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Samstag, 6. Januar 2024
Schon im Mittelalter erwachte das Interesse an der Varusschlacht - Eine Belastung für den neuen Glauben.
ulrich leyhe, 14:24h
Obwohl sich schon Otto von Freising im 12. Jhdt. mit der Frage des Varusschlachtfeldes beschäftigt hatte, nahm die Debatte um sie doch erst richtig Fahrt auf, als sich ab dem 16. Jhdt. der Inhalt der „wieder entdeckten“ Tacitus Annalen herum sprach, der vorher nur Lückenhaft verbreitet war. Vergleichbar mit einem seismischen Prozess erschütterte im Jahre 9 + die Varusschlacht Mitteleuropa und die Nachwirkungen reichen bis in unsere Zeit. Sie wurde zur Sternstunde deutscher Geschichte aber pikant wurde es erst, als man auch wissen wollte wo sie einst statt fand, jene Schlacht unserer „First Nation“ gegen die Invasoren aus dem Süden. Otto von Freising trug sich als erster in die Liste der Suchenden ein und es war der Beginn einer scheinbar nie enden wollenden Suche die in eine Auseinandersetzung unterschiedlichster Theorien aber auch Wunschvorstellungen mündete. Ein Phänomen, das Eigendynamik entwickelte die schon fasst die eigentliche Bedeutung der Schlacht überdeckt hat, denn keinem in Deutschland statt gefundenen antiken Ereignis wurde über einen solch langen Zeitraum soviel Aufmerksamkeit geschenkt wie der Suche nach den Varusschauplätzen. Den Austragungsort zu entdecken wurde zum Allgemeingut historisch interessierter Bevölkerungskreise um nicht zu sagen zum Gesellschaftsspiel erhoben und es gibt kaum jemand im Staate der nichts von diesem Erinnerungsschatz weiß. Schon früh erkannte man zunächst in Detmold später in Bramsche, dass sich mit diesem Ereignis auch Geld verdienen lässt und die Suche entwickelte sich zum Vermächtnis von Generationen, dass in ihrer Tragweite das Forschen nach dem berühmten Bernsteinzimmer bei weitem übertrifft. Leider verweigert man diesem komplexen und vergeistigten Thema unserer römisch/germanischen Vergangenheit die ihm zustehende Aufmerksamkeit, denn nach einer diesbezüglichen Eintragung in dem aus 144 Positionen bestehenden deutschen immateriellen Kulturerbeverzeichnis sucht man es vergeblich. Der seit Jahrhunderten andauernde Prozess dieser außergewöhnlichen Forschungsgeschichte die sich wie eine verselbstständigende Geschichte in der Geschichte eingenistet hat. So als ob uns die Historie mit dem Aufspüren eine Pflicht für die Ewigkeit aufgebürdet hätte, übersah unser Zeitgeist das Einzigartige darin, sodass man es als Vorschlag bei der Deutschen Unesco Kommission einreichen sollte. In der Hoffnung im Fall Varus und seiner untergegangenen Armee sachdienliches zur Auffindung des Schlachtfeldes beitragen zu können beteiligten sich über die Jahrhunderte viele Historiker mal mehr und mal weniger erfolgreich mit der Suche. Anstelle belastbarer Beweise ließen sich immerhin gute Indizien präsentieren die für die Zukunft hoffen lassen. Aber selbst das wenige wäre nicht denkbar hätte es den einen antiken Historiker nicht gegeben dem es vergönnt war das Ereignis nahezu von Anbeginn und dann über die Jahrhunderte hinweg im Bewusstsein der Generationen wach zu halten. Es war der besonderen Hingabe und Vielseitigkeit seiner Themenauswahl und Methodik zu verdanken, dass seine Werke über die Zeiten zu Bestsellern wurden und es ihm gelang seine Leserschaft zu inspirieren. Und natürlich ist von Gaius Suetonius Tranquillus die Rede der nach 122 + verstarb und somit zeitgleich mit Tacitus lebte. Und obwohl er einen anderen literarischen Stil pflegte und von ihm abweichende Schwerpunkte setzte, zählte er zu den großen Geschichtsschreibern der Antike. Während die Nordgermanen die ersten waren, die im frühen Mittelalter begannen im trüben Milieu des Sagenhaften nach den einstigen Wahrheiten zu stochern, trug Sueton dazu bei der Varusschlacht ein reales Gesicht zu geben. Am deutlichsten gelang es ihm, in dem er den Aufschrei von Kaiser Augustus nach der Niederlage „seiner“ Legionen in Germanien uns allen auf ewig ins Gedächtnis schrieb. Ein Satz der die Zeiten nicht nur überdauerte, sondern vor allem die Menschen neugierig gemacht hat. Und selbst im Mittelalter in dem man annehmen sollte, dass