Samstag, 13. Februar 2021
Publius Annius Florus - Man sollte ihm mehr glauben schenken
Publius Annius Florus ist der letzte antike Historiker, der sich mit Varus aber auch Segestes befasst hat, bevor wir dank Cassius Dio rund 100 Jahre nach ihm den Verläufen am Vorabend der Schlacht näher zu kommen scheinen. Solange uns nicht Cassius Dio seinen Blickwinkel auf die Gestalt des Segestes vor Augen führt, solange erschien uns alles was sich über Segestes recherchieren ließ wie eine extrem unverdauliche historische Kost und solange waren wir gezwungen in Segestes den großen Heuchler und Vortäuscher seiner nie ergangenen Warnungen zu sehen. Aber auch Cassius Dio wird ihn nicht von diesem negativen Image befreien können, im Gegenteil, er weist ihm ohne seinen Namen zu nennen einen Platz im Geschehen zu wonach er eine noch unbedeutendere Rolle eingenommen haben dürfte, als die die ihm bislang im Zuge dieser Recherche zugefallen sein könnte. Um es anders auszudrücken, so wirkt er mit Hilfe von Cassius Dio sogar noch unscheinbarer als weithin angenommen. Dieser Sprung ins übernächste Kapitel dient dem besseren Verständnis. Denn das Wissen von Florus beruht immer noch auf dem Kenntnisstand, den vor ihm auch Paterculus und Tacitus hatten, während uns nach ihm Cassius Dio völlig neue Erkenntnisse über Segestes ermöglicht. Trotzdem darf Florus auf Segestes bezogen bei der Gesamtbewertung nicht außen vor gelassen werden. Was ihn interessant macht ist das Wissen darum, dass seine Reputation schon fasst ins Unseriöse abdriftet. So werden antike Dichter wie Florus es einer war, der noch dazu über ausgezeichnete rhetorische Fähigkeiten verfügte, es aber dennoch wagte, sich als Historiker zu betätigen von der Geschichtsforschung immer schon mit besonderem Argwohn betrachtet. Dadurch geriet seine Glaubwürdigkeit schon frühzeitig unter Generalverdacht. Aber auch aus anderen Gründen traute man ihm nicht so recht über den Weg, was wohl an dem subtilen Schriftwechsel lag, den er sich mit Kaiser Hadrian lieferte. Denn danach zu urteilen müsste der Dichter Florus, lebte er im heutigen München die Schwemme im Keller des Hofbräuhauses schon fasst als seine Zweitadresse angegeben haben. Aber erst richtig mit Skepsis überschüttet, wurde er durch seinen ungeklärten, weil aus dem Rahmen gefallenen Überfall der Germanen auf ein römisches Lager. Dieses und das folgende Kapitel soll sich aber mehr mit dem beschäftigen, was er über Segestes zu berichten hatte. Im Zusammenspiel mit den drei anderen historischen Protagonisten der Recherchephase III, Paterculus, Tacitus und Dio kommt es zwangsläufig wieder zu übergreifenden Betrachtungen. Grundsätzlich gilt aber auch hier die strittige Ausgangslage die da lautet, dass es nach allgemeiner Auffassung zu keiner Schlacht gekommen wäre, wenn Varus auf Segestes gehört hätte. Bevor Cassius Dio nicht mit seinem Bericht zur Klärung und fasst schon Auflösung der Dinge beiträgt, ist die Seele dieser Theorie die Annahme, dass Segestes den Feldherrn in keiner Weise vor einer Verschwörung gewarnt hatte. Infolgedessen trat nach der bisherigen Einschätzung Varus auch seinen Rückmarsch zum Rhein mit Abstecher durch die Siedlungsgebiete der Aufrührer an, ohne übermäßige Vorkehrungen getroffen zu haben. Trat also Segestes nicht in der überlieferten Verräterpose in Erscheinung so liest sich das, was sich in der Anfangsphase und noch im Sommerlager zutrug noch relativ friedvoll. Das nämlich ein Feldherr wie im tiefsten Frieden agierte und sich korrekt an die militärischen Regeln hielt. Ein souveräner Varus der mit keinen voluminösen Gefechten rechnen brauchte, bereitete sich auf den traditionellen Rückmarsch vor, der dieses Mal nur insofern von der Routine abwich, als dass man vorher noch die Wohngebiete eines vertraglich nicht an Rom gebundenen und aufwieglerischen Germanenstammes zu passieren hatte. Er verließ vielleicht letztmalig noch ein Sommerlager, dass möglicherweise schon in Bälde in ein festes Winterlager mit Standbesatzung umgewandelt werden sollte. Denn die nach Osten orientierte römische Siedlungspolitik griff immer weiter aus und Höxter war noch um 120 km weiter vom Rhein entfernt, als die Römerstadt Waldgirmes/Dorlar. Es war ein Lager im Übergang zur Provinzhauptstadt, dass bereits erste Konturen annahm. Eine Baustelle die in die Zukunft gerichtet war. Da uns außer den Cheruskern keine weiteren germanischen Vertragspartner überliefert sind, überwog in der Großregion ein Zustand von Vertragslosigkeit. Für Rom waren die Cherusker der ideale Partner. Die Treue mit der die germanischen Ritter zum Imperium standen und den Göttern in Köln dienten weckte den Wunsch auf festere Anbindung an die neuen Machthaber. Und auch die strategische Planung sprach für diesen Stamm. Letztlich beruhte alles auf der Geographie. Denn es waren die Cherusker, die den Korridor nach Osten und die wichtige Weserfurt kontrollierten. Rom schloss bekanntlich keine Sympathieverträge. Was für Varus den Rückmarsch zum Rhein prekär machte, waren einzig nur die Unruhen die Arminius dem Feldherrn geschildert hatte. Aber darauf war er vorbereitet und dafür hatte Arminius ihm seine Unterstützung zugesagt. Nur diese Gefahrenlage kannte er und sie dachte er unter Kontrolle zu haben. Von einer anderen und größeren wusste er nichts. Eine konspirative Organisationsleistung auf deren Basis die Germanen leichtes Spiel haben sollten und wodurch sie dem Gegner ihre Schlachtsystematik aufzwingen konnten. Was die vermeintliche Warnung des Segestes anbetraf vor allem aber das, was man in Rom daraus machte so weiß man, dass schon vor 2000 Jahren der Palatin eine Hochburg von Heimtücke und Verrat war und der Mord an Cäsar war nur ein Höhepunkt von vielen. Alle denkbaren Ränkespiele vom Komplott über die Verbannung bis zum Giftmord oder erzwungenem Klippensprung standen auf der Tagesordnung und hinter den Kulissen schien alles erlaubt gewesen zu sein, was der Macht diente. Wir tun also gut daran, wenn wir alle Berichte der antiken Historiker eines kritischen Blickes unterziehen und mit Vorbehalt genießen, denn auch schon damals wurden gute Gelegenheiten genutzt um aus jeder noch so dramatischen Entwicklung auch Vorteile zum eigenen Nutzen ziehen zu können. Und das trifft auch auf das zu, was uns die antiken Historiker über Segestes hinterließen. Und selbst bei Arminius können wir uns nicht sicher sein, ob nicht auch sein Verhalten von einer unbekannten Triebfeder gesteuert war hinter der sich handfeste persönliche Interessen verborgen haben könnten. Hinweise die den Verdacht hinreichend stützen, es könnte auch durch Segestes selbst oder in seinem Umfeld ähnlich unlauter zugegangen sein summierten sich im Zuge der Recherche. Sie lassen die Vermutung eines prähistorischen Politikums aufkommen, oder nähren zumindest den Verdacht einer beabsichtigten Täuschung. Und ausgerechnet Paterculus war es, der es seiner Darstellung nach zu urteilen eigentlich besser hätte wissen müssen. Denn von ihm stammt eine genauso aufschlussreiche wie erschreckende Charakterbeschreibung über das Wesen der Germanen. So schrieb er um das Jahr 30 + im Abschnitt 118.