Freitag, 26. Juli 2019
Segestes - eine Urquelle für die Varusforschung
Der Cheruskerfürst Segestes, der dubiose Germane im Hintergrund blieb für sechs lange Jahre aus der Sicht des römischen Staates in Ostwestfalen nahezu verschollen. Man wusste zwar in Rom, dass es ihn gab und er am Zustandekommen des Bündnisses mit den Cheruskern beteiligt war und möglicherweise auch eine maßgebliche Rolle dabei spielte, aber nach der Schlacht geriet der Mann in Italien in Vergessenheit. Niemanden in Rom dürfte nach alledem bekannt gewesen sein, was aus ihm geworden ist. Er war nach den Wirren der Varusschlacht in seiner Feste Vogelbeck nahe Einbeck förmlich unter getaucht und er verspürte in der ganzen Zeit nach der Schlacht wohl auch kein Bedürfnis nach römischem Schutz. Wir wissen nicht was sich in diesen sechs Jahren ereignete bzw. zusammen braute. Erst der römische Vernichtungsfeldzug 14 + gegen die Marser wird ihn wieder aufgeschreckt haben. Aber seine Zeit sollte noch kommen, in der er sich für die römisch germanische Forschung unsterblich machen sollte. Denn er war Augenzeuge in einer turbulenten Phase, wie sie in der frühen Geschichte einmalig war, als sich unsere ersten namentlich bekannten Vorfahren auf heute deutschem Boden anschickten sich einen Platz in der Historie zu sichern. Im Jahre 9 + schlug nämlich in Ostwestfalen nicht nur irgend eine beliebige, sondern die entscheidende Sternstunde der frühen deutschen und somit auch europäischen Geschichte. Eine Schlacht deren unerwarteter Ausgang die damals vorherrschende Realität einer römisch geprägten und dominierten Tagespolitik auf den Kopf stellte. Eine militärische Auseinandersetzung die eine Umkehrpolitik einleitete und alles bisherige umwälzte und deren Konsequenzen und Auswirkungen sich damals niemand bewusst sein konnte. Ein Ereignis einer Verwerfung gleich, dass nicht nur die Weichen für die großen Sprachausrichtungen der Zukunft stellen sollte, sondern auch tief in die regionale Dialektik hinein wirkte. Sie führte zu einer Abgrenzung zweier Kulturkreise innerhalb von Mitteleuropa auf Jahrhunderte, wenn nicht sogar auf Jahrtausende und wurde bis ins 19. und 20. Jahrhunderte hinein zu Zwecken der Kriegstreiberei missbraucht. Und es beeinflusst ja belastet, wenn man genau hinschaut, sogar noch bis in unsere Tage das Verhältnis vieler europäischer Staaten untereinander. Was für die germanischen Stämme damals als ein Befreiungsschlag gefeiert wurde, war für das Imperium eine unerwartete Niederlage zu einer denkbar ungünstigen Zeit. Es gelang den Germanen auf dem Höhepunkt imperialer Machtentfaltung römisches Prestige, Selbstvertrauen und die souveräne Gelassenheit eines Weltreiches kurzzeitig zu erschüttern. Man war es in Rom gewohnt und das nicht nur aus architektonischer Sicht betrachtet, sondern auch fußend auf der römischen Gesetzgebung für die Ewigkeit zu planen. Ein unvorstellbarer Gedanke, dass nun rückständige, Wald- und Feld bewohnende, ja angeblich nur menschenähnliche ehemalige Nomadenstämme diese Hochkultur bedrohen sollten. Aber man war guten Glaubens und gedachte diese Schlappe zu gegebener Zeit wieder ausmerzen zu können. Dies sollte sich jedoch in den folgenden Jahren nach 15 +, selbst nach dem Wiedererstarken der Kräfte unter einem Feldherrn Germanicus, als ein Trugschluss heraus stellen. Germanicus wieder die römische Ehre in Germanien herstellen zu lassen mag zweifellos eine strittige Entscheidung gewesen sein, da er schon mit der Niederschlagung des dalmatinischen Aufstandes im Sommer 9 + überfordert schien und Tiberius dafür von Kaiser Augustus eilends herbei gerufen werden musste. So schien es für Rom in den dunkelsten Stunden des Machtverlustes einzig nur darauf anzukommen den geeigneten Moment und den günstigen Anlass abzuwarten, um wieder auf Angriff übergehen zu können. Der Dichter Ovid nutzte diese triste Atmosphäre nach der Schlacht unter der das Imperium damals litt und sich wie ein dunkler Schleier über das Land zu legen schien aus, in dem er das Volk aufmunterte, ihnen eine dichterische Perspektive bot und einen optimistischen Ausblick in die Zukunft wagte. Er schuf ein Epos einer Vision gleich, wie die gefangenen hinterlistigen Cherusker in Fesseln durch Rom geführt wurden, ohne das dies je zur Realität wurde. Allerdings verfasste er sein Gedicht, wie wir wissen nicht ganz ohne Eigennutz, da er sich erhoffte damit ein Rückkehrrecht aus dem Exil nach Rom erkaufen zu können. Aber wir wollen im auch nicht absprechen, dass er sich darum bemühte seinen persönlichen Beitrag zu leisten um die Phantasien und Hoffnungen auf bessere Zeiten für Kaiser und Volk wieder von neuem zu entfachen und in die Richtung zukünftiger Großtaten zu lenken. Seine ins rechte Licht gerückten Zeilen müssen und sollten wie Balsam auf der verzagten Seele der Menschen eingewirkt haben. Ovid streute bekanntlich seine salbigen Ferse breit, damit sie nicht nur Volk und Oberschicht, sondern auch den Kaiser persönlich erreichten um ihn geneigt zu machen, die Verbannung gegen ihn aufzuheben. Was wir heute über die Varusschlacht wissen, basiert im Kern letztlich alles nur auf den nieder geschriebenen mündlichen Aussagen der ersten Zeitzeugen und dem was noch in den Folgejahren zeitversetzt aus Ostwestfalen nach Rom durch sickerte. Und das wenige, was möglicherweise noch jene Legionäre dazu beitragen konnten, denen eine späte Flucht aus der Gefangenschaft, also der Versklavung gelang, oder das was die freigekauften prominenteren Legionäre berichten konnten und auch wollten. Zu den letzten Quellen aus der Diaspora germanischer Sklaverei könnte auch der seinerzeit im Zuge der Varusschlacht überwältigte Legionär gezählt haben, der vom römischen Militär noch 41 Jahre nach der Schlacht bei den Chatten befreit werden konnte. Inwieweit er sich da nicht schon selbst als Germane empfand, bzw. überhaupt noch die lateinische Sprache beherrschte, sei natürlich dahin gestellt. Da es bislang nicht gelang auch nur einen einzigen Bodenfund zur Präzisierung des Varusschlachtortes zu sichern um darauf basierend einen datierfähigen Zeitpunkt zu rekonstruieren womit sich alles zum Sprechen bringen ließe, hält die Suche sowohl im Boden, als auch in den antiken Quellen unverändert an. Selbst die Archäo -Metallurgie in die man viel Erwartung setzt, ruderte bereits vorsichtig zurück. Denn sollte sich anhand der wissenschaftlichen Untersuchungen an den Funden bei Bramsche bestätigen, dass in Kalkriese tatsächlich die Varusschlacht statt fand, so befürchtet man schon, dass selbst damit die Diskussion noch nicht zu Ende sei. Man fragt sich da natürlich unwillkürlich, was eine Bestätigung überhaupt für einen Wert besitzt, wenn man bereits vorher davon aus geht, dass sie anfechtbar sein wird. Denn bekanntlich kann eine Bestätigung nur angefochten werden, wenn sie nichts sicher bestätigen kann und dann ist es keine Bestätigung mehr sondern eine Hypothese. Ungeachtet dessen sind wir für alles dankbar was weiter hilft. Und nach alledem was die Urquellen aus Germanien zu berichten wussten und was dann davon wiederum die antiken Chronisten übernahmen und verschrifteten, deutet alles darauf hin, dass die Schlacht extrem verlustreich verlaufen sein musste. Mangels besseren Wissens, haben sich die modernen Historiker daher auf eine Festlegung verständigt die da lautet, “alle Römer kamen in ihr um und nur wenige von ihnen überlebten sie“. Wer also nicht schon während der Kämpfe an den ersten Tagen sein Leben ließ, zog das nächste Los und musste Varus auf dem weiteren Weg bis in den Untergang folgen. Immer in der Hoffnung später zu den Überlebenden zu zählen, vergingen für die Legionäre wohl die kritischsten Stunden, Tage und Nächte ihres Lebens. Die germanischen Stämme hatten das Heft in der Hand und konnten den zunehmend dezimierten Legionen in ihrer Zwangslage nach Belieben neue Gemetzel bescheren oder ihnen taktische Ruhephasen gönnen. Man trieb sie zuletzt je nach Kalkül vor sich her lenkte und schleuste sie sukzessive in eine steile Schlucht in der das Verderben über sie herein brach, um es mal theatralisch im Sinne der „Varusschlacht – Festspiele“ auszudrücken. Denn nur eine Fluchtrichtung in Richtung Sonnenuntergang oder der nach Westen ausgerichteten Baumbemoosung versprach ihnen Rettung. Unkontrollierte Fluchtbewegungen „Hals über Kopf“ aus dem Unterland an der Nethe zur Lippe machte letztlich der schroffe und steile Eggekamm zwischen Nethegau und Westfälischer Bucht zunichte. Und jeder Römer musste befürchten, dass hinter förmlich jedem Baum schon ein Germane wartete um einem derartigem Ansinnen ein schnelles Ende zu bereiten. Aber damit nicht genug, denn bei bewölktem und regnerischen Wetter half auch das beste Wissen um den Sonnenstand nicht weiter, die Moosbedeckung hat einen breiten Streuwinkel und verriet dem ungeübten Legionär nicht unbedingt den richtige Fluchtweg durch Sumpf und Gebüsch nach Westen. Ausgezehrt vom Kampfgeschehen, mitten im Getümmel und nach nur wenigen Körperdrehungen war es zudem aussichtslos und unmöglich noch dazu in einer Senke einen freien Blick auf die scheinbar rettenden Eggehöhen zu erhaschen. Kein Germane gleich wo, der damals einem fliehenden Römer begegnete, wird hier an