Freitag, 8. Mai 2020
Aus dem Jahrbuch des P.C.Tacitus Kapitel 1.58 (1–4) Die denkwürdige Segestes Reputationrede
Tacitus verdanken wir die Existenz der „Segestes Rede“ die sich dank glücklicher Umstände bis heute erhielt. Reputations- oder Verteidigungsrede trifft es jedoch besser, da er damit vor allem sich selbst frei sprechen wollte und vielen anderen gerecht werden musste. Man kann sie sicherlich als ein Original, also als ein unverfälschtes Dokument ansprechen. Um nun schlussfolgernde Forschungen zu betreiben und geeignete Analyse Methodik darauf aufbauend anzuwenden ist dieser Urtext unverzichtbar und gehört daher an den Anfang der inhaltlichen Auseinandersetzung. Denn mit seiner Rede lässt sich sowohl seine Glaubwürdigkeit in Bezug auf das Jahr 15 + ausloten als auch die Vorgeschichte zur Varusschlacht rekonstruieren. Man muss sie daher im weiteren Verlauf diversen Betrachtungen unterziehen. Segestes hat in seine Rede einen Überschwang an zeithistorisch bedeutsamen Elementen eingebaut, was aus ihr ein literarisches Kernelement der germanistischen Forschung macht. Das Internet Portal zur westfälischen Geschichte bietet uns auf Basis des Tacitus Jahrbuches Nr. 1.58 (1-4) dieses Original in Form einer guten Übersetzung in deutscher Sprache an. Obwohl es sicherlich auch noch andere aus fachlicher Sicht bzw. übersetzungstechnisch einwandfreie Auslegungen aus der Epoche der „Silbernen Latinität“ gibt, bevorzuge ich hier aus nahe liegenden Gründen die Quelle des LWL - Instituts für westfälische Regionalgeschichte in Münster. Die Wiedergabe gliedert sich in vier Blöcke. Zum Beginn steht die unveränderte Darstellung jeweils eines der vier Abschnitte aus dem Jahrbuch 1.58, so wie es der vorgenannten Übersetzung entspricht. Danach folgt eine vereinfachte Zusammenfassung. Eine Analyse in der versucht werden soll, den Inhalt seiner Ansprache in ein verständiges Licht zu rücken, man entnimmt unbedeutende oder überzogene Passagen oder Worte, gliedert nötigenfalls Gesagtes aus, um oder ergänzt es, so verschärft sich der Blick mehr auf das Wesentliche, nämlich seine Worte die er für seine Reputation wählte und hinter denen sich Einseitigkeit und Täuschung vermuten lassen. Man gelangt so zu einem veränderten aber flüssigeren Textaufbau, der die Lesbarkeit etwas verbessern hilft. Als Fazit folgt dann eine erste Interpretation. Erst im darauf folgenden Abschnitt unter dem Titel: „Segestes und die wichtigste Ansprache seines Lebens - Tacitus zitierte sie in der Annahme er hielt sie im Jahre 15 + vor Germanicus“ möchte ich mich noch mal im Detail mit ihr auseinander setzen. Denn auch hier will ich meiner Vorgehensweise treu bleiben und den Blick möglichst auf alle Facetten seiner Äußerungen werfen.

Original Übersetzung zu 1.58. (l)

Dieses ist nicht mein erster Tag der Treue und Standhaftigkeit gegenüber dem römischen Volk. Seit mich der göttliche Augustus mit dem Bürgerrecht beschenkt hat, habe ich Freunde und Feinde nach euren Interessen ausgewählt, nicht aus Hass gegen mein Vaterland - sind doch Verräter selbst denen verhasst, denen sie den Vorzug geben -, sondern weil ich überzeugt war, dass Römer und Germanen dasselbe (Ziel) zusammenführt, nämlich eher Frieden als Krieg.

Zusammenfassung zu 1.58. (l)

Er betont seine Treue und Standhaftigkeit gegenüber dem römischen Volk und brachte damit zum Ausdruck, dass er dies praktizierte seit dem ihm Kaiser Augustus das römische Bürgerrecht verlieh. Die Auswahl seiner Freunde und Feinde hatte er immer den Interessen Roms untergeordnet. Der Feind Roms war also auch immer sein Feind und so galt es auch für seine Freunde. Anders ausgedrückt. Wer ein Feind Roms war, der konnte nie sein Freund sein. Und dies tat er nicht weil er sein Vaterland hasste, sondern weil er immer die Auffassung vertrat, dass man nur im Frieden zusammen finden kann, aber nicht im Krieg. Mithilfe eines eingeschobenen Satzteiles vertrat er die Auffassung, dass Menschen die zu Verrätern werden, sogar bei denen verhasst sind, zu deren Gunsten sie ihren Verrat begehen.

Interpretation bzw. Fazit zu 1.58. (l)

Seinen Hinweis auf die Standhaftigkeit kann man sicherlich überspringen, aber wie verhält es sich mit der besonders von ihm heraus gestellten Treue gegenüber Rom nach dem ihm Kaiser Augustus die Staatsbürgerschaft verlieh, seit wann fühlte er sich an sie gebunden und was verstand er unter Treue. Im Jahre 4 + schloss Tiberius den Vertrag zwischen Cheruskern und Römern und damit verbunden könnte ihm die Ehrung des Kaisers aus den Händen von Tiberius symbolisch überreicht worden sein. Segestes fungierte sicherlich nicht als eine frühe Form des Doppelagenten, war aber ab diesem Tag offenkundig für alle Germanen der Region ein Römerfreund. Aber möglicherweise trug man seinerzeit auch Segimer das römische Bürgerrecht an, nur das dies an keiner Stelle Erwähnung findet. So konnte Segestes im Jahr 17 + bereits auf dreizehn Jahre Freundschaft zurück blicken, in der er sich indirekt dem Imperium gegenüber verpflichtet sah. Eine treue Freundschaft zu Rom zu pflegen konnte zwar für ihn nützlich sein, umfasste aber nicht automatisch auch einen Verrat am eigenen Volk aber irgendwann könnte Rom diese Treue auch mal eingefordert haben. Denn was tat Segestes in der langen Zeit konkret, um sich Rom gegenüber als ein würdiger Freund oder Partner zu erweisen, wenn es ihm nicht einmal gelang die elementare Varusschlacht im Sinne Roms zu beeinflussen. War das Bürgerrecht nur Makulatur oder worin lag der Wert dieses Mannes für Rom, wenn er in diesem alles entscheidenden Moment versagte. Man konnte ihm vorwerfen, er hätte, ja müsste viel früher von der kritischen Stimmung unter den Cheruskern Kenntnis gehabt haben und hätte auf geeignete Weise tätig werden können ja sogar müssen. Doch an wen dachte Segestes, oder wen meinte er, als er von einem Verräter sprach. Das klare Wort Verrat vermied er, bzw. umschrieb es geschickt, da es eine ungute Wirkung erzielen würde. Es ist sicherlich offensichtlich, denn seinen Gegenspieler Arminius konnte er nicht gemeint haben, er war bei seinem Stamm nicht verhasst und ihm hatte sein Volk bekanntermaßen auch den Vorzug gegeben, sie in den Krieg zu führen. Und er verriet auch nicht sein Vaterland, denn die Cherusker standen geschlossen hinter ihm. Also konnte Segestes nur sich selbst des Verrats am eigenen Volk bezichtigt haben. Seine Darstellung läuft auf die Weisheit hinaus, dass die Macht zwar den Verrat liebt, aber nie den Verräter selbst. Segestes machte damit deutlich, dass er jener war, der für seine Treue zu Rom zum Verräter wurde, sich damit aber auch gleichzeitig selbst verhasst machte, obwohl man seinen Verrat wertschätzte. Er muss sich also in dem Augenblick des Verhörs bewusst gewesen sein, dass man in ihm in Rom mehr den Verräter am eigenen Volk sah, als das er als Freund Roms wahr genommen wurde. Aber sein Verrat den er vor gab 9 + begangen zu haben, lag nun acht Jahre zurück und besaß 17 + nach dem was sich seit dem ereignet hatte, keine Relevanz mehr. Viel mehr war es ihm jetzt nur noch wichtig gegenüber dem Tribunal deutlich zu machen, dass er als Römerfreund betrachtet werden und sich als solcher ausweisen wollte und was nun mehr wiegen sollte, als sein lange zurück liegender Verrat am eigenen Volk. Der vorgegebene Verrat war demnach seine elementare Rechtfertigung und der wesentliche Inhalt seiner Strategie. So tischte er in Rom aus Gründen des Selbstschutzes diese Ausrede auf und verkaufte sie als glaubhafte Version. Da er sich aber als Verräter unbeliebt gemacht hatte, führte dies dazu, dass er sich, was schon an Kuriosität grenzt, nun sogar für diesen nie begangenen Verrat zu rechtfertigen und zu verteidigen hatte. Seine Begründung für den Verrat lag darin, dass er es für die römisch germanische Freundschaft tun musste die er für höher wertig hielt. Warme Worte die ins Ziel trafen. Aber damit nicht genug, denn es folgt im weiteren Verlauf noch eine weitere und völlig andere Interpretation zum möglichen Ablauf der Unterredung, die ein gänzlich anderes Licht auf diesen Tag im Parloir des Palatin wirft.

Original Übersetzung zu 1.58.(2) 

Also habe ich den Räuber meiner Tochter, Arminius, der das Bündnis mit euch brach, bei Varus, der seinerzeit das Heer führte, angeklagt. Als ich dank der Trägheit des Feldherrn vertröstet wurde, drängte ich ihn, weil Gesetze zu wenig Schutz boten, dass er mich, Arminius und die Mitwisser verhafte: Jene Nacht ist Zeuge, wäre sie doch meine letzte gewesen.

Zusammenfassung zu 1.58. (2)

Arminius, der das Bündnis mit Rom brach, habe ich bei Varus angeklagt. Aber wegen seiner Trägheit wurde ich von ihm vertröstet. So musste ich auf ihn eindringen, damit er tätig würde. Denn das römische Gesetz allein bot in diesen Zeiten zu wenig Schutz um der Gefahr zu begegnen. Ich forderte ihn auf, dass er mich, Arminius und die anderen Mitwisser verhaften müsse um Schlimmeres zu verhindern. Die Nacht ist dafür mein Zeuge, wäre es doch meine letzte Nacht gewesen.

Interpretation bzw. Fazit zu 1.58. (2)