(1), dass die Germanen und was kaum jemand glaubt, der es nicht selbst erlebt hat ein Menschenschlag wären, der bei aller Wildheit sehr schlau ist. Seine Überlieferung gipfelte in den Worten, dass sie schon wie zum Lügen geboren wurden, also als Lügner zur Welt kamen. Eine derart heftige Anschuldigung die er hier vor rund 2000 Jahren pauschal, also alle Germanen betreffend in die Welt setzte, lässt viel Verärgerung und Misstrauen gegenüber diesem Volk erkennen, worüber man nur staunen kann. Offensichtlich hatte er einige schlechte Erfahrungen mit ihnen machen müssen. Er schrieb es allen Germanen ins Stammbuch, schockierte damit aber vor allem seine römische Leserschaft und beeinflusste somit ganze Generationen nach ihm. So wie es durch die Härte seiner Worte zum Ausdruck kam, tat er es mit voller Absicht. Seine Zeitgenossen und die Personen, die später seine Zeilen lasen waren sich fortan in ihrer Denkweise sicher und durch ihn geprägt, dass nördlich der Alpen nur Menschen lebten, auf die kein Verlass ist. Lügner, Verräter und Vertragsbrecher. Da seine Darstellung im Kontext mit Varus und seinem Richteramt fiel, dachte er dabei wohl an jene Germanen die sich besonders viel Mühe damit gaben, Varus mit vorgetäuschten Konflikten vorzuführen und der Lächerlichkeit preis zu geben. Ein Hinweis der verdeutlicht wie man sich damals mit den gegebenen Verhältnissen arrangierte in dem man es verstand sich sogar in Germanenkreisen zu belustigen. Eine Mischung aus verbittertem Galgenhumor und stillem Überlegenheitsgefühl. Aber auch ein unerwartetes Zeugnis frühgeschichtlicher Witzigkeit, das da an unvermuteter Stelle durch die Zeitgeschichte weht. Man diskreditierte damit den überlegenen Eindringling, redete ihn sich klein, stärkte sich die Moral und kaschierte den eigenen Ohnmachtszustand, der sich dadurch besser ertragen ließ. Eine Methode die auch den Rheinländern dabei half die napoleonische Besatzungszeit zu überstehen und somit ein „deutlicher Hinweis“ darauf, dass der Kölner Karneval seine Geburtsstunde an der Weser erlebte. Diese Information wirft aber auch noch die Frage auf, wie alles damals zusammen gepasst haben soll. Denn einerseits machte man Varus seine drakonischen Urteile über die Germanen zum Vorwurf, andererseits aber schien es ein verbreitetes Amüsement gewesen zu sein, dass schon fasst zur Volksbelustigung ausartete und nach Jahrmarkttreiben klingt. Varus die Zwistigkeiten nur vorzugaukeln schien in diesen Tagen der Brüller gewesen zu sein. Dieser Dissens lässt sich nicht ausräumen und ermöglicht viel Spielraum in der Bewertung der wahren Geschehnisse an der Weser, zumindest könnte man den Eindruck gewinnen, Varus war nicht so schlimm wie man ihn machte und die Germanen hatten ihn quasi unter Kontrolle. Gerade zu so, als ob sie auf diese Weise seine Handlungen schon indirekt mit bestimmten. Anders ausgedrückt man war schon erfolgreich damit beschäftigt sich ihn um den Finger zu wickeln. Eine reife Manipulationsleistung unserer Altvorderen. Er war zwar „ne janz fiese möpp“, aber man wusste um seine Schwachstellen. Aber mit dieser negativen und extremen Einschätzung des Paterculus über das Volk der Germanen, teilte er in etwa auch jene von Varus selbst, der in ihnen auch nur Gestalten sah, die nur was ihre Stimme und ihren Körperbau anbelangte mit Menschen vergleichbar sind. Er sie also fatalerweise nicht ernst nahm. Darin schienen sich Varus und Paterculus die beiden Zeitgenossen wieder einig gewesen zu sein. Aber mit der Kenntnis über die scheinheilig vorgetragenen und improvisierten Streitfälle, bewies auch Paterculus schon ein recht ordentliches Insiderwissen über das, was sich in den Wochen vor jener denkwürdigen Schlacht ereignete. Eine Stimmungslage die sich hoch kochte, den Widerstandswillen schürte und die Pläne reifen ließ die zur Eskalation führten. Aber wir rätseln zu recht weiter woher er dieses Wissen gehabt haben könnte. Denn mit dieser Darstellung betrieb Paterculus indirekt seine eigenen Ursachenforschungen und erkannte auch darin schon die Gründe und Erklärungen die dem Elend voraus gingen. Paterculus, dem diese Umstände bekannt waren und der sie gerne erwähnte, da sich damit erneut Varus sein vermeintlicher Gegenspieler in Misskredit bringen ließ. Wenn er sich die germanischen Streiche nicht selbst aus den Fingern gesogen hatte, musste er folglich mit Personen gesprochen, oder es von anderer Seite erfahren haben, dass es sich in etwa so oder ähnlich schalkenhaft am Sommersitz des Statthalters an der Weser zugetragen haben soll. Aber auch bei ihm ähnlich wie bei Tacitus riss trotzdem der Faden in dem Moment abrupt ab, wo es an den eigentlichen Schlachtverlauf ging. Denn darüber konnten oder wollten beide nichts berichten. Erst dem schillernden Bonvivant und Kneipengänger Florus verdanken wir den ersten belastbaren Hinweis darüber, was sich 9 + in den Sümpfen und Mooren Ostwestfalens im Verlauf der Varusschlacht Blutiges tat. Aber man erkennt auch hier wieder, dass es Paterculus nutzte um erneut gegen Varus nachtreten zu können indem er dieses peinliche Vorspiel am Hof des Statthalters für seine Annalen verwendete. Wieder stellt er klar, welch leutseligen Versager man da zum Statthalter in Germanien ernannt hatte und ihn, den erfahrenen und fähigeren Diplomaten und Militaristen ausbootete, da er anders als Varus keine Verwandtschaft zum Kaiserhaus vorweisen konnte. Sein Wissensstand klingt jedoch nicht danach, als dass ihn diese Informationen über römische Zungen erreichten. Denn dann sollte man annehmen, dass auch Varus schon frühzeitig das hinterlistige Gebaren der Germanen hätte durchschauen müssen. Vielleicht stammte dieses Wissen auch aus Begleitprotokollen der Gespräche mit Segestes, die nur Paterculus vorlagen. Aber eines gelang Paterculus mit dieser Darstellung vortrefflich. Er blieb sich seiner Linie treu in dem er zum einen die abtrünnigen Germanen verurteilte und zum anderen erneut Varus seine infantile Vertrauensseligkeit zum Vorwurf machen konnte. Verhaltensmuster wie sie eines römischen Feldherrn unwürdig waren. Diese überzeugende Darlegung über das niederträchtige Wesen aller Germanen hielt ihn dann jedoch nicht davon ab, eine Person von seinen bitteren Vorurteilen über die Schlechtigkeit der Germanen gänzlich auszunehmen. Es war eine der beeindruckensten Figuren der deutschen Frühgeschichte, nämlich Segestes. Ihm schenkte er uneingeschränkt Glauben und ihn machte er über jeden Zweifel erhaben. Es gab ihn also doch noch den guten Germanen, der nicht schon als Lügner geboren wurde, wenn er nur ins Konzept passte. Oder doch nicht ? Und so stand die Glaubwürdigkeit von Segestes auf hoher politischer Ebene außer Frage und niemand wagte sich Verdacht zu äußern, er könne Unwahres gesprochen haben. Und dazu gehörte all das was von ihm überliefert wurde und auch das, was die einen Verrat und die anderen eine Warnung nannten. Segestes genoss also das volle Vertrauen der römischen Oberschicht und damit aller Staatsorgane einschließlich des Kaisers. Und einem Germanen gegenüber, der sich noch dazu freiwillig in eine unmittelbare Abhängigkeit begeben hatte, dadurch in Gänze manipulierbar wurde und am seidenen Faden ihres guten Willens hing, soviel Zuverlässigkeit auszusprechen, klingt schon recht merkwürdig