Nächstenliebe gedacht haben. So könnte sich möglicherweise die Realität zugetragen haben und auch die Vorstellungskraft jener, die sich nicht zur Flucht hinreißen ließen und wie erstarrt auf ihre Gefangennahme warteten. Irgendwann im letzten Kampfabschnitt sonderte sich wegen der Ausweg- und Aussichtslosigkeit der Lage die Kavallerie des Numonius Vala ab und suchte ihr Heil in der Flucht. Unter ihnen sollen sich noch die meisten Überlebenden befunden haben. Wer es bis zum letzten Tag schaffte einer germanischen Lanze oder einem Schwerthieb zu entgehen, der endete auf dem Altar, wo die Hinrichtung statt fand, ging in die Sklaverei, schlug sich noch ins römische Lager Aliso nach Schwaney durch, kam später gegen Lösegeldzahlung frei oder wurde wie es uns Tacitus in besagten Fall berichtete noch nach 41 Jahren befreit. Letztlich tendierte die Zahl derer die ihre Haut retten konnten, wohl gegen Null. Wer es dann doch noch bis zum Rhein schaffte, der bekam auf höchste kaiserliche Anweisung obendrein noch „Einreiseverbot“ für Italien, denn die Unruhe in den Straßen von Rom war auch so schon für den Kaiser besorgniserregend genug und bedurfte keiner zusätzlichen Befeuerung. Das Imperium vermied in dieser Phase negative Nachrichten jeglicher Art und ging daher auch mit den eigenen Männern nicht zimperlich um. Gerade so, als ob man gar nicht so sehr daran interessiert gewesen wäre, näheres über ihr Schicksal aber auch den Verlauf und die Ursachen der Schlacht erfahren zu wollen. Auf welche News aus Germany könnten sich da noch die antiken Historiker gestürzt oder gar verlassen haben und was ließ sich da von alledem überhaupt noch von ihnen plausibel für die Akten verarbeiten. Die Schlacht war verloren und frei nach dem Motto „nichts ist älter – als die Schlagzeile von gestern“ kann man sich auch fragen, wer war da überhaupt noch an den genauen Umständen interessiert war. Möglicherweise, ja sogar als nahezu sicher könnte man annehmen, dass unser heutiger Wissensdurst an der Varusschlacht ungleich größer war, als damals. Das Verlangen in Rom dürfte also nicht übermächtig groß gewesen sein, sich sofort nach der Schlacht mit den näheren Umständen befassen zu wollen oder sich um Aufklärung zu bemühen. Zum anderen stellt sich seit jeher die Frage nach der damaligen Staatsraison, ob überhaupt berichtet werden durfte und ab wann man Recherche zuließ. Ich gehe daher davon aus, dass in den ersten Jahren nach der Schlacht die Eintragungen der Chronisten am Hofe des Kaisers, die es zweifellos gab, auch nur recht spärlich und mager ausfielen. Traurige Ereignisse verdrängte die Menschheit immer schon gerne, damals wie heute. Und die Begrifflichkeit einer Erinnerungskultur war den damals Lebenden fremd. In die römische Germanenpolitik kehrte nach der Schlacht eine leicht trügerische Ruhe ein. Der sich verschlechternde Gesundheitszustand von Kaiser Augustus bremste in der Übergangsphase jegliche Dynamik innerhalb der Befehlshierarchie. Kaiser Augustus hatte sich mit seinen Taten in der "Res Gestae" verewigt, war aber zögerlich bei der Ernennung von Tiberius zu seinem Nachfolger, konnte aber im Vergleich zu manch anderem Kaiser in Rom auf eine erfolgreiche Regentschaft zurück blicken. Aber welcher langjährig amtierender und schon als Sonnengott verherrlichter Kaiser verabschiedete sich gerne von der Macht. Wir kennen das auch aus der neudeutschen Politik. Auch Tiberius konnte sich selbst noch nicht mit seiner neuen Rolle als designierter Kaiser identifizieren aber die Ereignisse zwangen ihn zum Handeln und sie ließen sich nicht aussitzen. Nicht nur oberflächlich betrachtet sind diese führungslosen „Interregnen“ seit jeher auch der Nährstoff der zu Revolten führen kann. Germanicus bekam es 15 + in Neuss zu spüren. So war es wohl so, dass sich Roms Legionäre in dieser Übergangsphase überflüssig fühlten und untätig in ihren Standlagern und Ausgangsquartieren am Rhein verharren mussten. In den Jahren 9 + bis 15 + blickte man von dort aus noch wie gebannt auf die germanische Schlange, die sich aber nicht bewegte. Nichts rührte sich in Innergermanien. Über die Varusschlacht begann langsam das Gras zu wachsen und man begnügte sich noch mit der Rheinabsicherung und leistete sich lediglich in sporadischen Abständen ein auf Imponiergehabe beruhende Vorneverteidigung. Und diese vermutlich auch nur innerhalb der „Tiberianischen Landwehr“ vor der künstlich gezogenen sugambrischen Ostgrenze. In dieser gegenseitigen Stillhaltephase begann Tiberius bereits ab dem Jahre 10 + an den ersten Strategien zur Rückeroberung zu schmieden, die er jedoch zeitweilig unterbrechen musste. Aber es war wohl auch kein Zufall, dass kaum nach dem Tod von Kaiser Augustus im August 14 + Tiberius freie Hand hatte, um in Abstimmung mit dem in Dalmatien glücklosen vielleicht aber auch unfähigen Germanicus in Germanien zurück zu schlagen. Bevor ich aber in die Rolle des Segestes einsteige der auch in diesem Kapitel die Hauptperson ist bedarf es noch einer Rezeption. Wir müssen uns nämlich noch auf jene holprigen Wegen begeben, auf denen sich auch die Spuren der Hufe der römischer Schlachtrösser vom Sommerlager bis in den Saltus eindrückten, jenem schaurigen Ort an dem die Schlacht zur Neige ging. Suffektkonsul und Legat unter Varus war im Jahre 9 + sein Neffe Asprenas, dem zwangsläufig nach der Schlacht als ranghöchstem Befehlshaber die gesamte Verantwortung über das weitere Vorgehen zu fiel, nachdem es ihm gelang sich mit seinen zwei Legionen hinter den Rhein in Sicherheit zu bringen. Man rechnete ihm die sichere Rückführung der Truppen hoch an, obwohl der germanische Arm dazu wohl nicht mehr die nötige Kraft aufbringen konnte um ihn daran zu hindern bzw. ihm in diesen Tagen noch bis an den Rhein nachstellen zu können. Tiberius der nach der Katastrophe bereits im Winter 9 + /10 + an den Niederrhein eilte, nahm ihm die Last von den Schultern und traf die wichtigen Vorbereitungen und Entscheidungen um gegen einen möglicherweise späteren Vorstoß der Germanen „gewappnet“ zu sein. Übrigens “Gewappnet“, das uralte Wort und Vorläufer des namens Waffen, im englischen Weapon, das wir heute noch in der Wappenkunde, der Heraldik wieder finden. Das bemalte Wappenschild diente im ursprünglichen Sinne als Abwehrwaffe verlor in der Zeit aber seine Funktion als Waffe, geriet mehr zum Erkennungssymbol in der Schlacht und wurde später zum Ahnenzeichen von Familientraditionen. Und auch die Cherusker könnten sich schon mit einfachen Schilden vor römischen Schwerthieben geschützt haben. Die Reiter der Vala Kavallerie waren vermutlich die ersten die Xanten über den Haarweg erreichten und Asprenas Bericht erstatteten, aber sie blieben bekanntlich nicht bis zum „Showdown“ im Saltus. Ihr Kenntnisstand riss schon vorher ab und reichte nicht aus um Angaben über die letzten Kampfaktivitäten zu machen. Zuerst war es natürlich Asprenas, er müsste es eigentlich mit erlebt haben, wie die ersten ausgehungerten und mehr Tod als lebendig erscheinenden Überlebenden nach gewaltiger Kraftanstrengung und Nachtmärschen die römische Zivilisation und das Rheinufer erreichten. Tiberius und auch Germanicus wird noch den einen oder anderen persönlich befragt haben können. Was sie beschrieben, nach dem sie zu Kräften kamen, diente wohl eher weniger einer komplexen Aufhellung der Ereignisse, sondern weckte die allseitige Bewunderung, dass ihnen überhaupt noch die Flucht wie auch immer gelang. Aber ihre bruchstückhaften Erlebnisberichte aus dem Kessel der Clades Variana einschließlich dem Wissen der Überlebenden Kavalleristen waren der ultimative Kern von alledem, was uns heute zur Auswertung zur Verfügung steht. Nur diese Augenzeugen waren es die, wie in allen Kriegen der Welt die authentischsten Nachrichtenquellen bildeten und damit zur Grundlage späterer Veröffentlichungen wurden. Die römischen Befehlshaber am Niederrhein waren die höchsten Repräsentanten des Reiches in Niedergermanien und sie konnten sich in den Jahren nach der Schlacht die beste Übersicht über den Verlauf der Varusschlacht machen. Nur sie besaßen den umfassendsten Kenntnisstand in jenen Tagen. Aber kein antiker Historiker verweist, warum auch immer als Quelle auf diese bedeutenden Schlachtenlenker hin. Kein Asprenas, kein Tiberius und kein Germanicus findet sich unter den Personen die die späteren Historiker als Quelle anführten. Was waren die Ursachen dafür bzw. wie weit griff eine mögliche Verdunkelungsanweisung. Tiberius war eben kein Cäsar und er wollte uns keine „De bello Germanico“ hinterlassen. Wir können also nur rätseln warum er schwieg. Dem in Verdacht geratenen Asprenas, denn man unterstellte ihm, er habe sich an der Kasse der untergegangenen drei Legionen bedient bzw. bereichert, kann nicht daran gelegen gewesen sein, die Überlebenden die nach Tagen, Wochen oder Monaten den Weg nach Xanten zurück fanden mit offenen Armen und Konfetti zu empfangen, was viel Raum für weitere Spekulation lässt. Das er an Aktenvermerken kein Interesse hatte scheint daher plausibel. Tiberius sein Vorgesetzter, der Feldherr und spätere Kaiser der bereits ab dem Winter 9 +/10 + in Xanten anwesend war, müsste als Nachfolger von Varus und nur wenige Monate nach dessen Niederlage über