Donnerstag, 17. Februar 2022
Warum ließ Varus vor dem Verlassen des "prima castra" die Ochsenkarren verbrennen ?
Die Krieger beider Seiten waren keine Kampfmaschinen und so dürften die Gefechte des ersten Kampftages, obwohl Cassius Dio sie äußerst drastisch dargestellt hatte mit Einbruch der regenfeuchten Dämmerung abgeflaut sein. Man wird das Nachtlager notdürftig befestigt haben, ist in Ruhestellung gegangen, hat sich gegenseitig die Wunden versorgt, entlud die Karren die man noch hat ins Lager holen können und bereitete sich auf die Nacht vor. Man kann nun rätseln bzw. die gängige Übersetzung nach eigenem Gutdünken interpretieren, ob man die Karren schon am gleichen Abend nach den Kämpfen verbrannte oder erst am nächsten Morgen vor dem Abzug, da es die nachfolgende Überlieferung nicht klar zum Ausdruck bringt.
Cassius Dio, 21. (1) 
Daher schlugen sie dort ihr Lager auf, wo sie einen geeigneten Platz fanden, soweit dies in dem Waldgebirge überhaupt möglich war; NACHDEM sie dann zahlreiche Wagen und sonstige Gegenstände, die nicht unbedingt erforderlich waren, verbrannt oder zurückgelassen hatten, zogen sie am anderen Morgen... ". Dies kann sowohl beinhalten, dass man die Wagen schon unmittelbar nachdem man einen Lagerplatz fand verbrannte, dies noch im Laufe des abends tat als auch, dass man sie erst am anderen Morgen vor dem Abzug abgebrannt haben könnte. Man darf hingegen aufgrund der desaströsen Lage annehmen, dass man die Karren nicht schon am gleichen Abend nach den Kämpfen verbrannte. Man könnte sie zudem auch gebraucht haben, um sich dahinter zu verschanzen, da man sie wie sich recherchieren lässt für die Nacht noch als Barriere nötig hatte. Die Kämpfe kosteten zudem Kraft und das Entzünden der regennassen Holzwagen war unter den denkbaren Umständen im Halbdunklen ein vermeidbarer Aufwand. Und natürlich kann auch die Frage gestellt werden, warum man dies überhaupt noch am gleichen Abend hätte tun sollen, denn die Nacht zwischen rauchenden Trümmern zu verbringen ergibt keinen Sinn. Daraus resultierend spricht vieles dafür, dass man es erst am frühen Morgen vor dem Aufbruch tat. So erwachte im Morgennebel eine schon dezimierte und blessierte fasst geschlagene Armee, man entnahm den Karren wie überliefert das Unverzichtbare und bereitete sich auf den Ausmarsch vor. Waffen, Nahrung, Kleidung trug man am Körper und das Weitere wie etwa zeltartigen Regenschutz packte man auf die Pferderücken oder andere Tragtiere. Den Gesundheitszustand von Varus kennen wir nicht und ob er noch ein Pferd besteigen konnte, da ihn erste Verletzungen daran gehindert haben könnten oder für ihn ein Zweispänner zur Verfügung stand, ist nicht bekannt. Das Szenario nach dem Verlassen des Lagers der rauchenden Trümmer dürfte etwas Unwirkliches und nahezu Apokalyptisches an sich gehabt haben. Wir wissen auch nicht wie man es in diesen kritischen Stunden vor dem Verlassen des Camps mit den nicht mehr transportfähigen, weil zu stark verletzten Legionären hielt. Orientierte man sich an Carrhae dann überließ man sie der Willkür des Feindes in diesem Fall also der Germanen. Wir wissen aus den Beschreibungen über die Schlacht in der heutigen Türkei die 62 Jahre vor der Varusschlacht unter ähnlichen Umständen ausgetragen wurde, dass man damals nicht lange fackelte und sie den Schwertern der Feinde auslieferte. Alle 4000 zurück gelassenen Verwundeten wurden damals von den Parthern getötet. Eine Vorstellung wie man sie bislang nicht