und für diese Zeiten nahezu naiv. Stellt man zwischen der nieder schmetternden Aussage von Paterculus in die er alle Germanen einbezog einen Bezug zum Ausnahmefall Segestes her, dann darf man sich auch die Frage stellen, warum dieser Widerspruch von der Forschung bislang so unkommentiert hingenommen wurde. Aber selbst wenn es Anhaltspunkte oder gar belastbare Beweise gegen Segestes, also auch Gegenzeugen zu seinen Äußerungen gegeben hätte, woher auch immer sie hätten kommen sollen. So wäre es auch dann nie zu einem Prozess gegen ihn wegen Falschaussage vor dem palatinischen Tribunal gekommen, da man auf Segestes als Kronzeugen nicht verzichten wollte und ihn nicht nur brauchte, sondern je nach Lesart auch missbrauchte. Auf Paterculus der in diesem Fall knapp an der Glaubwürdigkeit vorbei schrammte, folgte Tacitus und nun ist Florus, der sich ebenfalls über Segestes äußerte am Zug. Florus gilt unter allen Vieren wie bereits dargelegt, als der unzuverlässige Kandidat im Reigen der antiken Historiker, obwohl er erstaunliches an Wissen über die Varusschlacht beisteuern konnte. Wer ihn wegen seiner Abweichungen zur landläufigen Grundannahme bzgl. eines nicht plausibel genug erscheinenden und daher unpassenden Lagerüberfalles demontieren möchte, der machte es sich schon immer zu leicht mit ihm. Denn der bevorzugte es, dass Gegensätzliche in seinen Überlieferungen aufzuspüren und über zu betonen und weniger nach dem zu suchen, was sich an Verbindendem und Kompatiblem finden lässt. Der verwirft grundlegend die Theorie des Lagerüberfalls, obwohl es ihn gab. Der vertritt auch den Standpunkt, dass es sich in eindeutiger Weise bei dem überfallenen römischen Gerichtslager nur um ein exzellent zu verteidigendes und nahezu uneinnehmbares mit Türmen bewehrtes Dreilegionenlager gehandelt haben kann und muss. Und der übersieht daher auch schnell, dass die Gerichtsverhandlung nicht im Hauptlager statt gefunden haben kann, sondern naheliegender Weise nur bei dem als aufrührerisch geschilderten Stamm anberaumt werden konnte. Und der stellt auch die bautechnischen Leistungen in Abrede, von denen uns Florus berichtete und die bereits unter Drusus, also schon vor 9 – angegangen wurden. Militärische Lager die angezweifelt werden, da sich manche von ihnen an Maas und Rhein, aber insbesondere an Weser und Elbe noch nicht nachweisen ließen. Der zweifelt auch seine Bemerkung an, dass Kaiser Augustus sich zum Ziel gesetzt hatte Germanien zu besiegen und zur Provinz zu machen. Und der ignoriert auch seine Überlieferung, wonach ein blutverschmierter Legionär mit der Standarte am Wehrgehänge entkommen konnte. Aber sein Hinweis darauf, dass Segestes die Verschwörung dem Feldherrn Varus verriet, der sie aber abtat wird hingegen wieder von aller Welt voll akzeptiert und trifft erstaunlicherweise auch auf uneingeschränkte Glaubwürdigkeit seiner Kritiker. Unstrittig und über jeden Zweifel erhaben ist diese Überlieferung von Florus bezogen auf Segestes wohl deshalb, weil es vor ihm schon zwei so namhafte Größen wie Paterculus und Tacitus genauso oder ähnlich berichteten, während ihm für seine anderen Überlieferungen leider die Gewährsleute fehlten und sich keine Historiker finden lassen, bei denen er hätte abschreiben können. Somit steht sein Wissensstand auf dem Niveau und vielleicht sogar über dem der anderen, die auch alle in Varus den unbelehrbaren Feldherrn erkannten und man ließ seine Worte über Segestes unangetastet und als glaubhaft durchgehen. Ein Fingerzeig dahin gehend, dass Florus zumindest in diesem Fall die gleiche Quelle genutzt haben könnte wie Tacitus, oder gar in ihm eine direkte Quelle hatte wie auch angenommen wird, er also letztlich ganz profan nur bei ihm abschrieb. Da aber Florus von einem Lagerüberfall wusste und berichtete, von dem wir bei Tacitus nichts lesen können kannte Florus möglicherweise in Teilen das, was auch Paterculus überlieferte. Denn Paterculus war der erste Historiker der wie Florus auch, über einen Lagerüberfall schrieb. Genau genommen wusste Paterculus sogar noch mehr, nämlich von zwei Lagerüberfällen, während Florus nur von dem einen Überfall auf das Gerichtslager wusste. Denn Paterculus überlieferte, dass sich der Römer Eggius der Lagerkommandant des wohl viel zitierten „Prima Vari Castra“ beherzt zur Wehr gesetzt hatte, was er hingegen über Ceionius dem Lagerkommandanten des vermeintlich zu nennenden „Secundus Vari Castra“, also dem letzten Notlager von Varus verständlicherweise nicht sagen konnte. Aber die Übereinstimmung der Florus Überlieferung was die Warnung von Segestes anbetrifft, sowohl auf der Basis des Textes von Paterculus und im Grundsätzlichen auch auf der von Tacitus unterstreichen die absolute Glaubwürdigkeit von Florus, zumindest was den damaligen Wissenstand vor Cassius Dio anbelangt. Abstriche müssen bei Florus, wie übrigens bei allen antiken Historiker immer an den Stellen gemacht werden, wo sie mangels Plausibilität gezwungen waren eigene Visionen einfließen zu lassen, da sich dem ihnen vorliegenden Stoff zu wenig Hergang und Aktivität entlocken ließ. Und auch bei Florus wird erkennbar, wie bedeutsam sich doch die theatralische Tat von Segestes von allem abhob und in die ewige Geschichte ein ging, obwohl man sie wie dargestellt in Abrede stellen darf. Denn auch bei Florus fand sie Eingang in seine, wenn auch nur sehr mageren Worte, die er für die Varusschlacht übrig hatte. Aber gerade dieses Wenige macht seinen Hinweis auf Segestes um so wertvoller und interessanter. Und der gleiche Grund der auch seine knappe Darstellung erklärt gilt auch für die gesamte antike Historikerschafft die über Varus schrieb und lässt sich gut nachvollziehen. Denn das Wissen zum Verlauf und zu den Details der Varusschlacht war in Rom mangels Zeitzeugen derart minimal, lückenhaft, darüber hinaus zusammenhanglos und Bestand aus so vielen Ungereimtheiten und Bruchstücken, dass jede Information, woher sie auch immer kam und wie aussagekräftig sie auch gewesen sein mag, von jedem antiken Geschichtsschreiber dankbar aufgegriffen und manchmal auch etwas eigensinnig interpretiert wurde. Was aber nicht abwertend gemeint sein soll, denn man kann sicherlich allen zubilligen, dass sie sich grundsätzlich bemühten der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Letztlich verwundert es auch nicht, denn angesichts der wenigen Überlebenden hatten sie keine andere Wahl, als sich auch etwas in die Grauzonen hervor wagen zu müssen. Aber bei allen ist immer noch das starke Bedürfnis erkennbar, der Nachwelt Zeugnis dieser großen Tragödie hinterlassen zu wollen. Aber wie spitzen sich seine Quellen auf Segestes bezogen zu, bzw. auf welche Historiker soll oder könnte er sich nach Ansicht der Forschung bezogen haben. Genannt werden Titus Livius, Sallust, Lucan, Seneca der Ältere aber auch Tacitus. Ob Florus auf Seneca den Älteren zurück greifen konnte ist fraglich, denn der äußerte sich nur einmal kurz über das Schicksal jener gut betuchten Römer die die Varusschlacht zwar überlebten, aber ihren sozialen Stand danach nicht mehr halten konnten und armselig endeten. Seneca äußerte sich über Segestes zwar selbst nicht, Florus hätte aber von den Davongekommenen über Seneca das