Donnerstag, 3. Dezember 2020
Wollte Paterculus Statthalter in Germanien werden ? Teil 2. - Bewertung der Textstellen 2.119 (1) bis 2.119 (5)
Gaius Velleius Paterculus hatte im Jahre 6 + im Alter von etwa 26 Jahren auf seiner Karriereleiter die erste Stufe erklommen. Man ernannte ihn zum Quästor, dem niedrigsten Amt der senatorischen Ämterlaufbahn. Ein Amt, das man aber inne haben musste, denn es war unentbehrlich, wenn man im römischen Verwaltungsapparat zu höheren Aufgaben berufen werden wollte. Nur hoch gestellten Personen aus dem Kaiserhaus wie Gaius Cäsar, dem Enkel und designierten Nachfolger von Kaiser Augustus war es vergönnt seine Karriere voran treiben zu dürfen, ohne vorher das Quästorat bekleidet zu haben. Man könnte also daraufhin Paterculus Ambitionen unterstellen sich aufgrund dieser Beförderung Chancen für bedeutsamere Positionen ausgerechnet zu haben. Im Jahre 6 + kam es jedoch zu einem Schwenk in seiner Laufbahn, denn er musste seinen eingeschlagenen administrativen Werdegang wieder mit dem Militärdienst eintauschen. Damit wurde sein beruflicher Aufstieg den er sich möglicherweise im Verwaltungsbereich erhofft hatte unterbrochen und nahm einen unangenehmeren Verlauf. Unmittelbar nach der Varusschlacht sollte es sich aber wieder ins Positive wenden. Denn da bestand natürlich unverhofft seine Aufgabe darin an der Rheinfront wieder jene Kohlen aus dem Feuer zu holen, die Varus kurz zuvor hinein geworfen hatte.
2,119. (1) 
„Den Ablauf dieses furchtbarsten Unglücks - seit der Niederlage des Crassus gegen die Parther, gab es für die Römer keine schlimmere gegen fremde Völker werden wir - wie andere, in angemessenen Büchern darzustellen suchen; jetzt lässt sich nur unter Tränen das Ergebnis schildern“.
Bewertung:
Nicht nur Tränen, auch Wut, Trauer, Fassungslosigkeit und Bestürzung kommen hier bei Paterculus zum Ausdruck. Es spricht für seine tiefe Betroffenheit und dies könnte ihn auch bewogen haben Varus auf seine Art in übermäßiger Weise und das mehrfach für die ihm unterstellte Handlungsweise zu verurteilen. Dem widerspricht allerdings die Tatsache, dass zwischen der Varusschlacht und seinen Aufzeichnungen rund 20 Jahre ins Land gegangen sind. Und nach einer derart langen Zeit findet man in der Regel auch wieder zu einer Haltung zurück, die mehr von einer distanzierten Sachlichkeit als von persönlicher Befindlichkeit geprägt sein sollte. So sollte man meinen, dass überzogene Emotionen abgeklungen sein müssten. Aber nicht bei Paterculus. Er wühlte noch eine Generation später weiter im schon fasst vergessenen Trauma und labte sich förmlich immer noch am einstigen Versagen des Feldherrn bzw. hielt an dieser Vorstellung fest. Aber was könnten seine Beweggründe dafür gewesen sein. Paterculus betrat mit der Ernennung zum Quästor im Jahre 6 + das nötige Sprungbrett für die gehobene Laufbahn. Varus erhielt vermutlich noch im gleichen Jahre 6 + die Anweisung im Jahre 7 + die Statthalterschaft in Germanien anzutreten. Beide werden sich gekannt haben und könnten sich demnach 6 + in Rom nicht nur gleichzeitig aufgehalten, sondern sich auch gesprochen haben. Der heißspornige Paterculus an Jahren erheblich jünger als Varus, der nun designierte Statthalter in Germanien. Welche Funktionen Varus bekleidete nachdem seine Statthalterschaft 4/5 - in Syrien endete ist nicht überliefert. Er könnte sich in Rom aufgehalten haben und sich dort auf neue Herausforderungen vorbereitet haben bzw. brauchte dafür die Nähe zu Kaiser Augustus. Und während Paterculus dann 6 + den Befehl entgegen nahm, sich nach Pannonien an die Front begeben zu müssen, reiste Varus möglicherweise zur