mit der Varusschlacht in Verbindung brachte, weil wir uns vielleicht nicht damit konfrontieren möchten, dass unsere Vorfahren zu derartigem Tun imstande gewesen sein könnten. Aber die taciteischen Überlieferungen nähren den Verdacht, dass es auch in Ostwestfalen so gewesen sein könnte. Im Zusammenhang mit dem Abzug aus dem "prima Vari castra" stoßen wir auch auf den Dissens der Tacitus und Cassius Dio Darstellung. Während Cassius Dio den Aufbruch schildert schreibt Tacitus von Martergruben und dem Ort wo Varus sich tötete. Während also Varus bei Cassius Dio nach dem Verlassen des Lagers noch lebte, war er bei Tacitus schon tot. Ein Hinweis darauf, dass Tacitus die Situation beschrieb wie sie sich erst am vierten Marschtag zutrug und nicht im "prima Vari castra" am Morgen des dritten Marschtages. Auf der gegnerischen also germanischen Seite wurden die Kämpfer in den frühen Morgenstunden vielleicht vom beißenden Rauch des brennenden nassen Holzes geweckt. So erkannten auch die nächtlich unterkühlten Germanen aus sicherer Entfernung hinter den Nebelschwaden, dass die Römer dabei waren sich von ihren Transportwagen und für sie unnötigen Dingen zu trennen. Die Entscheidung es den Flammen zu übergeben reifte vermutlich in den Stunden vor dem Abzug im Kreise des Feldherrn als man erkannte, dass sich die Realität der zu erwartenden Marscherschwernis nicht mehr verdrängen ließ, man die letzten Illusionen auf eine friedliche Lösung begraben musste und jetzt auf Schnelligkeit setzen musste. Das Schwergewichtige für den Marsch war jetzt nur noch hinderlich und hätte das fluchtartige Absetzen erschwert. Brennbar ist nur Vergängliches und ihre letzten Wertsachen trugen die Römer jetzt am Körper. Ob ihr Verhalten taktisch klug war die durchnässten aus Holz bestehenden Karren samt Inhalt zum Raub der Flammen werden zu lassen statt sie einfach stehen zu lassen, sei dahin gestellt. Sie erreichten durch die Vernichtung zwar, dass den Germanen nützliches Gebrauchsmaterial nicht in die Hände fallen konnte, aber sie begingen damit aus falscher Überlegung heraus vielleicht einen ungleich größeren Fehler. Aber um dies besser verstehen zu können, sollte man sich ins alte Germanien zurück versetzen. Eine Zeit ohne Schilder und Wegweiser. Da gab es auf der einen Seite die bekannten weithin gut sicht- und hörbaren Naturgewalten wie Blitz und Donner, die schon mal heftige Ausmaße annehmen können und andererseits die von Menschen verursachten Zerstörungen. Aber Brände kamen in den Vorstellungen der alten Welt den Boten des Unheils recht nahe. Waldbrände nach Blitzeinschlag, oder Brände wegen Rodung kamen vor. Aber dieser Geruch erinnerte sie alle an die mutwilligen Brandschatzungen ganzer Ansiedlungen nach feindlichen Angriffen wie es die römischen Legionäre im Krieg zu tun pflegten, sie lösten Fluchtbewegungen und Todesahnungen aus. Aber das Abbrennen nassen Holzes vermeidete man für gewöhnlich, denn es erfordert große Hitze und macht wenig Sinn. Dafür besaß es aber eine ungeahnte Nebenwirkung, denn der damit verbundene weit tragende ätzende Brandgeruch verfehlte seine Wirkung nicht, war überall zu riechen und brannte in den Augen. Aber hier kam noch die Farbe des Rauches hinzu. Sie war weiß und sie entsteht nur in Verbindung mit feuchtem Holz durch die Bildung von Wasserdampf. Und diese zwischen den Bäumen aus dem Wald hoch aufsteigenden Schwaden lagen nun seit den Morgenstunden über dem gesamten Nachtlager und man sah sie schon