eine oder andere vom Verlauf der Schlacht erfahren haben können. Bittere Wahrheiten die durch Florus auf diesem Weg erst lange Jahre nach der Schlacht den Weg an die Öffentlichkeit fanden. Titus Livius verstarb schon um 17 + und sein Werk reichte nur bis 9 -. Ob ihn trotzdem noch Informationen von ihm über Segestes im Zusammenhang mit dem Triumphzug im Jahr seines Todes erreichten, ist in Zweifel zu ziehen. Aus den Überlieferungen von Lukan ist nicht ersichtlich, ob er sich überhaupt jemals über das Thema Varusschlacht ausgelassen hat. Er wurde nur 26 Jahre alt und viel Zeit blieb ihm wohl auch nicht um Florus Material hinterlassen zu haben. Da aber auch der später schreibende Historiker Cassius Dio wie Paterculus über einen Lagerüberfall berichten konnte, wie er sich im Zuge der Mehrtagesschlacht ereignete, muss auch Florus über Quellen verfügt haben aus denen sich dieses ableiten bzw. erschließen ließ und Seneca könnte dazu seinen Beitrag geleistet haben. Dio schrieb über heftige Kämpfe die sich nur am zweiten Marschtag nach dem Abzug aus dem vermutlichen Brakeler Quartier zugetragen haben können, als auch am Folgetag dem dritten Marschtag, als man das angenommene „Prima Vari Castra“ verließ. Das vermeintliche Gerichtslager in dem Varus beabsichtigte seine Schlichtungsbemühungen zum Erfolg zu führen. In der Zusammenfassung lässt sich was Segestes anbetrifft fest halten, dass auch Florus dem Wissenstand der Zeit treu blieb in dem letztlich auch seine Zeilen nur auf dem basierten, was Segestes nach seinem Eintreffen in Rom an Erklärungen für sein Verhalten abgab. Florus kann uns also in der Summe auch nicht mehr berichten als das, was uns Paterculus und Tacitus auch überlieferten, dass nämlich Segestes Varus gewarnt haben soll. Aber was lässt sich unter Zuhilfenahme der Übersetzung den Worten von Florus über Segestes entnehmen. Denn auch wenn Varus wie Florus schreibt unvorbereitet war und er nichts befürchtete, so kommt auch bei ihm unstrittig zum Ausdruck, dass Varus von Segestes vorgewarnt war. Wie Varus dann mit dieser halbherzig vorgetragenen Warnung umging oder wie er das Wissen später nutzte bleibt auch bei Florus offen. Genauso wie niemand weiß, wie sich Varus im späteren Kampfgeschehen verhielt, aufführte oder gar bewährte. Denn wer war dabei wie Varus möglicherweise gegen viele anderslautende Annahmen verbissen und mit aller Kraft versuchte die plötzlich aufgetretene militärische Lage unter Kontrolle zu bringen. Wie er seine Generäle anspornte und seine Männer antrieb das Lager bis zuletzt zu verteidigen. Wer wollte denn in Rom das Gegenteil davon behaupten. Beliebt war wohl eher die Vorstellung, dass sich Varus am ganzen Körper zitternd, gleich in den ersten Kampfstunden schon geschützt von seiner Leibwache in seine bequeme Karosse zurück zog und ängstliche Blicke umher warf. Aber dafür fanden sich keine Zeugen mehr, also rätselte man und die Suche nach dem Schuldigen dauerte nicht lange. Alles bleibt aber nur deswegen rätselhaft, weil es sich aus der vermeintlich zu nennenden Tatsache erschließt, Varus wäre im Detail gewarnt worden, dem ich widersprechen möchte. Die Anderslautende, also auch die historisch begründbare Gegenthese dazu geht davon aus, dass Varus so himmelschreiend unvernünftig, selbstsicher bis zur Hochnäsigkeit und Arroganz bei gleichzeitig sträflicher Vernachlässigung aller milititärisch gebotenen Vorsichtsmassregeln dem falschen Flügel des Cheruskerclans das volle Vertrauen schenkte und wohl wissend um die ihm bevorstehende Gefahr keine zusätzlichen vorkehrenden Maßnahmen ergriff. Eine Annahme die uns die Geschichtsschreibung und ihre Impulsgeber aus alten Zeiten so verkaufen besser gesagt ein suggerieren möchten, die aber gegen jede Vernunft eines Vorgewarnten spricht und selbst einem Varus schwerlich zu unterstellen ist. Zwei Theorien die sich trotzdem gegenüber stehen. Wovon aber die eine außer acht lässt, dass Varus auch nicht völlig wehrlos zu den Aufrührern zog. Nämlich in eine Region in der man einen feindlichen Akt nicht ausschließen konnte und nicht schon auf dem Weg dahin damit rechnete. Immerhin befehligte er eine schlagkräftige Armee die ihm Sicherheit für seinen Gerichtstag versprach. Er konnte es sich also sowohl erlauben die Segestes Worte, wenn es sie denn gab, in den Wind zu schlagen, als auch ungewarnt den Marsch zu den Aufrührern anzutreten. Ob mit oder ohne vorherige Warnung, keine von beiden Theorien hätte seine Entscheidung zu den Rebellen zu marschieren noch umstoßen können. Sein mögliches Motto: „Mit ihnen würde er schon fertig werden“. Segestes dürfte oder sollte, selbst wenn er gewollt hätte erkannt haben, dass eine Warnung überflüssig war, denn Varus wäre in jedem Fall zu den Rebellen aufgebrochen. Die Zeit, dass sich Varus da noch in letzter Minute herein reden ließ war verstrichen wie es auch Paterculus schrieb. Insofern konnte Segestes, selbst wenn er die Absicht gehabt haben sollte Varus zu warnen, sich dieses ersparen. Ein weiteres Argument, was dafür spräche, dass Segestes schwieg. Aber was hätte Varus anderes tun können wenn er nicht, wie es ihm angeblich Segestes empfahl die cheruskische Elite in Ketten legen wollte. Gab es noch einen dritten Weg ? Hierzu Analysen anzustellen ist nicht möglich, da sich auf erdachten Handlungen keine Argumente sei es für das eine oder das andere aufbauen lassen. (13.02.2021)

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Montag, 1. Februar 2021
Die Antithese: Segestes war am Komplott beteiligt - Die Vision: Varus blieb Sieger
Bevor es in den nächsten zwei Kapiteln verstärkter um die Analyse der Überlieferungen aus der Feder von Publius Annius Florus über Segestes geht, ist immer eine angemessene Verknüpfung mit dem bisherigen Sachstand nützlich und angebracht. Gemeinsam und übereinstimmend berichteten seine beiden Vorgänger, zuerst war es Paterculus und ihm folgte später Tacitus, dass Varus von Segestes vor den Gefahren eines offenen Gewaltausbruchs gewarnt wurde. Aber beide wichen in einem Punkt voneinander ab. Denn Paterculus zu Folge kam es nur zu einer einzigen Warnung, da für eine zweite keine Zeit mehr blieb und nach Tacitus geschah es mehrfach und sogar noch am Vorabend vor dem Marsch in den Unruheherd. Wir wissen nicht wer recht hatte aber ungeachtet dessen zeugt diese Abweichung von einer für beide bestehende unklare Quellen - oder Interpretationslage. Zumindest aber löst dieser Dissens Fragen nach der Glaubwürdigkeit segestinischer Warnung aus. Aber alle und darin einbezogen auch die in den nächsten Abschnitten noch folgenden Überlieferungen von Publius Annius Florus und Cassius Dio schweigen, wenn es um die Frage geht wie präzise sich Segestes gegenüber Varus hinsichtlich der auf ihn zukommenden Gefahren ausgedrückt haben soll oder will. Auf was also genau Segestes den Feldherrn hingewiesen haben will wissen wir nicht. Denn lediglich auf ein Bedrohungsszenario hinzuweisen sagt nichts über das Inhaltliche aus was er damit gemeint hat. Denn alle angesprochenen Historiker berichten lediglich von Warnungen, aber keiner von Ihnen konnte deutlich werden und war imstande uns genaueres zu hinterlassen, sodass ihre Worte diesbezüglich inhaltsleer blieben. Sollte