gleichen Zeit in den Norden nach Niedergermanien. Im Jahre 6 + kam es demzufolge in Rom zu weitreichenden politischen, aber auch personellen Entscheidungen die letztlich von Kaiser Augustus ausgingen und die, wie man überblicken kann sowohl Germanien als auch Pannonien betrafen. Zweifellos zog Varus das bessere Los, denn ihn entsendete man auf eine, wie man damals annehmen durfte friedvolle Mission nach Germanien, während Paterculus der Order eines Kriegseinsatzes zu folgen hatte. Obwohl Varus im Jahre 6 + mit etwa 52 Jahren rund 26 Jahre älter war als Paterculus, hätte er dem Kaiser doch die Entscheidung übel nehmen können, dem älteren Varus den Vorzug gegeben zu haben und nicht ihn nach Germanien zu entsenden. Unter der Prämisse betrachtet, dass es für Paterculus überhaupt diese Chance gab, nach Germanien versetzt zu werden, wird bei Kaiser Augustus möglicherweise unter anderem auch die Reife und Erfahrung von Varus eine Rolle gespielt haben. Möglicherweise drehte sich aber auch das Intrigenkarussel, dass letztlich Varus begünstigte. Vielleicht war die Entscheidung, dass man Paterculus im Jahre 6 + zum Quästor beförderte bevor man ihn in den Krieg schickte, schon als ein Trostpflaster zu verstehen. Aber die Wunde die es bei Paterculus hinterlassen haben könnte schien heftig gewesen zu sein und könnte den Ausschlag für seine Unzufriedenheit gegeben haben, was in der Folge zu den deftigen Kritiken an Varus geführt hat. Denn er schreckte vor keiner Niedertracht gegenüber Varus zurück und griff dabei sogar bis auf seine Tätigkeit in Syrien zurück. So ist jedem Geschichtsfreund der unbewiesene und auch umstrittene Wortlaut aus seiner Feder bekannt, wonach Peterculus ihm unterstellte, er habe sich in Syrien unrechtmäßig bereichert „Als armer Mann betrat er das reiche Syrien, als reicher Mann verließ er das arme Syrien“. Nur einem tief in seiner Eitelkeit gekränktem Paterculus ließen sich derartige Entgleisungen abnehmen. Aber die hier aufgeworfene gedankliche Konstellation lässt sich nicht ganz von der Hand weisen, denn es ließe sich in der Tat aus allem eine gewisse Rivalität zwischen Varus und Paterculus ableiten. So spräche einiges dafür, dass Paterculus mit seinen überzogenen Vorwürfen Varus gegenüber allen deutlich machen wollte, dass es eine Schlacht mit den Cheruskern unter ihm als Statthalter in Germanien nicht gegeben hätte. In diesem Fall ließen sich seine zahlreichen negativen Bemerkungen über Varus nicht als überzogene Lobhudelei, Folgsamkeit oder Bewunderung gegenüber Tiberius werten, sondern als eine späte aber fällige Generalabrechnung mit Varus. Dabei ist zu bedenken, dass Paterculus im Jahre 2 + schließlich die Ehre zuteil wurde, an jenem denkwürdigen Zusammentreffen am Euphrat zwischen Gaius Cäsar mit dem parthischen Großkönig Phraates V teilnehmen zu dürfen, als die Großen über Armenien sprachen. Paterculus war in etwa gleichaltrig mit Gaius Cäsar, mit dem er sich daher angefreundet haben könnte und der nicht nur der Adoptivsohn von Kaiser Augustus, sondern auch sein designierter Nachfolger war, wozu es aber bekanntlich nicht kam, da Gaius Cäsar frühzeitig verstarb. Diese Episode mag verdeutlichen, dass Paterculus schon fasst erwarten durfte und vielleicht sogar daraus den Anspruch ableitete, sich für höhere Aufgaben empfohlen zu haben. Denn wer an der Seite des zukünftigen Kaisers im höchsten Staatsauftrag diplomatischen Gesprächen beiwohnen durfte, dem traute man auch mehr zu. Zum Beispiel eine Statthalterschaft in Germanien. Aber Paterculus legte auch selbst eine Fährte aus der man ableiten kann, dass er sich übergangen gefühlt haben könnte. Im