen. Was sah Germanicus wirklich ?
Selbst Cassius Dio hegte aufgrund der Herkunft mancher seiner Quellen Zweifel an deren Zuverlässigkeit und äußerte sich dazu auch innerhalb des von ihm zu Papier gebrachten historischen Gesamtwerkes. Es klingt an, dass er sich daher genötigt gesehen haben könnte, dass ihm Vorliegende seinen persönlichen Vorstellungen anzupassen aber auch es zu straffen und er tat es wohl auch. Und da wo ihm der Zusammenhang nicht plausibel und verständlich erschien hinterließ er Lücken die den Verlauf störten. Wir wissen nicht ob Tacitus einen ähnlich kritischen Blick auf seine Quellen warf, aber es ist denkbar, wenn nicht sogar nachweisbar. Trotzdem möchte man gerne annehmen, dass uns die antiken Überlieferungen beider Historiker in ihrer altlateinischen oder altgriechischen Substanz in einem unverfälschten Originalzustand erreicht haben und nicht schon vorher umfangreiche sinnentstellende Veränderungen erfuhren, was unser gesamtes Geschichtsbild ins Wanken bringen würde. Für die wesentliche Recherche dieses Kapitels steht uns nur Tacitus, Cassius Dio und mit Abstrichen Florus zur Verfügung. Und etwas aus den erhaltenen Bruchstücken ihrer antiken Texte über das Wesen, den Verlauf und die Zusammenhänge der Schlacht abzuleiten fällt schwer. Letztlich lieferte uns nur Cassius Dio einen groben Abriss der tagelangen Ereignisse während es Florus auf einen kurzen aber heftigen Überfall auf das vermeintliche "prima Vari castra" reduzierte. Aber im Gegensatz zu Cassius Dio lebten für Tacitus am Abend des ersten Kampftages noch alle Männer der drei Legionen, denn sie sollen ja alle erkennbar am Aufbau des "prima Vari castra" mitgewirkt haben. Alle Schriftstücke seien sie nun von Tacitus, Florus oder Dio kann man zweifellos auch als Original oder Urtext bezeichnen. Aber der wahre Urtext kann letztlich immer nur aus der Feder desjenigen stammen, der auch mit den damaligen Zeitzeugen im näheren Kontakt stand und der dann die ersten Zeilen verfasste und hinterließ. Davon ist jedoch nichts übrig geblieben. Möchte man aber schon diese unmittelbaren Zeitzeugen oder die Berichterstatter der Varusschlacht die mit den Geflüchteten oder Überlebenden sprachen der Falschaussage bezichtigen, dann möchte man der Geschichtsforschung nur noch "Gute Nacht" zurufen. Die großen unbekannten Geschichtsschreiber der ersten Stunden oder Wochen nach der Schlacht die uns alle namentlich nicht bekannt sind schufen demnach die eigentlichen Originale über die Geschehnisse des Jahres 9 + und übergaben sie danach dem freien Spiel der Interpretationen. So gingen diese Texte bis zu jenen uns namentlich bekannt gewordenen antiken Geschichtsschreibern wie etwa Tacitus oder Dio noch durch so manch andere Hände. Auf Basis dieser Tatsache nun Übersetzungsversuche anzustrengen und darin nach Sinnhaftigkeit zu suchen ist so als stünde einem nur der Gipfel eines Eisberges zur Verfügung um damit nach den Tiefen der Varusschlacht zu gründen. Paterculus bildete eine Ausnahme, er war zwar zum Zeitpunkt des Desasters in Ostwestfalen nicht dabei, war aber doch ein Zeuge der Zeit. Noch vor und schon kurz nach dem Jahre 9 + hielt er sich in Westfalen auf und somit war er der einzige antike Mensch der noch den Atem der Schlacht spürte und davon berichtete. Aber auch seine Schrift könnte Umdeutungen und Veränderungen erfahren haben. Er erwähnte das heldenhafte Verhalten des Lagerpräfekten Eggius woraus man