Segestes, ob es nun eine einzige Warnung gab, oder ob er mehrere Warnungen tatsächlich ausgesprochen haben will, was sich nach über 2000 Jahren nicht mehr beweisen lässt, so ist es ihm jedenfalls nicht gelungen dem Feldherrn das ihm Drohende so plausibel zu verdeutlichen, dass Varus ihm glauben konnte und sogar glauben musste damit er die nötigen militärischen Konsequenzen zog. Bekanntlich geht diese Theorie davon aus dass sich Segestes weder minimal noch optimal zur Gefahrenlage äußerte sondern gar nicht. Den Überlieferungen zufolge blieb Segestes demnach oberflächlich, ging hinsichtlich seiner Warnung nicht in die Tiefe und ließ es scheinbar darauf ankommen, ob Varus ihm nun glauben würde oder eben nicht. So die gewonnene Auffassung die sich aus den alten Schriften herleiten lässt. Sollte er Varus gewarnt haben, dann kann man auch den Eindruck gewinnen, als ob er auf die wichtigen Details verzichten wollte oder musste. Aber die Varusschlacht fiel nicht urplötzlich aus dem Himmel. Sie erforderte unter den Germanen zahlreiche Kontakttreffen, Abstimmungen, Absprachen vor allem aber Überzeugungsarbeit bis alle auf die Vorgehensweise und das Ziel eingeschworen waren und auch der Letzte die Pläne akzeptierte. Segestes dürfte der Quelleninterpretation nach zu urteilen und Kraft seiner gehobenen fürstlichen Position auch Teilnehmer an den vor beratenden Versammlungen der Germanen gewesen sein. Somit war er auch in die Geschehnisse einbezogen und könnte sich sogar an der Strategiedebatte beteiligt haben. Ein demaskierender Umstand den er der Nachwelt verständlicherweise verschweigen musste. Mitwisser von alledem war er allemal, denn auch im alten Germanien hatten die Wände Ohren. Und das er tiefer im Geschehen steckte als er es uns glauben machte, davon zeugt eine seltsame Begebenheit. Denn seine Sippe oder waren es sogar Angehörige seiner unmittelbaren Familie prahlten 15 + gegenüber dem römischen Feldherrn Germanicus noch stolz mit den in der Varusschlacht erbeuteten Waffen. Segestes konnte oder wollte warum auch immer diesen Akt sechs Jahre nach der Schlacht nicht unterbinden, denn er lief seiner Verteidigungsstrategie zuwider. Es war für ihn vermutlich ein peinlicher, aber für die Aufarbeitung der Zusammenhänge aufschlussreicher Zwischenfall, der uns hier über eine römische und sicherlich keine Quelle aus dem Hause Segestes erreichte. Und dann berichtet Tacitus noch unter 1,55 (3), dass Segestes obwohl er mit Arminius uneinig blieb sich trotzdem wegen dem „consensu gentis“, also der Zustimmung des Volkes in den Krieg mit hinein ziehen ließ. So darf und muss man geradezu annehmen, dass er auf Seiten der Germanen wie es auch immer stattfand, an der Varusschlacht selbst mit teilnahm. Als ein hoch angesehener Germanenfürst wie er es war, erwartete es sein Stamm förmlich von ihm, dass auch er selbst mit das Schwert gegen Rom erhob. Denn seine eigene Sippe oder Familie vorzuschicken und kämpfen zu lassen, sich selbst aber zurück zu halten, hätte gegen jeden germanischen Ehrenkodex verstoßen und man hätte ihm zudem noch Feigheit anlasten können. Nachdem er, wie man es auch interpretieren kann vom ganzen Volk unter Druck gesetzt wurde und was wohl das Volk in seinem Fall für nötig erachtete, so stand er offensichtlich schon unter argwöhnischer Beobachtung. Natürlich nur unter der Prämisse betrachtet, dass es sich so zutrug, denn Segestes musste immer noch nach einem Vorwand dafür suchen, warum er nicht schon viel früher die Seiten gewechselt hatte. Nimmt man des Volkes Stimme als eine Tatsache hin, so darf man davon ausgehen, dass er es sich auch nicht erlauben konnte sich zu drücken. Aber selbst redend geschah es „natürlich alles gegen seinen ureigenen Willen“. Insgesamt Hinweise und Schlussfolgerungen die es gestatten annehmen zu dürfen, dass er nicht nur mit kämpfte, sondern auch die gesamte germanische Vorgehensweise recht gut kannte. Was man ihm noch einzig zubilligen könnte, wäre der Umstand, dass er halbherzig zwischen den Fronten schwebte, aber Schizophrenie sollte man ihm nicht unterstellen. Denn nüchtern betrachtet taten sich bezogen auf sein Verhalten unüberbrückbare Verständnislücken auf. Auf der einen Seite über Detailwissen zu verfügen, dieses aber im entscheidenden Moment Varus gegenüber zu verschweigen passt nicht zusammen. Aber bei dieser Sachlage kann und muss man aufgrund seines guten Wissenstandes auch noch einen anderen wichtigen Aspekt mit in Betracht ziehen. Denn er gehörte auch zu jenen, die über die besten Kenntnisse zum Kräfteverhältnis der beiden Konfliktparteien verfügte. Er kannte zudem die germanische Strategie, kannte die Zugstrecke von Varus, kannte das Terrain wo man Varus angreifen wollte, kannte auch die anderen Germanenstämme die Arminius ihre Unterstützung zugesagt hatten und wusste um ihre Anmarschwege. Und wer Kenntnis über diese großen Zusammenhänge besaß, der weiß auch noch etwas anderes. Denn der erkennt auch, dass die Germanen nicht nur eine reelle Chance hatten den Sieg davon zu tragen. Dem erschließt sich auch frühzeitig wer als Gewinner den Platz verlassen würde. Selbst wenn er innerlich das Ansinnen verspürt haben sollte Varus warnen zu müssen, so wird ihn allein schon dieser Umstand davon abgehalten haben. Denn unter derartigen Bedingungen stellt man sich nicht mehr und das angeblich sogar noch, sozusagen in letzter Sekunde auf die Seite eines möglichen späteren Unterlegenen. Ganz im Gegenteil, denn dann sucht man rechtzeitig die Nähe zur anderen Seite. Überzeugend hätte er gewirkt, wenn er sich mit allen Konsequenzen klar positioniert hätte. Dann hätte er sich in seiner Handlungsweise ultimativ und alternativlos gegen sein Volk und gegen die Arminen Cherusker aussprechen und sich voll auf die Seite der Römer stellen müssen. Wenn auch seine Sippe Arminius zuneigte, so hätte dies nicht für ihn gelten brauchen. Er hätte sich demonstrativ neben Varus stellen können, hätte ihn auf dem Marsch sogar begleiten können und hätte auch für ihn gegen sein eigenes Volk die Waffe schwingen können und müssen, wenn er seinen Worten Gewicht hätte verleihen wollen. Er tat es nicht. Vor diesem Hintergrund wirkt seine angebliche Warnung bereits wie eine plumpe Ausrede die glauben konnte, wer wollte. Auch aus dieser Indizienkette lässt sich ableiten, dass auf Segestes auch das harte Wort Lügner angewendet werden könnte, denn er log insofern, als dass es von ihm weder eine einzige noch mehrere Warnungen gab. Interessant wäre es in diesem Zusammenhang auch die Fragestellung aufzuwerfen, was aus Segestes im umgekehrten Fall geworden wäre. Was wäre passiert wenn Varus, der wie man annehmen darf von Segestes mit keiner Silbe gewarnt wurde, dann doch aufgrund unerwarteter Fügung dem Massaker hätte knapp entkommen können, oder wenn Varus gegen alle Erwartungen die Schlacht sogar für sich entschieden hätte. Varus wäre dann mit seinen siegreichen Legionen in die Winterlager am Rhein weiter gezogen. Wäre aber im Frühjahr 10 + wieder gekommen. Und noch etwas. Er hätte dann auch wieder über seine ursprüngliche Sollstärke verfügen können, da ihm weitere Legionäre aus dem Dalmatienkonflikt zugeflossen wären, die ihm im Herbst 9 + noch fehlten. Mit einem