Samstag, 29. Juni 2019
Segestes ein Mann im Zentrum der Varusforschung
Die erste große auf heute deutschem Boden stattgefundene Schlacht, die in früh geschichtlicher Zeit ausgetragen wurde und die man zu einem ?Historiendrama? hochstilisierte gelangte unter der Bezeichnung ?Varusschlacht? zu herausragender Bedeutung. Doch befragt man selbst Geschichtsfreunde, so kennen viele von ihnen maximal nur die zwei Hauptdarsteller. Varus den schmählichen Versager und Verlierer der Schlacht und Arminius den strahlenden Helden, dem der unerwartete Sieg gelang. Nur wenige Jahre zuvor läutete eine unsichtbare Glocke die Zeitenwende ein, womit die Germanen die fiktive Epoche der Prähistorie verließen. Man setzte für die Schlacht das Jahr 9 + an, was aber ein Jahr Null voraus setzt, das der Schaltjahr freie julianische Kalender nicht kennt, dem sich aber die Historie verpflichtet fühlt und was die Wissenschaft noch lange beschäftigten wird. Da sie den gregorianischen Kalender nicht anwendet, kommt auch Cäsar immer noch am 15. März 44 ? und nicht am 13. März 43 ? zur Welt. Diese Schlacht stellt sich vor unseren geistigen Augen wie ein monumentales Ereignis dar und nahezu geschaffen für die wuchtigen Großleinwände der Weltgeschichte. Entrückt aus fernen Anfangstagen nie mehr erreichbarer Zeiten erscheint es uns wie ein in irrealen Farben verklärtes Meisterwerk. Ganz so, als ob die Natur damals Farben benutzt hätte, die heute nicht mehr existieren würden. Dabei liegt alles ausgebreitet vor uns als sei es gestern erst Geschehen, denn der nötige Zeitsprung nach hinten, den wir im Kopf zu vollziehen haben, stellt uns vor keine unlösbaren Aufgaben. Die Naturgeschichte vollzog sich immer schon nach dem gleichen Muster und der Mensch von heute unterscheidet sich in seinem Inneren kaum von dem, der er auch schon vor 2000 Jahren war. Und das trifft auf alle Gestalten jener Zeit zu. Also auch auf Segestes der zum designierten Überläufer wurde und somit ein Insider der ersten Stunde war. Um diesen dynamischen und immer nach vorne gerichteten Prozess, dem alle geschichtlichen Abläufe unterliegen auch nur annähernd erfassen zu können, müssen alle denkbaren Register gezogen werden. Und je weiter das Ereignis zurück liegt um so schwerer erscheint es uns, sich im Zeittunnel rückwärts zu orientieren. Die Varusschlacht hebt sich in besonderer Weise von vielen anderen historischen Schlachten ab. Denn zwei gegen einander kämpfende Völker unterschiedlicher Kulturstufen, bei der das eine die Schriftsprache beherrscht, ohne die uns auch der Name Segestes nie erreicht hätte und das andere diesen Schritt noch vor sich hat, ist nicht die Norm. Die germanischen Stämme unterschieden sich von den Mittelmeerkulturen und standen auch zu ihren östlichen Anrainervölkern die als Nomaden lebten noch in Kontakt. Im Zuge der Völkerwanderungen bewiesen sie selbst, dass ihnen dieser Wesenszug noch nicht völlig abhanden gekommen war. Somit verlief die Varusschlacht an der Grenze einer brisanten zivilisatorischen Grabenkante, wo sich in der Sprache der Geologie ausgedrückt zwei Platten aneinander rieben. Und so muss unweigerlich am alten Drehbuch auch noch bis in unsere Tage hinein stetig neu geschrieben, es umgeschrieben und ständig an ihm nachgebessert werden. Denn es treten immer wieder neue Aspekte ins Blickfeld und finden im wahrsten Sinne des Wortes ans Tageslicht, nachdem sie sich Jahrhunderte lang im Boden vor der Forschung verbergen konnten. Und auch die Schriften der antiken Historiker können uns im Zuge inhaltlicher Analyse immer wieder noch neue Erkenntnisse offenbaren und Überraschungen bereit halten, die man bislang in einem anderen Kontext sah. Um hier nur die eine technisch provokante Frage in den Raum zu stellen, warum das Imperium ihr Know - How im Zusammenhang mit der Zementherstellung und Verarbeitung in Ostwestfalen plötzlich vergessen haben sollte. Jedes Mehr an Wissen macht auch das alte Schlachtengeschehen für uns transparenter und lässt es für unser Verständnis zunehmend abgerundeter und in sich schlüssiger erscheinen. Und auch beim einstigen Hoffnungsträger, dort wo anfänglich einiges darauf hinzudeuten schien, dass man die Örtlichkeiten der Endtragödie nahe dem ?Kalkrieser Berg? nördlich von Osnabrück endlich hoffte gefunden zu haben, führten neue Erkenntnisse zu einer veränderten Betrachtungsweise. Was nun zwangsläufig zu einer Korrektur bisheriger Ansichten führen musste. So konnte sich die viel zitierte normative Kraft des Faktischen dort mal nicht durch setzen. Und man meint, dem nun damit Rechnung tragen zu können in dem man dazu über geht, die Region nicht mehr der Varusschlacht zuzuordnen, sondern sie auf ein ?Varusereignis? zu reduzieren. Also nunmehr eine Schlachtenepisode mittleren Ausmaßes dahinter erkennt, die auf Basis der gefundenen Schlussmünze irgendwann nach dem Jahre 2 ? statt gefunden haben kann. So kämen demnach auch einige kriegerische Auseinandersetzungen nach dem Prägedatum infrage, die mit Varus nicht mehr