schließen könnte, dass dieser Mann herausragendes geleistet haben muss. Er fiel durch sein tapferes Verhalten auf stellte sich wohl mit den anderen Römern den anstürmenden Germanen entgegen und leistete möglicherweise seinen Beitrag daran, dass das "prima Vari castra" überhaupt zustande kam, die Nacht über hielt und nicht schon in der Aufbauphase überrannt wurde. Aber über die Jahrhunderte betrachtet kam es auf Basis der antiken Literatur zu einem immer noch andauernden blütentreibenden Wettstreit von Ansichten, Abwägungen, Ideologien und Methoden innerhalb der Geschichtsforschung. Und natürlich ist es auch nicht originär die Aufgabe der Sprachwissenschaft den alten Texten auch das Feingefühl oder Gespür für die damalige Lage zu entlocken, was eher der Unterhaltungsliteratur zusteht. Aber bezogen auf das "prima Vari castra" irritieren uns doch diese zwei historischen Passagen, da sie in ihrer Kernaussage im konträren Verhältnis zueinander zu stehen scheinen. Es ist die von Cassius Dio wonach am ersten Tag der Schlacht zahlreiche Römer Opfer der Kämpfe wurden und die von Tacitus wonach am Abend dieses Tages noch drei Legionen imstande gewesen sein sollen ein Nachtlager zu errichten. Wie konnten also nach einem wie von Dio geschildert derart heftig geführten ersten Kampftag noch drei Legionen fähig gewesen sein ein Lager zu erbauen, so wie es Tacitus hinterließ. Demzufolge kann nur eine von beiden Überlieferungen die Richtige sein oder es gäbe eine schlüssige Erklärung für die Abweichung. Aber mit einer gesunden Portion Logik ließ sich schon so manches erschließen und das Glaubhafte weil Nachvollziehbare konnte vom Unglaubwürdigen weil Unvorstellbaren getrennt werden. So schildert also Cassius Dio für den ersten Tag der Schlacht die aufgrund seiner Beschreibungen unter widrigsten Bedingungen statt fand, dass es zu verheerenden Kämpfen Mann gegen Mann kam, was zu erheblichen Verlusten auf beiden Seiten, aber explizit unter den römischen Streitkräften gekommen sein soll. Denn für diese kam alles völlig unvorbereitet und unerwartet. Zunächst behinderten sie sich gegenseitig durch die eng aufgeschlossene Formation, marschierten dann unter berstenden Baumkronen, hatten aufgeweichten Boden unter ihren Füßen, trugen schwere Rüstungen und Waffen und durften sich anfänglich noch nicht einmal der germanischen Angreifer erwehren, da sie von ihren Vorgesetzten davon per Befehlsgewalt abgehalten wurden. Das also eine schwer bestimmbare Anzahl römischer Soldaten gegen diese wendig auftretenden Germanen im Nachteil war und daher auch viele von ihnen diesen Tag nicht überlebten dürfte unstrittig sein. Und Legionäre die in großer Zahl auf dem Schlachtfeld verstarben konnten sich naturgemäß am Abend auch nicht mehr am Aufbau des Nachtlagers beteiligen. So der Verlauf nach Cassius Dio der konträr zu dem von Tacitus hinterlassenen Text steht. Schwenkt man zu Dio so ist festzuhalten, dass solange keine Klarheit darüber bestand für wie viele Legionäre man Raum für Schutz und Übernachtung zu schaffen hatte, sich auch ein Lager in seiner endgültigen und bedarfsorientierten Dimensionierung nicht umsetzen ließ. Man musste sehen wie sich die Lage entwickelte, denn das Errichten eines Lagers bestehend aus Wällen, Gräben oder Palisaden hängt von der tatsächlichen Anzahl der darin Unterzubringenden ab. Ohne genaue Kenntnis darüber zu besitzen war der Lagerkommandant unter strategischen Gesichtspunkten