Sonntag, 7. März 2021
Cassius Dio löst das Rätsel um den Verrat des Segestes
Pirschen wir uns nun langsam an Cassius Dio heran und das, was er uns über die letzten Stunden vor dem Abzug sagen konnte (oder wollte ?). An dieser Stelle gilt der Augenmerk jedoch vornehmlich dem, was er über Segestes wusste. Cassius Dio hinterließ uns als einziger antiker Historiker die willkommene Zusammenfassung über den kompletten Abriss der Varusschlacht. Erst dank seiner Bemühungen und Aufzeichnungen liegt uns eine halbwegs strukturierte Darstellung über das gesamte Geschehen vor. Aber sein großer Verdienst besteht darin, dass sich die Schlacht erst durch ihn als ein sich über mehrere Tage hinziehendes Marschgefecht identifizieren lässt und sich am ersten Tage noch kein germanischer Feind blicken ließ. Nur er verschaffte uns etwas Einblick in den Verlauf und gab uns die Möglichkeit eine zeitliche und geographische Schablone über die Ereignisse zu legen, wie es uns kein anderer Historiker vor ihm bieten konnte. Auf diese Weise ließ sich eine Plausibilität aufbauen auf deren Basis es erst gelingen konnte, die einzelnen Episoden und Schauplätze an ihren Platz zu setzen und sie der Landschaft Ostwestfalens anzupassen. Seine Schilderungen halfen zu erkennen, dass der erste Marschtag nach dem Verlassen des Lagers bis zum Sonnenuntergang einen ruhigen Verlauf nahm. Ein Marsch auf passabler Straße, bei gutem Wetter, zwischen zwei römischen Niederlassungen und durch Freundesgebiet. An diesem Tag entfernte man sich nur eine Tagesetappe also rund 21 Kilometer vom Hauptlager und er diente lediglich dem Anmarsch zum ersten Rastlager. Und sowohl aus logistischen, als auch tageszeitlichen vor allem aber distanztechnischen Gründen, konnte es nicht nur, sondern durfte es auch an diesem Tag noch zu keinen Kampfhandlungen von Seiten der Germanen kommen. Denn die germanische Taktik beruhte darauf, dass man erst am zweiten Marschtag von Brakel zu den Rebellen in den Angriffsmodus wechseln wollte. Cassius Dio öffnete uns auch erst die Augen dafür, dass Varus den Marschzug aus strategischen Erwägungen heraus aufteilte, ja sogar aufteilen musste. Aber in der puren Logik liegt der Schlüssel zur Varusschlacht. Denn nur Cassius Dio verdeutlichte uns, dass es Arminius gar nicht möglich gewesen sein konnte alle von ihm aufgelisteten und Arminius zugeschriebenen Aktivitäten an einem einzigen Nachmittag, nämlich am ersten Tag vollbringen zu können. Arminius war kein Übermensch, soll aber nach dem großen Aufbruch noch einige Zeit gemeinsam mit Varus geritten sein, bevor er sich entfernte um seine Männer zu mobilisieren. Die hellen Tagesstunden reichten jedoch nicht aus, um dann noch mit seinen Kriegern die Abstellungen nieder zu machen und Varus auch noch in den Rücken fallen zu können. Denn die zu überbrückenden Entfernungen waren dafür zu groß um die Abstellungen samt Tross handstreichartig zu überwältigen, die Gefangenen dingfest zu machen und die Beute zu sichern. Diese Rechnung konnte nur aufgehen, wenn man dafür die frühen Stunden des zweiten Marschtages mit einbezieht. Erst die Ankündigung und das Eintreffen von Arminius auf dem Schlachtfeld könnte für die Stämme am Wegesrand das deutliche Signal gewesen sein, die Kämpfe verstärkt aufzunehmen, denn nun befand sich ihr Feldherr unter ihnen. Plausibel und von unrealistischen Betrachtungen gereinigt liegt nun das Geschehen vor uns, serviert wie auf einem Silbertablett und lässt kaum noch Fragen offen. Kein Florus, Tacitus oder Paterculus brachte es schon fasst so minutiös auf den Punkt wie Cassius Dio es tat. Würden wir seine Aufzeichnungen nicht kennen, dann wäre unser Wissen um die deutsche Frühgeschichte in jener Zeit um ein Vielfaches leerer und rätselhafter als es ohnehin schon ist. Mit ruhiger Hand lässt sich nun auch im Konzert mit den übrigen Historikern das Monumentalgemälde "Varusschlacht" mit den letzten Federstrichen und Farbtupfern graphisch, vielleicht besser gesagt als Radierung vollenden. Cassius Dio schrieb seine Zeilen aus einer großen Distanz zum Geschehen heraus und in einer völlig anderen Epoche. Bei ihm überwogen klare Wortwahl und sachliche Nüchternheit. Dadurch kann in diesem Kapitel nun ein weiterer bislang irritierender und wenig diskutierter Widerspruch aufgelöst werden, was mit dazu beiträgt der Schlacht weitere Schleier zu entziehen. Im Verlauf dieses Internet Buches ist es aber möglich auch noch andere Argumentationslücken mit Indizien gleichen Vorstellungen zu schließen. So müssen die uns nebulös wirkenden Vorgänge erst aufgeweicht werden um sie wieder erhärten zu können, damit sich gewachsene Mythen besser ausräumen lassen. Wie ein Panoramabild aber beileibe kein Phantombild entsteigt der Schlachtenverlauf dem Betrachtungsraum östlich der Egge und es lassen sich die Stationen von Beginn an nicht nur greifen, sondern dank dem bekannten Endpunkt, dem "Saltus Teutoburgiensi" auch noch an Ort und Stelle lokalisieren. Und man möchte es kaum glauben, denn es lässt sich sogar einigen guten Hinweisen nachgehen, wonach sich fasst parzellenscharf die Örtlichkeit definieren lässt, wo Arminius einst den Schlusspunkt ans Ende des Gemetzels setzte. Der Nethegau, eine unauffällig wirkende und entrückte Nische der Weltgeschichte weitab vom Rampenlicht gelegen, die sich nur aus diesem Grund solange verstecken und unentdeckt bleiben konnte. Denn dort hatte bislang kein Historiker die Varusschlacht auf seinem Schirm. Eben eine typisch deutsche Allerweltlandschaft die auch schon vor 2000 Jahren die gleichen Geländestrukturen aufwies wie heute. Eine Region wo man nicht nach den Römern suchen brauchte und wollte, da dort keiner mit ihnen und erst recht keinem Varus rechnete. Und das obwohl sich nur wenige hundert Meter neben dem Schlachtfeld der 415 Meter hohe "Varenberg" erhebt. Und nur im "Teutoburgiensi saltu" konnte die antike Historie einen fixen Anhaltspunkt entdecken und erwähnen, der sich hinterlassen ließ. Eine schlichte und somit auch unbeschreibliche Kalksteinlandschaft, ohne markante Auffälligkeiten, einprägsame Besonderheiten oder eindrucksvolle Merkwürdigkeiten. Teilweise bedeckt mit dichtem Wald, örtlich verbreiteten Sümpfen, feuchten Niederungen und durchzogen von Bachtälern. Ein welliges Terrain, dass sich nach Süden hin in die Bördeebene öffnet. Das aber auch ein Geländerelief aufweist, dass den Spielraum für übergreifende Verbindungen erheblich einschränkt, denn versumpfte flussnahe Wege wurden gemieden. Ein wesentlicher Faktor der die Suche vereinfacht wodurch sich der Zugkorridor leichter auffinden lässt. Und alles wäre auch völlig namenlos geblieben, gäbe es da nicht diesen besagten Schluchtenpass um dem trichterartigen Nethegau nach Westen hin entkommen zu können. Eine der wenigen geographisch gut bestimmbaren Landmarken und ein Wegweiser ohne den man der Schlacht nicht schon vor zwei Jahrtausenden hätte einen Namen geben können und ohne den Tacitus die Schlacht gar nicht hätte verorten können. Möchte man den heraus ragenden Hinweisgebern zur Entdeckung des Varusschlachtfeldes eine Rangfolge geben, so wäre dies an erster Stelle zweifellos P. C. Tacitus gewesen, ihm folgend C. Dio aber auch H. Klabes. Aber dieser "Bördenpad" muss auf die Legionäre damals wie ein befreiendes Fanal der Rettung gewirkt haben, dass man wie unerreichbar am Horizont erahnte, von weitem als solches im Wald liegend nicht erkennen konnte, von dem man aber wusste, dass man es anzusteuern hat, wenn man noch lebend dem Inferno entgehen wollte. Und die wenigen Entkommenen entgingen wohl auch nur dank dieses Aufstieges dem Tode, gelangten so in Sicherheit und überlebten. Denn außer diesem Anstieg ließ es die Egge weit und breit nicht zu bezwungen zu werden. Viele Römer unter ihnen auch Marcus Caelius hatten es nicht geschafft. Aber genug der Poesie. Als die Nachricht von der Niederlage des Statthalters Varus in Rom einschlug, zuckte das Imperium zusammen. Historikernamen sind uns aus dieser aufgeheizten Phase I unmittelbar nachdem die Kunde in Rom die Runde machte nicht bekannt. Historiographen wie es Gaius Julius Hyginus einer gewesen sein könnte, könnten zu den Ersten gezählt haben, die die frühen Nachrichten noch persönlich in Empfang genommen haben könnten und zu Papier brachten. Segestes war in dieser Zeit noch ein völlig unbeschriebenes Blatt und auch die Phase II die mit Ovid und Manilius einsetzte, kannte noch keinen Segestes. Erst Strabo der um 23 + verstorben sein soll und den man noch der Phase II zuordnen kann, kannte zwar schon Segestes, wusste oder berichtete aber nichts über seinen Verrat. Die Lage änderte sich erst im Zuge einer Phase III, die mit Paterculus seinen Anfang nahm bzw. durch die auf ihn folgenden Historiker Tacitus, Florus und Dio. Und für alle bis auf Cassius Dio stand fest, dass Segestes mit seiner Warnung die Varusschlacht noch abwenden wollte. Dem ich aber hinzufügen möchte, hätte abwenden können, wenn er es denn ernsthaft gewollt hätte. Diverse analytische Prozesse bezogen auf die Aufarbeitung der Darstellungen von Paterculus, Tacitus und Florus lassen Abweichungen und Irritationen erkennen, die auch an der Glaubwürdigkeit von Segestes rütteln und sie in Frage stellen. Die Phase III endet hier nun mit Cassius Dio. Er brachte uns jedoch insofern in Bedrängnis, als dass sich seiner Überlieferung keine klare Aussage darüber entnehmen lässt, wonach man allein in der Person des Segestes den Verräter sehen könnte. Denn er nannte uns im Gegensatz zu Paterculus, Tacitus und Florus erstaunlicherweise nicht seinen Namen. In der Phase III fanden sich aber offensichtlich all jene zusammen, die letztlich die Auffassung vertraten, Varus habe man vorher und das eingehend auf die Gefahrenlage hingewiesen. Und das trifft zweifellos auch zu, allerdings kann von eingehend keine Rede sein. Und natürlich war Varus vom Grundsatz her seine militärische Lage nicht unbekannt. Denn der erste Germane der Varus überhaupt erst auf einen rebellierenden Stamm und die damit einhergehenden Risiken aufmerksam machte und darauf hinwies war der, der ihn dort hin locken wollte also wohl kein anderer als Arminius selbst, der die heikle Nachricht wie auch immer streute und verbreitete. Er war auch der, der Varus daraufhin großzügig seine militärische Unterstützung anbot, weil er besser als alle wussten, dass es brenzlig werden würde. So gehörte zweifellos auch Arminius zum Kreise derjenigen, die Varus schon frühzeitig auf die möglichen Gefahren hinwies oder wie Cassius Dio es ausdrückte, ihn zur Vorsicht mahnten. Und genauso schrieb es auch Cassius Dio, denn er sprach nicht von einem einzigen Warnruf, gar aus dem Munde von Segestes, sondern er sprach von mehreren Personen, genau genommen sagte er wohl "alle". Varus war demnach also schon von einigen Personen umgeben, die ihm "alle" eindringlich rieten er möge doch besonders achtsam sein. Aber der von Cassius Dio geschilderte Sachverhalt erfordert noch einen kritischen Blick auf die Reihenfolge der Geschehnisse. Denn seiner Überlieferung nach wurden die vielstimmigen Warnungen sonderbarer Weise schon laut, noch bevor sich "gewisse weiter entfernt lebende Germanen empörten", die eigentliche Rebellion also noch gar nicht ausgebrochen war.