Nein, dieser heroische Urtext entstammt nicht den Wagner Festspielen in Bayreuth, obwohl er sich verdächtig danach anhört, sondern der Feder von Tacitus, der ihn abschrieb. Aber sicherlich kann sich niemand der Faszination dieser angeblich von Segestes mit viel Tiefsinnigkeit, Theatralik und Pathos vorgetragenen Rede entziehen. Wenn es denn so war, so kann man sich förmlich in die Lage der Teilnehmer des Tribunals hinein versetzen, die sich beim Anhören dieser hoch gesteckten Worte aus dem Munde eines „Barbaren“ gegenseitig fragend in die Augen sahen und sich diese vor Ungläubigkeit rieben. Denn sie müssen auch damals schon gekünstelt und wie auswendig gelernt geklungen haben. Da sie dem aber nichts entgegen halten konnten, nahmen sie es zur Kenntnis und brachten es so wie von Segestes ausgesprochen zu Papier und übergaben seine Aussage dem Kaiser oder seinen Vasallen zur Gegenlese und ggf. auch zur Revision. Aber dieser Abschnitt 1.58 (2) beinhaltet im Kern eine Prise Sprengstoff zumindest aber im Wesentlichen das, was wir wissen müssen, um die diplomatische Vorgeschichte zur Varusschlacht etwas zu verstehen. Tacitus lässt kaum was aus und bietet uns damit einen scheinbar reibungslosen Erklärungsverlauf über das was Segestes tat und was ihn damals bewog sich so zu verhalten bzw. es begründete. Aber die Darstellung ist einseitig, denn es ist eben nur die Segestes Seite der Medaille. Die Arminius Variante können wir nur den Puzzleteilen aus Fakten und Resultaten entnehmen. Arminius war also der Brecher des römischen Vertrages aus dem Jahre 4 +. Segestes soll demnach Varus den bevor stehenden Vertragsbruch, also das bis dato erst noch im Keim steckende, aufrührerische Ansinnen des Arminius mitgeteilt, auf gut deutsch verraten haben. Das Varus ihn nicht ernst nahm führte Segestes auf seine Trägheit zurück, womit er vorsichtig dessen geistige Unbeweglichkeit andeutete. Ebenfalls ein Charakterzug von dem jeder Römer der Varus kannte wusste, der also kein Geheimnis war. Segestes wiederholte also bewusst allgemein Bekanntes und konnte sich daher der Akzeptanz seiner Worte sicher sein. Varus reagierte nicht auf seine Warnungen und hielt ihn hin, was auch noch gut zu seinem Genre passte und womit Segestes die Untätigkeit von Varus zum Ausdruck brachte, was dann bei der Jury ebenfalls auf allgemeines Verständnis stieß. Denn auch diese Worte klangen nachvollziehbar. In Rom musste man annehmen, dass nun wertvolle Zeit verloren ging, was den kritischen Schlachtausgang begünstigte. Im weiteren Verlauf gab Segestes vor, nun eindringlicher geworden zu sein bzw. werden zu müssen, damit Varus nun endlich etwas unternehmen sollte. Man lies es zu, dass aus dem einst angesehenen Legaten Varus ein Mann gemacht wurde, den nun sogar schon ein Barbar unter Druck setzen konnte. Für die Senatsbeamten in Rom aus dem Munde von Segestes eigentlich eine nicht akzeptable Demütigung, die man aber durch gehen ließ, da Varus nach allgemeiner Auffassung schon länger als Versager gehandelt wurde. Immer unter der Prämisse betrachtet, dass es so war. Eben ein ausgezeichneter Schachzug von Segestes, womit sich die gefährliche Zuspitzung glaubhaft machen ließ. Segestes hatte den Überblick, denn er erkannte, dass allein die römischen Gesetze in Germanien nicht ausreichten um damit seine Landsleute vom Kampf abzuhalten. Es ging also nicht ohne Anwendung römischer Gewalt. Segestes schlug ihm vor, Varus solle nun die gesamte cheruskische Führungsriege einschließlich seiner Person in Gewahrsam nehmen um den Aufstand im Keim zu ersticken. Das er sich dabei selbst mit einbeziehen wollte spricht für seine durchdachte Argumentation. Denn in Rom sollte man davon ausgehen, dass er den Verrat hinter dem Rücken von Arminius betrieb und dazu war unbedingt seine Mitverhaftung vonnöten. Der letzte Satz aus seinem Mund gebietet dezentes Innehalten. Denn in ihm spricht er es nun ganz deutlich aus. Denn es gab für seine Warnung an Varus „außer der Nacht“ keinerlei Zeugen. Dies war sozusagen der Casus knacksus seiner gesamten Argumentationskette, denn es war keine Menschenseele dabei, als er Varus gewarnt haben wollte. Folglich ein Vieraugengespräch zweier Männer von denen der eine nun seit acht Jahren tot war. Also beste Bedingungen und Voraussetzungen für die Schaffung einer unsterblichen Lebenslüge. Und er beantwortet die Frage nach möglichen Zeugen schon von sich aus, bevor sie ihm gestellt wird. Nach Tacitus soll es sich um die Nacht vor dem Aufbruch bzw. dem Ausbruch der Schlacht gehandelt haben. Aber nun betreten wir das angekündigte neue Feld der Argumentation, die gar nicht so abwegig erscheint. Denn es ist erneut unser besonderes Einfühlungsvermögen in die damals prekäre Lage und nicht nur für Segestes, sondern auch für die ihn Befragenden nötig. Denn wir müssen uns auch hier wieder versuchen uns die Lage im Jahre 17 + in Erinnerung zu rufen. Möglicherweise ein karger Raum der römischen Administration ausgestattet mit dem Nötigsten an Mobiliar, aber mit um so aufmerksameren Zuhörern und Fragestellern. Und nun folgt die angekündigte Rolle rückwärts. Denn hatte es Segestes damals alles auch wirklich wortwörtlich so gesagt, wie wir es heute kennen und für richtig halten. Hatten möglicherweise die, die ihn Verhörten bei der Formulierung seiner Worte an den richtigen Stellen vielleicht auch etwas nachgeholfen. Um ihn, dem Unbeholfenen die richtigen Worte finden zu lassen, ihm sozusagen „beim Denken etwas nach zu helfen“, sein Gesagtes zu lenken, vielleicht auch ihn zu beeinflussen, einiges glaubwürdiger erscheinen zu lassen oder ihm andere Worte in den Mund zu legen. Sie, die rhetorisch gewandten, geschulten und geübten Profis und Experten auf der einen Seite und Segestes der kleine Germanenfürst, des Lateinischen wenig mächtig und bewandert. Wo hätte er es auch erlernen sollen. Segestes, der die Worte vielleicht nur im einsilbigen Stotterton heraus brachte und immer um die geeigneten Worte ringen musste. Worte deren Sinn sich ihm gar nicht erschloss. Und so könnte es auch gewesen sein, denn dann war er es gar nicht selbst gewesen, der sich unter anderem seine Warnungen an Varus ausdachte, sondern man schob ihm diese entscheidende Erklärung passenderweise in die Schuhe, wie vermutlich andere Aussagen auch. Dies eröffnet eine völlig neue Dimension der Interpretation, denn dann müsste man sich im gleichen Atemzug auch die Frage stellen, wer denn an dieser manipulierten Auslegung im Palatin Interesse gehabt haben könnte. Das würde zweifellos die Tür für viele Spekulationen öffnen. Es könnte sogar so weit gehen, dass es einigen hohen Herren nur recht und billig gewesen sein könnte, wenn sich die Segestes Aussagen in Einklang mit anderen davon abweichenden Wünschen des Herrscherhauses bringen ließen. So könnte einer Reihe von Personen die Verunglimpfung von Varus sehr gelegen gekommen sein, um vom damaligen eigenen Versagen oder von alten Fehlentscheidungen in Germanien abzulenken. Das plötzliche Auftauchen eines Segestes acht Jahre nach der Varusschlacht barg nämlich auch unerwartete Risiken in sich. Nämlich die Gefahr, dass nun doch noch über diverse Wahrheiten gesprochen wurde die zur Varusschlacht bislang nicht ans Licht kamen und schon verdrängt schienen. Details wie sie nur Segestes der letzte überlebende Zeuge kannte. Der Mann den Germanicus eigentlich nur zu seiner eigenen Reputation nach Rom überführt hatte. Denn nun sah sich Tiberius zum Handeln aufgefordert. Das Wissen des an sich unbedeutenden Segestes war brisant und bedurfte der geeigneten Manipulation an der richtigen Stelle. Er war zwar im großen Schachspiel nur eine Nebenfigur, aber man war um Schadensbegrenzung bemüht, damit seine Kenntnisse nicht in die Hände der Opposition geraten konnten. Die Varusschlacht war 17 + noch nicht verjährt und das Vergangene musste noch verschleiert werden, zumal ein wichtiger Protagonist aus der alten Zeit noch lebte und nun im Zentrum stand, nämlich Kaiser Tiberius persönlich. Größeren Schaden galt es also von ihm abzuwenden. Dem Team um Segestes ging es jetzt darum den Kaiser schadlos zu halten, bevor daraus eine Affäre Segestes werden konnte. So musste jede Spur verwischt und jeglicher Gedanke an eine mögliche Mitschuld des Kaisers am Ausgang der Varusschlacht vermieden werden. Und diese Sorge war berechtigt. Denn wir erinnern uns. Tiberius, war damals noch Feldherr im Dienste von Kaiser Augustus, leitete unmittelbar vor der Varusschlacht die unvollendete Operation „Markomannen Feldzug“ ein und im unmittelbaren Anschluss darauf folgte die „Niederschlagung des Pannonischen Aufstandes“. Aber Tiberius war es auch, der Varus militärisch amputierte und folglich wehrlos machte bzw. machen musste in dem er ihm einen Großteil seiner Legionäre entzog. Sie zuerst gegen Marbod mobilisierte und dann sogar noch aufstocken musste, da der Krieg in Pannonien und gegen die Dalmater noch größere Anstrengungen erforderte. Stellen wir uns vor Segestes, der die Lage in Germanien in dieser Zeit bestens kannte hätte über diese Vorgänge berichtet. Denn er wusste wie die militärischen Karten in Germanien damals gemischt waren. Römische Trupps durchstreiften die Lande um germanische Söldner anzuwerben und Hilftstruppen aufzustellen. Jene Verbände bei denen man mutmaßt, dass auch Arminius darunter war. Auch Segestes werden sie gefragt haben, wie viel Männer er bereit war für den Krieg abzugeben. Dieses Wissen hätte für Kaiser Tiberius zum Debakel werden können, denn es holte ihn nach der langen Zeit nochmal seine Vergangenheit ein und warf einen Schatten auf seinen damals zu ehrgeizigen Plan Marbod auszuschalten, den er 6 + anzugreifen gedachte. Denn an den Pannonienaufstand dachte in dieser Zeit noch niemand. Hätte also Segestes sozusagen ausgepackt und zu Protokoll gegeben, wie zahlenmäßig gering doch damals die drei Legionen des Varus waren, als sie vermutlich 7 + über die Lippe nach Osten vor stießen um die Weserlager zu errichten, da ihnen viele Männer entzogen werden mussten, dann hätte Tiberius die Provinzialisierungsabsichten in Ostwestfalen vielleicht besser aufschieben sollen. Und zwar solange bis die Truppen vom Markomannenfeldzug wieder in die Kastelle an Rhein und Weser eingezogen wären. Zweifellos steckte Tiberius in einer Zwickmühle, denn er konnte nicht mit dem Aufstand an der Donau im Rücken rechnen, als Saturninus durch den bayrischen Wald und er durch das Marchtal von Carnuntum aus gegen Marbod zog. Segestes hätte es auf die Spitze treiben können in dem er gesagt hätte, dass die Varusschlacht für die Germanen zum Kinderspiel wurde, da es kaum wehrfähige Legionäre gab die sie zu besiegen hatten. Die Fehleinschätzung der Lage in Germanien wäre Tiberius anzulasten gewesen, der doch die Germanen seit dem Bündnisvertrag eigentlich gut gekannt haben müsste. Und dann bekäme plötzlich auch die Bemerkung von Marbod den richtigen Sinn, als dieser von „QUONIAM TRES VACUAS LEGIONES ET DUCEM FRAUDIS“ sprach. Denn „vacuas“ heißt nichts anderes als leer. Und im eigentlichen Sinne ist da wohl das mit gemeint gewesen, was wir heute noch unter "vacuum" verstehen.Folglich ein inhaltsloser Raum. In diesem Fall unbesetzt, lückig, ausgedünnt, nicht vorhanden, schlicht wehrlos oder kampfunfähig. Und das mühsame Rätselraten, ob „vacuas“ möglicherweise bedeuten könnte, sie hätten alle „dienstfrei“ gehabt oder lägen wegen des Kaisers Geburtstag noch im Alkoholrausch wäre beendet. Und keiner konnte es besser wissen als Marbod. Denn die Legionäre die Varus gegen Arminius fehlten waren auf dem Weg zu ihm und sollten ihn bekämpfen. Marbod hielt also keine Schmährede gegen Arminius, sondern sagte die reine Wahrheit und sprach nur das aus, was in Germanien sowieso jeder wusste. Und Marbod war damals, als er es sagte frei in seiner Rede, ohne jegliche Zwänge und er saß nicht zitternd vor einem römischen Tribunal. Er war also unbeeinflusst und somit