Freitag, 12. Juni 2020
Germanicu`s Ritt zur Segestes Burg – welches Risiko ging er ein ?
Germanische Gaufürsten waren wie man annehmen darf autochthon, weitgehend unabhängig und hoch angesehene Stammesführer. Und das waren sie nicht nur innerhalb ihres eigenen Stammes oder Volkes, sondern besaßen auch einen unantastbaren Stellenwert innerhalb der ihnen gleich gestellten Führungsschicht in den benachbarten Fürstentümern. In den Thingversammlungen war man sich ebenbürtig und stand sich auf Augenhöhe gegenüber. So besaßen sie in ihren Herrschaftsregionen auch das angestammte Recht die Politik zu bestimmen. Nicht grundlos lebt die Vermutung bis heute fort, man habe Arminius getötet, da er die Alleinherrschaft angestrebt haben soll, was die Einflusssphäre der anderen Großen eingeschränkt hätte. Denn diesen Machtzugewinn duldete man nur zeitlich befristet und er galt nur in Kriegszeiten. Wie später bei den Sachsen so auch bei den Cheruskern. Und noch hunderte von Jahren später scheiterten Versuche den ursprünglichen Stammesgedanken zu zerstören. Und nicht von ungefähr hatte daher auch eine Eheschließung in den hohen Stämmeskreisen wichtige symbolische Bedeutung, denn das blaue Blut der Adelsschicht wollte man rein halten und die Erbschaftsansprüche in sicheren Händen wissen. In die Territorien die andere Fürsten beanspruchten brach man auch nicht ein, wenn es dafür keinen besonderen Grund gab und wenn, dann nur nach vorheriger Vereinbarung. Segestes hingegen war es daran gelegen gegenüber Germanicus eine in der Eskalation befindliche Stammesfehde glaubhaft zu machen was man anzweifeln darf. Man kann es für ein vorgeschobenes Argument halten und zu der Überzeugung kommen, dass seine Autorität nicht bedroht war er lediglich einen Grund brauchte und er grundsätzlich zu sich rufen konnte wen er wollte, ohne dafür Rechenschaft abzulegen bzw. um Erlaubnis fragen zu müssen. Denn im Frühjahr 15 + befand sich Germanicus mit den Cheruskern nicht im Krieg, es gab keine unmittelbare Bedrohung und man machte überdies sogar vor den cheruskischen Grenzen halt und wandte sich von ihnen ab. Über wie viel Gaubezirke Segestes aber auch Arminius damals herrschte wissen wir nicht. Aber es dürfte abgesehen von Sümpfen oder dichten Waldgebieten klare geographische oder sonstige gegenseitig akzeptierte und respektierte Grenzziehungen zwischen ihnen gegeben haben. Germanicus wird also aufgrund der ihn Begleitenden gewusst haben welchen Weg es einzuschlagen galt um nicht die Hoheitsgrenzen zu überschreiten und unbeschadet Segestes zu erreichen. Was die Beweggründe anbetrifft, die Germanicus veranlassten im Frühjahr des Jahres 15 + von zwei Stoßrichtungen aus mit geballter Macht in Germanien einzufallen, so liegen uns dazu diverse Spekulationen und Schlussfolgerungen zahlreicher Historiker vor. Annahmen, die sich aber letztendlich alle nur auf die wenigen Zeilen stützen die Tacitus uns in seinem Jahrbuch 1.56 (1 - 5) hinterließ. Wissen, dass auch er nur von anderen Vorlagen abschrieb. Wenn wir sie für stimmig halten, so bot Germanicus im Frühjahr 15 + seine gesamte Kampfkraft auf, die ihm sowohl in Mainz als auch am Niederrhein zur Verfügung stand um seinen Rachefeldzug gegen die Stämme die Varus bezwangen fortzusetzen. Es waren zwei gewaltige Heeressäulen die sich im Zangenangriff auf die Stammesgebiete der Sugambrer, Brukterer, Marser, Chatten und letztlich die Cherusker zu bewegten. Stämme gegen die man nun die längst fällige Vergeltung üben wollte. Dem römischen Senator Aulus Caecina Severus der vermutlich von Xanten in Verbindung mit Neuß anrückte standen über vier Legionen plus 5000 Soldaten bestehend aus Hilfstruppen zur Verfügung. Germanicus selbst befehligte ebenfalls vier Legionen und hinzu kamen weitere 10.000 Soldaten an Auxiliarkräften. Legt man einen vorsichtigen Mittelwert pro Legion zugrunde, dann könnten beide Heeresgruppen einschließlich der nicht römischen Unterstützung zusammen gefasst über etwa 50.000 bis 55.000 Kämpfer verfügt haben. Folglich marschierten acht römische Legionen sowie 15.000 Kelten, Germanen und Soldaten aus anderen Völkern von Westen und von Süden aus in Richtung Weserknie bei Bad Karlshafen. Es war eine immense Armada die sich da zu Lande im zeitigen Frühjahr 15 + in Bewegung gesetzt hatte. Wirft man nun einen Blick auf die aktuelle historische Analyse, so ist oft die Rede davon, dass man sich bei Germanicus die Zwistigkeiten innerhalb der Cherusker aus der Gunst der Stunde heraus zu nutze machen wollte und deswegen vor dem eigentlichen großen, aber erst für den Sommer 15 + geplanten Feldzug noch einen ursprünglich nicht geplanten Frühjahrsfeldzug dazwischen schieben wollte bzw. den Vorzug gab, um den Rom treuen Cheruskerflügel zu unterstützen. Aber diese Auslegung wirft Fragezeichen auf und das nicht nur weil man einen solchen gigantischen Feldzug nicht im Schnellverfahren aufnehmen kann. So beginnt alles bereits mit der vermeintlichen Erkenntnis, dass es sich vom entfernten Ostwestfalen aus bis zu Germanicus herum gesprochen haben soll, dass es Unstimmigkeiten innerhalb der cheruskischen Fürstenhäuser gab. Und wie selbstverständlich geht man auch immer davon aus, dass die Cherusker nur von zwei Fürsten befehligt wurden, nämlich von Segestes und Arminius bzw. vor ihm seinem Vater Segimer. Da Feldzüge für gewöhnlich im Frühjahr aufgenommen werden und man den Feldzug 14 + nur wegen dem Aufruhr in den Legionslagern am Rhein heraus in den Herbst legte, könnte man davon ausgehen, dass sich Germanicus mit dem zeitig angesetzten Frühjahrsfeldzug 15 + einen, wenn nicht sogar den entscheidenden Durchbruch in Germanien erhoffte. Denn er bot immerhin max. 55.000 Soldaten auf, was der Gesamtzahl des nieder – und obergermanischen Militärkommandos entsprach. Somit war es ein Aufmarsch der umfangreiche logistische Vorbereitungen erforderlich gemacht haben dürfte. Waffen waren zu schmieden oder zu reparieren, Pferde mussten ausreichend zur Verfügung stehen und Nahrungsmittel und Ausrüstung waren transportfähig zu machen. Zumal im zeitigen Frühjahr der Boden noch nicht genügend Nahrung für Mensch und Tier her gibt und auch die Germanen um diese Jahreszeit noch Entbehrungen zu durchstehen hatten. So lässt sich ein Kraftakt dieser Art nicht aus dem Stand heraus umsetzen. So wird es ein Kriegszug gewesen sein in dessen Planungen man bereits im Winter 14/15 +, wenn nicht gar früher hätte einsteigen müssen. Folgt man nun den historischen Bewertungen und Annahmen, so soll das Zerwürfnis innerhalb der cheruskischen Fürstenfamilie eine große Rolle beim vorgezogenen Kampfeinsatz gespielt haben und war möglicherweise sogar der Auslöser dafür. Aber in dieser Phase dürfte man im römischen Generalstab jedoch noch keinen Sommerfeldzug auf dem Schirm gehabt haben. Denn vom grünen Tisch aus zwei Feldzüge in einem Jahr hinter einander zu legen entspringt keiner Logik. Und ein derart massives Truppenaufgebot einzig basierend auf der Vorstellung zu mobilisieren es mit der Zielsetzung nach Ostwestfalen zu entsenden um sich damit den Bruch zwischen den Fürstenhäusern im Sinne Roms zu nutzen zu machen liefert zu wenig Argumente für einen derartigen Kriegseinsatz. Wer hätte auch Germanicus zum Zeitpunkt des Ausmarsches garantieren sollen, dass man ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen problemlos bis ins Zentrum der Cherusker hätte vorstoßen können um dort auf das römerfreundliche Lager zu treffen um dann dort einem anderen Cheruskerfürsten in einem innergermanischen Konflikt beistehen zu können. In der Hoffnung einen leichten Sieg zu erringen. Da klingt diese Theorie etwas zu neuzeitlich gedacht. Letztlich basierte sie darauf, dass Segestes die Fürstenhäuser hätte spalten können und ein erhofftes stattliches Aufgebot seiner Kämpfern hätte sich dann auf die Seite von Germanicus stellen sollen. Und alles unter der Prämisse betrachtet, dass Germancus die Interna im Cheruskerland bestens kannte um sie für seine Strategie zu nutzen. So stand bei Germanicus sicherlich einzig im Vordergrund die im Zenit stehenden Stämme zu besiegen und letztlich den Erzfeind, die Cherusker nieder zu werfen. Germanicus von Süden vorstoßend musste um zu den Cheruskern zu gelangen zuerst die Siedlungsgebiete der Chatten passieren und Caecina hätte zu Beginn die Sugambrer, Brukterer und Marser gegen sich gehabt, bevor er bei den Cheruskern eingetroffen wäre. Germanicus wird sich also der modernen