Sonntag, 17. Dezember 2023
Wo siedelten die Cherusker - Eine Kernfrage der Varusschlachtforschung - Sie lässt sich beantworten.
Das die Cherusker nicht erst seit der Varusschlacht für Rom ein unberechenbarer Stamm waren und man ihr Verhältnis zueinander nicht partnerschaftlich bezeichnen kann lehrten uns schon die antiken Schriftsteller. Und da man der einhelligen Auffassung ist, dass sich ihre Siedlungsgebiete entlang der Mittelweser erstreckten stellt dies heutzutage auch kein Historiker mehr in Frage. Nach wie vor unklar ist jedoch wie weit sich ihre Stammesgebiete in die Breite und die Länge gezogen haben. Das der Harz für sie eine natürliche Barriere nach Osten bildete klingt plausibel, aber wo schlossen sich die Wohngebiete der Langobarden und Fosen im Nordosten an, wo grenzte man sich im Westen zu den Angrivariern, Brukterern, Marsern, Sugambrern oder Sueben ab und ab wann machte sich der Einfluss der Chatten bemerkbar. Und das, dass Eggegebirge nach Westen und die Dialektgrenze der Diemel nach Süden ebenfalls geographische Landschaftsmarken bildeten die sich auch als Abgrenzungen für die Stämme untereinander eigneten liegt nahe, aber wie stand es um das Verbreitungsgebiet der Cherusker nach Norden. Im Imperium hatte man sich aus taktischen Gründen das Land der Cherusker nicht nur zum Ziel gesetzt, sondern auch setzen müssen da es sich wie ein Riegel verhielt, der ihnen den weiteren Weg über die Nordostroute zur Elbe verstellte. Es unter ihre politische Macht zu bekommen um es als Sprungbrett und Durchzugsgebiet zu nutzen gilt daher in der Forschung als ausgemacht. Da durch die erfolgreichen Schlachten der Vergangenheit die Cherusker als besiegt galten, bestand für Rom in dieser Region keine unmittelbare Kriegsgefahr mehr, sodass sich Varus auf Weisung des Kaisers anschicken konnte die Grenze des Imperiums nach Osten zu verschieben. Die ihm vorgegebene Direktive bestand darin politische Ruhe also möglichst Frieden in die Region zu bringen und dies auf Basis eines Vertrages zu stabilisieren. Das dahinter nicht die Absicht stand mit den Cheruskern auf Augenhöhe verhandeln zu wollen, ließ sich der Geschichtsschreibung mehrfach entnehmen. Ohne die bewährten strategischen Vorkehrungen zu vernachlässigen setzte Varus die Legionäre als Bausoldaten ein wodurch erkennbar wurde, dass für ihn der kämpferisch militärische Aspekt in den Hintergrund trat. Er tat gut daran zumal man in Marbod eine latente Gefahr sehen musste und zur gleichen Zeit zahlreiche römische Legionen in Pannonien im Krieg standen. Wollte man den Auftrag auf friedliche Weise umsetzen. war man auf eine gute Zusammenarbeit mit den Cheruskern und ihren Kriegern angewiesen und vertraute ihnen bis zum bitteren Ende. Es fanden die nötigen Baumaßnahmen statt wie man sie heute noch anhand von Infrarot Luftaufnahmen erkennen kann und wie sie in Form von Erdwällen- und Pflasterarbeiten immer noch oberirdisch im Gelände sichtbar sind. Römische Bautrupps die im Zuge der Eggeüberquerung den Wegeausbau durchführten der auch unter Varus statt gefunden haben könnte. Zeitgemäße infrastrukturelle Projekte aller Art wie es überliefert ist, die sowohl militärischen und gleichzeitig auch zivilen Zwecken zu dienen hatten. Trotzdem gilt unter Skeptikern die Frage als unbeantwortet ob Varus über den „westfälischen Hellweg“ aus Paderborn kommend einmarschierte oder über einen anderen Weg ins Stammesgebiet der Cherusker eindrang um es zu provinzialisieren. War der Hellweg tonangebend dann breiteten sich spätestens an seinem östlichen Endpunkt in Corvey vor ihnen die cheruskischen Siedlungen aus, man erreichte dort den Kern ihrer Wohngebiete und stand vielleicht schon fasst in deren Zentrum, zumindest aber im Grenzgebiet zu ihnen. Dabei denkt man in erster Linie an den Fürstensitz der Segimersippe unter denen man sich auch die Wälsungen vorstellen könnte, um sich der besseren Kontrolle wegen in deren Nähe nieder zu lassen. Aber was kann uns die Forschung dazu bisher an Anhaltspunkten liefern. So wäre es wünschenswert wenn zur Verbesserung der Beweislage dieser Theorie gute Argumente hinzu kommen. Und obwohl es seit längerer Zeit eine Möglichkeit gibt den Siedlungsraum zu identifizieren und einzugrenzen findet man den Namen dieses Stammes bislang in allen modernen, aber