entschieden glaubhafter als Segestes der in Rom um sein Leben bangen musste und daher Varus zum Alleinschuldigen zu erklären hatte. Wir sehen also, wie sich die Logik um den Verlauf der Varusschlacht dank zahlreicher Analysen und Indizien immer enger ziehen lässt, wenn man sich nur auf neue Gedankenspiele einlässt. Denn der arme Varus hatte das schwere Los zu tragen gehabt, mit drei zerpflückten Rumpflegionen an der Weser die Stellung in einem unsicheren Land zu halten. Eine Position die er nur mit Hilfe der cheruskischen Reiter halten konnte und das nur so lange wie ihm diese die Treue hielten. Und da Arminius sie alle befehligte durfte er sie sich in seiner schwachen militärischen Position nicht zum Feind machen und sich keinesfalls auf die Seite des schwächeren Widersachers Segestes stellen. Auch dann nicht, wenn der ihn nicht gewarnt hätte. Wäre dies alles damals Segestes über die Lippen gegangen hätte es fatal und zu einem Sturm der Entrüstung kommen können. Alte Fragen werden noch mal hervor gezerrt worden und Tiberius hätte es schwer gehabt die Versäumnisse seinem verstorbenen Vorgänger Augustus anzukreiden. Und ein Germane der es wagt dem Kaiser die Schuld für die Niederlage im Saltus zu geben, in dem er ihm seine alten Entscheidungen zum Vorwurf machte, den konnte und durfte es nicht geben. Wäre dies alles schwarz auf weiß notiert worden, so wäre es gegen Segestes zum Prozess wegen Hochverrat gekommen. So haben wir es nur mit einer Zeugenbeeinflussung durch die Gegenseite zu tun. Und es war die Aufgabe der Hofbeamten sicherzustellen, dass Segestes in diesen wesentlichen Punkten schwieg, während er in anderer Hinsicht seiner Zunge freien Lauf lassen durfte. Aber er hätte wohl auch von sich aus so gehandelt, denn er war nicht lebensmüde. So ließ es sich aus der Sicht des römischen Herrscherhauses passenderweise darstellen, dass nicht das Fehlen der militärischen Schlagkraft die Niederlage herbei führte, sondern es einzig das Versagen des Varus war, auf Segestes nicht gehört zu haben und alle waren zufrieden. Wer nun die Idee hatte Segestes zu unterstellen er habe Varus gewarnt, ob man es ihm dies nahe legte, oder ob er sie selbst entwickelte bleibt im Reich der Spekulation. Aber auch diese Darstellungen erzeugt den Eindruck, dass alles anders verlaufen sein könnte, als wir es uns heute vorstellen möchten. Und manchmal kann ein Blick in die Seele des Menschen mehr offenbaren als 2000 Jahre alte Schriftstücke. Wäre es aber genauso gewesen, müssten wir allerdings auch ein bedauerliches Fazit ziehen, denn aus unserer heutigen Sicht betrachtet, würden dadurch unsere Chancen um ein Vielfaches sinken, überhaupt jemals im Nethegau oder am Borlinghausen/Kleinenberger Steilanstieg auf die wenigen Utensilien dieser Mehrtagesschlacht zu stoßen. Denn sie wurde mit weitaus weniger Männern ausgetragen als bisher angenommen. Man hörte also vielleicht auch Segestes nur zu und ließ ihn möglicherweise ohne Unterbrechung zu Wort kommen, fertigte dann aber ein Papier aus, dass in Gänze darauf abgestimmt war, was man im Palatin gerne hören wollte. Denn wer hatte damals schon Interesse an der Wahrheit. Tacitus verfügte also definitiv über den Originaltext dessen was Segestes an jenem Tag in Rom verlauten ließ und gab ihn unbedarft und unbenommen ob seiner Richtigkeit wider. Aber mit dem Wissen um den Inhalt des Gespräches mit Segestes besaß Tacitus den wichtigen Einblick in die Begebenheiten vor dem Ausbruch der Varusschlacht von dem uns keiner aus ihm berichtete. Tacitus war zwar Geschichtsschreiber, er trat aber auch als Autor seiner Jahrbücher auf. Dem Unterhaltungswert kam zu allen Zeiten eine Bedeutung zu und so wollte der Leser in den Ereignissen auch einen Zusammenhang erkennen können. Tacitus kam dem nach, in dem er die Angaben von Segestes als Grundlage für seine eigenen Interpretationen der Abläufe nutzte. Dem Kapitel 1.55 (1-3) lässt sich seine Methodik entnehmen. Tacitus las, dass Segestes Varus mehrfach gewarnt haben wollte womit er richtig gelegen haben könnte, denn es hörte sich auch so an. Dann aber kommt er zu einer Reihe nicht nachvollziehbarer Schlussfolgerungen. So gelangt er zu folgenden Behauptungen. Nämlich zu Feststellungen die er alle dem Segestestext, zumindest nicht aus dessen Ansprache 1.58.(1-4) entnommen haben kann, denn daraus gingen diese Details nicht hervor. So zu der Ansicht, dass Segestes die letzte Warnung in jener Nacht aussprach bei der es sich um die letzte Nacht vor dem Auszug gehandelt hat. Die besagte nächtliche Warnung, für die es jedoch keine Zeugen gab, in der aber nur einzig Tacitus die letzte Nacht sah. Es kann also auch eine beliebige Nacht gewesen sein die bereits einige Tage vor dem Abzug lag. Dann fügt er hinzu, es wäre in dieser Nacht auch noch zu einem gemeinsamen Gastmahl gekommen, wovon Segestes aber auch nicht sprach und weitere Zeugen wiederum nicht existieren. Des Weiteren erwähnt Tacitus, dass man danach unter die Waffen trat. Auch diese Bemerkung kann man bei Segestes nicht nach lesen, denn der verlor kein Wort über einen Gang unter die Waffen und es gibt dafür ebenfalls keine Zeugen. Seine Ausführungen gipfeln dann in der Beschreibung, dass Segestes Varus geraten habe, er möge doch alle gefangen nehmen, dann würde das Volk keinen Aufstand mehr wagen. So nachzulesen in Kapitel 1.55 (2). Dieser Hinweis lässt besonders aufhorchen, denn Segestes sprach in der Tat über das Anlegen von Ketten. Aber während Tacitus dies an den Vorabend der Schlacht verlegte sagte Segestes, dass er erst nach der Varusschlacht Arminius und der wiederum ihm Ketten anlegte. So nachzulesen in Kapitel 1.58(3). Aber wann soll Segestes gesagt haben, dass er Varus riet Arminius und ihm die Ketten anzulegen, jedenfalls nicht, als man ihn 17 + in Rom befragte denn auch dies geht nicht aus dem Jahrbuch 1.58 (1-4) hervor. Sollten wir an dieser Stelle etwa den Beweis erbringen können, dass die Aussage von Segestes, man habe sich die Ketten nach der Varusschlacht gegenseitig angelegt bei Tacitus auf eine so starke Ungläubigkeit gestoßen ist, dass er sich gezwungen sah, diese Aussage auf der Vorabend zu verlegen, wo sie mehr Sinn ergibt. Diese Unlogik könnte für Tacitus deutlich zutage getreten sein, denn warum sollte man sich nach einer gewonnenen Schlacht noch gegenseitig Ketten angelegt haben. Eine Schlacht in die sich sogar auf Seiten von Arminius Segestes selbst hat mit hinein ziehen lassen. Vermutlich basierte in der Summe betrachtet vieles auf Mutmaßungen des Tacitus um seinem Jahrbuch die nötige Geschmeidigkeit und Plausibilität zu verleihen. Denn wir erinnern uns, dass Segestes außer der „Nacht“ bekanntlich keine Zeugen hatte. Man kann lediglich spekulieren, dass es zum Segestes Verhörtext noch ein unbekanntes Zusatzprotokoll gab, dass aber Tacitus nicht erwähnte. Hätte es derartiges gegeben, Tacitus hätte es uns wohl nicht verschwiegen. Tacitus wiederholte also den Wortlaut der Segestesrede, griff dann aber zu eigenen Formulierungen, vertiefte diese noch und verlieh ihnen zusätzlichen neuen Inhalt, so wie es sich ihm erschloss und wie es ihm logisch erschien. Aber als kritischer Geschichtsschreiber sollte man die Textstellen kennzeichnen, an denen Veränderungen durchführt wurden. Es fällt besonders auf, wenn man das Kapitel 1.58 (1-4) dem Kapitel 1.55. (1-3) Passage um Passage gegenüber stellt. Denn er steuerte kein neues grundlegendes Wissen bei, sondern stützte sich jeweils auf die Aussagen des Kapitels 1.58.(1-4) in dem er die Ansprache von Segestes zitierte. So deutet vieles daraufhin hin, dass auch Tacitus nur die Segestes Rede aus dem Jahr 17 + vorlag und er keine anderen Quellen nutzte, als diese eine Senatsquelle mit der Segestesrede. Was wir ähnlich wie bei Cassius Dio auch bei Tacitus wieder feststellen können ist das Verschieben oder Vorziehen von Begebenheiten in andere Kapitel. Denn Tacitus offenbarte uns den Segestes Textwortlaut unter 1.58.(1-4) kommentierte diesen dann aber schon im früheren Abschnitt 1.55.(1-3). Aber wir können es ihm nachsehen, denn es war ihm aus aufbautaktischen Gründen nicht anders möglich, da die Varusschlacht auf die er sich unter 1.55.(1-3) bezog, nun mal 9 + statt fand und nicht als Segestes 17 + über das Geschehen des Jahres 15 + sprach. Somit verwertete er den Inhalt der Segestes Rede aus dem Jahr 17 + um damit seine eigenen argumentativen Lücken im Zusammenhang mit der Varusschlacht zu schließen. Er musste also zwangsläufig seine Kommentierung vorziehen, obwohl das Wissen über die Ereignisse des Jahres 9 + erst acht Jahre später über die Zunge von Segestes ans Licht kam. Aber was man nun vor diesem Hintergrund ebenfalls anders bewerten muss ist die Aussage zu der Tacitus in seinem Kapitel 1.59 (1-5) kommt. Denn was er darin zum Ausdruck bringt erscheint uns nicht anderes zu sein, als das was er vorher auch praktizierte. Er verfällt in seine eigenen Vorstellungswelten über das, was sich in Germanien nach der Befreiung des Segestes im Frühjahr des Jahres 15 + ereignet haben könnte. Er philosophiert sich die vermeintlichen Abläufe und Begebenheiten so zurecht wie er sie für realistisch hielt, kann aber in keinem Punkt eine reale Quelle heran ziehen. Denn wer wollte die Kunde, dass der gedemütigte Arminius aus den innergermanischen Gaulandschaften zwischen Ostwestfalen und dem Harzvorland gegen Rom zum Widerstand aufrief nach Rom getragen haben. Während der Zeitspanne die zwischen der Befreiung des Segestes im Frühjahr 15 + und dem Anrücken der Germanicus Armee im Sommer 15 + lag gab es keine diplomatischen Kontakte über die Grenzen hinweg die historisch aufgearbeitet worden wären. Eine Zeit in der sich kein Römer in Ostwestfalen aufhielt um es weiter zu geben. Für Tacitus aber war der von ihm erdachte Amoklauf des Arminius die Erklärung dafür, dass Germanicus sich gezwungen sah im Sommer 15 + einen weiteren Krieg gegen die Germanen zu führen. Und Arminius bot ihm dazu die nötige Argumentation die er aus seiner Vorstellungskraft heraus zu Papier brachte, weil er es sich genau so vorstellen konnte. Wie sollte er es sich nach hundert vergangenen Jahren auch anders vorstellen, warum Germanicus im Frühjahr 15 + seinen Krieg abbrach um ihn dann im Sommer 15 + wieder aufzunehmen. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass uns von Tacitus keine Details zum Verlauf der Varusschlacht vorliegen. Es schien ihm dazu nichts vorgelegen zu haben oder es war für ihn nicht mehr greifbar. Was die Varusschlacht anbelangt, so konnte Tacitus also lediglich über den Besuch von Germanicus auf dem Varus Schlachtfeld im Sommer 15 + berichte, folglich das, was aus dem Umfeld des Germanicus überliefert wurde und zitierte Segestes nur hinsichtlich der Vorgänge was die Ereignisse vor Varusschlacht 9 + anbelangten. Stoßen wir in seinen Jahrbüchern also auf historisches Wissen, dass nicht von Segestes stammte, so lässt es sich den Quellen entnehmen die Tacitus über die Feldzüge des Germanicus vorlagen. Zum Beispiel die Existenz eines Inguimerus, da dessen Anwesenheit beim Rückzugsgfecht 15 + an den langen Brücken bekannt war. Wenn wir mal von seinem wertvollen Hinweis auf die Örtlichkeit des „Teutoburgiensi saltu“ absehen wollen, suchen wir also weiter reichendes Wissen über die Varusschlacht bei Tacitus vergeblich. So hat auch Tacitus das traurige Los der modernen Geschichtsforschung gezogen in dem auch er diverse Lücken mit seiner eigenen Gedankenwelt schließen musste. Wie bedeutsam musste also für Tacitus die Segestes Ansprache gewesen sein, wenn sie sich inhaltlich durch viele seiner Jahrbücher bzw. Kapitel zog und er darauf basierend eigene Versionen schuf. Segestes las 17 + nicht mehr nach, was die Beamten des Kaisers nach seiner Unterredung mit ihm verfassten. Er vertraute auf den ihm zugestandenen Altersruhesitz, denn er hatte sich so verhalten wie man es von ihm erwartete, untertänig und widerspruchslos.

