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Freitag, 27. November 2020
Gaius Velleius Paterculus - Von ihm stammten die ersten Details zum Verlauf der Varusschlacht - Teil 1. - Textstelle 2.117 (1) bis 2.118 (4)
ulrich leyhe, 13:37h
Details ist wahrlich zu viel gesagt, denn für das Wenige was er uns zur Schlacht hinterließ ist es eher eine beschönigende Formulierung. Aber dafür lässt sich das, was er dazu schrieb plausibel in den Verlauf des Marschgefechtes einfügen, denn es passt zu dem, was nach ihm die Historiker Tacitus, Florus und Dio ergänzend dazu zu Papier brachten. Dem schriftlichen Nachlass von Paterculus lässt sich unschwer entnehmen, dass hier ein eingefleischter Militarist am Werk war, der es gewohnt war andere Schwerpunkte zu setzen. Das er auch noch etwas mehr wusste, als er die Nachwelt wissen lassen wollte, müssen wir wohl als gegeben hinnehmen. Paterculus verfügte aufgrund seiner jahrelangen Anwesenheit in vielen Regionen Germaniens über einen umfangreichen Erfahrungsschatz über das Land und seine Bewohner. Sein Wissen über die Zustände und Zusammenhänge, als auch die Beziehungen der germanischen Fürstenhäuser untereinander, das Wesen der Germanen, ihre Mentalitäten, die Geographie Germaniens war umfänglich und er sah noch vieles mehr mit eigenen Augen was er für sein Geschichtswerk nutzen konnte. Er und Tiberius waren die großen Figuren im germanischen Schachspiel am Rhein. Inhaltliche Kernaussagen zum eigentlichen Verlauf der Varusschlacht nehmen in seiner Überlieferung nur einen, milde ausgedrückt überschaubaren Teil ein. Und neutrale Berichte dürfen wir auch von ihm nicht erwarten, denn dazu stand er zu tief im Geschehen und den Abhängigkeiten seiner Zeit.
Ob sich Paterculus unter den Legionen befand, die schon im Frühjahr 6 + unter Tiberius von Carnuntum ins Reich des Marbod aufbrachen und nicht erst im Pannonienkrieg dazu stieß ist nicht überliefert aber wenig wahrscheinlich, da er in diesem Jahr in Rom auch zum Quästor ernannt wurde. Aber er wusste das Tiberius auch schon für diesen Feldzug alle Kräfte aufbieten musste und daher auch auf Legionäre der Varus Legionen zurück griff. Kampfeinheiten die möglicherweise über die nördlich Route vom Niederrhein kommend über die Weser und den Südharz anrückten und sich später mit Saturninus vereinigen sollten, dem sie unterstellt waren. An anderer Stelle hatte ich dazu den Verdacht geäußert, dass sich diese Zugrichtung mit einem anderen Fundkomplex gedeckt haben könnte. Denn dann wäre die Armee möglicherweise über Hachelbich in Form einer Zangenbewegung im Rücken von Marbod vorgerückt. Die dort ergrabene Lagerdimension spricht für 8 bis 9000 Soldaten und könnte in der Summe jene Anzahl wieder spiegeln, die Varus aber auch Asprenas an Tiberius abgeben musste. Insgesamt militärische Entscheidungen die dem Desaster am Saltus voraus gingen um dann mit hinein zu spielen. Tiberius hatte dies indirekt mit zu verantworten und Männer wie Paterculus die dabei halfen die überregionale Verbindung zwischen den zwei Großereignissen wie der Varusschlacht und dem Markomannenfeldzug zu verschleiern und herunter zu spielen, waren Tiberius recht. Das diese Einschätzung des Kaisers nicht völlig unbegründet ist, lässt sich auch den Tacitus Annalen entnehmen. Denn unter 4.74 (1) schreibt er, dass Tiberius im Zuge der Niederlage der römischen Armee gegen die Friesen im Jahre 28 + die Verluste unter den römischen Soldaten verheimlicht haben soll. Er tat dies um zu vermeiden, dass nach Schuldigen gesucht wird. Vergangene Fehlentscheidungen oder Versäumnisse aufzuarbeiten lagen also nicht unbedingt im Interesse des Kaisers, wenn es nicht in sein Konzept passte. Anders sprang man allerdings mit Varus um, dem Paterculus sein Fehlverhalten vehement ankreidete. Offensichtlich war es opportun in diesem Fall mit zweierlei Maß messen zu dürfen. Denn der von Augustus angeordnete und von Tiberius voran getriebene und geführte Militäreinsatz gegen die Markomannen trug entschieden mit dazu bei, dass Varus in Ostwestfalen geschwächt in die Schlacht ziehen musste und die cheruskischen Hilfstruppen im Jahr 9 + für ihn umso unverzichtbarer wurden bzw. er sogar auf sie angewiesen war. So wirken Paterculus und Tiberius wie ein gut aufeinander eingespieltes Team. Paterculus ein geistig beweglicher Berater, Reiterpräfekt und Haudegen der dem damals noch zweiten Mann im Staate und zukünftigen Kaiser zur Seite stand und der das ganze Gegenteil eines Varus verkörperte. Man könnte schon fasst auf den Gedanken kommen, dass er sich sogar selbst Hoffnungen auf die Statthalterposition in Germanien gemacht hatte und hier völlig andere Hintergründe eine Rolle spielten. Paterculus hinterließ, wie auch andere Quellen die wir nutzen nur auf den ersten Blick ein literarisches Rätselwerk. Aber bei genauem Hinsehen passen seine facettenreiche Aussagen gut ins Gesamtbild der Varusschlacht. Ungeachtet dessen, dass auch sein Werk Spuren erkennen lässt, das Rückschlüsse auf seine Herkunft erkennen lassen, decken sie sich in vielen Bereichen mit dem Allgemeinwissen seiner Zeit. Seine persönliche Vorstellungen und Ansichten wechseln sich mit plausiblen Fakten ab und auf tendenziöse Einschätzungen wollte er nicht verzichten und ließ sie stetig in sein Textwerk einfließen. Aber sie lassen sich isolieren und deuten. Ein Textaufbau der hinterfragt sein will. Was seine Informationen über die Varusschlacht anbelangt, so ist eine strukturierte Herangehensweise unvermeidbar. Aber wir müssen bescheiden sein, denn wie schon im letzten Kapitel zum Ausdruck gebracht, hatte auch Paterculus nicht viel dafür übrig den Wissensdurst der Nachwelt zu stillen. So geht er in seinen Aufzeichnungen auch nur wenige Male auf den unmittelbaren Verlauf der Varusschlacht ein. Es sind dies seine militärisch geprägten Aussagen innerhalb jener Textstellen in denen er bedauert, dass man es den römischen Soldaten verbot sich zu wehren, er sein Lob und Tadel für die beiden Lagerkommandanten ausspricht und er die Desertion des Reiterpräfekten Vala als einen schändlichen Akt darstellt.
Sein Werk zu kommentieren ist recht umfassend, so dass es in zwei Teile aufgesplittet wurde.
Aber zuvor sein Bericht mit den jeweiligen Bewertungsblöcken:
2,117. (1)
„Caesar hatte gerade die letzte Hand an den Pannonischen und Dalmatischen Krieg gelegt, als innerhalb von fünf Tagen nach der Beendigung ein unheilvoller Brief aus Germanien die Nachricht brachte, Varus sei gefallen und drei Legionen und ebenso viele Reiterabteilungen sowie sechs Kohorten seien niedergemetzelt, so als habe das Schicksal allein wenigstens darin Nachsicht gegen uns geübt, dass der Feldherr nicht mehr in Anspruch genommen war.
Die Sache aber und die Person zwingen zum Verweilen“.
Bewertung:
Für Paterculus unterlag hier nicht bloß eine römische Armee ihrem Gegner. Er bewertete den Ausgang auf der untersten Stufe eines Schlagabtausches. So war es in seinen Augen nicht nur eine Niederlage wie andere auch, sondern ein Dahinmetzeln. In seinen Worten bringt er damit auch eine massive Überlegenheit des germanischen Gegners zum Ausdruck. Und Boten trugen die Schreckensnachricht also nicht nur nach Rom, sondern auch an die dalmatische Küste und somit wohl auch in einige andere bedeutsame Zentren römischer Macht. Der wertvolle terminologische Zeitbezug, eine nahezu komplette Verlustenliste und die Tatsache, dass sich Varus, da er sich tötete nun nicht mehr zur Rechenschaft ziehen lässt, hört sich wie der knappe Mitschnitt einer verspäteten Kurzreportage oder Nachrichtensendung an, der nur das absolut Nötigste zu enthalten hatte. Der Rest sollte dann einer Sondersendung vorbehalten sein, die nie ausgestrahlt wurde. Es wirkt wie das ultimative Eingeständnis eines Regierungssprechers der für ein Staatsorgan tätig war und es als Trauerbotschaft nur auf die reine Sache bezogen zu informieren hatte. Es gab also nach der langen Zeit die verstrichen war eigentlich schon gar nichts mehr zu sagen, denn die Fakten sprachen für sich. Eine Darstellung wie sie sich kaum besser einem Mann zuordnen lässt, der zuvorderst das Staatswohl im Auge hatte. Die Quelle der ursprünglichen Nachricht vom Niederrhein wird man im Umfeld von Asprenas oder bei ihm persönlich zu suchen haben, da dieser auch die Stärke der Varusarmee kannte und nach Varus Tod der ranghöchste Militär an diesem Frontabschnitt war. Aber die Örtlichkeit zu definieren und die näheren Umstände der Schlacht darzustellen war selbst 20 Jahre nach der Schlacht immer noch nicht von Belang. Paterculus vermied es auf sie einzugehen, aber vielleicht hätte er auch selbst gerne mehr über den Verlauf gewusst.
2,117. (2)
„Varus Quintilius, der aus einer eher angesehenen als altadligen Familie stammte, war ein Mann mit sanftem Wesen und ruhigem Charakter, unbeweglich an Körper und mehr noch an Geist und eher an Lager- als an den Kriegsdienst gewöhnt; dass er aber Geld nicht verachtete, zeigte Syrien, wo er Statthalter gewesen war: Arm hatte er das reiche (Syrien) betreten, als Reicher ließ er es arm zurück“.
Bewertung:
Abgesehen davon, dass uns Paterculus den Charakter und auch den Geisteszustand des Feldherrn in den dunkelsten Farben beschreibt greift er lediglich das Wissen auf, dass wohl jeder höher gestellte Bürger Roms von Varus besaß, da es sich herum gesprochen hatte. Auch diese Textstelle 2,117 (2) ist ein Beleg dafür, dass Paterculus nur den allgemeinen Kenntnisstand der Zeit aufgriff und verschriftete um ihn dann wie gewohnt im negativen Sinne über zu betonen. Die Schuldfrage schien er eindeutig für gelöst zu halten. Auf den Verlauf der Schlacht ging er mit keinem Wort ein, was bereits einer Vorverurteilung gleich kommt.
2,117. (3)
„Als er (Varus) das Kommando über das Heer in Germanien innehatte, besaß er die Vorstellung, die Germanen seien Menschen, die nur Stimme und Körperbau mit Menschen gemein hätten und die man nicht mit Schwertern bezwingen, (sondern) nur durch das Recht zähmen könne“.
Bewertung:
Paterculus spricht Varus jegliches Einschätzungsvermögen in seine zukünftigen Aufgaben ab und bedient das Klischee der Überheblichkeit. Dafür begegnet uns hier in Reinform der mentale Zusammenprall zweier Persönlichkeiten, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Hier der im Kriegshandwerk geübte Befehlshaber und da der Diplomat im heiklen auswärtigen Dienst. Der eine sucht den Erfolg mit dem Schwert der andere mit den Paragraphen. Paterculus betont zwar richtigerweise, dass Varus die Armee befehligte, aber das Talent dazu spricht er ihm ab. Er verzichtete auch auf den Hinweis, dass Varus dies letztlich auf Anordnung des römischen Kaisers tat und unterstellte diesem natürlich nicht den falschen Mann nach Germanien entsandt zu haben. Dann ist Paterculus noch steigerungsfähig und möchte nun auch noch den letzten Zweifler verstummen lassen, dass es hier noch andere Schuldige oder Umstände hätte geben können die zur Niederlage führten, als nur Varus. Er spricht Varus jegliche Qualifikation ab und zieht andere Ursachen mit keiner Silbe in Erwägung. Insbesondere als ein scharfsinniger Militarist, hätte es seiner Glaubwürdigkeit keinen Abbruch getan, wenn er nun ein Kapitel hätte folgen lassen, in dem er auch anderen Überlegungen strategischer Natur Raum gegeben hätte, um sie als Grund für das Debakel heran ziehen zu können. So schien er schon nahezu verbohrt in seine Sicht der Dinge gewesen zu sein. Cassius Dio brachte zwar 200 Jahre später auch seine persönlichen Ansichten in sein Werk mit ein, sie waren aber im Gegensatz zu Paterculus, aus dem sogar persönlicher Zorn und Betroffenheit spricht, nicht Personen bezogen. Für Paterculus gab es nur einen Urheber. So bewarf er quasi stellvertretend für den Kaiser und seiner Duldung Varus mit dem angemessenen Schmutz.
2,117. (4)
„Mit diesem Vorsatz drang er mitten in Germanien ein, als ginge er zu Männern, die den süßen Frieden lieben, und er verpasste den Sommerfeldzug durch Rechtsprechungen und durch sein Wirken für die Rechts-) Ordnung vor seinem Tribunal“.