unmittelbar in Verbindung gebracht werden können. Zum einen weil Varus erst um das Jahr 7 + Germanien betreten haben soll und zum anderen, weil er bereits zwei Jahre später tot war. Ungeachtet dessen möchte man jedoch am schwer gewichtigen Wort ?Varus? noch etwas festhalten und haben noch Hoffnung. Aber es waren nicht diese zwei Hauptprotagonisten Varus und Arminius allein die an der Geschichte des Jahres 9 + mit schrieben. Denn im Umfeld der Schlacht begegnen uns insbesondere auf römischer Seite noch viele weitere Namen, seien es die der unmittelbaren Teilnehmer an den Kämpfen, andere Zeitzeugen, Anverwandte oder Personen die später über das Geschehene berichten sollten, bis hin zu Kaiser Augustus oder dem auf ihn folgenden späteren Kaiser und früheren Feldherrn Tiberius höchstpersönlich. Alle waren sie in die Schlacht in irgendeiner Weise verwickelt, davon betroffen, tief geschockt, bestürzt oder einfach nur fasziniert vom bitteren Ausgang. Eine kriegerische Begegnung zweier Völkerschaften, die auf ungleiche Entwicklungen zurück blickten erschütterten damals die bekannte Welt. Vergessen wir dabei nicht, dass nach der Kurgan Hypothese beide Völker noch etwa 2500 Jahre vor der Varusschlacht in einer einst gemeinsamen indogermanischen Vergangenheit und großen Völkerfamilie miteinander verbunden waren. Die Varusschlacht könnte man demnach ebenso wie viele andere Schlachten und auch jene unter Cäsar aus heutiger Sicht als ?Wieder Annäherungskriege? zweier in Jahrtausenden auseinander gedrifteter Völkerströmungen bezeichnen. Vor der Entscheidungsschlacht hielt sich eine Varus unterstellte Armee auf ihrem Feldzug den Sommer über im inneren Germaniens auf, durchstreifte als Vorbote einer neuen Zeit Ostwestfalen und errichtete wie angenommen wird, ein zentrales stabiles Lager, von wo aus Varus die römischen Gesetze einführen und durchsetzen wollte. Für die Germanen war es zuviel und sie waren in jener Zeit von alledem schlicht überfordert. So verloren sie letztlich jede Scheu davor, sich einem Heer hoch gerüsteter Eroberer entgegen zu stellen. Mit der Schlacht war der Zenit eines Gewaltausbruches jener Menschen erreicht, die sich keiner anderen Zivilisation unterordnen wollten. Und diese Herausforderung brachte Menschen hervor, die sich mit aller Macht dagegen zur Wehr setzen wollten aber auch Germanen die einen Mittelweg oder eine Koexistenz anstrebten und Personen die einer völligen Unterwerfung das Wort redeten, wenn die Bedingungen stimmten. Sie brachte als Randerscheinung zudem auch noch die Konfrontation besser gesagt die Kollision zweier Götterhimmel mit sich. Eine Zerreiß- und Machtprobe zwischen einer fortschrittlichen Kultur aus den milden und angenehmen mediterranen Gefilden mit einer an die Nebel verhangenen und kühleren Landschaften des Nordens angepassten Bevölkerung. Und es war meines Erachtens nicht etwa der Zusammenprall von Götterfamilien, wonach sich die überlegenen Heroen der indogermanischen Streitaxt- oder Schnurkeramik Kulturen mit den archaisch bodenständigen göttlichen Vertretern der Welt der Megalithbauern bzw. Trichterbecher Kulturen maßen. Im Nethegau standen sich zwei wesentlich jüngere und fortschrittlichere Götterfamilien gegenüber, die sich unschlüssig waren, ob sie noch als Götter oder schon als Menschen agieren oder betrachtet werden wollten. Die Austragungsregion der ?Clades Variana? an deren Kante und in deren Kern das Eggevolk lebte, machte folglich diese Region auch zum Zentrum einer überirdischen Auseinandersetzung. Ein Prozess dem sich das Imperium auch in anderen Grenzregionen und nicht nur denen des Ostens gegenüber gestellt sah. Die Gewalttaten im Zuge der Varusschlacht, die sich über mehrere Tage ausgehend von den Niederungen des Nethegau bis hinauf auf die Hochebene nach Kleinenberg erstreckten, lösten einen Funken aus und ließen kommende Umbrüche erahnen, die in der Mythologie später als Götterdämmerung bzw. Ragnarök bezeichnet wurden. Aber es waren nicht nur lateinisch klingende Namen die uns die antiken Historiker überlieferten. Auch aus der germanischen Welt wurden einige Personen namentlich bis zu uns durch gereicht. Und einer Person gilt unsere besondere Aufmerksamkeit. Denn was wäre eine Tragödie klassischen Ausmaßes, die ohne Hinterlist, Tücke und Verrat aus kommt, wenn wir die Schlacht einmal wie ein Theaterstück inszenieren oder betrachten würden. Also ohne den Dritten im Bunde, der den Stoff und den dramatischen Verlauf erst durch seine verderblichen und scheinbar seelenlosen Intrigen und seine Rivalität gegenüber den Guten anreicherte und damit das ganze Schicksalhafte des Ereignisses erst komplett zu machen schien. Und diesen Dritten gab es leibhaftig und er durfte natürlich auch nicht fehlen. In der Gestalt des rivalisierenden Cherusker Fürsten Segestes betrat er die Bühne des Geschehens und er gelangte durch sein Tun zu zweifelhafter Berühmtheit. Am diffusen Licht, dass zu Anbeginn unserer Zeitrechnung auf Germanien fiel leistete er seinen nicht