Freitag, 16. August 2019
Wer war der erste Historiograph der über die Varusschlacht berichtete
Es kommt einem historischen Suchspiel gleich zu versuchen der Frage nach zu gehen, auf welchen verschlungenen Pfaden die ersten Nachrichten aus dem Nethegau, also dem nassen, unteren oder niederen Gau zwischen Weser und Egge, den ersten lateinischen Historiker den ich suche erreichten, um ihn identifizieren zu können. Gaius Julius Hyginus der ehemalige Sklave in Diensten des Kaisers ist nicht der gesuchte Historiograph. Er war kein frei Schaffender, sondern ein besoldeter Bibliothekar, ein Angestellter, also ein Staats - bzw. ein Senatsbeamter und in ihm sehe ich eher ein Bindeglied zwischen den ersten Nachrichten die aus Germanien eintrafen und den frühen Historikern. Und das noch lange bevor Segestes sein Wissen über die Varusschlacht beisteuerte. Es gibt zwei Kandidaten dafür, aber nur einem von ihnen steht die literarische Urheberschaft zu an der Spitze jener zu stehen, die uns erstmals etwas zur Varusschlacht zu sagen hatten. Dieses waren wie uns überliefert ist, der Dichter Publius Ovidius Naso, eingekürzt Ovid genannt und der Astronom Marcus Manilius. Wenn auch letzlich sowohl die Quellen des Ovid als auch die des Manilius äußerst spärlich ausfielen, so kann man sie doch noch recht taufrisch der Anfangsphase zuordnen. Ich möchte mich mit beiden Personen beschäftigen, der Frage nachgehen was sie zum Thema „Varusschlacht“ beitragen könnten und die Unterschiede zwischen ihnen heraus stellen. Aber nicht nur allein um zu wissen, welchem von beiden Personen dieser erste Platz gebührt, sondern auch um heraus zu finden, wer uns von ihnen in Sachen Varusschlachtforschung und auf der Suche nach den Hintergründen die größten Dienste erweisen kann. So möchte ich mich zunächst langsam der Person des Dichters nähern, der aus meiner Sicht unbestritten der Favorit ist und dem das Privileg zu steht das historische Tor zur Varusschlacht als erster Literat mit historischen Ambitionen geöffnet zu haben. Aber bis wir so weit sind müssen wir uns zuerst nochmal tief zurück in die dunklen Geschehnisse um die Stunde „Null“ begeben. Was ging in Ostwestfalen im Herbst des Jahres 9 + vor sich, in einer Region in der erst seit kurzem die Waffen schwiegen und wo sich der Pulverdampf langsam verzogen hatte, wenn es ihn denn schon gegeben hätte. Eigentlich für die Zeit etwas völlig Banales was uns da erschaudern lässt. Menschen irrten verstört umher. Gingen von ihren Siedlungen zu den Schlachtfeldern trugen Gegenstände, beluden Karren, suchten in Gebüschen, stocherten im Schlachtengerümpel, fanden Brauchbares oder blickten einfach nur stumm zu Boden und erkannten tote blutverschmierte Verwandte oder Bekannte. Im Bereich der einstigen Kampfstätten in Wäldern oder Sümpfen roch die Luft noch nach dem verwesendem Fleisch toter Reit- oder Lastpferde. Über Tage entdeckten es die Aasvögeln und in den Nächten wurden die Reste von den Raubsäugern vertilgt, wenn diese sich aus ihren Verstecken trauten. Da man bekanntlich erst viele Jahre später die Knochen beisetzte muss auch menschlicher Verwesungsgestank hinzu gekommen sein. Sollten die Cherusker hinsichtlich ihrer Bestattungsriten von den Menschen der Jastorf – Kultur abstammen, so praktizierten sie ausschließlich die Verbrennung und die anschließende Urnenbeisetzung, sodass über allem auch noch der Geruch verbrannten Menschenfleisches lag. Der Bevölkerung stand in dieser Zeit nicht der Sinn nach Völker übergreifendem Nachrichtenaustausch und wer nach dem Schlachten auf germanischer Seite noch Kraft hatte und Willens war, der zog nach Aliso oder Anreppen und belagerte es. In Rheinnähe hatte man andere Sorgen. An der nunmehr plötzlich über Nacht entstandenen neuen römischen Reichsgrenze hatte man die Wachen auf den Türmen und Wällen verstärkt. Die Legionäre starrten rund um die Uhr