auch älteren Kartenwerken immer nur großformatig quer über einen weitläufigen und nicht näher definierten geographischen Raum eingetragen. Dies geschah sowohl aus Uneinigkeit als auch aus Unwissenheit, da man es sich aufgrund mangelnden Wissensstandes nicht zutraute ihn im Detail festlegen zu wollen. Eine Chance über dieses Volk einen abgrenzenden Rahmen zu legen und ihm eine Kontur zu geben scheint jedoch möglich zu sein, wenn man die Grabungsarchäologie mit einbezieht und an die einfachen Dinge des Alltags denkt. Gegenstände die man damals als Grabbeigaben verwendete oder die im Bereich häuslicher Ansiedlungen in den Boden gelangten. Gemeint sind die in traditionell unterschiedlicher Ausprägung und Formgebung produzierten keramischen Töpferwaren. Ihnen lassen sich unterschiedliche Herstellungsmethoden entnehmen wodurch sich auch die germanischen Völker bzw. Stämme untereinander unterscheidbar machen. Der 1908 geborene Prähistoriker und Professor für Vor – und Frühgeschichte Rafael von Uslar schlug diesen Weg ein. Er war vorsichtig riskierte es aber trotzdem Wesentliches zur Lokalisierung beizutragen, in dem er anhand von Keramikfunden eine Region isolierte und sich für die darin siedelnden Germanen für die Bezeichnung „Südhannoversche/Cheruskische Gruppe“ entschied. Sie erstreckte sich ab Hannover südwärts bis ins Leinetal nahe Göttingen, reichte ins Harzvorland und setzte sich teilweise auf dem westlichen Weserufer fort. In den Randbereichen insbesondere was den Betrachtungsraum westlich der cheruskischen Stammlande anbelangt fasst er die Stilrichtung der Gefäßarten als „rheinisch/westfälische Gruppe“ zusammen. So lässt sich umgelegt auf die germanischen Stammesgebiete schlussfolgern, dass sich die in diesen Regionen nachgewiesenen Topfformen den Angrivariern, Brukterern, Marsern, Sugambrern oder Sueben zuordnen lassen, während im Süden die chattische Formengruppe erkennbar wird. Der eingefügten Karte lässt sich auf Basis der Funde entnehmen, dass sich das Kerngebiet der Cherusker wie von Uslar feststellte im wesentlichen östlich der Weser erstreckte. Westlich davon dominierte die Gruppe die er die Rheinisch/westfälische nennt und in der die cheruskische Keramik nur noch lückig in den Randgebieten feststellbar ist. Was anhand der Verbreitungskarte ins Auge fällt ist, dass im Bereich um die Porta Westfalica einschließlich Minden keine Cherusker mehr siedelten. Ihre Spuren werden bereits östlich der Porta immer schwächer und lassen sich dann im unmittelbaren Raum um den Weserdurchbruch gar nicht mehr nachweisen. Es ist jene Landschaft die die Forschung für die Stammesgebiete der Angrivarier hält und wo man den Angrivarierdamm vermutet in der sich die cheruskische Bodenfunde kontinuierlich ausdünnten bis sie gar nicht mehr feststellbar waren. Wenn auch nur lückig so konnten cheruskische Erzeugnisse leicht westlich der Weser auch noch etwa zwischen Steinbergen und Emmerthal aufgefunden werden. Im Betrachtungsraum des Nethegau griff der cheruskische Gefäßanteil ebenfalls nur noch marginal über die Weser, sodass er sich nur im östlichen Nethegau bemerkbar machte. Im Norden hingegen scheint es der Höhenrücken des Deister gewesen zu sein, der das Cheruskerland nach Westen abgrenzte da er sich wie eine natürliche Grenze in Nordsüdrichtung erstreckte. Östlich davon erstreckte sich das cheruskische Kerngebiet während sich westlich des Deister auf Basis der Funde ein Mischgebiet erkennen lässt, in dem cheruskische Töpferwaren nur noch in geringerer Dichte nachweisbar waren um dann wie an der Porta erkennbar völlig zu verschwinden. Möchte man in die römischen Strategiepläne eintauchen, dann hätte Varus unter Nutzung der Hellweg Route das Kerngebiet der Cherusker in seiner Gänze direkt im Visier gehabt, da er es mittig vor sich liegen hatte. Es ließ sich über Höxter ansteuern womit er den ersten größeren cheruskischen Vorposten erreichte hätte, hinter dem sich das Cheruskerland begann in voller Breite auszudehnen. Theorien wonach sich das römische Hauptlager nicht im Weserborgen von Corvey sondern zwischen Hameln und Minden befunden haben könnte würde bedeuten, dass sich Varus ab dem Lippeoberlauf an der westlichen Flanke des cheruskischen Stammesgebietes nach Norden vorgearbeitet hätte und damit den umfänglichen Südteil des