Bewertung:
Paterculus will das Fehlverhalten von Varus unter Einsatz aller rhetorischen Mittel fest schreiben. So möchte er jeden Verdacht entkräften, Varus könne am Untergang der drei Legionen am Ende doch noch unschuldig gewesen sein. Denn sein Hinweis darauf, dass der vermutlich der Einschüchterung dienende und scheinbare traditionelle Sommerfeldzug ohne Varus statt fand, weil es ihm wichtiger war die Zeit für die Rechtsprechung zu nutzen lässt erkennen, dass Paterculus als Militarist der Exekutive näher stand als der Judikative. Er registrierte es mit kritischem Unterton. Denn als erfahrener Offizier verurteilte er dieses Verhalten und erwartete von Varus, dass dieser mit seinen Legionen in der Großregion in Form von Feldzügen deutlichere Präsenz zu zeigen hatte als er es tat. Möglicherweise verachtete er sogar derartige Methoden. Rechtsprechung schien für ihn eher eine Nebensache gewesen zu sein und er bevorzugte den Waffeneinsatz. Was kann man aus dem Munde eines Militaristen auch anderes erwarten, als dass für ihn ein Feldzug mehr wog, als der beschauliche Aufenthalt in der Garnison. Man darf sich daher erneut fragen, ob wir in Paterculus bezogen auf die Varusschlacht noch einen objektiven Historiker sehen dürfen. Man könnte bei anderem Blickwinkel daraus sogar den Schluss ziehen, dass Varus für diese Position vielleicht sogar genau der richtige Mann gewesen sein könnte. Es lässt sich bei ihm heraus lesen, dass das Tribunal im Kastell an der Weser bereits eine feste Einrichtung, an diese Adresse gebunden und entfernt davon war, dass man sich darunter etwas Ambulantes vorzustellen hätte. Schnellgerichte hingegen fanden im Umfeld oder auf der Durchreise statt bzw. waren Feldzügen vorbehalten. Einen jener Gerichtstage plante er bekanntlich im Kreise jener Aufrührer abzuhalten, da wo Arminius ein Schiedsverfahren für eine geeignete Lösung hielt um die aufgebrachten Gemüter der dort ansässigen Germanen wieder etwas zu beruhigen.
2,118. (1)
„Die Germanen aber waren ein Menschenschlag, der bei aller Wildheit sehr schlau und zur Lüge geboren ist, täuschten eine Reihe scheinbarer Streitigkeiten vor, indem bald einer den anderen zum Streit herausforderte, um sich dann dankbar zu stellen, dass die römische Gerechtigkeit diesen beendete und ihre Wildheit sich durch eine neue, unbekannte Zucht legte und das, was gewöhnlich mit den Waffen entschieden wurde, nun auf dem Rechtsweg beendet würde; dadurch verleiteten sie Quintilius in einem Grade zur größten Sorglosigkeit, dass er glaubte, er spreche als Stadtprätor auf dem Forum Recht und kommandiere nicht mitten in Germanien ein Heer“.
Bewertung:
Die Vorwürfe gegen Varus wollen bei Paterculus kein Ende nehmen. Nachdem er den Hang von Varus für die Rechtsprechung gegen ihn ausgelegt hatte, stellt er nun sein Unvermögen heraus selbst die Täuschungsmanöver unterzivilisierter Germanen nicht durchschaut zu haben. Und wieder erinnerte er die Leser daran, dass Varus nach Germanien entsandt wurde und dort ein Heer zu befehligen hatte. Mit anderen Worten ausgedrückt hatte er nicht nur die Aufgabe Recht zu sprechen, sondern auch vom Mittel der Gewalt gebrauch zu machen. Ein interessanter Aspekt, denn Varus wird häufig seine übermäßige Brutalität nachgesagt, worin man sogar ein Grund für den Ausbruch der Varusschlacht sieht. Für Paterculus hingegen ging Varus offensichtlich noch nicht weit genug. Um aber über die Spitzfindigkeiten der Germanen bescheid zu wissen wie sie Varus hinters Licht führten, musste er über Quellen verfügt haben, die ihn über diese Methode informiert hatten. Geht man davon aus, dass dies nicht seiner Phantasie entsprang, dann musste und konnte dieses Insiderwissen ursprünglich nur aus dem Sommerlager von Personen gekommen sein, die bei Gerichtssitzungen anwesend waren. Auch hier stellt sich die Frage um wen es sich dabei gehandelt haben könnte, denn diese Person oder dieser Personenkreis müsste die Schlacht nicht nur überlebt haben, sie müsste auch später noch bereitwillig über das Treiben im Sommerlager Auskunft gegeben haben. Möglicherweise entstammte auch dieses Wissen wieder nur von einem einzigen Anwesenden und aufmerksamen Beobachter der Szenerie nämlich Segestes, der mit diesen Worten natürlich bei Paterculus offene Türen einrannte. Auch Segestes sah ebenso wie Arminius, wenn sie bei Varus zu Gast waren mit geübtem Blick das Geschehen und die alltäglichen Routineabläufe innerhalb des römischen Militärlagers. Ein normales Treiben, wie es sich für gewöhnlich im tiefen Frieden entfaltet. Und wie ließ sich besser ein zukünftiger Gegner studieren, als dass man sich unter ihn mischte. Es war sicherlich ein für unsere heutigen Augen ungewohntes Bild und erfordert einiges an Einfühlungsvermögen. Vielleicht ist es noch vergleichbar mit dem Leben im einstigen Fort Laramie, wo es dann allerdings die Stammesangehörigen der Lakota und Cheyenne waren die aus und ein gingen und den Warenaustausch betrieben und nicht die Cherusker oder Angrivarier. „Castra Höxter“ heute vom östlichen Gewerbegebiet der Stadt überdeckt, war eben der kleine Bruder des Castra Vetera. Aber für die im inneren Germaniens lebenden Menschen muss alles seltsam gewirkt haben, zumal wir heute wissen, dass es der damaligen Gefährdungslage nicht gerecht wurde. Denn die Realität sollte später ein düsteres Bild malen. So erkannte Segestes auch die eingespielte Ordnung einer überlegenen Zivilisation und die fortschrittliche Disziplin der römischen Streitkräfte und er verglich alles mit seinem Kulturkreis. Es sah beide Seiten der Medaille, hatte den Blick für die damalige Moderne und sah daher sein Volk eindeutig im Hintertreffen. Er spürte und erkannte die vielen kaum überbrückbaren Widersprüche und Gegensätze und sah schon zu früher Stunde die bedrohlichen Rauchsäulen am Horizont aufziehen.
2,118. (2)
„Damals gab es einen jungen Mann von vornehmer Abstammung, der persönlich tapfer, schnell von Begriff und über das Maß der Barbaren hinaus begabt war; er hieß Arminius, der Sohn Sigimers, eines Fürsten dieses Stammes; das Feuer seines Geistes verriet sich schon im Blick seiner Augen; auf unserem früheren Feldzug war er ein unablässiger Begleiter gewesen, der zu Recht auch die Auszeichnung des römischen Bürgerrechts, den Rang eines Ritters, erlangt hatte; er nutzte die Trägheit des Feldherrn als Gelegenheit zu einem Verbrechen aus.
Denn er hatte scharf beobachtet, dass niemand schneller überwältigt wird als derjenige, der nichts befürchtet, und dass die Sorglosigkeit der häufigste Beginn des Unglücks ist“.
Bewertung:
Arminius und Paterculus kannten sich persönlich wie man liest vom gemeinsamen Feldzug und so konnte Paterculus ihn charakterlich einschätzen. Auf die Weise wie er die Eigenschaften von Arminius lobte und würdigte, kritisierte er jene von Varus, äußerte sich herab lassend über ihn und stellte sich moralisch deutlich hinter Arminius. Vermutlich begegneten sich hier die Seelen zweier militärisch erfahrener Frontkämpfer auf Augenhöhe die gemeinsam auf Varus wie auf einen unerfahrenen Dilettanten herab blickten. Denn Militaristen verstanden sich untereinander immer schon und das auch Fronten übergreifend. Paterculus stellte nun alles, an bis dato gegenüber Varus geübter Kritik in den Schatten in dem er ihn unmittelbar mit einem Barbaren verglich und ihn mit ihm auf eine Stufe stellte. Dann noch im direkten Vergleich die Trägheit des Römers herauszustellen war der ultimative Gipfel dem sich ein römischer Feldherr, selbst „post mortem“ betrachtet ausgesetzt sah. Es muss Paterculus ein tiefes inneres Bedürfnis gewesen sein Varus ein weiteres Mal jegliche Führungstalente abzusprechen. Das Paterculus wusste, dass sein alter Weggefährte Arminius hinter dem Erfolg über Varus stand setzt erneut weitreichende Kenntnisse über die Befehlsstrukturen auf germanischer Seite voraus. Das Asprenas ihm diese Nachricht zukommen ließ ist denkbar. Wer es aber wieder genauer wusste war Segestes, der es im Jahre 17 + gegenüber dem römischen Tribunal ausgesagt haben könnte und es allen ins Stammbuch schrieb. Es lässt also wieder den Verdacht zu, dass es erneut Segestes war, der in Rom auch diese Zusammenhänge offen legte. Es ist aber anzumerken, dass Arminius nicht allein imstande war die germanische Koalition gegen Varus anzuführen. Arminius stützte sich auf die Großen seines Stammes und hatte sich auch an den verbündeten Stämmen zu orientieren, musste sich nach ihnen richten und sich auf sie verlassen können. Denn auch diese Stämme verfügten über angesehene Anführer, die uns aber allesamt namentlich nie bekannt geworden sind. Immer ist es nur Arminius, der dank Segestes den Sieg über die drei Legionen scheinbar im Alleingang für sich verbuchen darf. Nur Arminius seinem bekanntlich unangenehmsten Widersacher kreidete Segestes alle Untaten an. Und das deutliche Herausstellen von Arminius zeigt, dass Segestes den Zorn des ganzen Imperiums nur auf diese eine Person lenken wollte. Ebenso wie es Paterculus mit Varus tat und schon herrschte unter ihnen wieder Einigkeit. Hätten wir noch andere hautnahe Beteiligte des Geschehens als Segestes, dann hätten wir vermutlich auch noch die Namen von Fürsten aus den Stämmen der Brukterer, Chatten oder Marser erfahren. Sie alle gingen namenlos in die Geschichte ein wohl wissend, dass Arminius ohne ihre Hilfe sein Ziel nie erreicht hätte. Aber wieder verdichten sich alle Informationsstränge auf Segestes. Aber wie Arminius es näher anstellte Varus zu besiegen bleibt bei Paterculus weiterhin im Dunklen. Und so lässt sich sein germanischer Feind von einst selbst bis heute noch immer nicht in allen Punkten in die Karten schauen. Aber im Zusammenwirken mit allen Quellen und unter Zuhilfenahme aller erreichbaren Faktoren kommt man der Sachlage immer näher, kann ihr nach und nach viele Geheimnisse entlocken und so ist man der Schlachtenfährte dicht auf den Fersen.
2,118. (3)
„Also weihte er anfangs nur wenige, dann aber mehrere in seinen Plan ein; er behauptete und überzeugte sie davon, dass die Römer überwältigt werden könnten, ließ diesen Beschlüssen sofort Taten folgen und setzte den Termin für den Anschlag fest“.
