Sonntag, 16. Januar 2022
Das "prima Vari castra" - Nicht mehr als ein Biwak in höchster Not.
Aber zunächst noch mal zurück in die graue Theorie des Möglichen. Der zweite Marschtag an dem es dieser Grundannahme folgend auf der Höhe von Hampenhausen zum ersten Schlagabtausch kam erfordert eine besondere Betrachtung. Nicht nur, dass an diesem Tag die Kämpfe auch ihre ersten Höhepunkte erreichten, sondern auch das man sich am Abend dieses Tages nur noch in ein Notlager zurück ziehen konnte, das in die römisch/germanische Geschichtsforschung auf deutschem Boden einging und als "prima Vari castra" zu Berühmtheit gelangte. Für Tacitus war es das erste Lager, womit er es ins Plural setzte, also damit eine fortlaufende Reihenfolge im Sinne weiterer, also noch folgender Lager ausdrücken und vielleicht auch ankündigen wollte. Sollte Varus nur ein einziges Lager errichtet haben, dann hätte Tacitus wohl auf das Wort "prima" verzichtet und hätte zudem auch "castrum" anstatt "castra" geschrieben und wir sprächen nur vom "Vari castrum. Es sollte also nach einem gewissen Abstand zum "prima Vari castra" noch zu weiteren Lagerstätten kommen. Er verdeutlicht bzw. bekräftigt dies auch mit seinem Hinweis "dein semiruto vallo, humili fossa accisae iam reliquiae consedisse intellegebantur: "was mit" IN EINIGER ENTFERNUNG davon ein nur halb aufgeworfener Wall mit niederem Graben, sichtlich der Lagerplatz eines schon angeschlagenen Restes" übersetzt wird. Gleich wie sich die über die Jahrhunderte verblichenen Marschlager in der Topographie der heutigen Zeit noch als solche in der Landschaft abzeichnen und zu erkennen geben, auf dem Wege dieser Theorie ließen sie sich noch aufzuspüren da man sie jeweils nur unweit der Zugtrasse vermuten darf. Würde man auf das "prima Vari castra" stoßen, oder die anderen Notlager entdecken und ließen sich durch römische Militariafunde bestätigen, so wäre es in Anbetracht der wenigen römischen Funde dieser Zeit und in dieser Region ein starker Hinweis auf die Stimmigkeit dieser Theorie. Ein Lager, das die Überlebenden des ersten Tages gezwungen waren unter widrigsten Bedingungen errichten zu müssen. Ein Lager, das sich die Legionäre wohl anders gewünscht hätten, als sie das Standlager an der Weser und das Etappenlager in Brakel verlassen hatten. Es wurde daraus ein Lager, das alles andere war als eines, das der Ordnung und Bauweise eines Polybios entsprochen hätte, es also weit ab seiner Richtlinien und Vorgaben entstanden sein dürfte und auch so aussah. Eine Wunschvorstellung vielleicht in unseren Köpfen, die sich jedoch unter den gegebenen Umständen seinerzeit nicht mehr umsetzen ließ, als man der Not gehorchend es weder an einem geeigneten Ort errichten konnte, noch imstande war die Schanzarbeiten vorschriftsmäßig und im nötigen Umfang bis zum Ende durchführen zu können. Man darf also Gegebenheiten erwarten oder vorfinden an denen sich nur noch schwerlich römische Handwerkskunst ausmachen lässt. Aber zur Gesamtbetrachtung gehört auch noch ein anderer Blickwinkel. Denn da wo sich Germanicus 15 + befand da stand er bereits tief in Feindesland und die Gefahr wuchs in ein Gefecht verwickelt werden zu können. Er wusste, dass viele Augenpaare auf ihn gerichtet waren als er sich anschaute, was die Feinde Roms vor sechs Jahren anrichteten. Wir wissen nicht ob Germanicus um dem Wunsch der Überlebenden auf Bestattung nachzukommen mit seiner gesamten Streitmacht die Orte der Schmach aufsuchte oder auch größere Armeeteile im Ausgangslager zurück gelassen hatte wodurch diese, für ihn vermutlich etwas unfreiwillige Eskapade auch ein gewisses Risiko in sich barg. Denn