Montag, 11. Mai 2020
Segestes und die wichtigste Ansprache seines Lebens - Tacitus zitierte sie in der Annahme er hielt sie 15 + vor Germanicus
Es scheint sich zu einem Faktum heraus zu kristallisieren, denn Segestes blieb vermutlich nichts anderes übrig als sich im Jahr 17 + für seine Handlungsweise von damals, also von vor Beginn der Varusschlacht 9 + gute Begründungen einfallen zu lassen. Sein Verhalten, dass seine Freunde Warnung und seine Feinde Verrat nannten. In ein Gespräch zitiert hatte ihn wie man annehmen darf, eine hochrangige Riege bestehend aus Senatoren und möglicherweise auch anderen Personen. Segestes musste die Sachlage schön reden, wenn er die Tortur der vielen Fragen im Zuge der Aufarbeitung überstehen wollte. Eine Fragerunde die er gerne vermieden hätte. Aber wann bekam man in Rom schon mal einen Germanenfürsten zu fassen, der acht Jahre zuvor in einer für das Imperium äußerst bedrohlichen Phase in unmittelbarem Kontakt zum feindlichen Lager stand und der über das Internum berichten konnte. Wer wollte es da auch dem palatinischen Geheimdienst den Frumentarii verdenken, wenn man die gute Gelegenheit etwas über den Gegner erfahren zu können, verstreichen ließe. Denn der germanische Widersacher von einst war 17 + nicht besiegt, Tiberius hatte den Krieg gegen ihn 16 + schlicht für beendet erklärt und die Kampfhandlungen einseitig einstellen lassen. Aber Arminius lebte und in Ostwestfalen strotzte man vor Kampfkraft. Was die Befragung von Segestes pikant machte, waren die Ereignisse um seine Befreiung durch Germanicus im Jahre 15 + nach dem er diesen um Hilfe bat. Denn auch die Umstände die dazu führten müssen in der Art und Weise nicht unbedingt so verlaufen sein, wie es uns die Wissenschaft anhand der Textanalyse vorschlägt. So lässt auch das was 15 + im Umkreis der Segestes Burg geschah zwei Denkrichtungen zu. Zum einen lassen sie ein verbales Einwirken durch Segestes möglich erscheinen, mit dem er sich ins rechte Licht rücken und den Verlauf in seinem Sinne darstellen wollte um seine Haut zu retten. Zum anderen könnte man aber auch in diesem Fall die Theorie einer Einflussnahme durch die Personen des Tribunals in Betracht ziehen, in dem man den Zeugen Segestes zu einer kontrollierten Aussage gebracht haben könnte. Segestes musste 17 + sowohl für 9 +, als auch für 15 + glaubwürdige Erklärungen anbieten. Man erkennt es daran, dass er beide Ereignisse in seiner Reputationsrede zusammen fasste und vermischte. Also sowohl die Dinge die sich im Vorfeld der Varusschlacht ereigneten, als auch die um seine Befreiung im Jahre 15 +. Segestes war ein Germanenfürst in rauen Zeiten und geübt in Sachen Selbstdarstellung wenn es seinen Interessen diente und geschickt im Taktieren, aber Rom war ein anderes Pflaster und daher für ihn eine besondere Herausforderung. Nach allem was wir über ihn wissen, war für ihn Konspiration kein Fremdwort und sie schimmerte an vielen Stellen durch. Dieses Talent könnte er auch für die Umstände im Zuge seiner Befreiung genutzt haben, wenn er sich damit eine Verbesserung seiner Lage erhoffte. Denn im Ränkeschmieden, der Fähigkeit durch unerwartetes Handeln Wendungen zu vollziehen was man gemeinhin auch als Intrige bezeichnet, war er bewandert und verkörperte Eigenschaften die man damit verbindet. Unter Beweis stellte er dies mit seinen vermeintlichen Varus gegenüber ausgesprochenen Warnungen und in dem er sich sechs Jahre später und das noch rechtzeitig vor den großen Kriegen der Jahre 15 und 16 + ins Imperium absetzen bzw. sich so selbst in Sicherheit bringen konnte. Die etymologische Forschung trifft es gut und scheint es fasst schon auf Segestes zugeschnitten zu haben. Denn den Begriff der Ränke umschreibt sie mit den Worten, dass man den richtigen Rank gefunden habe, wenn man eine geschickte Lösung sieht, mit Hilfe der man sich aus einer kritischen Lage befreien kann. Und Segestes wusste sich in schwierigen Momenten zu helfen. Sein, nennen wir es mal rhetorisches Meisterstück mit dem er sich selbst, oder mit der fragwürdigen Hilfe der Frumentarii  aus der Affäre zu winden wusste vollführte er, wie sich recherchieren lässt jedoch nicht im Frühjahr 15 + dem Jahr seiner „Befreiung“, sondern erst zwei Jahre später 17 + in Rom. Allerdings tut sich uns noch eine andere Wissenslücke auf. Denn wir können auch nicht sagen, ob die damals von Segestes gesprochenen und dann verschrifteten Worte noch nach dem sie ins Archiv des Palatin gelangten von weiteren schreibkundigen Händen verändert worden sein konnten, bevor sie hundert Jahre später den Schreibtisch von Tacitus erreichten. Ruhte die Aussage also hundert Jahre unangetastet im Archiv oder fanden an ihr noch spätere Veränderungen statt. Man kann aber den Eindruck gewinnen, dass sie nach dem sie ins Archiv gelangte authentisch blieb. Sollte man sich dem leicht Konspirativen zuwenden wollen, könnte man auch noch auf den Gedanken kommen, dass Tacitus selbst noch an der Reputationsrede des Segestes feilte, Hand angelegt oder sie umformuliert hat. Denn in Teilen lässt es sich nicht völlig ausschließen. Aber man dürfte nicht auf komplette Passagen stoßen, an deren Veränderung Tacitus selbst besonderes Interesse gehabt haben könnte, denn es ging ihm wohl weniger um Umdeutung als um Plausibilität. So kann man im Zuge der Rekonstruktion davon ausgehen, dass die Segestes Rede, als sie in Rom nieder geschrieben wurde auf ihrem hundert jährigen Weg zu ihm auch im Wortlaut im Wesentlichen gleich blieb. Lediglich bei der singulären Anrede die Segestes 1.58.