Samstag, 2. Dezember 2023
Schon ab dem Mittelalter wollte man wissen wo Varus starb.
Es lässt sich auch in einer einfachen Frage zusammen fassen, wer wusste wann, was und wieviel von der Varusschlacht. Was wir heute wissen ist, dass seit dem frühen Mittelalter die Klöster die geistigen Zentren der Gelehrsamkeit waren, während die weltliche Macht im “Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“ erst 1348 nach zog und in Prag die erste Universität gründete. So verwundert es auch nicht, dass es mit Otto von Freising nur ein frommer Mann gewesen sein konnte der 1145 erstmals wieder die Tür zum einstigen Geschehen um die Varusschlacht einen Spalt breit öffnete. Was zunächst erstaunt ist die Tatsache, dass dies zu Zeiten der Kreuzzüge geschah und damit 363 Jahre bevor man 1507/8 die Schriften des Tacitus wieder entdeckte. Dem Mann mit dem man die Varusschlacht in erster Linie in Verbindung bringt. Die gebräuchliche Formulierung „wieder entdeckte“ erweckt den Eindruck, als ob die Entdecker die Schriften unter hohen Stapeln anderer verstaubter Büchern fanden, die erst alle gelesen sein wollten, bevor man darunter nach langem Suchen auf das bedeutsame Tacitus Werk stieß. So als ob in Corvey zuvor niemand etwas von der Existenz dieses Buches gewusst hätte. Und doch könnten in der Abtei eine Reihe Personen den Inhalt und den Ablageort gekannt und die italienischen Bücherfanatiker darauf aufmerksam gemacht haben, die erst daraufhin die Schriften „wieder entdecken“ konnten. Aus den Tacitus Annalen geht zwar nichts zum Verlauf der Schlacht hervor so wie bei Cassius Dio, dafür enthalten aber nur sie die bedeutsamen Informationen zum Schlachtort. Wissen, das auch schon vor dem Jahr 1507/8 Verbreitung gefunden haben dürfte. Hinweise die es auch möglich erscheinen lassen, wonach auch schon Otto von Freising im 12. Jhdt. über diese inhaltlichen Kenntnisse verfügt haben könnte, um sie in seiner "Chronica sive Historia de duabus civitatibus" zu verarbeiten. Und dabei handelte es sich explizit um die Beschreibung wie man einst im Beisein von Germanicus 15 + die Knochen der Varusarmee bestattet hatte und was außer Tacitus kein anderer antiker Historiker erwähnte. Da sich Otto auch den antiken heidnischen Schriften von Aristoteles widmete spricht dafür, dass ihn religiöse Hemmungen nicht daran hinderten seinen Wissensstand zu erweitern. Vor allem stützte er sich bei der von ihm verfassten Weltchronik auf den 130 + verstorbenen Gaius Suetonius Tranquillus (Sueton). Seine Schriften über die Varusschlacht waren es die im Gegensatz zu den Tacitus Annalen über die Jahrhunderte durchgängig zur Verfügung standen. Sie wurden daher für viele Kopisten zur Grundlage und von ihnen verbreitet, so dass sich seine Aussagen im Kern bis ins Mittelalter verfolgen lassen. Anders verhielt es sich bei den Tacitus Annalen die uns nach ihrer für Corvey bestimmten Abschrift im 9. Jhdt. bis zur Wiederentdeckung 1507/8 wie verschluckt erscheinen. So lässt sich neben Tacitus und anderen antiken Historikern auch in Sueton ein früher Gewährsmann für das Schlachtenereignis erkennen. Ein Historiker der zwar anders als Tacitus nichts zum Austragungsort beisteuern konnte, der aber andere Details über die Varusschlacht zu Papier brachte aus denen man schon zu Zeiten Ottos von Freising schöpfen konnte. Otto von Freising wusste daher aus dem Sueton Kapitel 23.2 über Divus Augustus unter anderem vom berühmten Aufschrei „Quintili Vare, legiones redde!" aus dem Munde des Kaisers, also in etwa „Quinitilus Varus, bring mir die Legionen zurück!