Sonntag, 6. März 2022
Der 3. Marschtag wurde zum 2. Kampftag. Varus verließ das Notlager im Fahlenbruch. Auch dank Florus kennen wir seine Marschrichtung.
Das sich das "prima Vari castra" möglicherweise im Fahlenbruch nahe Schweckhausen befand beruht auf einer dort noch erkennbaren Wallstruktur und der hier zuletzt vorgestellte Animation hinsichtlich seiner rätselhaften Beschaffenheit. Und solange nicht die Sparte der einschlägigen Forschung das Schüppchen in die Hand genommen hat, darf es als plausible These im Raum stehen bleiben. Da dieser Verdacht aber nur ein Faktor von mehreren ist, hebelt selbst ein Gegenbeweis die Gesamtschlüssigkeit, die dieser Hypothese zugrunde liegt nicht aus. Über den Morgen danach als die Überlebenden des Vortages das Lager der rauchenden Trümmer verließen darf man sich seine Gedanken darüber machen wie es für Varus weiter gegangen sein könnte. Nach dieser Theorie war es das Lager, dass Tacitus mit "prima Vari castra" betitelte und in das Florus in Unkenntnis der damaligen Sachlage hinein interpretierte, Varus habe darin Recht sprechen wollen. Möchte man den Tag nach der Nacht rekonstruieren, dann kann uns kein anderer antiker Historiker weiter helfen als nur Cassius Dio. Aber wie gewohnt fällt das zu sichtende Material spärlich aus, so dass es wieder gilt nicht nur jedem Hinweis nach zu gehen, sondern sich auch in die Plausibilität der Geschehnisse hinein zu denken. Das hier der Fahlenbruch zum Bezugs- und Wendepunkt wird und sich hinter dem Borlinghauser Pass der "Teutoburgiensi saltu" verbergen könnte vereinfacht die Suche nach seiner weiteren Marschrichtung und verleiht ihr Struktur. Ein Blick auf die frühen Kartenwerke und den Verlauf der schroffen Egge was die Passagemöglichkeiten anbetrifft die dadurch erheblich eingeschränkt sind verrät, welche Möglichkeit Varus noch blieb um von hier aus den Stämmen auf schnellstem Wege zu entkommen. Bis zum Saltus "Querfeldein" zu marschieren wäre für ihn wegen der Unpassierbarkeit dazwischen liegender Bereiche nicht ratsam gewesen. So wurde für ihn eine prähistorische, also vermutlich schon zu Bronzezeiten genutzte Altstraße zum Marsch - , in seinem Fall aber zum Fluchtweg. War es am Vortag noch die alte Trasse des einstigen Hellweges der von Brakel nach Warburg führte die er als Hinweg zu den Aufrührern nutzte, so musste er nun aufgrund der ihm aufgezwungenen Kämpfe eine Planänderung vollziehen und auf den "Oberen Bördenweg" einschwenken, der später auf dem Sintfeld in den Herßweg überging. Und dafür, dass diese Trasse nicht nur die grobe Richtung vorgab, sondern vielleicht auch exakt der Weg war, den die Legionen am zweiten Kampftag einschlugen ja sogar dazu gezwungen waren, könnte es auch einen schriftlichen Hinweis aus antiken Zeiten geben. Denn Florus beschreibt einen Legionär der dem Inferno zunächst entgehen konnte. Ein Mann, der bevor er die Flucht ergriff selbst noch unter diesen widrigen Bedingungen versuchte eines der bedeutsamsten Prestigesymbole der römische Armee in Sicherheit bringen zu wollen. Er könnte ein aufrechter und gewissenhafter und der Ehre verpflichteter Kämpfer im Dienste seiner Legion gewesen sein denn wie anders sollte man es sich erklären, dass es diesem Mann sogar noch in einer äußerst prekären Lebenslage so wichtig war sich die Flucht noch zusätzlich zu erschweren und sich zudem noch angreifbar zu machen. Es war ein Gegenstand von besonderer Wertigkeit den er sicherlich nicht an sich nahm, um sich in dieser Situation damit persönlich bereichern zu wollen, eher darf man ihm noch unterstellen sich damit frei kaufen zu wollen falls er in die Hände des Feindes geraten sollte. Florus überlieferte uns diese Episode der Übersetzung nach mit den Worten. "Noch heute besitzen die Barbaren Feldzeichen und zwei Adler, den dritten riss der Bannerträger los, bevor er in die Hände der Feinde fiel, trug ihn