man andere Sorgen hatte und die Varusschlacht noch bei Augsburg vermutete, setzte man die Suche nach dem Austragungsort fort. Und auch Otto von Freising kannte von Sueton den verzweifelten Ruf des Kaisers, wusste aber auch vom Detail der Knochenbestattung im Jahre 15 +, das uns aber bezeichnenderweise nur von Tacitus überliefert ist. Es könnte ihm aber auch die schon im Altertum viel gelesene Epitoma bzw. die Bambergensis von Florus vom Anfang des 9. Jhdts. vorgelegen haben, sodass ihm die Varusschlacht aus unterschiedlichen Quellen ein Begriff war. Von Otto von Freising ist zudem bekannt, dass er auch über Wissen von Paulus Orosius verfügte der bereits 418 + verstarb, so dass Otto auch bei ihm etwas über die Knochenbestattung gelesen haben könnte. Und selbst die an Opfern reichen Kreuzzüge konnten die Faszination die von dieser Schlacht ausging nicht zum Erliegen bringen. Es muss also im 12. Jahrhundert immer noch ein seltsames Phänomen gewesen sein, dass es da mal eine Schlacht gab die vor langer Zeit die heimischen Völker gegenüber einer hoch gerüsteten Armee für sich entschieden hatten, von deren Existenz und Hergang man aber keine genauen Vorstellungen mehr besaß. Da in der Reichsabtei Corvey seit dem 9. Jhdt. eine in lateinischer Sprache abgefasste aussagefähige Abschrift der Tacitus Annalen vorlag darf aufgrund der darin gefallenen geographischen Bezüge spekuliert werden, inwieweit man sich darauf basierend auch damals schon Vorstellungen zur Lokalisierung der Schlacht gemacht hatte. Da schon den Mönchen in Corvey die Ähnlichkeit der Worte Arminius und Irmin nicht entgangen sein dürfte darf man vermuten, dass auch sie nach einem plausiblen Bezug zwischen der Schlacht und der Errichtung der Irminsul gesucht hat oder versucht haben könnte ihn herzustellen. Wissen, dass man möglicherweise in Corvey zurück hielt und das man vielleicht aus Gründen klösterlicher Räson und Zurückhaltung weltlichen Dingen gegenüber schon seit den Tagen Rudolfs von Fulda nur diskret bewahrte. Was sich an Kenntnissen um die Irminsul erhalten hatte entstammte schon für die Corveyer Mönche die dort ab dem 9. Jhdt. wirkten einer nebulös religiösen Vorzeit. Es waren Geschehnisse die am Selbstverständnis des wahren Glaubens kratzten die man aber aus dem spirituellen Alltag fern halten wollte, da sie nicht mehr in eine Zeit passten in der man glaubte die blutigen Taten der Sachsenkriege hinter sich gelassen zu haben und nur noch für Frieden, Eintracht und christliche Nächstenliebe eintreten wollte. Hinzu kommt, dass man in den Vorbereitungen steckte um Karl dem Großen 1166 für sein „glorreiches“ Wirken und nicht zuletzt für die Zerstörung der Irminsul heilig zu sprechen. Otto von Freising der acht Jahre zuvor verstarb lebte in dieser Zeit und seine Vorarbeiten bestätigen, dass die Varusschlacht ihre Attraktivität nie verloren hatte und an vielen Orten immer noch auf unterschwellige Weise ein eigenartiges Schattendasein führte. Möchte man eine Verschwörungstheorie vermeiden, dann könnte man sich auch auf die reale Suche nach einem möglichen Komplott begeben. Etwa die Überlegung aufgreifen, dass man in Corvey das Wissen um die einstigen Örtlichkeiten der Schlacht und den daraus später erwachsenen Irminkult auch bewusst unter Verschluss halten wollte, da sich die heidnischen Stätten und Geschichten die vom Widerstandswillen der Vorväter zeugten nicht unbedingt für geeignet hielt, um sie mit der christlichen Lehre in Einklang bringen zu können. So wird man ab dem Bekanntwerden über das gesamte Mittelalter versucht haben diesen Vorgang zu kaschieren um dem verwerflichen Tun infolge der Sachsenkriege keine neue Nahrung zu liefern. So tat man alles um das noch vorhandene Wissen, dass die Menschen nicht vergessen wollten zu unterdrücken. Es war ihre Pflicht, die von ihren Glaubensbrüdern begangenen unmoralische Taten auf religiöse Weise sorgsam zu verbergen und auf einen einst aus vorchristlicher Zeit stammenden Nationalhelden namens Arminius durfte kein neuer sächsischer, der eigentlich der alte war mit Namen „Irminius“ folgen. So ließen sich zu keiner Zeit die taciteischen Quellen wie es auch bei Otto von Freising deutlich wird aus