die besten und authentischsten Nachrichten aus dem Teutoburger Wald verfügt haben. So hätte er die entkommenen Reiter aus den Vala Schwadronen vernehmen bzw. befragt haben können ja sogar müssen. Denn ihr Wissen umfasste nicht nur den Schlachtverlauf sondern erlaubte auch tiefere strategische Einblicke in die Hierachie der Cherusker und vieles mehr, heute würde man es Spionage nennen. Mit seinem Wissen ausgestattet hätten wir möglicherweise allen Spekulationen für alle Zeit einen Riegel vorschieben können, wo in etwa die Marschstrecke verlief, wie viel Tage die Schlacht andauerte und manches mehr. Sein Name findet jedoch an keiner Stelle als Quelle Erwähnung, so dass es recht fraglich ist, ob man an den tatsächlichen Ursachen und den Abläufen der Schlacht in den ersten Jahrzehnten nach der Schockstarre überhaupt interessiert war. Andererseits könnte man aber auch die Frage aufwerfen, ob Tiberius schwieg weil er zuviel unangenehmes wusste, oder eben einfach auch nur deshalb, weil er nichts wusste, also niemand bei ihm vorstellig wurde um Aussagen zum Hergang zu machen oder machen zu wollen. Ich hatte an anderer Stelle den Verdacht geäußert, dass der massive Truppenabzug von allen Fronten für den Markomannenfeldzug und den folgenden Pannonienkrieg die drei Varus Legionen stark entblößte und dies Varus später geschwächt hatte. So fühlte sich Tiberius am Desaster gewissermaßen selbst mit schuldig. Der Markomannenfeldzug entwuchs zweifellos einem römisches Prestigebedürfnis. Es entwickelte sich daraus aber letztlich für das Imperium ein glücklicher Umstand. Denn dadurch hatte Tiberius bereits in relativer Nähe zu Pannonien komplette Legionen einsatzbereit, war verhältnismäßig schnell vor Ort und eine tiefe Mobilmachung konnte zu großen Teilen entfallen. Vergessen wir bei den ersten Berichten der Überlebenden in Xanten auch nicht, dass es sich dabei möglicherweise nur um einfache Legionäre handelte, die aufgrund der Aufregung nur konfus zusammen gewürfelte Darstellungen liefern konnten, je nach dem an welcher Position des Marschzuges sie eingeteilt waren, wo und als was sie gedient hatten. Aber ohne ihnen zu nahe treten zu wollen, glichen sie vielleicht mehr einem geschundenen menschlichen Kampfkörper, der nicht imstande war detaillierte Zusammenhänge vermitteln zu können und auch ihr Bildungsgrad lässt ich nur erahnen. Für sie verlief alles chaotisch, blutig, regnerisch in einer heillosen Flucht nach vorne und Germanen von allen Seiten. Sie mussten auch vorsichtig sein, denn am Ende unterstellte man ihnen noch mangelnden Kampfeswillen, denn überlebt zu haben lässt sich auch als Feigheit auslegen. Auch Germanicus war noch nahe dran, als er erstmals 11 + Tiberius an den Niederrhein folgte sich dann nochmal kurzzeitig nach Rom begab um sich dann aber ab Januar 13 + für einige Jahre in Germanien aufzuhalten. Ab dem Spätherbst des Jahre 14 + begann er sich darum zu bemühen die alte Ostgrenze des Imperiums wieder herzustellen, sprich Krieg zu führen. Auch aus dem Munde von Germanicus erhalten wir über die Varusschlacht keinerlei Informationen. Erst zeitversetzt, über Umwege und lediglich im Zusammenhang mit der Knochenbeisetzung der toten Legionäre im Jahre 15 + an der er mit Hand anlegte und anlässlich der er sich als priesterlicher Augur zum Ärger von Tiberius befleckte, ließ er sich wieder etwas in die historischen Karten schauen. Vielleicht spielte bei diesem Disput auch etwas die Rivalität eine Rolle, da die Soldaten des Germanicus statt Tiberius wohl ihn gerne als Kaiser gesehen hätten. Es klingt aber eher so, als ob es Tiberius angenehmer gewesen wäre, Germanicus hätte die alten Schauplätze gar nicht mehr auf gesucht. Tiberius, der nunmehr Kaiser war störte sich vermutlich mehr daran, dass Germanicus im Zuge des Bestattungsrituals wieder die alten Wunden aufriss, als dass er mit Leichenteilen in Berührung kam. Die Narben sollten vernarben. So haben wir im Zusammenhang betrachtet sowohl in Tiberius als auch Germanicus gleich zwei namhafte römische Schlachtenlenker zu denen uns keine Informationen darüber vorliegen, ob es von ihnen überhaupt Schilderungen zum Verlauf der Varusschlacht gab. Obwohl sie im 2. Jahrzehnt des neuen Jahrtausend am Nächsten zum Geschehen standen, blieb es erst rund 1oo Jahre später einem Tacitus vorbehalten, uns zumindest noch die Szenerie der Knochenbestattung des Jahres 15 + zu schildern, während wir von ihm rätselhafterweise kein Wort über den Verlauf der Schlacht erfahren. Dafür hinterließ er uns allerdings den wichtigen geographischen Fixpunkt, wo wir nach den Resten der drei Legionen zu suchen haben, nämlich den römischen Namen für die Eggeschlucht zwischen Borlinghausen und Kleinenberg. Germanicus dürfte spätestens seit dem Jahr 11 + als er Germanien als designierter Konsul erstmals betrat, wo er auf Tiberius traf zumindest ungefähr gewusst haben, wo sich die denkwürdige Varusschlacht ereignet hat. Man wird es ihm beschrieben haben. Aber im Jahre 15 + steuerte er sie nicht auf dem direkten Weg an, da sie nicht auf seinem Zugweg ins Kerngebiet der Cherusker lag, die er anzugreifen gedachte, sondern streifte sie nur nördlich in einem Abstand von etwa 20 Kilometern. Während man in Velleius Paterculus schon fasst eine Art persönlichen Biographen des Feldherrn Tiberius sehen kann, wissen wir von keinem der Germanicus chronistisch begleitete. Germanicus ging in Rom der Tätigkeit eines Patronus vor den ordentlichen Gerichten nach. Wie uns Sueton hinterließ wurde Germanicus in rhetorischer Hinsicht besonders gefördert und ausgebildet. Augustus hatte Germanicus, der sein Enkel war noch selbst nach Germanien entsandt, um den Krieg gegen die Germanen erneut aufzunehmen. Tiberius als auch Germanicus könnten auf höhere Weisungen um das brisante Thema Varusschlacht einen größeren Bogen gemacht haben, weil Augustus es vielleicht so wünschte. Germanicus hätte also allemal genügend Talent und Erfahrung besessen um an der schriftlichen Aufarbeitung der Varusschlacht mitwirken zu können, wenn er es denn gewollt hätte, oder wenn man ihn gelassen hätte. So müssen wir uns wohl damit begnügen, es hier mit zwei sehr schweigsamen Männern zu tun gehabt zu haben. Und, dass das Wissen dieser beiden Feldherren nicht in die Annalen der Varusschlacht, so wie wir sie kennen eingeflossen ist, ist meines Erachtens daran zu erkennen, dass alles was wir historisch in Erfahrung bringen können, mit Ausnahme der Überlieferungen von Velleius Paterculus, nie durch die Hände eines militärisch geschulten und erfahrenen römischen Kommandanten wie es etwa Tiberius oder Germanicus gewesen wären, gegangen ist. Denn alles Sonstige uns auch aus dem 2. Jahrhundert Hinterlassene trägt weder die erkennbare Handschrift noch die Züge von Militärhistorikern. Da wir also diese zwei berühmten Persönlichkeiten ausklammern müssen, geht uns leider nicht nur der wichtige römische Zeitzeuge Tiberius verloren. Sondern auch die Quelle eines „Beinahezeitzeugen“; denn auch Germanicus verriet uns nichts darüber, was sich mit ihm zum Verlauf der Schlacht in Verbindung bringen ließe. Nähern wir uns aber nun der wesentlichen Frage dieses Kapitels an. Sie lautet. Wurde der Germane Segestes im Jahre 17 + mangels aussagefähiger Überlebender römischer Schlachtenteilnehmer und zweier unwilliger, kenntnisarmer oder zum Schweigen verpflichteter römischer Feldherren zu einer der Urquellen für alle römischen Chronisten, die über die Ereignisse um die Varusschlacht berichteten. Wohl wissend, dass es sie gab möchte ich mir einer gewissen Provokanz bewusst, die Frage aufwerfen, ob man imstande wäre auch römische Quellen anhand der Schriftenanalyse der antiken Berichterstatter auszumachen. Informationen die sich sicher von der Urquelle Segestes isolieren lassen um nachzuweisen, dass es sie gab. Die eindeutig römischen Ursprungs waren und in denen sich auch ein Bezug erkennen lässt. Und natürlich gab es auch schon vor dem Eintreffen von Segestes in Rom Berichte zur Varusschlacht, aber aus welchen Quellen diese stammen wird für uns immer ein Rätsel bleiben. Im voraus gegangenen Abschnitt hatte ich den Verdacht geäußert, dass sich Segestes mit seinem tieferen Wissen über die Varusschlacht gegenüber Chronisten und Machthabern in Rom förmlich frei kaufen musste, in dem er sich literarisch und rhetorisch selbst erhöhte, wenn er nicht als Doppelspion in der Arena enden wollte. Das zwang ihn der römischen Gerichtsbarkeit eine ausgewogene und überzeugende Darstellung zu offerieren, die ihn zum beinahe Märtyrer und leidenschaftlichen Vorkämpfer der römischen Provinzialisierung in Ostwestfalen machte. Er brauchte die nötige Unbedenklichkeitsbescheinigung möglichst mit Siegel um im damaligen Hexenkessel Rom überleben zu können. Um aus den vorhandenen Quellen jene Hinweise heraus zu filtern von denen man annehmen könnte, sie entsprächen dem O - Ton eines Segestes ist noch folgendes festzustellen. Römische Historiker gleich um welchen von ihnen es sich handelte, sollte ihr Wissen und ihre Überlieferungen auf Segestes beruhen, werden dies nicht im Quellenverweis kenntlich gemacht haben. Sie werden in ihren Texten grundsätzlich Formulierungen angewendet haben, die den Eindruck erwecken, dass