Forschung nicht unterworfen bzw. nicht darauf verlassen haben seinen Feldzug auf derart vagen Annahmen zu beginnen. Germanicus und Caecina wollten letztendlich die Cherusker in zwei Keilformationen bezwingen und ob diese nun mit oder ohne Segestes in ihren Reihen antraten, dürfte für Germanicus unerheblich gewesen sein. Aber das Wissen um die innergermanischen Konflikte stammte wie sich rekonstruieren lässt und es auch nicht anders sein konnte, erneut aus dem Munde eines Mannes. Nämlich eines Germanen der allerdings völlig andere Interessen verfolgte, als uns einen plausiblen Einblick in die alten Geschehnisse zu ermöglichen. Segestes. Ein Informationsstand, den er vermutlich erst im Jahre 17 + in seinen palatinischen Verhören einem interessierten Zuhörerkreis gegenüber verlautbart hatte, den Tacitus aufgriff und den er dann für seine Jahrbücher nutzte. Aber was lief da im Frühjahr 15 + falsch. Germanicus bezwang die Chatten in dem er bis zu ihrem Hauptort vordrang. Nahm einige von ihnen gefangen, tötete wohl auch viele von ihnen, aber der Rest entkam in die Wälder, wie es in diesen Zeiten gang und gäbe war. Caecina besiegte in einer Schlacht die einen glücklichen Verlauf nahm die Marser. Aber halt. Denn es waren doch jene Marser die man erst ein Jahr zuvor 14 + bei ihrem Fest überrascht hatte und die dann angeblich vernichtend geschlagen worden sein sollen. Marser die Caecina nun im Frühjahr 15 + mit immerhin rund 25.000 Kämpfern und das auch nur mit Glück bezwingen konnte. Marser die sich nach nur einem Jahres schon wieder als so kampfstark erweisen konnten, dass sie es sogar wagten sich Caecina mit seinen rund 25.000 Mann in den Weg zu stellen. So wird es wohl im Frühjahr 15 + in der Realität wieder einmal anders gewesen sein, als wir es den Zeilen von Tacitus entnehmen können. Caecina stoppte jedenfalls nach der Marserschlacht ob geplant oder ungeplant sein weiteres Vordringen nach Osten und kam demzufolge auch nicht bis ans Weserufer nach dem er die Marser möglicherweise im nördlichen Sauerland oder der angrenzenden westfälischen Bucht bezwang. Aber auch Germanicus setzte seine Zugrichtung erstaunlicherweise trotz seiner Erfolge gegen die Chatten nicht nach Norden über die Diemle und die Weser in das Siedlungsgebiet der Cherusker fort. Man begnügte sich offensichtlich mit dem Erreichten. So brach man den Feldzug schon nach wenigen Wochen noch im Frühjahr wieder ab, obwohl das Schlachtenjahr gerade erst begonnen hatte. Ein Heer von etwa 55.000 Kriegern stand zu diesem Zeitpunkt möglicherweise erst zwei Monate im Felde, als es sich wieder in die Legionslager zurück ziehen musste. Sollte man daraus schließen können, dass die Germanen ihrem römischen Feind in der Summe und noch ohne das sich die Cherusker an den Kämpfen beteiligten im Frühjahr 15 + schon so große Anzahlen an Kriegern entgegen schicken konnten, dass sich Germanicus und Caecina gezwungen sahen, den Feldzug vorzeitig abzubrechen und man das Risiko nun auch noch die Cherusker angreifen zu wollen meiden wollte. Dann wären die Kämpfe gegen die Chatten und Marser allerdings heftiger gewesen als es uns Tacitus vermittelte. Jedenfalls macht es den Eindruck und Germanicus zog daraus die Konsequenz in dem er nach dem Abbruch des Chattenkrieges die Entscheidung traf die Niederrhein Kastelle aufzusuchen, neue Kräfte zu sammeln um die Legionen wieder auf Sollstärke zu bringen. Folglich einen ursprünglich möglicherweise gar nicht beabsichtigten Sommerfeldzug ins Auge zu fassen. Zweifellos waren die Männer um Arminius zwar über alle Bewegungen aber nicht über die Strategien der beiden römischen Generäle wenn auch nicht zeitnah so doch relativ gut informiert. So mussten sie jederzeit auch mit einem Vorstoß auf ihr Territorium rechnen und wollten darauf vorbereitet sein. Und Arminius wird auch früh die Nachricht erhalten haben, dass sich Germanicus, als er von den Chatten abließ sich wider erwartend nicht nach Norden in seine Richtung in Bewegung setzte sondern sich von den Cheruskern abwendete. Denn mit einem Vorstoß in ihre Richtung wird man von Seiten der Cherusker schon gerechnet haben. Und auch Caecina bewegte sich über das Marsergebiet nicht hinaus also weiter östlich auf die Cherusker zu. Mit rund 25.000 Legionären die lediglich aufbrachen um ein Volk zu besiegen, dass sie bereits 14 + besiegt gedacht hatten klingt da etwas mager für einen Frühjahrsfeldzug. Vielmehr verharrte er vermutlich im Stammesgebiet der Marser und nach dieser Theorie begab sich Germanicus im weiteren Verlauf zu Caecina. Arminius und sein Führungsstab wiederum mussten, da sie nicht davon ausgehen konnten das Germanicus seinen Frühjahrsfeldzug bereits so früh beenden wollte annehmen, dass er beide Blöcke zusammen fassen wollte um sie danach über den Nethegau anzugreifen. Arminius bereitete sich also vor, die römischen Legionen ganz nach germanischer Tradition in den offenen Raum im Frühjahr 15 + über die Weser zu locken wo man sie dann an einer verwundbaren Stelle treffen konnte nämlich an ihrer logistischen Schwäche. Man selbst konnte dann über die Örtlichkeit auch die Kampftakik bestimmen. Aber wie man weiß kam es im Frühjahr 15 + nicht dazu. In Anknüpfung an das vorherige Kapitel und was den Ort der Begegnung von Germanicus und Segimund anbelangt ist wie immer Realitätssinn gepaart mit geographischem Einfühlungsvermögen in die damaligen Verhältnisse gefragt, Denn man möchte die Szenerie letztlich sowohl aus römischer als auch aus germanischer Sicht so authentisch wie möglich versuchen abzubilden. Germanicus könnte also bereits an der mittleren Diemel gestanden haben als die Männer von Segestes und das für ihn vermutlich völlig unerwartet Kontakt zu ihm aufnahmen. Und erst zu diesem Zeitpunkt wurde Germanicus auch bewusst, wie sich die Lage unter den cherukischen Fürstenhäusern bereits zugespitzt hatte. Die Verortung bedarf noch einer Erklärung. Denn für eine im Krieg stehende Armee bestimmen letztlich die Witterungsverhältnisse den Kalender. Das Schlachtenjahr in Gestalt des Frühjahrsfeldzuges könnte für Rom also frühestens Ende Februar oder Anfang März begonnen haben. Da jedoch ein weiterer Feldzug für den Sommer des gleichen Jahres überliefert ist, müsste der Frühjahrsfeldzug zum Ende dieses Frühjahrs hin wieder beendet, vielleicht besser gesagt abgebrochen worden sein. Das schränkt den Aktionszeitraum dieses Frühjahrsfeldzuges ein verkürzt also seine Zeitdauer und stellt damit seine gesamte Sinnhaftigkeit in Frage. Wann verließ Germanicus Mainz, wie lange brauchte er bis zum ersten Schlagabtausch an der Eder, wie viel Zeit könnte man für die Zerstörung des chattischen Hauptortes veranschlagen und wieviel Tage verbrachte seine Armee in den Rheinkastellen, wenn man vielleicht schon im Mai/Juni zum Sommerfeldzug aufbrechen wollte. Das gibt in der Summe Anlass zu der Schlussfolgerung, dass sich Germanicus auch nicht mehr einem zeitaufwendigen Umweg über Mainz aussetzte, sondern sich von Nordhessen aus auf dem direkten Weg nach Xanten oder Neuß befand, als ihn die Reiterschar von Segestes erreichte. Man wird keine Notwendigkeit gesehen haben um den Rhein in Eilmärschen erreichen zu müssen, ließ sich Zeit und so könnte man daraus resultierend die Schlussfolgerung ableiten, dass Germanicus sich noch nahe der Diemel aufhielt. Denn bis zur mittleren Lippe wird ihm keine Segestesdelegation nachgeeilt sein und er wird von dort aus auch keinen Rückweg mehr bis hinter die Weser angetreten haben. Eine Argumentation die darauf basiert, dass die Kräfte beider Armeekeile nicht mehr stark genug waren, um gegen die Cherusker und möglicherweise noch andere mit ihnen in Verbindung stehen Stämme vorzugehen. Aber lassen wir nun wieder Segimund zu Worte kommen, dem der schwierigste Teil seiner Botschaft bevor stand. Denn ein Fehlverhalten seinerseits hätte die ganze Aktion zum Scheitern bringen können. Man war in jener Zeit skeptisch. So musste Segimund auch jegliche Zweifel ausräumen, dass man Germanicus nicht sogar in eine Falle locken wollte. Daraus wird auch der Grund ersichtlich warum Segestes seinen Sohn schickte, denn nur auf dem Weg der Geiselstellung ließ sich das Risiko für Germanicus minimieren, denn opfern wollte Segestes seinen Sohn sicher nicht. Und die mögliche Falle die man Germanicus hätte stellen können und wovor er sich abzusichern hatte, hatte auch einen Namen. Denn sie bestand aus jenem Hilfskontingent, dass die Cherusker