Sonntag, 22. September 2024
Die mysteriöse Funktion der Abstellungen.
Nachdem sich der Verlauf der Varusschlacht im Zuge der Recherche in seinen Konturen abzeichnen ließ, wird auch erst deutlich was sich hinter der von Cassius Dio insgesamt äußerst knapp gehaltenen Wortwahl verbirgt. So klingen die Anweisungen die Varus einst den abgestellten Legionären gegeben haben soll für unsere heutigen Ohren etwas widersprüchlich, da sie nicht in das Konzept einer sich anbahnenden Auseinandersetzung passen. Die darin verborgene Unlogik macht nachdenklich wie man es auffassen sollte und weckt Zweifel am überlieferten Grund dieses Befehls. Cassius Dio gab das Wissen ältester Quellen weiter und das oft ohne selbst zu verstehen, was die Schreiber 200 Jahre vor seiner Zeit damit zum Ausdruck bringen wollten. Er musste sich im Zuge der historischen Aufarbeitung in diese vor seiner Zeit liegende Epoche hinein versetzen und versuchen zu verstehen, was damals in Germanien vor sich ging um seinen Zeitgenossen gegenüber auf verständliche Weise erklären zu können, welchen Verlauf die Schlacht seinerzeit genommen hatte. Dabei stieß er bekanntlich auf Ungereimtheiten, aber auch auf den nebulösen Akt der „Abstellungen“. Vieles von dem was er las übernahm er ohne es zu verändern, während er einiges umdeutete in dem er es zu ordnen versuchte und es nach geschliffen haben könnte, wenn er davon überzeugt war, dass es so nicht gewesen sein konnte. So zumindest lassen sich seine Worte die er an anderer Stelle fallen ließ interpretieren. An welcher Stelle er eingriff und textuelle Veränderungen herbeiführte kann die heutige Forschung nicht mehr beantworten. An der Entsendung der Abstellungen nahm er jedoch keinen Anstoß, da der diesen Vorgang für stattgefunden hielt und daher auch den Grund nicht hinterfragte. Und während einige seiner Passagen auch heutzutage noch plausibel klingen und glaubhaft erscheinen lösen andere, wie etwa die Umstände im Zusammenhang mit den besagten Abstellungen Stirnrunzeln aus. Da sich grundsätzlich heraus stellte, dass sein Rapport mit dem Schlachtverlauf wie er dieser Theorie zugrunde liegt deckungsgleich ist, soll im weiteren Verlauf der Beweis erbracht werden, dass sich auch diese bislang rätselhaft erscheinenden Zeilen auf verständliche Weise erklärbar machen lassen. Wie man weiß, stand „waffenstarrendes“ römisches Militär nicht nur am Rhein, sondern auch mitten im Land und schon Florus berichtete über Wachtposten die bereits in vorchristlicher Zeit unter Drusus an Weser und Elbe errichtet wurden. Das Drusus zugeordnete Marschlager Hedemünden an der Werra bestätigte diese Überlieferung. Darüber hinaus berechtigt nicht nur das schon seit länger Zeit erforschte Hafenkastell Anreppen in Verbindung mit dem zwischenzeitlich entdeckten Marschlager in Paderborn, sowie die freigelegte Römerstadt Waldgirmes zu der Annahme, das sich auch schon am Weserknie nahe Höxter/Corvey stadtähnliche Vorgängerbauten befanden. Eine realistische Annahme die man gegenwärtig in Paderborn im Zuge einer Ausstellung unter dem Namen „Corvey und das Erbe der Antike“, zu besichtigen bis 26. Januar 2025, in Erinnerung ruft. Eine Präsentation die den Begriff „Erbe“ allerdings so auslegt, dass nicht der Verdacht aufkommen kann, in Corvey könne sich noch Baugeschichtliches befinden, das aus der Zeit der römischen Okkupation stammen könnte. Cassius Dio hingegen vermittelt uns vor diesem Hintergrund den Eindruck eines im Aufbau befindlichen und sich ruhig entwickelnden Zusammenlebens in einer neuen ländlichen Provinz im Stammesgebiet der Cherusker an der Weser und schwärmt dabei vom munteren Markttreiben und friedlichen Zusammentreffen. Gleichwohl