alles nieder geschriebene aus dem Munde von Landsleuten also Überlebenden oder anderen römischen Gewährsmännern stammte. Alles wurde und musste aus der Sicht der römischen Schlachtenteilnehmer dargestellt werden, denn nur ein einziger Hinweis auf eine germanische Quelle hätte ihr Werk „ad absurdum“ geführt und vor den Augen einer kritischen Leserschaft unglaubwürdig gemacht. Man wäre nun an einem Punkt angelangt feststellen zu müssen, welche Aussagen wie auch immer Segestes sie inhaltlich vorbrachte ihm genutzt haben könnten und was für ihn um seine Haut zuretten unerheblich war. Segestes besaß, obwohl er wie man allgemein schlussfolgert selbst nicht an der Varusschlacht teil nahm umfängliche Kenntnisse über den Verlauf. Zumal er in den Krieg „hinein gezogen“ wurde, könnten ihm taktische Abläufe und Schritte im Zuge der Thingversammlungen und seinem Status als Fürst offen oder verdeckt zu Ohren gekommen, ihm zugetragen oder ihm zugänglich gewesen sein. Zum anderen nahmen auch selbst seine engsten Sippenangehörigen an der Schlacht teil und konnten ihm danach berichten, was sich wie und wo zutrug. Da er selbst nicht im Gefecht stand und er sein Wissen nur über germanische Zungen hatte, konnte er nichts aus der Sicht der römischen Legionäre berichten, denn ihnen begegnete er nach der Schlacht nicht mehr. Es sei denn er wäre auch noch in den Sklavenhandel mit gefangenen Legionären nach der Schlacht verstrickt gewesen. Was allerdings tief blicken lassen würde. So käme es nun darauf an den Wissensstand beider sich wider streitender Fronten also den Kontrahenten von damals aufzuarbeiten, ihn zu kennzeichnen und voneinander zu trennen. Am Ende der Analyse stünde uns möglicherweise eine Antwort bevor aus der hervor gehen könnte, dass vieles von dem was wir meinen über die Schlacht zu wissen, auch der überzogenen Dialektik eines Segestes entsprungen sein könnte. Andererseits könnte uns dies aber auch zu einem ungetrübteren und nüchteneren Blick verhelfen. Wir werden aber auch Hinweise finden, die keine klare Zuordnung ermöglichen und zulassen, und denen eine Vermischung römisch/germanischer Quellen zugrunde gelegen haben könnte. Aber in welcher Form bringt uns eine derartige Analyse hinsichtlich der Varusforschung überhaupt weiter. Wir könnten Plausibiliäten oder Parallelitäten erkennen, vielleicht sogar Glaubwürdigkeitsfragen abklären oder Unterscheidungsmerkmale zwischen den Schlachtenbeschreibern Florus und Dio heraus arbeiten. Wir müssen aber auch befürchten und uns unter Umständen eingestehen, dass unter Berücksichtigung des zeitlichen Abstandes nach dem die beiden bedeutenden antiken römischen Chronisten Florus und Dio berichteten theoretisch alles aus dem Munde von Segestes geflossen sein könnte und somit verfälscht in unsere Zeit über gekommen ist. Denn selbst die früheste Quelle einer Ära nach dem Segestes Auftritt in Rom am 26.5.0017 nämlich der des Velleius Paterculus der um bzw. nach 30 + verstorben sein soll, könnte schon auf den anzuzweifelnden Aussagen des Segestes beruht haben. Denn auch er schrieb erst, nach dem Segestes im Jahre 17 + von den römischen Advokaten verhört wurde. Sie sehen selbst, dass hier eine Tür aufgestoßen ist, die uns auf Abläufe blicken lässt, die nicht im Handumdrehen zu beantworten sind. Genau genommen scheint es unvermeidbar zu sein vor diesem Hintergrund die Angaben aller antiken Historiker noch einmal miteinander abgleichen zu müssen. Aber die Arbeit verspricht auch ihren Reiz. Den viele Angaben aus antiken Quellen werden nicht nur, sondern müssen geradezu ins Wanken geraten. Was dann übrig bleibt könnte zwar stofflich betrachtet ärmer und nicht so blumig oder gar drastisch ausfallen, aber dadurch vielleicht an Glaubwürdigkeit gewinnen. Aber selbst; ich möchte sie mal provokant die Geschichten des Segestes bezeichnen, bieten uns wieder neue Nahrung die uns hilft tiefer in die germanische Seele Einblick zu nehmen. Denn auch die „Erzählungen des Herrn Segestes“ sind immerhin schon 2000 Jahre alt und bilden und bieten uns innerhalb der „Clades Variana“ einen neuen und eigenen Forschungskomplex an, wenn es denn gelingt sie aufzuspüren. Aber die Chronologie weist uns den Weg zurück und hilft uns die Überlieferungen die ab dem Jahr 9 + verfasst wurden unter der Lupe der „Segestesforschung“ zu betrachten. An den Anfang gestellt gehört eine Kurzanalyse wie sich der Informationsfluss von der Borlinghausener Saltusschlucht nach Rom vollzog. Asprenas flüchtet aus einer uns nicht bekannten Region, die sich rechts des Rheines befand mit seinen zwei Legionen an den Rhein und jeder Flucht geht bekanntlich ein Grund dazu voraus. Asprenas erfuhr also vom Ausgang der Schlacht, eilte aber Varus nicht mehr zur Hilfe da er zu weit entfernt stand oder von der Aussichtslosigkeit wusste oder sie erkannte was ihn davon abhielt zu ihm zu eilen. Er und seine Legionäre in Verbindung mit der entkommenen Vala Reiterei dürften wie schon dargestellt die ersten gewesen sein, die die Katastrophennachricht aus Ostwestfalen an den Rhein brachten. Meldereiter brachen dann unverzüglich nach Rom auf um den Kaiser zu informieren, der dann historisch gesichert am 6. Oktober 0009 die Nachricht bekam und Tiberius daraufhin an den Niederrhein beorderte. Von nun an beginnt die Aufarbeitung der Informationsflüsse aus Ostwestfalen zum Palatin. Was wussten die antiken Historiker wann, was berichteten sie und woher hätten sie ihr wissen gehabt haben können. Und natürlich ab wann und mit welchem Wissen Segestes dazu stieß und womit er die Historie bereicherte oder eben auch nicht, da seine Berichte strittig sein könnten.(26.7.2019)

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Dienstag, 16. Juli 2019
Hier ein aktuelles Foto der "Tri" - Bühne des Arminius im Eggegebirge
quo tribunali contionatus Arminius, quot patibula captivis (Tac.ann. 1,61)

"DIE ERHÖHUNG VON DER ARMINIUS AM ENDE DER SCHLACHT ZU DEN VERSAMMELTEN GERMANEN SPRACH"

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Samstag, 29. Juni 2019
Segestes ein Mann im Zentrum der Varusforschung
Die erste große auf heute deutschem Boden stattgefundene Schlacht, die in früh geschichtlicher Zeit ausgetragen wurde und die man zu einem ?Historiendrama? hochstilisierte gelangte unter der Bezeichnung ?Varusschlacht? zu herausragender Bedeutung. Doch befragt man selbst Geschichtsfreunde, so kennen viele von ihnen maximal nur die zwei Hauptdarsteller. Varus den schmählichen Versager und Verlierer der Schlacht und Arminius den strahlenden Helden, dem der unerwartete Sieg gelang. Nur wenige Jahre zuvor läutete eine unsichtbare Glocke die Zeitenwende ein, womit die Germanen die fiktive Epoche der Prähistorie verließen. Man setzte für die Schlacht das Jahr 9 + an, was aber ein Jahr Null voraus setzt, das der Schaltjahr freie julianische Kalender nicht kennt, dem sich aber die Historie verpflichtet fühlt und was die Wissenschaft noch lange beschäftigten wird. Da sie den gregorianischen Kalender nicht anwendet, kommt auch Cäsar immer noch am 15. März 44 ? und nicht am 13. März 43 ? zur Welt. Diese Schlacht stellt sich vor unseren geistigen Augen wie ein monumentales Ereignis dar und nahezu geschaffen für die wuchtigen Großleinwände der Weltgeschichte. Entrückt aus fernen Anfangstagen nie mehr erreichbarer Zeiten erscheint es uns wie ein in irrealen Farben verklärtes Meisterwerk. Ganz so, als ob die Natur damals Farben benutzt hätte, die heute nicht mehr existieren würden. Dabei liegt alles ausgebreitet vor uns als sei es gestern erst Geschehen, denn der nötige Zeitsprung nach hinten, den wir im Kopf zu vollziehen haben, stellt uns vor keine unlösbaren Aufgaben. Die Naturgeschichte vollzog sich immer schon nach dem gleichen Muster und der Mensch von heute unterscheidet sich in seinem Inneren kaum von dem, der er auch schon vor 2000 Jahren war. Und das trifft auf alle Gestalten jener Zeit zu. Also auch auf Segestes der zum designierten Überläufer wurde und somit ein Insider der ersten Stunde war. Um diesen dynamischen und immer nach vorne gerichteten Prozess, dem alle geschichtlichen Abläufe unterliegen auch nur annähernd erfassen zu können, müssen alle denkbaren Register gezogen werden. Und je weiter das Ereignis zurück liegt um so schwerer erscheint es uns, sich im Zeittunnel rückwärts zu orientieren. Die Varusschlacht hebt sich in besonderer Weise von vielen anderen historischen Schlachten ab. Denn zwei gegen einander kämpfende Völker unterschiedlicher Kulturstufen, bei der das eine die Schriftsprache beherrscht, ohne die uns auch der Name Segestes nie erreicht hätte und das andere diesen Schritt noch vor sich hat, ist nicht die Norm. Die germanischen Stämme unterschieden sich von den Mittelmeerkulturen und standen auch zu ihren östlichen Anrainervölkern die als Nomaden lebten noch in Kontakt. Im Zuge der Völkerwanderungen bewiesen sie selbst, dass ihnen dieser Wesenszug noch nicht völlig abhanden gekommen war. Somit verlief die Varusschlacht an der Grenze einer brisanten zivilisatorischen Grabenkante, wo sich in der Sprache der Geologie ausgedrückt zwei Platten aneinander rieben. Und so muss unweigerlich am alten Drehbuch auch noch bis in unsere Tage hinein stetig neu geschrieben, es