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Sonntag, 12. November 2017
Publius Quin(c)tilius Varus
ulrich leyhe, 01:54h
Was war er für ein Mensch dieser Varus dem die Bewohner von Athen, Tenos und Pergamon zwischen 22/21 und 19 – seltsamerweise mit Statuen samt ehrenvollen Inschriften huldigten, obwohl er „nur“ als Geschäftsmann aber mit ausgeprägtem finanziellen Interesse im Sinne des Imperiums gemeinsam mit Kaiser Augustus ihre Provinzen bereiste. Vermutlich standen die Stelen auch schon, bevor er eintraf um sie ihm präsentieren zu können oder sie von ihm enthüllen zu lassen. Im Nachhinein errichtet, dürften sie ihren Zweck verfehlt haben. Sicherlich werden um diese Zeit die Huldigungen für Augustus ungleich größer ausgefallen sein um das Verhältnis zu wahren. Aber dies waren damals untrügliche Reaktionen einer besorgten Bevölkerungsschicht, die sich der Gefahr bewusst war, dass da auch einer kommen würde, der ihnen ans Geld wollte. Nicht nur den Kaiser, sondern auch seine Staatsbeamte wie Varus musste man schon im Vorfeld freundlich stimmen und ihnen unterwürfig gegenüber treten, um zumindest das Schlimmste zu verhindern. Und damit ist eigentlich schon alles gesagt, denn eine bessere Visitenkarte konnten uns die Bürger in Griechenland und Kleinasien zur Person des Varus eigentlich gar nicht hinterlassen. Kaiser Augustus konnte es einschätzen, wen er in sein Team aufnahm und wen er für die finanziellen Dinge als geeignet betrachtete und Leute wie Varus waren mit Gold nicht aufzuwiegen. Sie verstanden es dem Reich und auch seiner persönlichen Schatulle die nötigen Mittel zuzuspülen, die er für seine Regierungsgeschäfte brauchte. Waren Leute wie Varus erfolgreich, florierte sein Staatsapparat wie geölt und auf diese willigen, und auch keineswegs uneigennützigen Helfer konnte er nicht verzichten, auch wenn sie manchmal vielleicht etwas zu hart an die Sache herangehen mussten. Sie waren der Garant für das Erfolgssystem Augustus und von diesem Typus wird er auch noch andere Helfer in seinen vielen Provinzen gehabt haben. Wenn die Kasse stimmte, wurde eben mal weggeschaut. Wie wir heute aus der Retrospektive wissen, folgte auf den Spuren dieses Finanzierungsmodells später noch eine andere Organisation, die dieses einträgliche Geschäft übernahm und es noch bis heute praktiziert. Auch diese Staaten ähnliche Struktur, übrigens passend zum Lutherjahr die sich allerdings einer anderen Form der Eternität verschrieben hat, verstand es Gelder aus ganz Europa nach Rom zu lenken, um sich damit unter anderem Ihre Prachtbauten zu leisten. Aber an Varus reiben sich natürlich alle Historiker bis heute, sind aber neuerdings nachdem man sich damit in den letzten 2000 Jahren sehr schwer getan hat eifrig bemüht, an ihm auch mal positive Seiten zu entdecken. Es sind aber in der Literatur überwiegend mehr kritische als wohlwollende Eigenschaften von ihm überliefert. Trotzdem würde sich sein Kopf wohl heute noch im Grabe bewegen, gäbe man ihm noch einmal die Möglichkeit, sich selbst vor einem Welten Gericht für die Umstände der Katastrophe verantworten und rechtfertigen zu dürfen. Gewährte man ihm diese einmalige Chance, er würde den Gerichtssaal sicherlich nicht ohne seine Anwälte betreten. Aber bei allem Unbill fand er dann doch noch, dank der Fürsprache seines großen Nutznießers und Förderers Kaiser Augustus eine ehrenvolle Ruhestätte in der Familiengruft der Quinctilier, wohl unweit der heutigen Via Appia. Vielleicht muss man daher seinen Aufschrei der Verzweifelung vor diesem Hintergrund auch ganz neu bewerten. In etwa, „Varus, wer finanziert mir jetzt meinen Staat“. Wie man einer Münze mit seiner Kopf Gravur entnehmen kann, hatte er wulstige Lippen, wäre charakteristisch demnach ein Familienmensch gewesen. Er soll auch ein mildes Wesen und einen ruhigen Charakter gehabt haben, trotzdem war er nicht zimperlich. Sozusagen ein Mann mit zwei Gesichtern. Denn beschrieben wird er auch als unschlüssig, träge, schwächlich und geistig unflexibel. Ein psychologisches Gutachten aus alledem könnte ihn auch in die Kategorie skrupellos, ohne eigene Risiken eingehend, aber bei drohender Gefahr möglichst