Original Übersetzung zu 1.58.(3) 

Was folgte, muss man eher beklagen als rechtfertigen; jedenfalls habe ich sowohl Arminius in Ketten legen lassen als auch (meinerseits) von seiner Partei erdulden (müssen), dass man mir (Ketten) anlegte. Sobald aber deine Truppe (da ist), ziehe ich das Alte dem Neuen, die Ruhe den Unruhen vor, und zwar nicht um einer Belohnung willen, sondern um mich von (dem Verdacht eines) Treubruchs zu lösen; zugleich (will ich) dem Volk der Germanen ein geeigneter Vermittler (sein), falls es die Reue dem Untergang vorzieht.

Zusammenfassung zu 1.58.(3)

Beide Konfliktparteien legten sich also nach der Varusschlacht gegenseitig in Ketten um sich handlungsunfähig zu machen. Damit beendet Segestes seine Ausführungen mit denen er unterstreichen wollte alles getan zu haben um die Varusschlacht nicht zum Ausbruch kommen zu lassen. Nun aber waren bis zu seiner Befreiung 15 + sechs Jahre vergangen und Segestes wünschte sich zurück versetzt in dieses Jahr 15 + in seiner Rede die er 17 + vor dem Senatsausschuss hielt wieder das Anknüpfen an die alten Zeiten, als noch Varus residierte und große Unruhe herrschte. Segestes brachte aber zum Ausdruck, dass er Germanicus nicht herbei gerufen habe um sich von ihm für für seine Treue zu Rom belohnen zu lassen. Vielmehr ging es ihm darum den Verdacht zu entkräften, er könne gegen Rom einen Treuebruch begangen haben. Sollte aber nun der Teil der Cherusker, der sich gegen Rom gestellt hatte einsehen, dass man falsch gehandelt habe, so würde er Segestes dann gerne eine Vermittlerrolle zwischen jenen bzw. allen Cheruskern und Rom übernehmen.

Interpretation bzw. Fazit zu  1.58. (3)

Die Darstellung von Segestes gibt ein diffuses und verwirrendes Bild wider, denn wie sollte man es sich vorstellen, dass sich die Fürsten der rivalisierenden Stämme gegenseitig nach einer gewonnenen Schlacht noch in Ketten gelegt haben sollen. Es müssten demnach beide Stämme noch nach der Schlacht aufeinander los gegangen sein, wodurch es zu Auseinandersetzungen kam die mit gegenseitiger Gefangennahme endeten. Eine Erklärung die keinen Sinn ergibt und die die gesamte Darstellung als auch die Glaubwürdigkeit von Segestes ins Wanken bringt, zumal Segestes sich auf Seiten der Arminius Cherusker in die Schlacht mit hinein ziehen ließ. Denn einen siegreichen Arminius dürfte sicherlich nach der Schlacht niemand mehr gewagt haben in Ketten zu legen. Was soll also Segestes mit dieser Bemerkung beabsichtigt haben, wenn er nicht falsch zitiert wurde bzw. das Verhörpersonal es verdreht wider gab. Eine Fragestellung mit der sich bislang offensichtlich kein Geschichtsforscher beschäftigt hat, zumindest konnte ich keine Erklärungen dafür finden. Möglicherweise hatte sogar Tacitus die richtige Nase um zu erkennen, dass diese Darstellung nicht an das Ende der Varusschlacht, sondern an den Anfang gehörte, so wie er es auch dargestellt hat. Denn dem Tribunal glaubhaft zu machen, er habe sich noch nach der Varusniederlage mit Arminius angelegt dürfte ihm nicht gelungen sein. Letztlich musste Segestes jedes Mittel recht sich über jeden Verdacht erheben zu können sich untreu gegenüber dem römischen Volk gezeigt zu haben. Er begründete sogar das Herbeirufen von Germanicus damit, dass dies ein Mitgrund dafür war zu beweisen, dass er immer in Treue zu Rom gestanden habe. In seinem letzten Satz wird Segestes überdeutlich und bestätigt die Theorie zukünftig eine größere Rolle in einem römischen Germanien nicht nur einnehmen zu können, sondern auch zu wollen. Sich also Rom als neuer Führer der Germanen anzubieten, wenn denn die Kriege von Rom erfolgreich zu Ende geführt waren. Das Ziel, dass in ihm schlummerte und ihn bewogen haben könnte die Fronten zu wechseln. Nun wusste man im Rom des Jahres 17 +, dass daraus nichts wurde, dies also ein frommer Wunsch blieb. Segestes musste jetzt vorsichtig sein, denn er unterstellte dem Imperium indirekt das Versagen in den Germanenkriegen. So konnte er auch nie unter Beweis stellen, dass aus ihm ein guter romtreuer Cheruskerfürst werden konnte.

Original Übersetzung zu 1.58.(4) 

Für die jugendliche Verirrung meines Sohnes erbitte ich Gnade; meine Tochter wurde (dagegen), wie ich bekenne, unter Zwang hergeführt. Es liegt an dir zu erwägen, ob es mehr wiegt, dass sie von Arminius schwanger oder von mir gezeugt wurde."

Zusammenfassung zu 1.58.(4)

Segestes entschuldigt sich dafür,dass sich sein Sohn Segimundus vor der Varusschlacht Arminius angeschlossen hatte und gibt zu seine Tochter mit Gewalt aus den Händen von Arminius befreit zu haben. Er versuchte sie mit diesen Worten schadlos zu halten. Aber hier verborgen steckt ein kleiner Makel in meiner Hypothese. Denn in der Überlieferung spricht Segestes eine einzelne Person an, in dem es heißt. "Es liegt an DIR zu erwägen.....". Da meine Theorie aber darauf basiert, dass Segestes sie im Verhörraum in Rom zu Protokoll gab und nicht im Jahre 15 + vor Germanicus, so könnte man daraus schließen, dass er es doch in seiner Burg gesagt hat.Ich rechtfertige meine Theorie an dieser Stelle unter Zuhilfenahme der Gesamtanalyse und lasse es im Raum stehen.

Interpretation bzw. Fazit zu 1.58. (4)

Nachdem was man nun von Segestes weiß, wie er taktierte und sich rein zu waschen versuchte müssen alle seine Aussagen vor einem anderen Hintergrund gesehen werden. Hinzu kommt die mögliche Einflussnahme der Beamten die ihn befragten und alles mit schrieben. Ob er es nun gesagt hatte oder sie es ihm in den Mund legten. Man muss also vieles befürchten und so manches annehmen dürfen. Denn wenn er Segimundus entschuldigte, so tat er das im gleichen Atemzug auch für sich, denn auch seine Rolle war nebulös. Und wenn er die Entführung seiner Tochter ansprach bedeutete dies nicht unbedingt, dass er dies gegen ihren Willen tat. Sondern könnte auch darauf hinweisen, dass Arminius sie unter Zwang fest hielt. Segestes sie also aus seinen Zwängen befreien musste. Möglicherweise musste er sie auch vorher gar nicht befreien, da sie sowieso bei ihm lebte, wo sie ihr Kind zur Welt bringen sollte. Denn die hierarchischen Verhältnisse waren damals anders und die Rechte von Thusneldas Vater in den Zeiten des Patriarchats waren ungleich höher als die des Vaters ihres Kindes, insbesondere wenn man die Traditionen der Raubehe oder des Brautraubes mit einbezieht oder sie bedenkt. Segestes musste vieles zurecht biegen, bis es in sein Konzept passte. Aber es war für Segestes letztlich der Durchbruch. Er hatte es nun geschafft und konnte sich vom eigentlichen Geschehen und den alten Gewalttaten entfernen und den treusorgenden Familienvater abgeben. Insgesamt eine gelungene Inszenierung die es in der Tat jedem Leser ungemein schwer macht am Wahrheitsgehalt zu zweifeln. (08.05.2020)