sein Ziel bestand in diesem Moment nicht darin die Cherusker an einem strategisch ungünstigem Ort im vermeintlichen Fahlenbruch und im Randbereich ihres Machtgebietes am einstigen Schauplatz der Varusschlacht anzugreifen, sondern in deren Zentrum wo sie ihre Hauptmacht bildeten also hinter der Weser und nicht davor. Und hier im unübersichtlichen Bruchwald wo schon einmal eine Armee unterging, da wollte man sich sicherlich nicht unnötig lange aufhalten. Man könnte daher in Abrede stellen, dass Germanicus ein gesteigertes Interesse daran hatte alles im Detail zu inspizieren und es statt dessen nur zu einer oberflächlichen Bewertung des alten Varuslagers kam. Das man bei Tacitus Beschreibungen über umfängliche Wallanschüttungen oder sichtbare Grabenvertiefungen vergeblich sucht spricht für eine hastige Aktion in der gesamten Lagerkonzeption. Nachdem was beschrieben ist, könnte man auch sagen, Germanicus stand vor einem Nichts und das Gelände was vor ihm lag war eine nahezu leere abgeräumte Fläche zu der man die Meinung vertrat, das dort einmal volle drei Legionen genächtigt hatten, sich also dort ein Lager befand, dass einst von drei Legionen errichtet wurde. Aber was sagt die andere Überlieferung. Nach Cassius Dio zu urteilen wissen wir, dass sich die Legionen da niederließen, wo sich in dem Waldgebiet überhaupt noch ein geeigneter Platz finden ließ und das klingt deprimierend bis desolat. Man war also gezwungen eine völlig ungeeignete Fläche zu nutzen. Ein Platz der nicht vegetationsfrei war, wo Büsche standen, der auch nicht exponiert lag und nicht eben gewesen sein dürfte. In der auch noch vereinzelt Bäume standen und die über feuchte und trockene Zonen verfügte. Eine Fläche die sich demzufolge weder in erhöhter Lage befand noch die günstige Form einer Kuppe oder eines Plateaus aufwies, da es für die Suche nach solchen Standorten schon zu spät war. Es gälte also für die Forschung einen Lagerplatz in einer völlig unorthodox zu nennenden Örtlichkeit aufzuspüren zu müssen wenn man nach ihm suchen sollte. Die Vorauseinheit musste die Lage in den Nachmittags - und Abendstunden hektisch erkunden, durfte nicht mehr wählerisch sein und entschied sich für den besagten suboptimalen Standort. Und Germanicus betrachtete dann diesen Ort sechs Jahre später. In der Zwischenzeit können Bäume je nach Art bereits Wachstumshöhen von bis zu 2,5o Metern erreichen und die Germanen werden die Fläche innerhalb dieser Zeit auch nicht gepflegt oder bewuchsfrei gehalten haben. Man darf sich also fragen, was Germanicus im Sommer, also der Hauptvegetationszeit im zugewachsenen Gelände von der einstigen Lagerstätte überhaupt noch zwischen dem Laub der Bäume und den Sträuchern erkennen konnte. Dimensionen, Umfänge oder Absteckungen hatte die Natur kaschiert und wie wollte er dies alles da noch erkannt haben und wie war es um sein räumlichen Verständnis bestellt. Dann noch eine Vorstellung für drei seinerzeit bei der Arbeit befindliche Legionen zu entwickeln ist ambitioniert, aber einige der Umstehenden könnten ihm dabei mit Erklärungen ausgeholfen haben. Vergleicht man also die Überlieferung aus der Feder von Cassius Dio mit der von Tacitus, wonach auf dieser Freifläche noch drei Legionen gelebt, vielleicht auch noch gekämpft bzw. geschlafen haben sollen, dann darf man die zuletzt genannte Darstellung anzweifeln. Ein weiterer Aspekt nimmt Bezug auf die Gesamtstärke der Varusarmee noch bevor sie zu den Aufrührern zog. Auf dieser Basis kann man sich der Frage widmen wie es um die späteren Schlachtverluste der Varusarmee stand. Tiberius dezimierte die Varus Legionen schon 6 +, da er sie