wurde die Region wie man liest auch von Stämmen besiedelt die Rom nicht unterworfen hatte, Völker mit denen man sich anders, als es mit den Cheruskern gelang nicht vertraglich verbunden hatte. Aber allen war gemein, dass sie ihre alten vom Kampf bestimmten Traditionen noch nicht abgelegt hatten. So war es für Cassius Dio rückblickend keine Kunst auf diese Weise bereits auf die explosive Lage hinzuweisen und einzugehen und beschrieb daher auch schon die ersten Anzeichen drohender Gefahr. Mit dem Wissen zum Gesamtverlauf der Schlacht konnte er in seinem Bericht aber bereits eine Begebenheit an den Anfang setzen, die der Schlacht unmittelbar voraus ging, sich also zeitnah vor ihrem Ausbruch zutrug und daher auch am Beginn seiner Darstellung zu stehen hatte. Es ist die angesprochene Episode aus der die Problematik spricht, dass sich aufgrund mangelnder Logik ihre wahren Umstände nicht erkennen lassen. Carl von Clausewitz beschrieb derartige Phasen wie eine Grauzone in der die Wahrheit keinen Platz fand, da sich die Nebel der Schlacht noch nicht verzogen hatten. So öffnet sich ein Spielraum der auch eine andere Auslegung des Ereignisses zulässt als die, wie sie sich den Überlieferungen entnehmen lässt und gestattet uns, diesen Sachverhalt auch abweichend von der gängigen Interpretation bewerten zu können. So könnte es sich dabei um einen Vorgang gehandelt haben der in den Quellen einen anderen Widerhall finden musste, da er von Personen verfasst wurde, denen keine Zeitzeugen zur Verfügung gestanden hatten und für den sie daher nach eigenen Erklärungen suchen mussten. Der Einblick in die tatsächlichen Umstände blieb ihnen verwehrt und man erklärte sich auf eigene Weise, warum Varus sich zur Unzeit entschied seine Armee personell zu schwächen. Fragwürdige Deutungsversuche die nicht stimmig wirkten und daher die Nachwelt stutzig machen mussten. Cassius Dio übernahm es 200 Jahre später unverändert da sich auch ihm das Wissen um das wirklich Zugetragene entzog. Für diese Episode stellte sich eine plausible Begründung erst dann ein, als sich im Zuge der hier erarbeiteten Verlaufstheorie der Blickwinkel erweiterte. So wurde der Grund erkennbar der Varus bewog, den Abstellungen diesen irritierenden Befehl zu geben. Eine Order dessen Widersinn auch Cassius Dio auffiel und im folgenden Passus 56,19,1 darauf hinwies:
„Daher hielt er (Varus) seine Legionen nicht zusammen, wie es eigentlich in Feindesland angebracht gewesen wäre, sondern kommandierte zahlreiche Legionäre ab und entsendete sie denjenigen (Germanen) die darum baten, weil sie selbst zu schwach waren, um gewisse Landesteile zu schützen. Dazu gehörte die Ergreifung von Räubern, aber auch der Geleitschutz von Lebensmittelfuhren“.
Cassius Dio konnte die Region in der Varus agierte aus der Retrospektive gut als Feindesland bezeichnen und ihm daher seine Fehlentscheidung zum Vorwurf machen nicht alle Truppen zu den Aufständischen mitgenommen zu haben. Für Varus hingegen handelte es sich um das Siedlungsgebiet eines vertragsgebundenen Germanenstammes von dem er nichts zu befürchten hatte, sodass er dem Wunsch der Cherusker bedenkenlos folgen konnte und man daher auch kein Fehlverhalten von Varus erkennen kann. Die Begründung für die Abordnung ist allerdings bedenklich und daher hat dieser Absatz auch schon viel Anlass zu Spekulation geboten und die Historiker zu manchen Irritationen verleitet. Aber Cassius Dio hat ihn nicht ohne Grund an den Anfang seiner Ausführungen gesetzt. Denn im weiteren Verlauf erfahren wir von ihm, dass die Germanen diese Abstellungen bereits nieder machten, als die ersten Speere auf den Marschzug noch gar nicht geworfen