umgeschrieben und ständig an ihm nachgebessert werden. Denn es treten immer wieder neue Aspekte ins Blickfeld und finden im wahrsten Sinne des Wortes ans Tageslicht, nachdem sie sich Jahrhunderte lang im Boden vor der Forschung verbergen konnten. Und auch die Schriften der antiken Historiker können uns im Zuge inhaltlicher Analyse immer wieder noch neue Erkenntnisse offenbaren und Überraschungen bereit halten, die man bislang in einem anderen Kontext sah. Um hier nur die eine technisch provokante Frage in den Raum zu stellen, warum das Imperium ihr Know - How im Zusammenhang mit der Zementherstellung und Verarbeitung in Ostwestfalen plötzlich vergessen haben sollte. Jedes Mehr an Wissen macht auch das alte Schlachtengeschehen für uns transparenter und lässt es für unser Verständnis zunehmend abgerundeter und in sich schlüssiger erscheinen. Und auch beim einstigen Hoffnungsträger, dort wo anfänglich einiges darauf hinzudeuten schien, dass man die Örtlichkeiten der Endtragödie nahe dem ?Kalkrieser Berg? nördlich von Osnabrück endlich hoffte gefunden zu haben, führten neue Erkenntnisse zu einer veränderten Betrachtungsweise. Was nun zwangsläufig zu einer Korrektur bisheriger Ansichten führen musste. So konnte sich die viel zitierte normative Kraft des Faktischen dort mal nicht durch setzen. Und man meint, dem nun damit Rechnung tragen zu können in dem man dazu über geht, die Region nicht mehr der Varusschlacht zuzuordnen, sondern sie auf ein ?Varusereignis? zu reduzieren. Also nunmehr eine Schlachtenepisode mittleren Ausmaßes dahinter erkennt, die auf Basis der gefundenen Schlussmünze irgendwann nach dem Jahre 2 ? statt gefunden haben kann. So kämen demnach auch einige kriegerische Auseinandersetzungen nach dem Prägedatum infrage, die mit Varus nicht mehr unmittelbar in Verbindung gebracht werden können. Zum einen weil Varus erst um das Jahr 7 + Germanien betreten haben soll und zum anderen, weil er bereits zwei Jahre später tot war. Ungeachtet dessen möchte man jedoch am schwer gewichtigen Wort ?Varus? noch etwas festhalten und haben noch Hoffnung. Aber es waren nicht diese zwei Hauptprotagonisten Varus und Arminius allein die an der Geschichte des Jahres 9 + mit schrieben. Denn im Umfeld der Schlacht begegnen uns insbesondere auf römischer Seite noch viele weitere Namen, seien es die der unmittelbaren Teilnehmer an den Kämpfen, andere Zeitzeugen, Anverwandte oder Personen die später über das Geschehene berichten sollten, bis hin zu Kaiser Augustus oder dem auf ihn folgenden späteren Kaiser und früheren Feldherrn Tiberius höchstpersönlich. Alle waren sie in die Schlacht in irgendeiner Weise verwickelt, davon betroffen, tief geschockt, bestürzt oder einfach nur fasziniert vom bitteren Ausgang. Eine kriegerische Begegnung zweier Völkerschaften, die auf ungleiche Entwicklungen zurück blickten erschütterten damals die bekannte Welt. Vergessen wir dabei nicht, dass nach der Kurgan Hypothese beide Völker noch etwa 2500 Jahre vor der Varusschlacht in einer einst gemeinsamen indogermanischen Vergangenheit und großen Völkerfamilie miteinander verbunden waren. Die Varusschlacht könnte man demnach ebenso wie viele andere Schlachten und auch jene unter Cäsar aus heutiger Sicht als ?Wieder Annäherungskriege? zweier in Jahrtausenden auseinander gedrifteter Völkerströmungen bezeichnen. Vor der Entscheidungsschlacht hielt sich eine Varus unterstellte Armee auf ihrem Feldzug den Sommer über im inneren Germaniens auf, durchstreifte als Vorbote einer neuen Zeit Ostwestfalen und errichtete wie angenommen wird, ein zentrales stabiles Lager, von wo aus Varus die römischen Gesetze einführen und durchsetzen wollte. Für die Germanen war es zuviel und sie waren in jener Zeit von alledem schlicht überfordert. So verloren sie letztlich jede Scheu davor, sich einem Heer hoch gerüsteter Eroberer entgegen zu stellen. Mit der Schlacht war der Zenit eines Gewaltausbruches jener Menschen erreicht, die sich keiner anderen Zivilisation unterordnen wollten. Und diese Herausforderung brachte Menschen hervor, die sich mit aller Macht dagegen zur Wehr setzen wollten aber auch Germanen die einen Mittelweg oder eine Koexistenz anstrebten und Personen die einer völligen Unterwerfung das Wort redeten, wenn die Bedingungen stimmten. Sie brachte als Randerscheinung zudem auch noch die Konfrontation besser gesagt die Kollision zweier Götterhimmel mit sich. Eine Zerreiß- und Machtprobe zwischen einer fortschrittlichen Kultur aus den milden und angenehmen mediterranen Gefilden mit einer an die Nebel verhangenen und kühleren Landschaften des Nordens angepassten Bevölkerung. Und es war meines Erachtens nicht etwa der Zusammenprall von Götterfamilien, wonach sich die überlegenen Heroen der indogermanischen Streitaxt- oder Schnurkeramik Kulturen mit den archaisch bodenständigen göttlichen Vertretern der Welt der Megalithbauern bzw. Trichterbecher Kulturen maßen. Im Nethegau standen sich zwei wesentlich jüngere und fortschrittlichere Götterfamilien gegenüber, die sich unschlüssig waren, ob sie noch als Götter oder schon als Menschen agieren oder betrachtet werden wollten. Die Austragungsregion der ?Clades Variana? an deren Kante und in deren Kern das Eggevolk lebte, machte folglich diese Region auch zum Zentrum einer überirdischen Auseinandersetzung. Ein Prozess dem sich das Imperium auch in anderen Grenzregionen und nicht nur denen des Ostens gegenüber gestellt sah. Die Gewalttaten im Zuge der Varusschlacht, die sich über mehrere Tage ausgehend von den Niederungen des Nethegau bis hinauf auf die Hochebene nach Kleinenberg erstreckten, lösten einen Funken aus und ließen kommende Umbrüche erahnen, die in der Mythologie später als Götterdämmerung bzw. Ragnarök bezeichnet wurden. Aber es waren nicht nur lateinisch klingende Namen die uns die antiken Historiker überlieferten. Auch aus der germanischen Welt wurden einige Personen namentlich bis zu uns durch gereicht. Und einer Person gilt unsere besondere Aufmerksamkeit. Denn was wäre eine Tragödie klassischen Ausmaßes, die ohne Hinterlist, Tücke und Verrat aus kommt, wenn wir die Schlacht einmal wie ein Theaterstück inszenieren oder betrachten würden. Also ohne den Dritten im Bunde, der den Stoff und den dramatischen Verlauf erst durch seine verderblichen und scheinbar seelenlosen Intrigen und seine Rivalität gegenüber den Guten anreicherte und damit das ganze Schicksalhafte des Ereignisses erst komplett zu machen schien. Und diesen Dritten gab es leibhaftig und er durfte natürlich auch nicht fehlen. In der Gestalt des rivalisierenden Cherusker Fürsten Segestes betrat er die Bühne des Geschehens und er gelangte durch sein Tun zu zweifelhafter Berühmtheit. Am diffusen Licht, dass zu Anbeginn unserer Zeitrechnung auf Germanien fiel leistete er seinen nicht unerheblichen Beitrag. Nicht nur dank ihm ist anzunehmen, dass diese Schlacht und auch die Schlachten der Folgejahre den nötigen Grundstoff für die vielen Sagen und Legenden späterer Jahrhunderte liefern sollten. Außer Arminius dem man alles verzieh, der sich aber ebenfalls der gesamten Klaviatur der Intrige bedienen musste um sein Ziel zu erreichen, stand es aber nur Segestes zu, die drohende Gefahr offen beim Namen zu nennen. Er allein war, was seine Beweggründe anbelangte die nicht zu durchschauende und zwielichte dunkle Macht im Zusammenspiel der Kräfteverhältnisse. Und wäre die Schlacht nicht eine reale Begebenheit gewesen, man könnte annehmen, alles wäre nur eine unterhaltsam in Szene gesetzte Veranstaltung für das Volk von Rom gewesen. Eine Gewaltshow so, als ob alles wirklich statt gefunden hätte, wie man es damals auf dem Palatin oder im Kolloseum liebte und wie sich die Bürger der Hauptstadt bei Laune halten ließen. Aber wir denken, dass wir es anhand der antiken Schriften besser wissen, denn es war weder Phantasie noch Fiktion oder Einbildung römischer Theatralik, was sich damals in den Wäldern und Sümpfen Ostwestfalens wie ein Weltengericht über das Land legte. Aber Segestes war nicht nur der Mensch der den germanischen Hinterhalt auf deckte und womit er Freund und Feind gleichermaßen verwirrte, er hatte auch etwas Janusköpfiges an sich. Das sich dieser Germane, der sich in seinem ungestümen Verlangen Rom unter allen Umständen schützen zu wollen und zu müssen zu dieser Tat hinreißen ließ, damit die Pläne der Germanen massiv gefährdete und gleichzeitig den römischen Generalstab zu einer ungewollten militärischen Schwenkbewegung herausforderte, dürfte auch nicht seine Beliebheitswerte, gleich von welcher Seite aus man es betrachten möchte, gesteigert haben. So roch auch alles was wir von ihm wissen etwas zu stark nach Eigeninteresse und das lässt aufhorchen. Und er war auch nicht der von dem man annehmen könnte, er wäre nicht Herr seiner Sinne gewesen, der missverstandene, naive oder verwirrte Verräter und letzte römische Rettungsanker im großen Spiel und diplomatischem Geränke vor dem Kräftemessen. Er wusste was er tat. Denn bei genauer Analyse seines Werdeganges und den unterschiedlichen Rollen die er dabei einnahm, sowie der Lebenserfahrung die er sammelte, stoßen wir auf diverse Hinweise hinter denen sich Ungereimtheiten verbergen, die uns auch an etwas anderes denken