Textabschnitt 2.117 (2) erwähnt Paterculus, dass Varus keiner adligen Familie entstammte. Er relativiert damit seine Abstammung und reduziert in der Folge seine Herkunft auf eine „nur“ angesehene Familie. Er zieht eine Trennlinie womit er verdeutlicht, dass das noch dazu schwache Ansehen, das die Familie der Quintilier genoss, allein keine Rechtfertigung dafür sein konnte Varus die Statthalterschaft zu übertragen. Damit erlosch auch das Interesse von Paterculus und hielt ihn davon ab, noch nach Einzelheiten seiner Niederlage im Nethegau zu forschen, nach Details zu fragen oder nach Ursachen zu recherchieren. Einen Schlachtenverlauf zu hinterfragen, deren Ausgang sein indirekter Widersacher Varus zu verantworten und verursacht hatte, waren für Paterculus nicht Anlass genug es zu tun. Denn Segestes war für ihn ein vorzüglicher Kronzeuge und hatte schon für alles gerade gestanden. Letztlich hätte er gar auf Dinge stoßen können, mit denen sich das Verhalten von Varus am Ende noch rechtfertigen ließe. Nicht auszudenken. Zum Verlauf der Schlacht von Carrhae 53 - konnte Paterculus selbst nichts beitragen. Er wusste über sie nur das, was andere Historiker schon darüber geschrieben hatten. Zwischen dem türkischen Harran (Carrhae) und Borlinghausen am Teutoburgiensi saltu liegen über 2800 Kilometer Luftlinie die Paterculus in nur einem Satz überbrückte. Paterculus stellt hier aufgrund des dramatischen Ausgangs beider Gefechte den direkten Bezug her. Vordergründig war es seine Absicht das desaströse Geschehen von Carrhae zum Vergleich heran zu ziehen um damit die monströse Tragweite der Varusschlacht zu betonen. Aber gleichfalls gelang es ihm damit erneut die Dimension dessen heraus zu stellen, was Varus angerichtet hatte. Man weiß aber auch, dass ein Verrat beide Schlachten miteinander verband. So könnte auch der Eindruck entstehen, als ob Paterculus damit hintergründig auch den Verlauf der Varusschlacht erhellen wollte. Denn was in der türkischen Halbwüste ein Abgar von Osroene war, vollzog sich im ostwestfälischen Nethegau unter der Regie von Arminius. Paterculus verharmloste Carrhae als ein Unglück und lenkte damit von den Fehleinschätzungen von Führung und Armee ab. Schaut man sich den Verlauf der Schlacht bei Carrhae an, so sind in der Tat Parallelen erkennbar. Auch eine Parallele ist dabei die keine war, denn im alten Syrien bekannte sich im Gegensatz zu Germanien später kein Verräter dazu, den Feldherrn Crassus gewarnt zu haben. Man mag sich nicht ausdenken, was die Parther mit ihm hätte es ihn gegeben, nach der Schlacht angestellt hätten. Es wäre zu einem Racheakt gekommen, der auf wundersame Weise Segestes in Germanien erspart blieb. Mit seinem Hinweis es später in angemessenen Büchern darzustellen war für Paterculus an der Textstelle 2,119. (1) das Kapitel Varusschlacht quasi mangels weiterer Kenntnisse aber auch wegen des möglichen Desinteresses zunächst einmal abgeschlossen. Was dann die Quellen noch als ein zu schilderndes Ergebnis bezeichnen, bestand lediglich in der bitteren Erkenntnis, dass die Varusschlacht verloren war. Und dem ließ sich nichts mehr hinzufügen, denn wir erfuhren nichts mehr aus seiner Feder.
2,119. (2) 
"Das tüchtigste aller Heere, das erste unter den römischen Soldaten an Zucht, Tapferkeit und Kriegserfahrung, wurde durch die Schlaffheit des Feldherrn, die Treulosigkeit des Feindes und die Missgunst des Schicksals hintergangen. Man bot ihm nicht einmal die ungehinderte Gelegenheit zu kämpfen oder vorzurücken, wie sie es selbst gewollt hatten, ja einige wurden sogar empfindlich bestraft, weil sie römische Waffen und römische Gesinnung anwendeten.