unerheblichen Beitrag. Nicht nur dank ihm ist anzunehmen, dass diese Schlacht und auch die Schlachten der Folgejahre den nötigen Grundstoff für die vielen Sagen und Legenden späterer Jahrhunderte liefern sollten. Außer Arminius dem man alles verzieh, der sich aber ebenfalls der gesamten Klaviatur der Intrige bedienen musste um sein Ziel zu erreichen, stand es aber nur Segestes zu, die drohende Gefahr offen beim Namen zu nennen. Er allein war, was seine Beweggründe anbelangte die nicht zu durchschauende und zwielichte dunkle Macht im Zusammenspiel der Kräfteverhältnisse. Und wäre die Schlacht nicht eine reale Begebenheit gewesen, man könnte annehmen, alles wäre nur eine unterhaltsam in Szene gesetzte Veranstaltung für das Volk von Rom gewesen. Eine Gewaltshow so, als ob alles wirklich statt gefunden hätte, wie man es damals auf dem Palatin oder im Kolloseum liebte und wie sich die Bürger der Hauptstadt bei Laune halten ließen. Aber wir denken, dass wir es anhand der antiken Schriften besser wissen, denn es war weder Phantasie noch Fiktion oder Einbildung römischer Theatralik, was sich damals in den Wäldern und Sümpfen Ostwestfalens wie ein Weltengericht über das Land legte. Aber Segestes war nicht nur der Mensch der den germanischen Hinterhalt auf deckte und womit er Freund und Feind gleichermaßen verwirrte, er hatte auch etwas Janusköpfiges an sich. Das sich dieser Germane, der sich in seinem ungestümen Verlangen Rom unter allen Umständen schützen zu wollen und zu müssen zu dieser Tat hinreißen ließ, damit die Pläne der Germanen massiv gefährdete und gleichzeitig den römischen Generalstab zu einer ungewollten militärischen Schwenkbewegung herausforderte, dürfte auch nicht seine Beliebheitswerte, gleich von welcher Seite aus man es betrachten möchte, gesteigert haben. So roch auch alles was wir von ihm wissen etwas zu stark nach Eigeninteresse und das lässt aufhorchen. Und er war auch nicht der von dem man annehmen könnte, er wäre nicht Herr seiner Sinne gewesen, der missverstandene, naive oder verwirrte Verräter und letzte römische Rettungsanker im großen Spiel und diplomatischem Geränke vor dem Kräftemessen. Er wusste was er tat. Denn bei genauer Analyse seines Werdeganges und den unterschiedlichen Rollen die er dabei einnahm, sowie der Lebenserfahrung die er sammelte, stoßen wir auf diverse Hinweise hinter denen sich Ungereimtheiten verbergen, die uns auch an etwas anderes denken lassen. Ich sehe daher in ihm die fragwürdigste Person im Kontext der Ereignisse und bin davon überzeugt, dass die Geschichtsforschung seiner Bedeutung zu wenig Raum gibt. Thusnelda seine Tochter soll um das Jahr 10 ? zur Welt gekommen sein. Als ihr Vater, könnte Segestes 20 Jahre früher, etwa um das Jahr 30 ? und natürlich auch später geboren worden sein. Nach 17 + verstarb Segestes vermutlich im gallischen Exil. Womit sich seine Lebenszeit in etwa errechnen ließe. Segestes durchlebte somit die schicksalhaftesten Jahre, die die Germanen in Ostwestfalen und der Großregion über sich ergehen lassen mussten. So könnte er schon mit 14 Jahren, also noch als Halbwüchsiger erfahren haben, wie die Sugambrer links des Rheins die Armee des römischen Statthalters Lollius im Jahre 16 ? aufrieben und sogar einen Legionssadler erbeuteten, Rom dann aber im Zuge der Revanche doch letztlich als Sieger vom Platz gehen sollte. Er hörte später davon, wie Rom mit diesen Sugambrern umsprang, sie in ihre Gewalt brachte, sie wie Sklaven behandelte und dann an den Niederrhein verfrachtete, bzw. umsiedelte. Dann erfuhr er im Alter von etwa 18 Jahren vom ersten größeren Drususfeldzug. Es war im Jahre 12 ? und es wirkte nicht nur so, sondern es war auch die Demonstration römischer Überlegenheit, bei der das Imperium ohne nennenswerten Widerstand kraftvoll den Niederrhein überschritt und danach in die westfälische Bucht eindrang. Er kämpfte mit inzwischen möglicherweise 19 Jahren auch auf Seiten der Cherusker bei Arbalo im Jahre 11 ? gegen Drusus mit. Dort musste er mit ansehen, wie hilflos, konfus und strategielos sich doch die germanische Taktik erwies und es nicht gelang, das römische Heer auf ihrem Rückmarsch zum Rhein entscheidend zu schwächen geschweige denn schlagen zu können. Mit Anfang 20 war er dann vielleicht auch in die Schlachten und Kämpfe des ?Immensum Bellum? unter Marcus Vinicius und dem Feldherrn Tiberius in Ostwestfalen der Jahre 1 + bis 5 + verwickelt oder davon betroffen. Und auch diese Erlebnisse gingen nicht spurlos an ihm vorbei. Letztlich zogen die Germanen immer wieder den Kürzeren und konnten dem unaufhaltsamen Vordringen des Imperiums nichts entgegen setzen. Alle mussten ohnmächtig zusehen, dass die römische Landnahme nicht zu stoppen war und man ging allgemein davon aus, dass es so weiter gehen würde, bis das Imperium die Elbe erreicht hätte, nach dem Rhein den nächsten großen Strom in Germanien. Nicht nur er könnte es wie einen Erfolg gewertet haben, als das Imperium endlich die Kriegshandlungen einstellte und auf Provinzialisierung