Bewertung:
Hier wird Paterculus überaus und fasst schon erschreckend deutlich. Er legt sich so eindeutig fest, dass man an seinen präzisen Äußerungen schon fasst zweifeln könnte. Denn offensichtlich war ihm schon nahezu minutiös die Vorgehensweise von Arminius bekannt und er wusste genau, wie dieser damals strategisch dachte und vor ging. Ein unstrittiger Hinweis darauf, wie hoch sein Kenntnisstand war über den er verfügte. Allein das Wissen darüber, dass er anfangs nur wenige in seine Planung einweihte ist bezeichnend und es lässt sich nur auf die germanische Führungsriege beziehen, zu der auch Segestes zählte. Danach konnte Arminius wie Paterculus schreibt, auch mehr und mehr alle anderen vom Gelingen seiner Pläne überzeugen. Vermutlich wuchs im Verlauf der Zeit der Kreis der Mitwisser zwangsläufig stetig an und damit wurde aus seinen Überlegungen ein offenes Geheimnis. Es war ein Geheimpakt dessen Inhalt Varus nie zu Ohren kam, sonst hätte er definitiv anders reagiert. Es gab aber auch Männer die Arminius zuerst überzeugen musste. Zögerliche Zweifler, Gegenspieler, vielleicht sogar ernst zu nehmende Kritiker und er musste seinen Plan immer wieder mit ihnen absprechen und auf Wünsche und Befindlichkeiten Rücksicht nehmen. Unter diesen könnten sich möglicherweise auch Männer aus dem Hause Segestes befunden haben. Und Paterculus war, und das kann man wohl als den Höhepunkt seiner Überlieferung bezeichnen, sogar bekannt, das Arminius bereits einen Termin für den Überfall, was andere Hinterhalt nannten, festgelegt hatte. Aber Paterculus konnte alle diese Details gar nicht gewusst haben. So drängt sich auch der Verdacht auf, dass hier ein Paterculus den Sachverhalt so darstellte, wie er es wohl an der Stelle von Arminius getan hätte. So könnte er sich auch als ein erfahrener und ähnlich denkender Frontkämpfer in die Lage von Arminius hinein versetzt haben. Denn über noch mehr Kenntnisse und Insiderwissen des Feindes zu verfügen, als es Paterculus erstaunlicherweise besessen haben soll, war schon nahezu unmöglich. Es deutet entweder auf eine ausgeprägte Phantasie seiner Person oder auf einen guten Informanten im germanischen Lager hin. Aber über diesen umfassenden strategischen Kenntnisstand konnten damals selbst in Germanien in der frühen Phase nur sehr wenige Personen der Oberschicht verfügt haben. Es bezeugt auf irritierende Weise das Vorhandensein eines tiefen Einblicks in das Geheimwissens und die Befehlsstrukturen in prähistorischer Zeit explizit in die innergermanischen Vorbereitungen einer Großschlacht. Ein Umstand, der uns heute nur verblüffen kann und daher höchst irritierend wirkt. Denn Paterculus lässt mit seiner Darstellung über die Vorgehensweise von Arminius klar erkennen, dass dieser nicht nur über eine Portion Überzeugungskraft und strategisches Denken verfügte, sondern bereits ein umsetzbares Konzept besaß. Und alles Schritt für Schritt bis ins Detail voraus geplant hatte. Und wer da Germanentum noch mit steinzeitlichen Vorstellungen oder archaischem Kriegsgeheul verbinden möchte, verkennt spätestens in diesem Moment die damalige Lage. Und über das Wissen konkreter Angriffszeitpunkte konnten sich nur wenige Teilnehmer ausgelassen haben. Und auch nur dem Imperium nahestehende und vor allem Überlebende wären dazu imstande gewesen zu berichten. Acht Jahre später könnte dieser umfängliche und damals nicht für fremde Ohren bestimmte Plan die Wissbegierigen am Hofe des Kaisers erreicht haben. Eines will jedoch spätestens in diesem Zusammenhang nicht mehr in das uns überlieferte historische Konzept hinein passen. Nämlich jene Vorstellung, dass Segestes dieses Wissen im Vorfeld dem Feldherrn gegenüber mitgeteilt haben soll um ihn zu warnen. So kann man bei der Lektüre nur darüber staunen, dass hier soviel Hintergrundwissen zum Vorschein kommt. Es wirkt nahezu beängstigend und nach dem wir dies alles wissen wird uns auch klarer, wie weit der Kenntnisstand in Rom über den Verlauf der Schlacht zumindest in groben Zügen gewesen sein muss. All dies verdeutlicht wie kaum eine andere Passage wie schmachvoll man es in Rom aufgefasst haben muss und das es um es verarbeiten zu können nur eine Lösung gab damit fertig zu werden. Es nämlich weitest gehenst zu verschweigen. Um aber die Vorgänge halbwegs interpretieren zu können müssen wir auf Tacitus zurück greifen. Er berichtete, dass es der Arminiuskoalition später sogar gelang Segestes mit in den Krieg gegen Varus „hinein ziehen“ zu können. Und diese allgemein akzeptierte Übersetzung nährt den Verdacht, dass es im Vorfeld der Varusschlacht enge Kontakte zwischen dem Segimer – und dem Segestesclan hinsichtlich seiner Teilnahme und der seiner Männer an der Schlacht gab. Kontakte, Gespräche Thingversammlungen gleich wie man es nennen möchte in denen es auch um gemeinsame Diskussionen und Abstimmungen zur Vorgehensweise ging. Segestes nahm an allen Treffen teil, bei denen Arminius um Unterstützung warb und wenn er verhindert war, hatte er seine Zuträger. Denn das zumindest teilweise Männer aus dem Hause Segestes auch gegen Varus kämpften wissen wir seitdem man Germanicus 15 + in der Segestesburg stolz die erbeuteten oder zugeteilten Waffen aus der Varusschlacht präsentierte. Segestes war Cherusker und kannte die Strategie seiner Landsleute wie kein anderer und er erlebte nicht nur selbst mit, wie man Varus mit vorgetäuschten Streitfällen in Sicherheit wog. Auch die gesamte sich über Wochen hoch kochende Lage und Zuspitzung kurz vor der Schlacht entging ihm nicht. Und da Paterculus einen derart guten Einblick hinter die germanischen Kulissen vor der Schlacht besaß, darf man davon ausgehen, dass Paterculus dieses Wissen aus dem engsten Kreis der cheruskischen Anführergruppe später in Rom erfuhr. Denn hier wird von ihm unmissverständlich ein taktisches Szenario beschrieben an dem nur absolut zuverlässige, also handverlesenen Vertraute beteiligt waren bzw. zuhören durften. Paterculus verdeutlicht die Problematik mit der Arminius unter den Anführern und Großen um Zustimmung für seine Strategie nahezu ringen musste und er sich nach und nach ihrer Loyalität zu versichern hatte. Ein Akt der erkennen lässt, wie damals alles auf des Messers Schneide stand. Ein Prozess dem dann aber ein gemeinsamer Beschluss folgte. Ein Resultat, dem sich dann auch alle Beteiligten und einstigen Kritiker beugten, sich verschworen und unterwarfen. Und demnach auch Segestes. Wer anders als Segestes hätte über diese Detailinformationen verfügt haben sollen. Geheimwissen, dass er später zu Protokoll geben konnte und das von Paterculus aufgegriffen wurde. Paterculus musste aber den Namen Segestes als Quelle verschweigen. Denn hätte er im Zuge seiner Überlieferung auch nur einmal einen Germanen als eine wichtige Hintergrundperson für sein Wissen angeführt und noch dazu Segestes den Überläufer, dann hätte sein gesamtes Werk darunter gelitten. Er hätte seine Glaubwürdigkeit auf`s Spiel gesetzt, man hätte die Stirn gerunzelt und es als bedenklich bis fragwürdig hingestellt. Und das bereits zu seinen Lebzeiten. Nur germanische Quellen vorweisen zu können hätte nicht überzeugt aber römische Namen oder Gewährsleute konnte oder wollte er auch nicht nennen. Aber den letzten Halbsatz der Textstelle muss man sich schon fasst auf der Zunge zergehen lassen. Modern eingekürzt lautet er, „Am Ende der letzten Versammlung legte man den Tag fest, an dem man die Legionen angreifen wollte“. Nun stimmt auch die Chronologie wieder etwas, denn damit hat sich Paterculus wieder unserem Allgemeinwissen angenähert. Und von nun an darf man auch von ihm etwas zum eigentlichen Schlachtverlauf erwarten, denn bald sollte es ernst werden. Und es leuchtet auch ein. Denn der Zeitpunkt der Arminius vorschwebte ließ sich präzise terminieren. Denn es war kein X beliebiger Tag. Es war der von Varus festgelegte Tag, der Ausmarschzeitpunkt aus dem Sommerlager. Ein fixer vielleicht schon traditionell zu nennender Anhaltspunkt, der allen Germanen bekannt war und den sie nutzen mussten. Ein Tag an dem alle Legionäre gleichzeitig auf dem Weg zum Rhein waren, während sich ein Teil von ihnen in Brakel abspaltete um von dort in getrennter Formation zuerst die Rebellen aufzusuchen. Und wie Kanonenfutter mussten sie alle an ihnen wie im Spalier vorbei „paradieren“. Der entscheidende Moment in dem sich eine Armee als verletzlich erweist, ungeschützt und daher gut angreifbar war. Wie ein Heerwurm schlängelten sich die Römer durch ihre Stammesgebiete, Wege die den Germanen bekannt waren. Kein Römer blieb zurück, alle waren auf den Beinen und sie ließen ihr wehrhaftes, weil befestigtes Lager hinter sich. Es steckte also keine große strategische Meisterleistung dahinter, sich für diesen Termin zu entscheiden, denn es gab keinen besseren. Die Stunde Null hatte am Morgen des Rückzuges zum Rhein geschlagen. Paterculus war also bestens darüber informiert wie sich der germanische Feind auf die Schlacht vorbereitet hatte und schwieg trotzdem über den weiteren Verlauf. Wer aber den Sachverhalt bis zu diesem Zeitpunkt kannte wie Paterculus, der wusste auch noch etwas von dem, was danach passieren würde.
2,118. (4)
„Varus wurde das durch einen treuen und vornehmen Mann aus jenem Stamm namens Segestes aufgedeckt. Varus hatte das Schicksal die ganze Schärfe seines Geistes verblendet. Die Dinge liegen ja so, dass meistens ein Gott die Pläne eines Menschen, dessen Schicksal er ändern will, zerbricht und, was am bejammernswertesten ist, bewirkt, dass das, was geschieht, scheinbar auch noch verdientermaßen geschehen ist und der Zufall zur Schuld wird. Varus weigerte sich also, das zu glauben, und erklärte, er halte den Anschein des ihm entgegen gebrachten Wohlwollens für verdient. Doch nach dem ersten Warner blieb kein Platz mehr für einen zweiten“.
Bewertung:
Hier geht Paterculus auf die Tat des Segestes ein, zu der es meines Erachtens nie kam. Er gibt an, dass Varus durch Segestes, den er als einen vornehmen und treuen Mann aus dem Stamm der Cherusker hervor hebt vorher noch gewarnt wurde. Und wieder war für ihn ein Germane höher wertiger als Varus. Dann schüttete Paterculus wie gewohnt unverhohlen erneut die geballte Schelte des Versagens über Varus aus. Zuletzt wird Paterculus noch mal sehr präzise, denn er erwähnt explizit, dass Varus nur ein einziges Mal von Segestes gewarnt wurde. Er geht aber inhaltlich nicht näher darauf ein, wie und wann Segestes Varus gewarnt haben will, bzw. wie deutlich und eindringlich dieser geworden ist. Denn es gibt auch da unterschiedliche Oktaven der Intensität. Aber der klare Hinweis darauf, dass es nur zu einer Warnung kam macht stutzig. Angesichts einer doch derart eklatanten Bedrohungslage spricht Paterculus nur von lediglich einem an Varus ergangenen Warnruf. Paterculus entnahm es so seiner Vorlage oder sogar aus dem Munde von Segestes, den er auch persönlich gesprochen haben könnte und hielt diesen Tatbestand für offensichtlich so zuverlässig, dass er ihm glaubhaft erschien. Segestes habe Varus also nur einmal warnen brauchen und es steckte darin die unüberhörbare Botschaft, dass Gefahr in Verzug sei. Eine einzige und einmalige Warnung die auf seine Ignoranz gestoßen sein soll, sollte demnach also in der gefährlichsten Phase im Leben des Varus genügt haben. Denn für weitere Warnrufe ließ die Dynamik der Ereignisse nach Paterculus zu urteilen keine Zeit mehr. Zu eindringlicheren und wirksameren Worten mit denen Varus sich vielleicht noch hätte überzeugen oder umstimmen lassen können kam Segestes also nicht mehr bzw. er ließ es damit bewenden und vertiefte seine Äußerungen dazu in Rom nicht weiter. Ob er sich zumindest darum bemühte noch weitere Warnungen unterzubringen bleibt in seinen Aussagen demnach offen. Vielleicht ließ es Segestes damit auch bewenden, da er damit in Rom bereits genügend Glaubwürdigkeit auslöste. Segestes verzichtete auch darauf noch zusätzliche Personen zu gewinnen um diese überzeugender in die Warnungen mit einbeziehen zu können, um zu unterstreichen, dass es ihm wirklich ernst damit gewesen wäre Varus die drohende Gefahr unmissverständlich zu verdeutlichen. Mehrere Warner hätten allemal mehr Gewicht gehabt, als nur eine Person. Auch davon ist keine Rede. Segestes will immer nur der alleinige Rufer in der Wüste gewesen sein. Was nicht verwundert, denn andernfalls hätte er Namen von Personen nennen müssen die in dieser Situation auf seiner Seite standen. Aber dieses Risiko ging er nicht ein, denn so hätte seine nur vorgetäuschte Warnung auffliegen können. Cassius Dio erkannte vermutlich 200 Jahre später diese Irritation indem er kraft seiner Worte zu der Überzeugung gelangte, „das allen, (mit Betonung auf allen) die mit Argwohn die Entwicklung (im Vorfeld der Varusschlacht) beobachteten und (Varus) zur Vorsicht mahnten“. Er vertrat demnach die Auffassung, dass es damals eigentlich mehrere warnende Stimmen gegeben haben sollte, als nur Segestes, weil er es einfach für logisch hielt, obwohl er dafür keinen Anhaltspunkt hatte. Nach Paterculus warnte jedoch nur ein Germane den Feldherrn und der hieß Segestes. Für Varus besaß also Segestes nicht die nötige Glaubwürdigkeit und er vertröstete ihn nur. Wäre Segestes aber in einer Gruppe gleichgesinnter ebenfalls „ehrenhafter“ Germanen aufgetreten, dann hätte Varus es nicht mehr abtun oder mit einer schroffen Handbewegung zur Seite wischen können. Aber dieser Dissens in der Darstellung fiel den Fragestellern in Rom damals nicht auf oder wollte ihnen nicht auffallen. Aber man wollte andererseits auch nicht tief in sein sicherlich konfuse vorgetragenes Stückwerk eindringen, da man sich sich in der Kernbewertung seiner Aussage schon im Vorfeld mit ihm einig war. Man muss es sich noch mal vergegenwärtigen. Paterculus einer unserer