Samstag, 3. August 2019
Wen der letzte Stafettenreiter mit der Depesche aus Vetera I in Rom aufsuchte ist unstrittig - aber wer leitete die palatinische „Pressestelle“
Natürlich war es Kaiser Augustus dem die Depesche vom Niederhein galt, die vermutlich die Handschrift von Asprenas trug, nach dem man sie möglicherweise zuerst seiner germanischen Leibwache aushändigte. Den Senat hatte er weitgehend lahm gelegt, so dass die Zahl seiner Freunde und Berater aus diesen Kreisen überschaubarer geworden ist. Mögliche Vertraute wie Statthalter, Konsuln oder Prokonsuln, etwa Publius Cornelius Dolabella weilten in ihren Provinzen. Aber seine Frau Livia Drusilla wird ihm zur Seite gestanden haben, als er die heikle Depesche las. Die Atmosphäre muss angespannt und bedrückend gewesen sein, denn in derartigen Momenten sind auch nahe stehende Menschen dünn gesät. Aber es gab sie zweifellos, die Person die von diesem Moment an die wichtige Funktion hatte eine Art Stabsstelle „Varusschlacht“ zu leiten und bei der die wenigen Informationen in der frühesten Phase aus dem Norden zusammen liefen. Ein Bindeglied ähnlich einer Schnitt- oder Schaltstelle zwischen dem Kaiser und den Historiographen. Diese dramatische Szenerie der Depeschenübergabe originalgetreu nachzustellen möchte ich den Regisseuren aus Hollywood überlassen. Wir kennen nicht die Tages – oder Nachtstunde, wann die Nachricht eintraf, können uns aber in etwa in diesen Augenblick hinein denken. Die Stunde Null nenne ich jene Phase in der unwiderruflich fest stand, dass es an der Niederlage der drei Legionen nichts mehr zu rütteln gab. Der abgeschlagene Kopf des Feldherrn Varus war für alle das ultimative Zeichen für das Ende der Kampfaktivitäten gleich zu setzen mit einer Kapitulation. Die Ereignisse überschlugen sich und Segestes musste sich als er davon erfuhr mit dem Resultat abfinden, dass es ihm nicht gelungen war, die Schlacht in der uns überlieferten Version abzuwenden. So hatte er nun seine Mühe damit, die gerade abrupt zu Ende gegangene „Ära Varus“ erst einmal verdauen zu müssen. Er tat dies vermutlich ratsamerweise in selbst gewählter Abgeschiedenheit und der nötigen Distanz. Sein Wissen um die Schlacht sollte aber die römische Geschichtsschreibung erst viele Jahre später befruchten helfen, nachdem er vermutlich im Jahre 16 + ins dortige Exil gelangte. In unserem Fall war es aber auch der „D - Day“ für ein fiktiv gesetztes Eckdatum, dass für das Ende der Schlacht im Herbst des Jahres 0009 steht. Aber diese Stunde Null war auch die Zeit, als man in Rom noch keinen blassen Schimmer vom Desaster in Ostwestfalen hatte und auch die zahlreichen Meldereiter in den Pferdewechsel – Stationen, den Taberna an der Strecke zwischen Niederrhein und Tivoli ihr Schicksal noch nicht ahnen konnten, in Bälde mit mörderischem Tempo eine der wichtigsten Botschaften der Zeit an Kaiser Augustus zu überbringen. Als dann die Nachricht Rom endlich erreichte, war für lange Zeit nichts mehr so wie vorher. Jetzt war beim Kaiser und ich möchte ihn mal „Marionetten“ - Senat nennen, nüchternes Denken gefragt und Aktionismus fehl am Platz. Aber uns interessiert hier mehr, wo sich um diese Zeit die frühesten und ersten römischen Historiographen befanden, oder wo wir sie suchen müssten. Die Gelehrten jener Zeit, deren Aufgabe es gewesen wäre, die Details dieser Schlacht von dem Moment an wo sie davon erfuhren, zu recherchieren und zu erforschen, sie nieder zu schreiben, zu archivieren um sie für die Nachwelt zu konservieren. Und wer war dieser Mann oder waren diese Männer. Anders gefragt, lässt sich überhaupt der allererste antike Historiker noch nach Jahrtausenden namentlich greifen, dem die Aufgabe zustand und der das Privileg besaß, das erste Wort