Sonntag, 21. Januar 2024
Wo suchte die Renaissance die Varusschlacht - Die Humanisten waren auf dem richtigen Weg.
ulrich leyhe, 11:38h
Ohne Otto von Freising der uns in der ersten Hälfte des 12. Jhdt. eines besseren belehrte hätte man den Eindruck gewinnen können, als ob das Mittelalter eine Epoche war in der man der Varusschlacht keine Bedeutung beimaß. Das so genannte Mittelalter ist eine im Grundsatz zeitlich nicht definierbare Zeitspanne weswegen man ihr Ende auch an geschichtlichen Großereignissen wie etwa der Entdeckung Amerikas 1492 oder dem Tod von Kaiser Maximilian 1519 festmachte, interessierte sich demnach nicht nur für unterhaltsame Drachentöter Geschichten, sondern auch für die realen Dinge der Vergangenheit. Aber nach Otto verging viel Zeit bis man sich wieder mit der Varusschlacht beschäftigen wollte. Genau 204 Jahre mussten zwischen seinem Tod im Jahr 1158 und dem im Jahre 1362 geborenen und aus dem 32 km östlich von Corvey gelegenen Einbeck stammenden Lateinlehrer Dietrich Engelhus vergehen bis uns dank seiner schriftlichen Aufzeichnungen wieder Informationen zur Schlacht vorliegen die etwas Licht auf die alte Großtat warfen. Durch seinen Tod im Jahre 1434 verpasste er den Wiederfund der Tacitus Annalen im Jahre 1507/1508 und so konnte er sich nicht an den Auswertungen beteiligen. Dadurch entgingen ihm zwangsläufig auch die darin enthaltenen geographischen Hinweise zum Austragungsort und gelangte zu der abweichenden Schlussfolgerung ihn in Mainz zu suchen. Was aber hier mehr überwog war weniger seine Theorie die sich später als unzutreffend erwies, als unsere Verwunderung darüber was auch bei ihm den Ausschlag gegeben haben könnte dieses aus seiner Sicht über 1300 Jahre zurück liegende Ereignis wieder aufzugreifen, mit dem auch wir uns über 2000 Jahre nach der Schlacht immer noch beschäftigen. Allerdings ohne geographische Hinweise zu hinterlassen so wie es Tacitus tat, beschäftigten sich auch andere antike Historiker mit dem Thema Varusschlacht, sodass es seit jeher durch die Jahrhunderte geisterte. Auf diesen Wegen dürfte das spärliche Wissen auch bis zu Engelhus durchgedrungen sein, der es in seiner zwischen 1419 und 1429 erschienen „Chronica nova“ verarbeitete und es mit Mainz verband. Der Gedanke an die Schlacht war nicht tot zu kriegen und es ging von ihr immer noch eine unerwartete Strahlkraft aus, so dass sich Ereignis in der Geisteswelt des ausgehenden Mittelalters immer noch einer hohen Beliebtheit erfreute. Resümierend lässt sich sagen, dass auch in einer Zeit als die Deutschen Ordensritter noch in Ostpreußen kämpften und die Annalen des Tacitus in Corvey irgendwo unter Verschluss lagen oder in verstaubten Regalen standen, die gebildeten Bevölkerungsschichten die antiken Schriften nicht aus der Hand gelegt hatten. In der Zeit nach dem 9. Jhdt. als die Corveyer Tacitus Annalen in Vergessenheit geraten waren ist festzustellen, dass es neben anderen uns unbekannten Überlieferungen vor allem die Schriften von Sueton und Florus waren, die das Interesse an die Schlacht wach hielten. Sie waren offensichtlich nördlich der Alpen weit verbreitet, sodass sich aus ihrem Inhalt der nichts an seiner Attraktivität verloren hatte schöpfen ließ. Daraus, dass sich selbst ein Einbecker Lateinlehrer wie Engelhus von diesem Thema angesprochen fühlte lässt sich schließen, dass das alte Ereignis wenn auch sicherlich nicht überall, so doch mit zum Lehrstoff in manchen Stadtschulen seiner Zeit gezählt hatte. Man kann zudem daraus schließen, dass man sich ungebrochen, also auch in den zwei Jahrhunderten die davor lagen mit der Schlacht auseinander gesetzt hatte. Wenn auch nebulös und durchsetzt mit viel Unkenntnis hatte sich das Wissen über diese Schlacht erhalten können und bewegte die Gemüter zu allen Zeiten auf eigenartige Weise. Man möchte das neu entstandene Interesse an ihr gerne mit dem in der