betrachtet in einer äußerst misslichen Lage, denn ein zu groß erbautes Lager, das sich deswegen später nicht mehr auffüllen ließ, schwächte die Verteidigungsfähigkeit da man Leerräume nicht verteidigen braucht, während sich bei einem zu klein geratenen Lager die Kämpfer gegenseitig behinderten. Sich unter den damaligen Umständen ein solches Lager heute vorzustellen ist kaum möglich. Folgen wir der Dio Überlieferung, so musste es bitter für den Kommandanten gewesen sein, wenn er es unter optimistischen Voraussetzungen begann aber dann zur Kenntnis nehmen musste, dass sich die Außenmaße nicht halten ließen, weil die erhofften Legionäre nicht mehr eintrafen und sich seine Planung als unrealistisch erwies. So war er noch während der Bauphase gezwungen dem Rechnung zu tragen und musste die ursprünglichen Festlegungen zurück nehmen. So wird man Einschränkungen beim Ausbau vorgenommen und die Maße eingezogen haben. Aber nun zu Tacitus dem im Gegensatz zu Cassius Dio der Verlauf der Varusschlacht in seinem ganzen Ausmaß völlig unbekannt gewesen zu sein schien. Tacitus wusste nur zu berichten, dass Rom die Schlacht mit Schimpf und Schande verloren hatte und sah in Varus den Übeltäter. Er wusste aber offenbar nichts darüber was sich an diesen Tagen damals in Ostwestfalen im Detail zutrug. Hätte er irgendwelche Kenntnis besessen, dann wäre er wohl auch darauf eingegangen, aber wir erfahren von ihm kein einziges Wort und dürfen daher auch annehmen, dass er nichts wusste. Das Tacitus, der rund 50 Jahre nach der Schlacht geboren wurde über sie nichts wusste lässt Raum für viele Spekulationen. Eine mögliche besteht darin, dass der Verlauf der Schlacht zu seiner Zeit noch ein gut behütetes Staatsgeheimnis war, dass man noch nicht lüften wollte, weil Kaisergrößen wie Augustus und Tiberius aufgrund ihrer (Fehl) Entscheidungen unmittelbar und nicht sehr rühmlich in die Geschehnisse verwickelt waren. Augustus musste sich vorwerfen lassen in Varus den falschen Mann nach Ostwestfalen geschickt zu haben und Tiberius hatte Varus für seine Feldzüge die Kampfkraft geraubt, woran Augustus ihn nicht gehindert hatte. Nur der im ganzen Reich beliebte Feldherr Germancius konnte es damals wagen sechs Jahre nach dem Ende der Schlacht die Schauplätze aufzusuchen über die man in Rom schnell das Gras wachsen lassen wollte und hinterließ eine kurze Darstellung dessen was er vorfand und was später von Tacitus aufgegriffen wurde. Ein Verhalten, dass von Augustus aus fadenscheinigen Gründen erwartungsgemäß auch gerügt wurde, denn es passte nicht zum Bild seiner Unfehlbarkeit. Das was Germanicus und die Überlebenden 15 + in Augenschein nahmen veröffentlichte Tacitus in seinen Annalen unter der Textstelle 1,61 (2) und es existieren wie man es schon gewohnt ist für den von ihm formulierten Urtext gleich mehrere Übersetzungsvarianten:

Im Original lautet er:
"prima Vari castra lato ambitu et dimensis pricipiis trium legionum manus ostentabant...."

wortgleich rekonstruiert:
"das erste Varus Lager wies umfänglich und dimensionsmäßig auf die Arbeiten dreier Legionen Hände hin....."

offizielle Übersetzung 1.)
Das erste Lager des Varus LIESS an seinem weiten Umfang und der Absteckung des Hauptplatzes die Arbeit von drei Legionen ERKENNEN.

Offizielle Übersetzung 2.)
Das erste Lager des Varus, sowie der weite Umfang und die Raumverhältnisse des Feldherrnplatzes DEUTETEN auf den tatkräftigen Einsatz dreier Legionen hin.