von weit her bis zu den Höhen der Egge und zum Weserufer. Besser ließ sich der Himmel nicht zum sprechen bringen. Denn spätestens jetzt wusste jeder Germane was die Stunde geschlagen hatte, denn dieses Zeichen bedeutete den Niedergang und verkündete den Wendepunkt. Es weckte in den Seelen der einfachen Menschen ihre Ur - Ängste die sie instinktiv zu schnellem Handeln zwangen. Aber an diesem seltsamen Morgen lagen die Dinge anders denn dieses Zeichen fasste man als eine willkommene Botschaft auf. Hier drückte der weiße Qualm am Himmel das Gegenteil von Gefahr aus, denn er verhieß ihnen ein Siegesgefühl. Durch die ungenügende Verbrennung färbte sich der Rauch auch zeitweise schwarz und so zogen bei Westwind über die Weserlandschaft die langen schwarzen Rußfahnen der Vergänglichkeit. Opferrituale und Totenbestattung waren mit Verbrennung verbunden aber hier verschmolz sich alles mit dem Untergang einer Armee und wurde zum Fanal. Das Rauch auch immer der leise Bruder des Todes ist, stand an diesem Tag unter anderen Vorzeichen, denn allen war bekannt, dass die Germanen auf dem Schlachtfeld über nichts Brennbares verfügten und so ließ sich die Ursache nur auf die römischen Streitkräfte zurück führen und sich nur mit angezündeten Karren in Verbindung bringen lassen. Ob sie nun von den siegreichen Germanen oder den schon unterlegenen Römern in Brand gesetzt wurden war für die entfernt Lebenden weder ersichtlich noch unbedingt relevant. Und das sich römische Ochsengespanne bei Regenwetter nicht von selbst in Brand setzen können bedarf keiner Erwähnung. Und selbst am Morgen des zweiten Kampftages rückten natürlich immer noch germanische Trupps aus weiteren Entfernungen an um sich am Kampf zu beteiligen und auf sie wirkten die langen Rußschleppen wie elektrisierend. Es beschleunigte ihre Schritte, löste in ihnen ein Rauschgefühl aus und setzte nach den langen Fußmärschen ungeahnte neue Kräfte frei. Jetzt bloß keine Zeit mehr verlieren und auf keinen Fall zu spät kommen, jetzt gilt es, denn Arminius brauchte jeden Mann um zu siegen und sicherlich wollte man auch noch etwas vom lukrativen Kuchen abhaben. Die Verbrennung, vielleicht auch eine aus der Not geborene Verzweiflungstat entfaltete nun die beschriebene verheerende Wirkung auf alle Teilnehmer des Schlachtgeschehens, sowohl unter den Germanen als auch unter den Römern, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Es war der bekannte Geruch der für den Tod und das Sterben steht und hatte für alle schon den Beigeschmack einer vorweg genommenen Kapitulation. Aber soweit war es noch nicht. Die Trossverbrennung muss nach dem Erscheinen von Arminius auf dem Schlachtfeld wie eine weitere demoralisierende Keule auf die Legionäre gewirkt haben und ihre Moral näherte sich dem Nullpunkt. Es war für sich genommen bereits verheerend und löste unter vielen schon den Ruf nach dem "Rette sich wer kann", aus. Es könnte der Moment gewesen sein in dem sich jene Kämpfer vom Schlachtfeld entfernten, die nicht ganz freiwillig am Krieg teilnahmen. Wir wissen nicht, ob sich unter ihnen kleinere Gruppen bestehend aus germanischen oder keltischen Hilfskräften befanden, die noch im Marschzug ausgeharrt hatten. Sie dürften spätestens jetzt die erste sich bietende Gelegenheit zur Flucht genutzt haben. Aber was konnte für die kampfesmutigen Germanen im Großraum hilfreicher gewesen sein, als eine hoch am Himmel stehende und weithin sichtbare Rauchsäule. Nun erkannte auch der