“. der dabei mehrmals seinen Kopf gegen die Wand geschlagen haben soll. Von Suetonius erfuhren wir über die Schlacht nicht viel und es ist lediglich diese Überlieferung in der Übersetzung bekannt: „Augustus erlitt nur zwei schwere und schändliche Niederlagen, die von Lollius und Varus, die beide in Deutschland statt fanden. Von diesen war der erstere mehr demütigend als Ernsthaft, aber der letztere war fast tödlich, da drei Legionen mitsamt ihrem General, seinen Leutnants und allen Hilfstruppen in Stücke gerissen wurden. Als die Nachricht davon kam, befahl Augustus Nachtwachen in der ganzen Stadt, um einen Gewaltausbruch zu verhindern, und verlängerte die Amtszeit der Gouverneure in den Provinzen, damit die Verbündeten von erfahrenen Männern, mit denen sie zusammen waren, an ihre Treuepflicht angehalten waren. Er gelobte auch Jupiter Optimus Maximus große Spiele, damit sich der Zustand des Reiches wieder verbessern konnte. So wie man es auch nach den Kimbern Kriegen tat. Er soll sogar mehrere Monate hintereinander weder seinen Bart noch sein Haar geschnitten haben. Und er feierte den Tag der Katastrophe jedes Jahr als einen Tag der Trauer“. Zusammenfassend kann man sagen, dass Otto von Freising die Episode der Knochenbestattung nur von Tacitus erfahren haben konnte und ihm von Sueton das zuvor angeführte bekannt war. Otto seit 1138 Bischof von Freising war ein an der Geschichte interessierter Vertreter aus höchsten kirchlichen Kreisen und verunsicherte bzw. stellte aus heutiger Sicht die Varusforschung aufgrund seiner Verortungstheorie sie im Raum Augsburg zu suchen auf den Kopf. Aber zunächst fragt man sich welchen Quellenzugriff er auf die Tacitus Schriften gehabt haben könnte und des Weiteren wie er auf dieser Basis zu der Annahme gelangen konnte, wonach sich seine Schlachtentheorie geographisch nicht mit den Tacitus Annalen in Verbindung bringen lässt. Man kann daher den Eindruck gewinnen, als hätten ihm nur Bruchstücke der Annalen zur Verfügung gestanden die er in seine Weltchronik übernahm. Sein 1145 verfasstes Werk "Chronica sive Historia de duabus civitatibus" in der erste Bestrebungen erkennbar werden älteste Ereignisse aufgreifen zu wollen um für sie Erklärungen zu finden, veröffentlichte er lange vor dem Beginn einer als Renaissance bezeichneten Epoche. So gehörte die Varusschlacht eindeutig schon damals zu den Marksteinen deutscher Geschichte und verdeutlicht, dass diese eine Schlacht zwischen dem römischen Imperium und jenen Völkern die damals auf später deutschen Boden lebten, die Jahrhunderte über in den Köpfen der Menschen lebendig geblieben ist. So begann sich erst im Mittelalter der Blick auf die Zeugnisse römischer Vergangenheit zu verändern und es wuchs das Interesse daran der Antike neue Erklärungen abzuringen und die Varusschlacht war 1145 immer noch so allgegenwärtig, dass man sich mit der Frage beschäftigte, was einst passierte und vor allem wo sie denn statt gefunden haben könnte. Otto von Freising traf mit seiner Weltchronik den Zeitgeist und eine Schlacht in der allein auf römischer Seite drei Legionen ihr Leben verloren hatten, wird nicht nur auf ihn faszinierend gewirkt haben. So darf man die Behauptung wagen, dass die Suche nach dem Varusschlachtfeld mit der sich die Mönche in der Spätantike des 9. Jhdt. in Corvey schon befasst haben dürften einen nahtlosen Fortgang nahm. Mehr über die Varusschlacht erfahren zu wollen und damit der Wunsch auch den Austragungsort zu kennen beflügelte demnach schon den Menschen seit dem bekannt wurde, dass es etwas Derartiges einst gegeben hatte. Aber nur aus den Schriften von Tacitus die im 9. Jhdt. als Abschrift nach Corvey gelangten ließen sich schriftliche Rückschlüsse auf das Ereignis ziehen die eine Lokalisierung ermöglichen, wenn es nicht die Einheimischen immer schon oder immer noch wussten. Und denkt der Historiker an die Örtlichkeit so sind immer nur die Hinweise von Tacitus gemeint, wo man nämlich die Knochen der Varusarmee hügelartig aufschichtete, so wie es Germanicus 15 + anordnete als auch die von ihm erwähnte Existenz eines „prima Vari castra“, aber in erster Linie ist die wesentliche Information, wonach sich Germanicus von den Flussoberläufen von Ems und Lippe dem „Teutoburgiensi saltu“ näherte und wo sich unweit davon der Knochenhügel auftürmte. Aber Otto von Freising der Varus übrigens "Verres" nannte ging in seiner Weltenchronik was die