verborgen unter seinem Wehrgehenk und versank damit in dem blutigen Sumpf". Und im Originaltext lautet es "Signa et aquilas duas adhuc barbari possident, tertiam signifer, prius quam in manus hostium ueniret, euolsit mersamque intra baltei sui latebras gerens in cruenta palude sie latuit". So gelang ihm mit dem dritten Legionsadler die Flucht nach Westen anzutreten. Das Teil wird unhandlich gewesen und sein Gewicht gehabt haben und wenn er dem Endschauplatz nahe Borlinghausen entkam, so dürfte es ihm schon beim Aufstieg durch die Egge erhebliche Mühe bereitet haben, aber es gelang ihm noch. Machen wir nun einen Sprung und beziehen den interessanten Fund aus dem Jahre 1706 in diese Überlieferung mit ein und bewerten es im Rahmen dieser Theorie dann kam der Legionär nicht weit, denn in diesem Jahr wurde etwa 21 Kilometer westlich von Borlinghausen in Haaren auf dem Sintfeld ein Gegenstand geborgen, auf den die Florus Überlieferung zutreffen könnte. Ein gewisser Henrikus Hugt der als Schweinehirt bezeichnet wird hatte das Glück auf dem heute wieder so genannten Salmes Feld zwischen Buchen - und Kastanienweg in Haaren, unweit der "Via regia" der "Frankfurter Straße" auf das Objekt zu stoßen. Wie so vieles was man über die Zeiten an "Römischem" aus dem Boden holte, so gelangte auch dieses Teil in die Hände jener, die daraus Kirchengold anfertigten. Eine schöne Zusammenfassung dieser alten Geschichte findet sich im Internet unter der Bezeichnung "Der Goldadlerfund von Haaren". Das Salmes Feld konnte später von Historikern im frühen 18. Jahrhundert als Fundstelle identifiziert werden und darauf basierend wurde eine Straße benannt. Der Ort befindet sich bezeichnenderweise etwa 2 Kilometer nördlich des prähistorischen Herßweges. Da man in ihm damals einen römischen Legionsadler erkannt haben wollte, könnte es sich der Überlieferung nach um einen der Adler der drei untergangenen Legionen gehandelt haben. Denn einmal seinem Trägergestell entrissene Legionsadler lassen sich nicht mehr ansehen zu welcher Legion sie einst gehörten da an römischen Legionsadlern keine Legionsnummer angebracht oder eingraviert waren. Abbildungen und Vorlagen lässt sich entnehmen, dass die Kennzeichnung auf einem zum Gestell gehörigen Querholz stand. Diese trug vermutlich aber nur den Namen der Legion und weniger die römische Zahl XVII, XVIII oder XIX der einst von Kaiser Augustus ausgehobenen Legionen. Drei Legionen für die erstaunlicherweise keine Eigennamen überliefert sind, obwohl sie zu den Besten des Reiches gehört haben sollen. Vergleichsweise Namen wie etwa Ulpia Vitrix, Rapax oder Primigenia gehen aus den alten Textstellen für die drei Varuslegionen nicht hervor. So ließen sich die später aufgefundenen Adler zwar als römische Legionsadler identifizieren aber es war nicht ersichtlich vor welcher Legion sie einst vorweg getragen wurden. Da die Umstände unter denen Gambinus Secundus 41 + ein Legionsadler bei den Chauken in die Hände fiel fragwürdig sind, darf man die These wagen, ob es sich bei diesem Adler nicht vielmehr um den Adler aus der Niederlage des Lollius 17 ? oder 16 ? handelte, statt um den letzten der drei Varusadler. So könnte es sich bei dem von Henrikus Hugt in Haaren gefundenen Adler auch um den noch fehlenden Adler von einer der drei Varuslegionen gehandelt haben. Träfe es also zu, dass es sich hier um den von Florus erwähnten Adler handelte, der übrigens damals Henrikus Hugt zum reichen Mann gemacht haben soll, dann deutet dies darauf hin, dass auch andere überlebende Legionäre als Fluchtroute eben jenen Korridor über Haaren nutzten, der über Büren nach Soest führte. So darf man auch vermuten, das dieser Legionär nicht der einzige gewesen ist, der diese Fluchtroute einschlug, so dass man sich der Lage damals durchaus bewusst gewesen sein könnte, dass man sich den Umweg über die entfernten Lager am oberen