Dienstag, 7. Mai 2019
An Segestes scheiden sich die Geister
Nichts ist explosiver, als das was sich vor der Hitze einer jeden Schlacht oder eines Kampfes zusammen braut. Eine Phase in der die Nervosität langsam ansteigt sich aber noch nicht entladen kann. Und nichts ist komplexer als der Versuch einen Blick auf diese frühe Phase eines sich heran nahenden Gefechtes zu werfen um die Geschehnisse zu rekonstruieren. In den letzten Stunden und Tagen davor fallen Vorentscheidungen die später kaum korrigierbar sind. Bezogen auf die Varusschlacht fällt Segestes hierbei eine bedeutende Schlüsselfunktion zu, da er es war, der diesen Zeitraum durch sein fragwürdiges Tun stark mit beeinflusst und für Unruhe gesorgt hat. Allen damals mitwirkenden Gestalten die sich für uns wie vor einem diffusen Licht Schleier hin und her bewegen versuchen wir ein Gesicht zu geben um ihre Persönlichkeit dahinter besser erraten und verstehen zu können. Man versetzt sich wie in halb wachen Momenten in ihre Lage und wünscht sich, man könne noch einen ihrer Blicke auffangen. Das Verhalten und die Beweggründe von Segestes Varus vor seinem eigenen Germanenstamm warnen zu müssen, vor allem aber die Reaktion des Varus darauf gibt uns viele Rätsel auf. Wie immer ist es mein Ziel auch dieses und die folgenden Kapitel in denen ich mich mit Segestes beschäftige, wieder sehr umfänglich anzugehen in dem ich es von mehreren Seiten aus beleuchten möchte. Das bedeutet ich muss sie entführen in ein Labyrinth aus Argumenten und Gegenargumenten von denen am Ende "vielleicht" nur eines den Weg in die Varusschlacht kennt. Wenn Sie interessiert sind, nehmen Sie sich bitte die Zeit und versuchen Sie meine Gedanken mit zu denken. Im Zusammenspiel der Kräfte schien es so, als ob Segestes über den Weg des Verrats die Macht über Sieg oder Niederlage der Legionen in die Hände gespielt worden sein könnte. Unter der Vielzahl an Stimmen die sich damals bei Varus Gehör zu verschaffen suchten, war die des Germanen Segestes für Varus sicherlich eine der Aufdringlichsten aber auch jene, die bei ihm das meiste Kopfzerbrechen auslöste und in der Nachwelt hallten seine Worte noch besonders lange nach. Seine Untat an der vermeintlich guten Sache seiner Landsleute brachte ihm seither einen der vorderen, aber auch negativ besetzten Plätze in den deutschen und internationalen Geschichtsbüchern ein. Sein Verrat war für alle späteren Generationen unverzeihlich. Aber es gelang ihm nicht dadurch den Untergang der Legionen aufzuhalten bzw. zu verhindern. Wäre es ihm gelungen mit seinem Verrat das Blatt für Varus zu wenden, befänden sich in den Geschichtsbüchern, wenn es sie in diesem Fall überhaupt geben würde, diesbezüglich nur leere Seiten. Unser historisches Wissen über Segestes endet schlagartig mit den letzten Zeilen über ihn aus den Federn der antiken Historiker und danach kam nichts Neues mehr über ihn hinzu. Unsterblich machte er sich aber nicht nur mit dem, was wir über ihn schriftlich erfahren haben. Möglicherweise hat er auch in einer Schrift losen Zeit in alten Sagen und Legenden weiter gelebt und wir müssen darin nach ihm weiter suchen. So könnte seine dunkle Vergangenheit aus ihm einen bevorzugten Darsteller bei der Rollensuche nach Verrätern und Bösewichtern abgegeben haben. Aber auch auf den später die Bühne betretenden Nibelungen Hagen von Tronje dürfte dieses Image wie Mass geschneidert zugetroffen haben. In einer Zeit, als man sich zwischen dem 9/10. und 13. Jahrhundert wieder der alten Geschichten aus der Völkerwanderung und davor besann, schienen derartige Personen gut in die Prosa der Zeit zu passen. Will man sich also der Clades Variana nähern, führt kein Weg an diesem Segestes vorbei. Er war einer der beiden „schillernden“ Großfürsten über den wir im zerstrittenen Stammesgeflecht der Cherusker einiges erfahren haben. Er dürfte nach dem großen Krieg, also dem Immensum Bellum der im Jahre 5 + endete noch über eine respektierliche Hausmacht verfügt und daher bei den Vertragsverhandlungen mit Rom eine gewichtige Rolle gespielt haben. Eine Macht die aber in der darauf folgenden Zeit schwinden sollte, als sich die römische Besetzung Ostwestfalens zunehmend als problematisch erwies. Noch lange nach der Varusschlacht und bis zu seinem Tod, stand er auf der Seite seiner römischen Verbündeten, die ihm Schutz gegen seine eigenen Landsleute gewährten. Er war lange Zeit eine Stütze der römischen Machtpolitik an der Weser und ohne ihn hätte es möglicherweise eine römische Provinzialisierung auf cheruskischem Territorium und das auf anfänglich noch relativ friedlicher Basis in der Weser Region gar nicht gegeben. Segestes Macht und Einfluss durfte und wurde daher auch von keiner Seite unterschätzt. Er