übermüdet durch den herbstlichen Nebel auf die germanische Rheinseite und achteten auf alle Bewegungen. Der Stromverlauf des Rheins war nun deckungsgleich mit der neuen Grenze. Zutreffender wäre es wohl im Rhein in dieser Phase eine provisorische und natürliche Auffanglinie zu sehen. An der Egge waren die Menschen nach der Schlacht bemüht ein noch nie dagewesenes Ereignis bewältigen zu müssen. Dafür reichte ihr begrenztes Vorstellungsvermögen nicht mehr aus. Im fernen Rom wusste von alledem aus Ostwestfalen weder Kaiser noch Bibliothekar, noch Chronist etwas und man dachte noch freudig an den mühsam erkämpften Sieg der Legionen in Pannonien und Dalmatien. Aber die Überbringer der Schreckensnachricht saßen schon im Sattel. Ich möchte versuchen den Informationsablauf bzw. seinen Verlauf von den unmittelbaren Örtlichkeiten der Varusschlacht nach ihrem Ende bis zum ersten greifbaren Chronisten des Imperiums aufzuspüren um ihn dann Baustein artig rekonstruieren zu können. Der römische Senator Lucius Nonius Asprenas operierte mit seinen zwei Legionen zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung weit westlich im sicheren Abstand zum Schlachtgeschehen. So erreichte er unbeschadet und mit heiler Haut das Standlager bei Xanten. Er traf nun alle Schutzvorkehrungen und wies die Bereitschaftsstaffel der Meldereiter an, unverzüglich den Kaiser über das Desaster zu informieren. Dies war nun seine Aufgabe und erste Pflicht der er nach zu kommen hatte. Ein Befehl, den zu erteilen zweifellos nur einer hohen Person wie ihm an vorderster Position und nunmehr an der unmittelbaren Front zustand. Würden wir an diesem Punkt eine Zeitrechnung aufmachen und uns an einer Zurückrechnung von jenem 6. Oktober 0009 an versuchen, den uns der römische Schriftsteller und Verwaltungsbeamter Gaius Suetonius Tranquillus, der erst um 70 + zur Welt kam, als Datum für den berühmt gewordenen „Augustus Aufschrei“ hinterließ, würden wir sicherlich zu waghalsigen mathematischen Ergebnissen gelangen. Ich möchte es trotzdem einmal riskieren die damalige Lage zeitlich zu erfassen. Am 24.9.0009 einen Tag nach dem man an der Weser den Geburtstag des Kaisers gefeiert hatte, rückten die Legionen durch das Westtor des Sommerlagers in Richtung Lippe aus. Am Tag darauf, dem 25.09.0009 verließen Varus und seine Männer, alle noch unbeschadet das erste Marschlager bei Brakel nahe der Nethe. Am Folgetag, dem 26.09.0009 räumten die Legionen schwer ramponiert nach dem ersten Kampftag das halbfertige Gerichtslager. Und am 27.09.0009 machte sich die Rumpfmannschaft auf, ihr letztes Notlager noch vor dem Teutoburgiensi Saltu zu verlassen um durch die Eggeschlucht zu entkommen. Die Vala Kavallerie sabotierte bereits am 26.09.0009 oder 27.09.0009 und überließ die Legionen ihrem Schicksal. Etwa am 27.09.0009 traf die zurück strömende Kavallerie auf Asprenas, der von ihnen informiert wurde. Sodass sich folglich am 28.09.0009 frühestens die Meldereiter in Xanten auf den Weg ins etwa 1180 Kilometer Luftlinie entfernt gelegene Rom aufgemacht haben könnten. Spätestens im Verlauf des 6. Oktobers 0009, dem Tag der Verkündung der Niederlage durch Kaiser Augustus müsste der letzte reitende Bote in Rom eingetroffen sein. Demnach hätte die Reiterkette für diese 1180 Kilometer Wegstrecke insgesamt etwa 8 Tage und 8 Nächte benötigt. Das wäre in Anbetracht der Alpenüberquerung in der Tat eine beachtliche und respektable Zeit gewesen. Bei guten Wetterbedingungen, einem tauglichen Wegenetz, intakten Flussbrücken, einem schnellen Pferdewechsel, aber auch bei gut durch organisierter Vorabinformation mittels Fackeln bei Nacht und Rauchzeichen am Tage, ist es aber machbar. Bei veränderten Grundannahmen ließen sich zweifellos zusätzliche Tage errechnen und man hätte noch Luft nach oben. Basierend auf unserem Wissenstand, dass der Kopf des ermordeten Maximus Thrax von