der Welt schaffen, sich leugnen oder verbergen. Der Klerus entlarvte sich schon damals im Zuge der Zerstörung der Irminsulstätte in dem er mangels besseren Wissens die in die Irre führenden Namen „Fanum“ oder „Idolum“ gebar, da man in ihr keine göttliche Sinngebung erkennen konnte und bemühte sich um halbherzige Erklärungen. Die Verbindung beider Ereignisse und die frappante Namensähnlichkeit die in Corvey erstmals auf fiel, ließ sich in Ostwestfalen auch im Mittelalter nicht mehr zum Schweigen bringen und so wirkte auch der varianische Schlachtenmythos immer noch nach, spukte im Untergrund und als Drachentöter im höfischen Lebens weiter und hatte das Potenzial die junge religiöse Ideologie wenn nicht zu gefährden, so doch zu stören. Da las man also allein oder im vertrauten Kreise in den Tacitus „Geschichtsbüchern“ von massiven Schlachten die an der Weser ihren Ursprung hatten, aber für die einfachen Menschen des Mittelalters und selbst die Mönche war es kaum vorstellbar, dass es sich dabei so hoch im Norden und fernab von Italien um die gescheiterten Okkupationsanstrengungen eines antiken Weltreiches gehandelt haben soll. Ein Imperium, das sich 1100 Jahre vor ihrer Zeit vergeblich bemüht hatte seine Außengrenzen mit Gewalt zu erweitern. Es fehlte ihnen vielleicht auch der Spürsinn sich ein gigantisches Schlachtengewitter vorzustellen, das „nur“ 30 Jahre andauerte und so schnell wie es begann auch wieder zu Ende war, obwohl die römischen Relikte in ihrer Zeit noch unübersehbar waren. Eine verschwommene und bizarre Vergangenheit die sich seit dem auf spiritistische Weise in den germanischen Hütten wach halten konnte und der Sagen - und Legendenbildung Auftrieb gab und Vorschub leistete. So bekam es die neue christliche Weltordnung mit zwei Sichtweisen und Strömungen zu tun denen sie was entgegen halten musste. Zum einen waren es die schriftlichen Darstellungen wie sie eine gedemütigte und bis dato an Siege gewohnte Großmacht hinterließ und zum anderen das, was man in Germanien daraus machte. Zwei sich in ihrer Lebensweise mental und gegensätzlich voneinander unterscheidende Zivilisationen was in unterschiedliche Betrachtungsweisen münden musste. War es aus römischer Sicht die Schmach der Niederlage, das Versagen des Feldherrn und die Erklärungsversuche wie es dazu kommen konnte, so rückten die germanischen Gegner ihren bedingungslosen Kampfeswillen in den Vordergrund und befassten sich nicht mit der strategischen Auswertung der Schlacht die für Rom zum Desaster wurde. Für die Germanen lag der Erfolg darin, dass es ihnen, einer untergerüsteten Schar Waffen tragender Bauern und Pferdezüchter aus einem Sammelbecken unterschiedlichster Stämme gelang diese Schlacht triumphal für sich zu entscheiden, aber über das wie und warum schwieg sich die Sagenwelt aus weil ihr in tausend Jahren das Hintergrundwissen verloren ging. Man hatte Mut gezeigt und Zusammenarbeit bewiesen und sich nicht davor gescheut sich gegen die stärkste Macht der Zeit zu stellen, wobei der namenlose einzelne Kämpfer verblasste und später nur der Name des germanischen Anführers die Zeiten überlebte. Ihm allein schrieb man letztlich die Glanztat zu, sodass er alles überstrahlte und in den Erinnerungen die Jahrhunderte überdauern konnte. Aber was tat die fortschrittliche fromme Lehre die auf den überholten paganen Götterglauben folgte und wie ging sie damit um. Mit der historischen Wahrheit verhielt es sich eher unproblematisch da man nur die Türen der Klosterbibliotheken schließen musste und sich danach die schlafenden Hunde die Otto von Freising geweckt hatte schnell wieder schlafen legten. Anders verhielt es sich mit der Sagenkomponente und ausgerechnet war es wieder ein Mönch dem es gelang die heile Christenwelt in Verwirrung zu stürzen, denn sein Reisebericht konnte sich sogar bis in unsere Zeit erhalten. Es war der aus Island stammende Gelehrte Nikulas Bergsson, Abt von Munkathvera der mit einer unscheinbaren Randbemerkung aufhorchen ließ. Er erwähnte nach dem er Paderborn verlassen hatte einen Drachen der, wie es Drachen so an sich haben sein Unwesen trieb und wobei strittig ist, ob es sich auf die Region Ostwestfalen bezieht. Es gibt