setzte. So brachte der Bündnisvertrag zwischen den Cheruskern und dem Imperium unter Varus an dem auch er selbst mit gewirkt haben dürfte nach etwa 20 Jahren Kampf und Leid die nötige und ersehnte Ruhe ins Land. Zwar ein Diktatfrieden aber ein Frieden. Und wer wollte das Erreichte schon in irgend einer weise übermütig aufs Spiel setzen. Interpretiert man hier die gängige historische Auslegung anders, so wurde hier auch kein Varus an die Weser gelockt, so überzeugend es auch klingen mag, sondern hier wurden einem Varus bereitwillig die Türen zur Weser geöffnet, solange Rom Germanien nur nicht mit neuem Krieg überziehen würde. Denn die germanischen Hütten konnten und sollten nicht auf ewig brennen, man wollte wieder die Äcker bestellen und Hungersnöte mussten ein Ende finden. Das daraus letztlich ein Knebelvertrag wurde, den der cheruskische Vertragspartner einseitig brach, war bei Vertragsabschluss noch nicht zu erwarten gewesen. Und es bedarf auch keiner besonderen Betonung, das man in Rom für den Bruch des Vertrages keinen Grund erkennen konnte und auch nicht wollte, Ein Vertragsbruch war bekanntlich das Schlimmste, was sich ein Vasallenstamm gegenüber dem übermächtigen Imperium erlauben konnte. Letztlich brachte dies den Cheruskern im besonderen Maße den Groll des ganzen Imperiums ein, was in die erwartete Revanche mündete. Es scheint zeitweise so, als ob der Vertragsbruch alles überwog, mehr noch als der Verlust der vielen Kämpfer, oder der Legionsadler. Segestes mag das Kommende gesehen haben. Obwohl der Marserfeldzug des Jahres 14 + den Eindruck erweckte in erster Linie den Unruhen unter den Legionären am Rhein geschuldet gewesen zu sein, so machte er doch den Anfang der drei Schlachtenjahre unter Germanicus, die der Sühne geschuldet waren. Die Brukterer erlitten arge Verwüstungen, da sich durch ihr Stammesgebiet der Nachschubkorridor nach Osten zu Land und zu Wasser zog, während die Chatten 15 + noch recht glimpflicht davon kamen und das Mehrschlachtenjahr 16 + dann den Höhepunkt bildete. Gleich gestellt dem Vertragsbruch war dem Imperium besonders an der Symbolkraft in form der Wiedererlangung ihrer Legionsadler und damit der Tilgung der Schmach gelegen. Aber immer war erkennbar, dass den Siedlungsgebieten der Cherusker die Hauptstoßrichtung galt. Wohl alle Cherusker und natürlich auch Segestes hielten den Friedens - oder Kooperationsvertrag, gleich wie man ihn nennen möchte, der in den Anfangszeiten der varianischen Machtausdehnung geschlossen wurde, für eine gute bzw. die beste Lösung. Segestes kannte daher die Lage im alten Ostwestfalen und im südlichen Niedersachsen wie kaum ein anderer, war dem jungen Arminius an Erfahrung weit voraus und war in Ostwestfalen gegenüber Arminius der einige Jahre kriegsbedingt abwesend war, immer präsent geblieben. Möglicherweise war Segestes sogar selbst davon überrascht wie die Cherusker Arminius mit seiner ?Germanenkohorte? nach seiner Rückkehr wie eine Art Befreier empfingen. Marbod ließ sich vorher nicht in die Karten schauen, ob ihm eine Schlacht gegen Varus ins Kalkül passte. Im Nachhinein kritisierte er jedenfalls die siegreichen Cherusker und das ungestüme Verhalten von Arminius und seine Strategie bis zuletzt. Obwohl er andere Interessen verfolgte, könnte er es ähnlich wie Segestes gesehen haben. Unstrittig aber war, dass ein germanischer Erstschlag im Regelfall auch eine römische Gegenreaktion auslösen würde und eine Massierung römischer Streitkräfte an der Weser konnte nicht in Marbods Interesse liegen. Heutzutage würde man Segestes mit seiner Strategie vielleicht als einen Realpolitiker bezeichnen, der eine Eskalation um jeden Preis vermeiden wollte. Einen Fürst der im Interesse seines Volkes Risiko und Blutvergießen mit allen Mitteln verhindern wollte und der auch den anderen großen ?Chefstrategen? seiner Zeit nämlich Marbod zumindest nicht zum Feind hatte, verdient es auch in dieser Hinsicht eine angemessene Bewertung zu erfahren. Aber Verrat und Tücke kommt eben besser an, so dass man diese Gesichtspunkte gerne vernachlässigte. Die von Tacitus ausgesprochenen Lobeshymnen auf Arminius hätten im Falle seiner Niederlage sicherlich völlig anders geklungen. Vor diesem Hintergrund betrachtet erscheint uns Segestes zweifellos nicht mehr wie ein verwirrter oder naiver Cheruskerfürst, sondern wie ein umsichtiger und ernst zu nehmender Mann, der sich einer Schlacht mit ungewissem Ausgang entgegen stellen wollte. Er machte allerdings eine falsche Rechnung auf, denn er war sich der brodelnden Stimmung unter allen Cheruskern offenbar nicht bewusst. Und er unterschätzte möglicherweise auch die Beutegier und Kampfeslust seiner Stammesgenossen. Denkbar ist auch, dass der Wille zu Gewalt und Waffeneinsatz verstärkt von den Umliegerstämmen kam und sie es waren, die zusätzlichen Druck auf die Cherusker ausübten, da sie ähnliche Vertragsabschlüsse auf sich zukommen sahen. Jedenfalls sah und fühlte man sich an der Weser und unter den Nachbarstämmen überaus siegessicher und willens genug jeden Preis zu zahlen, um die römische Unterdrückung zu beenden. Segestes verharrte nach der Varusschlacht noch lange in seinem Fürstentum und verließ Germanien erst lange Zeit später im Jahre 15 + und das im Schutz des römischen Feldherrn Germanicus. Als ob Segestes es geahnt hätte, so sollte die römische Kriegsmaschinerie erst nach seinem Wegzug im Folgejahr 16 + voll über Ostwestfalen herein brechen. 