zuverlässigsten Quellen erwähnt, dass Segestes für Varus nur einen einzigen Warnhinweis übrig hatte. Und das vor dem Hintergrund, dass hier das Leben tausender von Menschen auf dem Spiel stand. Soldaten, Zivilisten, Römer und Germanen und da soll oder will Segestes nur einmal den Mund aufgemacht haben. Segestes wusste auch um die enorme Dimension des germanischen Aufgebotes, dass sich den Legionen nun in den Weg stellen würde und soll Varus nun sehenden Auges in sein Verderben entlassen haben. Und Segestes soll daran sogar möglicherweise noch selbst mit beteiligt gewesen sein. So verwundert es auch nicht, dass die Geschichtsforschung seit Jahrhunderten an dieser Stelle schwer ins Straucheln geriet. Segestes wusste auch von der schlagkräftigen Kernmannschaft die Arminius aus seinen ehemaligen Auxiliarkräften um sich geschart hatte und konnte sich also ausmalen, was auf Varus zukam. Allein vor dem Hintergrund betrachtet, dass Varus nur einmal auf die Gefahr angesprochen worden sein soll, gerät die gesamte Plausibilität ins Wanken und konnte nie glaubwürdig klingen. Aber es genügte der römischen Untersuchungskommission im Frühjahr 17 +. Und da es von Segestes weder einen und auch nicht mehrere Warner gab, löste Varus später auch keine wie auch immer gearteten Vorkehrungsmaßnahmen aus, um sich auf eine ernsthafte Schlacht einzustellen. Aber es war auch nicht nötig, dass Segestes in Rom überzeugend vortrug wie Hartnäckigkeit er doch Varus im Zelt anging, denn man wollte ihm auch so glauben. Statt das nun Paterculus den Schwenk zum Hergang der Schlacht vollzieht, greift er zurück und widmet sich dem Informanten Segestes um ihn mit in sein Geflecht vom alleinschuldigen Varus einzubinden. Für Segestes findet er geschmeidige Worte der Hochachtung, womit sich Varus erneut erniedrigen ließ. Paterculus war sich sicher, dass der Missachtung der Segesteswarnung unausweichlich die Strafe folgen musste. Paterculus kannte das tragische Ende der Schlacht, glaubte Segestes, oder wollte ihm glauben, dass dieser Varus gewarnt hatte und sah darin den schicksalhaften Wendepunkt. Weitere Warnungen waren überflüssig die Sachlage passte in sein Konzept und er spürte, dass ab diesem Moment die Uhr von Varus begann abzulaufen. Sozusagen eine perfekte Theorie mit der sich Geschichte machen ließ. Nun war alles zu spät, die Götter hatten Varus den Verstand vernebelt, die Weichen waren gestellt, Segestes hatte sein Möglichstes getan und die Dinge nahmen ihren Lauf. Auch in Unkenntnis der Örtlichkeit wo sich die Schlacht genau zutrug, musste Paterculus auf weitere Details zum Hergang zwangsläufig verzichten. Der Rückmarsch verlief diffuse durch unbekanntes Terrain, Segestes konnte dazu im Rom keine Angaben machen, die man dort verstanden hätte, zumal er Varus im Gegensatz zu Arminius auf der ersten Wegstrecke wohl auch nicht begleitet hatte. Ob und wann er sogar selbst ins Kampfgeschehen mit eingegriffen haben könnte wird ebenfalls nicht deutlich. Auch über die Umstände des ersten Nachtlagers am Abend des ersten Marschtages in Brakel erfährt man von Paterculus nichts. Wege, Höhenzüge und Waldgebiete die weder germanische noch lateinische Bezeichnungen trugen, römische Meilensteine die noch nicht existierten und Rastlager oder dorfähnliche Ansiedelungen die noch namenlos waren, verhinderten jegliche Verortung und machten alle Lokalisierungsversuche zunichte. Hier riss unwiderruflich nicht nur bei Paterculus der Faden. (27.11.20)
Ob sich Paterculus unter den Legionen befand, die schon im Frühjahr 6 + unter Tiberius von Carnuntum ins Reich des Marbod aufbrachen und nicht erst im Pannonienkrieg dazu stieß ist nicht überliefert aber wenig wahrscheinlich, da er in diesem Jahr in Rom auch zum Quästor ernannt wurde. Aber er wusste das Tiberius auch schon für diesen Feldzug alle Kräfte aufbieten musste und daher auch auf Legionäre der Varus Legionen zurück griff. Kampfeinheiten die möglicherweise über die nördlich Route vom Niederrhein kommend über die Weser und den Südharz anrückten und sich später mit Saturninus vereinigen sollten, dem sie unterstellt waren. An anderer Stelle hatte ich dazu den Verdacht geäußert, dass sich diese Zugrichtung mit einem anderen Fundkomplex gedeckt haben könnte. Denn dann wäre die Armee möglicherweise über Hachelbich in Form einer Zangenbewegung im Rücken von Marbod vorgerückt. Die dort ergrabene Lagerdimension spricht für 8 bis 9000 Soldaten und könnte in der Summe jene Anzahl wieder spiegeln, die Varus aber auch Asprenas an Tiberius abgeben musste. Insgesamt militärische Entscheidungen die dem Desaster am Saltus voraus gingen um dann mit hinein zu spielen. Tiberius hatte dies indirekt mit zu verantworten und Männer wie Paterculus die dabei halfen die überregionale Verbindung zwischen den zwei Großereignissen wie der Varusschlacht und dem Markomannenfeldzug zu verschleiern und herunter zu spielen, waren Tiberius recht. Das diese Einschätzung des Kaisers nicht völlig unbegründet ist, lässt sich auch den Tacitus Annalen entnehmen. Denn unter 4.74 (1) schreibt er, dass Tiberius im Zuge der Niederlage der römischen Armee gegen die Friesen im Jahre 28 + die Verluste unter den römischen Soldaten verheimlicht haben soll. Er tat dies um zu vermeiden, dass nach Schuldigen gesucht wird. Vergangene Fehlentscheidungen oder Versäumnisse aufzuarbeiten lagen also nicht unbedingt im Interesse des Kaisers, wenn es nicht in sein Konzept passte. Anders sprang man allerdings mit Varus um, dem Paterculus sein Fehlverhalten vehement ankreidete. Offensichtlich war es opportun in diesem Fall mit zweierlei Maß messen zu dürfen. Denn der von Augustus angeordnete und von Tiberius voran getriebene und geführte Militäreinsatz gegen die Markomannen trug entschieden mit dazu bei, dass Varus in Ostwestfalen geschwächt in die Schlacht ziehen musste und die cheruskischen Hilfstruppen im Jahr 9 + für ihn umso unverzichtbarer wurden bzw. er sogar auf sie angewiesen war. So wirken Paterculus und Tiberius wie ein gut aufeinander eingespieltes Team. Paterculus ein geistig beweglicher Berater, Reiterpräfekt und Haudegen der dem damals noch zweiten Mann im Staate und zukünftigen Kaiser zur Seite stand und der das ganze Gegenteil eines Varus verkörperte. Man könnte schon fasst auf den Gedanken kommen, dass er sich sogar selbst Hoffnungen auf die Statthalterposition in Germanien gemacht hatte und hier völlig andere Hintergründe eine Rolle spielten. Paterculus hinterließ, wie auch andere Quellen die wir nutzen nur auf den ersten Blick ein literarisches Rätselwerk. Aber bei genauem Hinsehen passen seine facettenreiche Aussagen gut ins Gesamtbild der Varusschlacht. Ungeachtet dessen, dass auch sein Werk Spuren erkennen lässt, das Rückschlüsse auf seine Herkunft erkennen lassen, decken sie sich in vielen Bereichen mit dem Allgemeinwissen seiner Zeit. Seine persönliche Vorstellungen und Ansichten wechseln sich mit plausiblen Fakten ab und auf tendenziöse Einschätzungen wollte er nicht verzichten und ließ sie stetig in sein Textwerk einfließen. Aber sie lassen sich isolieren und deuten. Ein Textaufbau der hinterfragt sein will. Was seine Informationen über die Varusschlacht anbelangt, so ist eine strukturierte Herangehensweise unvermeidbar. Aber wir müssen bescheiden sein, denn wie schon im letzten Kapitel zum Ausdruck gebracht, hatte auch Paterculus nicht viel dafür übrig den Wissensdurst der Nachwelt zu stillen. So geht er in seinen Aufzeichnungen auch nur wenige Male auf den unmittelbaren Verlauf der Varusschlacht ein. Es sind dies seine militärisch geprägten Aussagen innerhalb jener Textstellen in denen er bedauert, dass man es den römischen Soldaten verbot sich zu wehren, er sein Lob und Tadel für die beiden Lagerkommandanten ausspricht und er die Desertion des Reiterpräfekten Vala als einen schändlichen Akt darstellt.
Sein Werk zu kommentieren ist recht umfassend, so dass es in zwei Teile aufgesplittet wurde.
Aber zuvor sein Bericht mit den jeweiligen Bewertungsblöcken:
2,117. (1)
„Caesar hatte gerade die letzte Hand an den Pannonischen und Dalmatischen Krieg gelegt, als innerhalb von fünf Tagen nach der Beendigung ein unheilvoller Brief aus Germanien die Nachricht brachte, Varus sei gefallen und drei Legionen und ebenso viele Reiterabteilungen sowie sechs Kohorten seien niedergemetzelt, so als habe das Schicksal allein wenigstens darin Nachsicht gegen uns geübt, dass der Feldherr nicht mehr in Anspruch genommen war.
Die Sache aber und die Person zwingen zum Verweilen“.
Bewertung:
Für Paterculus unterlag hier nicht bloß eine römische Armee ihrem Gegner. Er bewertete den Ausgang auf der untersten Stufe eines Schlagabtausches. So war es in seinen Augen nicht nur eine Niederlage wie andere auch, sondern ein Dahinmetzeln. In seinen Worten bringt er damit auch eine massive Überlegenheit des germanischen Gegners zum Ausdruck. Und Boten trugen die Schreckensnachricht also nicht nur nach Rom, sondern auch an die dalmatische Küste und somit wohl auch in einige andere bedeutsame Zentren römischer Macht. Der wertvolle terminologische Zeitbezug, eine nahezu komplette Verlustenliste und die Tatsache, dass sich Varus, da er sich tötete nun nicht mehr zur Rechenschaft ziehen lässt, hört sich wie der knappe Mitschnitt einer verspäteten Kurzreportage oder Nachrichtensendung an, der nur das absolut Nötigste zu enthalten hatte. Der Rest sollte dann einer Sondersendung vorbehalten sein, die nie ausgestrahlt wurde. Es wirkt wie das ultimative Eingeständnis eines Regierungssprechers der für ein Staatsorgan tätig war und es als Trauerbotschaft nur auf die reine Sache bezogen zu informieren hatte. Es gab also nach der langen Zeit die verstrichen war eigentlich schon gar nichts mehr zu sagen, denn die Fakten sprachen für sich. Eine Darstellung wie sie sich kaum besser einem Mann zuordnen lässt, der zuvorderst das Staatswohl im Auge hatte. Die Quelle der ursprünglichen Nachricht vom Niederrhein wird man im Umfeld von Asprenas oder bei ihm persönlich zu suchen haben, da dieser auch die Stärke der Varusarmee kannte und nach Varus Tod der ranghöchste Militär an diesem Frontabschnitt war. Aber die Örtlichkeit zu definieren und die näheren Umstände der Schlacht darzustellen war selbst 20 Jahre nach der Schlacht immer noch nicht von Belang. Paterculus vermied es auf sie einzugehen, aber vielleicht hätte er auch selbst gerne mehr über den Verlauf gewusst.
2,117. (2)
„Varus Quintilius, der aus einer eher angesehenen als altadligen Familie stammte, war ein Mann mit sanftem Wesen und ruhigem Charakter, unbeweglich an Körper und mehr noch an Geist und eher an Lager- als an den Kriegsdienst gewöhnt; dass er aber Geld nicht verachtete, zeigte Syrien, wo er Statthalter gewesen war: Arm hatte er das reiche (Syrien) betreten, als Reicher ließ er es arm zurück“.
Bewertung:
Abgesehen davon, dass uns Paterculus den Charakter und auch den Geisteszustand des Feldherrn in den dunkelsten Farben beschreibt greift er lediglich das Wissen auf, dass wohl jeder höher gestellte Bürger Roms von Varus besaß, da es sich herum gesprochen hatte. Auch diese Textstelle 2,117 (2) ist ein Beleg dafür, dass Paterculus nur den allgemeinen Kenntnisstand der Zeit aufgriff und verschriftete um ihn dann wie gewohnt im negativen Sinne über zu betonen. Die Schuldfrage schien er eindeutig für gelöst zu halten. Auf den Verlauf der Schlacht ging er mit keinem Wort ein, was bereits einer Vorverurteilung gleich kommt.
2,117. (3)
„Als er (Varus) das Kommando über das Heer in Germanien innehatte, besaß er die Vorstellung, die Germanen seien Menschen, die nur Stimme und Körperbau mit Menschen gemein hätten und die man nicht mit Schwertern bezwingen, (sondern) nur durch das Recht zähmen könne“.
Bewertung:
Paterculus spricht Varus jegliches Einschätzungsvermögen in seine zukünftigen Aufgaben ab und bedient das Klischee der Überheblichkeit. Dafür begegnet uns hier in Reinform der mentale Zusammenprall zweier Persönlichkeiten, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Hier der im Kriegshandwerk geübte Befehlshaber und da der Diplomat im heiklen auswärtigen Dienst. Der eine sucht den Erfolg mit dem Schwert der andere mit den Paragraphen. Paterculus betont zwar richtigerweise, dass Varus die Armee befehligte, aber das Talent dazu spricht er ihm ab. Er verzichtete auch auf den Hinweis, dass Varus dies letztlich auf Anordnung des römischen Kaisers tat und unterstellte diesem natürlich nicht den falschen Mann nach Germanien entsandt zu haben. Dann ist Paterculus noch steigerungsfähig und möchte nun auch noch den letzten Zweifler verstummen lassen, dass es hier noch andere Schuldige oder Umstände hätte geben können die zur Niederlage führten, als nur Varus. Er spricht Varus jegliche Qualifikation ab und zieht andere Ursachen mit keiner Silbe in Erwägung. Insbesondere als ein scharfsinniger Militarist, hätte es seiner Glaubwürdigkeit keinen Abbruch getan, wenn er nun ein Kapitel hätte folgen lassen, in dem er auch anderen Überlegungen strategischer Natur Raum gegeben hätte, um sie als Grund für das Debakel heran ziehen zu können. So schien er schon nahezu verbohrt in seine Sicht der Dinge gewesen zu sein. Cassius Dio brachte zwar 200 Jahre später auch seine persönlichen Ansichten in sein Werk mit ein, sie waren aber im Gegensatz zu Paterculus, aus dem sogar persönlicher Zorn und Betroffenheit spricht, nicht Personen bezogen. Für Paterculus gab es nur einen Urheber. So bewarf er quasi stellvertretend für den Kaiser und seiner Duldung Varus mit dem angemessenen Schmutz.
2,117. (4)
„Mit diesem Vorsatz drang er mitten in Germanien ein, als ginge er zu Männern, die den süßen Frieden lieben, und er verpasste den Sommerfeldzug durch Rechtsprechungen und durch sein Wirken für die Rechts-) Ordnung vor seinem Tribunal“.