Und so hört es sich der Übersetzung nach in einer leichter lesbaren und daher schwach abweichenden Form an, was Cassius Dio zu sagen hatte:

- Varus glaubte sich völlig sicher und befürchtete daher
auch kein Unheil.
- Männer, die die Entwicklung mit Argwohn
beobachteten und ihn zur Vorsicht mahnten schenkte
er keinen Glauben.
- Im Gegenteil er verleumdete sie sogar und warf ihnen
vor sich grundlos zu erregen.....

UND ERST DANACH SCHREIBT CASSIUS DIO :

...."da empörten sich nach geheimer Absprache zuerst gewisse weiter entfernt lebende Germanen".

In seinem Umkreis sorgte man sich also schon zu einem Zeitpunkt ernsthaft um das Wohlergehen aller, als sich die "weiter entfernt lebenden Germanen" noch gar nicht empört hatten. Hier schienen nebulöse Vorabnachrichten den später eingetretenen tatsächlichen Ereignissen voraus geeilt zu sein. Ein Hinweis auf eine sich schon länger anbahnende oder auch erst seit wenigen Tagen bekannte Konfliktsituation. Allemal eine kritische Zuspitzung die sich bereits hoch schaukelte, als Varus selbst noch keine Kenntnis darüber besaß und daher auch die ersten Warnungen in den Wind schlagen konnte. Ein Sachstand der auch darauf hindeutet, dass zwischen den ersten Nachrichten über den ausgebrochenen Aufruhr bis zum Abzug der drei Legionen aus dem Hauptlager nicht viel Zeit verstrich. Und damit brachte Cassius Dio Hektik ins Spiel. Die Verwirrung um den Aufstand könnte auch von Segestes im Hintergrund ausgelöst betrieben oder bezweckt worden sein, der sein Wissen vielleicht zeitgleich mit Arminius darüber im Lager verbreitet hatte und noch bevor die Neuigkeiten Varus erreichten. So fand die aktuelle Lage offensichtlich schon zu einem früheren Zeitpunkt eine größere Verbreitung als der Feldherr noch keine Kenntnis besaß. Aber aus den Erläuterungen von Cassius Dio geht mit keiner Silbe hervor, dass Varus oder das man im römischen Generalstab darüber informiert war, dass Arminius und Segimer dazu die Fäden gezogen hatten. So wie es nach Paterculus, Tacitus und Florus von Segestes behauptet wurde und auch nichts von seinem Vorschlag sich und alle germanischen Fürsten in Fesseln legen zu lassen. Davon schrieb Cassius Dio nichts. Nun war eine erste Unruhe zu verspüren, es herrschte keine gelassene Aufbruchstimmung mehr aber niemand, mit Ausnahme der Germanen wussten genau, was man sich unter diesem Aufstand vorzustellen hatte. Aus welchem Munde Varus letztlich die Nachricht von diesem Aufruhr erhielt ist nicht bekannt. Arminius müsste es lanciert haben, da er es war der Varus auf diese Weise in den Hinterhalt locken wollte. Vielleicht müssen wir hier sogar noch das Undenkbare denken, dass nämlich Segestes in diesem Fall sogar indirekt als Erfüllungsgehilfe von Arminius auftrat in dem er zum Verkünder der Unheilbotschaft hinsichtlich des Aufruhrs avancierte, auch ohne das Cassius Dio seinen Namen erwähnte. Aber es wird eine explosive Gemengelage deutlich in der Arminius dem Feldherrn seine loyale Unterstützung zusagte. Und plötzlich ging alles etwas übereilt vonstatten, denn nun waren neue und andere Planungen nötig. Solange es Arminius gelang den Zeitpunkt der Nachricht vom Aufruhr hinaus zu zögern um so mehr gelang es ihm, eine für die folgenden Aktionen taktisch wichtige Unruhe zu erzeugen. Es scheint, als ob es gelang den Konflikt lange und bis kurz vor dem Abzug geheim zu halten. Es brach nun eine Verwirrung aus, die unsicher macht und die nach schnellen Entscheidungen ruft. Eine Lage die aber auch Fehlentscheidungen begünstigt. Eine Lage in der man nicht mehr lange fragt, sondern sich zum Handeln genötigt sieht. Da wird dann auch ein Hilfsangebot von Arminius mal schnell angenommen ohne über andere taktische Schritte nachzudenken. Eventuell den Aufruhr völlig zu ignorieren oder die treuen Cherusker alleine mit der Niederschlagung zu beauftragen. So ist es denkbar, dass Varus diesen warnenden "Auguren" im begrenzten Maße sogar geglaubt und ihnen ihre Sorgen auch abgenommen hatte, sie aber zu diesem Zeitpunkt mangels klarer Hinweise noch für völlig unbegründet hielt. Erst danach erreichte Varus vielleicht sogar aus dem Munde von Arminius selbst die Nachricht vom Aufruhr und er erkannte nun erst die Realität die hinter den Warnungen steckte die er zuvor erhielt und abtat. Was geschah also nach Cassius Dios Worten und was ließ sich daraus ableiten. So kann und muss man wohl auch zu der Auffassung gelangen, dass Varus wenige Tage vor dem Abzug aus dem Sommerlager noch keinerlei Absicht hatte in das Gebiet der Aufrührer zu ziehen, da ihm zu diesem Zeitpunkt der Reihenfolge nach zu urteilen, noch gar nichts von einem rebellierenden Stamm bekannt war. Denn nach Cassius Dio warnte man ihn doch schon bevor ihn Nachrichten über die sich empörenden Germanen erreicht hatten. Kein Grund also um die Rückwegstrecke nur aufgrund einiger Warnrufe zu verändern. Warnrufe von Männern die also schon die Gefahr kannten noch bevor die Nachricht aus dem Süden eintraf, wenn wir seiner Satzfolge folgen. Aber nur in seinem Bericht ist nun erstmals nicht mehr nur allein von "Segestes" die Rede, sondern von "allen" die ihm zur Vorsicht rieten. Ganz im Gegenteil zu Paterculus, Tacitus und Florus die Segestes noch in voller Überzeugung er wäre es allein gewesen nannten. Man war also in seiner Umgebung definitiv schon früher über den Krisenherd oder Ernstfall informiert als Varus selbst, also offiziell Kenntnis davon erhielt. Man kann es sich gut vorstellen und dazu gibt es die schöne Beschreibung, es wurde schon "gemunkelt". Aber nun war der Feldherr informiert und wie so oft erfuhren es die maßgeblichen Entscheidungsträger erst zuletzt und er musste handeln. Und von dem Moment an, als er die Nachricht von der Empörung bekam wurde ihm auch eines unmissverständlich klar. Denn nun fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, dass die vorher an ihn ergangenen Warnungen entgegen seiner ursprünglichen Annahme doch nicht grundlos erfolgten. Er musste sich eingestehen schon gewarnt gewesen zu sein, noch bevor sich die Kunde vom Aufruhr bis zu ihm durchsprach. Eine Entwicklung die ihn hätte beunruhigen sollen, denn sie erreichte ihn nicht von römischen Spähtrupps sondern von germanischen Informanten. Erst von diesem Augenblick an lagen für ihn die Fakten auf dem Tisch. Nun wird ihm wohl sein anfänglicher Optimismus vergangen sein und ein nüchternes Kalkül dürfte die Oberhand gewonnen haben. Denn nun konnte er sich auch nicht mehr so sicher gewesen sein, kein Unheil befürchten zu müssen, wie es die Quellen berichteten. Im Nachhinein musste er nun "kleine Brötchen backen" und hatte auch den schon vorher besorgten Männern in seinem Umfeld glauben zu schenken. Und er durfte ihnen nun erst recht nicht mehr den Vorwurf machen sich grundlos erregt zu haben. Denn nun sprach die Nachricht aus dem Süden für sich und sie war überdeutlich. Das nun aus der klaren Kenntnis der Bedrohungslage heraus auch automatisch der Chor der Warner anschwoll die sich zu Worte meldeten ist verständlich, denn nun krochen die kritischen und besorgten Äußerungen aus allen Löchern. Und jetzt war allen bewusst, dass Vorsicht geboten war und dazu bedurfte es auch keiner großen Phantasie mehr. Und Segestes könnte nun auch einer der vielen anderen gewesen sein, die ihm jetzt erst zur Vorsicht rieten. Aber er wäre demnach nicht mehr der einzige gewesen, der Varus warnte. Eine Warnung von ihm mag es vor diesem Hintergrund auch gegeben haben, aber im Kreis der übrigen Besorgten ging sie unter. Demnach könnte es im Reigen der anderen warnenden Stimmen in der Tat auch eine taktische Warnung von Segestes gegeben haben um nicht in Verdacht zu geraten wissen zurück zu halten. Aber eben auch nicht mehr und nicht weniger und auch ohne das er damit Schaden für die gemeinsame germanische Sache hätte anrichten können. Aber was machte Segestes später daraus als er die Front wechselte. Denn nun wollte er es allein gewesen sein, der um diese Zeit schon genau wusste, wer hinter dem Aufruhr steckte. Und natürlich wusste er es auch und das auch schon lange, aber er verschwieg es dem Feldherrn gegenüber. Varus war nun in Zugzwang und sein weiteres Tun und seine Befehle lassen sich dem Kriegsbericht von Cassius Dio entnehmen und rekonstruieren. Aus den Worten von Cassius Dio lässt sich nun in verständlicher Weise auch der Sachstand vor dem Abzug entnehmen. Keine Äußerung von ihm dahingehend, dass Segestes der Mann der Stunde war und auch kein Wort zu seinem Vorschlag, man möge doch alle in Fesseln legen. All dies vermissen wir bei Cassius Dio der sich für die Mehrzahl "allen" entschied und Segestes die Schicksal spielende Rolle versagte und der es ihm absprach die Hauptperson gewesen zu sein. Segestes tritt bei ihm mit keiner Silbe in Erscheinung. Durchschaute Cassius Dio möglicherweise 200 Jahre nach der Schlacht das doppelte Spiel, das damals Segestes trieb und konzentrierte sich nur auf den reinen für ihn nachvollziehbaren Sachverhalt. Oder konnte er diese Details über Segestes den so hoch gehandelten Senatsakten gar nicht mehr entnehmen, weil sie nicht darin vorkamen. Warum auch hätte Cassius Dio, wenn er denn den Namen Segestes gelesen hätte, ihn nicht auch angeben sollen. Kein Wort mehr über den Mann, dem Paterculus, Tacitus und Florus noch alle an den Lippen klebten, dessen Lebensbeichte sie alle verinnerlicht hatten und dem sie sich alle bedingungslos anschlossen und es sich zu eigen machten und der sie, und damit auch uns vermutlich hinters Licht führte. Doch als Cassius Dio schrieb existierte wohl ein Segestes schon gar nicht mehr in seinem Geschichtswerk. Segestes, der Schutz suchende abtrünnige Germane dem es erst 15 + in Ostwestfalen zu heiß zu werden schien und der einen Grund brauchte sich absetzen zu können. Der Mann der mal in aller Munde war und den man damals frei wirken und reden ließ, den man aber auch instrumentalisiert haben könnte, den man dann aber aus der Historie tilgte, als