Renaissance erwachten germanophilen Zeitgeist begründen, hätte es da nicht schon im zwölften Jahrhundert einen Otto von Freising gegeben. Wissen das sich verbreitet hatte, lange bevor den Humanisten der große Sprung nach vorne gelang und man zusätzlich zu Tacitus auch noch die Schriften von Cassius Dio und Paterculus entdeckte, sie intensiv studierte vor allem aber miteinander verglich und auswertete. Nach Engelhus betraten weitere „erbarmungslos“ fortschrittliche Humanisten der Renaissance die Bühne des Zeitgeschehens. Sie kannten kein Pardon, rüttelten am Althergebrachten vor allem aber besannen sich wieder der Antike. Dazu gehörte, dass sie sich auch an das scheinbar sorgsam gehütete Tabuthema wie jene Verbindung zwischen Arminius und der vermutlich später zu seinen Ehren errichteten Säule heran wagten. Am Vorabend der Reformation war es eine gewagte Zeit historische Forschungen unter Wahrung religiöser Überzeugungen zu betreiben. Ungeachtet dessen tastete sich im 16. Jhdt. eine mutige und wissensdurstige Schar Humanisten, die sich trotz anfänglicher Fehltritte kaum beirren ließ langsam wieder an die einstigen Geschehnisse auf der Suche nach den Örtlichkeiten heran. Etwa Georg Spalatin, ein Sammler römischer Quellen der mit Lucas Cranach dem Älteren, Philipp Melanchthon und Erasmus von Rotterdam in Verbindung stand. Ihm wird nachgesagt, er habe die Rettung von Martin Luther organisiert und auch mit ihm widmete sich nach Engelhus wieder ein Theologe der „Clades Variana“. Aber bis zur Varusschlacht im Nethegau sollte es noch ein weiter Weg sein. Spalatin wird der Satz nachgesagt Arminius „von hertzen lib“ zu haben und war wie man heute sagen würde der Medienberater von Martin Luther. Und obwohl Spalatin einer derjenigen gewesen sein sollte ja sogar müsste, der die 1507/8 in Corvey wieder entdeckten Tacitus Annalen las oder ihren Inhalt gekannt haben sollte, da sie 1517 in gedruckter Form wieder zurück nach Corvey gelangten und aus denen die geographischen Hinweise zu Ems, Lippe und Weser hervor gingen war er der letzte Humanist, der immer noch die Auffassung vertrat, der Ort der Schlacht habe sich am Rhein bei Duisburg, statt in Ostwestfalen befunden. Erst der 1485 in Lippstadt geborene Priester und Humanist Johannes Cicinnius der auch Johannes Kruyshaer genannt wurde und dem Benediktinerkloster Essen – Werden nahe stand war es der, man möchte fasst sagen endlich als erster die „geographische Wende“ in der Varusforschung einleitete. Ihm ist 1539 nachweislich der deutliche Zusammenhang zwischen den Informationen aus den Tacitus Annalen und dem Osning aufgefallen was voraus setzt, dass er sie gekannt also gelesen haben musste. Unter dem Titel: „VAn der niderlage drijer Legionen vn[d] meren Römische[n] krijgßfolcks/ mit jrem Capitaneo Quintilio Varo/ by tyden der gebort Christi/ vnd Julio Cesare/ vnd Octauiano Augusto/ gescheit in Westphalen/ tuschen den wateren der Emesen vnd der Lippen/ by den Retborge vnd jn der Delbruggen“ veröffentlichte er in diesem Jahr eine historische Abhandlung. Dem pflichtete auch der 1559 geborene Philipp Melanchthon bei während Martin Luther noch zum Harz tendierte. In dem man sich nun von Süddeutschland distanziert hatte und und vom Rhein abgerückt ist, hatte sich der Suchhorizont nur rund 20 Jahre nach der Rückführung der gedruckten Tacitus Annalen unübersehbar nach Ostwestfalen genau genommen zum Osning verschoben. Die gewachsene Erkenntnis beeinflusste den Forschergeist aber nicht nur hinsichtlich der Tatsache die Schlacht jetzt in Ostwestfalen suchen zu müssen. Bekanntlich spielt ein weiteres historisches Großereignis in die Varusschlacht Forschung hinein, dass auch die Humanisten beschäftigte. Es war jener seltsame Vorfall der Irminsul Zerstörung im Jahre 772 den man augenscheinlich mit in Betracht ziehen sollte, wenn man nach der Örtlichkeit der Varusschlacht Ausschau hält. In