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Sonntag, 26. April 2020
Stehvermögen und Wortgewalt von Segestes waren beeindruckend. Seine „Befreiung“ im Jahre 15 + wurde zur Quelle deutscher Frühgeschichte
Der Lebensgeschichte des Segestes so weit man sie rekonstruieren kann, lässt sich ein wankelmütiges und schwer definierbares Lavirieren und Taktieren zwischen den Fronten und den großen Wortführern der Zeit entnehmen. Von Augustus über Tiberius und Varus bis Germanicus lernte er sie alle kennen oder stand mit ihnen wie auch zu den zahlreichen römischen Legionskommandanten zumindest in Kontakt. Und auf germanischer Seite war es wohl ebenso und sicherlich zählte auch Marbod mit dazu. Was diesen erlauchten Bekanntenkreis anbelangte, so konnte es wohl nur noch Arminius mit ihm aufnehmen. Seine Charakterfestigkeit ist daher umstritten, so dass die häufigen Bezüge, Kommentare und Überlieferungen die uns über ihn und sein Verhalten vorliegen zwangsläufig in der Moderne zu einer verzerrten Wahrnehmung der germanischen Geschichte geführt haben bzw. führen mussten und fragwürdig sind. Hinzu kommt, dass der Mann aufgrund seiner Taten in Rom unter erheblichen Rechtfertigungsdruck geraten sein dürfte, was seine Seriosität zusätzlich untergraben hat. Man würde heute sagen, seine Aussagen müssen daher wegen der „Besorgnis der Befangenheit abgelehnt“ werden. Aber wer sich mit der Entstehungsgeschichte, dem Verlauf und dem Ausgang der Varusschlacht beschäftigen möchte, der kommt an ihm nicht vorbei und darf ihn keinesfalls außen vor lassen, wenn er sich eine Meinung bilden will. Aber die Ereignisse im Verlauf des Jahres 15 + waren nicht minder spannend, als die des Jahres 9 + in dem die Varusschlacht statt fand. Denn in diesem Jahr 15 + loderten die Feuer des Krieges an vielen Stätten zwischen Eder, Lippe und Weser auf. Gekennzeichnet von zahlreichen Gewaltakten kämpfte sich Germanicus nun schon das zweite Jahr in Folge und dieses Mal sogar in zwei getrennt voneinander geführten Feldzügen, einmal im Frühjahr und einmal im Sommer durch die Gaulandschaften der germanischen Stämme. Aber in der Frühjahrszeit des gleichen Jahres noch während seines ersten Feldzuges kam es zu schwer interpretierbaren Turbulenzen, die auch die Führungsschwäche von Germanicus offenbaren. Man kann den Eindruck bekommen sein Frühjahrsfeldzug war der erneute Offenbarungseid für sein Versagen als Feldherr. Denn das was uns die Forschung darüber glaubhaft machen will, muss nicht zwangsweise der Realität entsprochen haben. Ein angeblich spontaner und kräftemäßig schwach besetzter Angriffskeil von Mainz ausgehend und ein vor ihm flüchtendes Chattenheer dürfte nicht der alleinige Grund für den vorzeitigen Abbruch des Frühjahrsfeldzuges gewesen sein. Man kann auch zu anderen Schlussfolgerungen gelangen. Vielmehr könnte man auch annehmen, dass die Verluste bei den Chatten größer waren als zugegeben, er ein Anrücken der Cherusker befürchten musste und er sich deshalb mit den Legionen des Caecina vereinigte, nach dem es ihm gelang gerade erst selbst einen Angriff der Marser scheinbar nur mit Mühe und Glück abwehren zu können. Folglich das mögliche Anrücken der Cherusker den Feldherrn Germanicus aufgrund seiner Unterzahl zwang nach Westen in Richtung Caecina auszuweichen. Erst mit der Zusammenführung der Legionen vermutlich am Mittellauf der Diemel schuf Aulus Caecina Severus gemeinsam mit Germanicus wieder eine neue Ausgangsbasis und ein verbessertes Kräfteverhältnis auf Seiten der Römer. Germanicus hatte das ganze Unternehmen im Frühjahr 15 + schlecht vorbereitet und formierte daher seine Truppen um im Sommer des gleichen Jahres einen erneuten Vorstoß ins germanische Kerngebiet an der Weser zu wagen. Er beendete jedenfalls seinen Feldzug mitten in der „besten Jahreszeit“ in der man Kriege und Schlachten führte und setzte sich mit den verbliebenen Truppenteilen an den Niederrhein ab, von wo aus er seinen Sommerfeldzug plante. Aber es ist müßig in diese Diskussion einzusteigen, da diese Ereignisse mit der Varusschlacht nur im weiteren Sinne zusammen hängen. Es wäre ein gänzlich misslungener Frühjahrsfeldzug gewesen, wenn es nicht doch noch für ihn einen Prestigeerfolg gegeben hätte. Denn einer der bedeutendsten Germanenfürsten jener Zeit servierte sich Rom selbst auf dem Silbertablett. Und dieser Mann platzte nun mitten in ein ausklingendes Kampfgeschehen hinein und betritt völlig unerwartet die antike Weltbühne, womit er zur Quelle der deutschen Frühgeschichte wurde. Denn er bescherte uns Erkenntnisse über unsere Vorfahren wie wir sie nicht erwartet hätten. Und es war kein anderer als der Cheruskerfürst Segestes der sich im Frühjahr 15 + damals auch unverhofft für sein eigenes Volk und erst recht für die heutige Geschichtsforschung freiwillig den Händen des Imperiums auslieferte. Gründe dafür wurden zwar überliefert, lassen aber auch berechtigte Zweifel am Wahrheitsgehalt aufkommen. Die kritische Gemeinschaft der Forscher hat sich nun schon seit längerer Zeit die Aufgabe gestellt auch den möglicherweise anderen Beweggründen für sein Verhalten auf die Spur zu kommen. Denn Segestes war eine facettenreiche Gestalt und er war nicht nur Zeitzeuge, sondern in vielerlei Hinsicht auch ein historischer Gewährsmann. Dies aber nur insoweit, wie er uns bei der historischen Aufarbeitung hilfreich ist und sein Tun nicht einzig seinen persönlichen Interessen diente. Seinem Verhalten auf die Spur zu kommen bedeutet die Trennlinie zu erkennen; wo er für sein persönliches Wohlergehen agierte und wo er unabhängig von sich unser Wissen über die Historie erweiterte und woran wir Fakten und Eckpfeiler für die Geschichtsforschung fest machen können. Wollen wir uns einen Eindruck verschaffen, können wir dafür nur die mäßig vorhandenen antiken Überlieferungen nutzen. Was wir über ihn wissen verriet er der Nachwelt selbst als er sich im Jahre 17 + einigen römischen Staatsbeamten offenbaren musste. Erst dank ihrer schriftlichen Aufzeichnungen die über ihn im Jahre 17 + verfasst wurden, sind wir überhaupt imstande über ein eigenes Kapitel „Segestesforschung“ nachzudenken. Unübersehbar ist die Tatsache wie viele antike Historiker an der Person des Segestes nahezu fest kleben, auf ihn fixiert sind und sich vielfach auf ihn beziehen. Ob es sein Wirken im Zusammenhang mit der Varusschlacht im Jahre 9 + war, sein rätselhaftes Verhalten, das er im Zuge seiner Befreiung im Frühjahr 15 + an den Tag legte oder ob es sich um die Dinge handelte die sich 17 + im Zuge des Triumphzug ereigneten an dem er teilnahm bzw. um das was er im gleichen Jahr über sich, seine Denkweise aber auch seine Verhaltenszwänge preis gab. Immer wieder stand Segestes für die antiken Historiker im Mittelpunkt und faszinierte sie ab dem Jahr 9 + bis zum Jahr 17 +. Immerhin acht lange Jahre. So wurde aus ihm ein Fossil im Reigen deutscher Geschichtsforschung und sicherte sich damit einen ewigen Platz in den Schlagzeilen der Weltliteratur. Es war das Jahr 17 + in dem es ihn ungewollt bis in die Säle der Schreibkundigen des Imperiums verschlug und ein Jahr woran die Geschichtsschreibung ihre Uhren ausrichten müsste. Wäre es Rom gelungen auch noch Arminius irgendwann einmal zur Rede stellen zu können, in dem man ihn vielleicht gefasst hätte, wäre es wohl zu einer völlig anderen und abweichenden geschichtlichen Aufarbeitung gekommen. Arminius dann nach seinem Grund für den Kampf gegen Varus befragt, hätte möglicherweise zu der gleichen Antwort gegriffen, wie sie der Sohn des Dalmaters Bato dem Feldherrn Tiberius im Spätsommer 9 + gab als er sagte, „Ihr tragt die Schuld daran, schicktet ihr doch zu euren Herden als Wächter nicht Hunde und Hirten, sondern Wölfe“. Eine Antwort, die Tiberius offenkundig beeindruckte. Ich stellte im letzten Kapitel die Frage in den Raum, ob und wenn ja wie weit Segestes auch die Ereignisse die sich im Frühjahr 15 + in seiner Burg zutrugen gegenüber dem römischen Tribunal in seinem Sinne positiv zurecht rückte, also „aufhübschen“ musste. Denn auch sein Verhalten im Frühjahr 15 + wirft Fragen auf, die seinem nebulösen Auftreten im Jahre 9 + nahe kamen. Denn es blieben in der kritischen Jury des Senats auf beide Jahre bezogen Ungereimtheiten die Segestes ausräumen musste. Segestes können wir nicht unterstellen er hätte mit seinem Dazutun die geschichtlichen Abläufe verändert, dazu fehlen uns die konkreten Anhaltspunkte, aber er hat zweifellos selbst Geschichte geschrieben. Aber auch die weiteren Recherchen um seine Person werden noch viel Akribie erfordern was mehrere Betrachtungswinkel auf ihn nötig macht. Segestes wird uns also noch eine Zeit beschäftigen. Zudem will man Segestes ja auch nicht noch mehr Unrecht tun, als es die Gelehrtenwelt bereits über ihm ausgoß. Es wird also eine reizvolle Aufgabe sein auch den Dingen des Jahres 15 + nachzugehen bevor dann in den folgenden Kapiteln wieder die Varusschlacht in den Vordergrund rückt. Denn alle historischen Informationen die sich auf Segestes zurück führen lassen geben Anlass sie zu hinterfragen und dazu gehören in der Tat alle Hinweise die uns die antiken Historiker explizit über ihn und das bevorzugt im Zusammenhang mit der Varusschlacht hinterließen. Nachdem ich bereits einigen Argumenten hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit nach gegangen bin und noch weitere aufgreife um die These zu erhärten, dass die Segestes Äußerungen zumindest anzuzweifeln wenn nicht gar falsch sind, geht es in diesem Abschnitt zuvorderst um das Frühjahr 15 +. Unser Wissenstand, der sich auf die alten Quellen stützt, die teilweise auf recht seltsame Weise zu uns durch gesickert sind, wird uns also unweigerlich auch in diesem Kapitel begleiten. Aber wer einen Eisberg erklimmen möchte braucht unter den Sohlen die richtigen Nägel. So müssen wir wie gewohnt dem nach gehen was uns die antike schreibende Zunft auf Basis der Taten der damals aktiv handelnden Personen an Wissenswertem hinterließ. Im Zusammenhang mit der Analyse der Ereignisse im Frühjahr 15 + kommt uns ein Umstand zugute, der uns die Rekonstruktion und die Zuordnung erleichtern hilft, denn alle Ereignisse im Frühjahr 15 + standen räumlich in enger Verbindung zueinander. Er dient aber auch unserem Verständnis und Einfühlungsvermögen, denn wir wollen uns auch hinein denken können mit welcher Topographie es die Menschen von damals zu tun hatten. So erkennen wir auch erst bei genauem Hinschauen das dichte Geflecht an Verbindungslinien zwischen den lokalen Konfliktzonen der damaligen Zeit. Ereignisse die sich alle unweit voneinander zutrugen und die sich besonders im Frühjahr 15 + zusammen ballten. Allesamt militärische Scharmützel, die sich auf einen recht überschaubaren geographischen Raum konzentrierten. Mit Bad Karlshafen an der Weser im Mittelpunkt, wo sich heute die drei Bundesländer NRW, Niedersachsen und Hessen berühren liegen die Schauplätze der Schlachten im Abstand von nur wenigen Tagesmärschen relativ dicht beieinander. Von Bad Karlshafen bis Einbeck – Vogelbeck wo ich die Segestes Burg vermute sind es nur 37 km. Bis Schwaney in dessen nähe ich Aliso verorte sind es ebenfalls 37 Km. Bis Metze, wo Germanicus den Chattenhauptort verwüstet haben könnte sind es 49 km und bis Marsberg, wo Caecina gegen die Marser gekämpft haben könnte sind es 46 km. So rücken uns plötzlich alle Örtlichkeiten näher und werden für die Logistik und unser Vorstellungsvermögen greifbarer. Wir neigen für gewöhnlich dazu uns damit schwer zu tun, wenn wir uns lange zurück liegende Begebenheiten gegenwärtig machen möchten