Offizielle Übersetzung 3.)
Das erste Lager des Varus ERWIES sich dem weiten Umfang und den Ausmaßen des Hauptquartiers nach als das Werk dreier Legionen.

Offizielle Übersetzung 4.)
Varus's first camp with its wide circumference (Umfang) and the measurements (Abmessungen) of its central space (Zentraler Raum) CLEARLY INDICATED the handiwork of three legions.

Einige Formen der Übersetzung wackeln was die präzisen Festlegungen bezogen auf die Arbeit dreier Legionen anbetrifft. "LIESS ERKENNEN" - "DEUTETEN DARAUF HIN" - ERWIESEN SICH ALS". Während es die Angloamerikaner mit "CLEARLY INDICATED" als eindeutig hinstellen machen die anderen die diffuse Übersetzungslage deutlich. Dem Lager wie es Germanicus 15 + vorfand und wie es Tacitus darauf basierend beschrieb ließen sich unterm Strich betrachtet nur die frühen Erstarbeiten in Form eines abgesteckten Raumes entnehmen und dieses noch in den Anfängen befindliche Lager deutete lediglich auf die Arbeit von drei Legionen hin. Aber worin genau die Arbeit dieser drei Legionen bestanden haben soll kommt im Originaltext nicht zum Ausdruck. Denn aus Dimensionen wie Umfang und Raum lässt sich nichts über die Arbeitsleistung von tausenden von Männer entnehmen. Wie soll man aus den bloßen Abmaßen für ein zentrales Hauptquartier, einem Hauptplatz oder sogar einem Feldherrnplatz auf die dafür nötige Arbeitsleistung schließen können. So erweckt die Beschreibung den Eindruck, als ob Germanicus vor sich nur eine leere große Fläche sah, die sich lediglich anhand von Bodenkennzeichnungen und Eckfahnen was auch mit Absteckungen übersetzt wird als ein einstiger Lagerplatz zu erkennen gab. Aber was sind Absteckungen. Absteckungen standen am Anfang eines jeden Lagers und auch Hanibal sandte bei Killa nur einige wenige Leute voraus, die die Grundzüge des späteren Lagers festzulegen hatten und keine drei Legionen. Absteckungen waren von wenigen Vermessern zu leisten, dürften aber nach sechs Jahren kaum mehr sichtbar gewesen sein.  Die Markussäule in Rom zeigt Soldaten die mit Meßstäben hantierten. Man vermutet, dass schon eine kleine Gruppe ausreichte um ein Marschlager abzustecken. Aber bei Varus blieben schon selbst diese Maßnahmen in den Anfängen stecken und Germanicus erkannte daher auch nur noch wenige Randmarkierungen. So darf man sich die Frage stellen, was er da überhaupt für eine Form und Art an Kennzeichnungen vor sich hatte. Erkannte er nur die letzten Fetzen einstiger farbiger Stoffteile, so wird auch verständlich, dass immer nur von Umfang und Abmessung die Rede ist und kein Wort über den inneren Aufbau fällt. Und sieht dann so ein Marschlager aus an dem drei Legionen gearbeitet haben sollen ? So berichtet Tacitus über Germanicus im Zuge der Schlachtvorbereitung vor Idistaviso, dass dieser während er noch im Begriff war ein Lager abstecken zu lassen die Nachricht bekam, dass die Angrivarier im Rücken des Heeres abgefallen seien. Germanicus war damals also gerade damit beschäftigt ein Lager zu errichten, wurde aber von der Botschaft überrascht, brach die Basisarbeiten ab und übrig blieben wohl auch hier nur die randlichen Absteckungen. Statt nur Umfang, Raum oder ein mögliches Fassungsvermögen als Argument für die Arbeit von drei Legionen anzuführen, hätte man erwartet der Überlieferung auch Hinweise zu baulichen Arbeiten entnehmen zu können. Aber darüber darüber schwiegen die Quellen. Das darin letztlich nie drei Legionen eingezogen sind, dürfte allen damals