bereits vor dem Pannonien Krieg für den Markomannen Feldzug brauchte, Varus selbst sonderte noch weitere Truppenteile, die so genannten Abstellungen ab und es gab noch weitere Gründe dafür, dass er von der vollen Kampfstärke weit entfernt war, so wie es auch Marbod plausibel angedeutet hatte. Es ist ein Versuch wert die möglichen Verluste zu eruieren denn es hatte zwangsläufig Auswirkungen auf die Dimensionierung des "prima Vari castra". So kommt man im Zuge dieser Aufarbeitung nicht um die lästige Frage herum, wie es um die Anzahl der Soldaten stand, die am Abend des ersten Kampftages das "prima Vari castra" überhaupt noch lebend von innen sahen, sich also am Aufbau beteiligen konnten. Eine bereits im Zusammenhang mit der Schlacht aufgestellte Hochrechnung ergab, dass Varus zwar mit drei Legionen, aber mit nur etwa 11.000 Legionären am Morgen des ersten Kampftages das Lager Brakel verlassen haben könnte. So muss man sich nun der Überlegung widmen, wieviel Männer Varus bereits am 1. Kampftag verloren haben könnte. Traut man seiner eigenen Hochrechnung und bedenkt, dass am 2. Kampftag der Rest seiner Soldaten umkam und der dritte Tag im Gemetzel endete dem nur wenige entkamen, so darf man annehmen, dass es nach dem ersten Kampftag, als man bezeichnenderweise schon keinen Sinn mehr darin sah sich mit unnötigen Ballast zu umgeben und ihn verbrannte einen massiven Schwund an Kämpfern gegeben haben muss. Wagt man sich ihn abzuschätzen so könnte er, bezieht man die kampfunfähigen also verletzten Soldaten mit ein zwischen 4.000 und 5.000 Mann gelegen haben. Hält man die Zahl für plausibel so hätte das "prima Vari castra" auch nur noch 6.000 bis 7.000 Männern platz bieten brauchen. Tacitus war es der überlieferte, dass drei Legionen am "prima Vari castra" gearbeitet hatten. Er hatte dies zum Ende des 1. Jahrhundert seinen Vorlagen entnommen die sich in Rom vom Besuch des Germanicus im Jahre 15 + erhalten hatten. Das Original dem er es entnahm liegt uns nicht vor, wir wissen auch nicht wer es verfasste und auch nicht wer seine Informanten waren. Wir müssen also glauben, dass Tacitus es nach rund 80 Jahren richtig wieder gegeben hat obwohl es zu Abweichungen und Fehlinterpretationen gekommen sein könnte. Es war definitiv kein Geheimnis, dass rund 50 Jahre vor seiner Geburt drei Legionen vernichtet wurden wann, wo und in welchem Zusammenhang dies geschah war ihm aber nicht bekannt, da er den Verlauf der Varusschlacht nicht kannte. Hätte aber Tacitus gewusst, dass Varus am Abend des erstes Kampftages nicht mehr über seine komplette Anzahl Krieger verfügte, dann hätte er die ihm vorliegende Überlieferung, Germancius habe auf das Werk von 3 Legionen geblickt anzweifeln müssen und hätte es nicht widerspruchslos oder unkommentiert übernehmen dürfen. Wer es aber hätte wissen müssen, dass das "prima Vari castra" nicht mehr von drei Legionen errichtet worden sein konnte war Germanicus, da er sich im Kreise der Überlebenden bewegte, die es ihm gesagt haben dürften. Sie waren schließlich dabei und konnten ihn noch nach sechs Jahren dort hin führen. Und hier war der Augenblick erreicht, wo sich die Vorstellung eingeschlichen haben könnte, das "prima Vari castra" wäre tatsächlich auch von drei Legionen, sozusagen von drei Geisterlegionen errichtet worden. Es liegt aber näher anzunehmen, dass am Tage der Anwesenheit von Germanicus am "prima Vari castra" im Zusammenhang mit dem Aufbau gar nicht mehr über die drei Varus Legionen gesprochen wurde, da es dafür keinen Grund gab. Jeder Anwesende kannte die näheren Umstände der Schlacht und wusste um die erheblichen Verluste die sie verursachte. So