So wurde es eingeschlossen von Wäldern, Sümpfen und Fallen, von demselben Feind vollständig aufgerieben, den es stets selbst wie Vieh hingeschlachtet hatte, so dass über Leben und Tod bald der Zorn, bald die Gnade entschieden".
Bewertung:
So beklagt Paterculus einerseits die Treulosigkeit des Feindes, rechtfertigte und legitimierte aber mit dem Verweis darauf, dass die Legionen die Germanen auch wie Vieh dahin geschlachtet hatten, ihr Recht auf Widerstand. Zorn aber auch Verständnis bringt er gleichermaßen zum Ausdruck. Eigene Reue ist bei ihm zwar nicht ersichtlich, aber er gesteht den Germanen das Recht des Unterlegenen zu, wenn der sich im Selbstwertgefühl tief getroffen, für die Gegenwehr entscheidet. Tacitus hatte dafür viele Jahre später die Worte gefunden, dass es die Germanen schmerzte, dass ihre Schwerter verrosteten und ihre Pferde schlapp würden. Man könnte im Hinblick auf die Grundeinstellung von Paterculus auch sagen, dass er ihren Verteidigungswillen in dem Moment entschuldigte und sich argumentativ schützend vor sie stellte, da es gegen Varus ging, seinen einstigen Kontrahenten im Ringen um die bessere Position. Seine noble Verbalgeste haben wir also vernommen, aber er verschweigt, dass er selbst etwa beim „Immensum Bellum“ gemeinsam mit Tiberius aktiv und massiv an diesem Abschlachten mit beteiligt war, was widersprüchlich wirkt und ihn zum Mitschuldigen machte. Sofern man im Imperium ein derartiges Schuldbewusstsein kannte und dem Feind ein Recht auf Gegenwehr überhaupt zustand. Da aber der Krieg der Cherusker nach römischer Lesart als Vertragsbruch gewertet wird, bekommt sein Verständnis signalisierendes Statement für das Verhalten der Germanen ein unerwartetes Gewicht. Sein Nachruf auf die untergegangenen „Elite“ Legionen sollte nicht zu hoch gehangen werden, denn in jedem Krieg sind zuvorderst die Toten die Helden. Paterculus nutzt es auch dieses mal wieder um für die Nachwelt die Inkompetenz des Feldherrn unumstößlich zu machen. Er schien es gar nicht oft genug wiederholen zu können und übersah, dass er sich damit schon selbst in Misskredit brachte und sich unglaubwürdig machte. Immerhin führte er dieses Mal noch das Schicksal und die Treulosigkeit des Feindes als weitere Ursachen mit an. Dann streut aber Paterculus wie zufällig einen Passus ein, der von seiner erstaunlich guten Kenntnis über den Schlachtenverlauf zeugt. Denn er berichtet davon, dass man die römischen Soldaten daran hinderte zu kämpfen und nicht nur das, sondern auch das sie nicht vorrücken durften, so wie sie es wollten. Und das man sie sogar mit Gewalt davon abhalten musste, sich gegen die angreifenden Germanen zur Wehr zu setzen. Ein ungeheuerlicher militärischer Vorfall dessen Hintergrund sich Paterculus jedoch nicht erschloss. Aber die meisten Geschichtsforscher interpretieren diesen Abschnitt aus der Historia Romana auf die gleiche Weise, obwohl er sehr irritiert. Denn es dürfte dahinter der Versuch einer Anzahl überlebender Legionäre gestanden haben, die Schuld für die Niederlage ihren Führungsoffizieren, damit dem Generalstab und letztendlich Varus in die Schuhe zu schieben. Aber den eigentlichen Grund und die Ursache für den Zwang auch unter Androhung oder schon ausgeübter Gewalt passiv bleiben zu müssen, sollten wir an anderer Stelle suchen. Aber so findet auch diese Überlieferung von Paterculus wie so viele andere von ihm auch, wieder in Varus den Alleinschuldigen. Ungeachtet seiner Auslegung, sickerte hier ein Abschnitt ins Geschehen ein, der wie kaum ein anderer aus seiner Feder wie aus dem Zusammenhang gerissen erscheint. Paterculus ließ den Hinweis in der Luft hängen, da er ihn dem Schlachtverlauf nicht zuzuordnen vermochte. Es