Anwesenden klar gewesen sein, denn es sollte ihnen leicht satirisch gesehen nicht entgangen sein, dass in dieser Schlacht zuvor schon viele Legionäre umkamen. Man nahm also zunächst mal schlicht an, dass hier noch drei Legionen am Werk gewesen sein könnten. Caecina und seine Männer deuteten es so und so vermutete man nach Inaugenscheinnahme auch lediglich nur, dass die Abmaße zu drei Legionen passen würden und diese vom Volumen her hätten aufnehmen können. Stünde Caecina mit der Redewendung "Vermutung" vor einem Gericht, so wäre ein Prozess um ein ja oder nein von drei Legionen schnell geplatzt. Aber warum sagten Caecina die Überlebenden, die ihn erst zu den Schauplätzen führen konnten nicht, dass es sich hier definitiv nur um ein "für" drei Legionen bestimmtes und nicht um ein "von" drei Legionen errichtetes Lager handelte ? Sie sollten es doch als damalige Augenzeugen am Besten wissen. Vielleicht waren sie sogar daran noch selbst beteiligt. Dann hätte man auch 15 + nicht groß rätseln brauchen, ob es denn mal von oder für drei Legionen errichtet wurde oder nicht. Vielleicht wussten die wenigen Überlebenden selbst schon gar nicht mehr, was sie da vor sich hatten und wollten sich keine Blöße geben und mit Ahnungslosigkeit glänzen. Am Ende hätte man ihnen noch unliebsame Fragen gestellt. Offensichtlich gab es aber damals keine übereinstimmende Klarheit darüber, wie die Schlachtfeldbegutachter um Germanicus das Geschehene beurteilen sollten. Sie sahen Absteckungen verteilt über eine Fläche von möglicherweise 30.000 Quadratmeter und sie sahen tote Gerippe. Vielleicht auch von Pferden, die die Legionäre schlachten mussten um zu überleben. Auch der Bologneser Marcus Caelius könnte hier den Tod gefunden haben, denn er starb in der Schlacht oder besser gesagt im varianischen Krieg, dem Bello Variano für einen Soldaten schon ziemlich hoch betagt mit 53 2/3 Jahren. Denn nach der Inschrift im Kenotaph zu urteilen wird die mehrtägige Schlacht schon zum Krieg aufgewertet. Und führt man denn unter den damaligen heiklen Bedingungen des Jahres 15 + also unweit eines lauernden Feindes, der sie fest im Auge hatte überhaupt noch eine genaue Schlachtortbegutachung und Größenbestimmung durch, will man da im "Waldgebirge" noch die Außenmaße abschreiten oder umreiten. Sicherlich hatte Germanicus kein großes Interesse daran alles nochmal minutiös zu dokumentieren, denn er hatte so weit an den Außengrenzen des Reiches als Feldherr andere Sorgen. Vermutungen bzw. Deutungen oder Auslegungen lassen viele Spielräume zu. So natürlich auch die Frage, ob Überlebende dabei waren, die am Aufbau des nebulösen "Dreilegionenlagers" gar nicht beteiligt waren, weil sie zur Besatzung von Aliso zählten oder es vielleicht auch Überlebende gab, die es nie zu Gesicht bekamen, weil sie zu den Abstellungen gehörten denen die Flucht vom Gradberg gelang. Diese hätten dann beim Aufbau gefehlt und sie hätten zwangsläufig auch nicht gewusst, welche Legionen oder wie viel Legionäre noch am Aufbau beteiligt waren bzw. überhaupt den ersten Kampftag überlebten. Wer waren also diese Überlebenden die noch den Weg zum Castra wussten. Im Innenbereich des Lagers wird es aber bis auf eine den Umständen entsprechend angepasste bessere Unterbringung für den Generalstab lediglich einfache Schlafstätten, vielleicht mit niedrigem Regenschutz gegeben haben, wovon nach sechs Jahren auch nichts Beschreibungsfähiges mehr vorhanden war. Was man also in der