über die Varusschlacht auf eine bis dato noch weiße Papyrirolle zu schreiben. Es sollte ein Mann gewesen sein, der Kaiser Augustus sehr nahe stand, denn er müsste als Zuhörer in den Genuss der ersten schriftlichen Quellen und möglichen Aussagen gekommen sein. Die erste Quelle waren zweifellos nicht die Worte des letzten Meldereiters, sondern sie bestand aus dem Inhalt der Depesche aus Xanten, die in Rekordgeschwindigkeit die Alpen passiert hatte. Lucius Nonius Asprenas der amtierende Suffektkonsul wird sie als ranghöchster Römer in Nordgermanien abgefasst haben. Wie umfassend sie ausfiel entzieht sich unserer Kenntnis, aber sie muss bedrohlich geklungen haben. Ausführlich und detailliert wird sie noch nicht gewesen sein, aber das Wesentliche dürfte aus ihr hervor gegangen sein, damit der Kaiser die nötigen Entscheidungen treffen konnte. Man kann sie sich in etwa vielleicht wie im Telegrammstil formuliert vorstellen. So wird man über dieser Nachricht in Rom zunächst einmal gebrütet haben um sich darauf basierend eine Vorstellung zum Geschehenen machen zu können. Sie war unmissverständlich deutlich, da Kaiser Augustus unmittelbar danach seinen Feldherrn Tiberius mit der Aufgabe betraute nach Germanien zu reiten um Asprenas zu unterstützen bzw. die Führung zu übernehmen. Auch der Mann den wir suchen wird dieses Schriftstück möglicherweise in der Hand gehalten haben. Ein Schriftstück über deren Besitz sich heute jedes Museum der Welt glücklich schätzen dürfte, wenn es denn noch existieren würde. Aber ab wann unser Mann die Depesche nicht nur lesen durfte, sondern auch das ihm später zu Ohren kommende auch nieder schreiben durfte wird sicherlich mit einer Zustimmung des Kaisers verbunden gewesen sein. Denn der Kaiser hatte das Recht über den Zeitpunkt zu entscheiden, wann in Rom etwas Nachhaltiges über die Varusschlacht zu Papier gebracht werden durfte. Denn es war unstrittig, dass diese Geschehnisse unweigerlich auch einen dunklen Schatten auf seinen Tatenbericht die „Res gestae“ werfen würden, dem übrigens nichts über die Varusschlacht zu entnehmen ist. Der 6. Oktober 0009 war das uns vom römischen Schriftsteller Gaius Suetonius Tranquillus Sueton viele Jahre danach offiziell überlieferte Datum an dem Kaiser Augustus die bittere Niederlage in leicht theatralisch anmutender Weise verkündete. Ob ihn die Nachricht aus Germanien auch an dem Tag erreichte, an dem er sie verkündete, lässt sich nicht mehr ergründen. Aber anhand des gesamten Kontextes gerechnet ab der möglichen Ausbruchzeit der Schlacht, dem Zeitbedarf für die mehrtägigen Kämpfe, der Nachrichtenüberbringung ins nächste Rheinkastell und dem späteren Stafettenritt nach Rom könnte man davon ausgehen. Unbekannt ist auch, ob Kaiser Augustus dieses Wissen am 6.10.0009 zunächst nur im kleineren Kreis verbreitete, oder ob er es bereits dem ganzen Volk zum Beispiel via „Acta diurna“ also der damaligen römischen Tages- oder Wochenzeitung mitteilte. Er muss es jedenfalls alles und das vermutlich auch unter leichtem Schock stehend, relativ zeitnah getan haben, nachdem er die Nachricht aus Germanien empfing. Es durfte also erst ab diesem 6. Oktober mehr oder weniger offiziell in der römischen Welt über diese verheerende Niederlage gesprochen werden. Man könnte aber annehmen, dass Kaiser Augustus so kurz also unmittelbar nach dem Eintreffen der Hiobsbotschaft aus Germanien, diese am 6. Oktober noch nicht sofort und umgehend in die Welt hinaus posaunt hat. Er dürfte sie zunächst, um sich mit der neuen Lage im Reich auseinander zu setzen, für sich und wenige Eingeweihte zurück gehalten und aus Sicherheitsgründen ein befristetes Schweigegebot erlassen haben. So wie es jeder Staatsmann in seiner Situation auch heute noch getan