(4) wählte, kann ein Verdacht aufkommen, als ob Tacitus später zwecks Herstellung der besagten Plausibilität die Einzahl vorzog um in der Person des Germanicus 15 + den Ansprechpartner zu fixieren und nicht die mehr köpfige Runde des Tribunals 17 +. Ob sich Tacitus auch auf Seneca, Strabo, Plinius den Älteren, Titus Livius, Aufidius Bassus oder andere stützte ist uns nicht bekannt aber möglich. Tacitus konnte wie man weiß Einblick nehmen in die schon zu seiner Zeit alt zu nennenden Senatsprotokolle, „die acta senatus“ in dessen Bestand sich auch die Segestes Aussage befand und konnte daher ihren Inhalt für seine Studien nutzen um sie in seine Aufzeichnungen zu integrieren. Insgesamt unterlagen jegliche Protokolle über Staatsakte der Geheimhaltung. Sie wurden seit Kaiser Augustus aufbewahrt, waren aber nicht öffentlich zugänglich und durften nicht veröffentlicht werden. Angefertigt wurden sie in der Kaiserzeit von einem, wahrscheinlich aber mehreren militärischen Verwaltungsbeamten oder Behördenmitarbeitern. Man nannte sie die „ab actis senatus“ und sie standen demnach wohl im Range eines Senators, vielleicht waren auch die Frumentarii mit daran beteiligt. Mit Personen aus ihren Reihen könnte auch jene Runde besetzt gewesen sein, die sich im Jahre 17 + näher mit dem Überläufer Segestes zu beschäftigen hatte. Tacitus den man als äußerst kritischen Geschichtsschreiber einschätzt, da er wie auch später Cassius Dio auf Widersprüchliches stieß, aber auf die Wiedergabe verzichtet haben soll, versuchte nicht nur, sondern musste auch den Inhalt der Protokolle selektieren um es nach seinem Wissen und Gewissen richtig darzustellen. Was jedoch seine Zuverlässigkeit anbelangt, so sitzt auch Tacitus nicht so sattelfest auf seinem Thron. Denn man ertappte ihn auch an anderen Stellen, wo er sich zu stark den Halbwahrheiten zuneigte und seine Texte teilweise manipulierte, wodurch er den Leser seine eigenen Vorstellungen glauben machen wollte. Es ist daher mit Vorsicht zu genießen, inwieweit er auf Widersprüchliches nicht eingegangen ist und wie es den Anschein macht seine eigenen Interpretationen im Zuge seiner Verschriftung mit eingeflochten hat. In unseren Vorstellungen mag die Vision existieren, dass es in antiker Zeit eine Unmenge von Aufzeichnungen gegeben haben muss, die allesamt verschollen sind. Genauso kann man aber auch die gegenteilige Auffassung vertreten, dass nämlich Tacitus nur auf sehr wenige Zeugnisse stieß, die über diese kurze Zeitspanne, explizit das Jahr 17 + berichteten und er schon froh über das Wenige war, was er vorfand. Allein die Hoffnung auf ein Auftauchen der Verschollenen „Bella Germaniae“ von Plinius dem Älteren, wirkt bereits auf jeden Geschichtsfreund nahezu elektrisierend, aber sie wird wohl für immer unter dem Staub der ewigen Stadt begraben bleiben. Aber in den Tacitus vorliegenden Unterlagen befand sich wie wir wissen, dieses eine gut erhaltene Schriftstück der Segestes Rede, das ihm im Ursprungstext vorlag und das ihn besonders angesprochen haben dürfte, denn es besaß Substanz und er schien es ungekürzt in sein Jahrbuch übernommen zu haben. Ein Text den er sich zum Fundament vieler Recherchen machte. Wir können ihn unter 1.58 (1 – 4) bequem nach lesen und es ohne Übertreibung eine historische Rede nennen, denn es handelte sich um eine bewegende Ansprache wie sie aus dem Munde eines höher gestellten Germanen und das so kurz nach der Jahrtausendwende für die Germanistik eine Rarität darstellt. Es waren besondere und wohl überlegte Worte die Segestes da für seine bedeutungsvolle Reputationsrede fand. Und nach Tacitus soll er sie an einem für ihn schicksalhaften Tag im Frühling des Jahres 15 + gehalten haben. An einem entlegenen Ort noch weit ab römischer Einflussnahme. Etwa auf der Schwelle zu seiner Burg könnte oder soll Segestes dem Germanicus also diese Worte entgegen gerufen oder sie an ihn gerichtet haben, als der vielleicht noch malerisch in Szene gesetzt mit einer blutigen Waffe in der Hand sein Anwesen betrat um ihn und seine engsten Verwandten aus den Klauen der Arminen zu befreien. Nach den Worten von Tacitus soll Segestes wohl auch in diesem Moment eine gewaltige und furchtlose Erscheinung abgegeben haben. Eine Beschreibung die von wem auch immer zu Papier gebracht wurde und die auf unbekannte Personen zurück zu führen ist, die ihn so gesehen haben und die Tacitus ebenfalls in seinen Unterlagen entdeckte. Er könnte es auch noch bei Strabo nach gelesen haben, denn auch er so wird geschlussfolgert, könnte Segestes in Rom 17 + mit eigenen Augen gesehen haben. Der Augenblick in dem der Germane Segestes erstmals Germanicus sah, muss für beide ein besonderer Moment gewesen sein, denn zuvor dürften sie sich nicht gegenüber gestanden haben. Aber seine „Begrüßungsworte“ an ihn fielen der Überlieferung nach unerwartet gefasst aus und er fand hehre Worte, die denen eines frühen Staatsmannes recht nahe kamen. Tacitus schreibt. „Er „Segestes“ sprach wie folgt: Dann beginnt eine längere Ansprache die eher auf einen Monolog hinaus läuft und mehr an einen größeren Zuhörerkreis gerichtet zu sein schien, als an eine Einzelperson wie Germanicus, obwohl er der Übersetzung nach das Wort „DIR“ verwendet, also eine Einzelperson anspricht. Segestes brüstete sich darin überschwänglich für seine Taten und beschwört seine langjährige Bündnistreue gegenüber dem Imperium. Es war ein bemerkenswertes und auch für heutige Verhältnisse ausgezeichnetes und gut gewähltes Statement, welches er da in einer ausgesucht, ausgewogenen und disziplinierten Art und Weise abgegeben hat. Bedenkt man die äußerst brenzlige Lebenslage in der er sich befand kann man nur sagen, Chapeau. Also eine Rechtfertigungsrhetorik geschmückt mit hoher inhaltlicher Qualität und Aussagekraft. Aber es steckte in seinen kraftvollen Worten auch ein Beweis. Denn Segestes konnte in Anbetracht der damaligen Umstände aus einer konkreten Gefahrenlage heraus diese gewaltige rhetorische Leistung, samt flüssigem Satzaufbau und wohlfeiler Rundung kaum in seiner Burg in „Vogelbeck“ zustande gebracht haben, zumindest nicht so tiefsinnig wie sie uns überliefert ist, denn dafür war die Situation gänzlich ungeeignet und würde eher zu einem Kamingespräch passen. Aber wenn wir Tacitus Glauben schenken, soll es Segestes in Germanien nach dem oder bevor man die Beutestücke aus der Varusschlacht zusammen trug, tatsächlich