und wir sie den uns gut bekannten und geläufigen Örtlichkeiten zuordnen wollen. Insbesondere für das Jahr 15 + gilt daher der Leitsatz „Geschichte vergeht - Landschaften überdauern“. Denn auch die Kämpfe zweier so unterschiedlicher Zivilisationen fanden in diesem Jahr wieder mitten in Deutschland statt und nicht auf dem Mond. Es geschah quasi mitten unter uns, fasst schon vor der Haustür und vor unseren eigenen Augen. Das zu verstehen, also das weit zurück liegende an sich heran zu lassen, um es dann im alltäglichen und in der unmittelbaren Umgebung wieder aufzuspüren und es in diesem Sinne zeitlos zu machen, stellt eine visionäre Kunst dar. Sich vorstellen zu wollen, dass man einst den sterbenden Drusus auf einer Bahre kurzzeitig dort abgesetzt haben könnte, wo sich heute über dem Asphalt die Einkaufswagen der Firma Lidl in Brakel drängen, lässt uns förmlich zusammen zucken. Dieser geographische Exkurs lässt uns auch ein Gespür dafür entwickeln, warum die Cherusker es vorzogen haben sollen ihren Rettungseinsatz bei den Chatten abzubrechen und vielleicht nur bis nach Einbeck kamen. Es ist diese verflixte Textstelle 1.56 (5) in der uns Tacitus überlieferte, dass die Cherusker ihre Unterstützung für die Chatten zurück gezogen haben, weil ihnen Caecina den Rückweg hätte abschneiden können, obwohl Germanicus bereits von sich aus von den Chatten abließ und den Rückmarsch antrat. Andererseits kann es auch eine beschönigende Darstellung aus der Feder von Tacitus gewesen sein. So könnte es Germanicus gescheut haben die in die Wälder ausgewichenen Chatten in Verbindung mit den anrückenden Cheruskern in einer Umkehrbewegung plötzlich gegen sich zu wissen. Die damaligen Kommunikationswege im offenen Feld und das nicht immer zuverlässige Einschätzen der gegenseitigen Kräfteverhältnisse wird vor diesem Hintergrund manche Entscheidung rätselhaft erscheinen lassen. Aber es verdeutlicht uns auch, wie nahe Germancius noch im Grenzgebiet zu den Cherusker operierte und unweit der Segestes Burg gestanden haben könnte, als die Segimund Delegation bei ihm eintraf. Und man kann sich zudem plausibel machen, welchen Rückweg Germanicus von Metze nördlich der Eder aus an den Niederrhein einschlug. Aber wie immer hinterlässt vieles mehr Fragen als Antworten, so verlief das Jahr 15 + nicht minder verwirrend als das Jahr 9 + in dem Varus starb. Um es besser zu verdeutlichen sei der Hinweis gemacht, dass dazwischen nur sechs Jahre lagen und die meisten die das Jahr 9 + überlebten, wohl auch noch 15 + lebten. So weit ein kleiner Rückblick in die Geographie passend zur Zeit. Der weitere Verlauf erfordert die Miteinbeziehung von Germanicus und Segestes. Sich mit ihren jeweiligen Persönlichkeiten zu beschäftigen, aber auch mit den anderen Personen von denen wir hörten kann aus der alten Historie einen unterhaltsamen Stoff machen. Insbesondere diese beiden Personen und sozusagen ihre Biographen Strabo und Tacitus sollen gegenübergestellt werden. Aber natürlich auch Arminius der omnipräsente Germanenfürst. Strabo schrieb bzw. veröffentlichte seine Geographie in griechischer Schrift und das tat er wie ich vermute im Jahre 18 +. Sie reicht zurück bis zur römischen Niederlage gegen die Parther 53 – bei Carrhae wie man aus einem Hinweis ableiten kann. Er erwähnte die Kämpfe Roms gegen keltische aber auch germanische Stämme, wie etwa die Sugambrer. Kriege die noch alle vor der Zeitenwende geführt wurden. Er stellte dabei, wie es sich auch für einen Geographen gehört, einen Bezug zu den besonderen landschaftlichen Strukturen und Besonderheiten in den jeweiligen Regionen her in denen gekämpft wurde. Fand die Auseinandersetzung in wüstenähnlichen Gebieten statt, dann boten sich die Senken an, um sich vor den Blicken des Gegners zu schützen, so wie es in Carrhae geschah. Waren es wie in Germanien die Moore, Sümpfe und Wälder, so ließen sich diese gut in die Verteidigung mit einbeziehen. Strabo war ein nüchtern denkender Stratege und übersah daher auch nicht die kampftaktische Bedeutung die sich dahinter verbarg. Naturräume die ihre eigene unterstützende Wirkung entfalten konnten, wenn man sie nur zu nutzen wusste. Was natürlich sowohl Angreifer als auch Verteidiger begünstigen konnte, wenn sie im Krieg standen und sich schützen mussten. Aber er stellte einen Zusammenhang her indem er sie insbesondere den angegriffenen und oft benachteiligten Völkern zubilligte. Für jene Menschen, die in den teils unwirtlichen Gegenden lebten, war es die vertraute Umgebung, während sie für den Gelände unkundigen Feind wie in jedem Krieg schnell zur Falle werden konnte. Strabo prägte für die Historiker die auf ihn folgten den hier vereinfacht wieder gegebenen aber äußerst zutreffenden Satz, von den Einheimischen, er nennt sie Barbaren, „die die Natur für sich kämpfen ließen“ und besser lässt es sich auch kaum ausdrücken. Und die damals noch vielfach sich selbst überlassene Natur in Ostwestfalen und Südniedersachsen half in der Tat kräftig mit, wenn man im Kampf gegen Rom erfolgreich sein wollte. Nicht nur dem Stamm der Cherusker verhalf sie mehr als einmal aus ihr taktischen Nutzen zu ziehen. Denn dank der zwölf Kilometer langen schroffen Egge zwischen Neuenheerse und Borlinghausen, dem sumpfigen Nethetal, der Weser und einem großen Rückzugsraum im Hinterland verfügte man bei ihnen über genau das, was Strabo zum Ausdruck bringen wollte. Man besaß diese Vorteile, die den Kelten aufgrund des Atlantik versagt blieben, denn Gallien ist Meer umspült, somit endlich und überschaubarer. Gleichermaßen profitierte auch Rom später vom Stromverlauf des Rhein, als sich das Imperium selbst zur Wehr setzen musste und sich die Germanen anschickten, es erst zu bedrohen um es sich dann einzuverleiben. Für diese Aufarbeitung ist es von Bedeutung, dass Strabo seinen geographisch/historischen Streifzug durch die ihm bekannte Welt und was er in seiner Geographica 1. Kap. 17 nieder schrieb an dem Tag enden lässt, an dem für Germanicus der Triumphzuges statt fand, nämlich dem 26.5.0017. Danach schweigen die Quellen und wir erfahren für eine lange Zeit nichts mehr darüber, was sich im Jahre 15 + in Germanien zutrug. Was sich aber ändern sollte, als Segestes samt Familie im Jahre 17 + in Rom erschien. Unser Wissen darüber endet abrupt mit den letzten Zeilen aus der Feder von Strabo und damit auch zunächst einmal unser Wissen über den Grund den damals Segestes hatte oder vorgab, sich in die Hände von Germanicus zu begeben und sich von ihm retten zu lassen. Der vierte Historiker nach Ovid, Manilius und Strabo der uns half viele Begebenheiten besser zu verstehen war der römische Offizier und Historiker Paterculus, der nach 3o + verstarb. Bedauerlicherweise widmete er sich aber mit keiner Silbe dem, was sich um die Person des Segestes in den Jahren 15 + und 17 + tat und was ihn damals um - und antrieb, so dass wir sowohl ihn als auch Florus und Dio bei dieser Betrachtung völlig außen vor lassen müssen. Um wieder fündig werden zu können, müssen wir einen Schritt weiter gehen und einen vorsichtigen ersten Blick sehr weit nach vorne werfen. Und dafür müssen wir uns hoch aufrichten, denn hundert Jahre sind eine lange Zeit. Strabo und alle anderen waren nun längst tot und neue unbedarfte nach rückende Generationen schufen sich mit gehörigem Abstand zum Vergangenen ihr eigenes Bild. Um diese Zeit schwang sich auch ein großer unter den bekannten Historikern auf, um über diese alten Dinge neu zu berichten und sie aufzurollen. Es handelte sich bei dem Mann nicht mehr und nicht weniger als um den berühmten und allseits geschätzten, 56 + geborenen und 120 + verstorbenen Publius Cornelius Tacitus der sich berufen fühlte, nachdem etwa vier Generationen verstrichen waren, die Vergangenheit noch mal aufleben zu lassen. Von wo, von wem, woher und woraus er sein Wissen auch immer nahm bleibt allerdings ein ewiges Geheimnis. Aber er dürfte wohl aus mehreren Quellen geschöpft, also in unterschiedliche Schriften Einblick genommen haben. Und er konnte lediglich aus alledem zitieren und abschreiben, da er selbst keine Zeitzeugen mehr befragen konnte und nie in Germanien war. Nun eine Analyse oder Studie zu wagen, in dem man den Inhalt seiner Jahrbücher, die er in den Jahren zwischen 110 + und 120 + verfasst und veröffentlicht haben soll mit dem zu vergleichen was uns Strabo hinterließ, ist eine interessante Herausforderung. Hier der eine nämlich Strabo, der noch ganz nahe am Geschehen stand und manches noch mit eigenen Augen sah, dem sich aber noch vieles an Detailwissen nicht erschlossen hat und dort Tacitus der aus einer völlig anderen Perspektive heraus über diese alten Zeiten berichtete. Tacitus war gut 20 Jahre alt, als der milde Titus Kaiser von Rom war und beendete sein Werk möglicherweise unter Kaiser Trajan, vielleicht auch erst unter Kaiser Hadrian. Und er erlebte einschließlich vieler unbekannt gebliebener Kaisergrößen insgesamt neunzehn von ihnen. Es war damals ein Kommen und Gehen unter der Herrschergestalten und das sich darunter kein Kaiser mehr befand, der sich sonderlich für das Tun und Wirken eines Germanicus oder Segestes interessierte liegt auf der Hand. Dies ließ aber andererseits Tacitus freie Hand und er konnte jene verstaubten Quellen eingesehen haben, für die sich vor ihm lange Zeit keiner mehr interessiert hatte. Quellen, die teils gut recherchiert aber auch tendenziell gewesen sein konnten und folglich hatte er die Qual der Wahl, welche er nutzen sollte. Aber wie sah es der weltbekannte Tacitus aus der Retrospektive seiner Zeit heraus. Ihm, dem vielleicht nun in Teilen auch die alten Unterlagen zugänglich waren, die damals auf dem Gesagten des Segestes basierten und die sich auf sein Schicksalsjahr 15 + bezogen. Er könnte aber auch Schriften vor sich liegen gehabt haben, die zweifelhafter Natur und Herkunft waren. Was wusste Tacitus also, woher konnte er es gewusst haben aber vor allem, was wollte er uns glauben machen, weil er es damals persönlich für richtig und plausibel hielt. Denn auch er wird auf Kontroversen und Unverständliches gestoßen sein, ähnlich wie es über hundert Jahre nach ihm auch Cassius Dio erging. Seinem Jahrbuch 1,57, dass er lange nach den Ereignissen des Jahres 15 + zu Papier brachte bzw. veröffentlichte, können wir einige neue Erklärungen entnehmen, von denen Strabo entweder noch nichts wusste oder nicht darüber berichtete. Und schon allein deswegen, weil Strabo so sparsam mit seinen Worten umging lassen sich seine wenigen Äußerungen zwar nicht mit Gold aufwiegen, aber trotzdem anders interpretieren, als die etwas umfänglicher ausgefallenen Erläuterungen des auf ihn 100 Jahre später folgenden Tacitus. So durfte Tacitus möglicherweise auch dort schürfen und konnte da seinen Wissensdurst stillen, wo die römischen Staatsbeamten damals die prekären Ungereimtheiten hinterließen, die man Segestes zwar abnahm ihm aber möglicherweise auch damals schon nicht glauben konnte oder wollte. Antworten die er im Jahre 17 + in seiner schwierigen Lage gab um sich rein zu waschen. Vielleicht stieß Tacitus sogar auf schriftliche Randnotizen von Beamten in denen diese schon ihre Zweifel zum Ausdruck brachten, denn man darf die damaligen „Protokolle“ nicht mit heutigen Maßstäben messen. Aber seinen Darlegungen lässt sich entnehmen, dass ein Großteil davon den Eindruck erweckt, als ob er nahezu ungefiltert aus dem Munde des Segestes entsprang und sich so in den schriftlichen Aufzeichnungen wieder findet, also 1 : 1 nur auf ihn zurück geführt werden kann bzw. auf ihn zugeschnitten war. (26.04.2020)