Bewertung:
Paterculus will das Fehlverhalten von Varus unter Einsatz aller rhetorischen Mittel fest schreiben. So möchte er jeden Verdacht entkräften, Varus könne am Untergang der drei Legionen am Ende doch noch unschuldig gewesen sein. Denn sein Hinweis darauf, dass der vermutlich der Einschüchterung dienende und scheinbare traditionelle Sommerfeldzug ohne Varus statt fand, weil es ihm wichtiger war die Zeit für die Rechtsprechung zu nutzen lässt erkennen, dass Paterculus als Militarist der Exekutive näher stand als der Judikative. Er registrierte es mit kritischem Unterton. Denn als erfahrener Offizier verurteilte er dieses Verhalten und erwartete von Varus, dass dieser mit seinen Legionen in der Großregion in Form von Feldzügen deutlichere Präsenz zu zeigen hatte als er es tat. Möglicherweise verachtete er sogar derartige Methoden. Rechtsprechung schien für ihn eher eine Nebensache gewesen zu sein und er bevorzugte den Waffeneinsatz. Was kann man aus dem Munde eines Militaristen auch anderes erwarten, als dass für ihn ein Feldzug mehr wog, als der beschauliche Aufenthalt in der Garnison. Man darf sich daher erneut fragen, ob wir in Paterculus bezogen auf die Varusschlacht noch einen objektiven Historiker sehen dürfen. Man könnte bei anderem Blickwinkel daraus sogar den Schluss ziehen, dass Varus für diese Position vielleicht sogar genau der richtige Mann gewesen sein könnte. Es lässt sich bei ihm heraus lesen, dass das Tribunal im Kastell an der Weser bereits eine feste Einrichtung, an diese Adresse gebunden und entfernt davon war, dass man sich darunter etwas Ambulantes vorzustellen hätte. Schnellgerichte hingegen fanden im Umfeld oder auf der Durchreise statt bzw. waren Feldzügen vorbehalten. Einen jener Gerichtstage plante er bekanntlich im Kreise jener Aufrührer abzuhalten, da wo Arminius ein Schiedsverfahren für eine geeignete Lösung hielt um die aufgebrachten Gemüter der dort ansässigen Germanen wieder etwas zu beruhigen.
2,118. (1)
„Die Germanen aber waren ein Menschenschlag, der bei aller Wildheit sehr schlau und zur Lüge geboren ist, täuschten eine Reihe scheinbarer Streitigkeiten vor, indem bald einer den anderen zum Streit herausforderte, um sich dann dankbar zu stellen, dass die römische Gerechtigkeit diesen beendete und ihre Wildheit sich durch eine neue, unbekannte Zucht legte und das, was gewöhnlich mit den Waffen entschieden wurde, nun auf dem Rechtsweg beendet würde; dadurch verleiteten sie Quintilius in einem Grade zur größten Sorglosigkeit, dass er glaubte, er spreche als Stadtprätor auf dem Forum Recht und kommandiere nicht mitten in Germanien ein Heer“.
Bewertung:
Die Vorwürfe gegen Varus wollen bei Paterculus kein Ende nehmen. Nachdem er den Hang von Varus für die Rechtsprechung gegen ihn ausgelegt hatte, stellt er nun sein Unvermögen heraus selbst die Täuschungsmanöver unterzivilisierter Germanen nicht durchschaut zu haben. Und wieder erinnerte er die Leser daran, dass Varus nach Germanien entsandt wurde und dort ein Heer zu befehligen hatte. Mit anderen Worten ausgedrückt hatte er nicht nur die Aufgabe Recht zu sprechen, sondern auch vom Mittel der Gewalt gebrauch zu machen. Ein interessanter Aspekt, denn Varus wird häufig seine übermäßige Brutalität nachgesagt, worin man sogar ein Grund für den Ausbruch der Varusschlacht sieht. Für Paterculus hingegen ging Varus offensichtlich noch nicht weit genug. Um aber über die Spitzfindigkeiten der Germanen bescheid zu wissen wie sie Varus hinters Licht führten, musste er über Quellen verfügt haben, die ihn über diese Methode informiert hatten. Geht man davon aus, dass dies nicht seiner Phantasie entsprang, dann musste und konnte dieses Insiderwissen ursprünglich nur aus dem Sommerlager von Personen gekommen sein, die bei Gerichtssitzungen anwesend waren. Auch hier stellt sich die Frage um wen es sich dabei gehandelt haben könnte, denn diese Person oder dieser Personenkreis müsste die Schlacht nicht nur überlebt haben, sie müsste auch später noch bereitwillig über das Treiben im Sommerlager Auskunft gegeben haben. Möglicherweise entstammte auch dieses Wissen wieder nur von einem einzigen Anwesenden und aufmerksamen Beobachter der Szenerie nämlich Segestes, der mit diesen Worten natürlich bei Paterculus offene Türen einrannte. Auch Segestes sah ebenso wie Arminius, wenn sie bei Varus zu Gast waren mit geübtem Blick das Geschehen und die alltäglichen Routineabläufe innerhalb des römischen Militärlagers. Ein normales Treiben, wie es sich für gewöhnlich im tiefen Frieden entfaltet. Und wie ließ sich besser ein zukünftiger Gegner studieren, als dass man sich unter ihn mischte. Es war sicherlich ein für unsere heutigen Augen ungewohntes Bild und erfordert einiges an Einfühlungsvermögen. Vielleicht ist es noch vergleichbar mit dem Leben im einstigen Fort Laramie, wo es dann allerdings die Stammesangehörigen der Lakota und Cheyenne waren die aus und ein gingen und den Warenaustausch betrieben und nicht die Cherusker oder Angrivarier. „Castra Höxter“ heute vom östlichen Gewerbegebiet der Stadt überdeckt, war eben der kleine Bruder des Castra Vetera. Aber für die im inneren Germaniens lebenden Menschen muss alles seltsam gewirkt haben, zumal wir heute wissen, dass es der damaligen Gefährdungslage nicht gerecht wurde. Denn die Realität sollte später ein düsteres Bild malen. So erkannte Segestes auch die eingespielte Ordnung einer überlegenen Zivilisation und die fortschrittliche Disziplin der römischen Streitkräfte und er verglich alles mit seinem Kulturkreis. Es sah beide Seiten der Medaille, hatte den Blick für die damalige Moderne und sah daher sein Volk eindeutig im Hintertreffen. Er spürte und erkannte die vielen kaum überbrückbaren Widersprüche und Gegensätze und sah schon zu früher Stunde die bedrohlichen Rauchsäulen am Horizont aufziehen.
2,118. (2)
„Damals gab es einen jungen Mann von vornehmer Abstammung, der persönlich tapfer, schnell von Begriff und über das Maß der Barbaren hinaus begabt war; er hieß Arminius, der Sohn Sigimers, eines Fürsten dieses Stammes; das Feuer seines Geistes verriet sich schon im Blick seiner Augen; auf unserem früheren Feldzug war er ein unablässiger Begleiter gewesen, der zu Recht auch die Auszeichnung des römischen Bürgerrechts, den Rang eines Ritters, erlangt hatte; er nutzte die Trägheit des Feldherrn als Gelegenheit zu einem Verbrechen aus.
Denn er hatte scharf beobachtet, dass niemand schneller überwältigt wird als derjenige, der nichts befürchtet, und dass die Sorglosigkeit der häufigste Beginn des Unglücks ist“.
Bewertung:
Arminius und Paterculus kannten sich persönlich wie man liest vom gemeinsamen Feldzug und so konnte Paterculus ihn charakterlich einschätzen. Auf die Weise wie er die Eigenschaften von Arminius lobte und würdigte, kritisierte er jene von Varus, äußerte sich herab lassend über ihn und stellte sich moralisch deutlich hinter Arminius. Vermutlich begegneten sich hier die Seelen zweier militärisch erfahrener Frontkämpfer auf Augenhöhe die gemeinsam auf Varus wie auf einen unerfahrenen Dilettanten herab blickten. Denn Militaristen verstanden sich untereinander immer schon und das auch Fronten übergreifend. Paterculus stellte nun alles, an bis dato gegenüber Varus geübter Kritik in den Schatten in dem er ihn unmittelbar mit einem Barbaren verglich und ihn mit ihm auf eine Stufe stellte. Dann noch im direkten Vergleich die Trägheit des Römers herauszustellen war der ultimative Gipfel dem sich ein römischer Feldherr, selbst „post mortem“ betrachtet ausgesetzt sah. Es muss Paterculus ein tiefes inneres Bedürfnis gewesen sein Varus ein weiteres Mal jegliche Führungstalente abzusprechen. Das Paterculus wusste, dass sein alter Weggefährte Arminius hinter dem Erfolg über Varus stand setzt erneut weitreichende Kenntnisse über die Befehlsstrukturen auf germanischer Seite voraus. Das Asprenas ihm diese Nachricht zukommen ließ ist denkbar. Wer es aber wieder genauer wusste war Segestes, der es im Jahre 17 + gegenüber dem römischen Tribunal ausgesagt haben könnte und es allen ins Stammbuch schrieb. Es lässt also wieder den Verdacht zu, dass es erneut Segestes war, der in Rom auch diese Zusammenhänge offen legte. Es ist aber anzumerken, dass Arminius nicht allein imstande war die germanische Koalition gegen Varus anzuführen. Arminius stützte sich auf die Großen seines Stammes und hatte sich auch an den verbündeten Stämmen zu orientieren, musste sich nach ihnen richten und sich auf sie verlassen können. Denn auch diese Stämme verfügten über angesehene Anführer, die uns aber allesamt namentlich nie bekannt geworden sind. Immer ist es nur Arminius, der dank Segestes den Sieg über die drei Legionen scheinbar im Alleingang für sich verbuchen darf. Nur Arminius seinem bekanntlich unangenehmsten Widersacher kreidete Segestes alle Untaten an. Und das deutliche Herausstellen von Arminius zeigt, dass Segestes den Zorn des ganzen Imperiums nur auf diese eine Person lenken wollte. Ebenso wie es Paterculus mit Varus tat und schon herrschte unter ihnen wieder Einigkeit. Hätten wir noch andere hautnahe Beteiligte des Geschehens als Segestes, dann hätten wir vermutlich auch noch die Namen von Fürsten aus den Stämmen der Brukterer, Chatten oder Marser erfahren. Sie alle gingen namenlos in die Geschichte ein wohl wissend, dass Arminius ohne ihre Hilfe sein Ziel nie erreicht hätte. Aber wieder verdichten sich alle Informationsstränge auf Segestes. Aber wie Arminius es näher anstellte Varus zu besiegen bleibt bei Paterculus weiterhin im Dunklen. Und so lässt sich sein germanischer Feind von einst selbst bis heute noch immer nicht in allen Punkten in die Karten schauen. Aber im Zusammenwirken mit allen Quellen und unter Zuhilfenahme aller erreichbaren Faktoren kommt man der Sachlage immer näher, kann ihr nach und nach viele Geheimnisse entlocken und so ist man der Schlachtenfährte dicht auf den Fersen.
2,118. (3)
„Also weihte er anfangs nur wenige, dann aber mehrere in seinen Plan ein; er behauptete und überzeugte sie davon, dass die Römer überwältigt werden könnten, ließ diesen Beschlüssen sofort Taten folgen und setzte den Termin für den Anschlag fest“.