Lippelauf sparen konnte, da sie bereits in der Hand der Germanen waren. Der unglückliche Legionär konnte offensichtlich seinen germanischen Verfolger entkommen, denn diese hätten das Prunkstück andernfalls an sich genommen. Der Florus Darstellung lässt sich entnehmen, dass der Mann schwer verletzt war bevor er im Sumpf unterging. Aber Florus hätte dies nicht schreiben können, wäre das Geschehen nicht beobachtet worden. So gab es offensichtlich Augenzeugen, folglich andere Kämpfer, die mit ihm flüchteten, die das rettende Rheinufer auch erreichten und die darüber berichten konnten. Dieser Fund irritierte seit jeher die Fachwelt und stellte sich bislang immer so dar, als könne er nicht in den Kontext der Varusschlacht passen. So fand ein Adlerfund an dieser Stelle nur wenige Befürworter, Florus der ohnehin nicht als der Glaubhafteste galt und eine Varusschlacht an diesem Orte konnte nach Ansicht vieler erst recht nicht statt gefunden haben. Wie heraus gerissen oder abgetrennt wirkte daher immer diese 300 Jahre alte Überlieferung auf die Varusforschung, veranlasste aber trotzdem einige Historiker anzunehmen die Schlacht müsse sich nun auch dort auf dem Sintfeld zugetragen haben, da sich der Fund nur so in den Zusammenhang einbauen ließ. Den Fund mit einem Fluchtweg zu verbinden war der Wissenschaft mangels eines theoretischen Unterbaus nicht möglich und da sich die Region nahe Borlinghausen nie als Szenario einer Schlacht anbot entging der Forschung zwangsläufig auch der Gedanke an eine Verkettung zum unweit gelegenen und hier zur Diskussion gestellten Kampfgeschehen. So gestaltet sich der Verlauf völlig anders, wenn man diese Theorie mit einbezieht, denn auf dieser Basis lässt sich der vermeintliche Adlerfund aufgrund der relativ geringen Nähe auch dem Schlachtgebiet östlich des Saltus zuordnen. Aber zurück zum Morgen des zweiten Kampftages als es für den römischen Generalstab um die Frage ging wie es für alle weiter gehen sollte. Moralisch ermuntert von den Durchhalteparolen der Offiziere suchte man nachdem man das Lager hinter sich gelassen hatte im für sie unübersichtlichen und unbekannten Terrain nach einer begehbaren Ost/Westpassage die sie zum Saltus im übertragenden Sinne also zum "Ausgang" aus dem Dilemma im Nethegau führen sollte. Es war ihnen bekannt, dass es diesen Weg gab, man musste ihn nur finden. Aber Varus sollte in Arminius eine ungebetene Hilfe finden. Arminius durchlief als römischer Ritter und Sohn die Kaderschmiede für angehende Stammesfürsten und sie servierte den Germanen das militärische Talent, dass sie jetzt brauchten. So dürfte auch Arminius persönlich beim Rückzug der Legionen die Führung übernommen haben, denn er kannte die Landschaft und die Wege bestens und das vermutlich schon von Kindesbeinen an. Es klingt etwas überzogen anzunehmen, man könnte es Varus leicht gemacht haben und ließ ihn diese Zuwegung zum Saltus aus eigenem Antrieb entdecken damit er sie einschlagen sollte. Vielleicht hat man für ihn diese einzige Trasse auch in der Absicht offen gehalten, um ihn auf diesem Weg besser in seinen Untergang lotsen zu können. Viele bedeutungsvolle prähistorische Altstraßen gab es in der Region nicht, aber die wenigen legten sich wie ein Netz über das Land. Wege die die wandernden Völker seit Jahrtausenden nutzten orientierten sich an den großen Flusslandschaften und Meerengen, zogen sich durch Gebirgspässe und man verband über sie auch die an Mineralien reichen Erzregionen, die Salzabbaugebiete bis zu den Abnehmern oder die wichtigen Routen von der Ostsee zum Mittelmeer. Die Giganten unter den Fernverbindungen standen für den Sklaven- oder Bernsteinhandel. Aber vielerorts gab es die kleinen Abzweigungen, Zuwegungen und Anknüpfpunkte die wieder alle und alles miteinander verbanden. Es waren zwar Wege und Straßen untergeordneter Bedeutung aber nicht für die ländliche und