cheruskischen Stammesgebietes im Rücken gehabt hätte. Ein gesundes Misstrauen sollte Varus davon abgehalten haben denn er hätte falls sich die Cherusker wieder als feindselig erweisen sollten die Gefahr darin sehen können, dass sie ihm im ungünstigen Fall den Rückweg zur Lippe abgeschnitten hätten. Jede nach Norden ausgreifende Aktion seinerseits hätte für ihn einen langen Rückweg zur Folge gehabt, sodass ihm eine Entscheidung in Hellwegnähe zu bleiben als die ratsamere erschienen sein dürfte. Diverse historische Arbeitsgruppen tragen sich noch mit dem Gedanken die Varusschlacht könnte sich sogar nördlich von Osnabrück zugetragen haben. Dabei verkennen sie zweifellos die erhebliche Marschdistanz die zwischen dem cheruskischen Hauptsiedlungsgebiet das aus östlicher Sicht betrachtet am Deister endete und bis zum Kalkrieser Berg rund 90 km beträgt. Schwer vorstellbar, dass die Krieger der Cherusker über diese Entfernung durch Angrivarier - und auch Chasuarierland Tuchfühlung mit den Varuslegionen gehalten haben sollen bis man sie dann im Schlund von Kalkriese in den Hinterhalt gelockt haben soll um sie dort aufzureiben. Zurück in den Nethegau könnte man auf Basis dieser Herangehensweise zu der Auffassung gelangen, dass er den Funden nach zu urteilen in den ersten drei Jahrhunderten nach der Zeitenwende von Stämmen besiedelt war, die zu weiten Teilen dem rheinisch/westfälischen Typus zuzurechnen ist. Das würde aber auch bedeuten, dass man die Angrivarier der Topfform nach zu urteilen den Rhein – und nicht den Wesergermanen zuzuordnen hätte. Es würde aber auch deutlich machen, dass Marser, Sugambrer, Brukterer und vielleicht auch Sueben dem Stil nach noch als Rheingermanen zu bezeichnen wären, sich also von den cheruskischen Wesergermanen unterscheiden würden. Dies würde dann in die Überlegung münden, mit welchen Stämmen sich Arminius abzusprechen hatte als er, sein Vater und die anderen Fürsten sich entschieden dieser Theorie zufolge Varus in den Kessel bei Borlinghausen zu locken. So könnte man den Eindruck gewinnen, als dass die Nische des Nethegau zwischen Egge und Weser, in der die Cherusker nur den östlichen Teil nahe dem Weserufer besiedelt hatten und die Brukterer nicht sesshaft waren, da ihr Siedlungsgebiet auf dem Eggekamm am östlichen Ende der Münsterländer Bucht endete von jenen Stämmen genutzt bzw. besiedelt wurde die einst Tiberius nach Osten abgedrängt hatte. Der Fundhorizont der zur Auswertung zur Verfügung stand erstreckte sich über die ersten 3oo Jahre nach der Zeitenwende in der es zu Umsiedlungen und Verschiebungen innerhalb der Stammesgesellschaften gekommen sein dürfte, so dass der Anteil der cheruskischen Bevölkerung im Nethegau um das Jahr Null auch noch höher gelegen haben dürfte, als in der Folgezeit in der die Cherusker bekanntlich an Einfluss verloren hatten.



Teilausschnitt der Karte von Rafael von Uslar.
Die starken Schraffuren kennzeichnen die Kerngebiete die schwachen Linien die Einflusszonen. Deutlich erkennbar der Stil der rheingermanischen Topfform westlich und östlich der Porta die ihren Namen "West"falica folglich zu Recht trägt.



Rot gekennzeichnet:
Das Hauptsiedlungsgebiet der Cherusker (Fundregion der cheruskisch/südhannoverschen Topfform)
Gelb gekennzeichnet:
Die Übergangsregion ein Mischgebiet der Topfformen sowohl von Rhein - als auch Wesergermanen
Grün gekennzeichnet:
Die Wohngebiete von Rheingermanen wie sie in den ersten 3. Jhdt. nach Osten ihre Siedlungstätigkeit ausgedehnt haben könnten.
Blau gekennzeichnet:
Die südlich angrenzende chattische Topfform

Auch dank Rafael von Uslar der über die Keramikverteilung etwas Klarheit in die Zusammensetzung der damaligen Bevölkerungsschichten und ihrer Siedlungsgebiete brachte, lassen sich weitere Indizien zusammen ziehen, die diese Gesamttheorie stützen. Abgeschlagen am Nordwestende cheruskischer Siedlungstätigkeit und demnach schon im Angrivarierland liegend, erscheint auf dieser Basis auch die Theorie eines varianisches Sommerlager in der Nähe von Minden als fragwürdig. Da der Hellweg nicht erst seit Menschengedenken begangen wird konnte sich die römische Militärstrategie auch anhand der Verfügbarkeit ältester Straßensysteme orientieren und man könnte ihn ab der Egge auch die Bezeichnung „Cheruskerspieß“geben.(17.12.2023)