Aquileia bis nach Rom, was etwa einer Luftlinie von 500 Kilometern entspricht, bei ständigem Pferdewechsel in 4 Tagen bewältigt werden konnte, ließe sich auf dieser Basis auch die Depeschenzeit von Xanten nach Rom hoch rechnen bzw. bestätigen. Die geschätzte Zeitspanne von 8 – 9 Tagen von Xanten bis Rom ist folglich nicht unrealistisch. Aber was schrieb nun der Suffektkonsul Asprenas in der Hektik der Zeit an den Kaiser. Anders gefragt, was wusste der mögliche Mittelsmann bzw. Verbindungssekretär des Kaisers Gaius Julius Hyginus über den Inhalt dieser Nachricht und wie ging er mit diesen brisanten Informationen um. Hüllte er sich wie angenommen werden kann in vorsichtiges Schweigen oder wagte er es sein Wissen über die Interna der Varusschlacht, soweit sie ihm bekannt geworden sind, mit anderen Personen zu teilen. Alles was aus dem Eilbrief vom römischen Bollwerk an der Lippemündung an den Kaiser hervor ging konnte letztlich nur das sein, was die überlebenden Reiter der Vala Kavallerie Asprenas zu berichten wussten, als sie auf ihn trafen, denn sie dürften die Ersten und wohl auch die Einzigen gewesen sein, die Asprenas bzw. den Rhein in der ganz frühen Phase nach der Schlacht erreichten. Asprenas verfügte allerdings auch noch selbst über Wissen, dass er ebenfalls an Kaiser Augustus weiter geben konnte. Denn ihm gelang, vermutlich gewarnt durch die Vala Kavallerie noch ein rechtzeitiges Absetzmanöver über den Rhein, woraus man schließen kann, dass auch er in dieser Zeit dem Geschehen wenn auch weit genug, so doch noch relativ nahe stand. Asprenas könnten also noch die eine oder andere Information aus dem Strudel der Varusschlacht heraus, oder die Ereignisse unmittelbar danach erreicht haben. Vielleicht konnte er neben anderen Begebenheiten auch schon Näheres über das belagerte Kastell Aliso in seiner Depesche an den Kaiser erwähnt haben. Er könnte den Kaiser informiert haben, dass nun alle Besatzungen der römischen Lippekastelle isoliert auf sich gestellt waren und es zu ihnen keinen Kontakt mehr gab. Sie waren nun den Germanen ausgeliefert, wenn es ihnen nicht noch rechtzeitig gelang, die Flucht zu ergreifen. Es ist aber anzunehmen, dass er gegenüber dem Kaiser alles was er weiter gab, wie sein ureigenes Wissen darstellte, um seine Lorbeeren nicht teilen zu müssen. Er war aber Militarist genug und ihm war bewusst, dass der Kaiser vor allem an einem interessiert war, nämlich die Namen des, oder der Gegner und natürlich seines schärfsten Widersachers aus den Reihen der Cherusker zu kennen, mit dem er es in Germanien fortan zu tun haben würde und den es nun auszuschalten galt. Und dies war wie Asprenas schon wusste oder ihm berichtet wurde, der Sohn dieses Cheruskerfürsten. Den Kavalleristen zufolge stellte er sich völlig unerwartet mitten im Kampfgeschehen mit seinen Männern gegen die römischen Legionen. Sein möglicherweise schwer aussprechbarer germanischer Name war Ihnen allerdings nicht in Erinnerung geblieben nur der Name mit dem ihn die Legionäre riefen. Arminius oder Erminius. Er trat jedenfalls auf wie ein im Kampf erprobter Soldat, führte das Kommando und beherrschte von Stund an das Schlachtgeschehen auf germanischer Seite. Ein vielen bis dato noch relativ unbekannter Germane, da er erst seit dem Ende des Pannonienaufstandes, an dem er auf Seiten des Imperiums kämpfte im Jahre 8 + wieder bei seinem Volke weilte. Denn an der Niederschlagung des dalmatinischen Aufstandes bei dem Germanicus kein gutes Bild abgab, war er schon nicht mehr beteiligt. Dieser Ablauf ist denkbar und natürlich informierte Asprenas den Kaiser zuvorderst über den ultimativen Untergang der drei Legionen. Möglicherweise entsprach dies dem allgemeinen Wissensstand an dem Tag, als die Depesche von Asprenas in der Satteltasche eines schwitzenden Reiters den Palatin erreichte. Nachdem ich nicht ausschließe, in dem verschwiegenen