hätte. Aber lange ließ sich die Nachricht damals nicht zurück halten, denn Tapetentüren sind dünn und Mitwisser zahlreich, so dass er sich zum Handeln gezwungen sah. Denn einmal bekannt geworden, flackerte die Unruhe nun überall in der Stadt auf. Hastig und hektisch rief man sich in den Straßen der Hauptstadt verängstigt die Fragen zu und es grassierten die ersten Horrorszenarien bevorstehender Germaneneinfälle. Der Mann der den Auftrag hatte und dem auch die Aufgabe zustand nicht nur die frohen Nachrichten aus dem gesamten Imperium für die Nachwelt zu erhalten, sondern der auch das Ungute aufbereiten musste, kennen wir nicht bzw. können ihn nicht sicher benennen. So gilt es natürlich als erstes einer Überlegung bzw. Frage nachzugehen, welcher Historiker dies gewesen sein könnte. Ein Mann der nach dieser Stunde Null, als Rom noch den Atem anhielt in der Hauptstadt lebte, zu den Handverlesenen und Privilegierten des Kaisers zählte und sich dieser Tätigkeit widmen durfte. Er sollte schon ein Alter erreicht haben, in dem man Gewissenhaft derart elementare historische Ereignisse in seiner ganzen Dimension erfassen konnte und darüber schreiben durfte, also das volle Vertrauen des Kaisers genoss. Makel oder kritische Äußerungen an achtbaren römischen Feldherren, Politikern und sonstigen Aristokraten in diesem Zusammenhang musste dieser selbstredend und tunlichst in jeglicher Hinsicht unterlassen. Lediglich der Person des Varus, dem Sündenbock, der sich nicht mehr verteidigen konnte, durften ungestraft die Leviten gelesen werden. Der gesuchte Mann zählte nicht zur Riege all derer Historiographen die noch auf ihn folgen sollten. Er war der Hofberichterstatter und hatte anderen Direktiven zu folgen. Anweisungen die der Kaiser erließ und die keinen Widerspruch duldeten. Aber genau diese Abhängigkeit bereitete vielen Gelehrten, Biographen, Historikern, Chronisten oder Geschichtsschreibern wie sie genannt werden, die sich in späterer Zeit mit der Varusschlacht befassten Probleme. Denn viele von ihnen sahen sich genötigt, noch bevor sie zur Feder griffen dem Leser glaubhaft zu versichern, dass sie sich völlig unbeeindruckt, heute würde man sagen überparteilich und von politischen Strömungen unabhängig ihrem Werk widmen werden. Sich also neutral sachlich und nicht beschönigend mit ihrem Werk auseinandersetzen würden. Auf Tacitus zurück geht die Aussage “sine ira et studiou“, aber auch die Überlieferung „sine gratia aut ambitione“ trifft die Zielrichtung. Unser Mann sollte schon eine Verhaltensweise an den Tag gelegt haben, wie wir sie auch heute im Obrigkeitsverhalten bzw. im Dienstverhältnis vieler abhängig Beschäftigter in den modernen Staatsformen wieder finden, denn er musste in etwa schon die Qualitäten eines frühen Regierungssprechers auf sich vereinen und durfte daher nur das Genehme verlauten lassen. Einen dieser Historiker in unserem Fall kann es auch ein Bibliothekar gewesen sein, kennen wir möglicherweise. Er gelangte vermutlich als Kriegsgefangener oder Sklave schon zu Cäsars Zeiten nach Rom und war ein Erzieher der Urenkel von Kaiser Augustus, was ihn schon fasst zu einem kaiserlichen Familienmitglied machte und ihn stark mit dem Kaiserhaus verband. Kaiser Augustus entließ ihn sogar später aus dem Sklavenstand, woraufhin dieser dann aus Dankbarkeit den kaiserlichen Vornamen, nämlich Gaius Julius annahm. Sein kompletter Name lautete Gaius Julius Hyginus und er darf nicht mit Pseudo Hygin verwechselt werden. Um 6o – kam er zur Welt. Sein Todesdatum ist unbekannt, es soll aber wann auch immer nach dem Jahre 4 + gelegen haben. Kaiser Augustus setzte ihn im Jahre 28 - als Leiter seiner zweiten öffentlichen Bibliothek ein, die unterteilt war in einen lateinischen und einen