aufstellten um damit ihr Territorium zu sichern, oder was sie in den Süden schicken wollten um damit möglicherweise den Chatten beizustehen. So wie es uns Tacitus unter 1.56 (5) mit den Worten „Cheruscis juvare Chattos“ überlieferte, dass also diese Cherusker den Chatten helfen also sie unterstützen sollten. Aber nun manövrierte ihn Segimund in eine sowohl militärisch als auch politische Konfliktlage. Denn Germanicus setzte sich nicht nur der Gefahr aus erstmals tiefer in die cheruskischen Stammlande einzudringen, sondern musste befürchten, dass er auf dem Weg zu Segestes auch auf das cheruskische Hilfskontingent stoßen würde, dass sich in eine Wartestellung zurück gezogen hatte. Germanicus wusste also um das Risiko das er einging, wenn er sich in das Stammesgebiet der Cherusker begab und dürfte es daher vorher gut abgewogen haben. Tacitus brachte es im Jahrbuch 1.57 (3) mit den Worten “pretium fuit convertere“ insofern zum Ausdruck, alsdass es Germanicus der Preis wert gewesen war, sich sowohl dem Risiko als auch der Mühe auszusetzen. Denn das Ziel war verlockend. So könnte für Germanicus letztlich der Reiz in den Besitz der Fürstenfamilie zu kommen den Ausschlag gegeben haben, sich sogar der möglichen Gefahr auszusetzen. Germanicus zeigte folglich eine gewisse Risikobereitschaft, da er dem Anerbitten nach kam und somit zwangsläufig tiefer ins cheruskische Hoheitsgebiet vorstoßen musste. Hätte also Segestes ihn nicht um Hilfe gebeten, wäre Germanicus auf seiner ursprünglich eingeschlagenen Route geblieben. Das er sich nun zu diesem unerwarteten Exkurs verleiten ließ lässt erkennen, dass sich der Plan Segestes zu befreien völlig von dem unter schied. was seine einstige Absicht war. Denn nach dem Chattenkrieg standen die Cherusker zumindest im Frühjahr 15 + nicht auf der Liste seiner Gegner. Aber der Wegritt der Segimund Delegation und das spätere Zusammentreffen mit Germanicus war Arminius nicht verborgen geblieben. So war ihm auch nicht entgangen, dass Germanicus daraufhin seinen Kurs änderte und ihn seine neue Zielrichtung geradewegs zur Burg des Segestes führte. Damit stand für Arminius fest, dass es Germanicus nur um die Person und die Familie des Segestes ging, der sich auf diese Weise vor aller Augen spektakulär und demonstrativ von Germanicus ins Imperium geleiten lassen wollte. Aber auch, dass Germanicus nicht gewillt war auf Angriff und offene Konfrontation umzuschalten um einen entscheidenden Schlag gegen das Gesamtaufgebot der Cherusker zu führen. Arminius erkannte darin auf Basis dieser Einschätzung ein strategisch unbedeutenden Randereignis dem er daher aus der Distanz heraus relativ gelassen zuschauen und somit darauf verzichten konnte militärische Vorkehrungen zu treffen. Auch für Germanicus lief es auf einen Abstecher ohne größere Konsequenzen und Komplikationen hinaus und er erwartete keine größere Auseinandersetzung. Man vermied aus taktischen Gründen beiderseits eine größere Konfrontation und konnte das Gesicht wahren. Aber man profitierte auch gegenseitig. Denn während sich Germanicus eines Cheruskerfürsten samt Familie bemächtigen konnte war Arminius eine unliebsame Klientel los, die ihm bei den zu erwartenden Kriegen nur hinderlich sein konnte. Ob Thusnelda für Arminius eine so gewichtige Rolle gespielt hat wie häufig angenommen wird, sei in diesem Zusammenhang einmal dahin gestellt sein. So erwähnte Tacitus die Kämpfe des Germanicus gegen die vermeintlichen Belagerer möglicherweise auch deswegen, um damit die Entscheidung von Germanicus etwas hervor zu heben und damit zu rechtfertigen Segestes zu Hilfe zu kommen, in dem er ihm noch eine unterschwellige Auseinandersetzung zubilligte. Denn sie besaß eher nicht den Charakter einer groß angelegten Befreiungsoffensive und erreichten auch nicht den Stellenwert einer größeren Schlacht. Aber Germanicus kämpfte gegen die Cherusker wo auch immer sie sich sie gestellt haben könnte und wie heftig er es auch immer tat, obwohl dies seiner ursprünglichen Absicht widersprach. Und ob diese Kämpfe vor der Segestes Burg oder schon 20 Kilometer davor ausgetragen wurden, könnte auch noch ein Spekuationsthema sein. Ob Germanicus genau wusste von Segestes residierte ist nicht bekannt. So begab er sich vermutlich unter der Führung von Gelände kundigen Cheruskern die in Begleitung von Segimund zu ihm kamen nach Norden in die Richtung der Burg des Segestes. Um ihn aus seiner scheinbaren Misere zu befreien durchquerte er von Süden aus kommend mit seinen Reiterschwadronen vermutlich nur jene Gaulandschaften die Segestes unterstanden. Territorien die eher nicht den Gaufürsten Segimer/Arminiusclan unterstanden. Der Segestes Fürstensitz dürfte sich in zentraler Lage innerhalb des großen cheruskischen Herrschaftsgebietes mit Tendenz zu den chattischen Hoheitsgebieten befunden haben. Denn es ließe sich annehmen, dass die bedeutsame Segestessippe dafür keinen Ort ausgewählt hat, der sich nahe an der Grenze zu einem welch auch immer anderen Volk befand. Ein theoretisches Verständnis dafür zu entwickeln das Volumen des gesamten Territoriums zu greifen in dem alle Cheruskerfürsten herrschten und denen ihre mehr oder weniger großen eigenen Hegemonien lagen, die sie verwalteten ist schwerlich möglich. Man vermutet ihr gesamtes Siedlungsgebiet, dass sich rechts und teilweise auch links der Weser erstreckte, im Norden an Hildesheim reichte, sich ins Nordharzvorland ausdehnte und an der heutigen hessischen Nordgrenze endete. Segestes und seinerzeit Segimer beherrschten vermutlich jene Regionen die für die Expansionsziele des Imperiums bedeutsam waren da sie sich an der Westostroute zur Elbe befanden, dem Hellwegskorridor und daher auf deren Zustimmung angewiesen waren. Gaulandschaften mit den für sie zuständigen Cheruskerfürsten die östlich oder nordöstlich von Einbeck lagen befanden sich noch außerhalb ihrer Interessenssphäre. Deswegen werden diese damals auch mit am Verhandlungstisch gesessen haben, als der römisch/cheruskische Teilbündnisvertrag geschlossen wurde. Denn es ist nicht überliefert, ob noch andere territorial lokalisierbare cheruskische Fürsten dabei anwesend waren. Denn gegen Rom hatte sich zu Zeiten der Varusschlacht offensichtlich nur der Teil der Cherusker zur Wehr gesetzt, der vom römischen Eroberungsbestreben unmittelbar betroffen war. Cherusker zwischen Goslar und Salzgitter verfolgten also möglicherweise in den Jahren 14 + und 15 + im Zusammenhang mit den Elbgermanen noch über andere Interessen und fühlten sich noch nicht zuständig und auch nicht bedroht. Was sich allerdings 16 + ändern sollte. Die von Segestes beherrschte Region könnte im Raum Solling/Leine gelegen haben und das räumliche Einschätzen der Distanzen gelingt noch am Ehesten auf Basis praktischer Annahmen wie etwa einer Tagesrittentfernung oder Leistung. Man geht davon aus, dass es zu Pferde möglich ist und das auch ohne Pferdewechsel bei einem normalen Reisetempo 5o bis 60 Kilometer am Tag zurück legen zu können. Von einem fiktiven Standort der Germanicus Armee im Raum Warburg an der Diemel bis ins vermeintliche Vogelbeck an der Leine liegen 65 Kilometer Luftlinie. Schnellen Rittes hätte Germanicus die Strecke in Form eines Husarenritts durch Cheruskergebiet also an einem guten Tag bewältigen können. Als ein Anhaltspunkt für den Zeitbedarf der Aktion könnte es ausreichend sein. Und die Zustimmung die Gaue bzw. Pagi von Segestes queren zu dürfen wird Segimund dem Feldherrn sicherlich zugesichert haben. Ausgehend vom späteren sächsischen Hessimgau nahe Warburg an der Diemel könnte er im Lochne Gau dem Gau an der oberen Leine den Machtbereich des Cheruskerfürsten Segestes betreten haben, zog durch den Morunga Gau und erreichte dann das mögliche Kerngebiet von Segestes mit seiner Burg „Vogelbeck“ im Sülberg Gau um Einbeck. Ein mittelalterlicher Gaubezirk der sich zwischen dem Solling und der Leine befand und an den sich westlich der Augau und der Nethegau anschlossen. Man nannte ihn auch Suilbergau und im ersten Jahrtausend Pagus Silbirgi. Und es war ein Gau der sich weder in Ost Falen noch in West Falen befand. Man könnte auch den Überraschungsmoment auf seiner Seite annehmen und Germanicus wollte sich auch nicht unnötig lange in der Region aufhalten. Denn auch wenn sich dort verstreut möglicherweise noch zahlreiche Arminen aufhielten dürfte man an einer schnellen Abwicklung der Überführung interessiert gewesen sein. Aber völlig kampflos lief die Befreiung von Segestes mit einer großen Zahl von Familienangehörigen und Germanen die noch zu Segestes hielten der Überlieferung nach bekanntlich nicht ab. Aber zu einem größeren Gefecht dürfte es nicht gekommen sein, denn dann hätte Tacitus vermutlich zu einem angemessenen Vokabular gegriffen. Arminius ließ Germanicus im Frühjahr 15 + noch schalten und walten und hielt sich zurück. Der Verlust seiner Frau war der Preis den die zurück haltende Strategie einforderte.(12.06.2020)