ortsansässige Bevölkerung. Für sie waren es die Lebensadern der Nahversorgung über die sie wiederum Zugang zu den großen Fernverbindungen hatten. In Westfalen waren es die Hell- und Bördenwege, der Heiden-, Herß -, oder Haarweg. Aber allesamt waren dies Wege die die Weser mit dem Rhein verbanden und keine Nord/Süd Verbindungen. Diese waren im Rheinland östlich des Flusses u.a. der bekannte Mauspad oder in Ostwestfalen die Altstraße die man später den Frankfurter Weg nannte, der den Herßweg auf dem Sintfeld nahe Haaren kreuzte. Aber es gab auch die vielen unscheinbaren und kaum erkennbaren Wege die obwohl geringer eingestuft und weniger beansprucht trotzdem eine wichtige Funktion für den Handel und in Kriegszeiten ihre Bedeutung für die Menschen in der Region hatten. Überland- und Zubringerwege deren Verlauf für die Germanen kein Geheimnis war, die aber den römischen Besatzern unkenntlich und unsichtbar erschienen, da sie auf den ersten Blick keiner klaren Richtung folgten. Sie umgingen versumpftes Gelände und ihre Streckenführung war den Legionen fremd, die nur die Gradlinigkeit ihrer Militärstraßen gewohnt waren. Die Cherusker kannten die versteckten Pfade. Vor allem den Oberen Bördenweg der aus Richtung Höxter und Borgholz kommend die einzige Verbindung zum Saltus darstellte, wenn man ungünstiges Terrain meiden wollte. Ein Weg der in unübersichtlichen Windungen nach Westen führte und der später im Herß- und Haarweg aufging. Dieser, man könnte sich ihn unter den damaligen Bedingungen wie einen mit schmalen Karren befahrbaren und je nach den Bodenverhältnissen sandigen Trampelpfad vorstellen, nutzte in etwa eine Linienführung zwischen Natzungen und Peckelsheim und er verlief im Betrachtungsgebiet vermutlich auf dem Königsweg zwischen Willegassen und Schweckhausen in etwa nahe und parallel zur heutigen L 837. Wo Varus aufbrach befand sich nach dieser Theorie im nahen Fahlenbruch das "prima Vari Notlager". Es war zweifellos nicht das ursprünglich angestrebte Lager in das Varus beabsichtigte die Aufrührer zum Convent zu zitieren, wie es Florus schien. Dafür hatte Arminius dem Feldherrn im Vorfeld sicherlich einen repräsentativeren Ort vorgeschlagen. Etwa da, wo sich das persönliche Erscheinen des großen Statthalters besser zur Geltung bringen ließ und man dem würdigen Anlass mehr Bedeutung hätte verleihen können. Vermutlich überzeugte man Varus es an einem zentralen, jedoch im Nebulösen gehaltenen traditionellen Versammlungsplatz der ortsansässigen Aufrührer durchzuführen. Varus hätte von diesem günstigen Ort aus einen zügigen Rückweg durch das begeh- als auch befahrbare Hohlwegsbündel westlich von Borlinghausen zur Lippe antreten können. Möchte man diesen angedachten Platz in der Örtlichkeit definieren, so sollte man auch ihn in der Nähe des Oberen Bördenweges suchen. So tasteten sich die Legionäre am Morgen des zweiten Kampftages vielleicht geschickt flankiert von den Cheruskern die sich nach Bedarf zu tarnen wussten, zunächst in die Richtung dieses Weges auf dem man sie zum Saltus leiten wollte. Aus germanischer Sicht überließ man das Weitere nicht dem Zufall, denn für diesen Weg hatten sie bereits ihre militärischen also partisanenartigen Vorbereitungen getroffen. Und da lässt die Phantasie viele Spielräume zu. Kleinräumig war den Legionen die Region fremd aber einigen Legionären die dort als Kundschafter unterwegs waren, könnte sie noch schwach in Erinnerung gewesen sein und man übte sich auf dem Parkett der Pfadfindung. Das Lager das vermutlich auch Paterculus erwähnte, als er berichtete wie hartnäckig, aufopfernd und tapfer es vom Lagerpräfekten Eggius verteidigt wurde hatte man nun hinter sich gelassen. Und dies war nicht das Gerichtslager, das die Germanen wie es Florus beschrieb überfallen hatten, denn dieses Notlager war nie mit dem Gerichtslager wie es sich Florus vorstellte identisch und sollte