überrascht damit den Leser, da diese Begebenheit auf den ersten Blick so gar nicht in den Kontext der Schlacht passen will. Aber auch nicht in den eines Lagerüberfalls, denn in einem Lager rückt man nicht vor, so lässt sich „vorrücken“ nicht so recht mit einem Lagerüberfall vereinbaren. „Vorrücken“ passt eher zur Schildkrötentaktik außerhalb von Umwehrungen oder Marschlagern. Jedenfalls versetzt dieser Passus die Historiker seit jeher in arge Erklärungsnöte. Dabei ist es gar nicht so schwer diese Situation nachzustellen, wenn man das Marschgefecht vorher in das dazugehörige landschaftliche aber auch strategische Weichbild einer Marschschlacht eingebettet hat und die dazu passende Rekonstruktion eines Mehrtagesgefechtes parat hat. Auf die Logik und die Sinnhaftigkeit die sich hinter diesem besonderen Hinweis verbirgt möchte ich im Verlauf der Erläuterungen zum zweiten Marschtag, dem ersten Kampftag näher eingehen der sich von Brakel zum Gerichtslager vollzog, denn da hinein gehört dieses seltsame Versatzstück der römischen Legionäre, denen man das Kämpfen nicht nur verbot, sondern sie dafür, vermutlich mit Peitschenhieben auch noch empfindlich bestrafte.
2,119. (3) 
"Der Feldherr hatte mehr Mut zum Sterben als zum Kämpfen: Dem Beispiel seines Vater und Großvaters folgend, durchbohrte er sich doch tatsächlich selbst".
Bewertung:
Es ist einem schon überdrüssig zumute, wenn man zum wiederholten Male feststellen muss, wie Paterculus auch noch die letzte Gelegenheit nicht ausließ Varus mit Schimpf und Schande ins Mausoleum zu entlassen. Hier setzt wieder sein Wissen ein, dass ihn auf mehrere Wege erreicht haben könnte, denn sein Selbstmord geisterte über die Zungen von Freund und Feind und raste wie ein Lauffeuer durch das alte Mitteleuropa und dazu bedurfte es auch keines Markomannenführers Marbod.
2,119. (4) 
"Von den beiden Lagerpräfekten aber lieferte L. Eggius ein ebenso leuchtendes wie Ceionius ein schändliches Beispiel, der, als der bei weitem größte Teil des Heeres umgekommen war, zur Kapitulation riet und lieber hingerichtet werden, als im Kampf fallen wollte. Vala Numonius aber, ein Legat des Varus, sonst ein ruhiger und tüchtiger Mann, gab jetzt ein grässliches Beispiel, ließ die Fußtruppen ohne die Reiterei zurück und stürzte sich mit anderen in die Flucht, um den Rhein zu erreichen. Seine Tat rächte das Schicksal; denn er überlebte nicht die im Stich Gelassenen, sondern fiel als Deserteur".
Bewertung:
Zu den wenigen Einblicken die uns Paterculus in den unmittelbaren Hergang der Schlacht gewährte, gehört neben dem Hinweis auf die Legionäre denen man das Kämpfen verbot auch diese Textstelle. Sie belegt indirekt, dass er nur über bruchstückhafte Kenntnisse zur Schlacht verfügte und sich ihm der gesamte Guss der Schlacht entzog bzw. sich ihm nicht erschloss. Er baute daher diese Fetzen, denn anders kann man sie nicht bezeichnen in eine auf den ersten Blick nur scheinbar beliebige Stelle seiner Überlieferung ein. Wenn es zutrifft, dass Paterculus um das Jahr 30 + seine Kenntnisse die er zur Varusschlacht besaß nieder geschrieben hat, dann könnten ihm in den seit der Varusschlacht vergangenen immerhin rund 20 Jahren diverse Informationsquellen zur Verfügung gestanden haben. Dieses Wissen könnte ihn noch aus den Mündern überlebender Römer, aber auch über Aufzeichnungen erreicht haben. Die von ihm geschilderten Geschehnisse, wie sie sich auf römischer Seite unmittelbar während der Schlacht zugetragen hatten und aus denen Paterculus seine Schlüsse zog, wird ihm aber wohl kein namenloser Germane mitgeteilt haben können. Aber Segestes hätte etwas über die schmähliche Flucht der Vala Kavallerie mitten aus dem Kampfgeschehen heraus, oder