Überlieferung vermisst ist die Erwähnung von Erdverwerfungen in Form von Wallaufschüttungen und Palisadenhölzern auf der Wallkrone, sowie vorgelagerte Gräben oder Annäherungshindernisse. Aus der Hand von drei Legionen wie Tacitus schreibt, hätten diese umfangreicher ausfallen müssen und wäre allemal erwähnenswert gewesen. Schwer vorstellbar, dass man möglicherweise unter Umfang und Ausmaß auch Wallanlagen verstand und daher darauf verzichtete es zu erwähnen. Es ist aufgrund der prekären Lage so wie sie Cassius Dio schilderte naheliegend, dass Germanicus im Umfeld des Lagers die wenigen vielleicht nur durch flache Senken und Erhöhungen angedeuteten Schutzanlagen auch nicht auffielen und er sich lediglich auf die Dimensionen stützte die ihm das Gelände optisch vermittelte. Es sah demnach ein Gelände, dass als Nachtlager diente, dass zwar von der Ausdehnung her für die Unterbringung von drei Legionen geeignet schien, aber von ihnen nicht fertig gebaut und von drei Legionen auch nicht bezogen wurde. Ein Lager, dass nur "für" drei Legionen abgesteckt war und nur den Umriss zeigte. Es ist zweifellos eine Frage der Interpretation dessen was Germanicus 15 + sah oder auch vermutete bzw. dem was Tacitus daraus formulierte und der minimale Auslegungsspielraum zwischen "von" oder "für" drei Legionen kann für das gesamte Schlachtgeschehen von wesentlicher Bedeutung sein, denn es spricht gegen einen Lagerüberfall aber für vieles andere. An diesem Abend standen keine vollzähligen Legionen mehr für den Aufbau zur Verfügung, sondern nur noch aufgezehrte und ausgezehrte Kämpfer, so darf man rätseln wie es zu dieser Divergenz gekommen und wo und wie sich diese fehlende Übereinstimmung zwischen Tacitus und Cassius Dio eingeschlichen haben könnte und begründen ließe. Vereinfacht ausgedrückt darf man fragen wer der Verantwortliche für die Irritation war. Hatte Cassius Dio die Schlacht maßlos übertrieben und nahezu alle Legionäre überstanden den ersten Kampftag unbeschadet. Dann war es für diese gewaltige Streitmacht von drei Legionen auch kein Problem mehr am Nachmittag und Abend in ihrer vollen Zahl ein stattliches Bollwerk nach allen Regeln der Marschlagerkonzeption zu errichten, dass am folgenden Tag wie Florus schreibt von den Germanen überrannt wurde, während Varus zu Gericht saß. Und es dürfte dann kein Lager gewesen sein, von dem man nach sechs Jahren nicht mehr als nur noch die Absteckungen wieder fand. So muss man sich in diesem Fall auch die Frage stellen, warum unter diesen günstigen Umständen die Schlacht am Ende von Varus verloren wurde. Man darf daraus schlussfolgern, dass Cassius Dio gegenüber Tacitus wohl der war, der recht gehabt hatte, denn Varus verlor so viele seiner Männer und das schon am ersten Kampftag und danach auch die Schlacht, so dass es am ersten Abend auch kein Lager mehr aus den Händen von drei Legionen gegeben haben konnte. Tacitus lässt sich vielleicht nur auf den ersten Blick kein Vorwurf machen, denn er schrieb "hoffentlich" nur das nieder, was die Überlebenden und Germanicus 15 + auch wirklich gesehen hatten. Aber dieser Beschreibung nach konnte es nicht auf drei Legionen zugetroffen haben. Aber für den dubiosen und zwiespältigen Eindruck den Germanicus und seine Begleiter vom "prima Vari castra" sechs Jahre nach der Schlacht hatten, kann es Erklärungen geben. Grundsätzlich war es sowohl Tacitus, als auch Germanicus und den Überlebenden klar, dass Varus die Schlacht verloren hatte. Es