griechischen Bereich. Ab wann er diese Funktion dann aus Altersgründen nicht mehr inne hatte und aus dem Amt schied ist nicht bekannt. Aber er wird seine Schüler eingearbeitet haben. Man schlussfolgert auf Basis dessen, was sich teilweise aus den Überlieferungen ableiten lässt, dass er um das Jahr 9 + noch als Bibliothekar und das hoch betagt im Dienst gewesen sein könnte. Es könnte aber auch schon einen offiziellen Nachfolger in der Palatinischen Bibliothek für ihn gegeben haben, als die Varusschlacht statt fand. Von der Schlacht und ihrem Ausgang könnte er also, ob im Amt oder nicht, noch im Alter erfahren haben. Der Überlieferung nach soll er als Greis verarmt verstorben sein, wobei es für die Verarmung auch einen Grund gegeben haben könnte. Aber Gaius Julius Hyginus könnte, ja müsste fasst schon einer jener mysteriösen Personen, wenn nicht sogar die eine Person gewesen sein, bei der die ersten Erkenntnisse über die Asprenas Depesche hinaus, also die weiteren Informationen über die Varusschlacht zusammen geflossen sein könnten bzw. er in vieles Einblick nehmen konnte was aus Germanien den Weg nach Rom fand. Hinweise von wem und wie auch immer sie nach Rom gelangt sein könnten und das gilt auch für die Nachrichten aus dem Markomannenreich als von dort das Haupt des Varus an Kaiser Augustus weiter geleitet wurde. Natürlich immer voraus gesetzt, dass Hyginus 9 + noch lebte, noch als Bibliothekar tätig war oder zumindest noch Kontakte zur Bibliothek und zu seinen Nachfolgern hatte. Er hätte dann über die wesentlichen Kenntnisse verfügt, die man zu dieser frühen zeitgeschichtlichen Stunde als „umfassend“ bezeichnen könnte. Denn die noch äußerst bruchstückhaften gesammelten Nachrichten aus denen später die offiziellen Staatsakten hervor gingen wird man wohl, nach dem sie gebunden waren in der Palatinischen Bibliothek unter seiner, oder der Regide seiner Nachfolger aufbewahrt haben. Denkbar also, dass er der Mann war, der auch die frühen Berichte aus Germanien als erster sichtete, gewichtete, verfasste und möglicherweise auch selbst mit Zeugen sprach bzw. dabei anwesend, oder stiller Zuhörer war. Auch immer unter der Prämisse betrachtet, dass es überhaupt in Rom jemals aussagewillige Augenzeugen der Schlacht gegeben hat. Er dürfte im engen Kontakt zum Kaiser gestanden haben und war auch sein diskreter also verschwiegener Zuträger. Er war ihm zu hohem Dank verpflichtet und durfte sich daher keinerlei Verfehlungen zu Schulden kommen lassen. Gaius Julius Hyginus stand in diesen Tagen mit vielen bedeutenden Männern seiner Zeit in persönlichem Kontakt und im Briefwechsel. So könnte er auch den Geschichtsschreiber Aulus Cremutius Cordus gekannt haben, von dem man annimmt er habe auch über Wissen zur Varusschlacht verfügt. Möglicherweise auch mit Titus Livius der um 17 + verstarb. Es gibt von ihm in Form eines Nachtrages zu seinem Geschichtswerk "Ab urbe condita"  noch eine Handschrift mit einem Hinweis auf die Varusschlacht.  Es ist allerdings keine gesicherte Überlieferung, sondern nur eine Art Randnotiz die später vielleicht zur Vervollständigung hinzu gefügt wurde. Hyginus war in gehobener Position tätig und konnte sich somit schon früh ein Bild zu den Ereignissen gemacht haben, denn auch im römischen Militär wird er seine Adressen und Ansprechpartner gehabt haben. Um einen von möglicherweise vielen zu nennen, sicherlich auch Gaius Sentius Saturninus, der damals unter Tiberius am abgebrochenen Markomannenfeldzug teil nahm und für den nach 6 + eine Siegesfeier in Rom veranstaltet wurde. Es waren Personen die ihn informierten und andere mit denen er sein frühes Wissen über die Varusschlacht geteilt haben könnte. Hyginus hatte diese Schlüsselstellung inne. Als persönlich