letzte Germane den schnellsten und direktesten Weg zur Wallstatt, denn man ahnte sie jetzt schon aus großen Entfernungen. Unnötige Umwege konnten jetzt vermieden werden, man war schneller am Ort der Tragödie und brauchte nicht mehr viel zu fragen, wo es denn zur Front geht. Aber das Feuerzeichen alarmierte auch noch die Zögernden und Unentschlossenen und vielleicht auch die Ängstlichen unter ihnen um doch noch in den Kampf einzugreifen. Besser ließ sich kein Zeichen mehr setzen, als so wie es die Römer hier in ihrer Notlage taten, aber sie hatten auch allen Grund dazu. Damit fiel ein weiterer Dominostein was ihren Weg in den Untergang beschleunigte. Warum man sich die Mühe machte das Trossmaterial zu verbrennen, statt es stehen zu lassen bleibt bei oberflächlicher Betrachtung unklar. Was wollte man damit erreichen besser gesagt, was steckte in den Karren, dass man den Germanen auf keinen Fall überlassen wollte oder durfte. Brennbar musste es sein, aber warum sollte man uninteressantes Bauholz verbrennen. Werte wie Münzen, Edelmetalle oder sakral Symbolisches hatte man der Recherche zufolge gar nicht erst zu den Aufrührern mit genommen. Essgeschirr, Kleidung, Prunkobjekte, Ärztebestecke etc. könnte man noch als Ballast abgeworfen haben, aber es brannte nicht und warum sollte man es vorher beschädigen oder vernichten, man hätte es auch für die Germanen liegen lassen können um sie zu ködern oder aufzuhalten. Was blieb da also noch was die Germanen nicht besitzen sollten. Die Antwort kann eigentlich nur lauten, es müssen brennbare Gegenstände darunter gewesen sein die man unter keinen Umständen den Germanen überlassen wollte. Möglicherweise befanden sich zusätzliche Waffen darunter die sich noch zum Kämpfen eigneten und die man nicht in den Händen der Germanen sehen wollte. Weitere Holzschilde, Bögen, Pfeile, Köcher, Speere, aber auch die Holzgriffe von Äxten und Schanzwerkzeugen ließen sich auf diese Weise beschädigen, während man Dolche oder Kurzschwerter an sich nahm. Weitaus gefährlicher könnten jedoch andere schwere militärische Ausrüstungsgegenstände gewesen sein, die man in jedem Fall vor dem Ausrücken unbrauchbar machen musste. Und nicht nur das, es galt auch die dazugehörige Munition zu vernichten. Die Rede ist von schweren Ballisten etwa der Scorpio bzw. den Katapulten also den handgeführten Torsionsgeschützen. Die High Tech Waffensysteme der Antike mit denen sich Schlachten führen und gewinnen ließen, wenn man sie besitzen würde und zu verwenden wusste. Seit man im Jahre 2000 in einer Kiesgrube bei Xanten die metallenen Reste einer römischen Torsionsarmbrust fand die aus der Zeit um das Jahr Null stammte darf man davon ausgehen, dass derartige Waffen auch von Varus mitgeführt sein könnten. Nach dem Verlassen des "prima Vari castra" erwiesen sich diese komplexen Distanzwaffen jedoch aufgrund der neuen Lage als ungeeignet, denn Strategie, Gewicht und Terrain ließen ihre Nutzung nicht mehr zu. Mit diesen Gerätschaften kurzen Prozess zu machen ist die einzige Überlegung mit der sich begründen ließe, warum man die Wagen samt Inhalt in Brand setzte, obwohl es zeitraubend war, man dadurch viel Aufsehen erregte, das Risiko also bewusst einging. Es war von großer Tragweite und muss auch eine schwere Entscheidung gewesen sein, wenn es denn so war fortan auf diese Dinge verzichten zu wollen. Denn wer dies als notwendig erachtet, der hat sich schon nahezu aufgegeben und es lässt sich dem entnehmen wie gravierend