so gesagt haben. Aber es scheint nahezu undenkbar. Denn dieser schon literarisch wertvoll zu nennende Text konnte sich nicht Buchstabe für Buchstabe, also wortgetreu und in der uns bekannten Form aus den Wäldern Germaniens bis in die Chroniken des römischen Senats überführen lassen. Denn dazu hätten seine „römischen Retter“ alles an Ort und Stelle mit schreiben müssen. Es muss aber stark angezweifelt und in Frage gestellt werden, dass Germanicus unter den damaligen bedrohlichen Umständen Schreibkundige oder Biographen mit sich führte, deren Aufgabe darin bestand selbst in dieser kritischen Phase alles im klassischen Latein fein säuberlich nieder zu schreiben, quasi Protokoll über den genauen Hergang der Befreiungsaktion zu führen. Und ein solch umfangreicher Inhalt lässt sich auch erst recht nicht über eine derartige Distanz und Zeit in zitierfähiger Form bis Rom in Erinnerung behalten. Und war man überhaupt willens und imstande diese Wortfülle später noch einmal allen ernstes und in Gänze in Rom sozusagen aus der Erinnerung heraus zu wiederholen um sie zu Papier zu bringen. So spricht vieles und nahezu alles dafür, dass Segestes auch diese Worte in einer aufgeräumt und ruhigen inneren Verfassung nur im Rom des Jahres 17 + dem Senat gegenüber ausgesprochen haben kann, sie aber nicht zwei Jahre vorher im vermeintlichen Einbeck an der Leine Germanicus im Zuge seiner hektischen Befreiung sagte. Man kann somit daraus schlussfolgern, dass Tacitus die Worte von Segestes den Senatsprotokollen entnahm vielleicht auch nur schlicht unwissend, wo genau sie einst ausgesprochen wurden. Worte die von Segestes nach Ansicht von Tacitus nur im Zusammenhang mit seiner Befreiung im Jahre 15 + gefallen sein konnten und auch im kühlen Norden zu Papier gebracht wurden. Tacitus könnte es passend gemacht haben und fügte sie in die chronologische Reihenfolge der Befreiungsaktion in Germanien des Jahres 15 + ein, um den Geschehnissen einen sinnhaften und nachvollziehbaren Ablauf zu geben. Dem antiken Leser seiner Jahrbücher konnte es gleich gewesen sein in welchem Zusammenhang Segestes seine Worte verlor, ob in Germanien oder Rom, denn er hatte sich nicht der Forschung verschrieben. Damit wird diese Rede von Segestes zu einem Hauptbestandteil seiner Bemühungen mit dem römischen Senat um Wertschätzung und Glaubwürdigkeit für seine Person zu ringen. Ein Mann der mit allen Mittel kämpfen musste und dem alle Mittel recht waren um sich als Römerfreund zu beweisen. Die lauteren und die unlauteren Geständnisse eines Mannes der sich 15 + in Germanien noch eine andere Zukunft erhofft und versprochen hatte, als in Rom auf einer Verhörbank zu enden. Aber was soll Segestes nun gesagt haben, als er sich 17 + in Rom zu rechtfertigen hatte. So verfiel vermutlich auch Tacitus aufgrund der unterschiedlichen Quellen die ihm vorlagen in die gleiche Zwangssystematik, wie es später auch bei Cassius Dio feststellbar ist, dem es ähnlich erging. Aber wenn Segestes diese Worte nicht im vermeintlichen Vogelbeck sprach, sondern erst zwei Jahre später in Rom, konnte auch Germanicus darauf in Vogelbeck nicht unmittelbar geantwortet haben, so wie es uns Tacitus hinterließ. Denn unter 1.58 (5) schwenkt Tacitus um und gestaltet den weiteren Verlauf so, als ob Germanicus darauf sofort eine Antwort auf die starken Worte des Segestes parat gehabt hätte. Denn Germanicus soll Segestes gegenüber geradezu spontan und überaus gütig reagiert haben indem er seiner Sippe Straflosigkeit und ihm einen Altersruhesitz versprach. Das Germanicus Segestes einen Freifahrtschein ausgesprochen haben soll, nach dem man ihm zur gleichen Zeit die Beutestücke aus der Varusschlacht vorlegte, erscheint alles andere als glaubhaft zu sein. Wenn aber Segestes seine wohlfeilen Worte in dieser Aneinanderreihung gar nicht 15 + in seiner Burg, sondern erst 17 + in Rom von sich gab sei die Frage gestattet, wo und ob Germanicus seine gütigen Worte ausgesprochen haben soll, die ihn Tacitus 15 + in „Vogelbeck“ sagen ließ. Germanicus müsste dies wenn überhaupt, demnach in einer anderen Umgebung und unter anderen Umständen und Bedingungen getan haben. Aber was wäre eigentlich das normale Verhalten eines Mannes gewesen, der sich im Zuge einer ernsten Bedrohungslage plötzlich seinem Retter Germanicus gegenüber sah. In der Hektik im Frühjahr 15 + könnte sich Segestes nieder geworfen haben und sich auf Knien liegend oder auf Händen und Füßen stützend für seine Rettung bedankt haben. Aber nichts dergleichen ist überliefert. Mitnichten, er soll sogar Germanicus in imposanter und furchtloser Erscheinung gegenüber getreten sein was dann allerdings Angesichts seiner misslichen Lage befremdlich wirkt und erneut Zweifel an der Darstellung und Überlieferung aufkommen lässt. Hier spricht wieder vieles dafür, dass sich einst Segestes vor dem römischen Tribunal in gewohnter Manier in Positur warf um Eindruck zu schinden und Glaubwürdigkeit zu hinterlassen und dazu gehörte es auch seine Rettungsaktion in Vogelbeck würdevoll und nicht unterwürfig zur Schau zu stellen und es auf keinen Fall so aussehen zu lassen, als ob er dem römisches Volk etwas schuldig gewesen wäre. So wie es allerdings überliefert ist, müsste man eher auf die Idee kommen und im Nachhinein fragen, wer denn der Retter und wer der Gerettete in Germanien war. Fasst schon so, als ob es für Germanicus eine Ehre gewesen wäre, ihn retten zu dürfen. Ob Germanicus ihm die wohlwollende Zusage für sein weiteres Leben also schon oder noch in seiner Burg gab ist daher genauso unklar wie es strittig ist, dass Segestes in seiner hilflosen Lage noch imstande war derart markige Rechtfertigungssreden schwingen zu können. Und ob nicht auch Tacitus in dem gleichen Dilemma steckte wie hundert Jahre später Dio der im Wust seiner diversen Quellen nicht nur die Übersicht über die Abfolge verlor und sich daher bemühen musste, die nötige Plausibilität zu erzeugen, klingt ebenfalls nahe liegend. Denkbar