hatte seine Augen, Ohren und Informanten überall. Und seine internen Widersacher denen er sich mittels Verrat entledigen wollte, saßen im eigenen Stamm. Vor dem Ausbruch der Schlacht gingen ihm jedoch langsam seine Mitstreiter aus und er begann sich zu isolieren. Seine Antipathie gegenüber der anderen Fürstenfamilie aus dem Hause Segimer wuchs und dürfte rein persönlicher Natur also auf Machtgewinn ausgerichtet gewesen sein, denn Stammes interne Interessen bezogen auf seine eigene Sippe bzw. seine Verwandten werden nicht deutlich. Und das Anstreben einer gemeinsamen germanischen Zukunft in trauter Eintracht mit dem römischen Reich möchte man ihm auch nicht zubilligen bzw. abnehmen. Erst recht nach der von Arminius siegreich beendeten Varusschlacht veränderte und verschärfte, anders ausgedrückt spitzte sich das Verhältnis zwischen den beiden Fürstenfamilien im Cheruskerstamm noch weiter zu und sollte später im Zusammenhang mit seiner Tochter dramatische Ausmaße annehmen. Der ganze Stamm der Cherusker stand letztlich gegen ihn und nicht einmal seine eigene Sippe hielt geschlossen zu ihm. Es musste für Segestes daher eine besondere Schmach gewesen sein, als seine eigenen Männer Germanicus 15 + noch stolz die in der Varusschlacht erbeuteten Waffen vorführten. Hinzu kam noch, dass man anfänglich selbst dem Sohn seines Bruders Segimer, nicht zu verwechseln mit dem Vater von Arminius gleichen Namens, die Aufnahme und damit die Rettung in römische Obhut versagen wollte. Denn sein Neffe zählte damals auch zu jenen Kriegern, die noch selbst den Leichnam von Varus verspottet haben sollen. Auch er kämpfte folglich auf der Seite von Arminius gegen Rom. Das sagt aber auch aus, dass viele Kämpfer aus der Sippe des Segestes mit an vorderster Front im Kampf gegen Varus gestanden haben und waren demnach sogar noch so lange dabei, als sein verbrannter Leichnam vor ihnen lag. Auch das zeigt wie breit die Allianz der Arminen damals gegen Varus ausgelegt war und wie tief sie in die Sippe des Segestes hinein ragte.

Tacitus 1.55 (3) berichtet dazu:
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„Segestes wurde durch den einstimmigen Willen des Volkes in den Krieg hineingezogen, stand aber mit dem Herz nicht dahinter“.

Da fragt man sich natürlich unwillkürlich, was Segestes bewogen haben könnte, sich derart penetrant auf die römische Seite zu stellen und welches Herz da wohl in seiner Brust geschlagen haben könnte. Ein patriotisches Herz kann es jedenfalls nicht gewesen sein. Und noch nicht einmal ein Herz das von der Sorge einer möglichen germanischen Niederlage getragen war. Denn die nahm er billigend in kauf. Tacitus bringt es recht deutlich zum Ausdruck, denn offensichtlich musste sich Segestes und das sicherlich widerwillig, nicht nur einer Mehrheitsmeinung innerhalb der Cherusker beugen, sondern sich der Meinung des ganzen Stammes der Cherusker unterwerfen. Seine Originalworte lauten „consensu gentis“. Also in Übereinstimmung mit der gesamten „gentis“. Gentis kann je nach Übersetzung für Familie, Stamm, Volk, Geschlecht oder Sippe gestanden haben. Man kann also an dieser Stelle rätseln, wie sich diese Mehrheitsmeinung bildete bzw. zusammen setzte. Und man darf spekulieren über wie viele andere „gentis“ die Cherusker noch verfügt haben könnten, die an dieser Befragung nicht teil nahmen. Beispielsweise Sippen oder Stämme nördlich oder östlich des Harzes. Oder bestand möglicherweise die ganze Führungsebene des cheruskischen Stammes nur aus den Sippen des Segestes und des Segimer. Nach allem was man sich vorstellen kann in Verbindung mit dem was man weiß, könnte es so gewesen sein und es keine anderen Cheruskerfürsten mehr gegeben haben. Dies klingt schon fasst so, als ob Segestes nahezu der einzige Cherusker war, der auf römischer Seite stand, was sicherlich auch nicht ganz der Realität entsprach, denn einem Einzelkämpfer hätte niemand Gehör geschenkt. Dies alles hielt ihn aber nicht davon ab, genau diese überwältigende Mehrheit des gesamten Stammes oder Volkes der Cherusker zu hinter gehen. Er hätte schließlich, auch wenn er nicht sein Volk hinter sich gewusst hätte und deren Ansinnen nicht geteilt hätte, nicht gleich den umstrittensten aller Wege einschlagen, und zum Verräter an ihm werden müssen. Segestes genoss demnach in keinem der Machtblöcke jener Zeit große Sympathien. Er spielte über die Bande und die besondere Form der Darstellung wie sie Tacitus wählte verrät uns indirekt, dass er mit diesem Verhalten auch im römischen Lager nicht auf Gegenliebe gestoßen sein konnte. Aber das Imperium wurde von Politikern regiert für die nur die Macht zählte und Segestes war nur einer von vielen Marionetten, die ihm zuarbeiteten. (7.5.2019)