Gaius Julius Hyginus den ersten Ansprechpartner sprich Aktenverwalter, Senatsschreiber oder Bibliothekar des Kaisers annehme gefunden zu haben, geht nun die Suche nach dem ersten Historiographen weiter, hinter dem sich wie ich denke der Dichter Ovid verbirgt. Also jener Mann, den ich als den ersten Historiker mit Bezügen zur Varusschlachtgeschichte identifiziere. Der Mann, der nach der berühmten Stunde Null, einen kleinen Teil seines Wissens mit uns geteilt haben könnte. Und noch bevor dies die uns bekannten und viel berühmter gewordenen klassischen Interpreten taten, die dafür aber um so häufiger zitiert werden. Auch wenn seine Zeilen rein persönlicher Natur waren und es sein Ziel war sich damit eigene Vorteile zu verschaffen, so besaßen seine Worte doch historisches Gewicht. Es ist, will man in die Historie eintauchen immer hilfreich sich ganz unbedarft etwas zu vergeistigen, sich zurück zu besinnen und sich dem Nichtwissen zu stellen. In unserem Fall würde es bedeuten, unsere Kenntnis von Personen wie Florus, Tacitus und Cassius Dio auszublenden, oder besser noch, sie gar nicht kennen also von ihrer Existenz auch nichts wissen zu wollen. Wir klammern also die vorhandenen Literaturkenntnisse über sie etwas aus, denn alle haben im Jahre 9 + als Ovid schon schrieb, noch gar nicht gelebt und versetzen uns in die Zeit als Kaiser Augustus die Nachricht aus Vetera auf den Tisch bekam. Denn im Zuge einer chronologischen Aufarbeitung kommt es immer wieder vor, dass wir mit voraus eilendem Wissen belastet sind, dass unsere Altvorderen zum Zeitpunkt der Geschehnisse noch gar nicht hatten, womit wir uns selbst aber beim Blick zurück die Neutralität rauben. So rief Kaiser Augustus möglicherweise außer seiner Frau Livia Drusilla auch seine Vertrauten, unter anderem besagten Gaius Julius Hyginus hinzu. Denn der Mann des Anbeginns war mehr, als nur der Hüter angestaubter Akten. Der frühe Mitwisser der ersten Stunden und frei gelassene Sklave musste ein belesener Mann und ein besonderer Mensch gewesen sein. Möglicherweise war er auch der Verfasser der mythographischen Handbücher.  Sie behandeln und beinhalten einen großen Sagenkreis der griechischen Antike der unter dem Namen "Fabulae" bekannt geworden ist. Da man sich von wissenschaftlicher Seite her aber nicht sicher ist, nennt man den Verfasser auch nicht Gaius Julius Hyginus, sondern nennt ihn "Hyginus Mythographus". Das aber Gaius Julius Hyginus möglicherweise mit dem Verfasser der "Fabulae" identisch sein könnte, also selbst "Hyginus Mythographus" ist, belegt eventuell die Wiedergabe der Sage des armen Jägers Aktaion den seine Jagdhunde zerfleischten, als man ihn zur Strafe in einen Hirsch verwandelte, weil er der Jagdgöttin Diana nackt beim Baden zuschaute. Denn "Hyginus Mythographus" hinter dem man Gaius Julius Hyginus sehen kann, als auch die Metamorphosen seines Zeitgenossen, dem Dichter Ovid stimmen im Wesentlichen überein, was für die Identität der beiden Hyginus Gestalten hinweisgebend sein kann. Und dieser Gaius Julius Hyginus war nun wie man weiß, auch mit dem Dichter Ovid befreundet. Ovid der in seinen Metamorphosen kein gutes Haar an den Göttern ließ, was den Ärger von Augustus über ihn ausgelöst haben könnte und ihn in der Verbannung enden ließ. Auf diesem Wege ließe sich eine wichtige Kommunikationsschiene zwischen diesen zwei Männern herstellen bzw. bestätigen die auch aus lyrischer Sicht betrachtet gemeinsame Interessen hatten und sich nahe standen. Gaius Julius Hyginus könnte also wie viele Römer seiner Zeit auch, einen besonderen „faible“ bzw. „Fabulae“ für die griechische Antike gehabt und sich in diesem Punkt mit dem Dichter Ovid die Hand gereicht haben. So wird erkennbar, dass es zwischen Gaius Iulius Hyginus und Publius OVIDius Naso eine besondere Beziehung gegeben haben könnte. Ein ehemaliger Sklave und ein vom Kaiser in die