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Donnerstag, 16. April 2020
Im palatinischen Kreuzverhör hatte sich Segestes in zweifacher Hinsicht zu rechtfertigen
Historische Forschung zu betreiben, ist ein steter Dreikampf zwischen dem inneren Vorstellungs- und Einfühlungsvermögen auch Phantasie genannt, dem was wir schwarz auf weiß wissen, also den antiken Schriftzeugnissen und dem was sich den Bodenfunden entlocken lässt. Danach verselbstständigt, verstreut und verteilt sich alles über die zahlreichen Einzeldiszipline, findet wieder zusammen und endet im Raubtierkäfig von Interpretationen und Auslegungstheorien. Aber es gibt keine geschichtliche Aufarbeitung, ohne das man sich die vielen Rückblicke in die fließenden Geschehnisse davor ersparen könnte. Im imperialen Machtzentrum des Jahres 17 + bestimmte und entschied nur eine autoritäre Gestalt wie man mit Geiseln, Gefangenen und anderen Germanen verfuhr und das war Kaiser Tiberius. Segestes könnte er letztmalig gesehen haben, als er 4 + mit den Cheruskern den Bündnisvertrag schloss, oder 5 +, als er die Langobarden über die Elbe trieb. Das war zu den Zeiten als er noch selbst Feldherr war. Gehört haben könnte er allerdings von ihm noch im Herbst 9 + als er erfuhr, dass eben jene einst Bündnis treuen Cherusker, die er 5 Jahre zuvor mit Rom wieder zu versöhnen suchte nun drei römische Legionen vernichteten. Legionen die vermutlich auf seine Veranlassung hin weit von ihrer eigentlichen Sollstärke entfernt gewesen sein könnten, da er sie für seine Feldzüge gegen Marbod und danach in Pannonien dezimieren bzw. ausdünnen musste. Er wird sich nach dem er von der Niederlage im Saltus erfuhr, die ihn im Herbst 9 + noch in Dalmatien kurz vor der Einschiffung nach Italien erreichte, die Frage gestellt haben wie es denn 9 + zu der Schlacht kommen konnte. Wir stellen uns aber auch die Frage wie und wie schnell Tiberius die Nachricht aus Ostwestfalen noch in Dalmatien erreichen konnte. Man kann es sich damit beantworten, dass ein im Krieg stehender Feldherr wie Tiberius die Stafettennachricht auf parallelem Weg zum Kaiser in Rom erhalten haben dürfte und eine Stafette von Süddeutschland aus den Weg über die julischen Alpen nahm. Eine Schlacht mit der Tiberius selbst und niemand anderes im Imperium gerechnet hatte. Vor allem aber nicht mit dem Ausgang den sie nahm. Er erfuhr, dass sogar sein einstiger Mitkämpfer Arminius mit seinen cheruskischen Hilfskräften die er vermutlich erst jüngst nach dem Sieg über Pannonien in seine Stammesgebiete entließ, daran beteiligt gewesen sein soll. Er dürfte vor einem Rätsel gestanden haben wie es denn möglich sein kann, dass Germanen die noch kurz zuvor ihren Kopf für Rom hin hielten plötzlich gegen Rom zu den Waffen griffen. Er kannte Segimer, Segestes und auch Arminius und es beschäftigte ihn die Frage wer hinter dem Komplott stand. Arminius wird ihm Kopfzerbrechen bereitet haben. Sollte er ihn als einen aufrichtigen Mann erlebt haben, könnte er auch in Varus einen Mitschuldigen gesehen haben. Vielleicht nannte man Tiberius in Dalmatien auch nur den Namen Arminius weil sich beide kannten, ohne das ihnen seine genaue Bedeutung im Kampfgeschehen bewusst war. Da aber Arminius noch jung an Jahren war und zudem gerade erst in seine Heimat zurück gekehrt war, konnte sich Tiberius schlecht vorstellen, dass er schon eine Führungsrolle inne gehabt hatte. So konnte er möglicherweise die Schuldfrage nur auf Segimer und, oder Segestes konzentriert haben, die Varus in den Rücken fielen. Es ließ sich für ihn die Lage vor dem Ausbruch der Schlacht vermutlich nie richtig einschätzen bis Segestes erschien. Segimer fiel vermutlich in der Schlacht, Arminius wurde er nie habhaft, aber dann tauchte im Frühjahr 17 + plötzlich Segestes in Rom auf und konnte befragt werden. Wer wollte Tiberius verdenken, dass er sich nun Aufklärung über die Abläufe des Jahres 9 + erhoffte und darauf brannte wenn auch verspätet, dazu Erklärungen zu bekommen. Sicherlich schloss Tiberius nicht aus, dass damals auch Segestes die Fäden gegen Varus mit gezogen hatte, da er nach der Schlacht im Kreise der Cherusker noch lange ein respektierter Fürst blieb. Davon, dass Segestes den Feldherrn Varus gewarnt haben soll, konnte Tiberius noch nichts gewusst haben von wem auch, für ihn war und blieb Segestes als er in Rom eintraf zunächst einmal ein Verdächtiger wie alle anderen auch zumal seine Tochter mit Arminius liiert war. Er wartete nun mit Spannung darauf, was Segestes in Rom dazu vorzutragen hatte. Und nach alledem was wir heute glauben möchten, klang das was Segestes dem Kaiser und dem Senat mitteilte auch recht plausibel. Es waren inhaltlich jene Dinge aus denen wir seit Jahrhunderten unsere Schlussfolgerungen ziehen. Schlüsse, die unseren Glauben stärken, dass seine Rechtfertigungsversuche auch der Wahrheit entsprachen. Wie ich vermute aber Ausreden waren, um gefahrlos aus seinem Dilemma heraus zu kommen. Varus will er gewarnt haben und diese Warnungen soll er wie es heißt, sogar mehrfach vorgetragen haben. Und das möglicherweise auch im Beisein von Zeugen im Zelt von Varus was sich aber nicht klar aus den antiken Quellen erschließen lässt. Denn bei der einfachen Durchlese kann man nur zu dem Schluss gelangen, dass Segestes am Vorabend der Schlacht die Warnung Varus gegenüber ohne Zeugen aussprach. Tacitus schreibt in seinem Jahrbuch 1,55 (2) - nach dem „man“ an die Waffen ging -. Und „man“ ist vielfach interpretierbar. Möchte man es aber anders sehen, könnte man diesen Hergang also die Aussagen des Segestes in Rom bekanntlich auch in Gänze in Frage stellen und darin einen Stoff sehen, der auch in einen „historischen“ Justizirrtum gemündet sein konnte. Denn alles klingt eigentlich schon wieder zu einleuchtend und erscheint somit simpel und plausibel zugleich. Aus Bequemlichkeit und mangels anderer Gedankenketten verfestigte sich das Gesagte von Segestes erstaunlich leichtgläubig in den Geschichtsbüchern. Wie war es also damals nochmal. Varus wischte die ausgesprochene Warnung von Segestes, möglicherweise waren es auch mehrere vom Tisch, gerade weil Varus ihn gut kannte. Er wusste, dass Segestes persönliche Interessen verfolgte und dazu gehörte sein Wissen darüber, dass Segestes die Macht über alle Cherusker anstrebte und mithilfe Roms ausüben wollte. Dem ungestümen Segestes entging aber dummerweise, dass Varus seine wahren Absichten und Hintergedanken längst durchschaut hatte. Segestes indes verfolgte seinen Plan unbeirrt weiter. Er erkannte die einmalige Chance, Varus jetzt seine Loyalität zu beweisen, in dem er ihm gegenüber seine Widersacher an den Pranger stellte und ihr Vorhaben verriet. Jeder denunzierte damals jeden und nun war er am Zug und erhoffte sich daraus eigene Vorteile ziehen zu können. Varus schmunzelte, denn ihm waren diese Methoden nicht neu, er erkannte sein Vorhaben im Ansatz, ging nicht darauf ein und ließ Segestes konsterniert ins Leere laufen. Segestes war perplex hatte er sich doch so viel Mühe gegeben überzeugend zu wirken und fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Er konnte es nicht fassen denn er hatte mit der Reaktion, dass Varus ihn nicht ernst nehmen würde nicht gerechnet. Wenn es denn tatsächlich so war, müsste er es wie einen Tiefschlag gegen seine Fürstenwürde empfunden haben. Segestes der Varus sogar noch am Vorabend der Schlacht gewarnt haben soll blieb nach dieser leidigen Erfahrung nun nicht mehr viel Zeit. Er musste handeln und sich um orientieren, denn tagsdarauf war schon der Ausmarsch nach Anreppen geplant. Von seinen an Varus ergangenen Warnungen hätten, wenn es sie denn gegeben hätte auch die Arminen erfahren. Nun wissen wir anhand der Überlieferung, dass sich Segestes wie auch immer es sich zugetragen haben sollte, sich in die Schlacht mit hinein ziehen ließ. Er vollzog also einen sofortigen, schon fasst revolutionär zu nennenden Kurswechsel und wurde sozusagen „über Nacht“ vom Verräter am eigenen Volk, zum Kämpfer für die heilige Sache des Arminius. Man kann es kaum glauben. Arminius wusste vom Verrat und spielte trotzdem sein Spiel mit, nahm in also wieder vollwertig in seine Reihen auf, und wies seiner Sippe möglicherweise sogar eine Kampfposition zu. Spätestens jetzt und an dieser Stelle sollte man merken, dass es so nicht gewesen sein konnte. Denn einen Verräter behandelt man nach seinem Verrat nicht wie einen zuverlässigen Kriegskameraden mit dem man Seite an Seite kämpfen wollte und bindet ihn auch nicht mehr vertrauensvoll in ein heikles Kampfgeschehen ein, so als wäre all dem nichts voraus gegangen. Nicht auszuschließen, dass sich Segestes mit seinen Getreuen in einem denkbar ungünstigsten Zeitpunkt mitten im Schlachtengetümmel urplötzlich auf die Seite von Varus hätte schlagen können, womit das ganze Unternehmen gefährdet worden wäre. So kann es also definitiv nicht gewesen sein. Möglicherweise war es sogar noch Arminius selbst, der Segestes vor der Schlacht unter Bewachung stellte und ausmanövrierte, damit er ihm nicht gefährlich werden konnte. Aber Arminius gewann bekanntlich die Schlacht, sozusagen trotzdem oder gerade deswegen. Denn es gab keinen Verrat und Segestes ließ sich daher auch nichts zu Schulden kommen. Aber lässt sich denn so unkompliziert ein Bild von einer historischen Episode zu malen, die über 2000 Jahre zurück liegt. Denn steigt man etwas hinunter in die historischen Untiefen, wird man doch schnell skeptisch. Was wenn Varus im umgekehrten Fall doch noch in der Nacht oder am Ausmarschtag das Gefühl beschlichen hätte, Segestes könne recht gehabt haben. Vielleicht hatte er einen bösen Traum oder es überkam ihn eine übersinnliche Vision, sah vielleicht im Sonnenuntergang zwei Eulen die miteinander kämpften oder dergleichen. Plötzlich und noch rechtzeitig vielleicht auch nach dem er sich mit seinen Generälen beraten hatte erkannte er dann tief in der Nacht, nachdem Segestes ging doch noch in Arminius den wahren Feind. So ließ Varus ihn anderntags geschickterweise noch lange in dem Glauben in ihm immer noch den Freund zu sehen. Aber nun endete die Varuschlacht dank einer geänderten Strategie in einem glücklichen Sieg für Rom also zu Varus Gunsten. Das alles hätte passieren können. Aber ließ es denn Arminius vor dem Hintergrund dieses Verrats und der möglicherweise von ihm ausgehenden Gefahr zu, einen Verräter wie Segestes ernsthaft in seinen Reihen zu dulden. Lässt man solch einen Mann nach einem derartigen Verrat laufen, nur weil Varus ihm keinen Glauben geschenkt hatte. Dann hätte Arminius allerdings schon 9 + alle Gründe der Welt gehabt um Segestes in seiner Burg zu belagern und nicht erst im Frühjahr 15 +. Der Gesamtstamm der Cherusker wäre mit einem Stammesabtrünnigen zu damaligen Zeiten anders umgesprungen. Und was hätte Varus nach seinen nächtlichen Eingebungen getan. Er hätte also seine Pläne geändert, die Schlacht für sich entschieden, wäre anschließend siegreich in sein Sommerlager zurück gekehrt, hätte sich bei Segestes entschuldigt und Arminius und Segimer gekreuzigt oder enthauptet. Aber die Geschichte mischte die Karten anders. Segestes hatte Arminius nicht verraten musste sich aber eine überzeugende Darstellung einfallen lassen. Und so wird Segestes sechs Jahre später in der Metropole Rom auch mit so manchem gerechnet haben, was diese alten Dinge anbelangte für die es erfreulicherweise aus seiner Sicht betrachtet keine Zeugen mehr gab, die es hätten anders darstellen können. Er hatte freie Hand und nutzte es. Es wird ihm vorher klar gewesen sein, dass alles was er sagte wohl begründet sein wollte. Warum damals also seine Warnungen an Varus ins Leere gingen und nicht fruchteten. Nicht fruchten konnten, weil es sie meines Erachtens auch gar nicht gab. Aber das ist nun eine andere Geschichte sozusagen das Vorspiel für die nächsten Überlegungen. Denn möglicherweise interessierte sich der Kaiser, der Senat und die hohen Staatsbeamten im Jahr 17 + nicht nur dafür was der loyale und romtreue Segestes damals 9 + im Sinne Roms tat, um die Schlacht abzuwenden also zu verhindern, sondern man wollte auch wissen, was bei Segestes im Frühjahr 15 + den plötzlichen Sinneswandel bewirkt haben könnte, ins römische Lager überzuwechseln. Eine Kehrtwende die für ihn zu einem Abschied für immer werden sollte. Das Verlassen der angestammten Heimat