diesem Zusammenhang führt die Spur zu Georg Spalatin der die Schlacht noch auf Duisburg bezogen hatte, aber nach unserem Wissenstand der erste war dem der namentliche Zusammenhang auffiel. Er erkannte den Gleichklang von Irminsul und Arminius und kannte demnach auch den Inhalt der fränkischen Reichsannalen die maßgeblich von Einhard beeinflusst waren und in denen von der Irminsul die Rede ist die Karl unweit von Marsberg zerstört hatte. Er tat es in seiner Schrift „Von den thewern - Deudschen Fürsten Arminio“ (Wittemberg 1535), wobei man das Wort “thewern“ in einen Zusammenhang mit „teuren und hochgeschätzten“ sehen kann. Man kann Spalatin der statt dem Osning die Region Duisburg favorisierte daher nicht unterstellen neben den nahezu identischen Worten Irmin und Armin auch schon die beiden Schauplätze miteinander in Verbindung bringen zu wollen. So kann er nicht in Verdacht geraten die Stätte der Varusschlacht da suchen zu wollen wo einst die Irminsul stand, die zwischen Marsberg und Willebadessen gelegen haben soll und die sich nach dieser Theorie auf halber Höhe unweit von Borlinghausen befand. Hätte sich Spalatin den Inhalt der Tacitus Annalen zunutze gemacht der bereits zu seiner Zeit bekannt war, dann hätte dies dazu führen können, dass auch er von seiner Duisburg Theorie abgewichen wäre und sich den Meinungen der anderen Humanisten angeschlossen hätte die zum Osning tendierten. In diesem Fall wäre ihm dann auch die geographische Nähe zwischen dem Osning und der Irminsul Stätte nicht entgangen und hätte als früher Forscher der erstmals hier aufgestellten Theorie Pate gestanden. Er wäre dann der erste gewesen, dem die Verbindungslinie zwischen den beiden Austragungsstätten Varusschlacht am Osning und Irminsul am Osning schon vor 5oo Jahren aufgefallen wäre. Möchte man davon absehen, dass schon die Corveyer Mönche den Zusammenhang im 9. Jhdt. erkannten, dann wäre es auch Georg Spalatin gewesen, der sich in einer langen Reihe von Forschern aus vielen Disziplinen die auf ihn folgten schon der Frage gewidmet haben könnte, ob die Irminsul nicht ein Denkmal für Arminius gewesen sein könnte. Hätte Spalatin gar gewusst, dass die Sachsen unter denen sich auch Falen aus dem Nethegau befanden, die Vortigern im 5. Jhdt. in die einst Römische Provinz Britannia rief, die sich inmitten des heutigen London ansiedelt hatten die ihre Traditionen mitnahmen und u.a. „verantwortlich“ für den dortigen Straßennamen "Ermine Street" waren, dann hätte Spalatin dies mit für seine Theorie nutzen können. Vielen im Mittelalter und der folgenden Renaissance wirkenden Historikern war es nicht vergönnt sich bis unsere Zeit Gehör zu verschaffen oder blieben namenlos da sie nichts schriftliches hinterließen. Aber in gemeinsamer Anstrengung gelang es dann doch noch dank des Wegweisers Cicinnius den Austragungsort von Augsburg, Mainz oder Duisburg nach Ostwestfalen zu verlegen, wo er ihn sich zwar im Osning vorstellen konnte, aber dennoch die Region um die heutigen Städte Rietberg und Delbrück favorisierte wo er vermutlich annahm, das sich dort das Varuslager befunden haben könnte. Damit pirschte man sich langsam an den vermeintlichen „Teutoburgiensi saltu“ nahe Borlinghausen heran, während es in den letzten Stunden der Renaissance und kurz vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges der Historiker Johannes Gigas war, der noch 1616 die Legionen bei Oelde - Stromberg marschieren sah. Daran, dass nun die Mehrzahl der Humanisten die Auffassung vertrat die Schlacht habe sich an jenem Gebirgszug zugetragen der sich sichelförmig östlich um die Städte Rietberg, Delbrück oder Oelde wölbte lässt sich erkennen, dass man den Fächer zwischen Bielefeld und Scherfede im Visier hatte woran sich bis heute nichts geändert hat. Das die frühe Kartographie dem folgte und den neuen Wissensstand zum Anlass nahm nachzuziehen war zu erwarten. (21.01.2024)