ist auch, dass die an Segestes gerichteten tröstlichen Worte des Germanicus über seine Zukunft unter Umständen gar keinem Feldherrn zustanden, sondern nur einem Kaiser persönlich vorbehalten sind. Nur er entschied was mit Segestes zu geschehen hatte und machte und er hätte dies von seinen Aussagen in Rom abhängig gemacht. Dazu wäre es dann allerdings erst im Jahre 17 + gekommen und Germanicus hätte Segestes gegenüber in Germanien geschwiegen also gar nichts erwidert. Vielleicht war bei Tacitus in diesem Fall nicht Germanicus als Cäsar, sondern der Cäsar Tiberius gemeint, der Segestes wohlwollend entgegen kam, nach dem Segestes weisungsgemäß Varus die Alleinschuld gab. Dann vollzieht Tacitus hier ähnliches wie Dio es auch tat, denn er bricht den Fluß der Ereignisse unvermittelt ab und berichtet übergangslos über den Rückzug von Germanicus und die Titelverleihung eines Imperators an ihn durch Kaiser Tiberius. Ein erstaunliche Ehrung mit der Kaiser Tiberius möglicherweise bereits im Jahre 15 + den ersten Versuch startete Germanicus aus Germanien zurück zu ziehen. Hatte Segestes Mühe im Jahre 17 + seine nebulösen Handlungen vor der Varusschlacht des Jahres 9 + ins rechte Licht zu rücken, so beweist seine Rede in Rom die er möglicherweise mit den Fingern der rechten Hand wie zum Schwur nach oben gereckt verstärkte, dass ihm die gleiche Rechtfertigungsanstrengung auch für das Frühjahr 15 + bevor stand. Denn wie bereits im letzten Kapitel behandelt, sah er sich auch hier einem gewaltigen Überzeugungsdruck ausgesetzt dem er zu widerstehen hatte. Er beweist dies selbst, indem er in Rom im direkten Zusammenhang mit seiner Befreiung im Jahre 15 + auch noch mal an sein Verhalten im Jahre 9 + anknüpfte und darauf zu sprechen kommt. Ein Ereignis, dass zu diesem Zeitpunkt schon acht Jahre zurück lag. Er beruft sich darin unter anderem auf die „ominöse“ Warnung oder die Warnungen die er Varus in einer Nacht gegeben haben wollte. Eine Schutzbehauptung, zu der er sich gezwungen sah, sie auch noch nach so langer Zeit wieder aufleben lassen zu müssen oder zu der man ihn nötigte. Eine unüberprüfbare Aussage, denn für sie gab es bekanntlich keine Zeugen. Aber man kann sich gut in seine Lage im Jahr 17 + hinein versetzen, wie er schweißnass vor Angst im Verhörraum des Palatin saß und sich eine Ausrede nach der anderen dafür einfallen lassen musste, warum sich Varus damals von ihm nicht überzeugen ließ und warum seine Verwandten im Frühjahr 15 + in Vogelbeck möglicherweise sogar noch stolz die in der Varusschlacht erbeuteten Stücke dem Feldherrn Germanicus präsentierten. Und es soll sich dabei um einiges an zusammen getragenen „Erinnerungen“ gehandelt haben, dass viele der einstigen Kämpfer aus der Segestes Sippe sechs Jahre nach der Schlacht wie Trophäen immer noch in ihrem Besitz hatten bzw. benutzten wenn es Waffen waren. Und Segestes duldete, dass seine Angehörigen die Beweismittel für das unmittelbare Mitwirken seiner Sippe am Schlachtgeschehen vorzeigten und er dies nicht verhindern wollte oder konnte. So musste er auf seiner Bank darben, bis ihm das römische Verhörkommando endlich die goldene Brücke baute, damit er keine falschen Töne in seine Erklärungen einbauen konnte die der Kaiser nicht duldete. Blickt man zurück ins Schlachtgeschehen des Jahres 9 + , so könnte man sich bei alledem vorstellen, dass Segestes selbst wenn er auch nicht aktiv mit eingriff, so aber doch passiv und weniger auffällig in der Schlacht mitwirkte. Zumindest um zu wissen, wer am Ende der Sieger sein würde bzw. sich auch einen Anteil an der Beute sichern wollte, wie es nun Germanicus mit eigenen Augen sehen musste. Man könnte Segestes sogar zutrauen, dass er sich bei wechselndem Schlachtenglück noch rechtzeitig mit seinen Getreuen Varus angeschlossen hätte. Als guter Taktiker wird er sich politisch geschickt verhalten haben. Aber nun saß er auf der harten Bank einer unangenehmen Befragung die man geneigt ist mit dem Wort „hochnotpeinlich“ zu betiteln. Und die Kernfrage lautete wieder. Wie kamen die Waffen aus der Varusschlacht an die Wände seiner Burg in Vogelbeck und war er wirklich frei jeder Schuld. Man stelle sich vor ein Germancius der sich im zweiten Schlachtenjahr seiner drei Jahre andauernden Rachefeldzüge gegen die germanischen Stämme befand betritt die Burg eines hohen Germanenfürsten und das Erste was ihm ins Auge fällt sind Beutestücke aus eben jener Schlacht die er zu rächen nach Germanien aufgebrochen ist und die ihm noch dazu freiwillig vorgezeigt werden. Da dürfte Germanicus wohl in Segestes zuerst einmal eine Person gesehen haben, der er mit starken Zweifeln zu begegnen hatte. Segestes hatte die Wahl. Eine Einigung mit Arminius anzustreben um dann von ihm in weitere Schlachten gegen Rom hinein gezogen zu werden, was nach dem Zerwürfnis kaum vorstellbar war, oder sich von Germanicus gefangen nehmen zu lassen, in der Hoffnung damit auf die Karte des Stärkeren gesetzt zu haben um über diesen Umweg später einmal wieder seinen alten Platz in Germanien einnehmen zu können. Eine gute Strategie wenn man davon überzeugt ist, dass das Imperium am Ende der Sieger war. So entschied sich also für den zweiten Weg. Aber nun saß er immer noch in Schweiß gebadet in Rom und musste sich wegen der vorgefundenen Beutestücke auch wieder etwas zu seinem Verhalten im Jahre 9 + einfallen lassen. Und musste alles in die Waagschale werfen um es mit heiler Haut zu überstehen. Und in diesem Moment halte ich es auch für passend, dass sich Segestes zu seiner denkwürdigen Rede aufschwang in der er sich als treuer Römerfreund postulierte, so wie es Tacitus unter 1.58 (1 - 4) überlieferte. Aber Segestes fand nichts schlüssiges und kam daher nicht umhin wegen der Beutestücke auch Makel an seiner eigenen Familie eingestehen und zum Ausdruck bringen zu müssen. Und er musste ihnen die Schuld geben, denn er konnte schließlich nichts dafür, dass sie auf die Rhetorik eines Arminius herein fielen. So übte