Sonntag, 1. Mai 2022
Erster Abschnitt - Lagerüberfall oder Mehrtagesgefecht - Der "vierte" Tag schafft Klarheit
Aber zunächst darf ich sie vorwarnen, denn mit diesem Abschnitt im Ringen um den wahren Verlauf der Schlacht steht uns nur Sisyphos hilfreich zur Seite. So sollen im Weiteren jene umfänglichen Themenkomplexe im Vordergrund stehen, mit denen sich dieser Frage auf den Grund gehen lässt. Es kommt also ein heißes Eisen auf den Amboss und Tacitus stand mitten im Funkenregen. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Unschärfe der Quellen und es lässt sich kaum überbieten, da es das literarische Mark der Schlacht berührt. So soll hier mal nicht der Frage nach gegangen werden wo sie geschlagen, sondern viel mehr wie sie geschlagen wurde. Und damit steht uns hier der konfliktreichste Stoff ins Haus den man uns zu ihrem Verlauf hinterlassen hat. Es sind die aus dem 2. und 3. nachchristlichen Jahrhundert stammenden Schriften der Herren Dio und Florus die sich nach Meinung vieler angeblich unversöhnlich gegenüber stehen sollen. Ob sie sich aber wirklich so konträr gegen einander verhalten ist eine Frage von Auslegung und Sprachforschung und sie soll in diesem Kapitel nicht nur angegangen, sondern nach Möglichkeit auch beantwortet werden. Und da stehen die Chancen gut, denn nichts wird so heiß gegessen wie gekocht und der Optimismus überwiegt, dass es gelingt und dieses Kapitel für die nötige Orientierung sorgen wird. Es sind neben den Schriften von Tacitus und seinen Wortfindungen die die Altphilologen erschaudern lassen sowie der etwas abseits stehende Paterculus auch die Berichte von Florus und Cassius Dio die die Forschung seit jeher irritiert haben, da sie in ihren Darstellungen vermeintlich voneinander abweichen. Auf den Spuren von Johannes Freinsheim der sich schon 1632 mit der Frage beschäftigte, ob Dio und Florus wirklich soweit aus einander lagen sollte uns keine Theorie zu unnahbar sein. Natürlich neigt man dazu sich für eine Version zu entscheiden, was uns aber hier erspart bleiben wird. Es geht also nicht darum dem einen oder anderen zu glauben, denn es bahnt sich im Zuge der Aufarbeitung an, dass beide Recht hatten. Für Florus bestand die Schlacht aus einem einzigen Lagerüberfall, er hob sie auf das Niveau einer kurzzeitigen und überschaubaren Auseinandersetzung und interpretierte ihren Verlauf wie eine Art Überrumpelungsaktion, während Cassius Dio es als mehrtägige Marschschlacht beschreibt. Beide Versionen neutral zu würdigen stellt eine besondere Herausforderung dar, aber beide gleichzeitig zu behandeln, sie also gegen einander zu stellen um ihnen auf diese Weise das Rätselhafte zu nehmen bedeutet für den mit lesenden Geschichtsfreund ein Maximum an Spürsinn aufbringen zu müssen. Den Schwierigkeitsgrad steigert Tacitus denn ihm fällt eine richtende Funktion zwischen beiden Darstellungen zu. Obwohl sich bei ihm nur indirekte Hinweise zum Schlachtverlauf finden lassen, wird er doch in gewisser Weise zum Maß der Dinge und zu einem Prüfstein mit dem sich der Schlachtverlauf aufspüren und ergänzen lässt. Mit seiner Hilfe gelingt es letztlich ihren Werdegang plausibel zu machen, also zu entschlüsseln. Nur auf den ersten Blick scheint es als lasse sich dem Tacitusbericht eine Bestätigung für die Florus Überlieferung entnehmen, sich sein Bericht also inhaltlich in das Geschehen so einfügt wie es Florus hinterließ. Aber dieser anfängliche Verdacht trügt. Er reichte aber schon so manchem Historiker um dem Gedanken zu folgen, die ganze Schlacht auf einen Lagerüberfall reduzieren und somit eine Marschschlacht ausschließen zu können. Dieses Kapitel soll nun dazu beitragen die überzeugenden Argumente die für die Marschschlacht sprechen zu sammeln und zu kommentieren. Die Varusschlacht war die Auftaktveranstaltung frühester deutscher Geschichte und sie aufarbeiten zu wollen stellt einen historischen Sonderfall unter erschwerten Bedingungen dar, weil wir auf keine unterstützende germanische Eigenschrift zurück greifen können. Gordischer wie ein Knoten kaum sein kann erscheint sie uns wie ein monumentales Ereignis, das nach Antworten auf Fragen sucht die bislang nicht gestellt