das Verhalten der beiden Lagerpräfekten gewusst haben können. Er könnte die Flucht von Vala nach der Schlacht von germanischen Kriegern erfahren und es in Rom acht Jahre später noch zu Protokoll gegeben haben. Vielen kämpfenden Germanen dürfte es jedoch gleichgültig gewesen sein, welcher Reiterpräfekt sich wie und wann feige absetzte und erst recht, welcher römische Lagerkommandant sich gut, schlecht oder glorreich gegen sie zur Wehr gesetzt hatte. So dürfte das Wissen darüber, dass die Kavallerie des Numonius Vala die militärisch nötige Disziplin vermissen ließ, als sie erkannten, dass es aussichtslos war noch zu kämpfen nur aus dem Erinnerungsschatz der wenigen überlebenden Römer geflossen sein. Paterculus könnten also statt Segestes auch noch römische Quellen zugrunde gelegen haben. Paterculus hätte es gut zu Gesicht gestanden, wenn er im Zuge der Verschriftung, auch nur ansatzweise darauf hingewiesen hätte, dass es ihn über römische Mittelsmänner erreichte. Er hätte es positiv für den tapferen Teil des römischen Militärapparat auslegen können. Aber er verzichtete vermutlich darauf weil auf Überlebenden immer der Makel von Feigheit lastete. Eggius der trotz des Klanges seines Namens ihn sicherlich nicht der Egge zu verdanken hatte oder Ceionius der zweite Lagerpräfekt schienen bei Paterculus besondere Wirkung und Eindruck hinterlassen haben. Anders ist die Erwähnung nicht zu verstehen. Hier besonders den Kontrast zwischen einem Versager und einem bis zuletzt kämpfenden heldenmütigen Legionär heraus zu stellen war ihm ein Bedürfnis und gehörte zur Pflichtaufgabe eines jeden Militaristen. Ebenso wie er den Zorn und kriegerischen Eifer jener Männer hervor hob die kämpfen wollten, die aber den Befehlen ihrer Vorgesetzten zu folgen hatten. Alles waren Episoden die nur ein befehlsgewohnter Offizier der römischen Armee für erwähnenswert halten kann. Auf die Gesamtbetrachtung der Schlacht wirken sie sich nur insoweit aus, als dass sie unser Vorstellungsvermögen schärfen helfen, sich platzieren lassen und damit den aufgezeichneten Schlachtenhergang bestätigen. Der Selbstmord des Feldherrn Varus wird wiederum durch alle Kehlen, ob Freund oder Feind die Runde gemacht haben. Ein Großteil seiner Überlieferungen beruht also auf allgemein gültigen und zeitlosen Aussagen und berührt hinlänglich bekannte Festlegungen, heldenhaftes und heroisierendes Tun, schicksalhafte Begebenheiten oder göttliche Einwirkung. Allesamt drastische und theatralische Schilderungen aus den hitzigen Phasen der einzelnen Gefechte. Aber da wo er konkret wird, finden wir auch greifbare und zuordnungsfähige Hinweise und Handlungen die sich immer wieder auf eine Person verdichten die über Interna verfügte, wie sie damals zwar nicht keiner, aber nur sehr wenige besaßen. Denn jene, die sie außerdem noch besessen haben könnten, konnte man nie zur Rechenschaft ziehen oder in die Verlegenheit bringen in Rom Aussagen zum Varusschlacht Geschehen machen zu müssen, nämlich Arminius und seine Mitstreiter. Auch das Wissen von Paterculus wie auch das von anderen Historikern über den Schlachtverlauf setzt sich nur aus wenigen Bruchstücken zusammen, die sich kaum zusammen fügen lassen. Wüsste man nicht inzwischen schon so vieles aus dem Umfeld was unser Wissen bereichert hat, man würde sich gar an den Anfang jeglicher Recherche zurück versetzt fühlen. So können wir vieles nachvollziehen. Denn wo wirre Befehle hin und her flogen die ihre Adressaten suchten, wo der Schlachtenlärm vieles überdeckte und die Kommunikationswege oft unterbrochen waren und wo permanent Unklarheit über die Position und Stärke des Feindes herrschte, da geht die Übersicht in kurzer Zeit verloren. Und in diesem