nicht mit ihm verwechselt werden. Denn zu Gericht laden wollte Varus an einem eindrucksvollen Ort in ansprechender Umgebung und nicht in einem provisorischen Behelfslager im verregneten Waldgebirge. Die Legionäre hatten nach der unsäglichen Nacht die nun überzählig gewordenen Waffen der toten Kameraden vielleicht noch vorher unbrauchbar gemacht, um sie nicht in die Hände der Germanen fallen zu lassen, später ließ es sich nicht mehr vermeiden, dass sie noch viele scharfe Klingen erbeuteten. Im Verlauf der Nacht hatten die Germanen vermutlich noch Zulauf bekommen und ihre Kampfmoral sollte ungebrochen gewesen sein und während sie in der Region personelle Unterstützung und Ration fanden, mussten viele Legionäre nun zu Fuß den Marsch in den Untergang fort setzen denn die Pferde vom Vortag waren entweder tot oder hatten ihre Besitzer gewechselt. Dies bremste ihr Marschtempo und machte sie anfälliger. Die Germanen sahen auf einen geschwächten Gegner was sie zusätzlich motivierte, so dass im Verlauf des zweiten Kampftages weitere ausgeruhte bislang zaghafte gebliebene Krieger dazu gestoßen sein dürften. Eine wohl Schlachten entscheidende Phase, während Varus auf diesen Zuwachs nicht zurück greifen konnte und im Verlauf des Marsches zudem noch weitere Kämpfer eingebüßt haben dürfte, die verletzungsbedingt marschunfähig wurden oder kleineren Scharmützeln zum Opfer fielen. Auf germanischer Seite nahm es einen anderen Verlauf. Denn aufgrund der sich nun auch auf einen zweiten Tag erstreckenden Kämpfe darf man nicht unbedingt davon ausgehen, dass am Morgen dieses Tages auch noch all jene Germanen dabei waren, die schon am Vortag gekämpft hatten. Man muss es sich wohl wie eine stete Fluktuation sowohl ins Kampfgebiet als auch zurück in die Wohnstätten vorstellen, sozusagen ein kommen und gehen, denn Kriege und Schlachten führte man in Germanien nicht so wie man es sich heute gerne vorstellt und schon gar nicht eine Schlacht in dieser Dimension, die sich über mehrere Tage und viele Kilometer hinzog. Hier sollte man sich bei dem Versuch sich militärstrategisch zu betätigen von völlig anderen Bedingungen und Zusammenhängen leiten lassen. Es sind realitätsnahe Geschehnisse nachzustellen, wie sie sich nicht mit unserer Gedankenwelt eines kompakten Schlachtengeschehens verbinden lassen. So war es vielleicht an diesem Morgen sogar schon die zweite oder gar die dritte "Kämpfer Generation" die auf germanischer Seite die Waffen schwang. So kämpfte möglicherweise jeder Germane immer nur solange, wie seine Kräfte reichten oder Verletzungen ihn nicht hinderten und einige könnten schon nach wenigen Stunden wieder gegangen sein. Viele von ihnen verließen die Kampforte, da sie sich ihre Beute gesichert hatten, oder einfach nur deswegen, weil sie des Kampfes müde waren, kein weiteres Risiko eingehen, oder zu ihrer Familie zurück kehren wollten, wo die Landwirtschaft oder anderes Notwendige auf sie wartete. Denn die Varusschlacht war zunächst ein Volkskrieg der Bauern, also der Landbevölkerung durchsetzt mit jungen wagemutigen Kriegern und vermischt und geführt von einer kämpfenden Elite wie sie Arminius aus Pannonien heran geführt hatte. Jeder beteiligte sich nach eigenem Ermessen und was man damals unter Disziplin verstand entzieht sich auf ganzer Breite unserem Wissenstand. Strafen wegen Feigheit vor dem Feind oder Fahnenflucht wurden damals noch nicht ausgesprochen oder geahndet und die "Herisliz" ist erst für das Jahr 788 überliefert. Ehre hieß das hehre Wort und der Verfall der Würde wog schlimmer. Aber letztlich legte es jeder für sich persönlich aus. Arminius und Segimer kannten ihre "Helden" und spornten sie an, köderten und motivierten sie wo sie nur konnten um den Endsieg nicht zu gefährden. Jetzt nur nicht wieder in die alten typisch germanischen Fehler verfallen. Etwa den Feind nicht energisch genug attackieren