waren. Die Interpretation erlaubt es nun festzustellen, dass sich hinter diesen Handlungen das, oder die ersten Gefechte verbargen, die eigentliche Varusschlacht folglich an ganz anderer Stelle und zu einem späteren Zeitpunkt seinen Anfang genommen hatte. Vor allem aber macht es deutlich, dass Varus von diesen Kämpfen keine Kenntnis besaß und vielleicht auch später nie etwas davon erfahren hatte. Es ist eine Auseinandersetzung die man einen Nebenkriegsschauplatz nennt und war eine militärische Entscheidung der sich große Vertrauensseligkeit und Abhängigkeit den Stämmen gegenüber entnehmen lässt und zur Unterbesetzung seiner Armee beitrug. Cassius Dio ging im Absatz 56,19 (5) auf das Geschehen ein, das den eigentlichen Auftakt der Mehrtagesschlacht darstellte. Das Ausschalten der Abstellungen fand folglich zu einem Zeitpunkt statt, an dem man ihn selbst noch nicht angegriffen hatte, er sich aber schon auf dem Marsch ins Gebiet der Aufrührer befand und erst das Erscheinen von Arminius auf dem Schlachtfeld auf Seiten der Germanen ließ ihn die neue Realität erkennen. In kritischer Weise kommt Cassius Dio auf die Situation zu sprechen in der Varus trotz der aufgeheizten Lage den unpassend klingenden Befehl erteilt haben soll ein vermutlich nicht unerhebliches Kontingent an Legionären abgestellt zu haben, damit diese den Germanen für Polizeiaufgaben zur Verfügung stehen konnten. Eine Entscheidung die man, wenn es denn so war aus Gründen der Hilfsbereitschaft vom Grundsatz her nur in völlig friedlichen Zeiten einem Vertragspartner zugesteht. Es in einem Moment getan zu haben, in dem er alle Männer gebraucht hätte um sich einer möglichen Auseinandersetzung mit den Aufrührern zu stellen kann demnach nicht der wahre Grund für das Entsenden gewesen sein. So dürfte eine tiefere Notwendigkeit darin gelegen haben die uns die Quellen jedoch nicht schlüssig machen konnten. Cassius Dio stellt es daher auch wie eine logisch anmutende Kritik an seinem Verhalten dar. Da Varus in dieser Phase das Ausmaß der Kämpfe noch nicht übersehen konnte musste er befürchten den Aufständischen nicht gewachsen zu sein und hatte sich daher der cheruskischen Reiterei versichert. So dürfte es bei Cassius Dio den Eindruck eines unnötigen und unbegreiflichen Befehls hinterlassen haben, dessen eigentlichen Grund er seinen Quellen nicht entnehmen konnte. Eine Erklärung die auf der Verkennung der damaligen Lage beruhte. Die Analyse dieses Vorfalles kommt zu dem Schluss, dass es in diesem Zusammenhang zwar zu einer Entsendung von Truppenteilen kam, es aber nicht geschah damit sie den Germanen für Hilfsdienste zur Verfügung stehen sollten. Es war vielmehr eine notwendige Maßnahme, denn die Legionäre hatten vereinfacht ausgedrückt schlicht die Aufgabe den zivilen Tross über die Egge nach Aliso zu führen. Es galt eine große Schar wehrloser Menschen samt ihrer beladenen Karren und diverser Wertgegenstände denen man den Marsch zu den Aufrührern ersparen wollte sicheres Geleit zu gewähren. Eine sinnvolle und im Kern nachvollziehbare Entscheidung die zum Standard gehörte, möglicherweise aber auch von Seiten der Cherusker angeregt wurde, denen daran lag dem Hauptheer Wehrkraft zu entziehen. Der Lesart nach soll es sich dabei um einen bedeutsamen Truppenteil gehandelt haben den Varus den Quellen nach zu urteilen auf kaum vorstellbare Weise im Lande der Germanen förmlich wahllos verstreut haben soll um „gewisse Landesteile vor Räubern zu schützen, oder Lebensmitteltransporte zu überwachen“. Cassius Dio entnahm diese Schilderung seinen Quellen und musste ihnen glauben, da er ihnen den eigentlichen Grund für die Entsendung nicht entnehmen konnte. Diese