man seine Aufgabe als erfüllt ansah. Somit setzte Cassius Dio im 3. Jahrhundert den Schlusspunkt in der Reihe der antiken Historiker der Phase III, die sich mit der Warnung bzw. der Person Segestes befassten. Denn er schilderte die Ereignisse völlig anders als seine drei Vorgänger, setzte sie in einen anderen Kontext und auch eine andere Reihenfolge. Und es ist auch keine Rede mehr bei ihm von einer oder mehreren letzten Warnung auch noch am Vorabend der Schlacht. Für ihn besaß Segestes keine Bedeutung mehr. Zweifellos hatte Cassius Dio Probleme damit, dass Überkommene nach bestem Wissen und Gewissen zu strukturieren. So ließ sich rekonstruieren, dass Cassius Dio mit der chronologischen Abfolge, etwas überspitzt ausgedrückt zeitweise auf Kriegsfuß stand. So sollte man noch am Rande vermerken, dass man die Warnungen der besorgten Männer möglicherweise auch als ein zeitgleiches Ereignis zur Botschaft aus den Rebellengebieten betrachten könnte. Das also die besorgten Minen der umstehenden erst in dem Moment ihren Ängsten Ausdruck gaben, als die Nachricht der vermeintlichen Aufrührer schon im Sommerlager und auch bei Varus bekannt war. Aber dieser Umstand wirkt sich nicht wesentlich auf den Hergang aus, denn der deutliche Hinweis von Cassius Dio auf "mehrere" bzw. "alle" warnenden Stimmen macht das essentiell Bedeutsame vor allem aber Glaubhafte seiner Erwähnung aus. Und natürlich muss uns Cassius Dio der letzte antike Historiker mit seinem Hinweis verwirren, dass es eben "alle" Männer waren die dem Rückzug der Legionen ins Rheinkastell samt späterem Abstecher, also dem Umweg über den Saltus mit Sorge, Skepsis und Argwohn entgegen sahen, was auch nicht verwundert. Also ausnahmslos "alle" die Varus nahe standen waren nun der gleichen Meinung. Varus also völlige Unkenntnis zu unterstellen wie es etwa bei Florus anklingt, greift folglich zu kurz. Vereinfacht ausgedrückt hatte er die Lage letztlich nur unterschätzt. Aber wo sollte der Grund dafür zu suchen sein, dass bei C. Dio der Name Segestes nicht mehr auftaucht. Hatte sich etwa der Kenntnisstand nach dem ersten Auftreten von Segestes in Rom in den Jahrhunderten danach so verbessert, dass Dio es schon als erwiesen ansehen konnte, oder das sich ihm der Verdacht förmlich aufzwang, dass es nicht nur einen gab, sondern es sogar "alle" waren, die Varus darauf aufmerksam machten und er es daher literarisch problemlos wagen durfte, nun sogar von mehreren warnenden Stimmen sprechen zu können. Ungeachtet dessen, kam von Cassius Dio der letzte bekannt gewordene geschichtliche Hinweis darüber, dass man Varus vor der Schlacht eindeutig auf eine mögliche Gefahr hinwies. Ergänzungen oder Korrekturen anderer Historiker folgten danach nicht mehr. Oder aber hatte sich die "Ruhmestat" des Segestes, der von Varus nicht erhört wurde, nach rund 200 Jahren schon so verfestigt, dass Cassius Dio ohne Skrupel zu spüren sogar darauf verzichten konnte Segestes beim Namen zu nennen. Möglich, denn auch Segestes war dem Varus nahe stehend und könnte auch zu dem Personenkreis gezählt der ihn warnte. Und darin ist nichts verwerfliches oder unglaubwürdiges zu erkennen. Segestes musste ihn ja schon nahezu gewarnt haben um nicht verdächtig oder gar als Mittäter zu wirken. Um es auf den Punkt zu bringen und ohne an dieser Stelle auf die brisanten restlichen Formulierungen und Inhalte der diesbezüglichen Überlieferung von C. Dio näher einzugehen sticht zweifellos diese eine Kernaussage heraus. Und sie besteht eigentlich nur aus dem schlichten Wort "ALLEN". Nachdem Paterculus, Tacitus und Florus einzig immer nur Segestes mit der Warnung verbanden und sonst niemanden, durchbricht Cassius Dio damit nun auf komplexe Weise mit seiner Überlieferung dieses wie eingeschwore wirkenden Dreigestirn. Nach Dio, sah sich Varus also schon einem ganzen Chor von Unkenrufern gegenüber, die allesamt ihre warnende Stimme erhoben. Römische Generäle, hohe Staatsbeamte, auch einflussreiche Germanen, vor allem aber jene Germanen der Arminius Koalition, die die Absicht verfolgten ihn trotz der Gefahrenlage zu dem Umweg zu ermuntern. Als eine weitere Erklärungsvariante gesellt sich noch die Überlegung hinzu, dass sich abgehoben von anderen Darstellungen Cassius Dio eine eigene Realität fernab vom Ursprungskern der Paterculus Überlieferung schaffen und sich nicht an ihm orientieren wollte. Sozusagen seiner schriftstellerischen Seele freien Lauf lassen wollte, dass es nicht nur einen Warnruf gegeben haben konnte, sondern es davon definitiv mehrere gegeben haben musste. Denn ein Varus und ein Segestes stehen nie allein auf der großen Bühne wenige Stunden vor einem für die damaligen Verhältnisse gigantischen Marschzug Geschehen. Wir wissen zwar sogar von Cassius Dio selbst, dass ihm viel an der Plausibilität und Verständlichkeit seiner Niederschrift lag und er sich daher möglicherweise kleinerer Abweichungen bedient haben könnte, aber hier geht es schon nicht mehr nur um unbedeutende Nuancen, sondern um einen gravierenden Unterschied. Ungeachtet dessen, kommt aber Cassius Dio, wie seine drei Vorgänger auch nicht völlig umhin, den früheren Darstellungen zur ergangenen Warnung einige Zeilen zu widmen und es somit zu erwähnen. Auch er wollte darauf nicht verzichten, obwohl es eine logische Konsequenz ist, dass man auf der Hut sein sollte, wenn ein derartiger Marsch bevor steht, so dass es zusätzlicher Warnungen eigentlich schon gar nicht mehr bedurft hätte. Cassius Dio, der den Schlusspunkt unter die Varusschlacht setzte sendete damit das beeindruckende und gleichzeitig trügerische Signal, wie bedeutsam man doch die im Vorfeld an Varus ergangene Warnung noch über 200 Jahre nach der Schlacht in der Antike einstufte. Das eine war das Verhalten eines einzelnen Germanen, dass auf viele Römer so abschreckend und unverständlich zugleich gewirkt haben muss und das andere, dass dieser Mann gegen alle moralischen Vorbehalte sogar Verrat am eigenen Volk verübt haben soll. Dies grub sich letztlich nur in die Köpfe von Tacitus und Florus stark ein, die zwischen Paterculus und Cassius Dio lebten und unter dem Einfluss des "Paterculus Syndrom" standen. Ausgerechnet ein Germane, wo sie doch nach Paterculus alles Lügner gewesen sein sollen glaubte man jedes Wort. Das andere war der politische Druck der sogar noch nach seinem Tod auf Varus lastete und immer wieder wach gehalten wurde. Aber was könnte Cassius Dio so lange Zeit nach der Schlacht noch seinen Vorlagen entnommen haben woher stammten sie und wie zuverlässig waren sie. Schriften die ihm vorgelegen, auf die er detailliert einging und die wir mangels anderes Wissens als glaubwürdig einschätzen. Glaubhaft auch, weil vieles andere aus seiner Feder schlüssig und nicht nach Phantasie klingt. Machte sich möglicherweise auch noch das Wissen der erst später frei gekauften oder befreiten römischen Geiseln in den ihm vorliegenden Papieren bemerkbar und floss mit ein, dass Tacitus und Florus noch nicht besaßen. Wir wissen zudem, dass es auch wenige Überlebende gab, die für die Informationen in Frage gekommen sein könnten. Denn von ihnen könnten auch noch einige persönlich an den Gesprächen mit Varus im Sommerlager teil genommen haben und sich unter den damaligen Zuhörern befunden haben, was erst verspätet Eingang in die Akten gefunden hätte. Nach Cassius Dio zu urteilen sollen die Umstehenden Varus heftig angegangen sein, denn er musste sie nahezu brüsk zurück weisen, da sie sich seiner Ansicht nach unnötig erregten. Wagt man den Versuch in Tacitus eine mögliche Quelle für Cassius Dio zu sehen, dann ließe sich dies, wenn überhaupt am Ehesten in den Schicksalsstunden am Vorabend der Schlacht ausmachen. Der Abend an dem Segestes nach Tacitus 1,55 (2) den letzten von mehreren Versuchen gestartet haben soll Varus die Augen vor der tatsächlichen Gefahr zu öffnen, nämlich vor den Arminius Cheruskern. Aber auf diesen Vorabend als das beschriebene Gastmahl statt fand und man danach die Waffen für den folgenden Tag an sich nahm, geht Cassius Dio mit keiner Silbe ein. Dies wäre dann nach Cassius Dio der entscheidende Zeitpunkt gewesen zudem Varus das penetrante Verhalten "aller" die ihn warnten schroff zurück gewiesen haben müsste. Diese von Cassius Dio geschilderte Episode jedoch an diesen Vorabend zu verlegen ist schlecht möglich. Denn am Vorabend des Abzuges gab es bereits niemanden mehr, der sich "grundlos oder unnötig" erregt hätte. Denn spätestens am Vorabend wusste jeder und natürlich auch Varus, dass man durch ein Krisengebiet ziehen würde was mit nicht kalkulierbaren Unabwägbarkeiten verbunden war. Zur Heftigkeit wie es Cassius Dio zum Ausdruck brachte müsste es demnach gekommen sein, als man im Hauptlager noch gar nichts vom Aufruhr wusste. Ein Zeitpunkt zudem sich Varus daher auch noch völlig sicher fühlen konnte, denn sonst hätte er die Warnungen nicht abgetan. Denn an diesem Vorabend erregte sich keiner mehr unnötig und aus allen Minen dürfte man eher Besorgnis heraus gelesen haben. Dio hatte also nicht die gleiche Quelle genutzt wie Tacitus und es ist auch nicht erkennbar, dass er in Teilen bei Tacitus abgeschrieben haben könnte. Somit lässt sich diese Überlegung nicht aufrecht erhalten. Hinweise auf Paterculus oder Florus als unmittelbare Quelle lassen sich nicht erkennen, obwohl seine Schilderungen mit ihnen kompatibel sind. Man geht also bis Cassius Dio davon aus, dass Varus wenn überhaupt, dann auch immer nur von Segestes gewarnt wurde. Da es aber wohl keine authentischere Quelle als die des Paterculus gab, der sozusagen noch seine Hand fasst am Puls von Segestes hatte, kann man daraus wohl schließen, dass sich Segestes immer nur persönlich als der "große Warner" verkaufte. Von anderen warnenden Stimmen war bei Paterculus, Tacitus oder Florus nichts zu lesen. Erst Cassius Dio bereitete dem Phantom Geschehen um Segestes ein Ende, indem er ihm eine unbedeutende Rolle im Konflikt zuwies und völlig ohne ihn auskam.(07.03.2021)