und verlustreich schon der erste Kampftag verlief und zu Ende ging. Unschwer verdeutlicht es, in welch aussichtsloser Lage sich die Legionen schon am Morgen danach sahen. So roch der aufsteigende Rauch der Verbrennung für alle Kriegsteilnehmer schon mehr nach Kapitulation und weniger nach Optimismus und wirkte wie das Signal eines bevorstehenden Untergangs. Die schwarzen Wolken wurden zum Symbol dafür, dass der germanische Plan dabei war aufzugehen. Ob Varus vielleicht damit auch erreichen wollte, dass man es wie ein letztes Zeichen sehen sollte, gleichbedeutend mit einem Hilferuf an alle römischen Einheiten in der Region das Gefahr in Verzug war und man zu Hilfe kommen sollte scheint abwegig, denn wer sollte noch kommen. Vielleicht dachte man entfernt noch an die Abstellungen wusste aber nicht, dass sie sich samt des zivilen Trosses längst in den Händen der Germanen befanden. Von dort war also keine Unterstützung mehr zu erwarten. Varus könnte auch gehofft haben, dass Asprenas seine Nachricht erhalten würde, der irgendwo im Lipperaum sondierte, wo er mit unbekanntem Ziel operierte oder möglicherweise von dannen schlich. So wartete man auch auf ihn vergebens. Und wer schon nach dem ersten Kampftag vieles zurück ließ, dem fehlt auch vieles um ein zweites Lager zu errichten und man kann sich vorstellen wie die Folgenacht oder die Folgenächte verliefen. Man war sich also der Tatsache früh bewusst, dass das nächstes Nachtquartier kein geschütztes, sondern ein offenes und kaum verteidigungsfähiges Feldlager werden würde. Die Legionäre wussten wie es um sie stand und sie richteten mit der Verbrennung auch eine Botschaft an die Germanen die da lautete, wir setzen jetzt alles auf eine Karte und wir werden uns mit Waffengewalt, dem Mut der Verzweiflung und ohne unnötige Last einen Weg bis zur Lippe frei schlagen. Eine wund geschlagene und zu allem bereite Armee die um ihr nacktes Leben kämpfte bereitete sich am Morgen des zweiten Kamptages auf den Gegner vor. Man wollte also den schnellen und zügigen Durchbruch bis zu einem Schutz bietenden Lippelager erzwingen. Das Standlager Aliso "ad caput juliae" an der Lippequelle aus diesem südlichen Raum zu erreichen war aussichtslos und unnötig, denn sich nach Aliso zu begeben bedeutete einen Umweg einzugehen. So bot sich den Germanen im Dunst des Morgens ein dämonisches Bild. Eine immer noch aus vielen Kämpfern bestehende Streitmacht raufte sich nochmal zusammen. Varus hatte begriffen, dass er in diesem Lager keine aufrührerischen Stämme mehr befrieden brauchte, die sich nicht befrieden lassen wollten. Seine Erkenntnis kam zu spät, denn hier wollte sich auch niemand mehr seine Richtersprüche anhören und sich ihnen erst recht nicht beugen müssen. Varus brauchte sich in dieser prekären Lage auch nicht den Vorwurf machen, nicht auf Segestes gehört zu haben, denn auf Basis von Logik und Recherche ließ sich rekonstruieren, dass Varus von Segestes nie gewarnt wurde. Am Morgen vor dem Aufbruch und noch vor Sonnenaufgang wird man sich im Umkreis von Varus beraten und die weitere Vorgehensweise festgelegt haben. Die Lage war so klar wie ausweglos und welcher Römer wusste überhaupt über welche Wege man marschieren oder besser gesagt über welche flüchten sollte oder noch konnte, denn der germanische Feind kannte alle ihre Fluchtwege und nur die Himmelsrichtung wurde für sie zum Leitfaden und so konnte man sich auch nur nach Westen hin orientieren und sich für einen Weg