andere vorschickend, einstufen. Ohne diese Eigenschaften wäre er allerdings für seine Aufgabe in den Provinzen sicherlich ungeeignet gewesen. Was eine derartige Charaktermischung ergibt, lässt sich in etwa auch an den Reaktionen und Entscheidungen im Vorfeld der Schlacht ablesen. Was er aber wieder mit den Germanen gemeinsam hatte, war die ihm nachgesagte Muße im Lageralltag gewesen, denn dem Müßiggang frönten auch schon die alten Germanen. Und zur Muße gehört selbstredend insbesondere das süße Nichtstun möglichst in Verbindung mit vielen Annehmlichkeiten. Sein Vater als auch sein Großvater verabschiedeten sich schon fasst vorsätzlich mit Selbstmord aus dem Leben und stahlen sich aus der Verantwortung. Auch sie hatten wohl schon mehr Mut zum Sterben als zum Kämpfen besessen. Mit seiner Freitod Entscheidung tat er jedoch den Germanen unbeabsichtigt noch einen großen Gefallen. Denn mit dieser menschlichen Kriegsbeute richtig umzugehen, hätte er sie noch in große Konflikte gebracht. Sowohl Gefangenschaft, als auch Geiselhaft in Verbindung mit einer Lösegeldforderung oder sogar seine Götteropferung alles wäre in den Reihen der Germanen allemal auf großen Zuspruch gestoßen. Ein frei gekaufter also überlebender Varus zurück in Rom hätte bedrohlicher für sie werden können, als alle folgenden Rachefeldzüge eines Germanicus. Denn er hätte es aufgrund seiner Insiderkenntnisse sicherlich verstanden, im zweiten Anlauf alles richtig zu machen. Wehe seinen Widersachern, er hätte sie bis ans Ende der Welt verfolgen lassen. Sogar ein römisches Bündnis gemeinsam mit Marbod gegen die Westgermanen wäre nicht auszuschließen gewesen und hätte zur römischen Strategie gut gepasst. Vermutlich wuchs Varus immer dann über sich hinaus, wenn er Wehrlose vor sich hatte, die er in die Schranken weisen konnte und die keine Wahl hatten und sich von ihm und seinen Waffenträgern noch dazu beeindrucken ließen. Eigenschaften die ihm leider auch in unserer Zeit gute berufliche Aufstiegsmöglichkeiten geboten hätten. Varus konnte schon zu seinen Lebzeiten auf einen Stammbaum verweisen, der bis in den römischen Uradel der Antike zurück reichte und war bereits mit etwa 30 Jahren Kommandeur von einer der drei später in Ostwestfalen untergegangenen Legionen, nämlich der Neunzehnten, die um 15 – noch an einem siegreichen Alpenfeldzug unter Tiberius und Drusus gegen die Kelten teilnahm. Später kam er als Statthalter, aber wohl eher als Geldeintreiber nach Syrien, wo er als Richter in Beirut im Prozess gegen Antipatros, übrigens einer sehr reichen Familie auftrat. Antipatros war der Bruder des bekannten Herodes Antipas der an der Kreuzigung von Jesus beteiligt war. Antipatros wurde vorgeworfen, er wollte den gemeinsamen Vater der auch Herodes hieß umbringen. Er wird es auch zweifellos verstanden haben, die überlieferten Reichtümer des Herodes anzuzapfen. In den Jahren 6 + oder 7 + wurde er in die klimatisch ungünstigere germanische Diaspora entsendet wo, um ihm bei seinen Plänen den Rücken zu stärken wieder die altbekannte, vorher in Dangstetten am Oberrhein nachgewiesene 19. Legion unterstellt wurde, von der Teile nach dem Immensum Bellum vermutlich in Haltern stationiert waren. Ältere Legionäre könnten ihn daher bei seiner Ankunft in Germanien schon wie einen alten Bekannten begrüßt haben. Die Quellen berichten übereinstimmend, dass er es disziplinarisch übertrieb und wo möglich seine Macht ausspielte. In dem Bewusstsein ein Weltreich hinter sich zu wissen, überzog er sowohl seine Selbstherrlichkeit als auch sein Bedürfnis Vollkommenheit zu erreichen. Es ging dann bekanntlich so weit, dass die Germanen ihm vor seinem Untergang schon Streitigkeiten zur Schlichtung vorspielen konnten, ohne das es ihm scheinbar selbst auffiel. Man möchte sich gar nicht vorstellen, was das für komödienhafte Gerichtsspektakel gewesen sein müssen. Und dazu gehörte schon ein gehöriges Maß an Ignoranz bzw. fehlendem Realitätssinn gegenüber den vorherrschenden Sitten und Gebräuchen seiner neuen Untertanen. Hier musste der Wesenszug der Schlitzohrigkeit unter den Germanen schon förmlich Salto geschlagen haben, man schlug sich auf die Oberschenkel und