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Samstag, 6. Juni 2020
Segimund war nicht zu beneiden - Segestes verlangte im Frühjahr 15 + viel von seinem Sohn
Segestes wusste warum er Segimund, oder wie Tacitus ihn latinisiert Segimundum nannte, dem römischen Feldherrn entgegen schickte. Zum einen hatte Segestes ihm vermutlich seinen Wechsel vor dem Ausbruch der Varusschlacht ins Lager des Arminius noch nicht ganz verziehen was er nun wieder gut machen konnte und zum anderen schien Segimund der glaubhafteste Vertreter seiner Sippe gewesen zu sein, dem man es kraft seines Standes noch am Ehesten zutrauen durfte das Anliegen seines Vaters reumütig vorzutragen. Aber es fällt, wie im weiteren Verlauf ersichtlich werden wird, immer schwer Zusammenhänge aus dem Kontext zu reißen, wenn man sie wegen ihrer inhaltlichen Aussage von mehreren Seiten aus betrachten möchte, sie aber später wieder einzugliedern hat. Es ist nicht vermeidbar und ich hoffe verzeihlich. Tacitus beschrieb den Hergang der Belagerung mit den Worten “pugnatumque in obsidentes“, was besagt, dass Germanicus sich erst den Weg, bevor er zu Segestes durchdringen konnte noch mit Waffengewalt gegen die vermeintlichen Belagerer frei kämpfen musste. Wie schwer ihm dies fiel, auf wie viel so genannte Belagerer er stieß und wie umfangreich seine eigene militärische Kraft war mit der er sich aufgrund der Segimundbitte von seiner ursprünglichen Marschstrecke abbringen ließ wissen wir nicht. Nahm er seine gesamte Streitmacht mit der er gegen die Chatten zu Felde gezogen war, oder selektierte er vorher. Aber danach, also im Anschluss an die Kämpfe gegen die Cherusker, wie heftig sie auch immer gewesen sein könnten und wo sie auch immer statt fanden, befreite er Segestes. Tacitus drückt es mit den Worten „et ereptus Segestes“ aus, was in etwa „entreißen“ bedeutet. Er entriss also Segestes und seine Familie sozusagen den Klauen des Feindes. Und das Substantiv des lateinischen Wortes „ereptus“ ist der Raptor, der uns allen bekannte Greifvogel, aber auch der Räuber. Tacitus entwickelte daraus eine Vorstellung und bezeichnete die anwesenden Germanen dem Wortlaut nach wie eine Übermacht bzw. ging von einer germanischen Übermacht aus und als solches schlich es sich in viele Geschichtsbücher ein. Tacitus entnahm dies wie alles andere auch dem ihm vorliegenden Text und formulierte daraus die Worte gemäß seinem Jahrbuch 1.57 (1). Man übersetzte die Belagerer in unsere Sprache auch mit dem Wort Stammesgenossen die dann den Zugang zum Herrschaftssitz des Segestes unzugänglich gemacht haben sollen in dem sie ihn blockierten und den Germanicus nach Dornröschenmanier erst zu durchschlagen hatte. Eine Übermacht, die aber letztlich die Unterhändler mit Segimund an der Spitze passieren ließen. Ihnen demnach den Belagerungsring öffneten, damit diese Germanicus herbei rufen konnten klingt abwegig. Die gleichen „Belagerer“ also die später von Germanicus besiegt werden konnten trugen also dazu bei, dass man gegen sie römische Verstärkung alarmierte. Arminiustreue Kundschafter werden die militärische Lage sondiert haben und sich ein Bild über die anrückenden Soldaten des Germanicus gemacht haben um dann zu entscheiden, ob man sich ihnen in den Weg stellen wollte oder nicht. So stellt sich wie so oft die Grundsatzfrage, ob die Streitkräfte des Germanicus zu stark oder die der Cherusker zu schwach waren. Bis hier hin können wir also dem Tathergang in Spuren folgen die uns Tacitus hinterließ und wie er meinte, es aus seinen Vorlagen ersehen zu können. Zusätzlich zu Hilfe kommen könnten uns im Rahmen der Raumanalyse noch andere realer klingende, nämlich handfest stehende geographische bzw. topographische Faktoren. Germanicus war wie zu vermuten ist im Frühjahr 15 + von Nordhessen aus auf dem Rückweg an den Niederrhein. Denn von dort aus im Sommer 15 + des gleichen Jahres brach er zu seinem zweiten Feldzug gegen die Wesergermanen auf. Dies schränkte die Wahl seiner Wegstrecke zwischen dem Kampfgebiet ein, da sich der Zielbereich wo sich seine Legionslager befanden lokalisierbar ist. Zweifellos ein aus der Sachlage heraus rekonstruierter Wissensstand der sich daher in dieser Art auch in keiner Überlieferung findet und sich auch nicht mit Segestes als Quelle in Verbindung bringen lässt. Aber man wird einen Zugkorridor gewählt haben, den Segestes gekannt oder erwartet haben könnte. Da sich Germanicus bekanntermaßen auf dem Rückweg befand und Segestes einen Anhaltspunkt brauchte, wo er die von Segimund angeführte Delegation hinzuschicken hatte. Einen großen Angriff oder Krieg mit den Arminius Cheruskern vermied Germanicus im Frühjahr 15 + warum auch immer und ritt wie dargelegt also nicht nach Süden ins Mainzkastell wo er her kam, sondern plausibler Weise nach Westen an den Niederrhein. Die Schlussfolgerung, dass Germanicus nicht durch die Wetterau in Richtung Main ritt ließe sich zudem noch durch die Annahme stützen, dass sich bei dieser Streckenführung die Zugdistanz entgegen gesetzt zum Fürstensitz des Segestes Meile um Meile mehr vergrößert hätte, während er sich im Zuge der Westroute über die Diemel via Rhein noch längere Zeit zwischen Metze und Marsberg also parallel zur Segestes Burg bewegt hätte. Die Segimund Leute brauchten Germanicus infolgedessen nicht nachreiten ihn also nicht aufholen und mussten ihn somit auch nicht zur kompletten Kehrtwende überreden. Sie konnten seitlich auf ihn stoßen und die Distanz zu Segestes wurde für Germanicus verhältnismäßig, abschätz - und überschaubarer. So könnte er sich zum Zeitpunkt des Aufeinandertreffens noch unweit der Grenzen des Segestesgebietes aufgehalten haben. Germanicus umging demnach von Nordhessen aus kommend in der Folge das gesamte cheruskische Territorium an seiner südlichen Diemelflanke. Und somit auch den Herrschaftsbereich des Gaufürsten Segestes, den dieser bis zu seiner südlichen Ausdehnung kontrollierte. Germanicus hätte, ob mit oder ohne seinen Segestesexkurs später vermutlich die Route über den Haarstrang an den Niederrhein genutzt um im Frühjahr die Feuchtregionen zu meiden. Zu diesem frühen Zeitpunkt nach Beendigung der Verwüstungen bei den Chatten wählte er vermutlich eine Rückmarschroute aus Nordhessen kommend, die zwischen den Stämmen der Cherusker und Chatten lag wie man es oft tat um keinen neuerlichen Kriegsgrund zu provozieren. Und es sollte auch nicht übersehen werden, dass Germanicus zu diesem Zeitpunkt in Segestes noch den Feind und nicht den möglichen zukünftigen Partner sah. So war ihm in dieser Phase auch noch nichts über die Turbulenzen am Hof des Segestes bekannt. Und irgendwann nach Verlassen des bei Metze/Gudensberg vermuteten chattischen Hauptortes auf oder nahe dem heutigen Odenberg, dem ehemaligen Wuoden, also Wotansberg“ , als er sich gerade anschickte seinen Rückmarsch aufzunehmen, da stießen nun an einer nicht bekannten Örtlichkeit die Unterhändler von Segestes auf Germanicus und es erreichten ihn die versönlichen Signale aus dem bislang für feindlich gehaltenen Lager. Aber wie stellte es Segestes an, die Nachricht darüber, dass er in der sprichwörtlichen Klemme saß, an Germanicus zu überbringen. Und damit gleichzeitig die wichtige Botschaft, dass er sich nun entschlossen habe, die Fronten dauerhaft zu wechseln. Segestes wusste, dass Germanicus nicht weit südlich von ihm militärisch gegen die Chatten operiert hatte und konnte also seinen Aufenthaltsbereich grob erfassen, was auch noch auf seinen Rückmarschweg zutrifft. So konnte er Segimund dirigieren, denn seine Boten mussten Germanicus letztlich auch erst finden um ihn abfangen zu können. Die großen prähistorischen Transitwege von Ost nach West und umgekehrt vor dem Überschreiten der Diemel in der Region Ossendorf bis Marsberg mit Anschluss an den „Großen Hellweg“ waren überschaubar und die germanischen Buschtrommeln verrieten allen seinen Standort. Möchten wir es aber wagen in die pikanten Details einzusteigen, so