stellte man hier mit tiefer Betrübnis fest und drückte das Bedauern darüber aus, dass man sich nun in einem tristen Augenblick im Zentrum einer einstigen Schlacht befand, in der drei Legionen umkamen. Eine logische Erkenntnis die sich in die Geschichtsbücher der Zeit eingrub aus denen Tacitus schöpfte. Eine Feststellung die sich verselbstständigte und Tacitus dazu brachte zu schreiben, Germanicus habe selbst noch auf das Werk dieser drei Legionen blicken können. So als ob das "prima Vari castra" zum sichtbaren Vermächtnis und Symbol dieser Streitkräfte wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt nach Cassius Dio schon ein Großteil von ihnen den Germanen zum Opfer gefallen war. Im Jahre 15 + bestand jedenfalls keinerlei Interesse daran, den Verlauf der Varusschlacht chronologisch aufzuarbeiten oder rekonstruieren zu wollen, man blickte nur auf das Resultat. Wie und wo die drei Legionen umkamen wurde zur Nebensache. Zu bedenken ist, dass in den Köpfen der antiken Historiker ein Gehirn arbeitete, dass zwar strukturell mit dem unsrigen identisch ist, das sich aber einer anderen Realität verpflichtet sah und man daher auch eine andere Form der Darstellung suchte, die man auch nicht für verwerflich hielt, da man nichts dokumentieren brauchte. Zeitgenössische Übersetzer griffen es trotzdem so auf wie es geschrieben stand und erhoben die alten Texte zur unumstößlichen Wahrheit ohne zu berücksichtigen, dass sie auf fehlerhaften Interpretation und Grundfesten hätten beruhen könnten. Der starre Glaube an die vermeintlich wahren Fakten die jeder Übersetzer für sich meint hinter einem vermeintlichen Original aufspüren zu können, kann dann auch schnell in die Irre führen vor allem dann wenn das Tacitus Original nicht dem Urtext entsprach. Und den Originaltext kannte vielleicht noch nicht einmal Tacitus selbst. Befasst man sich mit dem Varusereignis dann lernt man schnell, dass sich der Weg zurück nicht buchstabengetreu aufspüren lässt. Unter dieser Brille betrachtet verschwimmen auch die historisch überlieferten Fakten aus der Feder von Tacitus und sein fehlender Wissenstand wurde zum Grundübel und brachte ihn vielleicht auch dazu seine eigene Einschätzung auf den Feldherrn Germanicus zu übertragen. Und dazu fällt einem eigentlich nur der kuriose und häufig zu hörende Satz aus der Welt des Films ein, der da lautet "Liebling, es ist nicht so wie es aussieht". Aber diese Interpretation erscheint schlüssiger als an der Frage zu deuteln, ob die Übersetzung daran gekrankt haben könnte man habe es eventuell unkorrekt übersetzt und das Lager wurde nicht "von" drei Legionen, sondern "für" drei Legionen errichtet, die es jedoch nie bezogen hatten. Es ist immer von Vorteil und nahezu unvermeidlich sich neben jedem Übersetzungstext auch den Verlauf der Schlacht plastisch zu vergegenwärtigen. Zugegeben eine schwierige Angelegenheit wenn man immer noch rätseln muss wo und wie sie sich ereignete. Aber zumindest dürfen wir die Variante "ob" streichen. Dieses Kapitel befasst sich nun mit einem derartigen Fall was zu dem Ergebnis führen kann, dass nicht nur Eggius das "prima Vari castra" verteidigte, sondern auch Cassius Dio dieses Lager des Cornelius Tacitus meinte, als er vom ersten Nachtlager sprach. Eine Schlussfolgerung womit sich die Indizienkette schließen lässt was wiederum der Aufhellung des Schlachtenverlaufs dient. Hält man sich also den gesamten Ablauf der Geschehnisse so vor Augen wie es Cassius Dio beschrieb, so verrät er wie sich die Ereignisse schon am ersten Kampftag massiv zuspitzten. Wir blicken auf ein Vorauskommando also die Marschspitze nämlich die