Dienstag, 9. April 2019
Das Rätsel „zwischen“ den Textstellen Nr. 56,19,4 und 56,19,5 des Cassius Dio
Wie bereits angekündigt möchte ich mich nun einer schwer verständlichen Satzverbindung bzw. Satzunterteilung widmen, wie sie Cassius Dio im Griechischen schuf bzw. uns hinterließ. Die wörtliche Rede wird von ihm an der Kapitelstelle 56,19,4 unterbrochen, ohne das sich dafür auf den ersten Blick eine plausible Erklärung bzw. eine Begründung findet. Es scheint, als eröffne er grundlos und das noch dazu mitten im Satz ein neues Kapitel. Er vergibt dafür die Nummer 56,19,5. Nur auf den ersten Blick betrachtet, wird der Satz ab dieser Kapitelstelle 56,19,5 inhaltlich und sinngemäß fort gesetzt. Auf den zweiten Blick hingegen zeigt sich uns ein anderes Bild. Beide Satzteile scheinen fließend ineinander über zu gehen und die deutlich markierte Unterbrechung der Satzelemente will anfänglich keinen rechten Sinn ergeben. Sie birgt damit wie sich herausstellen wird, sogar vorsichtig ausgedrückt etwas Geheimnisvolles in sich, denn es findet sich oberflächlich betrachtet in der Tat keine Erklärung für seine Art von Satzbau und Stilistik. Geht man aber diesem augenfälligen Satzbruch auf den Grund, bietet sich eine Möglichkeit an, die Cassius Dio angestrebt haben könnte. Um es aber zum Teil vorweg zu nehmen, versteckt sich dahinter ein Hinweis darauf, dass er genau an dieser Schnittstelle die Marschtage eins und zwei von einander abtrennen wollte. Er gibt uns also einen Fingerzeig in die Richtung, dass die Germanen ihren Angriff auf die römischen Legionen nicht schon am ersten Tag durchführten, als die drei Legionen das Sommerlager verließen, sondern dies erst am darauf folgenden Tag taten. Ich rekapituliere. Am ersten Tag nach dem Verlassen des Sommerlagers befanden sich die Frauen und Kinder folgerichtig noch im bis dato ungeteilten Marschzug. An diesem ersten Tag zogen sie also noch alle gemeinsam, geschlossen und friedlich durch das germanische Ostwestfalen und kein Cherusker hatte vor, sich ihnen in kriegerischer Absicht in den Weg zu stellen. Die Römer verließen an der Weser ein kleines germanisches Fürstentum, mit dem man sich vertraglich verbunden hatte und wo man sich wünschte, dass dort noch der Geist vorherrschen würde, der da lautete „Pacta sunt servanda“ gleichbedeutend mit, dass „Verträge auch einzuhalten sind“. Man erwartete dies grundsätzlich auch von nicht römischen Kleinvölkern. Man übersah jedoch den unterschwelligen Gärungsprozess in diesem Teil Germaniens und betrachtete ihn wie Freundesland. Man hielt ihn für vertrauenswürdig und unverdächtig. So fühlte man sich unterwegs ins erste Nachtlager auch völlig sicher. Ob man zu Scherzen aufgelegt war, wäre allerdings spekulativ zu nennen. Der römische Ritter Arminius war zusammen mit seinem Vater Segimer ein Garant für diese bis dato gute Zusammenarbeit. Wie allgemein geschlussfolgert wird, ritt Arminius mit seinen Männern anfänglich noch unter den Römern und es schien für Varus und seine Untertanen keinen Grund zur Besorgnis zu geben. Frühere Warnungen waren verhallt, vergessen oder auch nur verdrängt. Es war ein ruhiger Tag an dem die Legionen in den Morgenstunden das „überwinterungsfähige“ Sommerlager verließen und sich auf den Weg ins erste Rastlager begaben, dass sich wie ich meine etwa 2o Kilometer weiter westlich im Raum Brakel befand. Aber nun ins Detail meiner These. Mit dem Hinweis, dass die Arminen ihre Hilfstruppen alarmieren sollten oder würden, endet denn auch die Textstelle 56,19.4. aus der Feder von Cassius Dio. Er schnitt also wie betont eine neue Textstelle an. Meines Erachtens deswegen, weil er uns hier mit einer neuen Zählfolge, nämlich der Textstelle 56,19.5 eine Spur zum zweiten Marschtag legen wollte. Dieser zweite Tag war damit ausgefüllt, dass Varus in Brakel den zivilen Treck zusammen stellte da er die Frauen und Kinder nicht in den Marschzug zu den Rebellen integrieren wollte, sondern sie samt Begleitmannschaft auf den direkten Weg über Aliso zur Lippe schickte. Wir erkennen bislang noch nicht, wieso Cassius Dio zwar die Nummer der Textstelle wechselt, indem er von der Ziffer 4. auf die Ziffer 5. überleitet, er sich aber in seiner inhaltlichen Botschaft treu bleibt. Erst bei genauerem Hinsehen fällt uns der Unterschied auf, warum