stünde zunächst einmal eine Frage an. Nämlich die, wie es einer Delegation Segestes treuer Anhänger unter ihnen besagter Segimund und einer Reihe anderer überhaupt gelingen konnte unerkannt an den nur von Tacitus erwähnten Belagerern vorbei zu kommen. Wie von Segestes beschrieben und von Tacitus übermittelt soll es sich, wie es allerdings umstritten ist, um eine größere Anzahl gehandelt haben, von denen Segestes sich wie er vorgegeben hatte bedroht fühlte, so dass man für die Befreiung auf römische Unterstützung angewiesen war und sie erhoffte. Aber was wissen wir noch über die Belagerer die es laut Tacitus angeblich auf die Rückführung der Fürstentochter abgesehen hatten. Tacitus liefert uns dazu eine Darstellung die sicherlich nicht ganz oben auf dem Stapel seiner Lektüre lag und die er schon zu seinen Zeiten unter den alten Papieren aufstöbern musste. Denn nach fasst 100 Jahren dürften alle Schriftstücke aus den Tagen des Jahres 17 + schwerlich aufzufinden und erst recht nicht alphabetisch geordnet gewesen sein. In seinem Jahrbuch 1,57 (1) schreibt Tacitus dazu, das Segestes Germanicus um Hilfe bitten ließ. Dem entnehmen wir unzweifelhaft auch, dass er selbst in seiner Burg zurück blieb. Und auch was diese Textstelle und die weiteren anbelangt, so finden wir wieder keinen Hinweis darauf, wie Tacitus zu den zahlreichen detaillierten Ausführungen kam. Er stellte sie alle als Fakten dar und wir müssen rätseln, ob diese Informationen seinem Interpretationsbedürfnis entsprangen, den Segestes Verhören zu verdanken waren, oder aus dem Umkreis des Germanicus stammten. Und so schrieb Tacitus in seiner Sprache wie bereits dargestellt auch nichts von einer Übermacht die Segestes belagert haben soll. Dies leitete er wie so vieles auch nur aus den lateinischen Worten ab die ihm vorlagen. Denn was sollte es anderes gewesen sein als eine Übermacht, sonst hätte man Germanicus schließlich nicht um Hilfe gebeten. Tacitus verwendete die Worte „adversus vim popularium“. Worte die auch schon Cäsar benutzte, so dass sie sich aufgrund dessen gut übersetzen lassen, da es mehrere Bezüge und Vergleichsmöglichkeiten dazu gibt. Was meinte also der „Experte“ Julius Cäsar. Das lateinische Wort „adversus“ stellt grundsätzlich keine übersetzungstechnische Herausforderung dar, denn es bedeutet „gegen“. Der „Adversus“ war vom Prinzip her aber auch der politische Gegner bzw. das feindliche Gegenüber, dem ist auch nichts hinzuzufügen. Es war also von Gegnern die Rede, die Segestes in Gefahr brachten. Das Wort „vim“ steht schlechthin für Gewalt und auch das passt in die Szenerie wie sie Segestes einst in Rom vermittelt haben könnte. Aber für das Wort „Übermacht“ lässt sich in seinen Jahrbüchern unmittelbar kein lateinisches Wort finden. Übermacht kann man folglich als ein aus der Rekonstruktion geborenes Wort bezeichnen. Aber der Begriff „popularium“ erschwert die Klärung wer denn nun Segestes tatsächlich belagert haben sollte, so wie es Tacitus uns versucht hat näher zu bringen. Cäsar verwendet es mehrfach im Zusammenhang mit „volksfreundlich“, „volkstümlich“ oder „zum Volk gehörig“. Die gängige Übersetzungsliteratur beschränkt sich auf die Worte Stammesgenossen aber auch Landsleute. Heute würden wir jene Germanen die angeblich Segestes belagerten vielleicht auch Eingeborene oder Ureinwohner nennen. In beiden Fällen klingt es widersprüchlich, denn es müsste sich dabei sowohl um Kämpfer gehandelt haben die auf seiner Seite, als auch auf der des Arminius standen. Es war demnach ein in sich gemischt zusammen gewürfeltes Volk aus Cheruskern das vorsichtig ausgedrückt nicht mehr in Gänze die Meinung von Segestes und den ihm nahe stehenden Verwandten vertrat. Und genau so lässt es sich auch aus den Zeilen von Tacitus heraus lesen. Denn er erinnert uns zwischen den Zeilen an die menschliche Schwäche die uns oft nur zum scheinbar Stärkeren tendieren lässt. Und diesen hohen Stellenwert besaß in jener Zeit unter allen Cheruskern nur Arminius. Und das sowohl bei seinen eigenen Männern, als auch bei jenen der Segestes Sippe. Denn die Kühnheit die Arminius nicht nur ausstrahlte, sondern auch im Zuge seiner Erfolge unter Beweis stellte war beeindruckend, wirkte bei allen Germanen gleichermaßen und ließ sie in ihm ihren Anführer erkennen. Und Gegner bezeichnet man für gewöhnlich auch nicht als Genossen oder Landsleute, denn im Wort Genossen erkennt man einen im positiven Sinne besetzten Bezug zu einem nahe stehenden Personenkreis. Es waren eben auch Menschen darunter die in einer Region lebten, wo Segestes ihr angestammter Fürst war und nicht Arminius. So wird klar, dass Tacitus keinen Unterschied zwischen den beiden Anhängerschaften des Arminius bzw. des Segestes machte. So waren es schlechthin die „popularium“, also das ganze Volk, das sich auf die Seite von Arminius schlug und das demnach nicht nur im Jahr 9 + sondern offensichtlich auch wieder im Jahr 15 + . Es wäre aufgrund der Lage allerdings nahe liegender und plausibel gewesen, wenn bei Tacitus zum Ausdruck gekommen wäre, dass es sich bei den Belagerern nur um Männer aus der Arminiussippe handelte. Statt dessen wird kein Trennstrich gezogen, sodass man davon ausgehen darf, dass Segestes von Cheruskern belagert wurde die aus beiden Lagern stammten sich nach Darstellung von Tacitus also gemeinsam im Umkreis der Segestes Burg aufhielten und demnach dort etwas gegen ihn im Schilde geführt haben könnten. Ein Ansinnen das Segestes als Bedrohung ansah, es so gegenüber dem Tribunal im Palatin auch interpretierte oder es so auslegen wollte. Kurz gesagt. Segestes wurde nicht nur von Arminius Getreuen, sondern sogar von seinen eigenen Männern bedrängt was aber nicht bedeutet, dass er auch durch sie bedroht wurde. Männer die vielleicht auch ein ganz anderes Ziel verfolgten als nur Thusnelda zurück zu holen. Männer unter denen sich erstaunlicherweise nicht Arminius befand. Und es macht schon einen großen Unterschied, wenn Segestes nun außer den Arminen auch noch seine eigenen Männern gegen sich gehabt hätte. Erinnern wir uns, Germanicus stieß bei Segestes auf erhebliches Beutegut stammend aus den Varus Schlachtfeld Plünderungen allesamt also aus einst römischem Besitz. Segestes war also tief in das damalige Geschehen des Jahres 9 + verstrickt, anders als er und man es uns glaubhaft machen will. Zudem sah er nun, wenn er von der Wallkrone seiner Burg herunter blickte auch auf seine eigenen Landsleute. Hier wurde ein Riss deutlich der durch den engsten Kreis seines Fürstenhauses und seines Stammes oder Volkes ging. Es bestand ein offener Konflikt zwischen seinen Untergebenen und ihm der die Elite verkörperte und für den es Gründe zu suchen gilt, Gründe die uns die Historie vielleicht nicht offenbarte und die wir zwischen den Zeilen suchen müssen. Gründe die unseren Blick nur in die eine Richtung lenken wollen, nämlich in die eines Familienzwistes. Man muss sich aber auch die Frage stellen, was diese Germanen noch angetrieben und veranlasst haben könnte, Segestes „angeblich“ zu belagern. Allgemein nehmen wir gerne grob das Schema „Romeo und Julia“ an, da Derartiges die Menschen immer schon berührt hat. Arminius soll also seine Frau Thusnelda, deren Name uns nur Strabo hinterlassen hat von Segestes entführt und dann geheiratet haben. Dem darf man annehmen, sollte also eine Vermählung voraus gegangen sein. Allerdings eine Hochzeit abzuhalten an der der Schwiegervater Segestes nicht beteiligt war, dürfte für die damaligen matriarchalischen Zeiten schwer vorstellbar sein. Segestes soll sie dann nach der Hochzeit wieder zu sich zurück geholt haben, was als Gewaltakt dargestellt wird. Arminius wiederum soll in dieser Phase seltsamerweise sogar zeitweise ein Gefangener von Segestes gewesen sein, entkam ihm dann aber. In einem dritten Akt soll dann Arminius versucht haben, Thusnelda erneut den Händen seines Schwiegervaters zu entreißen. Wir grübeln hier also schon über einem dritten Entführungsfall in Folge. Ein Mehrfachraub, der sich möglicherweise über einige Monate oder Jahre hinzog. Der uns nur aber wiederum nur aus dem Munde des Segestes überliefert ist und uns daher misstrauisch machen muss. Hier kochte sich also möglicherweise wie man so sagt ein Cheruskerfürst seine eigene Suppe zusammen und die bestand darin geschickt ein Absetzmanöver zu begründen und zu inszenieren. Nun befand sich also Thusnelda bei ihrem Vater Segestes in seiner Burg und das eventuell