wurden. Aber in Ostwestfalen lässt sich der Knoten nicht mit einem Hieb durchschlagen, sondern will behutsam aufgeknotet sein. Wer die drei Berichte der antiken Historiker Florus, Tacitus und Cassius Dio und mit Abstrichen auch Paterculus kennt, was man voraus schicken darf der weiß auch wie anspruchsvoll es ist untermauern und darzulegen zu wollen, dass man ihre Überlieferungen letztlich zu einem übereinstimmenden Ergebnis führen kann. Vereinfacht und begünstigt wird es dadurch, dass sie sich im direkten Vergleich nicht gravierend voneinander unterscheiden und in sich den Ablauf nach Cassius Dio bestätigen. Sie lassen sich kompatibel machen und es wird deutlich, dass es eigentlich nie zu einem Disput oder zu Misstönen unter den Ansichten und Meinungsführerschaften hätte kommen brauchen. Denn es beruhte lediglich auf einem Missverständnis hinsichtlich Auslegung also Interpretation der antiken Schriften. Es gab nur eine Varusschlacht und so konnten alle römisch griechischen Historiker die sich mit ihr beschäftigten auch immer nur über die ein und dieselbe Begebenheit berichten. Und auf Basis dieser Einsicht lässt sich heraus arbeiten, dass alle Berichte dahin münden was die Forschung "Mehrtages - oder Marschschlacht" nennt. Es ist zwar ein komplexes aber dennoch kein hoffnungsloses Unterfangen den Sachverhalt frei zu legen und das Ergebnis für neue Studien zu öffnen. Daher sollen wieder mehrere Anläufe und Herangehensweisen von unterschiedlichen Sichtwinkeln aus betrachtet sicher stellen, dass sich jeder Interessierte im Dickicht der Argumente zurecht finden kann. Eine bildliche Animation zum Verlauf soll am Schluss des Beitrages dazu dienen es verständlicher zu machen. Beginnen wir zunächst mit einem einzigen unscheinbaren Wort, es lautet "vierte" und damit ist der vierte Tag der Varusschlacht gemeint. Und da Geschichtsforschung und kriminalistischer Spürsinn oft nicht weit auseinander liegen lässt sich schon hinter diesem einen Wort ein deutlicher Hinweis dafür entdecken, dass sich die Varusschlacht über mehrere Tage erstreckte und nicht aus einem einzigen Lagerüberfall bestanden haben konnte. Und schon sind wir mitten drin und die Kardinalfrage scheint damit auch schon fasst beantwortet zu sein. Denn demnach hätte uns der Historiker auf den richtigen Pfad geführt der von einer viertägigen Auseinandersetzung sprach, denn ein Lagerüberfall spricht nicht für eine Dauer von vier Tagen zumal man es dann Belagerung und nicht Überfall genannt hätte. Und strittig sind diese vier Tage auch nicht, da sich das Vorhandensein eines vierten Tages in einem glaubhaften antiken Geschichtswerk schwarz auf weiß nachlesen lässt. Und mithilfe dieses Wortes ließen sich auch schon andere Hinweise zum Verlauf der Varusschlacht aufdecken und erklärbar machen. Damit wird schon ein einziges Wort zu einem wichtigen Fundament das mit dazu beiträgt diese Theorie zur Varusschlacht zusätzlich zu erhärten und die Schlacht vom Zauber des Rätselhaften zu befreien. Im Zusammenhang mit der Verlaufsforschung ist zu betonen, dass wir nur einen antiken Historiker kennen, der uns diesen wertvollen Anhaltspunkt bezogen auf jenen vierten Tag hinterließ was wir bei allen anderen vergeblich suchen. Es war Cassius Dio dem wir unser Wissen verdanken, dass die Schlacht noch einen vierten Tag kannte. Während aufgrund des Quellenstudium und dank des vierten Tages erkennbar wurde, dass der erste Marschtag friedlich verlief, entwickelten sich die drei folgenden zu Kampftagen. Der "vierte" Tag war aber mit Sicherheit kein Tag, den man einen Marschtag nennen könnte, denn eine geordnete römische Militäraktion hat dieser Tag nicht mehr gesehen. Und nach allem was sich recherchieren oder heraus lesen lässt muss es ein chaotischer Tag gewesen sein in dessen Verlauf man die Reste der Varusarmee gänzlich aufrieb, sie in die Gefangenschaft führte, oder in die Flucht trieb. Nur Cassius Dio war es der uns in groben Zügen den kompletten Ablauf der Mehrtagesschlacht schilderte und dem sich entnehmen lässt, dass sich Varus in Ostwestfalen insgesamt vier Tage mit diesem speziellen und zweischneidigen "Germanenproblem" auseinander zu setzen hatte. Davon