Verbannung geschickter Dichter. Diese Verbindung vielleicht sogar Seelenverwandtschaft könnte erklären helfen, wie Ovid in Constanta an die Nachrichten aus Rom kam. Und der bereits gealterte Hyginus könnte seinem Freund Ovid mit der Information zur Varusschlacht nochmal einen, vielleicht sogar letzten Dienst erwiesen haben, in dem er ihm die Möglichkeit gab diese Nachricht für sich zu nutzen. Hyginus leitete bekanntermaßen auf Weisung von Kaiser Augustus die Bibliothek auf dem Palatin, wo das erste Wissen zur Varusschlacht zusammen getragen wurde und man die schriftlichen Zeugnisse aufbewahrte. Er war nicht zuständig für die Bibliothek der Octavia. Die palatinische Bibliothek war die bedeutungsvollere von beiden.Sie lag in der Nähe der Residenz des Kaisers und er soll sie im Alter auch für Senatssitzungen genutzt haben. Das könnte passen und wäre eine plausible Erklärung. Allerdings immer nur unter der Voraussetzung, dass Hyginus im Herbst des Jahres 9 +, nach dem Eintreffen der bösen Nachrichten aus Germanien noch lebte. Und das wären noch 5 Jahre nach dem sich seine historischen Spuren verliefen. Ich schließe es aber nicht aus, dass Hyginus noch imstande gewesen sein könnte sein wissen an Ovid weiterzugeben, denn sich verlaufende literarische Spuren müssen nicht unbedingt gleich bedeutend mit dem Ableben eines Menschen sein. Aber die Stimmung in Rom an diesem 6. Oktober 0009 und danach, war hoch explosiv und Kaiser Augustus musste in dieser angespannten Lage extrem umsichtig handeln. Gaius Iulius Hyginus war ein vom Kaiser persönlich freigelassener Sklave und ihm infolgedessen absolut loyal und treu ergeben und das wohl bis zur sprichwörtlichen Hörigkeit. So wird er sich auch in Bezug auf die Varusschlacht solange vorsichtig zurück gehalten haben bzw. haben müssen, bis Kaiser Augustus nach einer gewissen Karenzzeit alle wieder etwas aufatmen ließ, da die Lage in Germanien und in der Stadt Rom ruhig blieb. So konnte er die engen Zügel nach einer Phase der Unruhe, des Abwartens und auch einer allgemeinen Trauer und Verwirrung wieder lockern. Aber während dieser kritischen Übergangszeit könnte man sich die Vorgehensweise und Methodik einer offiziellen palatinischen Nachrichtensperre vorstellen. Sie dauerte solange an, bis sich Kaiser Augustus völlig sicher war, dass im Volke keine Unruhen ausbrechen würden und die Germanen im Siegestaumel der gewonnenen Varusschlacht keine Absicht erkennen ließen, den Rhein zu überschreiten. Dies lässt uns auch noch mal ein Auge auf die Niederrheinfront werfen. Denn bei den verkniffenen Blicken der Wachsoldaten von Vetera ins Lippetal und damit ins bedrohliche Germanenland wird es nicht geblieben sein, denn man erwartete bzw. befürchtete auf kurz oder lang Angriffe aus dem Osten. Vorsichtig agierende Reiter Spähtrupps im Auftrag von Asprenas werden in der Zeit den rechtsrheinischen Grenzstreifen durchkämmt haben um mögliche Annäherungen im „sieben Meilen“ Korridor rechtzeitig erkennen zu können, denn Tiberius brauchte noch seine Zeit bis er Xanten erreichte um für mehr Sicherheit zu sorgen. Das man in Vetera I zu allen Zeiten über berittene Einheiten verfügte, dürfte unstrittig sein, trotzdem sind Bodenfunde eine Bereicherung, wenn ihr Vorhandensein dadurch bestätigt werden kann. Denn die Existenz einer Turma, also der kleinsten Reitereinheit ließ sich anhand einer Mühlsteinbeschriftung für das Altkastell Vetera I nachweisen, dass schon existierte bevor Varus Germanien betrat. Der Wermutstropfen besteht allerdings in der Tatsache, das Vetera I bis etwa 70 + genutzt wurde, der Mühlsteinfund also auch noch weit nach dem Jahre 9 + in den Boden gelangt sein könnte. Diesem nüchternen Hinweis Beachtung zu schenken halte ich in Anbetracht vieler vorzeitiger Festlegungen für angebracht. Denn Schwächen in der Datierung helfen keiner Schlachtenforschung weiter, sie können