gar nicht mal so unfreiwillig. Aber so muss es nicht gewesen sein, denn auch dafür gibt es keine Hinweise anderer Historiker die man zum Vergleich heranziehen könnte. Und wie so oft scheint es auch hier wieder so, als ob es dafür nur den einen Gewährsmann gab, nämlich Segestes persönlich. Seine Tochter hätte also auch ohne Entführung durch den Vater zu ihrem Vater zurück gegangen sein können. Was auch verwundert ist die Vorstellung, dass Segestes von einer recht zahlreichen Schar Germanen belagert worden sein soll. Aber was ist diese große Kriegshorde wert, wenn es ihr trotzdem nicht gelang, die Segestes Burg zu erstürmen. Man könnte also auch davon ausgehen, dass die Männer gar nicht die Absicht hatten die Burg zu nehmen. Was aber umso mehr erstaunt ist eine Erkenntnis, die sich aus den Zeilen von Tacitus erschließt und die irritierend wirkt. Denn Arminius befand sich noch nicht einmal selbst unter diesen Belagerern. Aber hätte man nicht erwarten dürfen ja sogar müssen, dass sich gerade Arminius zu Segestes aufgemacht haben sollte, um seine Angetraute von ihm zurück zu holen. Aber mitnichten, denn er hielt offensichtlich andere Dinge für wichtiger. Möglicherweise zog er es vor die heimische Abwehrfront gegen Germanicus aufzubauen und sie moralisch zu stärken, zu stabilisieren, sie auf die kommenden Aufgaben einzuschwören, sich also mehr dem Kriegshandwerk zu widmen, als sich um die Freilassung seiner Frau zu bemühen. So beließ es Arminius dabei, wenn wir dieser Geschichte glauben schenken wollen, indem er lediglich ein Kontingent ins vermeintliche Vogelbeck entsandte, dass seinen Befehl ausführen sollte. Versetzen wir uns aber auch in die Lage von Thusnelda. Sollte sie wirklich von ihrem Vater gegen ihren Willen festgehalten worden sein, so wird sie sich die Frage gestellt haben, warum sich ihr Mann nicht selbst an ihrer Befreiung beteiligen konnte oder wollte. War sie es ihm nicht wert, dass er persönlich kommen wollte, war er wirklich nicht abkömmlich, oder war es im Umkehrschluss nicht sogar so, dass sie bei ihrem Vater aus freien Stücken heraus bleiben wollte, weil ihr die Lage im zukünftigen Kampfgebiet zu gefährlich wurde und auch ihr Mann Arminius dabei hätte umkommen können. Hatte nicht Segestes vielleicht auch eine Frau, die dann möglicherweise ihre Mutter gewesen wäre und bei sie sich sicherer gefühlt hätte. Und war es tatsächlich so, dass Arminius überhaupt diese Abordnung entsandt hatte um durch sie seine Frau zu befreien und der Grund nicht ein ganz anderer war, denn er selbst befand sich bekanntlich nicht darunter. So könnte man auch fragen, warum es den Arminen nicht gelungen sein soll die Festung zu erobern. Der Verteidungszustand mag gut gewesen sein und unklar ist auch wie viel Männer überhaupt noch hinter Segestes standen die die Burg gegen die vermeintlichen Belagerer verteidigen konnten. Eine allemal diffuse möglicherweise auch nicht glaubwürdige Überlieferungslage die uns im wesentlichen nur von Segestes zugetragen wurde. Segestes war über den Krieg den die Römer gegen seine unmittelbaren Nachbarn im Süden überzogen informiert. So geriet er unvermittelt zwischen die Fronten. Auf der einen Seite jene Germanen die sich Arminius zugehörig fühlten und zum anderen die Legionen des Germanicus. Mit dieser Lage sah er sich nun im Frühjahr 15 + konfrontiert und es verdeutlichte ihm seine missliche Situation. So verharrte er in seiner Burg und ließ sich soweit es damals möglich war informieren. Boten trugen ihm die Nachricht zu, dass Caecina die Marser bezwang und das zusammen gerufene Cheruskerkontingent daraufhin in vorsichtige Wartestellung ging. Aber dann bekam Segestes die Nachricht, dass sich Germanicus aus Nordhessen zurück zog und die Ereignisse überschlugen sich. Was ihn den Entschluss fassen ließ, diese möglicherweise letzte Gelegenheit zu nutzen sich aus Germanien abzusetzen. Segestes ging nun das Risiko ein, sich ausgerechnet jenem Mann anzuvertrauen der sich die Germanen zum erbitterten Feind gemacht hatte. So entschied er sich also seinen Sohn Segimund zu Germanicus zu entsenden um vorfühlen zu lassen. Segimund wird von Tacitus „juvenis“ genannt und somit von ihm als Jüngling beschrieben, der sich recht unwohl in seiner Rolle wähnte und der nun im Auftrag seines Vaters den heiklen diplomatischen Drahtseilakt durchzuführen hatte. Aber auch hier stürzt uns Tacitus wieder in ein Gewirr an Informationen die uns keine Sichtachse auf die Herkunft seiner Einschätzung frei geben. Denn wer hätte in der damaligen Zeit für Tacitus Zeilen hinterlassen aus denen man einen nahezu verängstigten und zögerlichen Jüngling hätte heraus lesen können. Auf welche Weise sollten derartig persönlich gehaltene, ja sogar gefühlsartige Äußerungen in Form von Beschreibungen Eingang in die Quellen gefunden haben aus denen Tacitus schöpfte. Sollte tatsächlich ein höherer Offizier aus der Umgebung des Germanicus etwas derart Mitleid erhaschendes in einer melancholischen Phase über den bedauerlichen Segimund später zu Protokoll gegeben haben. Kaum vorstellbar, sodass man auch hier annehmen darf, dass Tacitus wieder seinem inneren Gemüt folgend sich das Zusammentreffen so vorstellte. Apropos „juvenis“. Also die Jugend mit seiner Leichtigkeit schlechthin, bzw. die „junge Person“, sprich der Jüngling. Ein lateinisches Wort zu dem Tacitus griff um altersbedingte Hilflosigkeit und Unerfahrenheit zum Ausdruck zu bringen. Segimund demnach also eine bedauernswerte Kreatur, jung an Jahren, leidgeprüft Vater und Schwester verpflichtet und zu nun Füßen des großen Feldherrn liegend, schmachtend und sich erniedrigend. Daneben dann der alles verzeihende großmütige Germanicus ganz so wie es Tacitus seine Träume vorgaukelten. Aber auch realistisch ? Vor dem Ausbruch der Varusschlacht war Segimund ein heidnisch frommer Tempeldiener in Köln. Aber in seiner Männlichkeit erwachend auch beseelt vom Kampfesmut seines Idols Arminius schlug er sich auf seine Seite und kämpfte mit ihm gegen Varus. Wenn er ein kräftiger Bursche war, konnte er ihm vielleicht schon im Alter von 15 oder 16 Jahren nützlich gewesen sein. Ihn also mit den Worten von Tacitus über fünf Jahre später noch als „juvenis“ anzusprechen, als er schon über zwanzig war klingt da schon etwas fragwürdig. Woher Tacitus dann erfuhr, dass man Segimund auf das gallische Ufer führte könnte demzufolgte wieder eine historische Lückenschliessung dargestellt haben, also eine reale Information, die er dann mit seinen Vorstellungen verband. Vermutlich war aber Segimund auch einer der wenigen die etwas der lateinischen Sprache mächtig waren und die er sich angeeignet haben könnte, als er eine Zeit als Priester am Ubieraltar in Köln diente. Und dieser Segimund stand nun vor Germanicus und hatte die Aufgabe das so genannte freie Geleit für sich und seine Familie zuerst durch die germanischen und gleichzeitig die römischen Linien auszuhandeln. Es wurde aber auch für ihn zur Feuertaufe, denn er gehörte damals zu den Familienangehörigen des Segestesclans die besonders für die Arminiusfraktion brannten und wir kennen alle die Episode wie er sich das heilige Band vom Kopf riß bevor er zu Arminius über trat. Nun musste er eine Kehrtwendung vollziehen, ganze Überzeugungsarbeit leisten und mit Engelszungen sprechen um Germanicus zu versichern, dass im vermeintlichen Vogelbeck keine Falle auf ihn warten würde. Segimund war nun der Mann, dem man die schwere Bürde auftrug alle Register der Unterwürfingkeit zu ziehen, damit der Plan seines Vaters in Erfüllung ging. Aber kein Historiker verriet uns welcher Dialog sich da zwischen Germanicus und Segimund entspannte als sie aufeinander trafen. Und nachdem Germanicus ihn angehört hatte, hatte auch der Mohr Segimund seine Schuldigkeit schnell getan und Germanicus veranlasste, dass man ihn unter Bewachung auf die westliche Rheinseite bringt. Ein indirekter Hinweis auf seine Geiselnahme falls die Eskapade unerwartet verlaufen wäre, denn den Ritt zur Segestesburg machte er wohl schon ohne ihn. Unterdessen verharrte Segestes in seiner Burg und blickte gebannt vielleicht in die Richtung des nur 60 Kilometer entfernten Desenberges, einer südlichen frühsächsischen vielleicht auch schon cheruskischen Grenzfestung aus der Germanicus hätte kommen können.(06.06.2020)

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Dienstag, 2. Juni 2020
Gab es eine Belagerung der Segestes Burg oder legte Tacitus es so aus ?