irrte er die letzten zwei Tage nur noch umher bevor er sich am letzten, jenem besagten vierten Tag das Leben nahm. Die Information, dass sich Varus nach dem ersten Marschtag noch drei weitere Tage im Operationsgebiet aufhielt ist auch von biographischer Bedeutung, denn derart fixe Angaben lungern in der Weltgeschichte nicht so einfach umher und niemand saugt sie sich aus den Fingern, wenn sie sich nicht vorher deutlich von Vorlagen entnehmen lassen. Ein Indiz, das der Glaubwürdigkeit von Cassius Dio einen weiteren Schub verleiht, denn allein dieser bescheidene Hinweis macht den gesamten Abriss aus seiner Feder zu einer belastbaren Quelle. Die Erwähnung eines vierten Marschtages schließt in der Konsequenz natürlich auch die drei davor liegenden Marschtage samt den dazu gehörigen Nachtlagern mit ein und wird zum Synonym für die Überzeugungskraft einer sich über mehrere Tage erstreckenden Varusschlacht. Und an kaum einer anderen Stelle lässt es sich besser verdeutlichen, dass der Hinweis auf das Vorhandensein eines 4. Marschtages die Version der Lagerüberfall Darstellung wie sie uns Florus vermittelt hat bzw. als Erklärung anbietet nicht haltbar ist. Allerdings bezieht sich diese Ablehnung nur auf die Form und den Ablauf wie es Florus formuliert hat, denn zu Lagerkämpfen ist es wie sich recherchieren lässt gekommen, aber nicht zu einem erfolgreichen germanischen Lagerüberfall dem handstreichartig drei Legionen zum Opfer fielen. Die Erwähnung eines vierten Marschtages hat schon etwas Besonderes, denn damit ließ sich schon auf argumentative Weise die Tür zum lange verborgen gebliebenen, aber von Cassius Dio zweifellos unbeabsichtigt unterdrückten ersten Marschtag öffnen, der sich uns andernfalls nicht offenbart hätte. Um den chronologischen Aufbau der Varusschlacht zu erkennen war das Wissen dieses vierten Tages schon in der Anlauf bzw. Aufmarschphase ab Höxter unersetzbar. Denn erst dadurch ließ sich heraus arbeiten, dass der erste von vier Tagen ein reiner Marschtag war, der bis Brakel völlig konfliktfrei verlief. Und so wird der vierte Tag zu einem wesentlichen Schlüsselelement, das sich auf die Gesamtanalyse und somit auch auf die Transparenz der dazwischen liegenden Etappen und Stationen erhellend auswirkt. Ausgestattet mit diesem Kenntnisstand ließ sich auch problemlos die Frage der Übernachtungslager lösen. Nämlich die Existenz des ersten varianischen Rastlagers und dies war nicht das "prima Vari castra". Dieses Lager befand sich in Brakel oder in seiner Nähe und Varus konnte auf es zurück greifen, denn es war schon zu seinen Zeiten vorhanden und hatte die Bedeutung eines Etappenlagers und Versorgungsdepots für das römische Vorrücken zur Weser. Es hatte schon seit den ersten Tagen römischer Okkupation in Ostwestfalen Rückgratfunktion und war neben Schwaney/Aliso ein bedeutsamer Stützpunkt zwischen Lippe und Weser. Cassius Dio dachte es zu wissen zumindest vertraute er seinen Quellen, sonst hätte er wohl nicht in seiner Textstelle 56.21.3. hinterlassen, dass die Varusschlacht auch noch aus einem vierten Tag bestand. Man kann den Tag zwar seinen Überlieferungen entnehmen aber es wird deutlich, dass dieser Tag nach alledem was er zuvor schrieb für Varus und seine Armee nicht mehr aus 24 Stunden bestehen sollte. Vielmehr dürfte er schon viele Stunden vor Einbruch der Dunkelheit mit dem Tod des Feldherrn geendet haben. So darf man annehmen, dass es sich bei diesem vierten, folglich dem letzten Tag der Varusschlacht wie dargestellt auch um keinen Marschtag mehr im Sinne von marschieren handelte. Legt man nun für Marsch und Schlacht vier Tage zugrunde, so setzt dies zwangsläufig auch die Existenz von drei Nachtlagern voraus, die sich an unterschiedlichen Orten befunden haben dürften. Für etwaige Hypothesen wonach die Legionen eine Nacht ohne Nachtlager durch marschiert sein könnten oder während der Mehrtagesschlacht in einem Lager auch zwei Mal übernachtet hätten liegen weder schriftliche Indizien vor noch fänden sich dafür Überlegungen der Sinnhaftigkeit. Und diese Erkenntnis so banal sie auch klingen mag macht die gesamte Struktur der Varusschlacht vom ersten bis zum letzten Tag schlüssig