Bewertung:
Hier wird Paterculus überaus und fasst schon erschreckend deutlich. Er legt sich so eindeutig fest, dass man an seinen präzisen Äußerungen schon fasst zweifeln könnte. Denn offensichtlich war ihm schon nahezu minutiös die Vorgehensweise von Arminius bekannt und er wusste genau, wie dieser damals strategisch dachte und vor ging. Ein unstrittiger Hinweis darauf, wie hoch sein Kenntnisstand war über den er verfügte. Allein das Wissen darüber, dass er anfangs nur wenige in seine Planung einweihte ist bezeichnend und es lässt sich nur auf die germanische Führungsriege beziehen, zu der auch Segestes zählte. Danach konnte Arminius wie Paterculus schreibt, auch mehr und mehr alle anderen vom Gelingen seiner Pläne überzeugen. Vermutlich wuchs im Verlauf der Zeit der Kreis der Mitwisser zwangsläufig stetig an und damit wurde aus seinen Überlegungen ein offenes Geheimnis. Es war ein Geheimpakt dessen Inhalt Varus nie zu Ohren kam, sonst hätte er definitiv anders reagiert. Es gab aber auch Männer die Arminius zuerst überzeugen musste. Zögerliche Zweifler, Gegenspieler, vielleicht sogar ernst zu nehmende Kritiker und er musste seinen Plan immer wieder mit ihnen absprechen und auf Wünsche und Befindlichkeiten Rücksicht nehmen. Unter diesen könnten sich möglicherweise auch Männer aus dem Hause Segestes befunden haben. Und Paterculus war, und das kann man wohl als den Höhepunkt seiner Überlieferung bezeichnen, sogar bekannt, das Arminius bereits einen Termin für den Überfall, was andere Hinterhalt nannten, festgelegt hatte. Aber Paterculus konnte alle diese Details gar nicht gewusst haben. So drängt sich auch der Verdacht auf, dass hier ein Paterculus den Sachverhalt so darstellte, wie er es wohl an der Stelle von Arminius getan hätte. So könnte er sich auch als ein erfahrener und ähnlich denkender Frontkämpfer in die Lage von Arminius hinein versetzt haben. Denn über noch mehr Kenntnisse und Insiderwissen des Feindes zu verfügen, als es Paterculus erstaunlicherweise besessen haben soll, war schon nahezu unmöglich. Es deutet entweder auf eine ausgeprägte Phantasie seiner Person oder auf einen guten Informanten im germanischen Lager hin. Aber über diesen umfassenden strategischen Kenntnisstand konnten damals selbst in Germanien in der frühen Phase nur sehr wenige Personen der Oberschicht verfügt haben. Es bezeugt auf irritierende Weise das Vorhandensein eines tiefen Einblicks in das Geheimwissens und die Befehlsstrukturen in prähistorischer Zeit explizit in die innergermanischen Vorbereitungen einer Großschlacht. Ein Umstand, der uns heute nur verblüffen kann und daher höchst irritierend wirkt. Denn Paterculus lässt mit seiner Darstellung über die Vorgehensweise von Arminius klar erkennen, dass dieser nicht nur über eine Portion Überzeugungskraft und strategisches Denken verfügte, sondern bereits ein umsetzbares Konzept besaß. Und alles Schritt für Schritt bis ins Detail voraus geplant hatte. Und wer da Germanentum noch mit steinzeitlichen Vorstellungen oder archaischem Kriegsgeheul verbinden möchte, verkennt spätestens in diesem Moment die damalige Lage. Und über das Wissen konkreter Angriffszeitpunkte konnten sich nur wenige Teilnehmer ausgelassen haben. Und auch nur dem Imperium nahestehende und vor allem Überlebende wären dazu imstande gewesen zu berichten. Acht Jahre später könnte dieser umfängliche und damals nicht für fremde Ohren bestimmte Plan die Wissbegierigen am Hofe des Kaisers erreicht haben. Eines will jedoch spätestens in diesem Zusammenhang nicht mehr in das uns überlieferte historische Konzept hinein passen. Nämlich jene Vorstellung, dass Segestes dieses Wissen im Vorfeld dem Feldherrn gegenüber mitgeteilt haben soll um ihn zu warnen. So kann man bei der Lektüre nur darüber staunen, dass hier soviel Hintergrundwissen zum Vorschein kommt. Es wirkt nahezu beängstigend und nach dem wir dies alles wissen wird uns auch klarer, wie weit der Kenntnisstand in Rom über den Verlauf der Schlacht zumindest in groben Zügen gewesen sein muss. All dies verdeutlicht wie kaum eine andere Passage wie schmachvoll man es in Rom aufgefasst haben muss und das es um es verarbeiten zu können nur eine Lösung gab damit fertig zu werden. Es nämlich weitest gehenst zu verschweigen. Um aber die Vorgänge halbwegs interpretieren zu können müssen wir auf Tacitus zurück greifen. Er berichtete, dass es der Arminiuskoalition später sogar gelang Segestes mit in den Krieg gegen Varus „hinein ziehen“ zu können. Und diese allgemein akzeptierte Übersetzung nährt den Verdacht, dass es im Vorfeld der Varusschlacht enge Kontakte zwischen dem Segimer – und dem Segestesclan hinsichtlich seiner Teilnahme und der seiner Männer an der Schlacht gab. Kontakte, Gespräche Thingversammlungen gleich wie man es nennen möchte in denen es auch um gemeinsame Diskussionen und Abstimmungen zur Vorgehensweise ging. Segestes nahm an allen Treffen teil, bei denen Arminius um Unterstützung warb und wenn er verhindert war, hatte er seine Zuträger. Denn das zumindest teilweise Männer aus dem Hause Segestes auch gegen Varus kämpften wissen wir seitdem man Germanicus 15 + in der Segestesburg stolz die erbeuteten oder zugeteilten Waffen aus der Varusschlacht präsentierte. Segestes war Cherusker und kannte die Strategie seiner Landsleute wie kein anderer und er erlebte nicht nur selbst mit, wie man Varus mit vorgetäuschten Streitfällen in Sicherheit wog. Auch die gesamte sich über Wochen hoch kochende Lage und Zuspitzung kurz vor der Schlacht entging ihm nicht. Und da Paterculus einen derart guten Einblick hinter die germanischen Kulissen vor der Schlacht besaß, darf man davon ausgehen, dass Paterculus dieses Wissen aus dem engsten Kreis der cheruskischen Anführergruppe später in Rom erfuhr. Denn hier wird von ihm unmissverständlich ein taktisches Szenario beschrieben an dem nur absolut zuverlässige, also handverlesenen Vertraute beteiligt waren bzw. zuhören durften. Paterculus verdeutlicht die Problematik mit der Arminius unter den Anführern und Großen um Zustimmung für seine Strategie nahezu ringen musste und er sich nach und nach ihrer Loyalität zu versichern hatte. Ein Akt der erkennen lässt, wie damals alles auf des Messers Schneide stand. Ein Prozess dem dann aber ein gemeinsamer Beschluss folgte. Ein Resultat, dem sich dann auch alle Beteiligten und einstigen Kritiker beugten, sich verschworen und unterwarfen. Und demnach auch Segestes. Wer anders als Segestes hätte über diese Detailinformationen verfügt haben sollen. Geheimwissen, dass er später zu Protokoll geben konnte und das von Paterculus aufgegriffen wurde. Paterculus musste aber den Namen Segestes als Quelle verschweigen. Denn hätte er im Zuge seiner Überlieferung auch nur einmal einen Germanen als eine wichtige Hintergrundperson für sein Wissen angeführt und noch dazu Segestes den Überläufer, dann hätte sein gesamtes Werk darunter gelitten. Er hätte seine Glaubwürdigkeit auf`s Spiel gesetzt, man hätte die Stirn gerunzelt und es als bedenklich bis fragwürdig hingestellt. Und das bereits zu seinen Lebzeiten. Nur germanische Quellen vorweisen zu können hätte nicht überzeugt aber römische Namen oder Gewährsleute konnte oder wollte er auch nicht nennen. Aber den letzten Halbsatz der Textstelle muss man sich schon fasst auf der Zunge zergehen lassen. Modern eingekürzt lautet er, „Am Ende der letzten Versammlung legte man den Tag fest, an dem man die Legionen angreifen wollte“. Nun stimmt auch die Chronologie wieder etwas, denn damit hat sich Paterculus wieder unserem Allgemeinwissen angenähert. Und von nun an darf man auch von ihm etwas zum eigentlichen Schlachtverlauf erwarten, denn bald sollte es ernst werden. Und es leuchtet auch ein. Denn der Zeitpunkt der Arminius vorschwebte ließ sich präzise terminieren. Denn es war kein X beliebiger Tag. Es war der von Varus festgelegte Tag, der Ausmarschzeitpunkt aus dem Sommerlager. Ein fixer vielleicht schon traditionell zu nennender Anhaltspunkt, der allen Germanen bekannt war und den sie nutzen mussten. Ein Tag an dem alle Legionäre gleichzeitig auf dem Weg zum Rhein waren, während sich ein Teil von ihnen in Brakel abspaltete um von dort in getrennter Formation zuerst die Rebellen aufzusuchen. Und wie Kanonenfutter mussten sie alle an ihnen wie im Spalier vorbei „paradieren“. Der entscheidende Moment in dem sich eine Armee als verletzlich erweist, ungeschützt und daher gut angreifbar war. Wie ein Heerwurm schlängelten sich die Römer durch ihre Stammesgebiete, Wege die den Germanen bekannt waren. Kein Römer blieb zurück, alle waren auf den Beinen und sie ließen ihr wehrhaftes, weil befestigtes Lager hinter sich. Es steckte also keine große strategische Meisterleistung dahinter, sich für diesen Termin zu entscheiden, denn es gab keinen besseren. Die Stunde Null hatte am Morgen des Rückzuges zum Rhein geschlagen. Paterculus war also bestens darüber informiert wie sich der germanische Feind auf die Schlacht vorbereitet hatte und schwieg trotzdem über den weiteren Verlauf. Wer aber den Sachverhalt bis zu diesem Zeitpunkt kannte wie Paterculus, der wusste auch noch etwas von dem, was danach passieren würde.
2,118. (4)
„Varus wurde das durch einen treuen und vornehmen Mann aus jenem Stamm namens Segestes aufgedeckt. Varus hatte das Schicksal die ganze Schärfe seines Geistes verblendet. Die Dinge liegen ja so, dass meistens ein Gott die Pläne eines Menschen, dessen Schicksal er ändern will, zerbricht und, was am bejammernswertesten ist, bewirkt, dass das, was geschieht, scheinbar auch noch verdientermaßen geschehen ist und der Zufall zur Schuld wird. Varus weigerte sich also, das zu glauben, und erklärte, er halte den Anschein des ihm entgegen gebrachten Wohlwollens für verdient. Doch nach dem ersten Warner blieb kein Platz mehr für einen zweiten“.
Bewertung:
Hier geht Paterculus auf die Tat des Segestes ein, zu der es meines Erachtens nie kam. Er gibt an, dass Varus durch Segestes, den er als einen vornehmen und treuen Mann aus dem Stamm der Cherusker hervor hebt vorher noch gewarnt wurde. Und wieder war für ihn ein Germane höher wertiger als Varus. Dann schüttete Paterculus wie gewohnt unverhohlen erneut die geballte Schelte des Versagens über Varus aus. Zuletzt wird Paterculus noch mal sehr präzise, denn er erwähnt explizit, dass Varus nur ein einziges Mal von Segestes gewarnt wurde. Er geht aber inhaltlich nicht näher darauf ein, wie und wann Segestes Varus gewarnt haben will, bzw. wie deutlich und eindringlich dieser geworden ist. Denn es gibt auch da unterschiedliche Oktaven der Intensität. Aber der klare Hinweis darauf, dass es nur zu einer Warnung kam macht stutzig. Angesichts einer doch derart eklatanten Bedrohungslage spricht Paterculus nur von lediglich einem an Varus ergangenen Warnruf. Paterculus entnahm es so seiner Vorlage oder sogar aus dem Munde von Segestes, den er auch persönlich gesprochen haben könnte und hielt diesen Tatbestand für offensichtlich so zuverlässig, dass er ihm glaubhaft erschien. Segestes habe Varus also nur einmal warnen brauchen und es steckte darin die unüberhörbare Botschaft, dass Gefahr in Verzug sei. Eine einzige und einmalige Warnung die auf seine Ignoranz gestoßen sein soll, sollte demnach also in der gefährlichsten Phase im Leben des Varus genügt haben. Denn für weitere Warnrufe ließ die Dynamik der Ereignisse nach Paterculus zu urteilen keine Zeit mehr. Zu eindringlicheren und wirksameren Worten mit denen Varus sich vielleicht noch hätte überzeugen oder umstimmen lassen können kam Segestes also nicht mehr bzw. er ließ es damit bewenden und vertiefte seine Äußerungen dazu in Rom nicht weiter. Ob er sich zumindest darum bemühte noch weitere Warnungen unterzubringen bleibt in seinen Aussagen demnach offen. Vielleicht ließ es Segestes damit auch bewenden, da er damit in Rom bereits genügend Glaubwürdigkeit auslöste. Segestes verzichtete auch darauf noch zusätzliche Personen zu gewinnen um diese überzeugender in die Warnungen mit einbeziehen zu können, um zu unterstreichen, dass es ihm wirklich ernst damit gewesen wäre Varus die drohende Gefahr unmissverständlich zu verdeutlichen. Mehrere Warner hätten allemal mehr Gewicht gehabt, als nur eine Person. Auch davon ist keine Rede. Segestes will immer nur der alleinige Rufer in der Wüste gewesen sein. Was nicht verwundert, denn andernfalls hätte er Namen von Personen nennen müssen die in dieser Situation auf seiner Seite standen. Aber dieses Risiko ging er nicht ein, denn so hätte seine nur vorgetäuschte Warnung auffliegen können. Cassius Dio erkannte vermutlich 200 Jahre später diese Irritation indem er kraft seiner Worte zu der Überzeugung gelangte, „das allen, (mit Betonung auf allen) die mit Argwohn die Entwicklung (im Vorfeld der Varusschlacht) beobachteten und (Varus) zur Vorsicht mahnten“. Er vertrat demnach die Auffassung, dass es damals eigentlich mehrere warnende Stimmen gegeben haben sollte, als nur Segestes, weil er es einfach für logisch hielt, obwohl er dafür keinen Anhaltspunkt hatte. Nach Paterculus warnte jedoch nur ein Germane den Feldherrn und der hieß Segestes. Für Varus besaß also Segestes nicht die nötige Glaubwürdigkeit und er vertröstete ihn nur. Wäre Segestes aber in einer Gruppe gleichgesinnter ebenfalls „ehrenhafter“ Germanen aufgetreten, dann hätte Varus es nicht mehr abtun oder mit einer schroffen Handbewegung zur Seite wischen können. Aber dieser Dissens in der Darstellung fiel den Fragestellern in Rom damals nicht auf oder wollte ihnen nicht auffallen. Aber man wollte andererseits auch nicht tief in sein sicherlich konfuse