er sich in gespielter Demut und entschuldigte sich für alles. Es bleibt nun noch die Frage offen, warum die Legionäre des Germanicus überhaupt auf die Beute aus der Varusschlacht stoßen konnten. Hatte man sie nicht rechtzeitig vor ihnen verbergen können. Denn um sich damit zu brüsten, wäre dies der ungünstigste Zeitpunkt gewesen, den man sich vorstellen kann. Oder besser gesagt wäre es an Dummheit nicht mehr zu überbieten. Vermutlich stellten die Legionäre als sie die Segestes Burg betraten fest, das einige Germanen römische Waffen am Körper trugen, was ihr Interesse weckte und was sie auf weitere Dinge stießen ließ, die sich einst in römischen Besitz befanden. Und dafür gab es nur eine Erklärung, die Varusschlacht. Denn man sah es der Machart an und anders konnten die Teile auch gar nicht in die Hände ihrer neuen Besitzer gelangt sein. Alles wurde für Segestes zu einem Trauerspiel bei dem er schon mehrmals in seiner Vorstellungskraft das Ende seiner Tage auf sich zu kommen sah. Denn aus der Sicht des römischen Senats war Segestes alles andere als unschuldig. Zu Beginn stand auch seine Unterschrift auf dem Bündnisvertrag mit Rom, dann stand er Pate als dieser gebrochen wurde ohne etwas bewirkt zu haben. Lebte sechs Jahre im Einvernehmen mit den Varusmördern. Ließ es zu, dass der größte Widersacher Roms seine Tochter schwängerte und verwahrte in ehrendem Gedenken an den Sieg die römischen Waffen der Varusschlacht in seinem Haus. Rom erwies ihm wohl mehr Gnade als Recht aber er hatte die wesentlichen Fürsprecher auf seiner Seite, Germanicus der ihn für den Triumphzug brauchte und Kaiser Tiberius für den er ein alter Bekannter und daher auch ein Mitwisser war. Und so schob der ihn auch nach Gallien ab, wo er keinen Schaden mehr anrichten konnte.Wie lange er dort lebte oder dort überleben durfte ist nicht überliefert.(11.05.2020)

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Freitag, 8. Mai 2020
Aus dem Jahrbuch des P.C.Tacitus Kapitel 1.58 (1–4) Die denkwürdige Segestes Reputationrede
Tacitus verdanken wir die Existenz der „Segestes Rede“ die sich dank glücklicher Umstände bis heute erhielt. Reputations- oder Verteidigungsrede trifft es jedoch besser, da er damit vor allem sich selbst frei sprechen wollte und vielen anderen gerecht werden musste. Man kann sie sicherlich als ein Original, also als ein unverfälschtes Dokument ansprechen. Um nun schlussfolgernde Forschungen zu betreiben und geeignete Analyse Methodik darauf aufbauend anzuwenden ist dieser Urtext unverzichtbar und gehört daher an den Anfang der inhaltlichen Auseinandersetzung. Denn mit seiner Rede lässt sich sowohl seine Glaubwürdigkeit in Bezug auf das Jahr 15 + ausloten als auch die Vorgeschichte zur Varusschlacht rekonstruieren. Man muss sie daher im weiteren Verlauf diversen Betrachtungen unterziehen. Segestes hat in seine Rede einen Überschwang an zeithistorisch bedeutsamen Elementen eingebaut, was aus ihr ein literarisches Kernelement der germanistischen Forschung macht. Das Internet Portal zur westfälischen Geschichte bietet uns auf Basis des Tacitus Jahrbuches Nr. 1.58 (1-4) dieses Original in Form einer guten Übersetzung in deutscher Sprache an. Obwohl es sicherlich auch noch andere aus fachlicher Sicht bzw. übersetzungstechnisch einwandfreie Auslegungen aus der Epoche der „Silbernen Latinität“ gibt, bevorzuge ich hier aus nahe liegenden Gründen die Quelle des LWL - Instituts für westfälische Regionalgeschichte in Münster. Die Wiedergabe gliedert sich in vier Blöcke. Zum Beginn steht die unveränderte Darstellung jeweils eines der vier Abschnitte aus dem Jahrbuch 1.58, so wie es der vorgenannten Übersetzung entspricht. Danach folgt eine vereinfachte Zusammenfassung. Eine Analyse in der versucht werden soll, den Inhalt seiner Ansprache in ein verständiges Licht zu rücken, man entnimmt unbedeutende oder überzogene Passagen oder Worte, gliedert nötigenfalls Gesagtes aus, um oder ergänzt es, so verschärft sich der Blick mehr auf das Wesentliche, nämlich seine Worte die er für seine Reputation wählte und hinter denen sich Einseitigkeit und Täuschung vermuten lassen. Man gelangt so zu einem veränderten aber flüssigeren Textaufbau, der die Lesbarkeit etwas verbessern hilft. Als Fazit folgt dann eine erste Interpretation. Erst im darauf folgenden Abschnitt unter dem Titel: „Segestes und die wichtigste Ansprache seines Lebens - Tacitus zitierte sie in der Annahme er hielt sie im Jahre 15 + vor Germanicus“ möchte ich mich noch mal im Detail mit ihr auseinander setzen. Denn auch hier will ich meiner Vorgehensweise treu bleiben und den Blick möglichst auf alle Facetten seiner Äußerungen werfen.

Original Übersetzung zu 1.58. (l)

Dieses ist nicht mein erster Tag der Treue und Standhaftigkeit gegenüber dem römischen Volk. Seit mich der göttliche Augustus mit dem Bürgerrecht beschenkt hat, habe ich Freunde und Feinde nach euren Interessen ausgewählt, nicht aus Hass gegen mein Vaterland - sind doch Verräter selbst denen verhasst, denen sie den Vorzug geben -, sondern weil ich überzeugt war, dass Römer und Germanen dasselbe (Ziel) zusammenführt, nämlich eher Frieden als Krieg.

Zusammenfassung zu 1.58. (l)

Er betont seine Treue und Standhaftigkeit gegenüber dem römischen Volk und brachte damit zum Ausdruck, dass er dies praktizierte seit dem ihm Kaiser Augustus das römische Bürgerrecht verlieh. Die Auswahl seiner Freunde und Feinde hatte er immer den Interessen Roms untergeordnet. Der Feind Roms war also auch immer sein Feind und so galt es auch für seine Freunde. Anders ausgedrückt. Wer ein Feind Roms war, der konnte nie sein Freund sein. Und dies tat er nicht weil er sein Vaterland hasste, sondern weil er immer die Auffassung vertrat, dass man nur im Frieden zusammen finden kann, aber nicht im Krieg. Mithilfe eines eingeschobenen Satzteiles vertrat er die Auffassung, dass Menschen die zu Verrätern werden, sogar bei denen verhasst sind, zu deren Gunsten sie ihren Verrat begehen.