27 lange Jahre römisch germanischer Schlachten zwischen dem Jahr 12 ? und dem Jahr in dem er den Weg ins Exil antrat, hatten Segestes nachhaltig geprägt und er hatte sie vielleicht auch mit Narben und Blessuren überstanden, aber vor allem hatte er sie überlebt. Die militärischen Fähigkeiten und das Führungstalent eines Segimer können wir nicht einschätzen, man hält ihn für einen Wegbereiter seines Sohnes Arminius. Seinem Vater Segimer könnte man das Mitwirken am nötigen Einigungsprozess unter den Cheruskern zuschreiben, aber allein und ohne Arminius gegen Varus anzutreten, schien ihm offensichtlich auch nicht ratsam gewesen zu sein. So könnte Segestes in den Jahren vor der Rückkehr von Arminius im Stamm der Cherusker auch über einen hohen Grad an Machtvollkommenheit verfügt haben, vielleicht sogar noch über Segimer selbst stehend, dem erst die Stärke seines Sohnes den nötigen Rückhalt verschaffte. Aminius der nun wieder in Ostwestfalen ein ritt um möglicherweise auch die ihm in früheren Jahren versprochene Thusnelda wieder zu sehen. Die langen Jahre hatten Segestes menschlich und auch politisch beeinflusst und reifen lassen. In der Konsequenz wollte er die Cherusker vor einer römischen Niederlage bewahren und das ließ ihn auch vor einem Verrat nicht zurück schrecken. So kann man es auch sehen. Denn kaum ein anderer kannte sich in diesen schweren Tagen auf germanischer Seite besser aus als er, aber die nicht erklärbare Fehleinschätzung hinsichtlich der Mentalität seiner cheruskischen Stammesgenossen und der von ihm damit verbundene unterschätzte Kampfeswille der germanischen Stämme lässt immer wieder Zweifel an seiner Gesinnung aufkommen und man meint auch andere, sprich niedere Beweggründe hinter seinem Verhalten erkennen zu können. Keine namhafte germanische Größe die sich mit ihm in diesen kritischen Jahren nicht traf und mit ihm in Berührung gekommen sein dürfte und die nicht mit ihm ihr Wissen ausgetauscht und geteilt hatte, ließen ihn von seinem Plan abbringen die Schlacht unbedingt vereiteln zu wollen. Er schien sich trotz allem an den Vertrag gebunden zu fühlen und war fest davon überzeugt, dass Varus zum einen nicht zu schlagen war und wenn doch, so hätten die Germanen die römischen Rachemaßnahmen nicht überstehen können. Genauso wird es keinen römischen Oberen oder Feldherrn gegeben haben, der nicht mit ihm wie auch immer in engerem Kontakt gestanden haben wird. Und auch diese Gespräche machten ihm deutlich, mit welchem kompromißlosen Gegner es die Germanen auf der Gegenseite zu tun hatten und wie riskant eine Auseinandersetzung mit ihnen werden würde. Nur einer wusste mehr und das war Arminius, der die gegnerische Front kannte und die eigene befehligte. Er stand ebenfalls mit allen Kräften jener Zeit in Verbindung und kannte die römischen Stärken besser als Segestes zumal er sie selbst hautnah im Kampf erlebt hatte und sich im Gegensatz zu Segestes in Ihre Strategien hinein denken konnte. Der Mut in diese waghalsige Schlacht zu gehen war beeindruckend und der folgende für viele unerwartete Siegesruf aus germanischer Kehle fand in windeseile seinen Weg in alle Himmelsrichtungen und dies nicht nur nach Rom sondern auch bis in den hohen Norden. Der Widerhall dieser Schlacht sollte noch lange nachklingen. Er löste bei den Gegnern völlige Fassungslosigkeit, bei den Siegern einen Freudentaumel und bei den neutralen Beobachtern Erstaunen aus. Segestes überlebte vermutlich auch seinen Widersacher Segimer von dem man annimmt, er könnte die Varusschlacht nicht überlebt haben, da danach jegliche Quellen über ihn schweigen. Den Feldherrn Varus überlebte er sowieso und möglicherweise außer Kaiser Augustus im bereits hoch betagten Alter auch noch Arminius selbst und viele andere ebenfalls. Das macht ihn für die historische Betrachtung besonders interessant. Kein Germane jener Tage verfügte über dieses umfängliche Insiderwissen wie er es besaß und in Teilen könnte er über die römischen Interna auch mehr gewusst haben als Arminius. Sein größter naturgegebener Vorteil den ihm keiner nehmen konnte war letztlich der Umstand, dass es ihm gelang die Varusschlacht und die kritischen Jahre danach zu überleben. Und nicht nur das, er war der einzige, der authentisch bis ins Jahr 15 + hinein gegenüber seinen römischen Verbündeten in allem eine aussagekräftige Quelle war, denn er allein besaß zum Imperium den nötigen Zugang und das Vertrauen. So hätten wir zweifelsohne in Segestes auch einen der wesentlichen Informanten über all die Dinge gehabt, wie sie sich damals zutrugen. Vieles von dem