er hier die Geschehnisse trennen wollte. Denn hier vollzog sich bei Cassius Dio ein Bewusstseinswandel, der sich unserem Verständnis nicht sofort erschloss. Denn die letzten Worte der Textstelle 56,19,4 leiten nur auf den ersten Blick betrachtet sinngemäß und übergangslos in die Textstelle 56,19.5 über. Es ergibt sich also im ersten Moment kein Grund dafür, warum Cassius Dio hier eine neue Textstelle vergeben wollte. Thematisch und sachlich ist für den schnellen Leser auch kein Grund zu erkennen, wodurch ein Textstellenwechsel einen Sinn ergeben könnte. Den letzten Halbsatz aus der Textstelle 56,19,4 vom ersten Halbsatz aus der Textstelle 56,19.6 zu lösen scheint demnach also völlig paradox zu sein, denn es handelt sich doch eigentlich um ein und dieselbe Aussage. Auch ein weiterer Blick auf den Fluß der Worte und den Inhalt verrät, dass dieser Satz an sich keine größere Trennung duldet. Und nicht nur das, es handelt sich dazu auch noch um einen zusammen hängenden Satz der stilistisch gar nicht abtrennbar ist. Und erst recht nicht, in dem man ihn durch eine neue Textstellen Nummer nämlich die Ziffernfolge 56,19.5 abrupt unterbricht. Warum könnte also Cassius Dio diesen flüssigen Satz, noch getrennt haben, um mitten drin eine neue Ziffer zu verwenden ? Die Altphilologen haben sich in ihrer Übersetzung durch gerungen, noch ein Komma an die Stelle seiner Ziffer 5.) zu setzen. Selbst einen Punkt zu machen, wäre schon zu viel gewesen und hätte nicht dort hin gepasst. Anders gefragt. Warum also eröffnete Cassius Dio aus uns unerklärlichen Gründen an dieser Stelle gleich eine ganz neue Textstelle, statt auf die 5.) zu verzichten. Tatsächlich und meines Erachtens zweifelsfrei wollte er hier zwei wichtige Handlungsstränge unmissverständlich und deutlich sichtbar für unsere Augen voneinander abkoppeln. Cassius Dio selbst, verwendete keine Interpunktion, er setzte also weder ein Komma, noch einen Punkt. Und er entschied sich zu unserer Verwunderung auch an einer denkbar ungünstigen Stelle dafür, einen ganz neuen Absatz zu beginnen, nämlich mitten im Satz. Aber Absätze vergibt man bekanntermaßen nur da, wo man sich einem grundsätzlich anderem Inhalt zu wenden möchte. Aber nicht so wie es hier augenscheinlich der Fall war. Was aber wollte er genau voneinander abgetrennt wissen ? Schauen wir uns also mal den ganzen von ihm „durch“ brochenen Satz an und suchen nach seinem möglichen Motiv. Der Satz in Textstelle 56.19.4 endet mit den Worten bzw. dem Hinweis, dass „....DIE GERMANEN NUN SCHLEUNIGST DIE HILFSTRUPPEN HERAN FÜHREN WOLLTEN“, und in der Textstelle 56.19.5 geht er dann inhaltlich weiter mit den Worten, „ÜBERNAHMEN DIE IN BEREITSCHAFT STEHENDEN HILFSTRUPPEN, MACHTEN DIE ABSTELLUNGEN NIEDER UND GRIFFEN DANN VARUS SELBST AN...“. Er tut also nichts anderes als uns eine chronologische fortlaufende Aufzählung zu vermitteln. Zwei Satzteile also, die wie man liest im Prinzip zusammen gehören, die aber Cassius Dio mit der Nr. 5.) auseinander riss. Um es noch mal zu betonen, ein augenfälliger Grund für einen derart gekennzeichneten Textstellenwechsel ist nicht erkennbar. Aber man lässt ja nicht locker und es sollte bzw. es müsste doch eine Ursache dafür geben bzw. sich ein Hinweis dafür finden lassen. Und ich denke es gibt diesen bzw. es gab ihn auch. Ich möchte daher die folgende bereits vorgestellte Lösung dieser historischen Irritation zur Disposition stellen. In seiner Textstelle 56,19.4 ging es Cassius Dio noch einzig darum eine Handlung nieder zu schreiben, die lediglich aus dem Mobilisieren der germanischen Hilfskräfte bestand. Kampfaktivitäten werden in der Textstelle 56,19,4 nicht beschrieben. Folglich bezog sich diese Textstelle und die darin beschriebenen Vorkommnisse auch nur auf Geschehnisse die zum ersten Marschtag passten. Aber ab der Textstelle 56,19.5 ist im Gegensatz zum ersten Satzteil 56,19,4 erstmals in seiner gesamten Abhandlung auch von konkreten kriegerischen Ereignissen die Rede, die nicht nur angedeutet wurden. Nämlich jene Handlungen, die aus zeitlichen Gründen nur auf den zweiten Marschtag anwendbar sein können bzw. zutreffen konnten. Ich schließe daraus, dass aus der Sicht von Cassius Dio ab der Stelle mit der Ziffer 5.) der zweite Marschtag beginnen sollte, bzw. er ihn dahinter sah. Er