Interpretation bzw. Fazit zu 1.58. (l)

Seinen Hinweis auf die Standhaftigkeit kann man sicherlich überspringen, aber wie verhält es sich mit der besonders von ihm heraus gestellten Treue gegenüber Rom nach dem ihm Kaiser Augustus die Staatsbürgerschaft verlieh, seit wann fühlte er sich an sie gebunden und was verstand er unter Treue. Im Jahre 4 + schloss Tiberius den Vertrag zwischen Cheruskern und Römern und damit verbunden könnte ihm die Ehrung des Kaisers aus den Händen von Tiberius symbolisch überreicht worden sein. Segestes fungierte sicherlich nicht als eine frühe Form des Doppelagenten, war aber ab diesem Tag offenkundig für alle Germanen der Region ein Römerfreund. Aber möglicherweise trug man seinerzeit auch Segimer das römische Bürgerrecht an, nur das dies an keiner Stelle Erwähnung findet. So konnte Segestes im Jahr 17 + bereits auf dreizehn Jahre Freundschaft zurück blicken, in der er sich indirekt dem Imperium gegenüber verpflichtet sah. Eine treue Freundschaft zu Rom zu pflegen konnte zwar für ihn nützlich sein, umfasste aber nicht automatisch auch einen Verrat am eigenen Volk aber irgendwann könnte Rom diese Treue auch mal eingefordert haben. Denn was tat Segestes in der langen Zeit konkret, um sich Rom gegenüber als ein würdiger Freund oder Partner zu erweisen, wenn es ihm nicht einmal gelang die elementare Varusschlacht im Sinne Roms zu beeinflussen. War das Bürgerrecht nur Makulatur oder worin lag der Wert dieses Mannes für Rom, wenn er in diesem alles entscheidenden Moment versagte. Man konnte ihm vorwerfen, er hätte, ja müsste viel früher von der kritischen Stimmung unter den Cheruskern Kenntnis gehabt haben und hätte auf geeignete Weise tätig werden können ja sogar müssen. Doch an wen dachte Segestes, oder wen meinte er, als er von einem Verräter sprach. Das klare Wort Verrat vermied er, bzw. umschrieb es geschickt, da es eine ungute Wirkung erzielen würde. Es ist sicherlich offensichtlich, denn seinen Gegenspieler Arminius konnte er nicht gemeint haben, er war bei seinem Stamm nicht verhasst und ihm hatte sein Volk bekanntermaßen auch den Vorzug gegeben, sie in den Krieg zu führen. Und er verriet auch nicht sein Vaterland, denn die Cherusker standen geschlossen hinter ihm. Also konnte Segestes nur sich selbst des Verrats am eigenen Volk bezichtigt haben. Seine Darstellung läuft auf die Weisheit hinaus, dass die Macht zwar den Verrat liebt, aber nie den Verräter selbst. Segestes machte damit deutlich, dass er jener war, der für seine Treue zu Rom zum Verräter wurde, sich damit aber auch gleichzeitig selbst verhasst machte, obwohl man seinen Verrat wertschätzte. Er muss sich also in dem Augenblick des Verhörs bewusst gewesen sein, dass man in ihm in Rom mehr den Verräter am eigenen Volk sah, als das er als Freund Roms wahr genommen wurde. Aber sein Verrat den er vor gab 9 + begangen zu haben, lag nun acht Jahre zurück und besaß 17 + nach dem was sich seit dem ereignet hatte, keine Relevanz mehr. Viel mehr war es ihm jetzt nur noch wichtig gegenüber dem Tribunal deutlich zu machen, dass er als Römerfreund betrachtet werden und sich als solcher ausweisen wollte und was nun mehr wiegen sollte, als sein lange zurück liegender Verrat am eigenen Volk. Der vorgegebene Verrat war demnach seine elementare Rechtfertigung und der wesentliche Inhalt seiner Strategie. So tischte er in Rom aus Gründen des Selbstschutzes diese Ausrede auf und verkaufte sie als glaubhafte Version. Da er sich aber als Verräter unbeliebt gemacht hatte, führte dies dazu, dass er sich, was schon an Kuriosität grenzt, nun sogar für diesen nie begangenen Verrat zu rechtfertigen und zu verteidigen hatte. Seine Begründung für den Verrat lag darin, dass er es für die römisch germanische Freundschaft tun musste die er für höher wertig hielt. Warme Worte die ins Ziel trafen. Aber damit nicht genug, denn es folgt im weiteren Verlauf noch eine weitere und völlig andere Interpretation zum möglichen Ablauf der Unterredung, die ein gänzlich anderes Licht auf diesen Tag im Parloir des Palatin wirft.

Original Übersetzung zu 1.58.(2) 

Also habe ich den Räuber meiner Tochter, Arminius, der das Bündnis mit euch brach, bei Varus, der seinerzeit das Heer führte, angeklagt. Als ich dank der Trägheit des Feldherrn vertröstet wurde, drängte ich ihn, weil Gesetze zu wenig Schutz boten, dass er mich, Arminius und die Mitwisser verhafte: Jene Nacht ist Zeuge, wäre sie doch meine letzte gewesen.

Zusammenfassung zu 1.58. (2)

Arminius, der das Bündnis mit Rom brach, habe ich bei Varus angeklagt. Aber wegen seiner Trägheit wurde ich von ihm vertröstet. So musste ich auf ihn eindringen, damit er tätig würde. Denn das römische Gesetz allein bot in diesen Zeiten zu wenig Schutz um der Gefahr zu begegnen. Ich forderte ihn auf, dass er mich, Arminius und die anderen Mitwisser verhaften müsse um Schlimmeres zu verhindern. Die Nacht ist dafür mein Zeuge, wäre es doch meine letzte Nacht gewesen.

Interpretation bzw. Fazit zu 1.58. (2)

Nein, dieser heroische Urtext entstammt nicht den Wagner Festspielen in Bayreuth, obwohl er sich verdächtig danach anhört, sondern der Feder von Tacitus, der ihn abschrieb. Aber sicherlich kann sich niemand der Faszination dieser angeblich von Segestes mit viel Tiefsinnigkeit, Theatralik und Pathos vorgetragenen Rede entziehen. Wenn es denn so war, so kann man sich förmlich in die Lage der Teilnehmer des Tribunals hinein versetzen, die sich beim Anhören dieser hoch gesteckten Worte aus dem Munde eines „Barbaren“ gegenseitig fragend in die Augen sahen und sich diese vor Ungläubigkeit rieben. Denn sie müssen auch damals schon gekünstelt und wie auswendig gelernt geklungen haben. Da sie dem aber nichts entgegen halten konnten, nahmen sie es zur Kenntnis und brachten es so wie von Segestes ausgesprochen zu Papier und übergaben seine Aussage dem Kaiser oder seinen Vasallen zur Gegenlese und ggf. auch zur Revision. Aber dieser Abschnitt 1.58 (2) beinhaltet im Kern eine Prise Sprengstoff zumindest aber im Wesentlichen das, was wir wissen müssen, um die diplomatische Vorgeschichte zur Varusschlacht etwas zu verstehen. Tacitus lässt kaum was aus und bietet uns damit einen scheinbar reibungslosen Erklärungsverlauf über das was Segestes tat und was ihn damals bewog sich so zu verhalten bzw. es begründete. Aber die Darstellung ist einseitig, denn es ist eben nur die Segestes Seite der Medaille. Die Arminius Variante können wir nur den Puzzleteilen aus Fakten und Resultaten entnehmen. Arminius war also der Brecher des römischen Vertrages aus dem Jahre 4 +. Segestes soll demnach Varus den bevor stehenden Vertragsbruch, also das bis dato erst noch im Keim steckende, aufrührerische Ansinnen des Arminius mitgeteilt, auf gut deutsch verraten haben. Das Varus ihn nicht ernst nahm führte Segestes auf seine Trägheit zurück, womit