was seinem Wissenstand entsprach, dürfte daher meines Erachtens auch den Weg in die Senatsakten gefunden haben, um sich danach in so manchen antiken Schriften wieder finden zu lassen. Seine Detailkenntnisse floßen in die römischen Annalen ein und werden als Quelle dessen gedient haben, aus der dann alle späteren antiken Historiker in der Zeit nach der Varusschlacht in Rom schöpfen konnten. Er war ja bei allem was in Ostwestfalen geschah und das schon lange vor der Varusschlacht immer ganz nah dabei. Er schloss nach dem ?Immensum bellum? mit Segimer auch das wichtige Bündnis mit Rom und konnte über Vereinbarungen berichten, die ihm was das Inhaltliche anbelangte nur sehr wenige streitig machen konnten. Er konnte aus einem übervollen Fundus an Wissen schöpfen, denn es gab später keine Zeugen mehr, die etwas anderes hätten behaupten können. Ihm war es aber auch gegeben, die Dinge in ihrer Gesamtheit immer so darstellen zu können, wie sie sich für ihn am Günstigsten auswirken konnten. Wenn es zum Beispiel darum ging später zu Protokoll zu geben, wie oft und leider vergeblich er denn auf Varus eindrang, vor der Gefahr eines Hinterhaltes gewarnt haben will, Varus ihm aber partout nicht glauben wollte, so sprach das für seine volle Loyalität. Denn wer lebte noch von den alten römischen Kämpfern und hätte seine Worte bezeugen oder ihm widersprechen können. Segestes wird sie alle gekannt haben, wie sie um Varus herum im Feldherrnzelt saßen und er wird gewusst haben, was später nach der Varusschlacht aus ihnen geworden ist, wenn sie diese überhaupt überlebt hatten. Sollte meine Hypothese zutreffen, so könnten wir es in den antiken Quellen mangels überlebender Zeitzeugen der letzten Stunden mit einer stark einseitig gefärbten bzw. inszenierten Selbstdarstellung des Segestes zu tun gehabt haben. Wer vom römischen Adel, Generalstab oder aus den Reihen der Legionäre überlebte sich nach Xanten oder, wenn auch recht unwahrscheinlich in andere Legionslager durchschlagen konnte, durfte das Mutterland Italien auf Anweisung von Augustus nicht betreten. Dieses Verbot galt vermutlich nur über einen gewissen Zeitraum und zwar nur solange wie der Kaiser brauchte, um auch wieder seine germanische Leibwache die er vorüber gehend weg geschickt hatte bzw. weg schicken musste, zurück in seinen Palast zu holen. Es kann aber angenommen werden, dass es nur wenigen Legionären gelang sich wieder nach Rom zurück zu begeben um sich dort den Fragen der kaiserlichen Schreiberlinge zu stellen. Rom war letztlich auch nicht unbedingt die Heimatstadt vieler Legionäre und so zog es auch nur wenige in die Hauptstadt. Viele Legionäre kamen aus anderen Regionen, Südfrankreich oder Süditalien und machten um Rom einen Bogen, so dass diese später auch nie befragt werden konnten, wie es denn so in Ostwestfalen des Jahres 9 + abgelaufen ist. Ebenso könnte man davon ausgehen, dass die höhere Führungsschicht der Befehlshaber der drei Legionen, die das meiste zum Verlauf hätten beitragen könnten umkamen und Italien gar nicht mehr wieder gesehen haben. Segestes hätte demnach faktisch freie Hand gehabt, die Ereignisse so in die Federn der ihn Befragenden zu diktieren, wie es ihm beliebte und wie es seinen Vorstellungen, Wünschen und Zielsetzungen entsprach und vor allem wie es ihm ins Konzept passte. Er konnte vieles beschönigen, manipulieren und in anderer Weise darstellen. Und dazu gehört natürlich auch das gesamte Umfeld seiner Familie mitsamt den Geschehnissen, wie sie sich um seine Tochter Thusnelda darstellen, die er Arminius wie man so liest entreißen bzw. fortführen musste. Die Hypothese, dass Segestes der Mann war, der mangels römischer Quellen alles wusste, erfordert zweifellos eine komplette Neubetrachtung all jener in antiker Zeit nieder geschriebener Hinweise in Bezug auf die Varusschlacht. So macht es Sinn sich diesen Umständen zu widmen und einen Blick auf die Zeit zu werfen die folgte, nachdem sich Segestes mit seiner Familie in die Hände von Germanicus begab. Was geschah im Frühjahr 15 + und wann geriet er möglicherweise an die Adressen derer in Rom, die von ihm mehr hören wollten. Germanicus führte im Jahre 15 + zwei Angriffe gegen die germanischen Stämme die an der Varusschlacht beteiligt waren. Einen im Frühjahr gegen die Chatten, der schon an der Eder zu Ende zu sein schien bzw. dort stecken blieb, da sich die Chatten mit ihrer Hauptmacht der Schlacht entzogen und eine Rückzugschlacht vermutlich im östlichen Teil der westfälischen Bucht gegen die Marser und die sie unterstützenden Stämme. Brukterer und Cherusker wurden 15 + nicht angegriffen bzw. nicht erwähnt. Nach dem zeitigen Frühjahrsfeldzug 15 + befreite Germanicus Segestes und nahm ihn samt Familie in römische Obhut bzw. Verwahrung. Da er noch einen weiteren und umfänglichen Feldzug im Sommer ab Xanten plante, den er erfolgreich zu beenden gedachte, könnte er Segestes samt Anhang mit an den Niederrhein genommen oder ihn mit Geleit nach Mainz gebracht haben. Ein Datum ist fix, nämlich