flocht seine Botschaft wie man es schon fasst bei ihm gewohnt ist an dieser Stelle ein, ohne das er es näher aus formulieren wollte. Es war seine Absicht, dass er den Tag der sich lediglich auf die Kampfvorbereitungen bezog von dem Tag an dem die Kämpfe gegen die Abstellungen beginnen sollten, isolieren wollte. Deswegen hat er uns diese klare Markierungsgrenze gezogen, bzw. hinterließ sie uns. Er kleidete seine Vorstellungen nicht in viele Worte, sondern ließ eine neue Textstelle für sich sprechen. Einen anderen Beweggrund dahinter zu sehen, kann ich nicht erkennen. Aus dieser unscheinbaren Veränderung in seinem Textaufbau entnehme ich daher einen weiteren Hinweis dafür, dass uns Cassius Dio an dieser Stelle den Weg in den zweiten Marschtag ebnen wollte. Während also in der Textstelle 56,19.4 noch alles relativ ruhig und gesittet zu ging, nimmt die Sache dann mit Beginn der Textstelle 56,19.5 ernstere Züge an. In der Textstelle 56,19.5 überschlagen sich förmlich die Ereignisse und hier hätte Cassius Dio vielleicht gut daran getan, besser eine zusätzliche Textstelle einzuschieben, weil es ereignisreicher wurde. Der entscheidende Moment in dem die Germanen Varus und seine Männer verließen, muss für Cassius Dio und seine Quellen einer einschneidenden Weichenstellung gleich gekommen sein, also eine wichtige Bedeutung gehabt haben. Denn diese Phase war für alle der ultimative Wendepunkt nämlich die Hinwendung zum Beginn der Schlacht. Einer Schlacht, die mit der Niederkämpfung der Abstellungen seinen Anfang nahm. Denn man wusste erst im Nachhinein, dass jene sich nun entfernenden und sich bis dato friedfertig verhaltenden Germanen ab diesem Zeitpunkt ihre wahre Gesinnung zeigten und diese nicht mehr verbergen wollten. Die kriegerische Absicht muss ihnen schon vorher ins Gesicht geschrieben gewesen sein, obwohl sie sie auf dem Zug vor den Römern noch geschickt hinter ihrer Mimik verbargen. In diesem Augenblick fielen für die Historiker die Schatten von den Augen und ihr aller Blick richtete sich auf das Unternehmen „Varusschlacht“. Das sich Entfernen der Germanen von der Truppe war ein nicht rückholbarer Einschnitt und somit ein bedeutsames Ereignis. Es fiel aber auch bereits in eine fortgeschrittene Tageszeit, in der die Germanen keine großen kämpferischen Aktionen mehr entfalten konnten. Dieses war dem folgenden also dem zweiten Marschtag vorbehalten. Die Historiker, die die Senatsakten sammelten, verfassten oder für die Nachwelt aufbereiteten, aus denen Cassius Dio dann schöpfen durfte und aus denen er unter anderem seine Informationen entnommen haben soll, konnten nicht sagen, wann Arminius auf seine auf ihn wartenden Hilfskräfte stieß, denn dazu stand nichts in den frühen Annalen und keine römische Zunge sprach mehr dazu ein Sterbenswort. Sie hätten sie schon am ersten Marschtag abends, oder vielleicht auch erst in der Nacht auf den zweiten Tag, oder in den Morgenstunden treffen können. Aber einen unwegsamen Nachtritt schließe ich aus. Wer wollte das alles noch mit Bestimmtheit sagen. Ich präferiere einen Ritt während der hellen Tageszeit frühestens ab 15 Uhr aufbrechend und spätestens gegen 20 Uhr bei seinen Leuten eintreffend. So konnten die Germanen gemäß Textstelle 56,19,5 auch erst am zweiten Marschtag in aller Frühe die Abstellungen nieder machen und griffen auch dann erst Varus an diesem fiktiven 25.09.0009 selbst an. Am frühen Abend bzw. in der Nacht angegriffene Römer hätten möglicherweise auch noch im Schutz der Dunkelheit entkommen und Varus warnen können. Für den ersten Marschtag reichte die Zeit für diese Kämpfe nicht mehr aus, denn es senkte sich der Stand der Sonne zusehend. Und so griffen sie also Varus am zweiten Marschtag an, als dieser sich schon sehr weit vom letzten Lager (nämlich Brakel) entfernt hatte. Denn sie befanden sich nun seit dem Vortag nicht mehr auf dem relativ gut begehbaren römischen Hellweg, sondern schon in jenen schwer passierbaren möglicherweise präparierten Waldgegenden, wo sie dann wie überliefert sogar schon Bäume fällen mussten, um sich einen Gehweg zu bahnen. Wir halten also abschließend fest. Varus wurde am zweiten Marschtag angegriffen und das beschrieb Cassius Dio ab der Textstelle 56,19,5. (09.04.2019)

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