vorgetragenes Stückwerk eindringen, da man sich sich in der Kernbewertung seiner Aussage schon im Vorfeld mit ihm einig war. Man muss es sich noch mal vergegenwärtigen. Paterculus einer unserer zuverlässigsten Quellen erwähnt, dass Segestes für Varus nur einen einzigen Warnhinweis übrig hatte. Und das vor dem Hintergrund, dass hier das Leben tausender von Menschen auf dem Spiel stand. Soldaten, Zivilisten, Römer und Germanen und da soll oder will Segestes nur einmal den Mund aufgemacht haben. Segestes wusste auch um die enorme Dimension des germanischen Aufgebotes, dass sich den Legionen nun in den Weg stellen würde und soll Varus nun sehenden Auges in sein Verderben entlassen haben. Und Segestes soll daran sogar möglicherweise noch selbst mit beteiligt gewesen sein. So verwundert es auch nicht, dass die Geschichtsforschung seit Jahrhunderten an dieser Stelle schwer ins Straucheln geriet. Segestes wusste auch von der schlagkräftigen Kernmannschaft die Arminius aus seinen ehemaligen Auxiliarkräften um sich geschart hatte und konnte sich also ausmalen, was auf Varus zukam. Allein vor dem Hintergrund betrachtet, dass Varus nur einmal auf die Gefahr angesprochen worden sein soll, gerät die gesamte Plausibilität ins Wanken und konnte nie glaubwürdig klingen. Aber es genügte der römischen Untersuchungskommission im Frühjahr 17 +. Und da es von Segestes weder einen und auch nicht mehrere Warner gab, löste Varus später auch keine wie auch immer gearteten Vorkehrungsmaßnahmen aus, um sich auf eine ernsthafte Schlacht einzustellen. Aber es war auch nicht nötig, dass Segestes in Rom überzeugend vortrug wie Hartnäckigkeit er doch Varus im Zelt anging, denn man wollte ihm auch so glauben. Statt das nun Paterculus den Schwenk zum Hergang der Schlacht vollzieht, greift er zurück und widmet sich dem Informanten Segestes um ihn mit in sein Geflecht vom alleinschuldigen Varus einzubinden. Für Segestes findet er geschmeidige Worte der Hochachtung, womit sich Varus erneut erniedrigen ließ. Paterculus war sich sicher, dass der Missachtung der Segesteswarnung unausweichlich die Strafe folgen musste. Paterculus kannte das tragische Ende der Schlacht, glaubte Segestes, oder wollte ihm glauben, dass dieser Varus gewarnt hatte und sah darin den schicksalhaften Wendepunkt. Weitere Warnungen waren überflüssig die Sachlage passte in sein Konzept und er spürte, dass ab diesem Moment die Uhr von Varus begann abzulaufen. Sozusagen eine perfekte Theorie mit der sich Geschichte machen ließ. Nun war alles zu spät, die Götter hatten Varus den Verstand vernebelt, die Weichen waren gestellt, Segestes hatte sein Möglichstes getan und die Dinge nahmen ihren Lauf. Auch in Unkenntnis der Örtlichkeit wo sich die Schlacht genau zutrug, musste Paterculus auf weitere Details zum Hergang zwangsläufig verzichten. Der Rückmarsch verlief diffuse durch unbekanntes Terrain, Segestes konnte dazu im Rom keine Angaben machen, die man dort verstanden hätte, zumal er Varus im Gegensatz zu Arminius auf der ersten Wegstrecke wohl auch nicht begleitet hatte. Ob und wann er sogar selbst ins Kampfgeschehen mit eingegriffen haben könnte wird ebenfalls nicht deutlich. Auch über die Umstände des ersten Nachtlagers am Abend des ersten Marschtages in Brakel erfährt man von Paterculus nichts. Wege, Höhenzüge und Waldgebiete die weder germanische noch lateinische Bezeichnungen trugen, römische Meilensteine die noch nicht existierten und Rastlager oder dorfähnliche Ansiedelungen die noch namenlos waren, verhinderten jegliche Verortung und machten alle Lokalisierungsversuche zunichte. Hier riss unwiderruflich nicht nur bei Paterculus der Faden. (27.11.20)
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Montag, 23. November 2020
Aus diesen Richtungen zogen die Germanen in die Varusschlacht
ulrich leyhe, 00:01h
Das römische Aufgebot im Nethegau nieder zu werfen erforderte zumindest eine ebenso große Streitmacht auch auf Seiten des germanischen Angreifers. Und so stellen sich die Geschichtsforscher seit jeher die Frage wie es diesen Kämpfern gelingen konnte unbemerkt in den Schlachtenraum vordringen zu können. Beliebt ist die Vorstellung, dass sie sich im Zuge der herbstlichen Sonnenwendfeiern auch in größerer Zahl unauffällig bewegen konnten, da Varus darin religiöse Gründe sah und es ihm daher unverdächtig erschien. Aber andererseits bedeutet es auch keine große logistische oder strategische Herausforderung der Frage auf den Grund zu gehen, wenn man davon ausgeht, dass der Schlachtenkorridor bereits identifiziert ist. Wirft man dann einen Blick auf die infrage kommende Landschaft, so liegt die Erklärung schlüssig auf dem Tisch. Denn die Kämpfe tobten da, wo die Germanen ungesehen das Schlachtfeld erreichen konnten. Denn Varus kämpfte in einer Region die er noch nicht in seinen Machtbereich integriert hatte, nämlich weit ab im Süden. (22.11.2020)


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Freitag, 13. November 2020
Velleius Paterculus - Der Mann im Hintergrund der Varusschlacht
ulrich leyhe, 14:54h
Sie werden sich erinnern, Segestes der wandelnde Alptraum deutscher Frühgeschichte, der uns immer noch auf Schritt und Tritt verfolgt, wenn wir an diese Zeiten denken. Aber in diesem und im nächsten Abschnitt soll Paterculus nochmal die Hauptrolle einnehmen. Denn die Analyse seiner Niederschrift könnte uns nicht nur einen Einblick in den Verlauf der Varusschlacht geben. Sie kann uns auch dabei helfen den Verdacht zu erhärten, dass Segestes den Verrat nur erfand. So wird uns Segestes auch in diesem Kapitel nicht ganz aus seinen Klauen entlassen. Diese scheinbar untote Unperson schlechthin die möglicherweise auch noch in so mancher Sage ein verdecktes Weiterleben führt, drängt sich immer wieder ins Zentrum der Ursachenforschung. So fragt man sich, wie er es damals in Rom angestellt haben könnte, den auf ihn lauernden Gefahren und Fallstricken zu entrinnen. Er muss ziemlich talentiert gewesen sein und über die nötigen Showqualitäten verfügt haben, denn anders ist das Ergebnis kaum vorstellbar. Alles nur zum Schein und zur Wahrung seiner persönlichen Interessen sozusagen „in Zeiten schwerer See“ vorzugeben muss bühnenreif gewesen sein. Es gelang ihm offensichtlich in Rom eine perfekte und überzeugende Show seiner Loyalität abzuliefern, womit es ihm gelang seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Sicherlich wirkte es sich positiv aus, dass Kaiser Tiberius sich dem nicht entgegen stellte. So steht der Mensch Segestes wie man ihn sich vorstellt vor uns schon fasst wie ein Hologramm. Er führte ein bewegtes Leben, das viele Facetten der Theatralik kannte und man sieht ihn förmlich wie er in Rom auftrat und wie er sich dort verhielt. So könnte er sich auch den Stil eines geschickten Selbstdarstellers zugelegt haben, wofür es in Westfalen eine treffende Bezeichnung gibt. Denn für einen Menschen dieses Schlages hat man im Jargon einen speziellen Namen. Man könnte ihn mit dem Begriff „Schautermann“ charakterisieren. Ein Wort hart an der Grenze zum Schimpfwort. Und zwar da, wo so langsam der Spaß endet. Ein Schautermann war kein Dummer und keineswegs ein Narr, aber er übertrieb es, blähte sich, trug dick auf, war anfänglich noch unterhaltsam, machte sich aber schnell unbeliebt. Man ging einem solchen Mann möglichst aus dem Weg. Er gab Wissen vor und man wünschte sich derartige Leute nicht in seiner Nähe. Nach dem Motto mehr Schein als Sein zwang man ihn in die Lage sich in Rom gut verkaufen zu müssen. Denn er lief immer Gefahr wegen seiner Flucht aus Germanien verspottet zu werden und unglaubwürdig zu wirken. Und er wurde seiner Rolle gerecht. Eben ein Schautermann bis zuletzt, ein Angeber oder Aufschneider wie er sich vor dem römischen Volk und den ihn Befragenden mit dem Brustton der Überzeugung zur Schau stellte. Das Wort Schautermann oder Blender trifft es gut, die Bezeichnung ist alt und heute noch im Bergischen Land bis nach Ostwestfalen in Gebrauch. Allerdings nennt man den Schautermann im ostwestfälischen Raum um Paderborn und Brakel nicht Schautermann sondern Schautemann. Etymologisch könnte es sich im übertragenen Sinne aus dem altsächsischen „skauwon“, dem altengischen „sceawian“, vom niederländischen „schowen“, bzw. dem althochdeutschen „scowon“ für anschauen bzw. von zeigen und darstellen ableiten lassen. Obwohl es auch andere Deutungsversuche gibt. Segestes ist in Rom als Schauspieler bzw. Showman in eigener Sache unterwegs gewesen und hat dort seine eigene Show veranstaltet und sich erfolgreich zur Schau gestellt. Der geborene Schautermann, dem man in Rom alles glauben wollte, dem man aber in Westfalen schon kein Bier mehr ausgegeben hätte und um den es an der Theke schnell einsam geworden wäre. Vielleicht tut man ihm mit dieser Beschreibung auch unrecht, aber vieles spricht dafür. Aber zurück zu Paterculus. Die zeitliche Nähe in der er zum Varus Ereignis stand macht seine Überlieferung zu etwas Besonderem. Eine Konkurrenz zu parallel schreibenden römischen Zeitgenossen hatte er nicht zu fürchten, besser gesagt sind uns bis auf Strabo keine bekannt geworden. Strabo der 23 + verstarb und er, der bei seinem Tod 42 Jahre alt war, könnten sich gekannt haben. Man geht davon aus, dass Paterculus wie auch Strabo den Triumphzug für Germanicus im Jahre 17 + mit erlebte. Aber er berichtete nicht darüber. Man sollte daher annehmen, dass Paterculus mindestens den selben Kenntnisstand über den Triumphzug und das damit verbundene Geschehen besaß wie Strabo, der darüber berichtete. Und Paterculus könnte daher auch die germanischen Stammesnamen, von denen Angehörige im Zug in Ketten mit geführt wurden gekannt haben und ebenso dürften ihm die ehrwürdigen Germanen die auf der Tribüne saßen nicht nur namentlich, sondern auch persönlich bekannt gewesen sein. Und wenn Segestes der Mann war, der wie kein anderer über das Insiderwissen aus Germanien verfügte, so war Paterculus sein Pendant auf römischer Seite. Seinen gesellschaftlichen Aufstieg verdankt Paterculus wie es in der Antike häufig anzutreffen ist einer langen militärisch geprägten Familientradition. Sein Großvater war der Adjutant eines Befehlshabers, sein Vater war ebenfalls Offizier und er selbst stand in der Funktion eines Militärtribun im gehobenen Dienst. Er wurde in den Germanenkriegen zum Reiterpräfekten ernannt und diente bzw. kämpfte acht Jahre unter Tiberius in Krisenregionen wie in Pannonien und Germanien. Aber nicht nur das, er war später sogar Legat und damit ein mit umfangreichen Vollmachten ausgestatteter Kommandeur. Und somit auch ein Vertreter des römischen Kaisers in den Grenzprovinzen. Im Falle einer zivilen Laufbahn könnte man ihn schon fasst als einen Gouverneur oder auch Statthalter ansprechen. Ein Mann der sich einiges heraus nehmen durfte, solange er mit der höchsten Instanz dem Kaiser nicht in Widerspruch geriet und das wurde an keiner Stelle erkennbar. Es musste also in die Zeit gepasst haben, dass er sich was allgemein als unschicklich galt gestatten durfte, einem ehemaligen Feldherrn und Statthalter des Imperiums wie Varus es war sogar noch nach seinem Tod Versagen vorwerfen zu können. Paterculus der viele Wochen, Monate und sogar Jahre an der Seite von Tiberius ritt, der mit ihm am Immensum Bellum teilnahm und später auch mit ihm in Pannonien kämpfte, dürfte auch beratenden Einfluss auf ihn und daher einen Anteil am einseitig von Tiberius verfügten Waffenstillstand im Herbst 16 + gehabt haben. Vor Paterculus konnte man nicht viel Geheim halten, denn er hatte seinen Platz in der Mitte des Staatsapparates. So spricht die Faktenlage vielleicht sogar dafür, dass neben Sejan vielleicht auch er selbst an den Gesprächen mit Segestes teilgenommen haben könnte. Segestes könnte ihm auch schon seit der Zeit persönlich bekannt gewesen sein, als im Jahre 5 + der große germanische Krieg, der Immensum Bellum zu Ende ging. So begegneten sich im Jahre 17 + in Rom möglicherweise zwei alte Bekannte wieder. Ob man sie alte Freunde nennen darf, würde der puren Spekulation entspringen. Paterculus könnte man daher guten Gewissens unterstellen, dass er die großen Zusammenhänge gekannt haben muss, soweit sie über die Schlacht nach Rom durchgedrungen sind. Es lässt sich einigen zum Teil tief ins Detail gehenden Ausführungen entnehmen, dass er auch über manche Ereignisse informiert war, die sich auf den unmittelbaren Hergang der Varusschlacht bezogen. Gäbe es da nicht noch eine andere Sichtweise, so sind Zweifel erlaubt, ob sein Kenntnisstand wirklich so gut war wie man annehmen könnte. Betrachtet man nämlich das, was Beatus Rhenanus von ihm 1515 in die Hände fiel, so kommt es uns in der Summe doch recht mager vor. Der Recherche nach hat Paterculus seinen Bericht vor der Hinrichtung des Prätorianerpräfekten Sejan verfasst, als sich dieser noch auf dem Höhepunkt seiner Macht befunden haben soll. Paterculus muss es also nicht unmittelbar vor Sejans Tod nieder geschrieben haben. So kann man zwar den Zeitpunkt seiner Aufzeichnungen auch noch eine unbestimmbare Zeit zurück datieren. Es lässt sich daraus aber auch noch etwas anderes schlussfolgern. Denn das von ihm nieder Geschriebene bezogen auf die Varusschlacht könnte sogar noch älteren Datums gewesen sein. Vereinfacht ausgedrückt, schrieb er es zwar Ende der 2o er Jahre nieder, aber sein Wissen über die Varusschlacht könnte er sich auch schon beispielsweise in den Jahren zwischen 17 + und 20 + zugelegt haben, es eben nur später nieder geschrieben haben. Insgesamt lässt sich anhand seiner Zeilen resümieren, dass das was er Ende der 20 er Jahre zu Beginn des 1. Jahrtausends zu Papier brachte inhaltlich etwas enttäuschend ausfiel. Denn nach alledem, was sich über ihn rekonstruieren lässt sollte man annehmen, dass selbst eine Kurzfassung aus seiner Hand schon umfangreicher hätte ausfallen müssen. Aber man darf ihm zugute halten, dass er nur wenige Aspekte hervor hob, denn er hatte uns entsprechend der Textstelle 119.