lassen. Ich sehe daher in ihm die fragwürdigste Person im Kontext der Ereignisse und bin davon überzeugt, dass die Geschichtsforschung seiner Bedeutung zu wenig Raum gibt. Thusnelda seine Tochter soll um das Jahr 10 ? zur Welt gekommen sein. Als ihr Vater, könnte Segestes 20 Jahre früher, etwa um das Jahr 30 ? und natürlich auch später geboren worden sein. Nach 17 + verstarb Segestes vermutlich im gallischen Exil. Womit sich seine Lebenszeit in etwa errechnen ließe. Segestes durchlebte somit die schicksalhaftesten Jahre, die die Germanen in Ostwestfalen und der Großregion über sich ergehen lassen mussten. So könnte er schon mit 14 Jahren, also noch als Halbwüchsiger erfahren haben, wie die Sugambrer links des Rheins die Armee des römischen Statthalters Lollius im Jahre 16 ? aufrieben und sogar einen Legionssadler erbeuteten, Rom dann aber im Zuge der Revanche doch letztlich als Sieger vom Platz gehen sollte. Er hörte später davon, wie Rom mit diesen Sugambrern umsprang, sie in ihre Gewalt brachte, sie wie Sklaven behandelte und dann an den Niederrhein verfrachtete, bzw. umsiedelte. Dann erfuhr er im Alter von etwa 18 Jahren vom ersten größeren Drususfeldzug. Es war im Jahre 12 ? und es wirkte nicht nur so, sondern es war auch die Demonstration römischer Überlegenheit, bei der das Imperium ohne nennenswerten Widerstand kraftvoll den Niederrhein überschritt und danach in die westfälische Bucht eindrang. Er kämpfte mit inzwischen möglicherweise 19 Jahren auch auf Seiten der Cherusker bei Arbalo im Jahre 11 ? gegen Drusus mit. Dort musste er mit ansehen, wie hilflos, konfus und strategielos sich doch die germanische Taktik erwies und es nicht gelang, das römische Heer auf ihrem Rückmarsch zum Rhein entscheidend zu schwächen geschweige denn schlagen zu können. Mit Anfang 20 war er dann vielleicht auch in die Schlachten und Kämpfe des ?Immensum Bellum? unter Marcus Vinicius und dem Feldherrn Tiberius in Ostwestfalen der Jahre 1 + bis 5 + verwickelt oder davon betroffen. Und auch diese Erlebnisse gingen nicht spurlos an ihm vorbei. Letztlich zogen die Germanen immer wieder den Kürzeren und konnten dem unaufhaltsamen Vordringen des Imperiums nichts entgegen setzen. Alle mussten ohnmächtig zusehen, dass die römische Landnahme nicht zu stoppen war und man ging allgemein davon aus, dass es so weiter gehen würde, bis das Imperium die Elbe erreicht hätte, nach dem Rhein den nächsten großen Strom in Germanien. Nicht nur er könnte es wie einen Erfolg gewertet haben, als das Imperium endlich die Kriegshandlungen einstellte und auf Provinzialisierung setzte. So brachte der Bündnisvertrag zwischen den Cheruskern und dem Imperium unter Varus an dem auch er selbst mit gewirkt haben dürfte nach etwa 20 Jahren Kampf und Leid die nötige und ersehnte Ruhe ins Land. Zwar ein Diktatfrieden aber ein Frieden. Und wer wollte das Erreichte schon in irgend einer weise übermütig aufs Spiel setzen. Interpretiert man hier die gängige historische Auslegung anders, so wurde hier auch kein Varus an die Weser gelockt, so überzeugend es auch klingen mag, sondern hier wurden einem Varus bereitwillig die Türen zur Weser geöffnet, solange Rom Germanien nur nicht mit neuem Krieg überziehen würde. Denn die germanischen Hütten konnten und sollten nicht auf ewig brennen, man wollte wieder die Äcker bestellen und Hungersnöte mussten ein Ende finden. Das daraus letztlich ein Knebelvertrag wurde, den der cheruskische Vertragspartner einseitig brach, war bei Vertragsabschluss noch nicht zu erwarten gewesen. Und es bedarf auch keiner besonderen Betonung, das man in Rom für den Bruch des Vertrages keinen Grund erkennen konnte und auch nicht wollte, Ein Vertragsbruch war bekanntlich das Schlimmste, was sich ein Vasallenstamm gegenüber dem übermächtigen Imperium erlauben konnte. Letztlich brachte dies den Cheruskern im besonderen Maße den Groll des ganzen Imperiums ein, was in die erwartete Revanche mündete. Es scheint zeitweise so, als ob der Vertragsbruch alles überwog, mehr noch als der Verlust der vielen Kämpfer, oder der Legionsadler. Segestes mag das Kommende gesehen haben. Obwohl der Marserfeldzug des Jahres 14 + den Eindruck erweckte in erster Linie den Unruhen unter den Legionären am Rhein geschuldet gewesen zu sein, so machte er doch den Anfang der drei Schlachtenjahre unter Germanicus, die der Sühne geschuldet waren. Die Brukterer erlitten arge Verwüstungen, da sich durch ihr Stammesgebiet der Nachschubkorridor nach Osten zu Land und zu Wasser zog, während die Chatten 15 + noch recht glimpflicht davon kamen und das Mehrschlachtenjahr 16 + dann den Höhepunkt bildete. Gleich gestellt dem Vertragsbruch war dem Imperium besonders an der Symbolkraft in form der Wiedererlangung ihrer Legionsadler und damit der Tilgung der Schmach gelegen. Aber immer war erkennbar, dass den Siedlungsgebieten der Cherusker die Hauptstoßrichtung galt. Wohl alle Cherusker und natürlich auch Segestes hielten den Friedens - oder Kooperationsvertrag, gleich wie man ihn nennen möchte, der in den Anfangszeiten der varianischen Machtausdehnung geschlossen wurde, für eine gute bzw. die beste Lösung. Segestes kannte daher die Lage im alten Ostwestfalen und im südlichen Niedersachsen wie kaum ein anderer, war dem jungen Arminius an Erfahrung weit voraus und war in Ostwestfalen gegenüber Arminius der einige Jahre kriegsbedingt abwesend war, immer präsent geblieben. Möglicherweise war Segestes sogar selbst davon überrascht wie die Cherusker Arminius mit seiner ?Germanenkohorte? nach seiner Rückkehr wie eine Art Befreier empfingen. Marbod ließ sich vorher nicht in die Karten schauen, ob ihm eine Schlacht gegen Varus ins Kalkül passte. Im Nachhinein kritisierte er jedenfalls die siegreichen Cherusker und das ungestüme Verhalten von Arminius und seine Strategie bis zuletzt. Obwohl er andere Interessen verfolgte, könnte er es ähnlich wie Segestes gesehen haben. Unstrittig aber war, dass ein germanischer Erstschlag im Regelfall auch eine römische Gegenreaktion auslösen würde und eine Massierung römischer Streitkräfte an der Weser konnte nicht in Marbods Interesse liegen. Heutzutage würde man Segestes mit seiner Strategie vielleicht als einen Realpolitiker bezeichnen, der eine Eskalation um jeden Preis vermeiden wollte. Einen Fürst der im Interesse seines Volkes Risiko und Blutvergießen mit allen Mitteln verhindern wollte und der auch den anderen großen ?Chefstrategen? seiner Zeit nämlich Marbod zumindest nicht zum Feind hatte, verdient es auch in dieser Hinsicht eine angemessene Bewertung zu erfahren. Aber Verrat und Tücke kommt eben besser an, so dass man diese Gesichtspunkte gerne vernachlässigte. Die von Tacitus ausgesprochenen Lobeshymnen auf Arminius hätten im Falle seiner Niederlage sicherlich völlig anders geklungen. Vor diesem Hintergrund betrachtet erscheint uns Segestes zweifellos nicht mehr wie ein verwirrter oder naiver Cheruskerfürst, sondern wie ein umsichtiger und ernst zu nehmender Mann, der sich einer Schlacht mit ungewissem Ausgang entgegen stellen wollte. Er machte allerdings eine falsche Rechnung auf, denn er war sich der brodelnden Stimmung unter allen Cheruskern offenbar nicht bewusst. Und er unterschätzte möglicherweise auch die Beutegier und Kampfeslust seiner Stammesgenossen. Denkbar ist auch, dass der Wille zu Gewalt und Waffeneinsatz verstärkt von den Umliegerstämmen kam und sie es waren, die zusätzlichen Druck auf die Cherusker ausübten, da sie ähnliche Vertragsabschlüsse auf sich zukommen sahen. Jedenfalls sah und fühlte man sich an der Weser und unter den Nachbarstämmen überaus siegessicher und willens genug jeden Preis zu zahlen, um die römische Unterdrückung zu beenden. Segestes verharrte nach der Varusschlacht noch lange in seinem Fürstentum und verließ Germanien erst lange Zeit später im Jahre 15 + und das im Schutz des römischen Feldherrn Germanicus. Als ob Segestes es geahnt hätte, so sollte die römische Kriegsmaschinerie erst nach seinem Wegzug im Folgejahr 16 + voll über Ostwestfalen herein brechen. 