Großaufgebot hätte Varus eine Strafmaßnahme umgesetzt und den fälligen Rachefeldzug gegen die Cherusker geführt. Dann aber gegen alle Cherusker. Und er hätte auch vor Segestes nicht halt gemacht, der sich in den Krieg mit hinein ziehen ließ. Auch Segestes hätte dann bei Varus keine Gnade gefunden. Aber wie sich Segestes vor dieser schicksalhaften Wende hätte absichern können, falls Rom tatsächlich gesiegt hätte, soll hier nicht zum Gegenstand weiterer Spekulationen werden. Es sollte aber auch nicht unerwähnt bleiben, denn auch diese Möglichkeit könnte sein Verhalten beeinflusst haben. Aber er brauchte diese Möglichkeit nicht in seine Entscheidung einbeziehen, da er keinen römischen Sieg erwartete. Aber zurück zum Versuch die Theorie lebendig werden zu lassen. War also Segestes später sogar selbst auf dem Kriegsschauplatz aktiv, so musste ihm auch bekannt gewesen sein, wo bzw. auf welchem Streckenabschnitt es zum Gefecht bzw. zum ersten Aufeinandertreffen kommen sollte. Denn der Nethegau war auch ihm nicht unbekannt und die Methodik verrät, dass die Germanen nicht völlig strategie- und kopflos, konfuse oder vom Zufall abhängig, irgendwo am Wegesrand dem römischen Marschzuges aufgelauert und auf die Legionäre gewartet haben um dann blindlinks los zu dreschen. Denn das vorherige Ausschalten der Abstellungen, also des zivilen Trosses und andere belastbare Hinweise lassen eine gut durchdachte und vielleicht sogar schon langfristig angelegte germanische Strategie erkennen. Cassius Dio bestätigte uns ihre, nennen wir sie Weitsicht, also die frühzeitige Vorbereitung für den Tag des großen Kraftaktes in seiner Textstelle 56.18–22. Er stellte es darin so dar, als ob man das Imperium schon von Beginn an bewusst in eine abwegige Region lockte. Dahin wo sich ihnen keine schiffbare Ostwestverbindung mehr bot, denn die Weser fließt bekanntlich nach Norden und wo man zudem noch den aufwendigen Wegeausbau anzugehen hatte. Man zwang Rom auf diese Weise in Anreppen alles umladen und alle Marschbewegungen, seien sie von logistischer oder militärischer Natur auf den Landweg verlegen zu müssen. Und das Wegstück vom Oberlauf der Lippe bis an die Weser hatte es in sich und war ungleich beschwerlicher, denn sie mussten immer den Eggeanstieg von beiden Seiten aus bewältigen. So spricht aus den Worten von Cassius Dio im übertragenen Sinne auch die an anderer Stelle überlieferte Kernaussage, dass die Germanen das Land und die Natur für sich kämpfen ließen. Rom ließ sich leicht verführen und daran könnte schon Segimer beteiligt gewesen sein. Denn nach dem Rhein erkannte man im Imperium in der Weser bereits das nächste Okkupationsziel, verkannte aber die geographisch kritische Lage. Des Weiteren brachte Cassius Dio zum Ausdruck wie geschickt man damals in Germanien vorging in dem man sich für einen entfernt lebenden Stamm als Zielort entschied und ihn vorschob, also keinen der im Nahbereich zum Sommerlager oder zum Hellweg siedelte. Vor allem hielt Cassius Dio fest, dass man Varus in dem Glauben ließ im Freundesgebiet unterwegs zu sein. Was auch für den ersten Marschtag noch vollumfänglich zugetroffen haben mag, denn von Höxter nach Brakel bewegte man sich im Cheruskerland. Aber seine Bemerkung gipfelt in der präzisen Aussage, dass alles nach einem „abgesprochenem“ Plan verlief. Ein Ablauf dem eine eindeutige Strategie zugrunde lag. Aber demzufolge auch einer Taktik folgte die Segestes gekannt haben muss. So sollte also auch Segestes gewusst haben, welchen Weg er dort hin zu nehmen hatte und wo, wenn nicht auch er selbst, so doch seine Sippe sich in die verabredete Gefechtsphalanx der Germanen einzufügen hatte um effektiv zu sein. Da nicht überliefert ist, dass Segestes gemeinsam mit Varus das Sommerlager verließ, sondern nur Arminius gemeinsam mit Varus ritt, könnte sich Segestes erst am zweiten Tag, dann aber wohl unmittelbar „an die Front“ begeben haben und da er und seine Sippe nicht aufs Geratewohl aufgebrochen sein dürfte, wird er auch die Zielrichtung gut gekannt haben. Aber alle diese sehr aufschlussreichen Details erfuhr Varus von keiner Seite und auch nicht aus dem Munde von Segestes. Darüber ließ man ihn im Unklaren, obwohl genau das dazu hätte führen können, dass Varus Segestes die ernsthafte Bedrohung da detailgetreu geschildert hätte abnehmen können. Denn diesem präzisen Wissen über den Ablauf hätte Varus auch nichts mehr entgegen setzen können und hätte ihm glauben müssen. Allesamt dürfte Segestes bereits ausgereifte Pläne zumindest aber Gedanken gehabt haben, die er aber dieser Theorie nach Varus gegenüber am Vorabend des Ausmarsches verschwiegen hat. Denn zum besagten Zeitpunkt am Vorabend sollte Segestes schon genau gewusst haben, wie er sich später selbst verhalten würde. Und der Vorabend wäre demnach auch der richtige Zeitpunkt für ihn gewesen, dem Feldherrn gegenüber Schritt für Schritt die Strategie der Germanen offen zu legen, um Varus von der Ernsthaftigkeit der Gefahr zu überzeugen und um ihm die Schlacht bzw. Niederlage zu ersparen. Es war die letzte Möglichkeit, denn danach sah er ihn wohl nie wieder. Er hätte Varus also beim Gastmahl in jedem Fall sagen müssen, dass auf ihn eine größere Auseinandersetzung zukommen würde und diese nicht vergleichbar mit dem sei, was ihn bei den so genannten Aufrührern erwarten würde. Das es auf einen möglicherweise mehrtägigen Zermürbungskampf hinaus laufen würde, das es zu keiner offenen Feldschlacht kommen würde und auch das der Kampf nicht zentriert nur dort statt finden würde, wo er die Aufrührer anzutreffen gedachte. Das Stammesgebiet jener Rebellen wo er seine Konvention, wie Florus es nannte, also eine Versammlung bzw. einen Gerichtstag abhalten wollte. All dies unterließ Segestes letztlich, denn von seiner vermeintlichen Warnung lesen wir „nur“ im Geschichtsbuch, einem dicken Buch in dem leider zu oft „nur“ Geschichten stehen. Ereignisse die oft alle so nicht zutrafen, wie wir es heute annehmen. Sicherlich verschwieg es Segestes ihm nicht aus Gründen der Peinlichkeit, weil er befürchtete, Varus möglicherweise später sogar noch auf dem Kampfplatz selbst hätte begegnen können. Denn wie anders sollte man auch die Textstelle auffassen, wo nach sich Segestes noch „in den Krieg mit hinein ziehen ließe“. Wobei allerdings in Historikerkreisen auch die Auffassung vertreten wird, dass damit gemeint sei, Segestes habe sich erst nach der Varusschlacht gezwungen gesehen am Aufstand gegen Rom teilzunehmen. In diesem Fall sei dann aber die Frage erlaubt, an welchen Aufstand die Historiker dabei gedacht haben mögen. Denn davon ist nichts dergleichen überliefert. Offensichtlich tut man sich mit der Vorstellung schwer, Segestes habe sogar selbst wie seine Männer auch gegen Varus zur Waffe gegriffen. Denkt man alle historischen Hinweise zu Ende dann wäre Segestes bei seinen Warnungen, hätte es sie gegeben bewusst unpräzise geblieben. Denn desto mehr Hintergrundwissen er gehabt und Varus offenbart hätte, um so exakter wären dann auch seine Informationen an ihn ausgefallen und um so glaubwürdiger wäre er auch ihm gegenüber gewesen. Dann hätte Varus sich anders verhalten müssen. Segestes hätte sich dann aber auch selbst einer nicht minder großen