Während man den Wirkungsraum von Arminius aufgrund der Überlieferungen auf die Regionen links und rechts der Weser beschränken könnte dürfte der Herrschaftsbereich der Segestessippe davon abgerückt gelegen haben. Man könnte ihn auf Basis von Schlussfolgerungen im östlich davon zum Harz hin neigenden Solling und dem daran anschließenden Leinetal vermuten, wo sich einst auch Heinrich der Vogeler, vermutlich ein Nachfahre des alten Cheruskervolkes ebenfalls häuslich eingerichtet hatte, da er dort Ländereien besaß. In einer entfernt von „Aliso“ liegenden Region, in sicherer Distanz zu den „äußeren Brukterern“ dem „Teutoburgiensi saltu“ und „dem Land an der Visurgis“. Man kann auch sagen weit vom Schuss. Die Wohngebiete des Stammes von Segestes könnten demnach einen Grenzgau gebildet haben, der südlich an die Siedlungsgebiete der Chatten stieß und südöstlich vermutlich in Kontakt zu den Elbgermanen stand, die es wiederum nicht weit zum Markomannenreich hatten. Aber zu den Chatten lebte man in enger Nachbarschaft, sodass bedeutsame Ereignisse die sich in deren Hoheitsgebiet zutrugen auch immer unmittelbare Auswirkungen auf Segestes und seine Politik hatten. Unruhen im dortigen Gebiet zogen infolgedessen auch entsprechende Reaktionen und Konsequenzen bei den cheruskischen Nordanrainern nach sich. Bedrohte man die Chatten nördlich der Eder oder wurde dort sogar gekämpft wie es im Zuge der Verwüstungen durch Germanicus der Fall war, schrillten im vermeintlichen Vogelbeck der Segestesfeste schnell die berühmten Alarmglocken. In dieser aufgeheizten Zeit ist nun bei Tacitus die Rede davon, dass es Cherusker waren, die ausgerechnet in dieser kritischen Phase Segestes belagern würden. Der Begriff Belagerung ist definiert und in der freien Enzyclopädie ist es mit den Worten „Die Belagerung ist eine Sonderform des Angriffs mit dem Ziel, befestigte Anlagen zu erobern oder die Kampfkraft der Verteidiger abzunutzen und sie zumindest zeitweise zu neutralisieren. Dabei wird der Ort so von eigenen Truppen umschlossen, dass möglichst jeder Verkehr zwischen dem Inneren und dem Äußeren des Belagerungsrings unterbunden wird“ auch gut beschrieben. Aber die Darstellung die Tacitus wählte hatte einen Haken. Denn sie könnte ein Synonym dafür sein, wie man sich in alter Zeit eine Vorstellung zur eigenen Vision machte, die aber vom tatsächlichen Verlauf abgewichen sei könnte, da man ihn nicht kannte. Erklärungslücken mit Eigeninterpretationen zu schließen ist ein menschliches Bedürfnis und erschwert die Suche nach der Wahrheit. Tacitus könnte dafür ein gutes Beispiel abgegeben haben. Und nicht nur das, denn die gesamte historische Szene leidet zwangsläufig mit darunter und es fördert das Infragestellen von allem und jedem. Über alle Überlieferung ein netzartiges Punktesystem der Plausibilität zu legen würde uns auch nicht weiter helfen, denn Zweifler werden nie verstummen. Wir brauchen aber andererseits die konstruktive Auseinandersetzung um uns nicht die letzte Chance auf die Wahrheitsfindung zu verbauen. Tacitus vom Historiker zum Geschichtenerzähler abzustufen kann nicht unser Ziel sein. Würden wir ihm aber blindlings folgen, beraubten wir uns unserer eigenen Meinungsfreiheit und Ausgestaltungskraft die auch uns keiner nehmen kann. So müssen wir uns wieder die alte Zeit so lebendig wie möglich geistig erschaffen um Tacitus besser verstehen zu können. Es fing also möglicherweise alles in einem erdachten Raum im Gewölbe des Palatin an. Dort könnte man sich im Jahr 17 + nach dem Germanicus mit der Segestes Familie römischen Boden betrat ein obskures Zusammentreffen vorstellen. Höher gestellte dem Kaiser Tiberius nahe stehende Beamte wollten vieles von Segestes in Erfahrung bringen und bestellten ihn ein. So zum Beispiel ob und wie intensiv sich der Römerfreund Segestes im Jahre 9 + bemüht hatte Varus von der Gefahrenlage zu überzeugen und wie er seinen späten Entschluss erklärte, sich erst im Jahre 15 + auf die römische Seite geschlagen zu haben. Segestes soll sich dazu im Wortlaut so geäußert haben, wie wir es im Kapitel 1.58. (1) im Jahrbuch von Tacitus nach lesen können und glauben sollen. Aus einer bereits dargelegten parallelen Interpretationsversion dieser palatinischen Befragung könnte man den Schluss ziehen, dass die dem Tribunal angehörigen römischen Hofbediensteten im Zuge seiner Erklärungsversuche auch unliebsame Dinge erfuhren und somit die wahren Begebenheiten erkannten. Je nach dem wie gut ihre Verhörmethode waren, konnten sie dem Gespräch entnehmen, was sich im Jahr 9 + aber auch im Jahr 15 + in Germanien hinter den Kulissen zutrug. So hörten sie von Segestes nicht nur wie die Schlacht im „Teutoburger Wald“ ihren Anfang nahm und vieles mehr, sondern auch seine Version der Befreiung im Frühjahr des Jahres 15 +. Was aber betrüblich macht, ist das völlige Fehlen des Gegenparts nämlich das, was dazu nachweislich aus dem Munde des Befreiers Germanicus kam. Hier gibt uns Tacitus zwar vage Hinweise, führt aber an keiner Stelle aus, woher er diese nahm und wie er auf sie kam. Obwohl uns schon ein Anfangssatz glücklich stimmen würde, der da lauten könnte, „Germanicus sprach dazu folgendermaßen“......., aber darauf hoffen wir vergeblich. Das von Segestes Überlieferte bzw. das also solches ausgewiesene kennen wir seinem lateinischen Inhalt nach. Da es aber für unsere Ohren besser gesagt Augen wie eingeübt und hölzern wirkt ist zu vermuten, dass dies nicht seine originalen Worte waren. Denn diese zu Papier zu bringen entsprach insbesondere was die darin geschilderten Umstände in Bezug auf die „Clades Variana“ anbetraf, nicht dem Wunsch des Kaiserhauses. Denn dort stand der allein schuldige Varus schon lange fest. Und in der Tradition vieler Historiker stehend, nämlich die Begebenheiten nicht immer so wieder zu geben, wie sie sich tatsächlich ereigneten, servierte uns auch Tacitus den geschichtsträchtigen Ablauf seiner Rettung auf seine ihm eigene und andersartige Weise. Folglich so, dass es zunächst einmal seinen persönlichen Ansprüchen, Befindungen und Vorstellungen genügen sollte, also seinen eigenen Bewertungen und Einschätzungen stand zu halten hatte. So bemühte er seine ihm gegebene Logik um es für sich glaubhaft zu machen und für die Nachwelt befriedigend zu hinterlassen. Da Segestes sicherlich nicht sein eigener Herr über sein Gesagtes war und es nicht sein durfte und zudem auch selbst nicht imstande war es eigenhändig zu verschriften, lag auch Tacitus kein beglaubigter Segestes Urtext vor, sollte es diesen überhaupt jemals gegeben haben. Ihn erreichte lediglich ein vermutlich wertloses Faksimile, da es aus zweiter Hand stammte. Denn was er vorfand waren nur die Notizen derer, die es einst nach dem „Gewölbegespräch“ auf ihre Weise zu Papier gebracht hatten. Und wer wollte schon erwarten, dass man Segestes ein Protokoll vorlegte besser gesagt ihm ein Schriftstück unterschob, das er selbst nicht einmal lesen konnte, dann aber