27 lange Jahre römisch germanischer Schlachten zwischen dem Jahr 12 ? und dem Jahr in dem er den Weg ins Exil antrat, hatten Segestes nachhaltig geprägt und er hatte sie vielleicht auch mit Narben und Blessuren überstanden, aber vor allem hatte er sie überlebt. Die militärischen Fähigkeiten und das Führungstalent eines Segimer können wir nicht einschätzen, man hält ihn für einen Wegbereiter seines Sohnes Arminius. Seinem Vater Segimer könnte man das Mitwirken am nötigen Einigungsprozess unter den Cheruskern zuschreiben, aber allein und ohne Arminius gegen Varus anzutreten, schien ihm offensichtlich auch nicht ratsam gewesen zu sein. So könnte Segestes in den Jahren vor der Rückkehr von Arminius im Stamm der Cherusker auch über einen hohen Grad an Machtvollkommenheit verfügt haben, vielleicht sogar noch über Segimer selbst stehend, dem erst die Stärke seines Sohnes den nötigen Rückhalt verschaffte. Aminius der nun wieder in Ostwestfalen ein ritt um möglicherweise auch die ihm in früheren Jahren versprochene Thusnelda wieder zu sehen. Die langen Jahre hatten Segestes menschlich und auch politisch beeinflusst und reifen lassen. In der Konsequenz wollte er die Cherusker vor einer römischen Niederlage bewahren und das ließ ihn auch vor einem Verrat nicht zurück schrecken. So kann man es auch sehen. Denn kaum ein anderer kannte sich in diesen schweren Tagen auf germanischer Seite besser aus als er, aber die nicht erklärbare Fehleinschätzung hinsichtlich der Mentalität seiner cheruskischen Stammesgenossen und der von ihm damit verbundene unterschätzte Kampfeswille der germanischen Stämme lässt immer wieder Zweifel an seiner Gesinnung aufkommen und man meint auch andere, sprich niedere Beweggründe hinter seinem Verhalten erkennen zu können. Keine namhafte germanische Größe die sich mit ihm in diesen kritischen Jahren nicht traf und mit ihm in Berührung gekommen sein dürfte und die nicht mit ihm ihr Wissen ausgetauscht und geteilt hatte, ließen ihn von seinem Plan abbringen die Schlacht unbedingt vereiteln zu wollen. Er schien sich trotz allem an den Vertrag gebunden zu fühlen und war fest davon überzeugt, dass Varus zum einen nicht zu schlagen war und wenn doch, so hätten die Germanen die römischen Rachemaßnahmen nicht überstehen können. Genauso wird es keinen römischen Oberen oder Feldherrn gegeben haben, der nicht mit ihm wie auch immer in engerem Kontakt gestanden haben wird. Und auch diese Gespräche machten ihm deutlich, mit welchem kompromißlosen Gegner es die Germanen auf der Gegenseite zu tun hatten und wie riskant eine Auseinandersetzung mit ihnen werden würde. Nur einer wusste mehr und das war Arminius, der die gegnerische Front kannte und die eigene befehligte. Er stand ebenfalls mit allen Kräften jener Zeit in Verbindung und kannte die römischen Stärken besser als Segestes zumal er sie selbst hautnah im Kampf erlebt hatte und sich im Gegensatz zu Segestes in Ihre Strategien hinein denken konnte. Der Mut in diese waghalsige Schlacht zu gehen war beeindruckend und der folgende für viele unerwartete Siegesruf aus germanischer Kehle fand in windeseile seinen Weg in alle Himmelsrichtungen und dies nicht nur nach Rom sondern auch bis in den hohen Norden. Der Widerhall dieser Schlacht sollte noch lange nachklingen. Er löste bei den Gegnern völlige Fassungslosigkeit, bei den Siegern einen Freudentaumel und bei den neutralen Beobachtern Erstaunen aus. Segestes überlebte vermutlich auch seinen Widersacher Segimer von dem man annimmt, er könnte die Varusschlacht nicht überlebt haben, da danach jegliche Quellen über ihn schweigen. Den Feldherrn Varus überlebte er sowieso und möglicherweise außer Kaiser Augustus im bereits hoch betagten Alter auch noch Arminius selbst und viele andere ebenfalls. Das macht ihn für die historische Betrachtung besonders interessant. Kein Germane jener Tage verfügte über dieses umfängliche Insiderwissen wie er es besaß und in Teilen könnte er über die römischen Interna auch mehr gewusst haben als Arminius. Sein größter naturgegebener Vorteil den ihm keiner nehmen konnte war letztlich der Umstand, dass es ihm gelang die Varusschlacht und die kritischen Jahre danach zu überleben. Und nicht nur das, er war der einzige, der authentisch bis ins Jahr 15 + hinein gegenüber seinen römischen Verbündeten in allem eine aussagekräftige Quelle war, denn er allein besaß zum Imperium den nötigen Zugang und das Vertrauen. So hätten wir zweifelsohne in Segestes auch einen der wesentlichen Informanten über all die Dinge gehabt, wie sie sich damals zutrugen. Vieles von dem was seinem Wissenstand entsprach, dürfte daher meines Erachtens auch den Weg in die Senatsakten gefunden haben, um sich danach in so manchen antiken Schriften wieder finden zu lassen. Seine Detailkenntnisse floßen in die römischen Annalen ein und werden als Quelle dessen gedient haben, aus der dann alle späteren antiken Historiker in der Zeit nach der Varusschlacht in Rom schöpfen konnten. Er war ja bei allem was in Ostwestfalen geschah und das schon lange vor der Varusschlacht immer ganz nah dabei. Er schloss nach dem ?Immensum bellum? mit Segimer auch das wichtige Bündnis mit Rom und konnte über Vereinbarungen berichten, die ihm was das Inhaltliche anbelangte nur sehr wenige streitig machen konnten. Er konnte aus einem übervollen Fundus an Wissen schöpfen, denn es gab später keine Zeugen mehr, die etwas anderes hätten behaupten können. Ihm war es aber auch gegeben, die Dinge in ihrer Gesamtheit immer so darstellen zu können, wie sie sich für ihn am Günstigsten auswirken konnten. Wenn es zum Beispiel darum ging später zu Protokoll zu geben, wie oft und leider vergeblich er denn auf Varus eindrang, vor der Gefahr eines Hinterhaltes gewarnt haben will, Varus ihm aber partout nicht glauben wollte, so sprach das für seine volle Loyalität. Denn wer lebte noch von den alten römischen Kämpfern und hätte seine Worte bezeugen oder ihm widersprechen können. Segestes wird sie alle gekannt haben, wie sie um Varus herum im Feldherrnzelt saßen und er wird gewusst haben, was später nach der Varusschlacht aus ihnen geworden ist, wenn sie diese überhaupt überlebt hatten. Sollte meine Hypothese zutreffen, so könnten wir es in den antiken Quellen mangels überlebender Zeitzeugen der letzten Stunden mit einer stark einseitig gefärbten bzw. inszenierten Selbstdarstellung des Segestes zu tun gehabt haben. Wer vom römischen Adel, Generalstab oder aus den Reihen der Legionäre überlebte sich nach Xanten oder, wenn auch recht unwahrscheinlich in andere Legionslager durchschlagen konnte, durfte das Mutterland Italien auf Anweisung von Augustus nicht betreten. Dieses Verbot galt vermutlich nur über einen gewissen Zeitraum und zwar nur solange wie der Kaiser brauchte, um auch wieder seine germanische Leibwache die er vorüber gehend weg geschickt hatte bzw. weg schicken musste, zurück in seinen Palast zu holen. Es kann aber angenommen werden, dass es nur wenigen Legionären gelang sich wieder nach Rom zurück zu begeben um sich dort den Fragen der kaiserlichen Schreiberlinge zu stellen. Rom war letztlich auch nicht unbedingt die Heimatstadt vieler Legionäre und so zog es auch nur wenige in die Hauptstadt. Viele Legionäre kamen aus anderen Regionen, Südfrankreich oder Süditalien und machten um Rom einen Bogen, so dass diese später auch nie befragt werden konnten, wie es denn so in Ostwestfalen des Jahres 9 + abgelaufen ist. Ebenso könnte man davon ausgehen, dass die höhere Führungsschicht der Befehlshaber der drei Legionen, die das meiste zum Verlauf hätten beitragen könnten umkamen und Italien gar nicht mehr wieder gesehen haben. Segestes hätte demnach faktisch freie Hand gehabt, die Ereignisse so in die Federn der ihn Befragenden zu diktieren, wie es ihm beliebte und wie es seinen Vorstellungen, Wünschen und Zielsetzungen entsprach und vor allem wie es ihm ins Konzept passte. Er konnte vieles beschönigen, manipulieren und in anderer Weise darstellen. Und dazu gehört natürlich auch das gesamte Umfeld seiner Familie mitsamt den Geschehnissen, wie sie sich um seine Tochter Thusnelda darstellen, die er Arminius wie man so liest entreißen bzw. fortführen musste. Die Hypothese, dass Segestes der Mann war, der mangels römischer Quellen alles wusste, erfordert zweifellos eine komplette Neubetrachtung all jener in antiker Zeit nieder geschriebener Hinweise in Bezug auf die Varusschlacht. So macht es Sinn sich diesen Umständen zu widmen und einen Blick auf die Zeit zu werfen die folgte, nachdem sich Segestes mit seiner Familie in die Hände von Germanicus begab. Was geschah im Frühjahr 15 + und wann geriet er möglicherweise an die Adressen derer in Rom, die von ihm mehr hören wollten. Germanicus führte im Jahre 15 + zwei Angriffe gegen die germanischen Stämme die an der Varusschlacht beteiligt waren. Einen im Frühjahr gegen die Chatten, der schon an der Eder zu Ende zu sein schien bzw. dort stecken blieb, da sich die Chatten mit ihrer Hauptmacht der Schlacht entzogen und eine Rückzugschlacht vermutlich im östlichen Teil der westfälischen Bucht gegen die Marser und die sie unterstützenden Stämme. Brukterer und Cherusker wurden 15 + nicht angegriffen bzw. nicht erwähnt. Nach dem zeitigen Frühjahrsfeldzug 15 + befreite Germanicus Segestes und nahm ihn samt Familie in römische Obhut bzw. Verwahrung. Da er noch einen weiteren und umfänglichen Feldzug im Sommer ab Xanten plante, den er erfolgreich zu beenden gedachte, könnte er Segestes samt Anhang mit an den Niederrhein genommen oder ihn mit Geleit nach Mainz gebracht haben. Ein Datum ist fix, nämlich der 26. Mai 17, den an diesem Tag wurde die Segestes Familie im Triumphzug durch Rom geführt, gleich ob Segestes über Xanten oder Mainz nach Rom gelangte. Wo sie die Zeit zwischen dem Frühjahr 15 + und dem Mai 17 + verbrachten ist nicht bekannt. Was aber ereignete sich in Rom nach dem Bekanntwerden der Niederlage der drei Varus Legionen. Drei Tage Staatstrauer gingen auch einmal zu Ende, Augustus hatte den ersten Schock verdaut und man tröstete sich mit der erfolgreichen Niederschlagung des Pannonienaufstandes im gleichen Jahr. Asprenas hielt und stabilisierte in der ersten Zeit nach der Schlacht, als alle rechtsrheinischen römischen Städte und Legionslager in Flammen aufgingen die niederrheinische Front gegen mögliche germanische Versuche den Fluss überschreiten zu wollen, wobei ihm Feldherr Tiberius noch im Winter 9 + / 10 + zu