allenfalls dienlich sein, um sie zur Verhärtung von Wahrscheinlichkeitstheorien heran zu ziehen. Kaiser Augustus wird eine Rückdepesche nach Vetera I veranlasst haben, die aus diversen Anweisungen bestand. So auch dem ultimativen Befehl ihm alle wichtigen Bewegungen und wesentlichen Ereignisse an der Front sofort zu vermelden und er wird auch bereits angeordnet haben, dass weitere rückwärtig stationierte gallische Truppenkontingente näher an die Rheingrenze rücken sollten. Noch am gleichen Tag, dem 6. Oktober 0009 also nur etwa spekulative 9 Tage nach dem Ende der Varusschlacht wäre es demnach ein Unding für den Kaiser in Rom gewesen, bereits zur Tagesordnung über zu gehen. Im Gegenteil, denn nun war erst einmal die Zeit angebrochen in der er alle Register zu ziehen hatte, damit sich die Lage nicht auch noch innenpolitisch unnötig verschärfte. Und Kaiser Augustus handelte. So wendete er äußerst drastische Mittel an, setzte sie also unmittelbar ein, als er vom Untergang der drei Legionen erfuhr. Er ergriff alles in seiner Macht stehende und musste es auch tun um Herr der Lage zu bleiben und die Risiken in Italien nach der Schlacht klein zu halten. Kein Statthalter in allen römischen Provinzen wurde nach Bekanntwerden der Niederlage turnusmäßig abgelöst, alle blieben bis auf Weiteres in ihren Ämtern und Positionen. Eine Maßnahme wie sie auch noch heute ergriffen wird, stünde man am Rande eines Flächenkrieges. Denn dann fänden auch keine Neuwahlen statt. Er hielt es sogar für nötig in Rom sein eigenes Volk zu bewachen um möglichen Aufruhr im Keim ersticken zu können. Und auch das kennen noch ältere Generationen in Form von Ausgangssperren. Er veranlasste militärische Zwangsaushebungen, wobei sogar Sklaven rekrutiert wurden. Noch im letzten Jahrhundert nannte man es in Deutschland Strafbatallion bzw. es kam dem sehr nahe. Er versprach den Göttern große Feierlichkeiten abzuhalten, wenn sie denn nur weiterhin auf Seiten Roms bleiben würden. Und auch das hatte es in Deutschland schon gegeben, wenn in Notzeiten von der Kanzel höherer Beistand erfleht wurde. Und er verwies aus Angst vor den Germanen einschließlich seiner eigenen germanischen Leibwache alle Germanen aus Rom. An Orte wo man ihr Verhalten besonders im Auge behielt und was heute unter dem Namen Internierungslager bekannt ist, solange bis die Gefahr gebannt war. Wer zu solch drakonischen Maßnahmen greift, dem musste das Wasser bis zum Hals gestanden haben und dem war jedes Mittel recht, dem Druck mit geigneneten Mitteln entgegen zu treten bzw. ihm auf geeignete Weise zu begegnen. Da war es nur selbstverständlich, dass über das Ereignis in Ostwestfalen für eine Zeit die Decke des Schweigens ausgebreitet werden musste. Ein Gaius Julius Hyginus hätte in dieser Phase nicht im Traum daran gedacht auch nur ein Sterbenswort über die Gefahrenlage gegenüber wem auch immer, verlauten zu lassen. Das Imperium stand unter Schock und bei dieser Stimmungslage hätte ein Funke Wahrheit bereits zum allgemeinen Chaos führen können. Denn wenn sich herum gesprochen hätte, wie leicht sich in Germanien in wenigen Tagen drei der besten Legionen des Reiches vernichten ließen, hätte das Volk schnell am Kaiser und seinen Entscheidungen zweifeln können. Und vergessen wir nicht, dass die Revolten des Pannonien und Dalmatien Krieges dem römischen Staat noch in den Knochen steckten und Kaiser Augustus noch im Frühsommer 9 + alle Register der Notfallplanung ziehen musste, um das Feuer dieses Krieges austreten zu können und um sein Volk nicht verhungern zu lassen. Nach der Nachricht aus Ostwestfalen wird sich auch eine diplomatische Hektik im Palatin darüber entfaltet haben, wann denn der geeignete Zeitpunkt wäre, um nun auch das Volk von Rom mit der bitteren Wahrheit zu konfrontieren. Tiberius könnte es an der dalmatischen Küste zeitgleich zum Kaiser bzw. sogar noch etwas früher