Zusammenhang erst recht das, was wir für unser Gesamtverständnis gerne genutzt hätten. Die beiden Lagerkommandanten erwähnte Paterculus in Textstelle 119 (4) zu aller erst während er die Tat des Numonius Vala an das Ende dieser Textstelle setzte. Was vielleicht verwundern mag ist die Feststellung, dass alle drei Detailinformationen die Paterculus hinterließ auch nur in dieser Reihenfolge einen Sinn ergeben. Nämlich sein Hinweis auf die Legionäre die sich nicht wehren durften, das Verhalten der Lagerkommandeure und die Taten des Numonius Vala. Denn alle seine Schilderungen hatte Paterculus genau dort eingefügt, wo sie unter chronologischen Gesichtspunkten des Schlachtenverlaufs betrachtet auch hinein passen. Nämlich in die Anfangsphase, den Mittelteil und in die Schlussphase der „Zweitage - Schlacht“. Am Ende folgte dann das berühmte „sich aus dem Staube machen“ und nicht nur der Vala Reiter, sondern aller die es noch konnten. Eine Wortschöpfung, die die deutsche Zunge vermutlich aus dem Wort „Desertieren“ ableitete. Denn die Wüste, also „le Désert“ ist ja bekanntlich recht staubig. So münden seine Worte in schlüssige Erklärungen zu den Ereignissen wie sie sich am ersten und zweiten, nämlich dem letzten Kampftag zutrugen. Denn entgegen aller Versuche die Varusschlacht so zu rekonstruieren, dass sie sich über drei, dreieinhalb oder gar vier Tage erstreckt haben könnte, fand sie nur an zwei Tagen, nämlich am zweiten und am dritten Marschtag statt. Der erste Marschtag war der ruhig und kampflos verlaufende Tag von Höxter nach Brakel, an den zwei folgenden Tagen fand die Schlacht statt und am vierten Tag kam es zu keinen geschlossenen Absetzbewegungen mehr. An diesem Tag endete die Schlacht im Chaos. Wofür unsere französischen Nachbarn die Worte „sauve qui peut“ kennen.
2,119. (5) 
"Den halbverbrannten Körper des Varus hatten die Feinde in ihrer Wildheit zerfleischt; sein Kopf wurde abgetrennt, zu Marbod gebracht und von diesem zu Caesar geschickt und dann doch noch mit einem Begräbnis im Familiengrab geehrt".
Bewertung:
Klingt da etwa bei Paterculus vielleicht etwas Verwunderung durch, dass man Varus obwohl er das Imperium massiv beschädigt hatte doch noch einen Platz im Familiengrab zubilligte ? Aber auch diese Textstelle offenbart das ganze Dilemma, das in der Interpretation seiner Überlieferung liegt. Die Übersetzung lautet „Den halb verbrannten Körper von Varus hatten die Germanen in ihrer Wildheit zerfleischt, sein Kopf wurde abgetrennt und zu Marbod gebracht“. Der leitete ihn dann an Kaiser Augustus weiter, woraufhin der den Kopf (ohne Körper) im Familiengrab bei setzen ließ. Es sind aber hier nicht allein nur die martialischen Worte die er dafür fand, wie man in Germanien mit dem toten Körper des Varus umging. Die Germanen waren schließlich und das seiner Meinung nach auch zu recht mit Hass erfüllt. Es ist viel mehr die Tatsache, dass es für diese ergreifende Szenerie auch wieder nur germanische Zeugen gegeben haben konnte. Denn Römer die diesem Gruselschauspiel beiwohnten wird es wenn, dann nur in einer verschwindend Zahl gegeben haben und diese werden dann wiederum auch nur sehr geringe Chancen gehabt haben, zu den Überlebenden des Massakers gehört zu haben. So könnten es folglich nur Germanen gewesen sein die dabei waren. Sicherlich konnte sich Paterculus in diese schaurigen Ereignisse hinein denken und er brauchte dafür auch keine zuverlässigen Quellen bzw. Zeitzeugen und auch keinen Segestes. Dem zerschmetterten Kopf des Varus wird man es wohl noch in Rom angesehen haben, wie man mit dem Rest seines Leibes umgegangen war. Paterculus, so interessant seine Überlieferung auch ist, so ist auch ihr kein Schlachtort und kein Schlachtenverlauf