der 26. Mai 17, den an diesem Tag wurde die Segestes Familie im Triumphzug durch Rom geführt, gleich ob Segestes über Xanten oder Mainz nach Rom gelangte. Wo sie die Zeit zwischen dem Frühjahr 15 + und dem Mai 17 + verbrachten ist nicht bekannt. Was aber ereignete sich in Rom nach dem Bekanntwerden der Niederlage der drei Varus Legionen. Drei Tage Staatstrauer gingen auch einmal zu Ende, Augustus hatte den ersten Schock verdaut und man tröstete sich mit der erfolgreichen Niederschlagung des Pannonienaufstandes im gleichen Jahr. Asprenas hielt und stabilisierte in der ersten Zeit nach der Schlacht, als alle rechtsrheinischen römischen Städte und Legionslager in Flammen aufgingen die niederrheinische Front gegen mögliche germanische Versuche den Fluss überschreiten zu wollen, wobei ihm Feldherr Tiberius noch im Winter 9 + / 10 + zu Hilfe kam und das Kommando am Rhein übernahm. Tiberius zog darauf hin acht Legionen zusammen, beschränkte sich aber bis zu seiner Rückkehr nach Rom im Jahre 13 + wie Paterculus berichtete auf einige Strafexpeditionen vermutlich ins ehemalige Sugambrerland auf der rechtsrheinischen Seite. Sie waren zum Zwecke der Machtdemonstration erforderlich und dienten meines Erachtens der Vorfeldsicherung in jenem Pufferstreifen der dem Rhein vorgelagert war und am ?tiberianischen Landlimes? endete. Dem auch ?Gebück? genannten und geschützten Grenzweg, der sich unter dem Namen Landwehr über die Jahrhunderte erhielt und sich von Duisburg über Wuppertal, Römershagen und Krombach bis an das Siegufer vermutlich bei Siegen hin zog, wo man es später ?Kölsches Heck? nannte. Bis auf wenige Überlebende konnte kein Römer dem Inferno der Varusschlacht entrinnen und ab der Offiziersebene aufwärts soll es nur wenigen Reiterlegionären aus der Kavallerieeinheit des getöteten Numonius Vala gelungen sein, sich zum Rhein durch zu schlagen. Wer konnte und wollte also in Rom überhaupt noch etwas über den Schlachtenverlauf und die Hintergründe sagen, zumal wie berichtet Kaiser Augustus die Grenzen für römische Varuskämpfer nach Italien dicht machte. Aber die römischen Geschichtsschreiber waren der Staats - Chronik verpflichtet und an den Details interessiert und sie hielten Ausschau nach Personen die imstande waren noch Erklärungen für das Desaster abzugeben. Mangels zuverlässiger Quellen musste die Geschichtsschreibung möglicherweise notgedrungen einige Jahre ruhen und kam nahezu zum Stillstand, denn die Nachrichten erreichten die Hauptstadt nur tröpfchenweise. Ebenso wie wir uns heute von Grabungsfund zu Grabungsfund hangeln um unseren Wissensstand zu erweitern, versuchte man wohl auch damals schon, sich aus allem nach und nach ein plausibles Bild zu formen. Als die augusteische Zensur gelockert wurde sickerten mehr Informationen nach Rom durch, mit denen sich die Taten besser rekonstruieren ließen. Man erfuhr vom einen oder anderen Überlebenden oder aus zweiter Hand dieses und jenes, aber das Gesamtbild zum Verlauf der Schlacht wollte immer noch kein klares Bild ergeben. Es fehlten möglicherweise die ernst zu nehmenden Quellen und Wichtigtuer könnten die Oberhand gehabt haben. Aber etwa sechseinhalb Jahre nach der Schlacht gab es doch noch einen unerwarteten Lichtblick. Als sich in Rom herum sprach, dass es Germanicus gelang einen namhaften Cheruskerfürsten in seine Gewalt zu bekommen, hellten sich die Historikermienen unversehens auf. So wurde Segestes für die antiken Historiker in Rom zu einem Geschenk des Himmels, mit dem sie schon gar nicht mehr gerechnet hatten. Sie ließen ihre Schreibutensilien umgehend fallen nach dem sie erfuhren, dass ein Mann nach Rom unterwegs sei, der Interessantes über das zurück liegende Geschehen berichten könnte. Und zwar ein Zeitzeuge aus den Reihen des Feindes und keiner der ihrigen, der sich vorher noch zu vergewissern hatte, ob er es überhaupt riskieren konnte die Wahrheit über das Debakel zu verkünden. Denn in Gestalt des unfreiwilligen Überläufers Segestes erhoffte man sich nun die nötige Aufklärung und Lückenschließung zum bereits bekannten, aber immer noch unbefriedigenden Stand augusteisch und inzwischen tiberianischer Varusforschung. Aber noch mal zurück nach Germanien. Denn wie erging es der Familie des Segestes einschließlich seiner Person nach der de Facto Gefangennahme die wie ich denke in Vogelbeck statt fand. Germanicus stand nun der Triumph zu Segestes einschließlich Thusnelda und andere in Rom vorführen zu können. Aber nach der Befreiung des Segestes aus den Händen von Arminius hatte Germanicus noch den Sommerfeldzug des Jahres 15 +, sowie die Schlachten des Jahres 16 + vor sich. Germanicus ging aufgrund seiner Legionsstärke von einem Sieg gegen die germanische Allianz aus. In diesem Fall brauchte er Segestes, denn er hätte ihn dann anstelle von Arminius und Segimer als Cheruskerfürsten eingesetzt. Folglich wird er die Segestes Familie vorüber gehend in sicherem Gewahrsam möglicherweise in Mainz zurück gelassen haben. Nachdem aber seine Feldzüge erfolglos