handschriftlich signieren sollte; und das rund 800 Jahre vor dem nächsten historischen Fehlgriff. Der konstantinischen Schenkung. Vielleicht dürfen oder müssen wir sogar annehmen, dass Tacitus darin selbst Ungereimtheiten erkannte, die er sich nicht erklären konnte, aber für korrekt halten musste. Wirft man nun einen Blick auf den Text und die Worte die Tacitus aus alledem ableitete und im Zusammenhang mit seiner Art der Geschichtsaufarbeitung verwendete, so müssen wir uns auch der Tatsache bewusst sein, dass Tacitus nicht nur in sein Jahrbuch 1.57 und in die Abschnitte 1 – 5 eigene Schlussfolgerungen eingebaut hat, sondern auch anderswo. Denn er verzichtete und das wohl mangels Wissen zu oft darauf uns mitzuteilen wie er andernfalls auf den Inhalt gekommen sein könnte. Ein einfaches Beispiel dafür ist eine Darstellung im Kontext seiner Jahrbücher. So vertritt, er die Überzeugung, dass sich die Barbaren von Personen, die ein besonders kühnes und wortgewaltiges Auftreten an den Tag legten, eher für einen Waffengang erwärmen lassen, als von zaghaften Anführern. Hier vermittelt er uns eine Weisheit, die so alt ist wie die Welt und zu der es keines Tacitus bedurft hätte, denn es gehört zum allgemeinen Erfahrungsschatz der Zeitgeschichte. Er überbrückt mit derartigem Allgemeinwissen faktenreichere Geschehnisse. Überbrückt sie aber nicht nur sondern überlagert sie auch und beginnt damit seine eigene Geschichte zu erzählen. Und dazu würde dann auch die von ihm dargestellte vermeintliche Tatsache passen indem er, und nur er davon ausging, dass Segestes eigentlich nur belagert worden sein konnte. Ein Sachverhalt der sich ihm nahe liegender weise erschloss, da er sich für ihn aus dem Zusammenhang des Tochterraubes leicht ableiten ließ. Denn seinem Jahresbuch 1.58 (4) ist zu entnehmen, dass er den Kenntnisstand über die innerfamiliären Zwistigkeiten nur den Worten von Segestes verdankt und von keiner anderen Person. So wusste Tacitus auch nur von Segestes, dass der vorher seine Tochter seinem Widersacher Arminius mit Gewalt weg genommen hatte. Es bedurfte also für Tacitus keiner besonderen Anstrengung mehr, daraus eine Belagerungssituation in der Form zu rekonstruieren, als dass Arminius nun wieder bestrebt war seine Angetraute erneut zurück zu holen. Gehen wir an der Stelle in die historische Tiefe der Zeilenforschung so dürfen wir annehmen, dass es nicht Segestes war, der die Begrifflichkeit einer Belagerung in die Welt setzte, sondern Tacitus, der es aufgrund seines Wissens und seiner Gedanken so vor Augen hatte. Tacitus legte also mittels seiner Jahrbücher der Geschichte seine Worte sozusagen in den Mund. Worte und Erklärungen die wir bei Segestes in dieser Form nicht finden. Denn Segestes erwähnte an keiner Stelle in seiner Reputationsrede die Tacitus im Jahrbuch 1.58 (1) veröffentlichte, dass man ihn belagert hätte. Tacitus erwähnte eine Belagerung an zwei Stellen. Unter 1.57 (1) soll es die Delegation so ausgedrückt haben, als sie Germanicus entgegen ritt bzw. ihm gegenüber trat. Und unter 1.57 (3) ist von Germanicus die Rede, der gegen Belagerer kämpfte. Das Wort Belagerer, Tacitus nannte es „obsidentes“, war demnach eine Wortschöpfung von ihm selbst. Aber „obsidentes“ könnte in diesem Zusammenhang auch noch eine andere Bedeutung gehabt haben. Denn in der Form von „obsidere bzw. obsideo“ kann man es auch als „irgendwo sitzen oder sich aufhalten“ auslegen. Und man kann darunter auch noch verstehen „auf etwas lauern oder etwas abpassen“. Und dann ist es schon nicht mehr das was wir uns heute so unter einer Belagerung vorstellen möchten und wie wir es uns mit einer Portion mittelalterlicher Raubritter Dramatik im Hinterkopf ausmalen. So ließe sich die Geschichte von der Befreiung auch anders auslegen und dann wären wir erneut auf nebulösen Pfaden unterwegs. In diesem Fall wäre es eine Version, die uns von einer Belagerungsvision abbringt. Denn nun könnte man den Worten von Tacitus einen anderen Sinn geben. Wir müssten dann allerdings von unserem traditionellen Denken abrücken und dürfen in den Worten von Tacitus keine Belagerung mehr erkennen. Natürlich hilft uns die Aufarbeitung dieser Geschehnisse nicht bei der Suche nach den Örtlichkeiten der Varusschlacht oder deren Verlauf, aber jede Schlacht hat ihre Vorgeschichte und wird nach dem sie geschlagen ist von 1000 Augen anders gesehen und bewertet. Wir möchten wissen mit welchen Menschen und somit auch welchen Charakteren wir es rückblickend zu tun haben und das Jahr 15 + fällt noch in die Phase der Nachbearbeitung zu dieser Schlacht und lässt Rückschlüsse zu die uns verstehen helfen. Aber warum halte ich es ausgerechnet für wichtig mich so lange mit der Frage „Belagerung oder nicht Belagerung“ aufzuhalten. Ich möchte es vorweg nehmen, denn in den vermeintlichen Belagerern könnte man auch jene Germanen erkennen. die den Chatten gegen Germanicus zu Hilfe kommen sollten. Aber darauf möchte ich im weiteren Verlauf noch etwas detaillierter eingehen. Wollen wir aus den Worten eine Belagerung samt Belagerungsring ableiten, dann hätte nicht Segestes die antiken Historiker in die falsche Richtung geleitet. Sondern es wäre auf den Chronisten Tacitus zurück zu führen gewesen, in dem er das Wort „obsidentes“ benutzte und es an anderer Stelle ähnlich beschrieb, weil er es für plausibel hielt. Ungeachtet dessen, ließ Segestes über seinen Sohn Segimund verkünden, dass er sich in einer Gefahrenlage befand. Gleich wie diese ausgesehen haben könnte, Segestes nahm die Existenz der Cherusker die ihren Marsch zu den Chatten unterbrachen zum Anlass, nutzte oder missbrauchte sie indem er daraus einen Grund machte sich ins rettende römische Lager abzusetzen. Und so passt auch alles nur so lange gut zusammen, wie man gewillt ist, es so aus den Worten von Tacitus heraus lesen zu wollen. Und so gehen wir alle heute immer noch davon aus, dass man den armen Segestes im Jahre 15 + wegen seiner Tochter belagern und möglicherweise aushungern lassen wollte. Aber wir wissen das der erdachte Belagerungsring immerhin so lückig war, dass es einer Delegation gelang ihn zu durchbrechen. Aushungern könnte man demnach streichen. Aber man kann auch dem historischen Einmachglas das Verschlussgummi abziehen um zu schauen, was man darin vor 2000 Jahren für die Ewigkeit haltbar machen wollte, was sich aber vielleicht auch anders interpretieren lässt. Fasst man es zusammen, so haben die Hofbeamten des Senats, worunter sich vielleicht auch Senatoren befanden die Aussagen des Segestes zur Varusschlacht geschickt in die Richtung einer an Varus ergangenen Warnung gelenkt und Tacitus weckte in uns die Vision Segestes wäre in seiner Burg belagert worden. So macht alles den Anschein, als ob man nur lange genug schürfen braucht um zu gegenteiligen Auffassungen zu gelangen. Müssten neu nachdenken und dann vielleicht auch einige Illusionen über Bord werfen. (02.06.2020)

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