(1) ein umfassendes Werk über den Schlachtverlauf angekündigt. Er wollte also zu einem späteren Zeitpunkt ausführlicher werden. Sicher ist, dass Paterculus um 30 + noch lebte und er in dieser Zeit um die 50 Jahre alt gewesen sein müsste, also auch nicht mehr der Jüngste war. Man darf also rätseln wann er beabsichtigte sein Hauptwerk anzugehen. Merkwürdig erscheint jedoch, dass Paterculus wenn man den „Varus Teil“ seiner „Historia Romana“ in der Zusammenfassung betrachtet verhältnismäßig wenig über die eigentliche Schlacht zu berichten wusste. Zumal immerhin bis zu dem Zeitpunkt als er es nieder schrieb immerhin etwa 2o Jahre verstrichen sind. Eine lange Zeit in der er schon hätte mehr über die Schlacht erfahren haben müssen, als er uns hinterließ. Oder hatte er nur das fest gehalten, was er in seiner Vorabfassung für elementar bedeutsam und wesentlich hielt. Möglicherweise war ihm vieles andere nicht wichtig. Oder sollte man sogar annehmen müssen, dass Paterculus über die Schlacht gar nicht mehr wusste als das, was er verschriftete. War sein Wissenstand selbst 2o Jahre nach der Varusschlacht noch so mager, dass es für ihn nicht mehr zu berichten gab. Möglicherweise begann er sein Hauptwerk in diesem Alter auch gar nicht mehr, da es ihm nicht gelang weitere Erkenntnisse über den Schlachtenverlauf in Erfahrung zu bringen. Oder unterließ er es aus anderen Gründen. Vielleicht wollte er wegen der Staatsraison dieses traurige Kapitel gar nicht mehr vertiefen. Denn auch nach 20 Jahren war alles noch recht frisch, manche Teilnehmer könnten noch gelebt haben. Sie hätten vielleicht auch Einspruch erheben, oder sogar für Varus eine Lanze brechen können und wer wollte von diesem Drama alles noch schwarz auf weiß nach lesen wollen und alte Wunden aufreißen. Die mysteriösen Senatsakten wird er gekannt haben, er könnte aber auch ihren Inhalt verschwiegen haben und ließ nur das wenige zu, was auch im Sinne seines Kaisers war und er interpretierte es so, wie er es für richtig hielt. Hätte er es sich anders überlegt könnte es sich so angehört haben, wie es Cassius Dio rund 200 Jahre später formulierte. Aber er verzichtete darauf den einst so stolzen Legionen noch eine historische Grabrede nach zu rufen und wollte nicht die Rolle des Kriegsberichterstatters einnehmen. So scheint es nur so, als ob Paterculus nur wenige knappe Worte für die Schlacht übrig hatte, denn er umriss nur das karge offizielle Wissen, wie es sich in den ersten 20 Jahre nach der Niederlage herum gesprochen hatte. Aber über das Gesamtwissen über das er verfügte, schwieg er sich aus. So blieb sein Hauptwerk möglicherweise auch gar nicht verschollen, denn es hatte nie existiert. Also bleibt es an uns aus seiner Überlieferung das heraus zu lesen was für die Aufarbeitung des Verlaufs und der Örtlichkeit der Varusschlacht von Nutzen sein könnte. Kaum ein anderer Römer vielleicht mit Ausnahme von Tiberius kannte Germanien besser als Paterculus. Und er konnte als ein Front erfahrener Militarist vieles aus dem militärischen Blickwinkel heraus gut bewerten, was auch seinem Naturell entsprach. Zu Zeiten des Immensum Bellum überquerte er noch gemeinsam mit dem Feldherrn Tiberius die „germanische Julier Passhöhe“ nahe den Lippequellen von Schwaney den „caput Juliae“ und stieg mit ihm ins Nethetal ab um später die Weserauen zu erreichen, wo etwa vier Jahre später der Feind stehen sollte. So kannte er den späteren Großraum der Varusschlacht aus eigener Anschauung und er kannte auch die Wege die vor ihm schon Drusus nutzte. Und da Paterculus in Rom auch mit Germanicus zusammen traf könnte er auch noch vieles mehr erfahren haben. So zum Beispiel wo man damals für den verstorbenen Drusus einen Altar errichtet hatte und wo für die in der Varusschlacht gefallenen Legionäre ein Grabhügel errichtet wurde. Wer wollte da noch daran zweifeln, dass Paterculus zu jenen Männern gehörte, die auf der Höhe des damaligen Wissenstandes zur Varusschlacht waren, denn alle Großen der Zeit standen in unmittelbarem Kontakt zu ihm. Und nicht nur das, denn sein Wissen beruhte auf dem umfassenden Kenntnisstand beider Seiten. Er besaß somit die besten Voraussetzungen um an den Stellschrauben der römischen Innenpolitik im Sinne des Kaisers seines Freundes Tiberius mit drehen zu können. Was uns von ihm vorliegt erscheint vor diesem Hintergrund bewertet wie ein vorläufiger kurzer Abriss oder Rapport und so tun sich noch viele Fragen auf. Nicht nur die, warum er sich so lange Zeit damit ließ sein Wissen zu verschriften oder warum er so wenig über den gesamten Verlauf der Varusschlacht schrieb. Strabo sei es gedankt, dass er uns die Namen der Triumphzugteilnehmer überlieferte, die wir von Paterculus nicht erfahren haben, womit er sich im historischen Sinne einen bleibenden Namen machte. Aber erst Paterculus legte den Grundstock für unseren erweiterten Kenntnisstand. Strabo verfasste sein Werk möglicherweise erst im Jahr nach dem Triumphzug also 18 +. Aber im Gegensatz zu Paterculus konnte Strabo nichts zu den Ereignissen in Ostwestfalen beitragen. So fiel Paterculus auch mangels verschollener Texte wie etwa jene von Plinius dem Älteren und möglicherweise auch anderen Historikern eine um so bedeutsamere Rolle zu. Er war die römische Schlüsselfigur zur Varusschlacht und Paterculus sollte auch für lange Zeit der letzte sein, der uns wenigstens etwas über die Schlacht sagen konnte. Die lange Phase danach in der die Quellen schwiegen und sich die Ruhe über das einstige Schlachtengelände auszubreiten begann dauerte rund 90 Jahre. Sie setzte im Jahre 30 + ein und endete um das Jahr 120 + mit den Schriften von Tacitus und dem in etwa zeitgleich zu ihm berichtenden Florus. Und während Tacitus uns „nur“ den Ort des Geschehens überlieferte, war es das Verdienst von Florus, der uns nach Paterculus die ersten wichtigen Fakten zur Varusschlacht mitteilen konnte. Erst bei ihm lesen wir wieder Neues über Varus und seine Schlacht. Die Arbeit von Paterculus erhält jedoch weiteres Gewicht durch die bei ihm vorhandene Kompetenz, sowohl in historischer als auch in militärischer Hinsicht. Günstige Voraussetzungen und eigentlich wie geschaffen um von ihm plausible Antworten und Expertisen über die kriegerische Begebenheiten erwarten zu dürfen. Aber wir hoffen vergeblich denn Paterculus war nicht der geborene Historiker und sah daher darin auch nicht seine originäre Aufgabe, auch wenn man ihn später zu Recht so nannte. Irgendwann fühlte er sich dann doch dazu berufen zu schreiben und er entdeckte vermutlich erst im fortgeschrittenen Alter seinen Hang zur geschichtlichen Nachbearbeitung. Aber in Sachen Varusschlacht reichte es nur für den besagten Vorabbericht, denn die angekündigte große Aufklärungsschrift blieb aus. Vielleicht verordnete er sich aber auch selbst eine Nachrichtensperre solange, bis ihm die Zeit reif erschien etwas zu Verlautbaren. So notierte und interpretierte Paterculus nicht nur seine eigenen Erlebnisse und Erfahrungen, sondern widmete sich in weiten Teilen auch der gesamten römischen Geschichte. Aber hier zählt das Varusereignis und da war Paterculus ein wenig gnädig. Denn er gönnte uns, dass wir schon mal einen vorzeitigen Blick in seinen Wissensfundus werfen durften. Er hatte ihn nur einen Spalt breit geöffnet, der aber viel Raum für neue Schlußfolgerungen zulässt. Und dann wollte er irgendwann als er die 50 schon überschritten hatte, mit seinem Hauptwerk beginnen, das wir allerdings nie zu Gesicht bekamen. Was er uns offenbarte war für ihn auch nicht riskant, denn Kaiser Tiberius bot ihm für alles den nötigen Rückhalt. In dieses Szenario fügte sich auch Segestes der Urheber so vieler Deutungsversuche ein, der seinerzeit in Rom ins gleiche Horn blies, in dem auch er auf Konformität mit dem Kaiserhaus achten musste. Denn auch Segestes schob die Pietät beiseite und warf selbst dem verstorbenen Varus noch nach, seine warnenden Worte ignoriert zu haben. Nach Dichter, Astronom und Geograph befasste sich aber nun ein Militarist, der zum Historiker mutierte mit der Aufarbeitung. In alle Betrachtungen zu rückwärtigen Ereignissen spielen immer Querüberlegungen hinein. Ihnen nach zu gehen und keine auszulassen ist eine erstrebenswerte Grundvoraussetzung und ein hehres Ziel, will man dem gesamten Kontext der Varusschlacht gerecht werden. Die berühmten Fragen nach dem „wenn und aber“ oder dem „für und wider“, sollten daher an keiner Stelle zu kurz kommen, will man sich seinen klaren und nüchternen Blick nicht verstellen. Schließlich sollten die Erkundung des Schlachtenverlaufs und der Örtlichkeit und alles was dazu beitragen kann bei allen Recherchen immer an vorderster Stelle stehen. Den Abstand zu kennen, wieviel Zeit nach der Varusschlacht verstrich bis Paterculus seine Zeilen nieder schrieb hebt oder senkt auch die historische Qualität seiner Arbeit. Man nennt es den „Terminus post quem“ und es ist der wissenschaftlich fixierte Zeitpunkt an dem sich seine Niederschrift fest machen lässt. Die Dauer des Konsulats des Marcus Vinicius und der Hinweis auf den Prätorianer Sejan, den er verherrlichte bevor dieser 31 + hin gerichtet wurde bieten dafür wie schon dargestellt die nötigen Anhaltspunkte. Ihnen lässt sich entnehmen, dass Paterculus im Jahre 30 + noch gelebt haben muss, er also 30 + oder früher aber nicht später seinen Bericht über Varus verfasst haben könnte. Man sollte annehmen dürfen, dass alle seine Überlieferungen demnach recht gut den angesammelten Wissensstand der Zeit zwischen den Jahren 9 + und 30 + wider spiegelten. Salvatorisch ließe sich noch anmerken, dass man immer voraus setzen muss, dass er früher dokumentierte ihm unsicher erschienene Aussagen bis zum Schlusskapitel ordnungsgemäß und das möglicherweise im Jahre 30 + revidiert hat. Er könnte sich also auch in diesem Jahr immer noch in einer guten gesundheitlichen Verfassung befunden haben. Bedauerlicherweise findet sich aber in seinem schriftstellerischen Lebenslauf ein Abschnitt über den wir gerne mehr gewusst hätten. Eine Zeitspanne die leider ausfallen muss, da sie in die Zeit fiel, in der die Varusschlacht statt fand und er nicht vor Ort war. Eine turbulente Phase in der wir uns historisch betrachtet gewünscht hätten ein Mann wie Paterculus wäre selbst zum Zeugen oder gar zum Mitwirkenden der Schlacht geworden. Durch seine Abwesenheit ausgerechnet in jenem denkwürdigen Schicksalsjahr 9 + in Ostwestfalen, entstand oder hinterließ er uns aus nachrichtlicher Sicht betrachtet eine historische Leere. Aber er bemühte sich sie zu schließen bzw. kündigte dies zumindest an. Was er an Wissen sammelte also anderen Quellen entnahm, durch eigene Vorstellungen und Gedanken oder Erfahrungswerte ergänzte konnte daher immer nur halbwegs und daher unbefriedigend gelingen. Er trug wie man sich denken kann sicherlich viel an Wissen seiner Zeit zusammen, aber er verschriftete nur wenig davon. Das was uns vorliegt brachte er in einen Kontext und er versuchte, wie es später auch Cassius Dio und andere taten dem Text einen Erzählstrang zu verleihen. Bis zum Jahre 9 + war er kriegsbedingt in Pannonien gebunden. In Germanien ist er erst wieder für die Zeit nach der Varusschlacht, dann aber bis etwa 11 + historisch bezeugt. Wenn er nicht sofort nach der Katastrophennachricht des Jahres 9 + von Pannonien an den Niederrhein aufbrach, hielt er sich möglicherweise zusammen mit Tiberius noch kurzeitig in Rom auf, der dort aufgrund der „varianischen Staatstrauer“ auf seinen Pannonien Triumph vorerst verzichtet hatte. Gemeinsam brach man dann und das nahe liegender weise im zeitigen Frühjahr 10 + nach Germanien auf um dort die neu entstandene Lage nach dem Inferno im Saltus zu sondieren und die Grenze zu festigen. Man kann sich vorstellen in welchem Zustand sich ihnen im Frühjahr 10 + nur wenige Monate nach der Varusschlacht die Rheingrenze zwischen Köln und Xanten präsentierte. Die dortigen Besatzungstruppen unter Asprenas werden auf Tiberius und Paterculus und damit auf neue Befehle gewartet haben, denn die Unsicherheit war groß. Ich hatte Paterculus der Phase III zugeordnet, da er sich dem zeitlichen Ablauf nach bereits auf das Wissen bzw. die Quelle Segestes hätte stützen und sie sich hätte zunutze machen können, da sie ihm seit seinem Erscheinen in Rom im Jahre 17 + zur Verfügung gestanden haben könnte. Und das er sie auch hätte einsehen können dürfte unstrittig sein, denn er besaß den nötigen Rang und die Würde und damit den Zugang um das von Segestes „Hinterlassene“ bzw. „zu Protokoll“ gegebene erfahren zu dürfen. Aber was für alle Schreiber der Zeit galt, galt auch für Paterculus. Auch er konnte nur das verwerten was der germanische Wald dank dem flüchtigen Segestes frei gab und was ihm Tiberius und Germanicus und andere später noch sagen konnten. Sein umfangreiches Überlieferungswerk zu strukturieren ist nun Herausforderung und Aufgabenstellung zugleich um daraus die Fakten zur „Clades Variana“ heraus zu filtern und zu versuchen seine Quellen zu enttarnen aber auch um das tatsächliche Geschehen von der Eigeninterpretation zu trennen und teilweise zu enträtseln vor allem aber um es unterscheidbar machen zu können. (13.11.2020)
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