endeten und Tiberius ihm weitere Kämpfe untersagte, zog er mit der Familie des Segestes vermutlich 17 + über die Alpen nach Rom um sie im Mai des gleichen Jahres dem Volk von Rom zur Schau zu stellen. Mit seinem Eintreffen in Rom geriet Segestes nun in arge Erklärungsnöte. Denn jetzt war er in Rom also unmittelbar am Ort des Geschehens, wo der Kaiser, der Senat aber auch die kaiserliche Geschichtsschreibung ansässig war bzw. ihren Sitz hatte, wo das Volk von Rom erfahren wollte, wen Germanicus aus dem Land der Vertragsbrüchigen gefangen nehmen konnte und wo man nun über ihn zur Inquisition schritt. Denn er war auch gezwungen sich für sein Verhalten nach der Varusschlacht rechtfertigen zu müssen und das zwang ihn in Rom eine Version aufzutischen, mit der er sich von jeglicher Schuld frei sprechen konnte. Man wird ihn in Rom so einiges gefragt haben. Wie es denn sein konnte, dass ihm kein Armine nach der Varusschlacht ein Haar krümmte. Warum er Varus nicht in die Kämpfe von denen er wusste begleitete oder ihm noch rechtzeitig zu Hilfe kam. Warum sogar seine eigenen Sippenangehörigen an der Schlacht gegen ihren römischen Feldherrn Varus bis zuletzt teilnahmen bzw. sogar teilnehmen durften, wenn er doch ihr Fürst und Anführer war und sich zu allen Zeiten als römerfreundlich ausgab. Und warum er sechs lange Jahre bis ins Jahr 15 + ungeschoren blieb und sich seiner Verbundenheit Rom gegenüber erst wieder in der Not besann, als er persönlich in Gefahr geriet und Germanicus um Hilfe bitten musste. Eine in der Tat heikle Situation und ein schwerer Gang der wohl bedacht sein wollte, den er da anzutreten hatte um glaubhaft zu sein. Germanicus hatte ihn zwar vor Arminius gerettet, aber Germanicus war ?nur? Feldherr und sein Einfluss wird begrenzt gewesen sein und letztlich entschieden andere darüber, wie es mit ihm weiter gehen würde. So hätte alles für ihn auch ungünstig enden können. Er musste sich also etwas einfallen lassen, um seine Haut und die seiner Familie zu retten. Vor diesem Hintergrund betrachtet, sehe ich auch die Ereignisse im Zuge der Varusschlacht und danach unter einem anderen Licht, so dass es noch einiges zu Hinterfragen gibt. Es sei daher mal eine Überlegung in den Raum gestellt. Nämlich die, was gewesen wäre, wenn es tatsächlich außer Segestes gar keinen anderen Informanten mehr aus dem Jahre 9 + gegeben hätte, der etwas über den Verlauf der Schlacht hätte berichten können. Also die Zeitspanne die vom Verlassen des Sommerlagers bis in den Untergang im Saltus verstrich. Tacitus überlieferte es uns klar und unmissverständlich, dass die Cherusker Altäre errichteten, auf denen bevorzugt die höher dekorierten Römer geopfert wurden. Da wohl bis zu Schlussakkord der Schlacht die Anführer bzw. die jeweiligen Legionskommandaten schon nicht mehr lebten, wurden für die Siegeszeremonie dem Rang nach, die nächst niedrigeren Dienstgrade auf`s germanische Schafott geführt. Es waren der Überlieferung nach die Militärtribunen, folglich die Karriere orientierten Söhne aus dem Aristokraten- Senatoren- oder Ritterstand, also die zukünftigen Legaten oder Prokonsule oder auch die Centurionen. Wer also sollte in Rom noch Bericht erstattet haben können, der von Anbeginn bis zum Ende der Schlacht noch imstande gewesen sein könnte über die Chronologie der Schlacht etwas aussagen zu können. Einfache Legionäre falls sie je und überhaupt in Rom gehört wurden, entzog sich der große Zusammenhang. Wer wollte von Ihnen etwas über den Inhalt der Zwiegespräche zwischen Varus und Segestes erfahren haben. So ist die Hypothese, dass Segestes für vieles die einzige Quelle war und blieb auch nicht von der Hand zu weisen. Segestes schaffte es letztlich, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Da Segestes die Reputation gelang wurde ihm als Freund des Imperiums nach dem Triumphzug des Jahres 17 + ein geeigneter Altersruhesitz vermutlich in Gallien zugewiesen. Sollten die römischen Geschichtsschreiber wie man spekulieren kann in Segestes einen geeigneten Informanten gesehen haben, so konnte in Rom im Jahre 17 +, also rund acht Jahre nach der Schlacht die Akte Varus wieder geöffnet werden, denn es kamen neue Details hinzu, die das Bild abrunden halfen. Aber wie glaubhaft waren die Erzählungen eines Segestes aus unserer heutigen Sicht, der sich damals nicht um Kopf und Kragen reden durfte. Nahm man seine Informationen für bare Münze, so flossen sie in die Senatsakten ein. Aber sie konnten auch den Anstrich einer geschickten Täuschung haben der immer an den Stellen erkennbar geworden wäre, wo es ihm nützlich erschien. Wäre es an dem gewesen, so muss man befürchten, das einige Angaben im umfassenden Fundus aller antiken Berichterstatter über den Verlauf der Schlacht die wir immer noch gewohnt sind mit der Goldwaage zu verwiegen schlicht und einfach falsch waren. Diese Analyse lässt zweifellos einen Verdacht aufkommen, der ganz neue Gedankengänge erfordert, denen ich mich in einem anderen Abschnitt widmen möchte. (28.6.2019)