entscheiden der in diese Richtung führte. Da die Germanen den Verlauf kannten, könnten sie ihn gezielt für die Flüchtenden wie zum Schein offen gehalten haben. Aus dem Hinweg auch den Rückweg zu machen, also auf dem gleichen Weg zurück nach Brakel zu marschieren schied aus und dürfte für sie keine Option mehr gewesen sein zumal die Cherusker durch ihre deutlich sichtbare Präsenz signalisierten, dass man ihn ultimativ versperrt hat. In den Nachtstunden wird Varus mit seinen Kommandeuren die Lage beraten und auch versucht haben, sich in die germanischen Überlegungen hinein zu denken. Aber gleich welchen Gedanken man verfolgte, man wusste, dass sich ihnen am nächsten Morgen erneut früher oder später die Germanen entgegen stellen würden. Im Zelt von Varus wird man alle Fluchtvarianten durchgespielt haben und nachdem was die Römer bisher erfahren mussten, konnten sie davon ausgehen, dass die Germanen bereits das Lager Aliso oder andere Lager und vielleicht sogar schon Anreppen in ihre Gewalt gebracht hatten. Würde es ihnen gelingen könnten sie nach dem Erklimmen des Saltus Anreppen umgehen und direkt auf Lippstadt zu marschieren womit die Hoffnung verbunden wäre noch auf Asprenas zu stoßen. Entsatzkräfte anderer Kastelle kurzfristig heranzuführen war aufgrund der Entfernungen und Bedingungen nahezu aussichtslos und wer begab sich schon freiwillig in die Hitze und die Hölle einer Schlacht die sich bereits durch schwarze Wolken Kilometer weit erkennbar machte. Varus hätte Meldereiter aussenden können, die jedoch nicht weit gekommen und vermutlich abgefangen worden wären. Und wohin hätte man sie auch schicken sollen, bzw. wohin hätte man überhaupt mögliche Hilfskräfte lenken und leiten sollen um auf sie irgendwo im weiten Land zu stoßen. Hilfe die am Ende ins offene Messer der Germanen geritten wäre. Varus war auf sich allein gestellt, war abgeschnürt und massiv geschwächt. Hilfe musste also entweder jetzt kommen oder das Schicksal seiner Armee hing am dünnen Faden, denn jede weitere Stunde würde bald zu neuen Verlusten führen. Folglich blieb den Römern schon am morgen des zweiten Kampftages nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera bzw. die berühmten Streichhölzer zu ziehen, welche Strecke die besseren Überlebenschancen bot. Man kann an dieser Stelle vielen Spekulationen und Gedankenspielen Raum geben, was Varus und seinem Stab in jener Nacht durch den Kopf gegangen sein könnte, aber lassen wir es dabei bewenden. Nach Lage der Dinge konnte Arminius auf Basis dieser Theorie nur zu einer Entscheidung gekommen sein, ein Plan den auch Varus durchschaut haben dürfte. Denn es blieb Varus letztlich nur ein Weg und bei diesem handelte es sich um den prähistorischen "Oberen Bördenweg", der aus Höxter kommend leicht gekrümmt auf den Saltus zuführt und nur über ihn konnte er versuchen zu entkommen. Aber auch dafür hatte Arminius Vorkehrungen getroffen und ihn in seinem Sinne präpariert, denn dieser einzige gangbare Weg war fester Bestandteil seiner Strategie und spielte ihm in die Hände und so ist nicht auszuschließen, dass dieser Fluchtweg von Beginn an in seiner Planung eine wesentliche Rolle eingenommen hatte, da es der Weg war der direkt auf den Sattel zwischen den germanischen Volksburgen zulief. Dieser Weg wurde für Varus zur zweiten Falle im Zuge der Mehrtagesschlacht, auf ihm sollte der Rest seiner Streitkräfte aufgerieben werden, denn Arminius war sich im Klaren darüber, dass sich diese Armee nicht