erfahren haben. Wir können daraus die besondere Dramatik der Stunden im Herbst des Jahres 9 + ableiten. Und wir können uns gut vorstellen, dass alles in eine „Schrecksekunde“ für den ganzen römischen Staat führte. Doch wie stellte sich die militärische Lage im Reich nach der Hiobsbotschaft. Mussten schon für den Pannonienaufstand alle militärischen Kräfte heran gezogen werden, stand dem Imperium nun in kürzester Zeit eine zweite gewaltige Kraftanstregung bevor. Denn auch die Zahl der Legionen war nicht unerschöpflich. Die Legionen auf dem Nordbalkan waren unmittelbar nach dem letzten Panonnieneinsatz noch ungeordnet, abgekämpft vor allem aber nicht mehr in Kampfstärke. Sie lagen immer noch in Grenznähe zu Dalamatien und viele unter Sold stehende Auxiliareinheiten verbündeter Völker oder Stämme hatte man schon in ihre Heimatgebiete entlassen, als urplötzlich die Katastrophennachricht aus dem Nethegau in Rom eintraf. Varus lebte nicht mehr, seine drei Legionen hatte der Boden verschluckt, die Verteidigung war bis auf die zwei Restlegionen von Asprenas und die Kastellbesatzungen an Rhein und Lippe zusammen gebrochen. Nach und nach wurden von den Römern alle römischen Anlagen rechts des Rheins aufgegeben bevor sie überrannt wurden. An den römischen Grenzen im Norden und Osten standen folglich die Einfalltore für weitere Feindvölker einer Einladung gleich, weit geöffnet. Im Jahr 9 + musste Kaiser Augustus wieder einmal eine seiner vielen Bewährungsproben die er schon vor und während seiner Amtszeit zu bestehen hatte durchstehen, dieses mal vielleicht die Gefährlichste die er durch litt. Es muß ihn tief getroffen haben, denn fortan soll er der Überlieferung nach den Jahrestag der Varusniederlage mit Schweigen und Fasten verbracht haben. Kurz gesagt, wer damals in dieser spannungsgeladenen Atmosphäre zu früh Details über die Varusschlacht verbreitete, der beging Hochverrat und lebte dementsprechend gefährlich. Und wer dann obendrein noch Informationen in die Grenzgebiete beispielsweise in die Schwarzmeerregion bzw. den südlichen Balkan weiter gab, den traf die doppelte Schuld. Denn er ermunterte damit auch die entfernten Feinde Roms das Imperium anzugreifen. In der Mittelmeeregion bei den Grenzvölkern, und wo der Pannonienaufstand noch in frischer Erinnerung war oder bei den Parthern konnte sich die Lage urplötzlich ebenfalls zuspitzen. Man hätte sie alle mit derartiger Zurschaustellung der Schwäche und Unvorsichtigkeit erst auf die desolate Instabilität des römisches Staates aufmerksam gemacht, sie politisch gestärkt und militärisch ermuntert. Die Varusschlacht nahm somit bereits, wir würden heute sagen, globale außenpolitische Dimensionen an und hatte Konsequenzen die sich im ganzen Imperium bemerkbar machten. So waren alle Mitwisser bis auf Weiteres zum Schweigen verdammt und wehe dem, der dagegen verstieß. Wobei wir wieder beim Thema Briefkontakt zwischen Hyginus und Ovid wären. Voraus gesetzt Hyginus wäre überhaupt das hohe Risiko eingegangen die brisanten Informationen die er zur Varusschlacht hatte in dieser Zeit an Ovid weiter zu geben, so wird er sorgsam darauf geachtet haben, dass er sich mit diesen Nachrichten nicht selbst in Gefahr begab. Er wird sich also in der Wortwahl überaus vorsichtig ausgedrückt haben. Er war ohne dies im tiefen Zwiespalt. Denn auf der einen Seite stand seine Freundschaft zu Ovid und auf der anderen die uneingeschränkte Loyalität dem Kaiser gegenüber. Das gleiche Risiko ging wiederum Ovid ein, wenn er diese heiklen Informationen in seinen Metamorphosen genannten Klagelieder ungeschminkt hätte verarbeiten bzw. verwenden wollen. Hyginus musste also als Informant unkenntlich bleiben und genau so musste Ovid seine Zeilen sorgfältig abwägen um keine Spur auf seinen Freund Hyginus zu lenken. Für einen Dichter dürfte dies allerdings kein Problem gewesen sein. So gerieten