Legion, die für den Aufbau des Marschlagers zuständig war, sehen unter Ihnen Varus wie er lamentierte und seine Generäle wie sie sich bemühten die Lage unter Kontrolle zu bringen und wir erkennen von erhöhter Warte aus, wie sich das Schlachtengetümmel langsam und unaufhaltsam von hinten nach vorne durch fraß, der Marschzug zunehmend auch von den Seiten attackiert wurde und die Kämpfe schließlich auch den Platz erreichten, wo man lagern wollte besser gesagt musste. Ab etwa 16 oder 17 Uhr verteidigte man sich möglicherweise aus einem Carré heraus. Ein Wort dass seine Wurzeln im Lateinischen "carrus" hat, das für die profane Karre, das englische Car, aber auch für Wagen steht und so verteidigte man sich vielleicht nur noch aus einer Art Wagenburg heraus, weil man über Wall und Graben nichts erfuhr. Und so sollte man sich wohl auch das erste Lager des Varus vorstellen, denn Brakel war es nicht, dass brauchte Varus nämlich nicht erst errichten, denn es existierte schon länger. Was uns nun unser persönliches Vorstellungsvermögen über das "prima Vari castra" verrät oder besser gesagt davon übrig lässt, nachdem sich recherchieren ließ unter welchen extremen Umständen man es damals errichten musste stimmt im Nachhinein mitleidig für die Besiegten. Danach könnte man es eigentlich nur noch demütigend und einer Großmacht unwürdig nennen und man war wohl weit davon entfernt, es als beeindruckend oder imposant zu bezeichnen, zumal Krieg nie etwas beschönigendes an sich hat. Es war ein Lager, das aufgrund der Rekonstruktion in weiten Teilen über keine Verteidigungskraft verfügte, also keine große Sicherheit mehr versprach, da viele Bauteile nicht mehr zur Verfügung standen, weil sie auf der Strecke blieben. Kein Lager, sondern ein besserer Sammelpunkt der den Überlebenden letztlich nur half weil es sich darin konzentrieren ließ, man sich wieder finden konnte und mit den Restkräften eine kompaktere Verteidigung erreichte. Dadurch gelang es ihnen noch sich gegen die germanischen Angreifer zu behaupten. Die herein brechende Dunkelheit kam ihnen letztlich zugute und schützte sie, die Nacht legte sich über alles und der Feind ließ von ihnen ab. Da Tacitus nur Umfang und Abmessung erwähnt ließ sich sechs Jahre nach der Schlacht nur noch feststellen, wo sich der Raum befand in dem man lagerte und um den bzw. in dem möglicherweise auch gekämpft wurde, wo er begann und wo er endete. Von Gebäuderesten, Wällen, Palisaden oder abgebrannten Holzkarren ist keine Rede, es breitete sich demnach lediglich ein unbebauter Freiplatz vor den Betrachtern des Jahres 15 + aus und nur darauf basierend lassen sich weitere Überlegungen aufbauen. Wie nicht anders zu erwarten stehen alle Vermessungsarbeiten und das den Prinzipien folgend "prinzipiell" immer am Anfang aller Lagerplanungen. Tacitus verwendet das Neutrum in seiner Präzisierung im Plural als "prinzipiis". "Prinzipiis" wie wir es vielleicht heute noch verwenden in dem wir feststellen, dass man etwas prinzipiell als solches erkennt, es sich also als solches erweist oder es sich im Grundsatz so annehmen lässt. Bezieht man es auf Örtlichkeiten wie in diesem Fall, dann steht es für "die Anfänge" denen Germanicus entnahm, dass es sich dabei um ein erst in der Entstehung begriffenes also unfertiges Vorhaben handelte. Er wollte also schon allein anhand des Umfanges erkannt haben, dass drei Legionen daran beteiligt waren, wo man also gedachte den Bau des Lagers zu Ende zu führen. "Prinzipiell" ein Ding der Unmöglichkeit. Wie weit es letztlich schon gediehen war kann dem nicht entnommen werden, aber zumindest war immerhin schon mal der Anfang gemacht. Wie