ernannter Bibliothekar des Kaisers saßen er oder seine Nachfolger im Amt an den Quellen des Wissens der damaligen Zeit, also müssen wir auch unter ihnen die oder den ersten suchen, bei dem wir mit unseren Recherchen ansetzen sollten. So wäre auch alles sehr einfach gewesen, fasst schon zu einfach. Hyginus war demnach also der Mann den wir suchen, der alles wusste, der aber Schweigen musste und der sich nichts zu Schulden kommen lassen durfte. Folglich war aber auch von ihm und seinem Wissenstand aus der frühen Periode nach der Schlacht auch nichts mehr zu erfahren. Theoretisch könnte man also ab diesem Punkt die Informationsschiene vom Palatin zu den frühen Historikern und hinunter ins Volk als abgebrochen bzw. zum Stillstand gekommen bezeichnen. Aber es lohnt sich doch der Frage nach zu gehen, ob Hyginus wirklich schwieg und all sein Wissen für sich behielt. Um ihr noch weiter auf den Grund zu gehen, müssen wir zuvor noch eine andere Hürde überwinden. Denn auf dem Weg zurück zu den Ursprüngen einer historiographischen Varusschlachtforschung müssen wir den Faden naturgemäß dort aufnehmen, wo sich sein Anfang befindet. Er ist zu suchen an jenem denkwürdigen Tag, an dem Kaiser Augustus die Nachricht von der Niederlage verkündete. Das heißt aber auch, wir müssen uns noch mal näher mit der genauen Position und Funktion von Hyginus beschäftigen, sich ihr widmen und sie hinterfragen. Allein schon die Tatsache, dass sich der Name dieses einen Mannes eines ehemaligen Sklaven und späteren Bibliothekars was man schon eine ordentliche Karriere nennen kann, über die Zeiten erhielt deutet darauf hin, dass Hyginus eine heraus ragende Stellung inne hatte und eine Vertrauensperson war. So kann man eventuell davon ausgehen, dass er als Bibliothekar des Kaisers auch gleichzeitig ein Senatsangestellter also für die Senatoren tätig war. Und wenn man resümiert, dass er sowohl für den Senat arbeitete, als auch die Palatinische Bibliothek des Kaisers leitete, so verwaltete er damit auch all das, was die Senatoren zur Varusschlacht beitragen konnten. Denn wer hätte dies übernehmen sollen, wenn nicht er. Kaiser Augustus hatte den Senat seinerzeit weitgehend entmachtet und hätte an der Stelle des Verwalters möglicher separat auf bewahrter Senatsakten niemanden geduldet, der nicht sein persönliches Vertrauen besaß. Weit und breit erkennen wir hier niemanden anderes als Hyginus der diese Doppelfunktion inne gehabt haben könnte. Hinzu kommt die praktische Erwägung, wie man denn zwei parallele Bereiche voneinander abkoppeln wollte, die sich beide der historischen Aufarbeitung verschrieben und verpflichtet hatten, wenn doch letztlich nur ein Kaiser über alles wachte und sein Zepter über allen schwebte. Diesen Überlegungen gehe ich nicht ohne Grund nach. Denn seit dem wir Kenntnis von Varus und der nach ihm benannten Schlacht haben geistern förmlich Begriffe wie Abstellungen, Sommerlager, Lagerschlacht, Aliso oder ähnliches durch die römische Forschungsgeschichte. Aber ein Wort fehlt noch darunter. Es ist das Wort "Senatsakten". Denn genau diese Senatsakten sind es, die immer wieder zitiert werden, wenn es der Glaubwürdigkeit der antiken Historiker an den Kragen geht, die sich darauf stützten. Und nach meinem Dafürhalten müsste der Anbeginn der Verschriftung, sowohl des Bibliothekbestandes als auch der Senatsakten falls es derartiges überhaupt gab und das den Namen Senatsakten rechtfertigt, unter der Aufsicht von Hyginus gestanden haben. Er besaß die Papyri Urschriften möglicherweise auch die mit der Handschrift von Asprenas gleich was auf ihnen gestanden haben könnte. Aber eben jene Senatsakten sind es, die inhaltlich immer umstritten waren. Wie gelangte Hyginus an die Information steht immer am Anfang