zum einen zwangsläufig die Informationen von Hyginus an Ovid zu verschlüsselten Botschaften und ebenso verkleidete sie Ovid, in dem er sie nur in Gedichtform nieder schrieb um Hyginus nicht in Gefahr zu bringen. Trotzdem musste es Ovid gelingen dem Kaiser Augustus gegenüber seine Unterwürfigkeit und Loyalität zu signalisieren um sich auf diese Weise seine Tür zur Rückkehr nach Rom offen zu halten. Schließlich war es sein Ziel und seine Absicht, dass Augustus von seinen tristen Lebensumständen erfuhr, auch wenn es nur über Umwege möglich war, an ihn heran zu kommen. Was also schrieb ihm Hyginus und wie textete es Ovid um. Dies alles könnte somit erklären, warum wir bei Ovid einige interessante Kernaussagen zur Varusschlacht vermissen, über die Hyginus bereits informiert gewesen sein könnte, Hyginus es aber nicht riskierte sie im Brief an Ovid offen zu erwähnen. Und somit etwas oberflächlich und vage blieb. So bleibt Gaius Iulius Hyginus für uns der „Ghost Rider“ schlechthin, den wir was das rein Informative anbelangt im Gegensatz zu Ovid nicht greifen können, denn wir können nur rätseln was aus seinen Zeilen hervorging. Und so verharren wir an dieser Stelle in einer frühen Stufe der Aufarbeitung und nähern uns langsam dem an, was Ovid aus alledem machte. Es bleibt aber die Tatsache, dass Ovid ein Dichter war, der sich hier unter den frühen Schreiberlingen wieder findet und der sich bis dato keinen Namen als Historiker gemacht hat, was aber für die Zeit nicht unüblich war. So könnte dies aber auch bezeichnend für die Informations- und Nachrichtensperre jener Zeit gewesen sein und lässt den Eindruck entstehen, dass die frühe Berichterstattung aufgrund einer palatinischen Schweigepflicht nur in die Hände unverfänglicher Nichthistorikern gelegt war. Es erinnert dabei etwas an die Hofsitten des deutschen Mittelalters, wo auch nur die Narren ungestraft die Wahrheit aussprechen durften. Offiziell autorisierte Quellen aus der Zeit zwischen dem Jahr 9 + und dem Jahr 17 + über die Varusschlacht sind uns keine bekannt geworden und auch was nach 17 + Strabon oder Paterculus schrieben war nicht gleichbedeutend mit autorisiert. Das lässt die Frage zu, ob es diese „Staatsquellen“ überhaupt gegeben hat oder alles unter Verschluss gehalten wurde. Vielleicht wünschen wir uns auch nur eine offizielle Verlautbarung, weil wir es heute so kennen, was aber die damalige Zeit gar nicht praktizierte. Denn auch Hyginus war keine offizielle Quelle sondern wenn, dann eher eine verdeckte konspirative, die wir heute vielleicht einen „Whistleblower“ nennen würden. Es gab in dieser Anfangsphase sicherlich einen handverlesenen Kreis an Augustus nahestehenden Personen, der ohne großes Aufsehen zu erzeugen nur für ihn recherchieren und forschen durfte und der ihm direkt unterstand. Der anfänglich auch nicht viel Schriftliches produzierte oder dokumentierte und der Informationen nur mündlich weiter geben durfte. Hyginus könnte möglicherweise einer aus diesem erlauchten Kreise gewesen sein. Da uns nichts anderes bekannt ist, müssen wir es zumindest annehmen dürfen, auch wenn wir es nicht so recht glauben wollen, es sich etwas utopisch anhört und nach einem antiken Geheimdienst klingt. Aber auch das müssen wir in Erwägung ziehen, denn Fälle von Totschlag oder Vergiftung waren dem antiken Rom nicht fremd und forderten Maßnahmen der Vorkehrung. Und wer sich am Kaiserpalast von einer diskreten aber schützenden Gruppe an Schwertträgern umgeben ließ und gut protegierte Informanten auf der „Gehaltsliste“ hatte, der durfte sich auch damals schon sicherer gefühlt haben. Kaiser Augustus wird da keine Ausnahme gemacht haben. Aber den ersten Historiographen zur Varusschlacht halte ich nun für identifiziert und dieser Dichter Ovid hält auch noch einige Überraschungen für uns bereit.( 16.8.2019)

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