an einem einzigen Kampftag bezwingen ließ. Was dieses Lager am Morgen nach dem ersten Angriffstag verließ war der klägliche Abglanz einer einst selbstbewussten Armee und diesen desolaten und maroden Lagerplatz wollte sicherlich keiner mehr eines rückwärts gerichteten Blickes würdigen. Der beißende Rauch der Verbrennung lag noch über dem Kampfplatz als die Kommandeure zum Aufbruch riefen. Zu diesem Zeitpunkt konnte man im Lager und seinem Umfeld noch gut die Spuren der Schlacht erkennen. Keine Bewegung entging den Germanen und sie sahen wie stark die römische Streitmacht jetzt noch war, sie überblickten ihren Zustand und schätzten die Zahl jener die man zurück ließ, da sie zu verletzt waren um zu marschieren. Derartiges zu beschreiben gehört in der Regel nicht mehr zum Aufgabengebiet von Wissenschaft und Forschung und noch weniger zum Arbeitsfeld der Archäologie da es zu viele Unabwägbarkeiten und zu wenig Belastbares enthält. Aber man muss es nach stellen und durch spielen, will man mit Hilfe der Überlieferungen von Tacitus und Dio eine Chronologie aufbauen die passt und bei der man die menschlichen Verhaltensweisen nicht unter den Tisch fallen lassen sollte. Das Verlassen des "prima Vari castra" dürfte an dem Morgen zögerlich eingesetzt haben, denn es galt rechtzeitig nach allen Richtungen zu sondieren und man erwartete möglicherweise schon früh oder unmittelbar nach dem Aufbruch auf einen germanischen Belagerungsring zu stoßen. Und so war es auch für Cassius Dio 56. 21 (1) gut nachvollziehbar als er schrieb, dass die Römer auch nach ihrem Abzug Verluste erlitten. Er beschreibt sie zwar als nicht so umfangreich wie jene vom Vortag hielt sie aber dennoch für bedeutsam und erwähnte es folglich. In welcher Phase es zu diesen Verlusten kam wird nicht deutlich, aber im Zusammenspiel mit seinen weiteren Äußerungen wird es plausibler. Für den römischen Generalstab war jetzt guter Rat teuer. Man verließ ein erbärmliches Nachtlager und keiner hatte eine rechte Vorstellung davon für welche Marschrichtung man sich nun entscheiden sollte. Aber gezwungenermaßen mangels alternativen entschied man sich dafür auf den "Oberen Bördenweg" einzuschwenken. Dort wo sie sich befanden vermutlich im Raum Schweckhausen östlich Peckelsheim kannte man die Lage der Egge, obwohl man sie nur schemenhaft wahrnehmen konnte, wenn die Wolkendecke riss. Aber man wusste, dass mit ihr irgendwo im Westen zu rechnen war. Eine schroffe geologische Barriere wartete in der Ferne auf sie und sie galt es überwinden zu müssen, wenn man wieder in die westfälische Bucht absteigen wollte, wo die ihnen bekannte Lippe floss. Da sich der Weg den sie kamen zurück nach Norden als Rückweg definitiv ausschließen lässt und ebenso auch alle Süd - und Ostrichtungen, blieb den Überlebenden nur der Weg in Richtung Borlinghausen, wo der Saltus steil zum Sintfeld anstieg, da die Egge im weiten Umkreis unpassierbar war. Oben am östlichen Sintfeldrand angekommen gab es für sie nur zwei Fluchtwege, da Aliso keine Alternative war. Der Weg zur Lippe etwa zum heutigen Lippstadt, oder die verborgene Waldvariante über den Haarweg zu wählen blieb als Alternative um zum Rhein zu entkommen. Aber die Frage welche der beiden Varianten die bessere war brauchten sie sich nicht mehr zu stellen. So gleitet es etwas ins Hypothetische ab, über welche Wege die wenigen Überlebenden letztlich den Rhein erreichten und erst recht die Frage wie lange sie dafür brauchten. (17.02.2022)