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Freitag, 26. Februar 2021
Publius Annius Florus - Das Absurde zwang ihn sich selbst zu widersprechen
Bevor dank Cassius Dio die mögliche Auflösung naht ist es nötig noch mal abschließend den Überlieferungen des Publius Annius Florus etwas auf den Zahn zu fühlen. Denn seine Worte sind, was Segestes anbelangt symptomatisch für das überkommene Wissen der Zeit und sie gleichen jenen der Historiker Paterculus und Tacitus. Was er uns über ihn sagte schrieb er im Original in Kapitel 2.30 Absatz (33 + 34) in lateinischer Schrift nieder. Es folgen nachstehend die drei gängigsten Übersetzungen.
Zu Beginn die Begründung von Florus für die Entscheidung von Varus den Umweg trotz der Warnung angetreten zu haben:

(33) 
( lateinischer Originaltext soweit wie überliefert)

"cum interim tanta erat Varo pacis fiducia, ut ne prodita quidem per Segesten unum principum coniuratione commoueretur".

Dazu drei Übersetzungen:

(33) 

"unterdessen war das Vertrauen des Varus in den Frieden so groß, dass er sich nicht einmal rührte, als ihm die Verschwörung durch Segestes, einen der Fürsten, aufgedeckt wurde".

(33)

"zwischenzeitlich war Varus so zuversichtlich, dass er selbst dann nicht beunruhigt war, als Segestes, einer der Häuptlinge, ihm die Verschwörung verriet".

(33)

"Varus vertraute indessen dem Frieden so fest, dass ihn selbst eine vorhergesagte und von Segestes, einem Fürsten, entdeckte Verschwörung nicht aus der Ruhe bringen konnte".

Daraus resultierend entwickelte sich nun das unvermeidbare Desaster, so wie Florus es beschrieb:

(34) 
( lateinischer Originaltext soweit wie überliefert)

"Itaque improuidum et nihil tale metuentem ex inprouiso adorti, cum ille - o securitas! - ad tribunal citaret, undique inuadunt; castra rapiuntur, tres legiones opprimuntur". 

Dazu drei Übersetzungen:

(34)

"Und als Varus unvorbereitet war und keine Angst vor so etwas hatte, erhoben sie sich in einem Moment, in dem er sie tatsächlich aufforderte, vor seinem Tribunal zu erscheinen, und griffen ihn von allen Seiten an. Sein Lager wurde besetzt und drei Legionen wurden überwältigt".

(34)

"Folglich griffen sie ihn, der nichts ahnte und so etwas nicht fürchtete, unvermutet losbrechend, von allen Seiten an, als er - welch eine Selbstsicherheit - zum Tribunal rief ; das Lager wurde geplündert, und drei Legionen wurden vernichtet". 

(34)

"Und so überfallen sie unerwartet den Unvorsichtigen und nichts der Art Befürchtenden. Gerade wie er, - o, diese Sicherheit - Leute vor Gericht laden lässt brechen sie unversehens von allen Seiten herein, nehmen das Lager im Sturm weg und machen drei Legionen nieder".