oder voreilige und nicht durchdachte Vorstöße zu wagen. Den Mut auskühlen lassen und auf die richtige Gelegenheit warten. Auf keinem Fall einem schon fasst besiegt geglaubten Feind eine Gelegenheit zur Flucht eröffnen, denn er konnte schnell wieder zurück kommen, nur weil man uneins war oder falsche strategische Schlüsse zog. Arminius hatte viele Stämme in die Abwehrschlacht eingebunden, Kampfgruppen unterschiedlichster Herkunft, Gesinnung und Interessenslage werden es gewesen sein die er zusammen gezogen und für die Heeresfolge hatte gewinnen können. Und dazu gehörte es auch den Stammesfrieden untereinander herzustellen, was ihm wohl gelang. Aber es wollte aufrecht erhalten werden, denn da gab es auch noch die nie verstummen wollenden stammestypischen Rivalitäten wer denn den größten Anteil am Erfolg hatte, den Sieg für sich verbuchen konnte und wollte, wem er gebührte und wem ein Legionsadler zustand. Aber die stolzen Trophäen, Banner und Standarten hatte Varus nicht zurück gelassen, sie wollten erst noch erobert sein. Und sie führten die Legionen solange mit sich wie es ihnen nur möglich war. Bemüht man die Vorstellungskraft, dann musste der Germanenfürst im verlassenen Lager vielleicht sogar mit energischen Worten dem Treiben ein Ende setzen und die Kämpfer auf die nächsten Gefechte einstimmen. Da aber wie man weiß noch andere Stämme an der Schlacht beteiligt waren, könnte hier für viele auch schon die Schlacht zu Ende gewesen sein und nun übernahmen andere Völker wie etwa Marser, Chatten, Brukterer oder Sugambrer die Last der folgenden Kämpfe und lauerten den Legionen an der Marschroute auf, da sich diese nun ihren Stammesgebieten näherten. Während man im Lager noch damit beschäftigt war dem einen oder anderen Legionär die Ketten anzulegen, nutzten andere noch die Gelegenheit um sich die schwarzen Aschereste der schmorenden Karren ins Gesicht zu reiben, damit den eigenen Kampfeswillen und den der Mitkämpfer zu steigern und um bedrohlicher zu wirken. Es war eine nicht sehr weit hergeholte Szenerie wie man sie am Morgen nach dem Abzug der Römer im Lager erwarten darf. Grundsätzlich lag allem der Plan zugrunde die Trümpfe der Landschaft auszuspielen um es mit den wenigsten Verlusten verbunden zu Ende zu führen. Was nun hinter den Varuslegionen geschah dürfte plausibel sein. Denn unmittelbar nachdem Varus sein Lager verlassen hatte, werden es die Germanen in Besitz genommen, besser gesagt zerwühlt haben und sie ließen "keinen Stein mehr auf dem anderen". Es war zu erwarten, dass es sich die Germanen nicht nehmen ließen dies in ausführlichster Weise anzugehen. Man darf sich in diesem Zusammenhang auch die Frage stellen, wie die Germanen mit dem an der Weser verorteten römischen Hauptlager nach dem Verlassen der Varusarmee umgingen. Letztlich wird dies aber unerheblich gewesen sein und hinter dem Ansinnen zurück gestanden haben, zunächst die Präsenz von Varus und seinen Legionen in Ostwestfalen zu beenden. Im "prima Vari castra" war jetzt die klassische Plünderungsphase angebrochen aber es trat in diesem Zusammenhang auch noch ein beklemmender Faktor hinzu, denn im Lager befanden sich wohl auch noch zahlreiche zurück gelassene da verwundete Legionäre. Hierzu fällt einem der Satz des Gallierkönigs Brennus "vae victis - wehe den Besiegten" ein. Beteiligt an dieser Übernahme waren die Germanen der ersten Stunden und all jene die sich einfanden und es wird seine Zeit in Anspruch genommen haben. Man wird die Wertgegenstände und das waffentechnisch Brauchbare an sich genommen und den Rest den Bewohnern der Region überlassen haben, die sich später von der Neugier getrieben von selbst einstellten. Varus wird die Zeit genutzt haben sich von den Germanen abzusetzen. Viel half es ihm nicht, denn es sollten noch schwere Kämpfe auf ihn zukommen. (06.03.2022)

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