und trägt auch dazu bei die Überlieferung von Cassius Dio mit den Schriften von Tacitus, Florus und sogar Paterculus zusammen zu führen und mit Missdeutungen und Fehlannahmen aufzuräumen. Zum besseren Leseverständnis sei im Zuge dieser Theorie noch mal festzuhalten, dass sich das I. Marschlager nach dem Ausgangslager Höxter/Corvey demnach also in oder bei Brakel befand. Hier war es noch ein Lager am Ende einer vermutlich angenehmen "spätsommerlichen Schönwetteretappe". Man schaffte an diesem Tag auch den guten und schon oft zu Papier gebrachten theoretischen Schnitt von etwa 25 Kilometer, da es während des Marsches noch zu keiner Feindberührung, also keinen Zwischenfällen bzw. Zusammenstößen mit den feindlich Gesinnten kam, wie sich recherchieren ließ. Denn Arminius ritt auf halber Strecke davon um seine Männer zu sammeln, war aber aus den schon früher dargestellten Gründen nicht imstande Varus schon am gleichen also bereits ersten Marschtag angreifen zu können. Brakel war das Stützpunktlager I in dem Varus den zivilen vom militärischen Marschzug abkoppelte und es war kein Varuslager im Sinne der Überlegung, dass es erst von Varus errichtet werden musste, da es schon existierte. Erinnert sei daran, dass man Frauen und Kinder auch damals schon grundsätzlich keiner Gefahr aussetzte und man sie daher auch nicht mit in Krisengebiete nahm. Über die Begrifflichkeit von "Accensi velati", den "Unbewaffneten" lässt sich zudem nicht begründen, dass sich dahinter Frauen und Kinder befunden hätten und auch im Zuge des Kampfgeschehens finden Frauen und Kinder an keiner Stelle Erwähnung. Sie und viele andere, darunter auch höher dekorierte oder betagte Honoratioren wollte Varus und das war wohl auch deren eigener Wunsch über den Gradberg und Schwaney auf direktem Weg an die Lippe ziehen lassen. Aber es gab noch eine Vielzahl anderer Argumente die dafür sprechen, dass Varus in Brakel den Zug aufteilte. Er selbst trat am zweiten Marschtag gegen Morgen mit den kampfbereiten Streitkräften den Marsch nach Süden zu den vermeintlichen Quertreibern pardon Aufrührern an, mit denen er aber zu diesem Zeitpunkt noch gedachte sich "gerichtlich" einigen zu können. Dieser Theorie nach kam Varus nur bis in den Fahlenbruch bei Schweckhausen, nach dem er zuvor im Zuge massiver germanischer Angriffe wie sie Cassius Dio beschrieb nur noch imstande war, sein "prima Vari castra" notdürftig errichten zu können. Dies war unter Einbezug des Brakeler Lagers das Lager II. Darauf folgte das letzte Nachtlager. Es war das Notlager III am Abend nach der Schlacht "im dichten Wald der nassen Wurzeln" in dem sich Kavallerie und Fußsoldaten gegenseitig den Raum zum Kämpfen nahmen. Das Existieren eines vierten Tages wie es Cassius Dio erwähnt ist für die gesamte Chronologie der Varusschlacht von grundlegender Bedeutung da sich damit gleichzeitig zwei Paradoxen auflösen lassen. Zum einen ist damit der Tacitus Hinweis auf die Existenz eines nebulösen Notlagers mit flachen Wall und Graben gemeint und zum anderen die Überlieferung eines Angriffs auf ein Lager in dem Varus angeblich dabei gewesen sein soll Recht zu sprechen. Liest man es aber präzise dann sprach Florus nur von einem Angriff auf ein Gerichtslager. Ein Gerichtslager in dem es noch keine Verhandlung gab, da sie noch gar nicht statt gefunden also eröffnet wurde und sie sollte dort auch nie statt finden. Denn Florus nannte es "citare" also zitieren und zitieren steht für einladen, wenn auch mit unüberhörbar nachdrücklichem Unterton. Aber auch dann spricht eine Einladung nicht für einen Überfall auf eine im Gange befindliche Gerichtsverhandlung, sondern zunächst nur auf ein Lager von dem dem man einst in Rom annahm, dass man darin plante eine Gerichtsverhandlung durchführen zu wollen. Zu der es aber bekanntermaßen nicht kam. Aber dank des 4. Tages, in dem man nicht nur den Tag am Ende der Schlacht, sondern auch den ersten friedvoll verlaufenden Marschtag mit betrachten muss, fällt das nötige Licht ins Geschehen und es erschließt sich mit seiner Hilfe erst die Kontinuität wodurch sich die Darstellungen aller vier Historiker in Übereinstimmung bringen lassen. (01.05.2022)

... link