Überlieferung gibt den Blick auf ein Ereignis frei mit dem sich die Theorie des zivilen Marschzuges stützen und sich der Entscheidung Sinnhaftigkeit entnehmen lässt. Ein Vorfall, den Cassius Dio für genauso rätselhaft wie bedeutsam hielt, sonst hätte er dieser Episode schriftstellerisch keinen Raum gegeben. Der den Germanen in diesem Sinne unterstellte Grund Bedürftigkeit vorgeschoben zu haben wirkt wie an den Haaren herbei gezogen, klingt wenig plausibel und entsprach, wie sich rekonstruieren lässt auch nicht der Realität. Sie diente lediglich dazu für diesen, allen seltsam erscheinenden Befehl eine halbwegs brauchbare Begründung zu finden. Obwohl die Notwendigkeit Truppenteile absondern zu müssen gegeben war, ersann man letztlich eine schwache Erklärung, warum man diese Männer nicht mit zu den Aufrührern nahm. Argumente die Cassius Dio aufgriff die aber nur dazu angetan waren eine Lücke im Ablauf zu schließen, die sich als Erklärung für das Versagen von Varus zwar eignete sich dafür aber keine Plausibilität erzeugen ließ. In der Gesamtbetrachtung ist dies jedoch unerheblich, da die Germanen ihr Ziel erreicht hatten deren Absicht darin bestand seine Kampftruppen zu schwächen in dem man ein gutes Argument hatte sie abzutrennen, dadurch zu reduzieren um sie besser nieder machen zu können. Auch wenn das Vorhandensein eines zivilen abgetrennten Marschzuges an keiner Stelle erwähnt ist da Unwissenheit über diesem Teil der Varusschlacht schwebte, lässt sich dieser Vorgang mühelos in den Kontext setzen. Unter anderem wurde darauf im Kapitel „Wie konnte sich die Wahrheit nur solange verbergen. Fazit: Varus nahm definitiv keine Frauen und Kinder mit ins Rebellengebiet“ vom 19.8.2021 näher darauf eingegangen. So könnte man dahinter schon vor der eigentlichen Verschwörung eine gelungene Finte erkennen mit der die Germanen die Schlacht von langer Hand vorbereiteten. Sie wussten, dass es für Varus keine andere Option gab wenn er verhindern wollte, sich auf dem Marschzug mit Zivilpersonen und deren Hab und Gut zu belasten. Was sich in der Argumentation davon verfasst und formuliert von römischer Hand später in den Quellen wieder fand, lässt sich vor allem mit dem Wort Erklärungsnot bis zur Fadenscheinigkeit ausdrücken. Und da den Interpreten der Quellen die Problematik der Umtriebigkeit von Räuberbanden aus allen Regionen der italienischen Halbinsel bekannt ist und sich auch nachweisen lässt, klang es plausibel, dass es sich so auch in Germanien verhielt. Damit ließ sich auch ein Feldherr in Ostwestfalen überzeugen und der Leser konsumierte es in dem Glauben, dass es nur so gewesen sein konnte. Jene Abstellungen denen die Quellen erfreulicherweise nicht auch noch gleich den Namen „Erntehelfer“ mit gaben, denn er würde dem skurrilen Befehl Rechnung tragen. Handlanger für alles mögliche von denen die Quellen berichten, man habe sie großzügig über das Cheruskerland verteilt. Legionäre die jedoch das wichtige Geleit für den zivilen Marschzug darstellten und die die Aufgabe hatten für die Sicherheit u.a. jener Frauen und Kinder zu sorgen, denen man den direkten Weg nach Schwaney zugestanden hatte und die man üblicherweise nicht mit in ein Krisengebiet nahm. Für Cassius Dio mag es verdächtig geklungen haben, aber er erkannte nicht, dass es sich dabei um keinen Geleitschutz für Lebensmitteltransporte handelte, sondern um eine Maßnahme die möglicherweise sogar Arminius selbst aus bekanntem Grund empfohlen hatte, da er mit der mediterranen Welt vertraut war. Bis heute fragt sich die Forschung, was es mit diesen seltsamen Erklärungen auf sich gehabt haben könnte, fand aber bislang keine überzeugende Erklärung dafür. Eine