Die Szenerie wie sie Florus in Textstelle (33) beschreibt, spielte noch vor dem Abzug aus dem Sommerlager an der Weser. Sein Vertrauen und seine Zuversicht in den Frieden werden in diesen Stunden bei Varus groß geschrieben. Er stützte und verließ sich offensichtlich auf die cheruskische Unterstützung. Varus war in dieser Phase wie man annehmen darf im Begriff alle Vorbereitungen für den herbstlichen Rückzug in die oder das Winterlager am Rhein zu treffen. Ein Marsch bei dem man vorher noch einen abseitig gelegenen Landstrich durchqueren wollte, weil es dort laut Arminius zu Unruhen gekommen sein soll. Varus fühlte sich der Lage gewachsen und war sich der Situation völlig bewusst. Und er war sich sicher, dass er bevor er in das Aufrührergebiet ziehen würde alle dafür nötigen Maßnahmen ergriffen hatte. Eine Region in der er auf militärisch unklare Verhältnisse stoßen würde. Was sich ihm jedoch nicht in seiner Gesamtheit erschloss und was er nicht erwarten konnte war die Tatsache, dass es schon auf dem Hinzug zu den Rebellen zu einem Angriff auf den Marschzug kommen würde und nicht erst in deren Stammesgebiet. Das sich nach Lage der Dinge ein Feldherr auf eine militärische Auseinandersetzung vorzubereiten hatte ist ein normaler Vorgang der daher auch bei keinem Militärangehörigen eine erhöhte Beunruhigung auslöste. Das Varus dies mit seinem Rückzug zum Rhein verbinden wollte, erhöhte allerdings den logistischen Aufwand, dem er aber mit einer Marschzugaufteilung begegnete. Varus verstand also in diesem Moment nicht, warum er hier von Segestes darüber hinaus noch zu übermäßiger Vorsicht angehalten wurde. Die Sachlage war für Varus klar zumal sich Segestes ihm gegenüber nicht in Details verstieg und Hintergrundwissen über das ihm Bevorstehende missen ließ. Und so akzeptierte er auch nicht den aus seiner Sicht irrwitzig zu nennenden Vorschlag von Segestes die germanischen Häupter in Fesseln zu legen und verwarf ihn konsequenterweise. Hätte es ihn gegeben und Varus hätte so gehandelt, wäre es ein höchst aggressiver Akt gegen das führende Fürstenhaus gewesen und hätte zwangsläufig zu einem unerwünschten Bruch mit ihm geführt und das in einem denkbar ungünstigen Moment. Soweit aber nur die Darstellung, wie man sie sich aus der Sicht des Segestes gerne vorstellen möchte und wie er sie vermutlich im Jahre 17 + in Rom überzeugend vortrug. Das es dann anders kam, ist hinlänglich bekannt. Und auch Florus kam nicht umhin uns einen Unvorbereiteten zu beschreiben, der er aber nicht war. Und darin liegt der Disens. Denn Florus bringt zum Ausdruck, dass Varus nicht nur unvorbereitet war, sondern das er auch nichts ahnte und alles für ihn völlig unerwartet kam. Aber so konnte es bekanntermaßen nicht gewesen sein. Denn immer unter der Prämisse betrachtet, dass die Segestes Warnung statt fand, war Varus keineswegs unvorbereitet, weder nichtsahnend und es kam für ihn auch nicht völlig unerwartet. Denn er wusste bereits von Arminius, dass man einen Konflikt nicht völlig ausschließen konnte, gleich wo er statt fand, ob bei den Aufrührern oder vielleicht sogar schon früher. Florus musste anhand seiner Vorlagen davon ausgehen, dass Varus aus dem Munde des Segestes bekannt war, dass eine Verschwörung im Gange sei. Aber Varus könnte den von Arminius angekündigten Aufruhr bereits für die ihm von Segestes mitgeteilte Verschwörung gehalten haben. Auch wenn er seine Worte nicht ernst nahm, so war er doch definitiv weder unvorbereitet noch nichtsahnend. Warum konnte also Florus Varus so unvorbereitet erscheinen lassen, wo er es doch gar nicht war. Eine mögliche Erklärung läge darin, dass auch Florus wie alle anderen Historiker darum rang nach Begründungen dafür zu suchen, wie ein mehrfach Vorgewarnter dann doch sehenden Auges ins Verderben reiten konnte. Und erneut wird deutlich, Varus war nicht vorgewarnt zumindest nicht von Segestes. Es ist auch denkbar, dass Florus dem Versuch erlag, seine Quellen so interpretieren zu müssen, als ob Varus die Warnung von Segestes schon völlig vergessen oder verdrängt hatte, als die Germanen über sein Lager her fielen, in dem er es als einen völlig unerwarteten Vorfall beschrieb. Da also Varus zumindest von Arminius über die grundsätzliche Gefahr in Kenntnis gesetzt war, trifft die Florus Beschreibung "nichtsahnend" und "unerwartet" nicht zu. Und auch ein Aufruhr also eine Erhebung so wie es geschildert wurde war kein alltägliches Vorkommnis. Man könnte annehmen, dass Florus dafür keine andere Erklärung hatte, als nur zu vermuten für Varus käme alles plötzlich und unerwartet. Denn es wollte nicht zusammen passen, aber er wollte es passend machen. Hier die deutliche Warnung vor einer Verschwörung und einem Aufruhr und als es dann zum angekündigten Überfall kam, soll er völlig unvorbereitet gewesen sein. Man kann darin auch für einen kurzen Moment auf den Gedanken kommen, dass auch schon Florus an der Segestes Warnung so seine Zweifel hatte. Gab es sie, oder gab es sie nicht ? Was den wie angenommen nicht vorgewarnten Varus dann maximal überrascht haben wird und worüber er auch über alle Maße erstaunt gewesen sein dürfte, war dann höchstens die Tatsache, wie unerwartet heftig ihm die Germanen entgegen traten. Und das sich die abtrünnigen Cherusker im unmittelbarem Gefolge von Arminius dann auch noch zusätzlich gegen ihn erhoben, hatte ihm auch ein Segestes nicht angekündigt und ihm nicht "en detail" erläutert. So hätte Segestes Varus zum Beispiel auch auf die leicht zu durch schauende brisante Konstellation hinweisen können, in dem man ihn um Abstellungen zum Zwecke des Trossgeleit gebeten hatte mit dem Hintergedanken seine Kampfkraft zu schwächen. Segestes hätte ihm sagen können, dass dies schon Teil der Strategie vor der eigentlichen Schlacht war. Er hätte ihm auch sagen können, dass Arminius und seine Auxiliartruppen ihm dann nach dem Ausschalten dieser Abstellungen nach reiten würden, um ihm in den Rücken zu fallen. Er hätte ihn mit der Gefahrenlage konfrontieren können, dass man ihn nahe der Egge in eine Sackgasse ähnliche äußerst abwegige Region ohne sichere Wegeverbindungen lockte und das ihm dort kaum ein Ausweg blieb und ihm kein sicheres Lager mehr zur Verfügung stehen würde. Allesamt reichlich Material, denn Segestes verfügte über genügend Detailkenntnisse womit er seine Glaubwürdigkeit hätte bequem unterstreichen können, wenn er gewollt hätte. Aber er hat geschwiegen. Und Segestes hätte dieses Wissen auch nicht nur an Varus weiter geben, sondern es auch mit dem römischen Generalsstab teilen können ja sogar müssen, der schließlich aus drei verantwortungsvollen Legionskommandeuren und anderen Befehlshabern bestand. Denn auch zu ihnen dürfte er Zugang gehabt haben. Denn wenn ihm schon Varus kein Gehör schenkte, dann doch vielleicht seine militärischen Profis denen er sich hätte anvertrauen können. Erinnert sei an die Worte von Paterculus der da sagte, dass die Varuslegionen von allen die Tapfersten waren was ihre Zucht, Schlagkraft und Erfahrung anbelangt. Und solche Kommandanten sind nicht leicht zu überlisten und hätten schon erkannt und gut abgewogen, was ihnen da ein Segestes mitgeteilt hätte. Denn in vielen Kriegen waren sie unter allen römischen Truppen die Ersten und das wären sie nicht gewesen, wenn sie sich wie unreife Truppenführer verhalten hätten. Und diese als kriegserfahren beschriebenen Top Legionen sollen alle nichts von dem erfahren haben, was Segestes Varus geraten haben wollte. Seine unbewiesenen Prophezeiungen die sich als Verrat in die Geschichtsbücher eingeschlichen haben gingen letzlich in Erfüllung und das Resultat bekam den Namen Varusschlacht. Dem Inszenator Segestes dienten sie als guter Vorwand in schwieriger Lebenslage um nicht von den aufziehenden Germanicus Feldzügen betroffen zu werden. Für die römische Gesellschaft war es das gefundene Fressen und geeignet als unterhaltsame Vorlage mit hohem melodramatischen Wert. Tiberius hingegen nutzte es als Machtkalkül und es diente seinem guten Ruf. Denn als römischer Kaiser wollte er aufgrund der von ihm angeordneten Ausdünnung der Varuslegionen nicht als Mitschuldiger an der Niederlage in Erscheinung treten. Eine Tragödie die dank vieler Facetten auch reichlich Stoff für zukünftige Mythen und Legenden bot, worauf ich noch eingehen möchte. Von alledem unbeirrt nahm die Schlacht ihren Verlauf und selbst für den Fall, dass es die Warnung eines Segestes tatsächlich gegeben haben sollte, so hätte dies am späteren Hergang nichts geändert, denn Arminius war der Mann dem Rom vertraute und mehr noch, nämlich vertrauen musste. Es bedurfte auch keines Verrats von Segestes, denn den Aufruhr hatte Arminius dem Feldherr schon vorher auf seine Weise "verraten". Worunter man allerdings keinen Verrat versteht, sondern den wichtigen Hinweis eines befreundeten Germanenfürsten. Arminius hatte die Lage unmissverständlich geschildert und Varus glaubhaft machen können, sodass dieser es nicht mehr ignorieren konnte. Segestes hätte sich die Warnung, selbst wenn er gewollt hätte allerdings ersparen können, denn er wäre damit bei Varus auf taube Ohren gestoßen. Anekdotenhaft ließe sich noch anmerken, dass mangels nutzbarer schneller Kommunikationswege in die Krisenregion jegliche Fernaufklärung scheitern musste, womit sich die Schlacht noch hätte vermeiden lassen können. Nach allem was sich recherchieren lässt hatte Varus hatte also Pech im Unglück. Segestes nutzte die diffusen Umstände für seine Reputation, konnte alles unbesorgt in seinem Sinne auslegen und für sich aufhübschen. Dem Abschnitt 2.30 (33) bei Florus lässt sich also eigenartigerweise die gleiche Darstellung entnehmen, wie sie bereits von Paterculus und Tacitus als Rechtfertigung für das Verhalten von Varus dargelegt wurde und womit sich in Rom sein Untergang so vortrefflich begründen ließ. Eben jene skurrile Charakterbeschreibung des Versagers Varus wie sie für einen einerseits friedliebenden und als gutmütig beschriebenen Menschen hinterlegt ist, der dann aber zum brutalen Richter mutieren konnte, sich letztlich aber als militärisch unfähig erwies. Ein perfektes Melodram für eine neue Showbühne war geboren. Und darauf das derartiges in Rom nicht ausufern konnte achtete Kaiser Tiberius sogar höchst persönlich. Denn es ist überliefert, dass er sich auch schon mal gezwungen sah, so wie es 23 + geschah, das Theatervolk zu maßregeln, wenn es über die Stränge schlug. Allesamt Beschreibungen die in sich unschlüssig wirken und daher die Geschichtsforschung in die Sackgasse ewiger Ratlosigkeit führten. Aber wie schrieb Florus noch gleich. Sein Vertrauen in den Frieden war so groß und fest und er war so zuversichtlich und in keiner Weise beunruhigt. Varus muss sich also in der Tat nicht nur in seinem Sommerlager wie in einem völlig gefahrlosen Außenposten des Imperiums gefühlt haben, sondern hat auch die Risiken im Großraum an der Weser als völlig unproblematisch eingeschätzt, also unterschätzt. Hand aufs Herz, kann man natürlich die Frage aufwerfen, wer denn dieses alles in Rom später überhaupt so gut gewusst haben könnte. Aber man weiß letztlich von wenigen Überlebenden der Schlacht, die die Stimmung so wie sie sie damals erlebten wieder gegeben haben könnten. Aber auch noch ein Segestes könnte die Lage unabhängig von seiner ominösen Warnung in Rom in der Form geschildert haben. Die Warnung des Segestes immer als zutreffend voraus gesetzt, lässt sich aus den Überlieferungen des Florus nun folgendes Fazit ziehen. Varus war guter Dinge und er trat den Marsch zu den Aufrührer in der vollen Überzeugung an, es könne ihm keinerlei Gefahr drohen. Für Florus musste alles so erscheinen, als ob Varus trotz Vorwarnung wirklich völlig unvorbereitet war. Eine absurde Situation die Florus letztlich dazu zwang sich in seinen Darstellungen selbst zu widersprechen. Denn die Textstelle 33.) ist nicht kompatibel mit der Textstelle 34.). Denn wie konnte sich ein Varus um Himmelswillen sicher fühlen, obwohl er doch von der Warnung des Segestes gewusst hatte. Aber es gibt nur dann ein perfektes Konstrukt ab, wenn man aus Varus einen Totalversager machen möchte und das war er beileibe nicht. Was dann die Florus Darstellung eines Überraschungsangriff auf das Lager anbetrifft, als Varus zu Gericht rief, so griff er diesen Hinweis nicht aus der Luft, denn dazu verfügte er über Quellen und Informationen, die sich nahtlos in das Geschehen der Varusschlacht einbinden lassen. Kenntnisse, die im Gegensatz zu seinen Überlieferungen über Segestes wahrhaftiger Natur waren, da man diese nicht manipulieren brauchte, denn es wird kein Nutznießer erkennbar. Da aber der besagte Lagerüberfall auf die Person Segestes kein Bezug nimmt, soll darauf an anderer Stelle vertiefend eingegangen werden. Was aber die hinlänglich verbreitete, aber auf tönernen Füßen stehende "Großtat" des Segestes in Bezug auf seine Warnung anbelangt, die uns in den letzten Kapiteln auf Schritt und Tritt verfolgt hat, so erscheint nun doch endlich noch das lang ersehnte Licht der Aufklärung am Tunnelende. Und dieses Licht lässt auch die innere Ruhe und Gelassenheit besser verstehen, in der sich Varus vor dem Abzug wie in Friedenszeiten wähnte und es lässt sich vieles unter einem anderen Licht betrachten. Nämlich befreit von Verschwörungsabsichten und Reputationsbemühungen wie Segestes sie einst in Rom auftischte, gab es damals nur eine geschickt eingefädelte Täuschung und die gelang nur Arminius mit Unterstützung seines Vaters. Aber neben den schwer zu deutenden aber in puncto Segestes von Paterculus, Tacitus und Florus auch kaum glaubhaften Quellen haben wir noch den besagten Hoffnungsschimmer. Denn es existierte noch eine unverfälschte Version über die Begebenheiten an den Tagen vor dem Abzug aus dem Sommerlager. Es war Cassius Dio der es erst lange nach Florus zu Papier brachte. Und fortan spukt auch nun kein Segestes mehr durch das Varusereignis. Denn Dio beschert uns einen zweiten und was den Fall Segestes anbelangt, auch einen von seinen Vorgängern unabhängigen und nachvollziehbaren Erzählstrang und er öffnet damit die Tür zu besagter zweiter Quelle. Informationen die nur ihm vor lagen und die nur er auswerten konnte. Demnach müsste man ihn aus der Phase III entlassen, denn ihm steht eine eigene Kategorie zu. (26.02.2021)