klingt kurios, aber man muss es an den Anfang stellen. Denn wann sollten diese drei Legionen umgekommen sein, wenn sie alle noch imstande gewesen sein sollen sich am Bau des ersten Nachtlagers beteiligen zu können. Zumal man nicht annehmen kann, dass die germanische Walze ein Toplager samt drei Legionen und dem tapferen Eggius in den Tod gerissen haben konnte. Aber alle die im Umfeld der Schlacht wirkten wie etwa Asprenas dürften gewusst haben, dass Varus aus geopolitischen Gründen nicht in Sollstärke zu den Aufrührern ausgerückt war, auch Teile für andere Aufgaben zurück gelassen hatte und sich voll auf die Unterstützung der Cherusker verließ. Und auch Germanicus sollte und musste gewusst haben, dass Varus bereits am ersten Kampftag erhebliche Verluste zu beklagen hatte über die Tacitus schwieg. Vor allem aber wussten es die Überlebenden denn sie überlebten wie der Name sagt die Schlacht und sahen wie ihre Gefährten am ersten Kampftag neben ihnen starben. Und trotzdem sollen sie alle 15 + der Auffassung gewesen sein, zumindest wurde es so von Tacitus berichtet, dass sich am Aufbau des "prima Vari castra" drei Legionen beteiligt haben sollen. Hier stimmte also definitiv etwas nicht überein, aber was und wem sollen wir glauben. Versetzen wir uns also in die Lage von Nero Claudius Germanicus wie sein ganzer Name lautete. Da stand er nun vor den überwucherten Resten einst rauchender und dann verschwelter und verkohlter Trümmer zahlreicher Holzkarren und auch einige zerborstene Waffenreste wird er gesehen haben. Da dieses Lager aber nach Paterculus bzw. Eggius zu urteilen noch gut verteidigt werden konnte, wird man damals im unmittelbaren Lagerbereich auch nur auf wenige Skelettteile von Mensch und Tier gestoßen sein, da die Germanen am Ende des Tages ihre Angriffe einstellten. Als sich Varus mit seinen Soldaten in dieses Lagerprovisorium zurück gezogen hatte neigte sich der erste Kampftag dem Ende zu, die Dunkelheit brach herein und es konzentrierte sich darin die gesamte römische Reststreitmacht. Jetzt wäre es unklug gewesen, die Germanen hätten gegen diese zusammen geballte Rumpftruppe in dem Römer neben Römer stand anrennen wollen. Dann beschrieb es Germanicus, oder waren es die Überlebenden, oder war es gar nur Tacitus, welchen Eindruck das Lager hinterließ und wie es auf sie wirkte. Und so blickte man laut Tacitus auf Spurloses wie etwa auf die baulichen Anfänge nackter Abmaße und Umfänge, also nur auf Räumliches und Abständliches, aber nicht auf Vollendetes oder Gegenständliches. Man übersetzte es auch mit dem Wort Absteckungen woran man nun das Werk dreier Legionen erkannt zu haben glaubte. Sozusagen Volumen und nichts als Volumen und mögliches Fassungsvermögen. Aber wie hätte es auch anders aussehen sollen nachdem man beide Überlieferungen analysiert hat und wie hätte man es beschreiben müssen, wenn wirklich drei Legionen daran gearbeitet hätten. Es müsste also ein mächtiges Zeugnis römischer Militärbaukunst hinterlassen worden sein, dass sich auch noch nach sechs Jahren imposant abgezeichnet hätte und das nicht nur aus Absteckungen bestand. So hätten unter friedlichen Bedingungen betrachtet der Praefectus Castrorum, also der Lagerpräfekt der auf dem Marsch an der Spitze ritt am frühen Abend mit seinen Nebenleuten in aller Ruhe einen geeigneten Ort zur Errichtung eines Marschlagers suchen können. Aber an diesem späten Nachmittag war alles anders nachdem auch die Marschzugspitze die für