der Fragestellung. Wer wusste also von wem, oder über was etwas, welcher Quelle konnte man vertrauen und wo wurde möglicherweise schon frühzeitig hinter den Kulissen manipuliert. Kaiser Augustus steht immer unter Generalverdacht wenn Vorwürfe laut werden, es könnte jemand in die Darstellung der Wahrheit auf irgendeine Weise eingegriffen haben. Denn er war der Machtmensch seiner Zeit und an der Außendarstellung interessiert wie kein anderer, denn letztlich hatte er immer sein Lebenswerk im Auge. Aber auch die Regierungsgeschäfte musste er leiten und lenken und die öffentliche Meinung in den Straßen von Rom konnte für ihn nach solchen Ereignissen schnell umschlagen und er durfte sie nicht ignorieren. Es war ihm also daran gelegen nur für ihn Nützliches verbreiten zu lassen zumal der Pannonienkrieg und die Gefahr einer damit einhergehenden Hungersnot für das Volk erst wenige Monate zurück lag. Und Cassius Dio war nicht unschuldig daran, dass wir heute skeptisch auf diese Senatsakten blicken. Denn er hatte rund 200 Jahre nach der Varusschlacht seinen Anteil daran,  dass ein zwielichter Verdacht auf allem lastete, was uns von der Varusschlacht übermittelt wurde. Zum einen, weil er zu einer Wortwahl griff, mit der er sein Misstrauen gegenüber den von ihm genutzten Vorlagen andeutete und zum anderen, weil er damit auch den Begriff der "Senatsakten" in die Welt setzte und ihn damit gleichzeitig negativ besetzte. Denn der Bezeichnung "Senatsakten" schrieb man immer wieder den unseriösen Beigeschmack zu, es könne sich  dabei um Geheimakten gehandelt haben. Aufzeichnungen die Detailreich das wahre Ausmaß der Schlacht zum Inhalt hatten, die aber der Öffentlichkeit und den antiken Historikern lange vorenthalten wurden, um den Ruf des Kaisers nicht zu beschädigen. Akten die erst an die Öffentlichkeit gelangten, als die Varusschlacht langsam in Vergessenheit geriet. Akten die aber danach immer noch unter der Aufsicht des Nachfolgekaisers Tiberius standen. Dem Feldherrn und späteren Kaiser Tiberius dem besten Germanenkenner aller Zeiten, der immer die Fäden in der Hand hielt und der vermutlich dem Kaiser Augustus immer einen Schritt voraus war. Ich möchte daher die Theorie aufstellen, dass es keine Zweigleisigkeit in Rom gab und gehe davon aus, dass das bibliothekarische Wissen des Hyginus auch immer identisch war mit dem was der Senat wusste, also dem Inhalt der Senatssakten entsprach. De facto schließe ich aus, dass es Unterlagen gab, die sich vom bibliothekarischen Wissen sezieren ließen. Da aber Cassius Dio lange nach dem Tod von Kaiser Augustus seine Version von der Varusschlacht nieder schrieb, könnten seine Aufzeichnungen über die Schlacht nachdem sich das Wissen über sie in den Jahren verfestigte, auch von den auf den Kaiser Augustus folgenden Kaisern immer noch ergänzt, präzisiert aber auch verändert worden sein. Denn zwischen Kaiser Augustus und den Zeiten von Cassius Dio hatte es noch sehr viele andere römische Kaiser gegeben, die der alten Akte "Varusschlacht" noch neues Wissen hätten einhauchen können, auf das Cassius Dio zurück gegriffen haben könnte. Die Informationen die in den ersten Jahren nach dem Jahre 9 + flossen, besaßen zweifellos den höchsten Grad an Authentizität. Den letzten Schub oder Schliff bekamen sie zweifellos im Jahre 17 + im Zuge der Enthüllungen aus dem Munde des Cheruskerfürsten Segestes. So wird man der Akte zur „Battaglia della Foresta di Teutoburgo“ beispielsweise ab dem Jahr 20 + immer weniger hinzu gefügt haben können, weil es nichts Neues mehr dazu gab und spätestens mit dem Auftreten der letztmöglichen Überlebenden, musste die Erkenntnislage stehen bleiben bzw. stecken geblieben sein und die Akte „Varusschlacht“ musste im Palatin mehr oder