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Samstag, 13. Februar 2021
Publius Annius Florus - Man sollte ihm mehr glauben schenken
Publius Annius Florus ist der letzte antike Historiker, der sich mit Varus aber auch Segestes befasst hat, bevor wir dank Cassius Dio rund 100 Jahre nach ihm den Verläufen am Vorabend der Schlacht näher zu kommen scheinen. Solange uns nicht Cassius Dio seinen Blickwinkel auf die Gestalt des Segestes vor Augen führt, solange erschien uns alles was sich über Segestes recherchieren ließ wie eine extrem unverdauliche historische Kost und solange waren wir gezwungen in Segestes den großen Heuchler und Vortäuscher seiner nie ergangenen Warnungen zu sehen. Aber auch Cassius Dio wird ihn nicht von diesem negativen Image befreien können, im Gegenteil, er weist ihm ohne seinen Namen zu nennen einen Platz im Geschehen zu wonach er eine noch unbedeutendere Rolle eingenommen haben dürfte, als die die ihm bislang im Zuge dieser Recherche zugefallen sein könnte. Um es anders auszudrücken, so wirkt er mit Hilfe von Cassius Dio sogar noch unscheinbarer als weithin angenommen. Dieser Sprung ins übernächste Kapitel dient dem besseren Verständnis. Denn das Wissen von Florus beruht immer noch auf dem Kenntnisstand, den vor ihm auch Paterculus und Tacitus hatten, während uns nach ihm Cassius Dio völlig neue Erkenntnisse über Segestes ermöglicht. Trotzdem darf Florus auf Segestes bezogen bei der Gesamtbewertung nicht außen vor gelassen werden. Was ihn interessant macht ist das Wissen darum, dass seine Reputation schon fasst ins Unseriöse abdriftet. So werden antike Dichter wie Florus es einer war, der noch dazu über ausgezeichnete rhetorische Fähigkeiten verfügte, es aber dennoch wagte, sich als Historiker zu betätigen von der Geschichtsforschung immer schon mit besonderem Argwohn betrachtet. Dadurch geriet seine Glaubwürdigkeit schon frühzeitig unter Generalverdacht. Aber auch aus anderen Gründen traute man ihm nicht so recht über den Weg, was wohl an dem subtilen Schriftwechsel lag, den er sich mit Kaiser Hadrian lieferte. Denn danach zu urteilen müsste der Dichter Florus, lebte er im heutigen München die Schwemme im Keller des Hofbräuhauses schon fasst als seine Zweitadresse angegeben haben. Aber erst richtig mit Skepsis überschüttet, wurde er durch seinen ungeklärten, weil aus dem Rahmen gefallenen Überfall der Germanen auf ein römisches Lager. Dieses und das folgende Kapitel soll sich aber mehr mit dem beschäftigen, was er über Segestes zu berichten hatte. Im Zusammenspiel mit den drei anderen historischen Protagonisten der Recherchephase III, Paterculus, Tacitus und Dio kommt es zwangsläufig wieder zu übergreifenden Betrachtungen. Grundsätzlich gilt aber auch hier die strittige Ausgangslage die da lautet, dass es nach allgemeiner Auffassung zu keiner Schlacht gekommen wäre, wenn Varus auf Segestes gehört hätte. Bevor Cassius Dio nicht mit seinem Bericht zur Klärung und fasst schon Auflösung der Dinge beiträgt, ist die Seele dieser Theorie die Annahme, dass Segestes den Feldherrn in keiner Weise vor einer Verschwörung gewarnt hatte. Infolgedessen trat nach der bisherigen Einschätzung Varus auch seinen Rückmarsch zum Rhein mit Abstecher durch die Siedlungsgebiete der Aufrührer an, ohne übermäßige Vorkehrungen getroffen zu haben. Trat also Segestes nicht in der überlieferten Verräterpose in Erscheinung so liest sich das, was sich in der Anfangsphase und noch im Sommerlager zutrug noch relativ friedvoll. Das nämlich ein Feldherr wie im tiefsten Frieden agierte und sich korrekt an die militärischen Regeln hielt. Ein souveräner Varus der mit keinen voluminösen Gefechten rechnen brauchte, bereitete sich auf den traditionellen Rückmarsch vor, der dieses Mal nur insofern von der Routine abwich, als dass man vorher noch die Wohngebiete eines vertraglich nicht an Rom gebundenen und aufwieglerischen Germanenstammes zu passieren hatte. Er verließ vielleicht letztmalig noch ein Sommerlager, dass möglicherweise schon in Bälde in ein festes Winterlager mit Standbesatzung umgewandelt werden sollte. Denn die nach Osten orientierte römische Siedlungspolitik griff immer weiter aus und Höxter war noch um 120 km weiter vom Rhein entfernt, als die Römerstadt Waldgirmes/Dorlar. Es war ein Lager im Übergang zur Provinzhauptstadt, dass bereits erste Konturen annahm. Eine Baustelle die in die Zukunft gerichtet war. Da uns außer den Cheruskern keine weiteren germanischen Vertragspartner überliefert sind, überwog in der Großregion ein Zustand von Vertragslosigkeit. Für Rom waren die Cherusker der ideale Partner. Die Treue mit der die germanischen Ritter zum Imperium standen und den Göttern in Köln dienten weckte den Wunsch auf festere Anbindung an die neuen Machthaber. Und auch die strategische Planung sprach für diesen Stamm. Letztlich beruhte alles auf der Geographie. Denn es waren die Cherusker, die den Korridor nach Osten und die wichtige Weserfurt kontrollierten. Rom schloss bekanntlich keine Sympathieverträge. Was für Varus den Rückmarsch zum Rhein prekär machte, waren einzig nur die Unruhen die Arminius dem Feldherrn geschildert hatte. Aber darauf war er vorbereitet und dafür hatte Arminius ihm seine Unterstützung zugesagt. Nur diese Gefahrenlage kannte er und sie dachte er unter Kontrolle zu haben. Von einer anderen und größeren wusste er nichts. Eine konspirative Organisationsleistung auf deren Basis die Germanen leichtes Spiel haben sollten und wodurch sie dem Gegner ihre Schlachtsystematik aufzwingen konnten. Was die vermeintliche Warnung des Segestes anbetraf vor allem aber das, was man in Rom daraus machte so weiß man, dass schon vor 2000 Jahren der Palatin eine Hochburg von Heimtücke und Verrat war und der Mord an Cäsar war nur ein Höhepunkt von vielen. Alle denkbaren Ränkespiele vom Komplott über die Verbannung bis zum Giftmord oder erzwungenem Klippensprung standen auf der Tagesordnung und hinter den Kulissen schien alles erlaubt gewesen zu sein, was der Macht diente. Wir tun also gut daran, wenn wir alle Berichte der antiken Historiker eines kritischen Blickes unterziehen und mit Vorbehalt genießen, denn auch schon damals wurden gute Gelegenheiten genutzt um aus jeder noch so dramatischen Entwicklung auch Vorteile zum eigenen Nutzen ziehen zu können. Und das trifft auch auf das zu, was uns die antiken Historiker über Segestes hinterließen. Und selbst bei Arminius können wir uns nicht sicher sein, ob nicht auch sein Verhalten von einer unbekannten Triebfeder gesteuert war hinter der sich handfeste persönliche Interessen verborgen haben könnten. Hinweise die den Verdacht hinreichend stützen, es könnte auch durch Segestes selbst oder in seinem Umfeld ähnlich unlauter zugegangen sein summierten sich im Zuge der Recherche. Sie lassen die Vermutung eines prähistorischen Politikums aufkommen, oder nähren zumindest den Verdacht einer beabsichtigten Täuschung. Und ausgerechnet Paterculus war es, der es seiner Darstellung nach zu urteilen eigentlich besser hätte wissen müssen. Denn von ihm stammt eine genauso aufschlussreiche wie erschreckende Charakterbeschreibung über das Wesen der Germanen. So schrieb er um das Jahr 30 + im Abschnitt 118.(1), dass die Germanen und was kaum jemand glaubt, der es nicht selbst erlebt hat ein Menschenschlag wären, der bei aller Wildheit sehr schlau ist. Seine Überlieferung gipfelte in den Worten, dass sie schon wie zum Lügen geboren wurden, also als Lügner zur Welt kamen. Eine derart heftige Anschuldigung die er hier vor rund 2000 Jahren pauschal, also alle Germanen betreffend in die Welt setzte, lässt viel Verärgerung und Misstrauen gegenüber diesem Volk erkennen, worüber man nur staunen kann. Offensichtlich hatte er einige schlechte Erfahrungen mit ihnen machen müssen. Er schrieb es allen Germanen ins Stammbuch, schockierte damit aber vor allem seine römische Leserschaft und beeinflusste somit ganze Generationen nach ihm. So wie es durch die Härte seiner Worte zum Ausdruck kam, tat er es mit voller Absicht. Seine Zeitgenossen und die Personen, die später seine Zeilen lasen waren sich fortan in ihrer Denkweise sicher und durch ihn geprägt, dass nördlich der Alpen nur Menschen lebten, auf die kein Verlass ist. Lügner, Verräter und Vertragsbrecher. Da seine Darstellung im Kontext mit Varus und seinem Richteramt fiel, dachte er dabei wohl an jene Germanen die sich besonders viel Mühe damit gaben, Varus mit vorgetäuschten Konflikten vorzuführen und der Lächerlichkeit preis zu geben. Ein Hinweis der verdeutlicht wie man sich damals mit den gegebenen Verhältnissen arrangierte in dem man es verstand sich sogar in Germanenkreisen zu belustigen. Eine Mischung aus verbittertem Galgenhumor und stillem Überlegenheitsgefühl. Aber auch ein unerwartetes Zeugnis frühgeschichtlicher Witzigkeit, das da an unvermuteter Stelle durch die Zeitgeschichte weht. Man diskreditierte damit den überlegenen Eindringling, redete ihn sich klein, stärkte sich die Moral und kaschierte den eigenen Ohnmachtszustand, der sich dadurch besser ertragen