den Aufbau zuständig gewesen wäre vom Schlachtgeschehen eingeholt wurde. Apropos Marschzugspitze. War es denn nicht so, dass immer nur die erste Legion den ungeliebten Aufbau zu übernehmen hatte und alle weiteren Legionen das Lager später nur beziehen brauchten. Nach Tacitus zu urteilen sollen aber drei Legionen Hand angelegt haben und nicht nur eine. Es wäre ein weiteres Argument, das dafür spricht, dass es gar nicht "von" drei Legionen , sondern nur "für" drei Legionen errichtet wurde und nicht eimal das, denn man steckte es letztlich nur für drei Legionen ab. Die Disziplin war am Abend jedenfalls dahin, die üblichen Regeln traten außer Kraft und den Agrimensoren gelang es mithilfe ihrer Groma nur in größter Eile die ersten Orientierungsstäbe reißbrettartig für die Abstände und Räume zu setzen, da der Feind bereits allgegenwärtig war.  Das es der römischen Vorhut angesichts der sich ausbreitenden Kämpfe gelungen sein könnte, dass komplette Reglement und Prozedere der einstudierten Vermaßungsroutine einzuhalten ist daher nur schwerlich vorstellbar und es passt auch zudem was Germanicus sah. So blieb an diesem Tag alles in den Anfängen stecken, die hellen Stunden wurden langsam knapp, die Lage spitzte sich dramatisch zu und das Anbringen von Kennzeichnungen für den Sammelplatz, die Mannschaftsunterkünfte, das Befehlszelt oder die Wälle samt Palisade konnte im Zuge der Kämpfe nicht mehr zu Ende gebracht werden. Denn dazu gehörten eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen die in der Summe und der Eile nicht mehr zu leisten waren. Es dürfte damals wie heute auch illusorisch sein anzunehmen, dass Germanicus im unübersichtlichen Gelände noch etwas von den hastig gezogenen Hauptlagerachsen, etwa dem Cardo maximus und oder dem Decumanus maximus erkennen konnte. Einmessungen die dann auf die vier Lagertore zugelaufen wären und das Lager in Länge und Breite zerschnitten hätten. Und es dürfte auch aussichtslos gewesen sein, dass die Vermesser im Lager noch die länglichen (strigae) und breitrechteckigen (scamna) Felder einzuteilen imstande gewesen wären. Unter normalen Bedingungen hätte man das Dienstgebäude mit Fahnen und die Kasernen mit Speeren markiert, aber aufgrund der Schilderungen zum ersten Kampftag konnten alle diese Aufbauarbeiten wenn überhaupt nicht weit gediehen gewesen sein. So wie es auch Tacitus beschrieb, als ihm dazu das Wort "prinzipiis" einfiel. Hier herrschte keine Seelenruhe mehr, hier war Not an Mann und auf viele Legionäre, Geisterlegionen gleich wird man am Abend vergeblich gewartet haben. Die Signalhörner wiesen den Legionären die Richtung zum Notlager, nach und nach erschienen die Angeschlagenen und Versprengten und Varus konnte seine letzten Kräfte zusammen ziehen mit denen sich mit dem Mut der Verzweiflung noch eine abschreckende Wirkung erzielen ließ. So sind Zweifel erlaubt, ob Germanicus auf einen optimalen Ausbauzustand geblickt haben sollte und nicht vielmehr nur deren kläglichen Reste erkannte. Diese realitätsnahe Darstellung bildet im Abgleich die Zerrissenheit der beiden Überlieferungen von Cassius Dio und Tacitus ab, untermauert die Tatsache, dass schon viele Legionäre vor dem Erreichen des Lagerplatzes den Tod fanden, deren Arbeit natürlich nicht mehr erkennbar sein konnte und liefert ein denkbares Szenario wie die Schlacht am Ende des erstes Kampftags zu Ende gegangen sein könnte. (01.01.2022)

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