er vorsichtig dessen geistige Unbeweglichkeit andeutete. Ebenfalls ein Charakterzug von dem jeder Römer der Varus kannte wusste, der also kein Geheimnis war. Segestes wiederholte also bewusst allgemein Bekanntes und konnte sich daher der Akzeptanz seiner Worte sicher sein. Varus reagierte nicht auf seine Warnungen und hielt ihn hin, was auch noch gut zu seinem Genre passte und womit Segestes die Untätigkeit von Varus zum Ausdruck brachte, was dann bei der Jury ebenfalls auf allgemeines Verständnis stieß. Denn auch diese Worte klangen nachvollziehbar. In Rom musste man annehmen, dass nun wertvolle Zeit verloren ging, was den kritischen Schlachtausgang begünstigte. Im weiteren Verlauf gab Segestes vor, nun eindringlicher geworden zu sein bzw. werden zu müssen, damit Varus nun endlich etwas unternehmen sollte. Man lies es zu, dass aus dem einst angesehenen Legaten Varus ein Mann gemacht wurde, den nun sogar schon ein Barbar unter Druck setzen konnte. Für die Senatsbeamten in Rom aus dem Munde von Segestes eigentlich eine nicht akzeptable Demütigung, die man aber durch gehen ließ, da Varus nach allgemeiner Auffassung schon länger als Versager gehandelt wurde. Immer unter der Prämisse betrachtet, dass es so war. Eben ein ausgezeichneter Schachzug von Segestes, womit sich die gefährliche Zuspitzung glaubhaft machen ließ. Segestes hatte den Überblick, denn er erkannte, dass allein die römischen Gesetze in Germanien nicht ausreichten um damit seine Landsleute vom Kampf abzuhalten. Es ging also nicht ohne Anwendung römischer Gewalt. Segestes schlug ihm vor, Varus solle nun die gesamte cheruskische Führungsriege einschließlich seiner Person in Gewahrsam nehmen um den Aufstand im Keim zu ersticken. Das er sich dabei selbst mit einbeziehen wollte spricht für seine durchdachte Argumentation. Denn in Rom sollte man davon ausgehen, dass er den Verrat hinter dem Rücken von Arminius betrieb und dazu war unbedingt seine Mitverhaftung vonnöten. Der letzte Satz aus seinem Mund gebietet dezentes Innehalten. Denn in ihm spricht er es nun ganz deutlich aus. Denn es gab für seine Warnung an Varus „außer der Nacht“ keinerlei Zeugen. Dies war sozusagen der Casus knacksus seiner gesamten Argumentationskette, denn es war keine Menschenseele dabei, als er Varus gewarnt haben wollte. Folglich ein Vieraugengespräch zweier Männer von denen der eine nun seit acht Jahren tot war. Also beste Bedingungen und Voraussetzungen für die Schaffung einer unsterblichen Lebenslüge. Und er beantwortet die Frage nach möglichen Zeugen schon von sich aus, bevor sie ihm gestellt wird. Nach Tacitus soll es sich um die Nacht vor dem Aufbruch bzw. dem Ausbruch der Schlacht gehandelt haben. Aber nun betreten wir das angekündigte neue Feld der Argumentation, die gar nicht so abwegig erscheint. Denn es ist erneut unser besonderes Einfühlungsvermögen in die damals prekäre Lage und nicht nur für Segestes, sondern auch für die ihn Befragenden nötig. Denn wir müssen uns auch hier wieder versuchen uns die Lage im Jahre 17 + in Erinnerung zu rufen. Möglicherweise ein karger Raum der römischen Administration ausgestattet mit dem Nötigsten an Mobiliar, aber mit um so aufmerksameren Zuhörern und Fragestellern. Und nun folgt die angekündigte Rolle rückwärts. Denn hatte es Segestes damals alles auch wirklich wortwörtlich so gesagt, wie wir es heute kennen und für richtig halten. Hatten möglicherweise die, die ihn Verhörten bei der Formulierung seiner Worte an den richtigen Stellen vielleicht auch etwas nachgeholfen. Um ihn, dem Unbeholfenen die richtigen Worte finden zu lassen, ihm sozusagen „beim Denken etwas nach zu helfen“, sein Gesagtes zu lenken, vielleicht auch ihn zu beeinflussen, einiges glaubwürdiger erscheinen zu lassen oder ihm andere Worte in den Mund zu legen. Sie, die rhetorisch gewandten, geschulten und geübten Profis und Experten auf der einen Seite und Segestes der kleine Germanenfürst, des Lateinischen wenig mächtig und bewandert. Wo hätte er es auch erlernen sollen. Segestes, der die Worte vielleicht nur im einsilbigen Stotterton heraus brachte und immer um die geeigneten Worte ringen musste. Worte deren Sinn sich ihm gar nicht erschloss. Und so könnte es auch gewesen sein, denn dann war er es gar nicht selbst gewesen, der sich unter anderem seine Warnungen an Varus ausdachte, sondern man schob ihm diese entscheidende Erklärung passenderweise in die Schuhe, wie vermutlich andere Aussagen auch. Dies eröffnet eine völlig neue Dimension der Interpretation, denn dann müsste man sich im gleichen Atemzug auch die Frage stellen, wer denn an dieser manipulierten Auslegung im Palatin Interesse gehabt haben könnte. Das würde zweifellos die Tür für viele Spekulationen öffnen. Es könnte sogar so weit gehen, dass es einigen hohen Herren nur recht und billig gewesen sein könnte, wenn sich die Segestes Aussagen in Einklang mit anderen davon abweichenden Wünschen des Herrscherhauses bringen ließen. So könnte einer Reihe von Personen die Verunglimpfung von Varus sehr gelegen gekommen sein, um vom damaligen eigenen Versagen oder von alten Fehlentscheidungen in Germanien abzulenken. Das plötzliche Auftauchen eines Segestes acht Jahre nach der Varusschlacht barg nämlich auch unerwartete Risiken in sich. Nämlich die Gefahr, dass nun doch noch über diverse Wahrheiten gesprochen wurde die zur Varusschlacht bislang nicht ans Licht kamen und schon verdrängt schienen. Details wie sie nur Segestes der letzte überlebende Zeuge kannte. Der Mann den Germanicus eigentlich nur zu seiner eigenen Reputation nach Rom überführt hatte. Denn nun sah sich Tiberius zum Handeln aufgefordert. Das Wissen des an sich unbedeutenden Segestes war brisant und bedurfte der geeigneten Manipulation an der richtigen Stelle. Er war zwar im großen Schachspiel nur eine Nebenfigur, aber man war um Schadensbegrenzung bemüht, damit seine Kenntnisse nicht in die Hände der Opposition geraten konnten. Die Varusschlacht war 17 + noch nicht verjährt und das Vergangene musste noch verschleiert werden, zumal ein wichtiger Protagonist aus der alten Zeit noch lebte und nun im Zentrum stand, nämlich Kaiser Tiberius persönlich. Größeren Schaden galt es also von ihm abzuwenden. Dem Team um Segestes ging es jetzt darum den Kaiser schadlos zu halten, bevor daraus eine Affäre Segestes werden konnte. So musste jede Spur verwischt und jeglicher Gedanke an eine mögliche Mitschuld des Kaisers am Ausgang der Varusschlacht vermieden werden. Und diese Sorge war berechtigt. Denn wir erinnern uns. Tiberius, war damals noch Feldherr im Dienste von Kaiser Augustus, leitete unmittelbar vor der Varusschlacht die unvollendete Operation „Markomannen Feldzug“ ein und im unmittelbaren Anschluss darauf folgte die „Niederschlagung des Pannonischen Aufstandes“. Aber Tiberius war es auch, der Varus militärisch amputierte und folglich