zu entnehmen. Das ein nüchterner Stratege wie Paterculus auch in diesem Fall wieder den Erzählungen des Segestes aufgesessen sein könnte, verdeutlicht wie umfangreich und nahezu perfekt Segestes die Täuschung gelang und abgenommen wurde. Schon mehrfach kam der Verdacht auf, dass sich Segestes die Geschichte von seiner Warnung an Varus vor der Schlacht nur zu seinem eigenen Schutz im Jahre 15 + hat einfallen lassen, um sie dann 17 + vorzutragen. Und diesen gedanklichen Schluss auf das Schlachtengeschehen übertragen führt zwangsläufig zu einer Reihe neuer Hypothesen. Denn die massiven Konsequenzen die die „Nichtwarnung“ auf den Schlachtverlauf hatte, ließen sich noch bis tief im Detail hinterfragen, denn es hatte erhebliche Aus- und Nachwirkungen. Man kann es sich aber auch leicht machen. Denn sie können auch mit wenigen Sätzen abgehandelt werden. Denn Beweise werden wir dafür letztlich nie finden, aber die Hypothese allein ist bereits verlockend genug um mit ihr den Hergang der Schlacht neu zu rekonstruieren um ihn dann in ein anderes Licht rücken zu können. Vor diesem Hintergrund gelte es dann zu bedenken, dass man sich einen völlig unbesorgten und unbekümmerten Varus vorzustellen hätte. Einen Feldherrn, der sich über die Gefahrenlage in der er schwebte nicht im Geringsten bewusst war. Der sich in völliger Unkenntnis und bar jeglicher Verdachtsmomente auf den Weg in eine unbekannte Randregion begab, wo auf ihn Schlichtungsverhandlungen warteten, die ihm in voller Absicht nicht näher definiert wurden. Ein Varus den demnach keinerlei Warnungen erreichten und der deswegen auch keine übermäßigen Vorkehrungen zu treffen brauchte. Diesem unbedarften Menschen konnte und durfte auch niemand die gleichen Vorwürfe machen wie einem Varus der jegliche Warnungen überheblich in den Wind schlug. Ihm ließ sich bei dieser Ausgangslage auch nur schwerlich eine Schuld am Untergang seiner Armee geben. Denn wenn Varus in Übereinstimmung mit seinem engeren Führungsstab seinerzeit Feld männisch korrekt gehandelt hatte, so konnte man an seinem Verhalten auch nur sehr wenig Kritik üben. Ein Szenario dem man in Rom nicht folgen wollte. Es blieben dann am Ende nur noch die Götter, das Wetter aber vor allem eine Erklärung die man in jedem Fall vermeiden und unterdrücken wollte. Nämlich die, dass er möglicherweise über eine zu geringe Truppenstärke verfügte bzw. man ihn damit ausgestattet hatte, um eine neue Provinz aufzubauen. Aber auch noch etwas unangenehmes musste verdrängt werden. Denn man hätte sich auch eingestehen müssen, dass der Feind besser war als drei römische Elite - Legionen. Für einen Offizier wie Paterculus unvorstellbar, oder eben nur mit Carrhae zu vergleichen. So würde es bereits nahezu grotesk wirken, sich nun einen reuemütigen Varus vorstellen zu müssen, wie er sich mit dem Schwert in der Hand fuchtelnd im Unterholz bewegte und den Gedanken nicht los werden konnte, Segestes nicht ernst genommen zu haben. In Rom kam die Person des Segestes für alle im richtigen Moment. Denn er war es, der das nötige Argument lieferte mit dem sich Varus bequem zum ewigen Sündenbock abstempeln ließ und womit sich die römischen Streitkräfte von jeglicher Schuld selbst frei sprechen ließen. Das römische Imperium war in erster Linie eine gewaltige Militärmaschinerie, sie konnte Kaiser absetzen und inthronisieren mit ihr galt es behutsam umzugehen und alles was für das Militär gut war, war auch für das gesamte Staatswesen gut. Wer wollte unter diesen Bedingungen noch eine andere Meinung vertreten. Und sein Schlusskapitel und seine Wortwahl entsprachen dem Vokabular und dem Geist der Zeit (03.12.2020)

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