Ortsbezogenheit anbelangt einzig auf diese Bestattung ein, äußerste sich aber zu unser Verwunderung nicht zu den weiteren Hinweisen von Tacitus die Rückschlüsse auf den Austragungsort zulassen. Daran ließe sich erkennen, dass er den Inhalt der Annalen wenn er sie nicht selbst gelesen hatte, so aber in Bruchstücken gekannt haben musste. Da es ausgeprägte Verbindungen zwischen den Klöstern, Abteien und Bischofssitzen gab, könnte das frühe Wissen über das die Abteien in Fulda und Corvey und vielleicht auch in Hersfeld verfügten und das einst seinen Ursprung im Kloster Monte Cassino hatte, in späterer Zeit auch seinen Weg nach Freising oder Augsburg gefunden haben. Und da in den bedeutsamen Klöstern über das gesamte Mittelalter hinweg das Vervielfältigen von Büchern zum Tagesgeschäft gehörte wozu auch die Annalen zählten lässt sich schließen, dass die im 9. Jhdt. in Fulda für Corvey kopierten Schriften des Tacitus vielerorts zugänglich waren. Zudem wird man auch an manchen Höfen nicht nur davon gehört, oder darin gelesen haben, sondern sich auch mit ihrem Inhalt auseinander gesetzt und ihn diskutiert haben. Bekanntlich stand Otto von Freising mit zahlreichen Personen auch unter dem damaligen Hochadel wie etwa Friedrich Barbarossa in verwandtschaftlichem Verhältnis, sodass man es auch in diese Kreise hinein kommuniziert haben dürfte. So könnte Otto auch auf diesem Weg an die Information aus den Tacitus Annalen gekommen sein. Man sollte demnach von dem Gedanken Abstand nehmen die Tacitus Annalen hätten unentdeckt und irgendwo verborgen in den Gewölben Abtei Corvey gelegen, wo sie wenn überhaupt nur wenigen Klosterinsassen bekannt oder zugänglich waren. In den etwa dreihundert Jahren die zwischen dem Kopieren der Annalen und der Veröffentlichung in der Weltchronik von Otto von Freising lagen konnte sich ihr Inhalt ob von Fulda oder Corvey ausgehend bereits verbreiten und das schon bevor sie erst rund 360 Jahre später im Jahre 1507/8 in Corvey „wieder entdeckt“ wurden. Genauso wie man rätseln kann was bei Otto den Gedankenanstoß ausgelöst haben könnte sich ausgerechnet mit der Varusschlacht zu beschäftigen, könnte man sich auch darin vertiefen, warum Otto nur den Inhalt aus Tacitus Buch 1 Kapitel 62 (1) zitierte in dem Tacitus auf die Bestattung einging und vom Buch 1 Kapitel 6o nichts erwähnte in dem Tacitus eine Beschreibung hinterließ wonach sich Germanicus von den Flussoberläufen von Ems und Lippe dem „Teutoburgiensi saltu“ näherte wo man dann den Knochenhügel auftürmte. Da Otto vielleicht nur Teile davon kannte fehlte ihm auch zwangläufig die Erkenntnis, wonach man die Varusschlacht in Ostwestfalen suchen sollte und nicht in der Nähe von Augsburg. Er berief sich in seiner Darstellung auf Ortsansässige die, wie er schrieb noch bis heute den Ort zeigen können, wo man die Knochen der getöteten Legionäre bestattet hatte, stellte es als Dorfgespräch dar und schlussfolgerte daraus, dass die Varusschlacht in der Nähe von Augsburg statt gefunden haben muss. Selbst wenn man den Verdacht haben könnte, dass die Augsburger die 955 statt gefundene Schlacht auf dem Lechfeld mit der Varusschlacht verwechselten, so bleibt es doch bei der Eindeutigkeit, dass Otto von Freising von Varus, aber nicht von Otto dem Großen sprach. So schreibt Otto in seiner "Chronica sive Historia de duabus civitatibus" weiter, dass die Augsburger als Bestätigung für die Niederlage auf einen Hügel verweisen, der sich bis heute volkssprachlich „Perleich“ nennt. Es klingt sogar der Verdacht daraus, dass Otto es nicht selbst war, der über das Wissen zur Knochenbestattung verfügte, sondern es letztlich die Dorfbewohner waren, die Kenntnis von der Varusschlacht besaßen bzw. die es noch im Volksgedächtnis aufbewahrt hatten. Ob es nun Otto von Freising selbst wusste oder er es dem Volksmund entnahm, bleibt vor der Geschichte gleich, vielleicht wollte er aber auch verbergen, dass er sich als frommer Mann in gehobener Position getraute Eigenrecherche zu