weit die Legionäre mit dem Aufbau des Lagers bis zum Einbruch der Nacht unter stetigen Kampfeinwirkungen kamen, wird also immer offen bleiben. Historiker schlossen aus den mageren Hinweisen von Tacitus, dass Varus über die Phase das Lager zunächst nur abstecken zu lassen nicht viel weiter hinaus kam. Demnach hätte es auch noch über keine bis wenig Schutzfunktion verfügt, was man sich angesichts der Tatsache, dass noch immer zahlreiche Legionäre lebten zwar kaum vorstellen kann, was sich aber mit den Kämpfen und der einsetzenden Dunkelheit erklären lässt. Anhaltspunkte, dass Anfänge erkennbar waren können aber darauf hindeuten, dass es bereits erste Annäherungshindernisse teilweise in Form von Gräben oder Wällen gegeben haben könnte. Man könnte aber auch annehmen, dass nichts geblieben war was der Beschreibung wert gewesen wäre. Hält man die triste Realität des Kampftages dagegen so verwundert dies auch nicht. Denn das "prima Vari castra" musste auf alle wie ein verwahrlostes Camp wirken von dem nichts übrig bleiben konnte, weil auch vorher nichts da war. Aber in diese prekäre Lage des ersten Kampftages wollten oder konnten sich viele Lateiner nicht hinein versetzen, so dass eine These wie diese bislang noch nicht in die Diskussion kam. Man übernahm die Übersetzung eins zu eins und die ließ keine dahin gehende Interpretation zu, weil sich so manchen Historikern das Gesamtverständnis nicht erschloss. Vergegenwärtigt man sich nun den Zustand des "prima Vari castra" am Abend nach der Schlacht, so darf man zwar annehmen, dass es den Legionen in dieser Phase nicht mehr möglich war ein Gebäude oder größere Verteidigungsanlagen zu errichten, dem man den Namen Hauptquartier hätte geben können, aber gewisse Schutzmaßnahmen und Vorkehrungen werden noch zur Umsetzung gekommen sein. Gegenständliches das möglicherweise von den Germanen in den Folgejahren abgeräumt wurde konnte man nach sechs Jahren nicht mehr erwähnen, da es nicht mehr existierte oder bis zur Unkenntlichkeit überwuchert war. Bodenverwerfungen wenn auch nur im geringen Umfang vorhanden, könnten die Jahrhunderte jedoch noch konserviert haben denn die Hoffnung stirbt zuletzt. Und so stand Germanicus auch nicht vor den Trümmern eines Gerichtslagers, denn dieses Notlager war nicht das Gerichtslager. Man errichtete es gezwungenermaßen an einem anderen Platz, nämlich da wo es laut Cassius Dio das "Waldgebirge" zuließ. Diese Darstellung wirkt zweifellos desillusionierend auf alle, die sich unter dem "prima Vari castra" etwas Vorzeigbares vorgestellt haben. Aber die Wahrscheinlich dieses Notlager jemals zu entdecken schwindet wohl mit jedem neuen Bezug zur alten Realität und räumt mit unseren Hoffnungen auf, es doch noch aufspüren zu können. Eine unfertige und notdürftig hergerichtete Lagerfläche inmitten einer womöglich heutzutage landwirtschaftlich erschlossenen Region möglicherweise mit minimalen Wall- oder Grabenresten aufzufinden, die in den letzten Jahrzehnten zudem noch mit schwerem Gerät befahren worden sein könnten, dürfte fasst aussichtslos sein und selbst wenn man einen Anhaltspunkt haben sollte, käme es einem Glücksfall gleich. Zum anderen beweist es, dass dieses Lager keinem ernsthaften germanischen Angriff stand gehalten hätte und man deswegen vermutlich noch während der Bauphase darin gekämpft hatte. Und es bestätigt bzw. unterstreicht wie verlustreich schon der erste Kampftag endete. Aber völlig verwerfen sollte man es trotzdem nicht doch noch fündig werden zu können, denn der hier vorgestellte Zugkorridor wartet noch mit einer interessanten Bodenstruktur auf die sich mit dem "prima Vari castra" in