Hilfe kam und das Kommando am Rhein übernahm. Tiberius zog darauf hin acht Legionen zusammen, beschränkte sich aber bis zu seiner Rückkehr nach Rom im Jahre 13 + wie Paterculus berichtete auf einige Strafexpeditionen vermutlich ins ehemalige Sugambrerland auf der rechtsrheinischen Seite. Sie waren zum Zwecke der Machtdemonstration erforderlich und dienten meines Erachtens der Vorfeldsicherung in jenem Pufferstreifen der dem Rhein vorgelagert war und am ?tiberianischen Landlimes? endete. Dem auch ?Gebück? genannten und geschützten Grenzweg, der sich unter dem Namen Landwehr über die Jahrhunderte erhielt und sich von Duisburg über Wuppertal, Römershagen und Krombach bis an das Siegufer vermutlich bei Siegen hin zog, wo man es später ?Kölsches Heck? nannte. Bis auf wenige Überlebende konnte kein Römer dem Inferno der Varusschlacht entrinnen und ab der Offiziersebene aufwärts soll es nur wenigen Reiterlegionären aus der Kavallerieeinheit des getöteten Numonius Vala gelungen sein, sich zum Rhein durch zu schlagen. Wer konnte und wollte also in Rom überhaupt noch etwas über den Schlachtenverlauf und die Hintergründe sagen, zumal wie berichtet Kaiser Augustus die Grenzen für römische Varuskämpfer nach Italien dicht machte. Aber die römischen Geschichtsschreiber waren der Staats - Chronik verpflichtet und an den Details interessiert und sie hielten Ausschau nach Personen die imstande waren noch Erklärungen für das Desaster abzugeben. Mangels zuverlässiger Quellen musste die Geschichtsschreibung möglicherweise notgedrungen einige Jahre ruhen und kam nahezu zum Stillstand, denn die Nachrichten erreichten die Hauptstadt nur tröpfchenweise. Ebenso wie wir uns heute von Grabungsfund zu Grabungsfund hangeln um unseren Wissensstand zu erweitern, versuchte man wohl auch damals schon, sich aus allem nach und nach ein plausibles Bild zu formen. Als die augusteische Zensur gelockert wurde sickerten mehr Informationen nach Rom durch, mit denen sich die Taten besser rekonstruieren ließen. Man erfuhr vom einen oder anderen Überlebenden oder aus zweiter Hand dieses und jenes, aber das Gesamtbild zum Verlauf der Schlacht wollte immer noch kein klares Bild ergeben. Es fehlten möglicherweise die ernst zu nehmenden Quellen und Wichtigtuer könnten die Oberhand gehabt haben. Aber etwa sechseinhalb Jahre nach der Schlacht gab es doch noch einen unerwarteten Lichtblick. Als sich in Rom herum sprach, dass es Germanicus gelang einen namhaften Cheruskerfürsten in seine Gewalt zu bekommen, hellten sich die Historikermienen unversehens auf. So wurde Segestes für die antiken Historiker in Rom zu einem Geschenk des Himmels, mit dem sie schon gar nicht mehr gerechnet hatten. Sie ließen ihre Schreibutensilien umgehend fallen nach dem sie erfuhren, dass ein Mann nach Rom unterwegs sei, der Interessantes über das zurück liegende Geschehen berichten könnte. Und zwar ein Zeitzeuge aus den Reihen des Feindes und keiner der ihrigen, der sich vorher noch zu vergewissern hatte, ob er es überhaupt riskieren konnte die Wahrheit über das Debakel zu verkünden. Denn in Gestalt des unfreiwilligen Überläufers Segestes erhoffte man sich nun die nötige Aufklärung und Lückenschließung zum bereits bekannten, aber immer noch unbefriedigenden Stand augusteisch und inzwischen tiberianischer Varusforschung. Aber noch mal zurück nach Germanien. Denn wie erging es der Familie des Segestes einschließlich seiner Person nach der de Facto Gefangennahme die wie ich denke in Vogelbeck statt fand. Germanicus stand nun der Triumph zu Segestes einschließlich Thusnelda und andere in Rom vorführen zu können. Aber nach der Befreiung des Segestes aus den Händen von Arminius hatte Germanicus noch den Sommerfeldzug des Jahres 15 +, sowie die Schlachten des Jahres 16 + vor sich. Germanicus ging aufgrund seiner Legionsstärke von einem Sieg gegen die germanische Allianz aus. In diesem Fall brauchte er Segestes, denn er hätte ihn dann anstelle von Arminius und Segimer als Cheruskerfürsten eingesetzt. Folglich wird er die Segestes Familie vorüber gehend in sicherem Gewahrsam möglicherweise in Mainz zurück gelassen haben. Nachdem aber seine Feldzüge erfolglos endeten und Tiberius ihm weitere Kämpfe untersagte, zog er mit der Familie des Segestes vermutlich 17 + über die Alpen nach Rom um sie im Mai des gleichen Jahres dem Volk von Rom zur Schau zu stellen. Mit seinem Eintreffen in Rom geriet Segestes nun in arge Erklärungsnöte. Denn jetzt war er in Rom also unmittelbar am Ort des Geschehens, wo der Kaiser, der Senat aber auch die kaiserliche Geschichtsschreibung ansässig war bzw. ihren Sitz hatte, wo das Volk von Rom erfahren wollte, wen Germanicus aus dem Land der Vertragsbrüchigen gefangen nehmen konnte und wo man nun über ihn zur Inquisition schritt. Denn er war auch gezwungen sich für sein Verhalten nach der Varusschlacht rechtfertigen zu müssen und das zwang ihn in Rom eine Version aufzutischen, mit der er sich von jeglicher Schuld frei sprechen konnte. Man wird ihn in Rom so einiges gefragt haben. Wie es denn sein konnte, dass ihm kein Armine nach der Varusschlacht ein Haar krümmte. Warum er Varus nicht in die Kämpfe von denen er wusste begleitete oder ihm noch rechtzeitig zu Hilfe kam. Warum sogar seine eigenen Sippenangehörigen an der Schlacht gegen ihren römischen Feldherrn Varus bis zuletzt teilnahmen bzw. sogar teilnehmen durften, wenn er doch ihr Fürst und Anführer war und sich zu allen Zeiten als römerfreundlich ausgab. Und warum er sechs lange Jahre bis ins Jahr 15 + ungeschoren blieb und sich seiner Verbundenheit Rom gegenüber erst wieder in der Not besann, als er persönlich in Gefahr geriet und Germanicus um Hilfe bitten musste. Eine in der Tat heikle Situation und ein schwerer Gang der wohl bedacht sein wollte, den er da anzutreten hatte um glaubhaft zu sein. Germanicus hatte ihn zwar vor Arminius gerettet, aber Germanicus war ?nur? Feldherr und sein Einfluss wird begrenzt gewesen sein und letztlich entschieden andere darüber, wie es mit ihm weiter gehen würde. So hätte alles für ihn auch ungünstig enden können. Er musste sich also etwas einfallen lassen, um seine Haut und die seiner Familie zu retten. Vor diesem Hintergrund betrachtet, sehe ich auch die Ereignisse im Zuge der Varusschlacht und danach unter einem anderen Licht, so dass es noch einiges zu Hinterfragen gibt. Es sei daher mal eine Überlegung in den Raum gestellt. Nämlich die, was gewesen wäre, wenn es tatsächlich außer Segestes gar keinen anderen Informanten mehr aus dem Jahre 9 + gegeben hätte, der etwas über den Verlauf der Schlacht hätte berichten können. Also die Zeitspanne die vom Verlassen des Sommerlagers bis in den Untergang im Saltus verstrich. Tacitus überlieferte es uns klar und unmissverständlich, dass die Cherusker Altäre errichteten, auf denen bevorzugt die höher dekorierten Römer geopfert wurden. Da wohl bis zu Schlussakkord der Schlacht die Anführer bzw. die jeweiligen Legionskommandaten schon nicht mehr lebten, wurden für die Siegeszeremonie dem Rang nach, die nächst niedrigeren Dienstgrade auf`s germanische Schafott geführt. Es waren der Überlieferung nach die Militärtribunen, folglich die Karriere orientierten Söhne aus dem Aristokraten- Senatoren- oder Ritterstand, also die zukünftigen Legaten oder Prokonsule oder auch die Centurionen. Wer also sollte in Rom noch Bericht erstattet haben können, der von Anbeginn bis zum Ende der Schlacht noch imstande gewesen sein könnte über die Chronologie der Schlacht etwas aussagen zu können. Einfache Legionäre falls sie je und überhaupt in Rom gehört wurden, entzog sich der große Zusammenhang. Wer wollte von Ihnen etwas über den Inhalt der Zwiegespräche zwischen Varus und Segestes erfahren haben. So ist die Hypothese, dass Segestes für vieles die einzige Quelle war und blieb auch nicht von der Hand zu weisen. Segestes schaffte es letztlich, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Da Segestes die Reputation gelang wurde ihm als Freund des Imperiums nach dem Triumphzug des Jahres 17 + ein geeigneter Altersruhesitz vermutlich in Gallien zugewiesen. Sollten die römischen Geschichtsschreiber wie man spekulieren kann in Segestes einen geeigneten Informanten gesehen haben, so konnte in Rom im Jahre 17 +, also rund acht Jahre nach der Schlacht die Akte Varus wieder geöffnet werden, denn es kamen neue Details hinzu, die das Bild abrunden halfen. Aber wie glaubhaft waren die Erzählungen eines Segestes aus unserer heutigen Sicht, der sich damals nicht um Kopf und Kragen reden durfte. Nahm man seine Informationen für bare Münze, so flossen sie in die Senatsakten ein. Aber sie konnten auch den Anstrich einer geschickten Täuschung haben der immer an den Stellen erkennbar geworden wäre, wo es ihm nützlich erschien. Wäre es an dem gewesen, so muss man befürchten, das einige Angaben im umfassenden Fundus aller antiken Berichterstatter über den Verlauf der Schlacht die wir immer noch gewohnt sind mit der Goldwaage zu verwiegen schlicht und einfach falsch waren. Diese Analyse lässt zweifellos einen Verdacht aufkommen, der ganz neue Gedankengänge erfordert, denen ich mich in einem anderen Abschnitt widmen möchte. (28.6.2019)

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