Episode, die sich zwar mit der Mehrtagesschlacht in Einklang bringen, sich aber nie so richtig zuordnen lassen wollte. Ein Akt dessen Ursachen woanders lagen, der sich bislang nicht begründen ließ, der aber seine kriegsentscheidende Wirkung nicht verfehlte. In Unkenntnis darüber wie man die Quellen an dieser Stelle auszulegen hat, dass nämlich ihre eigentliche Funktion darin bestand den zivilen Marschzug zu begleiten setzte Cassius Dio es passenderweise an den Anfang des Debakels, also genau dahin wo es auch seinen Platz hatte. Insgesamt war es eine Episode die Florus unerwähnt ließ, da ihm dafür das Detailwissen fehlte. Aber es passte dafür gut ins Sortiment Varus`scher Fehlleistungen schon im Vorfeld seines herbstlichen Heimzuges, Männer für Nichtigkeiten freigestellt zu haben. Das er es aber in der gut gemeinten Absicht tat damit die zahlreichen Zivilpersonen zu unterstützen, ihnen etwa zu helfen, damit sie mit den beladenen Ochsenkarren den steilen Anstieg vom Oesetal über den Eggeosthang bewältigen konnten, oder um bei Achsenbruch zur Stelle zu sein, war den Senatsakten nicht zu entnehmen. Mit dem Vorwurf Cassius Dio zu unterstellen er habe selbst diese kühnen Erklärungen zusammen getragen um damit begründen zu wollen warum Varus nicht alle zur Verfügung stehenden Kräfte mit zu den Aufrührern nahm würde man zu weit gehen bzw. ihm Unrecht tun. Naheliegender ist, dass es genau so seine Quellen aussagten um die Handlungsweise von Varus in diesem Zusammenhang nicht aufwerten zu müssen. Darin, dass Varus seine Armee um diese „Polizeikräfte“ auf empfindliche Weise schwächte ließ sich ein weiteres, dieses Mal ein strategischer Makel erkennen, den man ihm trefflich anlasten konnte. Aber wer auch immer in Rom die Reichschroniken zusammen trug, verändert bzw. passend gemacht haben sollte hätte hier sein Meisterstück vollbracht, denn er konnte damit auch davon ablenken, dass Varus vorher unter anderem aus humanen Gründen den Ziviltross abgekoppelt hatte um Frauen, Kindern, den Alten und Verletzten sowie seinen Beamten den gefahrvollen Umweg samt seinem persönlichen Hab und Gut zu ersparen. Hinzu kommt noch der Aspekt, dass man in der Varus Entscheidung Truppenteile abzusondern auch einen Akt des Vertrauens gegenüber den Cheruskern sehen kann, wobei es in dieser frühen Phase keinen Grund für ihn gab misstrauisch zu sein, zumal sich die Segestes Warnungen als eigene Schutzbehauptungen entlarven ließen und Varus von Vertrags treuen Germanen ausgehen durfte. Was aus seiner damaligen Sicht heraus kein verwerflicher Akt war ließ sich ihm im Nachhinein gut als überzogene Vertrauensverhalten und militärische Fehlleistung im Feindesland unterstellen. Wie man es dreht und wendet, es sollte an Varus kein gutes Haar hängen bleiben und erst recht sollte nicht zum Ausdruck kommen, dass die hohe römische Politik in dieser Phase versagt hatte. Ihm diesen Befehl anzukreiden und zum Vorwurf zu machen konnte man nur aus Unwissenheit oder um ihn zu beschädigen. Aber in beiden Fällen suchte man nach einer Begründung für seine Entscheidung mit dazu beigetragen zu haben, dass ihm diese Truppen im Kampf später nicht mehr zur Verfügung standen. Wer ihm folglich aus seiner Abstellungsentscheidung einen Strick drehen wollte, der tat es aber in diesem Fall zu unrecht. Die frühe Nachwelt stocherte noch viel im Ungewissen und ersann sich einen Grund mit dem sich die Fakten in zeitgemäßer Weise entweder verdrehen oder einfach nur erklären ließen. Zeitzeugen der Episode sollten sie es überlebt haben gelang es nicht ihr Wissen bis in die Chroniken hinein zu tragen oder man unterschlug es und auch die damaligen Protagonisten um Varus