weniger geschlossen werden. Viele Seiten werden dann allerdings leer geblieben sein, die manche Historiker gerne noch vervollständigt gesehen hätten. Aber es erwies sich als aussichtslos, da die Katastrophe kaum Überlebende kannte, somit der Nachwelt zwangsläufig auch nicht mehr viel an Inhalten zu bieten hatten. Aber könnte man im Rom des Jahres 0009 auch noch anders mit den interessanten Neuigkeiten umgegangen sein. Viele werden sich über die Varusschlacht in der ersten Zeit die Mäuler zerrissen haben, Philosophen, Gelehrte und Advokaten quer durch die Bank werden darunter gewesen sein. Viele blutrünstige Geschichten wird man sich mangels genauem Wissen erzählt haben. Auch Halbwahrheiten und Gerüchte werden die Runde gemacht haben. Wer was über die Schlacht erfahren haben wollte, stand hoch im Kurs und auch in den privaten Bibliotheken der Adligen sammelten sich die Berichte an, denen man damals glauben oder auch nicht glauben konnte. Cassius Dio stand aus den ersten Tagen nach der Katastrophe in Ostwestfalen sicherlich einiges zur Aufarbeitung und Nutzung zur Verfügung, was sich bei Hyginus oder in den privaten Bibliotheken angesammelt hatte. Wir wissen aber auch, dass Cassius Dio unter den Senatsakten möglicherweise auch noch etwas anderes verstand. Denn er bediente sich auch der „Acta diurna“. Ein schon von Cäsar ins Leben gerufenes Bulletin mit dem Schwerpunkt das Tagesgeschehen nachrichtlich zu verbreiten. Die Art und Weise wie dies geschah ist unklar, ob in Form von Tafeln oder als Anschlagzettel und dergleichen. Aber unter Kaiser Augustus wurde es neben den amtlichen Nachrichten auch zum Sprachrohr für seine kaiserliche Propaganda, was zweifellos tendenziös klingt. Nach der offiziellen Verkündung und nach dem sich nichts mehr unterdrücken ließ bzw. es nichts mehr zu beschönigen gab wurde die Varusschlacht nicht nur in Rom, sondern im ganzen Imperium zum Thema Nummer eins und wird zum Lauffeuer geworden sein. Von diesem Zeitpunkt an begann die große Zeit der Historiographen, die je nach Quelle und Interessenslage über das Geschehene zur Feder griffen. Berufene und weniger berufene Historiker kamen dem Wunsch der Massen nach und werden sie mit immer wieder neuen Informationen, ob wahr oder unwahr aus Germanien versorgt haben. Einiges davon aus der großen Gerüchteküche Rom wird sich davon in den bekannten Überlieferungen wieder finden lassen. Das Problem ist nur, dass wir es den Überlieferungen nicht ansehen können. Erst der Cheruskerfürst Segestes könnte dann wieder einiges zur Aufhellung beigetragen haben. Aber als er seine Darstellungen nachschob, lag die Schlacht auch schon wieder etwa sieben Jahre zurück und war im schnell lebigen Rom schon fasst verblasst. Aber im Herbst 0009 war noch alles anders und es lohnt sich einen Blick darauf zu werfen, was uns die Geschichtsschreibung ab dem Jahr 9 + davon übrig ließ. Denn bei allen Nachrichten die sich aufgeregt in den Straßen von Rom von Haus zu Haus verbreiteten, konnte es auch Gaius Julius Hyginus riskieren, seine Zurückhaltung etwas aufzugeben. So könnte auf seinem Wissen basierend auch eine frühe Nachricht im Stil eines Gedichtes erhalten geblieben sein, das wir noch heute nach lesen können um uns unsere Gedanken darüber zu machen. Denn es macht den Anschein, als ob wir dieses Gedicht an die Stelle setzen könnten, an der das Wissen von Hyginus, wenn auch sehr nebulös erstmals in die Welt kam und damit auch das allererste Mal etwas über die Varusschlacht veröffentlicht wurde. Obwohl der Name Varus, Arminius oder Varusschlacht im Gedichtstext nicht fällt, was sich begründen lässt, gestattet die Interpretation einen interessanten Einblick in das Verhalten und die Wesensmerkmale unserer Altvorderen.(3.8.2019)