jedoch eine schlüssige Theorie mit der es sich bestätigen läßt. Das in Island schon zu Bergssons Zeiten Drachensagen kursierten ist naheliegend, denn nur 20 Jahre nach seinem Tod wurde der Eddaverfasser Snorri Sturluson geboren der sich damit beschäftigt hatte und für den Nikulas Bergsson kein Fremder gewesen sein dürfte. Möglicherweise ließ sich Snorri auch von seinen Berichten inspirieren die nach dem Tod von Bergsson in Island bekannt wurden und er ergänzte damit sein Wissen über die Sagenwelt der Germanen. Was Nikulas Bergsson auf seiner Reise erfuhr war in der Gegend in der man ihn darauf hinwies ein offenen Geheimnis, sodass auch der damalige Paderborner Bischofs Bernhards von Oesede Kenntnis davon hatte. Wenn die Argumentation zutrifft wonach die im 5.Jhdt. aus dem Nethegau nach Südengland gerufenen Söldner die Vision eines „trahho“ auf der Insel einführten, der sich wohl eher auf Rädern fort bewegte statt mithilfe von Flügeln, so deutet der Nikulasverweis darauf hin, dass sich diese Vorstellung verbreitet hatte und sich mit Erinnerungen an den alten „Drachenkampf“ in Ostwestfalen verband. Hinzu kam der im Volk schwelende mit Zorn verbundene und tief verwurzelte Hass auf die fränkischen Gewalttaten sowie das nebulöse Halbwissen, dass sich um die Person eines Irmin drehte und kultartige Formen annehmen könnte. So galt es zu verhindern, dass das Wiederaufflammen allen Heidnischen für die Geistlichkeit oberste Priorität hatte. Und dazu gehörte es auch die noch im Volksglauben schlummernde Vorstellung einst existenter Drachengestalten zu verbannen die sich über die Sagenschiene immer noch wach hielten. Die Botschafter des Christentums waren nicht zu beneiden und hatte ihre liebe Not darauf zu achten, dass im Volk nicht wieder Unglaube und Ungedanken Fuß fassen konnten. So war der Klerus stets bemüht es mithilfe des kaum verständlichen Latein in die gottgewollten Bahnen zu lenken, kam aber nicht umhin auftretenden Erklärungsnotständen eigene Ansichten entgegen zu halten. Ein seltsames Beispiel für die Nachhaltigkeit ältester Ereignisse lieferten die massiven Zerwürfnisse zu Beginn der 30 er Jahre des 20. Jahrhunderts als der preußische Landtag entschied Teile des sächsischen Westfalens dem fränkischen Rheinland anzugliedern wodurch verkrustete Wunden über Nacht wieder aufbrachen, es zu Gewalttaten kam und vergessen Geglaubtes wieder hervor gespült wurden. Ein Kapitel worauf noch separat eingegangen wird. Einst ausgelöst durch ein urgewaltiges Schlachtenspektakel konnten sich die römerzeitlichen Ereignisse neben der Literatur auf unterschiedlichen Ebenen auch im Volksmund erhalten und verstreuten sich in Mittel- und Nordeuropa. Man kann darin eine Unterstützung dieser Theorie aus unerwarteter Richtung sehen oder eine wundersame Fügung ausgelöst durch heidnischen Unglauben nennen, aber im Mittelalter musste die kirchliche Obrigkeit auf die Geschichten aus der nordischen Sagenwelt reagieren. Nordeuropa war inzwischen nicht nur durch die intensive Missionstätigkeit näher gerückt und was nun bewirkte, dass die Welt der germanischen Götter auf unerwarteten Pfaden und leisen Sohlen wieder nach Ostwestfalen zurück kehrte, wo man doch meinte sie gerade erst erfolgreich eliminiert zu haben. Im Nikulasverweis kommt es zum Ausdruck wie die fabelhaften Geschichten von kaum bezwingbaren schier übermächtigen Gegnern, von Drachentötungen und viel Heldenmut langsam in einen nun lateinisch geprägten christlichen Süden einsickerten. Die Unwissenheit über den historischen Kern und seinen Wahrheitsgehalt vermischte sich mit der naiven Volksseele und die hohen Würdenträger sahen sich genötigt neue Theorien über die alten Geschehnisse zu stülpen. So setzte man dem eine eigene Heilslegende entgegen und entschied sich wie bereits ausgeführt für den heiligen Sankt Michael den Drachentöter. Und auch hier bekommt der abgewandelte Satz von Heinrich Heine seine eigene Bedeutung, wonach nicht alles tot ist, was begraben ist Aber den Humanisten fiel nicht nur die Aufgabe zu die Suche erst richtig zu befeuern, ihnen gelang es auch den Schlachtenhorizont zu lokalisieren.. (06.01.2024)
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