ließ. Eine Methode die auch den Rheinländern dabei half die napoleonische Besatzungszeit zu überstehen und somit ein „deutlicher Hinweis“ darauf, dass der Kölner Karneval seine Geburtsstunde an der Weser erlebte. Diese Information wirft aber auch noch die Frage auf, wie alles damals zusammen gepasst haben soll. Denn einerseits machte man Varus seine drakonischen Urteile über die Germanen zum Vorwurf, andererseits aber schien es ein verbreitetes Amüsement gewesen zu sein, dass schon fasst zur Volksbelustigung ausartete und nach Jahrmarkttreiben klingt. Varus die Zwistigkeiten nur vorzugaukeln schien in diesen Tagen der Brüller gewesen zu sein. Dieser Dissens lässt sich nicht ausräumen und ermöglicht viel Spielraum in der Bewertung der wahren Geschehnisse an der Weser, zumindest könnte man den Eindruck gewinnen, Varus war nicht so schlimm wie man ihn machte und die Germanen hatten ihn quasi unter Kontrolle. Gerade zu so, als ob sie auf diese Weise seine Handlungen schon indirekt mit bestimmten. Anders ausgedrückt man war schon erfolgreich damit beschäftigt sich ihn um den Finger zu wickeln. Eine reife Manipulationsleistung unserer Altvorderen. Er war zwar „ne janz fiese möpp“, aber man wusste um seine Schwachstellen. Aber mit dieser negativen und extremen Einschätzung des Paterculus über das Volk der Germanen, teilte er in etwa auch jene von Varus selbst, der in ihnen auch nur Gestalten sah, die nur was ihre Stimme und ihren Körperbau anbelangte mit Menschen vergleichbar sind. Er sie also fatalerweise nicht ernst nahm. Darin schienen sich Varus und Paterculus die beiden Zeitgenossen wieder einig gewesen zu sein. Aber mit der Kenntnis über die scheinheilig vorgetragenen und improvisierten Streitfälle, bewies auch Paterculus schon ein recht ordentliches Insiderwissen über das, was sich in den Wochen vor jener denkwürdigen Schlacht ereignete. Eine Stimmungslage die sich hoch kochte, den Widerstandswillen schürte und die Pläne reifen ließ die zur Eskalation führten. Aber wir rätseln zu recht weiter woher er dieses Wissen gehabt haben könnte. Denn mit dieser Darstellung betrieb Paterculus indirekt seine eigenen Ursachenforschungen und erkannte auch darin schon die Gründe und Erklärungen die dem Elend voraus gingen. Paterculus, dem diese Umstände bekannt waren und der sie gerne erwähnte, da sich damit erneut Varus sein vermeintlicher Gegenspieler in Misskredit bringen ließ. Wenn er sich die germanischen Streiche nicht selbst aus den Fingern gesogen hatte, musste er folglich mit Personen gesprochen, oder es von anderer Seite erfahren haben, dass es sich in etwa so oder ähnlich schalkenhaft am Sommersitz des Statthalters an der Weser zugetragen haben soll. Aber auch bei ihm ähnlich wie bei Tacitus riss trotzdem der Faden in dem Moment abrupt ab, wo es an den eigentlichen Schlachtverlauf ging. Denn darüber konnten oder wollten beide nichts berichten. Erst dem schillernden Bonvivant und Kneipengänger Florus verdanken wir den ersten belastbaren Hinweis darüber, was sich 9 + in den Sümpfen und Mooren Ostwestfalens im Verlauf der Varusschlacht Blutiges tat. Aber man erkennt auch hier wieder, dass es Paterculus nutzte um erneut gegen Varus nachtreten zu können indem er dieses peinliche Vorspiel am Hof des Statthalters für seine Annalen verwendete. Wieder stellt er klar, welch leutseligen Versager man da zum Statthalter in Germanien ernannt hatte und ihn, den erfahrenen und fähigeren Diplomaten und Militaristen ausbootete, da er anders als Varus keine Verwandtschaft zum Kaiserhaus vorweisen konnte. Sein Wissensstand klingt jedoch nicht danach, als dass ihn diese Informationen über römische Zungen erreichten. Denn dann sollte man annehmen, dass auch Varus schon frühzeitig das hinterlistige Gebaren der Germanen hätte durchschauen müssen. Vielleicht stammte dieses Wissen auch aus Begleitprotokollen der Gespräche mit Segestes, die nur Paterculus vorlagen. Aber eines gelang Paterculus mit dieser Darstellung vortrefflich. Er blieb sich seiner Linie treu in dem er zum einen die abtrünnigen Germanen verurteilte und zum anderen erneut Varus seine infantile Vertrauensseligkeit zum Vorwurf machen konnte. Verhaltensmuster wie sie eines römischen Feldherrn unwürdig waren. Diese überzeugende Darlegung über das niederträchtige Wesen aller Germanen hielt ihn dann jedoch nicht davon ab, eine Person von seinen bitteren Vorurteilen über die Schlechtigkeit der Germanen gänzlich auszunehmen. Es war eine der beeindruckensten Figuren der deutschen Frühgeschichte, nämlich Segestes. Ihm schenkte er uneingeschränkt Glauben und ihn machte er über jeden Zweifel erhaben. Es gab ihn also doch noch den guten Germanen, der nicht schon als Lügner geboren wurde, wenn er nur ins Konzept passte. Oder doch nicht ? Und so stand die Glaubwürdigkeit von Segestes auf hoher politischer Ebene außer Frage und niemand wagte sich Verdacht zu äußern, er könne Unwahres gesprochen haben. Und dazu gehörte all das was von ihm überliefert wurde und auch das, was die einen Verrat und die anderen eine Warnung nannten. Segestes genoss also das volle Vertrauen der römischen Oberschicht und damit aller Staatsorgane einschließlich des Kaisers. Und einem Germanen gegenüber, der sich noch dazu freiwillig in eine unmittelbare Abhängigkeit begeben hatte, dadurch in Gänze manipulierbar wurde und am seidenen Faden ihres guten Willens hing, soviel Zuverlässigkeit auszusprechen, klingt schon recht merkwürdig und für diese Zeiten nahezu naiv. Stellt man zwischen der nieder schmetternden Aussage von Paterculus in die er alle Germanen einbezog einen Bezug zum Ausnahmefall Segestes her, dann darf man sich auch die Frage stellen, warum dieser Widerspruch von der Forschung bislang so unkommentiert hingenommen wurde. Aber selbst wenn es Anhaltspunkte oder gar belastbare Beweise gegen Segestes, also auch Gegenzeugen zu seinen Äußerungen gegeben hätte, woher auch immer sie hätten kommen sollen. So wäre es auch dann nie zu einem Prozess gegen ihn wegen Falschaussage vor dem palatinischen Tribunal gekommen, da man auf Segestes als Kronzeugen nicht verzichten wollte und ihn nicht nur brauchte, sondern je nach Lesart auch missbrauchte. Auf Paterculus der in diesem Fall knapp an der Glaubwürdigkeit vorbei schrammte, folgte Tacitus und nun ist Florus, der sich ebenfalls über Segestes äußerte am Zug. Florus gilt unter allen Vieren wie bereits dargelegt, als der unzuverlässige Kandidat im Reigen der antiken Historiker, obwohl er erstaunliches an Wissen über die Varusschlacht beisteuern konnte. Wer ihn wegen seiner Abweichungen zur landläufigen Grundannahme bzgl. eines nicht plausibel genug erscheinenden und daher unpassenden Lagerüberfalles demontieren möchte, der machte es sich schon immer zu leicht mit ihm. Denn der bevorzugte es, dass Gegensätzliche in seinen Überlieferungen aufzuspüren und über zu betonen und weniger nach dem zu suchen, was sich an Verbindendem und Kompatiblem finden lässt. Der verwirft grundlegend die Theorie des Lagerüberfalls, obwohl es ihn gab. Der vertritt auch den Standpunkt, dass es sich in eindeutiger Weise bei dem überfallenen römischen Gerichtslager nur um ein exzellent zu verteidigendes und nahezu uneinnehmbares mit Türmen bewehrtes Dreilegionenlager gehandelt haben kann und muss. Und der übersieht daher auch schnell, dass die Gerichtsverhandlung nicht im Hauptlager statt gefunden haben kann, sondern naheliegender Weise nur bei dem als aufrührerisch geschilderten Stamm anberaumt werden konnte. Und der stellt auch die bautechnischen Leistungen in Abrede, von denen uns Florus berichtete und die bereits unter Drusus, also schon vor 9 – angegangen wurden. Militärische Lager die angezweifelt werden, da sich manche von ihnen an Maas und Rhein, aber insbesondere an Weser und Elbe noch nicht nachweisen ließen. Der zweifelt auch seine Bemerkung an, dass Kaiser Augustus sich zum Ziel gesetzt hatte Germanien zu besiegen und zur Provinz zu machen. Und der ignoriert auch seine Überlieferung, wonach ein blutverschmierter Legionär mit der Standarte am Wehrgehänge entkommen konnte. Aber sein Hinweis darauf, dass Segestes die Verschwörung dem Feldherrn Varus verriet, der sie aber abtat wird hingegen wieder von aller Welt voll akzeptiert und trifft erstaunlicherweise auch auf uneingeschränkte Glaubwürdigkeit seiner Kritiker. Unstrittig und über jeden Zweifel erhaben ist diese Überlieferung von Florus bezogen auf Segestes wohl deshalb, weil es vor ihm schon zwei so namhafte Größen wie Paterculus und Tacitus genauso oder ähnlich berichteten, während ihm für seine anderen Überlieferungen leider die Gewährsleute fehlten und sich keine Historiker finden lassen, bei denen er hätte abschreiben können. Somit steht sein Wissensstand auf dem Niveau und vielleicht sogar über dem der anderen, die auch alle in Varus den unbelehrbaren Feldherrn erkannten und man ließ seine Worte über Segestes unangetastet und als glaubhaft durchgehen. Ein Fingerzeig dahin gehend, dass Florus zumindest in diesem Fall die gleiche Quelle genutzt haben könnte wie Tacitus, oder