es entstand erstmals unter ihnen auch das Gefühl einer gewissen Überlegen- und später auch Siegesgewissheit, nach dem Motto, mit dem muss man doch wohl noch fertig werden können. Dies führte in späteren Zeiten sogar dazu, dass sich die Römer zumindest hinter vorgehaltener Hand in den rechtsrheinischen Landen einer gewissen Lächerlichkeit ausgesetzt sahen. Natürlich überspielte man in Germanien mit derartigem Gebaren auch immer noch die unterschwellige Sorge letztlich doch nicht zu hochmütig werden zu dürfen, denn Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Und so blieb es wohl eher bei den bekannten Stammtischparolen. Varus überschritt mit seinem vom Ehrgeiz befeuerten Verhalten mit der Zeit auch seinen persönlichen Rubikon und sammelte oder duldete zuletzt wohl mehr Claqueure um sich, als ernsthafte Berater. In dieser Phase begann die germanische Seele zu kochen und fand in Arminius einen gewandten und überzeugungsfähigen Anführer. Die cheruskische Fürstenfamilie könnte zum Beispiel ihren würdigen Stammsitz außer auf dem Brunsberg besser noch auf dem 110 Meter über der Weser liegenden Fürstenberg gehabt haben. Dieser markante Bergausläufer steil über der Weser hatte immer schon strategische Bedeutung wie die Hinweise auf mehrere mittelalterliche Burganlagen bestätigen. Der Name Fürstenberg geht auf die überlieferten Namen Vorstenberch und Forstinberg zurück. Vorsten, der Vorderste, oder der Vorstehende und dem althochdeutschen Wort “furisto” für der Erste, bilden die gemeinsame Wurzel und stellen die Verbindung des Vorstenberch zum “Berch des Furisto” her. Von diesem Sporn mit Steilhang zum Fluss konnten die Cherusker von erhöhter Warte aus nicht nur über die Weser weit nach Westen blicken und die Lebensader der Weserfurt kontrollieren, sondern sahen auch das bunte Treiben in den ständig größer werdenden Siedlungen der Region an Nethe und Weser. Im Rücken hatten sie den waldreichen Solling, der sie nach Osten abschirmte und daran anschließend den Harz der sich wohl von silva hercyniae oder herkynischen Wald ableitet. Es blieb dem Fürstenhaus des Segimer auch nicht verborgen, dass ihnen die Kontrolle über „ihre“ Weserfurt die auch Standort bestimmend für den Hauptort ihrer Sippe war, langsam entglitt und fortan die Soldaten des Varus vor ihrer Haustür das Sagen hatten. Die Fürstenfamilie fühlte sich nicht nur bewacht, sie wurde es auch. Arminius konnte damals mit eigenen Augen lebhaft mit zusehen, wie gefangene Germanen, seine Landsleute Varus vorgeführt wurden um von ihm gerichtet oder besser gesagt abgerichtet zu werden. Im eigenen freien Land schmachvoll zu Sklaven und Knechten gedemütigt zu werden war bitter. Das stolze Geschlecht der Cheruskerfürsten an der Weser, das auch auf lange Traditionen zurück blicken konnte, fungierte und funktionierte nur noch von Varus Gnaden. Segestes der dem Varus zugeneigte, aber eher nachrangige Cheruskerfürst vermutlich im Norden des Segimerclans ansässig, bildete da natürlich die Ausnahme. Da Varus ihm möglicherweise mehr Macht und Ansehen versprach, ihn aber strategisch zappeln ließ, denn er war das Gegengewicht zu Segimer, war er für Varus ein wichtiger Trumpf in der Hinterhand, falls Arminius nicht so spuren würde, wie er sollte und mit dem Varus geschickt taktieren konnte. Der nächste Schritt der Römer würde es sein, die Lager winterfest zu machen, mit einer wehrfähigen Besatzung auszustatten und die Tributpflicht einzuführen bzw. anzuheben. Das Jahr 9 + könnte das letzte Jahr gewesen sein, in dem Varus die Weser vor Einbruch des Winters noch mal verlassen würde, denn es lagen schon Pläne für den Bau von Hypokausten in seiner Schublade, wenn diese nicht sogar schon in tom Roden bei Corvey verlegt waren. Noch wehrfähigere Lager mit höheren Wachttürmen, stabilen Palisaden, breiteren Wällen und tieferen Gräben wären dann zu uneinnehmbaren Festungen geworden. Soweit durfte es Arminius und seine Verbündeten es nicht kommen lassen. Jetzt oder nie lautete daher sein Plan - er musste handeln bevor sich Varus in Ostwestfalen fest gebissen hatte. (zuletzt bearbeitet 23.11.2017 - 18:59)
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