dürften sich keiner Schuld bewusst gewesen sein. Um die Makel in der Argumentation deutlich zu machen sollte man noch bemerken, dass sich demnach selbst an dem Tag an dem die Legionen ihr Sommerlager verließen immer noch die besagten Abstellungen in den Siedlungen der Germanen befunden haben müssten und nicht nur das, denn selbst am Tag seines Ausmarsches ab dem vermeintlichen Brakel zu den Aufrührern, hätten sie sich verstreut noch immer im Cheruskerland aufgehalten haben müssen. Man möchte spontan sagen ein Unding derartiges in Anbetracht der kritischen Lage noch bis zum letzten Moment zugelassen zu haben. Noch offensichtlicher wird die Fehlinterpretation der kaiserlichen Scriptores in dem Moment wo Varus von den nennen wir sie noch mal „Erntehelfern“ erwartet haben sollte, dass diese sich nach Ablauf einer für diesen Sondereinsatz vorgesehenen Frist hätten wieder „pünktlich“ einfinden müssen, von wo aus sie dann gemeinsam mit Varus den Rückweg in Richtung Lippe, einschließlich des Umweges hätten antreten sollen, denn dort überwintern lassen, wollte er sie wohl nicht. Sie hätten schon am Abend des ersten Marschtages oder spätestens am nächsten Morgen im Etappenlager bei Brakel zu Varus Anschluss finden müssen. Dort wäre allerdings ihr Fernbleiben aufgefallen und nur ein einziger Überlebender der Varus gewarnt haben könnte, hätte in der Konsequenz zum Zusammenbruch der gesamten germanischen Offensive führen können. In der Folge dessen erkennt man darin deutlich eine gezielt angeordnete Maßnahme und erwartete daher auch nicht die Rückkehr der Abstellungen, vermisste sie nicht und erfuhr auch nichts von den Kämpfen am vermeintlichen Gradberg auf dem Weg nach Aliso. So brauchte auch Cassius Dio, der den Untergang der Abstellungen überlieferte nicht auf ihr Nichterscheinen einzugehen. Da es sich jedoch anders zutrug wohl wissend, dass die Zivilisten von den Abstellungen geschützt unterwegs waren, konnte Varus in voller Zuversicht zu den Aufrührern aufbrechen. Cassius Dio hingegen nahm an den kaiserlichen Auslegungen keinen Anstoß und gab sich mit der Erklärung zufrieden, dass man sie vor dem Beginn der Schlacht und wo auch immer nieder gemacht hatte. Davon, dass sich die Abstellungen innerhalb des zivilen Marschzuges bereits auf dem Weg nach Schwaney befanden, wo sie dann in der Tat den Germanen in einer Kommandoaktion zum Opfer fielen und von wo aus die Flüchtenden Aliso ansteuerten und daher auch nicht zu Varus aufschlossen, hatte er wie man so schön sagt keinen blassen Schimmer. Letztlich dürften alle nicht überlebt haben und konnten daher auch die Nachwelt nicht anderslautend informieren. Und an dieser mageren Ausganglage gab es nichts zu deuteln, denn diese Wahrheit kannten die Autoren der Senatsakten nicht, sodass auch Cassius Dio es so hinnehmen musste. Für den Fall das, sei in diesem Zusammenhang noch die Frage gestattet, ob bzw. warum die Germanen vor der römischen Okkupation ihre Lebensmitteltransporte überhaupt hätten schützen sollen oder müssen. War dies grundsätzlich und überhaupt nötig und welche Germanen taten es vor der römischen Besetzungszeit. Gab es zu Cheruskerzeiten eine germanische Ordnungsstruktur die man im Notfall hätte herbei rufen können und in welchem Umfang kam es überhaupt zu Lebensmitteltransporten die bei anderen etwa Nachbarstämmen hätten Begehrlichkeiten auslösen können. Was wurde unter den damaligen „Selbstversorgern“ wie weit, warum und wohin transportiert. Fragestellungen die ebenfalls die im Geschehen liegende Absurdität der römischen Erklärungen deutlich machen. Fragestellungen die sich nun erübrigen, da sich ein anderer Verlauf glaubhafter machen lässt. (22.09.2024)