gar in ihm eine direkte Quelle hatte wie auch angenommen wird, er also letztlich ganz profan nur bei ihm abschrieb. Da aber Florus von einem Lagerüberfall wusste und berichtete, von dem wir bei Tacitus nichts lesen können kannte Florus möglicherweise in Teilen das, was auch Paterculus überlieferte. Denn Paterculus war der erste Historiker der wie Florus auch, über einen Lagerüberfall schrieb. Genau genommen wusste Paterculus sogar noch mehr, nämlich von zwei Lagerüberfällen, während Florus nur von dem einen Überfall auf das Gerichtslager wusste. Denn Paterculus überlieferte, dass sich der Römer Eggius der Lagerkommandant des wohl viel zitierten „Prima Vari Castra“ beherzt zur Wehr gesetzt hatte, was er hingegen über Ceionius dem Lagerkommandanten des vermeintlich zu nennenden „Secundus Vari Castra“, also dem letzten Notlager von Varus verständlicherweise nicht sagen konnte. Aber die Übereinstimmung der Florus Überlieferung was die Warnung von Segestes anbetrifft, sowohl auf der Basis des Textes von Paterculus und im Grundsätzlichen auch auf der von Tacitus unterstreichen die absolute Glaubwürdigkeit von Florus, zumindest was den damaligen Wissenstand vor Cassius Dio anbelangt. Abstriche müssen bei Florus, wie übrigens bei allen antiken Historiker immer an den Stellen gemacht werden, wo sie mangels Plausibilität gezwungen waren eigene Visionen einfließen zu lassen, da sich dem ihnen vorliegenden Stoff zu wenig Hergang und Aktivität entlocken ließ. Und auch bei Florus wird erkennbar, wie bedeutsam sich doch die theatralische Tat von Segestes von allem abhob und in die ewige Geschichte ein ging, obwohl man sie wie dargestellt in Abrede stellen darf. Denn auch bei Florus fand sie Eingang in seine, wenn auch nur sehr mageren Worte, die er für die Varusschlacht übrig hatte. Aber gerade dieses Wenige macht seinen Hinweis auf Segestes um so wertvoller und interessanter. Und der gleiche Grund der auch seine knappe Darstellung erklärt gilt auch für die gesamte antike Historikerschafft die über Varus schrieb und lässt sich gut nachvollziehen. Denn das Wissen zum Verlauf und zu den Details der Varusschlacht war in Rom mangels Zeitzeugen derart minimal, lückenhaft, darüber hinaus zusammenhanglos und Bestand aus so vielen Ungereimtheiten und Bruchstücken, dass jede Information, woher sie auch immer kam und wie aussagekräftig sie auch gewesen sein mag, von jedem antiken Geschichtsschreiber dankbar aufgegriffen und manchmal auch etwas eigensinnig interpretiert wurde. Was aber nicht abwertend gemeint sein soll, denn man kann sicherlich allen zubilligen, dass sie sich grundsätzlich bemühten der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Letztlich verwundert es auch nicht, denn angesichts der wenigen Überlebenden hatten sie keine andere Wahl, als sich auch etwas in die Grauzonen hervor wagen zu müssen. Aber bei allen ist immer noch das starke Bedürfnis erkennbar, der Nachwelt Zeugnis dieser großen Tragödie hinterlassen zu wollen. Aber wie spitzen sich seine Quellen auf Segestes bezogen zu, bzw. auf welche Historiker soll oder könnte er sich nach Ansicht der Forschung bezogen haben. Genannt werden Titus Livius, Sallust, Lucan, Seneca der Ältere aber auch Tacitus. Ob Florus auf Seneca den Älteren zurück greifen konnte ist fraglich, denn der äußerte sich nur einmal kurz über das Schicksal jener gut betuchten Römer die die Varusschlacht zwar überlebten, aber ihren sozialen Stand danach nicht mehr halten konnten und armselig endeten. Seneca äußerte sich über Segestes zwar selbst nicht, Florus hätte aber von den Davongekommenen über Seneca das eine oder andere vom Verlauf der Schlacht erfahren haben können. Bittere Wahrheiten die durch Florus auf diesem Weg erst lange Jahre nach der Schlacht den Weg an die Öffentlichkeit fanden. Titus Livius verstarb schon um 17 + und sein Werk reichte nur bis 9 -. Ob ihn trotzdem noch Informationen von ihm über Segestes im Zusammenhang mit dem Triumphzug im Jahr seines Todes erreichten, ist in Zweifel zu ziehen. Aus den Überlieferungen von Lukan ist nicht ersichtlich, ob er sich überhaupt jemals über das Thema Varusschlacht ausgelassen hat. Er wurde nur 26 Jahre alt und viel Zeit blieb ihm wohl auch nicht um Florus Material hinterlassen zu haben. Da aber auch der später schreibende Historiker Cassius Dio wie Paterculus über einen Lagerüberfall berichten konnte, wie er sich im Zuge der Mehrtagesschlacht ereignete, muss auch Florus über Quellen verfügt haben aus denen sich dieses ableiten bzw. erschließen ließ und Seneca könnte dazu seinen Beitrag geleistet haben. Dio schrieb über heftige Kämpfe die sich nur am zweiten Marschtag nach dem Abzug aus dem vermutlichen Brakeler Quartier zugetragen haben können, als auch am Folgetag dem dritten Marschtag, als man das angenommene „Prima Vari Castra“ verließ. Das vermeintliche Gerichtslager in dem Varus beabsichtigte seine Schlichtungsbemühungen zum Erfolg zu führen. In der Zusammenfassung lässt sich was Segestes anbetrifft fest halten, dass auch Florus dem Wissenstand der Zeit treu blieb in dem letztlich auch seine Zeilen nur auf dem basierten, was Segestes nach seinem Eintreffen in Rom an Erklärungen für sein Verhalten abgab. Florus kann uns also in der Summe auch nicht mehr berichten als das, was uns Paterculus und Tacitus auch überlieferten, dass nämlich Segestes Varus gewarnt haben soll. Aber was lässt sich unter Zuhilfenahme der Übersetzung den Worten von Florus über Segestes entnehmen. Denn auch wenn Varus wie Florus schreibt unvorbereitet war und er nichts befürchtete, so kommt auch bei ihm unstrittig zum Ausdruck, dass Varus von Segestes vorgewarnt war. Wie Varus dann mit dieser halbherzig vorgetragenen Warnung umging oder wie er das Wissen später nutzte bleibt auch bei Florus offen. Genauso wie niemand weiß, wie sich Varus im späteren Kampfgeschehen verhielt, aufführte oder gar bewährte. Denn wer war dabei wie Varus möglicherweise gegen viele anderslautende Annahmen verbissen und mit aller Kraft versuchte die plötzlich aufgetretene militärische Lage unter Kontrolle zu bringen. Wie er seine Generäle anspornte und seine Männer antrieb das Lager bis zuletzt zu verteidigen. Wer wollte denn in Rom das Gegenteil davon behaupten. Beliebt war wohl eher die Vorstellung, dass sich Varus am ganzen Körper zitternd, gleich in den ersten Kampfstunden schon geschützt von seiner Leibwache in seine bequeme Karosse zurück zog und ängstliche Blicke umher warf. Aber dafür fanden sich keine Zeugen mehr, also rätselte man und die Suche nach dem Schuldigen dauerte nicht lange. Alles bleibt aber nur deswegen rätselhaft, weil es sich aus der vermeintlich zu nennenden Tatsache erschließt, Varus wäre im Detail gewarnt worden, dem ich widersprechen möchte. Die Anderslautende, also auch die historisch begründbare Gegenthese dazu geht davon aus, dass Varus so himmelschreiend unvernünftig, selbstsicher bis zur Hochnäsigkeit und Arroganz bei gleichzeitig sträflicher Vernachlässigung aller milititärisch gebotenen Vorsichtsmassregeln dem falschen Flügel des Cheruskerclans das volle Vertrauen schenkte und wohl wissend um die ihm bevorstehende Gefahr keine zusätzlichen vorkehrenden Maßnahmen ergriff. Eine Annahme die uns die Geschichtsschreibung und ihre Impulsgeber aus alten Zeiten so verkaufen besser gesagt ein suggerieren möchten, die aber gegen jede Vernunft eines Vorgewarnten spricht und selbst einem Varus schwerlich zu unterstellen ist. Zwei Theorien die sich trotzdem gegenüber stehen. Wovon aber die eine außer acht lässt, dass Varus auch nicht völlig wehrlos zu den Aufrührern zog. Nämlich in eine Region in der man einen feindlichen Akt nicht ausschließen konnte und nicht schon auf dem Weg dahin damit rechnete. Immerhin befehligte er eine schlagkräftige Armee die ihm Sicherheit für seinen Gerichtstag versprach. Er konnte es sich also sowohl erlauben die Segestes Worte, wenn es sie denn gab, in den Wind zu schlagen, als auch ungewarnt den Marsch zu den Aufrührern anzutreten. Ob mit oder ohne vorherige Warnung, keine von beiden Theorien hätte seine Entscheidung zu den Rebellen zu marschieren noch umstoßen können. Sein mögliches Motto: „Mit ihnen würde er schon fertig werden“. Segestes dürfte oder sollte, selbst wenn er gewollt hätte erkannt haben, dass eine Warnung überflüssig war, denn Varus wäre in jedem Fall zu den Rebellen aufgebrochen. Die Zeit, dass sich Varus da noch in letzter Minute herein reden ließ war verstrichen wie es auch Paterculus schrieb. Insofern konnte Segestes, selbst wenn er die Absicht gehabt haben sollte Varus zu warnen, sich dieses ersparen. Ein weiteres Argument, was dafür spräche, dass Segestes schwieg. Aber was hätte Varus anderes tun können wenn er nicht, wie es ihm angeblich Segestes empfahl die cheruskische Elite in Ketten legen wollte. Gab es noch einen dritten Weg ? Hierzu Analysen anzustellen ist nicht möglich, da sich auf erdachten Handlungen keine Argumente sei es für das eine oder das andere aufbauen lassen. (13.02.2021)

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