betreiben. Erstaunlich ist, dass uns dieser Sachverhalt überhaupt erhalten blieb und sich daraus erst die diversen Schlussfolgerungen ziehen lassen. Vor allem aber ist es die Tragweite dieses Ereignisses aus dem Jahre 9 + , die die Gemüter noch sehr lange, also rund 1100 Jahre später immer noch berührte. Vor diesem Hintergrund taucht die Frage auf, wie intensiv man sich noch in den Jahrhunderten davor mit der Varusschlacht befasst haben mag und dabei fällt natürlich sofort der Blick auf Einhard den Biographen von Karl dem Großen der sich wie man weiß, ebenfalls sehr intensiv mit Sueton beschäftigt hatte. Sollten es also tatsächlich die Dorfbewohner gewesen sein, die etwas von der Varusschlacht wussten, es also schon die Spatzen vom Dach pfiffen dann dürfte also noch sehr vieles im Sagengut und Volkmundartigem gesteckt haben, das nie zu Papier gebracht wurde. Als sich Otto von Freising zu seiner Zeit auf Basis der Sueton Überlieferung und mit dem Wissen aus den Tacitus Annalen mit der Varusschlacht beschäftigte dachte noch niemand an das, was noch in späteren Jahrhunderten an Wissenswertem über sie ans Tageslicht kommen sollte. So etwa die Erkenntnisse die sich erst im Zuge des Zusammenführens der diversen Fragmente der Schriften von Cassius Dio verbreiteten oder die Paterculus Überlieferung, auf die man erst 1515 stieß. Und während man im vorausgehenden Mittelalter im hohen Norden an den Mythen der Drachensage schmiedete um sich das alte Ereignis auf ihre Weise erklärbar zu machen, sah man es im Reich der Staufer schon realistischer und trennte bereits Sage von Historie. Denn auch dank Sueton wusste man in den höheren Bildungsschichten schon mehr. Trotzdem wird man sich an den wundersamen und unterhaltsamen Geschichten über Siegfried den Drachentöter ergötzt aber das Kuriose mit neuerem Wissenstand abgeglichen haben. Dieser Theorie folgend gab es im germanischen Kernland keine Sagen von drachentötenden Helden, sodass es erst die nordische Sagenwelt war die auf das Inlandsgeschehen Einfluss nahm und die Welt des Mittelalters damit konfrontierte. Vielleicht besser gesagt irritierte dies die Menschen im Mittelalter und der Verdacht wurde geweckt, dass die Sage in ausgeschmückter Form die einstige Realität wieder gab. Beispielgebend dafür könnte der isländische Mönch Nikulas Bergsson gewesen sein, der während seiner Pilgerreise zwischen um 1151 zeitgleich zu Ottos Weltchronik die Drachentötung ins Spiel brachte und damit förmlich in den Zeitgeist hinein platzte. Und nicht nur das, denn aus seinem Bericht geht zu allem Überfluss auch noch die Lage hervor, wo sich diese Tat einst ereignete. Den Verfasser wundert es nicht, dass es sich danach nur „einen Steinwurf“ weg von der Region zutrug, wo sich Varus dieser Theorie zufolge an der Eggekante ins Schwert stürzte. Eine nicht unerwartete Übereinstimmung der Geschehnisse wie man sie aber erwarten konnte, wenn man sich auf die Vortigern Theorie stützt, wonach es einst die Söldner aus Ostwestfalen waren, die ihr heimisches Wissen in Südengland verbreiteten von wo aus es dann seinen mythologischen Siegeszug nach Norden antrat. Außer Otto von Freising ist kein mittelalterlicher Geschichtsforscher aufgefallen, der zwar schriftliches zur Varusschlacht hinterließ den aber der historische Kompass fehl leitete. Und wir kennen aus dieser Epoche auch keinen Historiker der Tacitus zitierte bzw. den „Teutoburgiensi saltu“ erwähnte. So müssen Bemühungen scheitern einzig auf Basis Ottos von Freising neue Örtlichkeitstheorien schmieden zu können. Tacitus berichtete, dass die Germanen Arminius noch lange in ihren Liedern besangen aber noch länger könnten sie gewusst haben, wo man einst die Knochen der Legionen verscharrt hatte. Wenn auch der Verdacht im Raum steht, dass die Corveyer Mönche den Ort der Schlacht früher wussten, so steht doch Otto von Freising das Privileg zu der Erste gewesen zu sein, der die Suche nach dem Varusschlachtfeld aufnahm und es schriftlich dokumentierte (02.12.2023)