seiner Väter, die wie anzunehmen ist, seine Sippe seit gefühlten Urzeiten beherrscht hatte. Damals im Jahre 9 + lagen die Dinge noch anders, da waren alle Cherusker und die übrigen Stämme einig im Kampf gegen Rom und es wurden einhellig die Waffen gespitzt. Ein Segestes wäre in dieser aufgeheizten Stimmung nicht weit gekommen, hätte er sich für alle sichtbar auf die Gegenseite gestellt. Ungeachtet dessen könnte er natürlich zu der Fraktion gezählt haben, die sich auf Dauer erhofften mithilfe Roms und an deren Seite in Ostwestfalen und Südniedersachsen an die Spitze der Stämme zu gelangen. Aber im Jahre 9 + gehörte er einer Minderheit an, die sich zurück zu halten und sich unterzuordnen hatte. Aber im Jahre 15 + war die Welt nicht mehr die alte und Segestes träumte seinen sechs Jahre alten Traum von neuem und spielte wieder mit dem Gedanken Macht ausüben zu können. So kann man sich vorstellen, dass er 15 + insgeheim auf eine furiose Rückkehr setzte, wenn Rom die Arminen geschlagen hatte. Doch diese Gedanken konnte und durfte Segestes in Rom nicht preis geben, denn dann hätte man ihn als einen Schmarotzer oder Parasiten entlarvt, der aus Rom einen Steigbügelhalter persönlicher Interessen machen wollte. So musste er sich schwer ins Zeug legen und plausibel darlegen warum er sich entschieden hatte, sich von seinem Volk zu trennen, ihm den Rücken zu kehren und sich fortan dem Imperium anzuvertrauen. Auf Germanicus konnte er in diesem Moment nicht zählen. Germanicus könnte zwar 15 + die gleiche Strategie verfolgt haben, nämlich Segestes nach einem umfassenden Sieg als cheruskisches Stammesoberhaupt zu inthronisieren. Da aber Germanicus dieser entscheidende Endsieg versagt blieb, wäre es müßig gewesen in Rom noch mal die alten Überlegungen und Wunschträume neu zu debattieren, nach dem Motto „was wäre wenn“. Meine Überlegungen tendieren bekanntermaßen dahin über die Person des Segestes Gründe und Ursachen zu finden mit denen sich erklären ließe, warum Varus seinerzeit so arglos in die Falle tappte. Folglich Segestes als unsicheren Kantonisten zu überführen, seine Glaubwürdigkeit zu untergraben und ihn mit nachvollziehbaren Indizien zu entlarven. Ihn sozusagen vom Sockel einer Geschichtsauffassung zu stoßen die demnach immer schon auf porösem Untergrund gestanden haben könnte. Eine sich über die Jahrhunderte verselbstständigende Vision, die sich in unsere Vorstellungen und Köpfe eingeschlichen und eingenistet hat, bis sie scheinbar auf ewige Zeiten zu einer festen Größe wurde. Dieser Hypothese entnehme ich die Substanz für meine Theorie und sie bildet sozusagen eines von mehreren Fundamenten die ich mit als Argument für die römische Niederlage im Jahre 9 + aufbauen möchte. Denn nicht nur die Frage wo sich die Varusschlacht dahin zog steht im Zenit aller Betrachtungen, sondern auch die Frage, warum Varus sie verlor. Eines spielt ins andere und hat man die Erklärung für das eine, kann auch das andere nicht weit sein. Eine These die zum Programm wird und neue Kombinationen, Herangehensweisen und Gedankenspiele erfordert. Zu einem wesentlichen Bestandteil meiner historischen Recherche gehört daher das Aufspüren scheinbar unwesentlicher Bausteine und bislang möglicherweise auch fehl gedeuteter Zusammenhänge bis hinunter zum kleinsten Bruchstück innerhalb eines Satzgefüges. Ausgehend von der Überzeugung, dass die antiken Überlieferungen keine leeren Worthülsen kennen, kann uns jedes einzelne hinterlassene Schriftrelikt neue Erklärungen anbieten über die bisher noch kein Historiker gestolpert ist. Ihnen nachzugehen um ihnen einen anderen Sinn, veränderte Bedeutungen und neue Hintergründe zu entlocken die man trotz intensiver Forschung in den Jahren übersehen haben könnte, soll dem Ziel dienen heraus zu finden wie sich die Clades Variana vollzogen haben könnte. Nur auf Basis dieser Vorgehensweise war es mir auch erst möglich den Kampfkorridor der Varusschlacht in groben Zügen ausgehend von Höxter bis in die Region um Kleinenberg zu definieren. Und hinter so manchen historischen Randbemerkungen, die uns vorkommen als hätte man sie nur beiläufig erwähnt, könnten sich eigenständige Geschehnisse und Prozesse verborgen haben, die sich oftmals erst auf den zweiten Blick erschließen lassen. Trotz seiner kargen Mitteilsamkeit hat uns Strabo wie man auch dem letzten Kapitel entnehmen kann eine ungeahnte Fülle an interpretationswürdigem Stoff hinterlassen. Bemerkungen die aufgrund diverser Übersetzungstücken und wechselnder zeitgeistiger Strömungen nach Jahrtausenden viel an einstiger Sinngebung eingebüßt haben. So ist es immer wieder lohnend sie neu zu bewerten. Zumal sich zwischen Mund – und Schriftsprache Welten auftun, denn die Schrift muss ohne die wichtige Körpersprache, also Gestik und Mimik auskommen. Da wir aber vor diesem Teil der alten Geschichte mit nahezu leeren Händen da stehen, von Bodenfunden einmal abgesehen, bleiben uns nur die wenigen vergilbten Schriften die man in den letzten fünfhundert Jahren in alten Bibliotheken entdeckte gar entwendete, oder die sich auf abgegriffenen Buchrücken aufspüren ließen um dann entziffert zu werden. An uns bleibt es nun die literarischen Trümmer längst verstorbener Geschichtsschreiber von einer alten Staubschicht zu befreien, die sich über sie ausgebreitet hat. Es ist aber nicht der Staub der Vergänglichkeit. Sondern eine Kruste die sich über den alten Originalen gebildet hat und die aus früheren Interpretationen und daher möglicherweise überholten Erkenntnissen besteht. Aber am darunter liegenden Kern hat sich nichts verändert, die ursprüngliche Bedeutung blieb unberührt, ging nie verloren und der Zeitgeist hat sie verschont. So kann es passieren, dass sich nach dem Entfernen dieser von zahlreichen Interpreten hinterlassenen Staubschicht unvermittelt neue Türen aufstoßen lassen. Denn Strabo schrieb für die Nachwelt nicht nur einige Namen von Teilnehmern des Triumphzuges auf, verriet uns nicht nur den genauen Tag an dem er statt fand und nannte auch nicht nur das Alter von Thumelicus. Er griff noch zwei weitere Jahre zurück und deutete Dinge an, die sich vor dem Triumphzug im Jahre 15 + möglicherweise im waldreichen Solling zutrugen. Eine Zeit, als sich Segestes noch auf seinem Fürstensitz, den ich südlich von Einbeck nahe der Leine vermute, in Sicherheit wähnte. Eine Phase in der die Lage aber langsam ernst wurde und Segestes sich Sorgen um seine Zukunft machen musste. Und alles spitzte sich sogar noch zu, denn der römische Feind kam schon im zweiten Jahr seiner Rachefeldzüge seinem Machtbereich gefährlich nahe. Germanicus hatte es auf alle abgesehen, die damals an der Varusniederlage beteiligt waren, war er im Jahr 14 + bereits „völkerbundwidrig“ über die Marser hergefallen, so wollte er im Jahre 15 + weitere Siege feiern. Segestes musste befürchten, dass auch er seine Rache zu spüren bekommen würde. Denn man nötigte auch ihn seinerzeit an der Schlacht gegen Varus teilzunehmen, wie er es Kleinlaut in Rom eingestehen musste. Die Gefahr in Gestalt von Germanicus und seinem großen Heer rückte näher und es müssen für Segestes schwierige Tage gewesen sein. Aber im Frühjahr 15 + hatte er noch die Wahl und konnte entscheiden, ob er sich nach sechs Jahren wieder der Arminiusallianz des Jahres 9 + anschließen bzw. unterordnen wollte. Somit allerdings Gefahr laufen würde, alles zu verlieren, oder ob er noch rechtzeitig die Fronten wechseln und zum Überläufer in ein augenscheinlich stärkeres Lager werden sollte. Gegen das römische Imperium anzutreten, dass in dieser Zeit für alle Germanen unbezwingbar zu sein schien, hätte in ein aussichtsloses Unterfangen münden können. Seine Handlungsweise wollte also gut abgewogen sein. Es brodelte in diesen Jahren heftig auf germanischer Seite, denn man wusste zwischen Rhein und Elbe was die Stunde geschlagen hatte. Das Ziel der römischen Truppenkonzentration zeigte eindeutig ins Kerngebiet der Cherusker wo Arminius lebte. Arminius wusste was auf ihn zukommen würde, er brauchte starke und vor allem verlässliche Partner, wird an neuen Bündnissen geschmiedet haben und immer war seine Präsenz in der gefährdeten Region am Weserübergang nahe Godelheim erforderlich. Das einstige Zentrum varianischer Provinzialisierungsträume. Auch mit Segestes, wollte man ihn denn wenn möglich wieder in die germanische Phalanx mit einbinden wird er im Gespräch gestanden haben bzw. es gesucht haben. Segestes ging vermutlich auf Distanz zu ihm und dürfte sich mit seiner Sippe beraten haben um mit ihr die Alternativen zu diskutieren. Möglicherweise hatten sie sich in diesen Tagen alle in seinem Fürstensitz versammelt. Im Frühjahr 15 + überschlugen sich dann die Ereignisse. Caecina hielt die Marser mit Gewalt in Schach. Germanicus operierte besser gesagt wütete, wenn auch relativ erfolglos im Zentrum der Chatten nördlich der Eder vermutlich in der Region um den Gudes - und Odenberg im Raum Metze. Eine Landschaft in der man auch den chattischen Hauptort Mattium vermutet, den er nieder brannte. Und nur etwa 7o Kilometer nördlich dieses chattischen Fürstensitzes vermute ich im Einbecker Ortsteil Vogelbeck auch die Burg des Segestes. Somit standen alle Schauplätze im Frühjahr 15 + in räumlicher Nähe zueinander, was diese Großregion kurzzeitig zum Brennpunkt der römisch/germanischen Auseinandersetzung aber auch zum „Hot Spot antiker Bewegungsprofil Forschung“ machte. Für Segestes stand nun einiges auf des Messers Schneide und das Haus Segestes sah sich gezwungen sich nun festlegen zu müssen. Entweder einen schier aussichtslosen Kampf als untergeordneter Juniorpartner des großen Arminius gegen eine Weltmacht noch dazu mit einer hochschwangeren Thusnelda auf sich zu nehmen, oder sich auf eine vielleicht nur begrenzte Zeit ins römische Exil zu begeben um auf bessere Tage zu hoffen, wenn Arminius von Germanicus zur Aufgabe gezwungen worden wäre. Strabo beschrieb das Dilemma in dem Segestes steckte in seinen Aufzeichnungen im Rahmen des Triumphzugs nur mit sehr knappen Worten. Sie klingen danach, als ob Segestes seinem inneren Ruf folgte, was man allgemein als eine günstige Fügung des Schicksals ansah. Sie bestand darin, das Germanicus kurzzeitig in Tuchfühlung zu ihm stand. Segestes nutzte also die Gunst der Stunde, eben diese Nähe aus, die wohl auch so schnell nicht wieder kommen würde. Denn um diese Zeit war für ihn noch nichts verloren, es war noch kein Blut zwischen ihm und Germanicus geflossen und die Stimmung noch nicht vergiftet. Germanicus war um diese Zeit unterwegs aus der Region um Metze kommend, um sich in eines seiner Standlager am Niederrhein zurück zu ziehen, da er im Jahr 15 + den Frontalangriff auf Arminius noch vermeiden wollte oder musste. Aber die Faktenlage aus germanischer Sicht stellte sich damals anders dar, sie sprach dafür, dass Segestes aber auch Arminius davon ausgehen mussten dass Germanicus nach der „glücklichen“ Schlacht unter Caecina gegen die Marser im Frühjahr 15 + schon im Sommer des gleichen Jahres seine Legionen auch gegen Arminius lenken würde, so dass die Zeit drängte. Und so geschah es bekanntlich auch, denn im Sommer kehrte Germanicus mit starker Streitmacht zurück und es kam zu einem für Germanicus allerdings unrühmlich endenden ersten Schlachtengeplänkel an der Weser. Das baldige Ausbrechen von Kämpfen gegen die Cherusker in die Segestes unweigerlich mit hineingezogen worden wäre stand kurz bevor, wäre also in der Konsequenz nur eine Frage weniger Wochen gewesen. Es war also für Segestes der richtige Zeitpunkt gekommen, den Absprung zu wagen. Man kann es ihm mit einem Seitenblick auf seine Tochter sogar noch nicht einmal verdenken, dass er sich in dieser Lage für den Frontenwechsel entschieden hat, denn alles sprach gegen Germanien. Als Strabo seins berichtete und den günstigen Umstand erwähnte in dem sich Segestes wähnte, wusste Strabo noch nichts vom genauen Inhalt dessen, was Segestes darüber gegenüber dem hohen Hause im Jahre 17 + zu Protokoll und zur Rechtfertigung vorgab. Für Strabo fügte es sich alles gut und auch plausibel in die Geschehnisse ein, so wie man es sich in den Straßen von Rom erzählte und darüber hinaus waren ihm keine weiteren Details über die damaligen Umstände die im Jahre 15 + zum Segestes Übertritt führten bekannt. (16.04.2020)

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