Einklang bringen ließe. Aber warum ist es von Bedeutung festzuhalten, dass man schon im Jahre 15 + nicht mehr viel vom einstigen Marschlager vorfand. Letztlich ist es die Erkenntnis, dass es zwischen Cassius Dio und Cornelius Tacitus keine Abweichungen gab, denn beide berichteten wie sich argumentieren lässt über das gleiche "prima Vari castra". Historische Irritation löste sicherlich auch noch die Nähe des Wortes "pricipiis" zum Wort "Principia" aus das für ein Stabsgebäude steht. Aber ein derartiges Bauwerk wird man in diesem Marschlager wohl vergeblich suchen. Aber Kompatibel und plausibel werden die beiden historischen Überlieferungen von Dio und Tacitus in dem Moment, wo man sich mit dem Hergang der Varusschlacht bis ins mögliche Detail auseinander setzt. Hier am Abend des ersten Kampftages lebte Varus noch, da hatte man noch nicht die Endstation der "Linie Varus" nahe der Teutoburgiensi Waldschlucht erreicht die man westlich von Borlinghausen vermuten darf und hier befand sich dieser Theorie nach auch noch nicht der Ort wo man die bleichen Knochen begrub. Nun brach die lange Nacht im Cheruskerwald des Fahlenbruches an. Varus war bereits geschlagen, er wusste es nur noch nicht. Was diese Nacht den Legionen noch bescherte und ob es auch zu nächtlichen Gefechten um das "prima Vari castra" kam ist nicht überliefert. Man weiß auch wenig darüber, ob die Germanen Nachtangriffe im Repertoire hatten, aber es ist denkbar. Lediglich Tacitus erwähnte einen Stamm der sich darauf spezialisiert haben soll. Florus der uns den Überfall auf ein Gerichtslager überlieferte, bei dem es sich nach dieser Theorie um das "prima Vari castra" handelte, erwähnte keine Tageszeit. Aber allein schon die Tatsache, dass die Insassen damit rechnen mussten auch nachts angegriffen werden zu können, zwang sie geeignete Vorkehrungen zu ergreifen. In kleinen Gemeinschaften wird man sich eng umeinander gruppiert haben um sich schneller wach rütteln zu können wenn Gefahr droht. In den Randbereichen wird man Posten aufgestellt haben und man lagerte bevorzugt im Zentrum mit größtmöglichem Abstand zur Lagergrenze. Die Regenfälle könnten sich bis in die Nacht hinein erstreckt haben, alles war klamm und unerträglich, mit nassem Holz ließ sich kein Lagerfeuer entfachen und auch aus Sicherheitsgründen war ein wärmendes Feuer nicht ratsam. Abgekämpfte, verletzte und übermüdete Krieger dämmerten in den Schlaf und wer keine Ruhe fand, oder noch Kraft hatte, achtete auf irritierende Geräusche und darauf von woher sie kamen und wer schwerer verletzt war, hatte anderes im Sinn. Und knackte mal ein Stück Holz dann fragte sich jeder, ob es ein Wildtier oder der Germane war. Ob die Römer so organisiert waren wie spätere Armeen, wo es wechselseitige Nachtwachen gibt ist vorstellbar. Jeder schlief da ein, wo er sich gerade nieder gelegt hatte, voraus gesetzt die überdehnte Muskulatur ließ sie in den Schlaf finden. In dieser Nacht gelang es keinem Legionär die für den nächsten Tag nötigen Kräfte zu sammeln. Der Tag könnte den Überlieferungen nach Wolken verhangen bis regnerisch begonnen haben, aber Verfasser von Historienromanen können diese Stimmung sicherlich besser einfangen und die Szenerie anschaulicher vermitteln. Den übernächtigten, zermürbten und geschundenen Legionären war bewusst, was sie am nächsten Tag erwartete. So fieberten die Halbwachen durchnässt mit gemischten Gefühlen und unguten Vorahnungen dem Morgen entgegen und erwarteten sehnlichst die Helligkeit und die steigenden Temperaturen. Aber das Schlachten war noch nicht zu Ende. (16.01.2022)

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