Gefahr ausgesetzt nämlich der als Doppelspion zu agieren. Denn dann hätte sich Segestes bei diesen Detailkenntnissen auch auf die Frage von Varus vorbereiten müssen, woher dieser denn genau wusste, was die Germanen so alles gegen ihn im Schilde führten. Denn wer über so viel Insiderwissen verfügte, der könnte auch schon am Komplott gegen ihn mit gewirkt haben und der würde nicht noch 5 Minuten vor 12 die Front wechseln. Dies hätte ihn zweifellos sehr verdächtig gemacht und am Ende hätte dann nur einer in Fesseln gelegen, nämlich Segestes. Varus hätte hinter seinen Worten dann sogar möglicherweise ein geschicktes Täuschungsmanöver ganz anderer Natur und mit völlig anderem Hintergrund sehen können. Etwa ein Segestes der den Auftrag hatte Rom in eine völlig andere Position zu dirigieren. Vielmehr stehe ich allerdings für die Behauptung, dass Segestes Varus gegenüber in Gänze schwieg, es keine Warnung und demzufolge auch keinen Verrat von seiner Seite gab und sich andere Spekulationen erübrigen. Dieser Dissens in der Wahrnehmung und Gewichtung der alten Überlieferung muss auffallen, wenn man versucht die Szenerie nach menschlichem Ermessen zu greifen und nachzuspielen. Erst diese Vorgehensweise lässt uns auf die verschwiegenen Lücken innerhalb der historischen Berichterstattung stoßen. Folglich unplausible und halbherzige Warnungen auszustoßen um dann doch noch gegen Varus mit zu kämpfen, da Beute lockt, oder weil man sich vom Volk genötigt fühlt, wirkt widersprüchlich und macht wenig Sinn. Gleiches gilt für die in historischen Kreisen geäußerte Vermutung, Segestes habe sich erst nach der Varusniederlage den späteren römischen Rückzugskämpfen, also gegen Aliso oder die Lippekastelle angeschlossen. Aber nicht nur das Volk wird Segestes unter Zugzwang gesetzt haben auch seine eigene Familie und Sippe wird Einfluss ausgeübt haben, dem er sich nicht entziehen konnte. So musste er sich im entscheidenden Moment doch mehr zur germanischen als zur römischen Sache bekennen. Jedenfalls wird auch an dieser Stelle deutlich um wieviel enger der oft unterschätzte Protagonist Segestes gegenüber Arminius mit in die Ereignisse verstrickt war und nicht viel Wahlfreiheit besaß. Er erwartete oder erhoffte vielleicht sogar einen römischen Sieg, konnte aber auch eine Niederlage nicht völlig ausschließen, was dann für ihn bedeutet hätte auch weiterhin entweder mit den siegreichen unter Umständen aber auch mit geschlagenen Germanen zusammen leben zu müssen. Aber das Risiko sich mit seiner Sippe direkt dem Rückmarsch in die römischen Winterlager am Rhein anzuschließen schien ihm dann doch zu groß gewesen zu sein. Mit anderen Worten ausgedrückt fällt es schwer für diese Faktenlage andere Argumente aufzutischen als die von mir vertretenen. Denn wer am Vorabend der Schlacht noch seinen vermeintlichen Freund Varus gewarnt haben wollte um dann gegen ihn am übernächsten Tag und nur rund 4o Stunden danach selbst das Schwert zu ziehen, lässt kaum andere Schlüsse zu, als dass es keine Warnung gab. Wenn sich ein von außen als Germane erkennbarer Kämpfer wie Segestes im Kampfbereich sehen ließ, musste er auch davon ausgehen von römischen Legionären sowohl erkannt als auch angegriffen zu werden und sich verteidigen zu müssen. Somit verstrickte er sich, selbst wenn er etwas passiver auftrat, mitten ins Gefecht. Wäre es anders gewesen, hätte der strahlende Sieger Arminius ihn, den Verräter auch nicht sechs lange Jahre nach der Schlacht in seinem Umfeld geduldet und ihm den Frieden gelassen. Und das auch dann nicht, wenn er mit ihm verwandt gewesen wäre. Aber die reale Geschichte schlug wohl andere Wege ein und schließlich ging für die Germanen alles gut aus. Schließlich „durfte“ Arminius der Widersacher fünf Jahre nach der Varusschlacht noch seine Tochter Thusnelda schwängern und so etwas passierte im alten Germanien sicherlich nicht hinter dem Rücken des Schwiegervaters, sondern war eine abgesprochene und eingefädelte vor allem aber traditionelle und übliche Verbindung unter den Fürstenhäusern (01.02.2021)

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Dienstag, 26. Januar 2021
Segestes - dankbarer Kronzeuge einer politischen Intrige geschichtlichen Ausmaßes ?
Die Varusschlacht ein Buch mit sieben Siegeln ? Nicht mehr so ganz, denn die Schleier lüften sich langsam. Weiß man chronologisch betrachtet wie in diesem Fall, wann die Schlacht geschlagen wurde, dann gesellen sich zu jeder Schlachtenerforschung noch die drei Fragen nach dem „warum“, dem „wo“ und dem „wie“. Bezogen auf die Varusschlacht scheint die Frage nach dem „warum“ noch die einfachste zu sein, denn dazu liegen uns die meisten Anhaltspunkte vor. Sich die Frage zu beantworten wie sich die Schlacht entfaltete wird in diesem Fall schon schwieriger, dafür scheint sich aber die Frage nach dem wo, im Zuge dieser Untersuchung wieder etwas zu erhellen. Aber die vierte Frage macht einen zusätzlichen Schwenk nötig. Denn sie zielt auf ein zweites „warum“ ab nämlich zu hinterfragen, warum sie sich nicht verhindern ließ. Und an dieser Stelle kommt Segestes ins Spiel, denn er will es in seiner Hand gehabt haben, dass es zu gar keiner Varusschlacht hätte kommen müssen, wenn der Feldherr auf ihn gehört hätte. Für das antike Schaltzentrum in Rom spielte er aber nur eine unwesentliche Rolle. Seine Bedeutung wuchs erst dadurch, dass er als Widersacher eines großen römischen Gegenspielers in Erscheinung trat, was ihn für das Imperium interessant machte. Diesem Sachverhalt verdankt er in erster Linie die ihm zuteil gewordene Aufmerksamkeit und verhalf ihm, dem kleinen Germanenfürsten vermutlich aus dem Süden des heutigen Niedersachsens der nur eine unbedeutende Randfigur darstellte, zu hohem Ansehen und Eingang in den Olymp antiker Literatur. In Wahrheit diente zunächst alles wohl mehr seinen eigenen und dann erst später auch den Interessen des damaligen Feldherrn Tiberius. Denn in Segestes fand man einen willigen, scheinbar neutralen, vor allem aber nützlichen Helfer der die Schuld einzig auf Varus lenkte und damit den Ruf vieler anderer vor allem aber den von Tiberius schützte. Vergessen wir nicht, dass Tiberius als er noch Feldherr war, durch sein Verhalten im Zuge des Markomannen Feldzuges eine erhebliche Mitschuld an der Varusniederlage auf sich lud. Genauer gesagt war es das von ihm angeordnete Ausdünnen der Varusarmee vor der Niederlage 9 +. Denn mit dieser Dezimierung und der damit einhergehenden Schwächung trug Tiberius maßgeblich und somit Schlachten entscheidend dazu bei, dass Varus den Krieg verlor, ja sogar verlieren musste. Und dafür lässt sich kaum ein besserer Gewährsmann finden als es der historisch unverdächtige Marbod war, der einstige Zeitzeuge aus Varustagen. Denn er brachte es mit seiner von Tacitus überlieferten Wortwahl „vacuas“ vortrefflich zum Ausdruck, unter welch widrigen Bedingungen Varus eine Provinz aufbauen und sie halten sollte. Denn mit einer Armee die „vacuas“ war, ein Wort das vom lateinischen Wort „vacuus“ abstammt und dem deutschen Wort „leer“ entspricht, ließ sich schlecht siegen. Tacitus erwähnte es in seinen Annalen II. 46 mit den Worten “Quonium tres VACUAS Legiones et ducem fraudis ignarum perfida deceperit“. Das Wort „vacuas“, dass wie kaum ein anderes Überliefertes auch die Irrungen und Wirrungen deutscher Geschichtsforschung wider spiegelt. Nämlich das urmenschliche Bedürfnis, dem auch die antiken Historiker verfielen, wenn sie sich berufen fühlten am historischen Wissenstand der Zeit eigenmächtig textuell zu werkeln um es stimmiger erscheinen zu lassen. Im Falle des Wortes „vacuas“ war es ein neuzeitlicher „Interpret“, der uns das Wort „vacuas“ argumentativ ausreden wollte und durch „vagas“ ersetzte, weil es ihm plausibler erschien. Es war der Philologe und Gymnasiallehrer Anton August Draeger der die Auffassung vertrat der sich auch Halm und Nipperdey anschlossen und es 1863 damit rechtfertigte, dass sich einfach keine Erklärung für das Wort "vacuas" finden ließ. Sicherlich war auch er bemüht nach Sinnhaftigkeit zu suchen, aber wie hier dargestellt, darf man es auch anders bewerten. Die „Arminen Cherusker“ waren jedenfalls die Erzfeinde sowohl von Marbod, als naturgemäß auch von Tacitus. So war sich Tacitus mit Marbod in der Bewertung einig und er konnte sich auch die Bemerkung nicht ersparen darauf hinzuweisen, dass die Germanen nach Marbod`s Worten ihren Sieg nur der Schwäche der Varus Legionen zu verdanken hatten. Tacitus verfiel somit der Verlockung die Schmährede von Marbod in seinen Schriften zu thematisieren, da sie sich gegen den gemeinsamen Feind die Cherusker richteten. Aber damit verriet er uns gleichzeitig und wohl ungewollt auch den Hauptgrund der Varusniederlage. Denn mit dem Marbod Zitat das Tacitus sicherlich unbeabsichtigt einpflegte gab er den entscheidenden Hinweis, warum Varus die Schlacht verlor. Die demnach folglich weniger etwas mit dem Versagen des Feldherrn, als vielmehr mit der eklatanten Unterbesetzung seiner Armee zu tun hatte. Denn er zog eindeutig mit zu wenig Legionären zu den Aufrührern und das geschah einfach nur deswegen, weil ihm nicht mehr zur Verfügung standen. Und wer wollte da schon glaubhafter sein als Marbod. Aber auch Tacitus bürgte indirekt für die Richtigkeit, denn er verkannte die Brisanz des Wortes „vacuas“ und unterschätzte die darin liegende historische Sprengkraft, wie man heute im nachhinein feststellen darf. Hinzu kommt noch, dass man auch davon ausgehen darf, dass Marbod unparteiisch gewesen sein dürfte, da Tiberius ihn drei Jahre vor der Varusschlacht noch vernichten wollte. So betrachtet hatte Arminius seinen Sieg indirekt Marbod zu verdanken, da Tiberius wegen ihm die Varusarmee reduzierte. In erster Linie lag aber Marbod daran die Cherusker zu schmähen, da sie es nur mit einem unterbesetzten Gegner zu tun hatten, der ihnen da zum Opfer fiel und es ihnen wohl auch recht leicht machte. Es lag an diesem Tag weniger in Marbod`s Absicht und passte nicht in sein Konzept den Römern die Schuld für die Niederlage zu geben. Dem Germanen Arminius den Triumph zu missgönnen hatte bei ihm Vorrang vor dem Nachtreten des geschundenen und schon genug gestraften Erzfeindes Rom. Aber natürlich offenbart er damit im gleichen Atemzug auch den Grund und machte, ohne es zu betonen die römische Politik dafür mit verantwortlich, dass Arminius siegen konnte. Marbod wusste genauso wie Segestes wie schlecht es um die Sollstärke der drei Varuslegionen an der Weser bestellt war, nachdem man ihnen starke Kräfte für den Kampf gegen Marbod und dann übergangslos den Krieg in Pannonien entzog. Aber Marbod konnte von Tiberius im Gegensatz zu Segestes, der Varus die alleinige Schuld gab, nicht zum Schweigen gebracht werden. Marbod kannte die Ursache des Versagens und konnte sie auch ungestraft beim Namen nennen, denn Marbod wie auch Arminius konnte Tiberius nie habhaft werden und so konnte er seine Meinung offen sagen. Versetzen wir uns kurz in die Lage von Tiberius und sein Verhalten wird verständlich. Für Tiberius war die Schlacht in Ostwestfalen schon lange Vergangenheit als ihn, den im Jahre 14 + gerade frisch vom Senat zum Kaiser gewählten Pontifex im Jahre 15 + die Nachricht aus Germanien erreichte, dass ein ihm bekannter Zeitzeuge plötzlich die Seiten gewechselt hatte. Zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht fest, dass Segestes einmal samt Anhang 17 + in Rom erscheinen würde. Kaum einer und auch nicht Tiberius konnte damit rechnen, dass sechs Jahre nach der vergessen geglaubten Schlacht nochmal eine Person aus den Nebeln vergangener Tage trat und seine Kreise stören könnte. Und noch dazu ein Mann, der über umfassende Detailkenntnisse zur Varusschlacht verfügte. Und wenn jemand, natürlich ausgenommen Arminius die genauen Gründe kannte, warum Varus die Schlacht verlor, dann war es außer Marbod sicherlich Segestes. Segestes kannte die römische Truppenstärke vor dem Ausbruch der Kämpfe und die von Varus ausgegebenen Befehle. Segestes wusste alles und wohl auch noch etwas mehr, als es Tiberius lieb sein konnte. Segestes hatte möglicherweise in vertraulichen Gesprächen einiges erfahren. Zum Beispiel war ihm bekannt, dass Tiberius dafür verantwortlich war, dass man Varus Truppenteile für den Markomannen Feldzug im Jahre 6 + entzog, kurz bevor dieser seine Statthalterschaft im Jahre 7 + antrat. Das machte Varus schwach, anfällig und abhängig für Unterstützungsangebote germanischer Kräfte. Je nach dem wie eng das Verhältnis zwischen Varus und Segestes war ist es auch nicht auszuschließen, dass Varus im Zwiegespräch mit ihm über Tiberius sogar recht deutlich wurde und sich mehr als nur kritisch über ihn äußerte. Tiberius musste also daran gelegen sein, dass Segestes als sich abzeichnete, das dieser römischen Boden betreten würde, nur vorher abgestimmte Aussagen über die Zeit machte als Varus noch Statthalter in Germanien war. Im Jahre 17 + als er schon den Kaiserrock trug, musste Tiberius dafür sorgen, dass Segestes seine vorgegebenen Warnungen die nur seiner Entlastung dienten aufrecht hielt und sie bestätigte um jeglichen Makel von seiner eigenen Person fern zu halten. Damit fiel Segestes unversehens eine brisante Rolle zu, in der er sich keinen Fehler leisten durfte und er spielte sie gut. Er musste sich zwangsläufig aber auch nicht widerwillig als Zweckinstrument missbrauchen lassen, was aber in seinem Sinne lag, denn schließlich war es für ihn eine Überlebensfrage. Aber die Weichen seiner Taktik hatte er schon gestellt, als er sich 15 + auf Basis genau dieser Argumentation in die Hände von Germanicus begab. Aber richtig deutlich wurde er erst, als er es es alles nochmal in Rom zu Protokoll geben musste, damit die Nachwelt auch keinen Zweifel an der Alleinschuld von Varus hegen konnte. Der Ausgang der Varusschlacht war demnach 17 + immer noch ein hoch brisantes Politikum aus dem Kaiser Tiberius ungeschoren heraus kommen wollte. Aber mit der von Segestes eingeschlagenen Strategie der vorgetäuschten Warnung trafen sich seine, mit den Interessen von Tiberius und Tiberius fädelte, natürlich ohne selbst in Erscheinung zu treten ein seltsames Bündnis ein, dass Eingang in die Historie fand. Man nennt es auch „eine Hand wäscht die andere“. So bot es nicht nur die Erklärung warum Varus mit seinen Legionen unter ging, sondern trug in sich auch den Keim einer Verschwörung.(26.01.2021)

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