wehrlos machte bzw. machen musste in dem er ihm einen Großteil seiner Legionäre entzog. Sie zuerst gegen Marbod mobilisierte und dann sogar noch aufstocken musste, da der Krieg in Pannonien und gegen die Dalmater noch größere Anstrengungen erforderte. Stellen wir uns vor Segestes, der die Lage in Germanien in dieser Zeit bestens kannte hätte über diese Vorgänge berichtet. Denn er wusste wie die militärischen Karten in Germanien damals gemischt waren. Römische Trupps durchstreiften die Lande um germanische Söldner anzuwerben und Hilftstruppen aufzustellen. Jene Verbände bei denen man mutmaßt, dass auch Arminius darunter war. Auch Segestes werden sie gefragt haben, wie viel Männer er bereit war für den Krieg abzugeben. Dieses Wissen hätte für Kaiser Tiberius zum Debakel werden können, denn es holte ihn nach der langen Zeit nochmal seine Vergangenheit ein und warf einen Schatten auf seinen damals zu ehrgeizigen Plan Marbod auszuschalten, den er 6 + anzugreifen gedachte. Denn an den Pannonienaufstand dachte in dieser Zeit noch niemand. Hätte also Segestes sozusagen ausgepackt und zu Protokoll gegeben, wie zahlenmäßig gering doch damals die drei Legionen des Varus waren, als sie vermutlich 7 + über die Lippe nach Osten vor stießen um die Weserlager zu errichten, da ihnen viele Männer entzogen werden mussten, dann hätte Tiberius die Provinzialisierungsabsichten in Ostwestfalen vielleicht besser aufschieben sollen. Und zwar solange bis die Truppen vom Markomannenfeldzug wieder in die Kastelle an Rhein und Weser eingezogen wären. Zweifellos steckte Tiberius in einer Zwickmühle, denn er konnte nicht mit dem Aufstand an der Donau im Rücken rechnen, als Saturninus durch den bayrischen Wald und er durch das Marchtal von Carnuntum aus gegen Marbod zog. Segestes hätte es auf die Spitze treiben können in dem er gesagt hätte, dass die Varusschlacht für die Germanen zum Kinderspiel wurde, da es kaum wehrfähige Legionäre gab die sie zu besiegen hatten. Die Fehleinschätzung der Lage in Germanien wäre Tiberius anzulasten gewesen, der doch die Germanen seit dem Bündnisvertrag eigentlich gut gekannt haben müsste. Und dann bekäme plötzlich auch die Bemerkung von Marbod den richtigen Sinn, als dieser von „QUONIAM TRES VACUAS LEGIONES ET DUCEM FRAUDIS“ sprach. Denn „vacuas“ heißt nichts anderes als leer. Und im eigentlichen Sinne ist da wohl das mit gemeint gewesen, was wir heute noch unter "vacuum" verstehen.Folglich ein inhaltsloser Raum. In diesem Fall unbesetzt, lückig, ausgedünnt, nicht vorhanden, schlicht wehrlos oder kampfunfähig. Und das mühsame Rätselraten, ob „vacuas“ möglicherweise bedeuten könnte, sie hätten alle „dienstfrei“ gehabt oder lägen wegen des Kaisers Geburtstag noch im Alkoholrausch wäre beendet. Und keiner konnte es besser wissen als Marbod. Denn die Legionäre die Varus gegen Arminius fehlten waren auf dem Weg zu ihm und sollten ihn bekämpfen. Marbod hielt also keine Schmährede gegen Arminius, sondern sagte die reine Wahrheit und sprach nur das aus, was in Germanien sowieso jeder wusste. Und Marbod war damals, als er es sagte frei in seiner Rede, ohne jegliche Zwänge und er saß nicht zitternd vor einem römischen Tribunal. Er war also unbeeinflusst und somit entschieden glaubhafter als Segestes der in Rom um sein Leben bangen musste und daher Varus zum Alleinschuldigen zu erklären hatte. Wir sehen also, wie sich die Logik um den Verlauf der Varusschlacht dank zahlreicher Analysen und Indizien immer enger ziehen lässt, wenn man sich nur auf neue Gedankenspiele einlässt. Denn der arme Varus hatte das schwere Los zu tragen gehabt, mit drei zerpflückten Rumpflegionen an der Weser die Stellung in einem unsicheren Land zu halten. Eine Position die er nur mit Hilfe der cheruskischen Reiter halten konnte und das nur so lange wie ihm diese die Treue hielten. Und da Arminius sie alle befehligte durfte er sie sich in seiner schwachen militärischen Position nicht zum Feind machen und sich keinesfalls auf die Seite des schwächeren Widersachers Segestes stellen. Auch dann nicht, wenn der ihn nicht gewarnt hätte. Wäre dies alles damals Segestes über die Lippen gegangen hätte es fatal und zu einem Sturm der Entrüstung kommen können. Alte Fragen werden noch mal hervor gezerrt worden und Tiberius hätte es schwer gehabt die Versäumnisse seinem verstorbenen Vorgänger Augustus anzukreiden. Und ein Germane der es wagt dem Kaiser die Schuld für die Niederlage im Saltus zu geben, in dem er ihm seine alten Entscheidungen zum Vorwurf machte, den konnte und durfte es nicht geben. Wäre dies alles schwarz auf weiß notiert worden, so wäre es gegen Segestes zum Prozess wegen Hochverrat gekommen. So haben wir es nur mit einer Zeugenbeeinflussung durch die Gegenseite zu tun. Und es war die Aufgabe der Hofbeamten sicherzustellen, dass Segestes in diesen wesentlichen Punkten schwieg, während er in anderer Hinsicht seiner Zunge freien Lauf lassen durfte. Aber er hätte wohl auch von sich aus so gehandelt, denn er war nicht lebensmüde. So ließ es sich aus der Sicht des römischen Herrscherhauses passenderweise darstellen, dass nicht das Fehlen der militärischen Schlagkraft die Niederlage herbei führte, sondern es einzig das Versagen des Varus war, auf Segestes nicht gehört zu haben und alle waren zufrieden. Wer nun die Idee hatte Segestes zu unterstellen er habe Varus gewarnt, ob man es ihm dies nahe legte, oder ob er sie selbst entwickelte bleibt im Reich der Spekulation. Aber auch diese Darstellungen erzeugt den Eindruck, dass alles anders verlaufen sein könnte, als wir es uns heute vorstellen möchten. Und manchmal kann ein Blick in die Seele des Menschen mehr offenbaren als 2000 Jahre alte Schriftstücke. Wäre es aber genauso gewesen, müssten wir allerdings auch ein bedauerliches Fazit ziehen, denn aus unserer heutigen Sicht betrachtet, würden dadurch unsere Chancen um ein Vielfaches sinken, überhaupt jemals im Nethegau oder am Borlinghausen/Kleinenberger Steilanstieg auf die wenigen Utensilien dieser Mehrtagesschlacht zu stoßen. Denn sie wurde mit weitaus weniger Männern ausgetragen als bisher angenommen. Man hörte also vielleicht auch Segestes nur zu und ließ ihn möglicherweise ohne Unterbrechung zu Wort kommen, fertigte dann aber ein Papier aus, dass in Gänze darauf abgestimmt war, was man im Palatin gerne hören wollte. Denn wer hatte damals schon Interesse an der Wahrheit. Tacitus verfügte also definitiv über den Originaltext dessen was Segestes an jenem Tag in Rom verlauten ließ und gab ihn unbedarft und unbenommen ob seiner Richtigkeit wider. Aber mit dem Wissen um den Inhalt des Gespräches mit Segestes besaß Tacitus den wichtigen Einblick in die Begebenheiten vor dem Ausbruch der Varusschlacht von dem uns keiner aus ihm berichtete. Tacitus war zwar Geschichtsschreiber, er trat aber auch als Autor seiner Jahrbücher auf. Dem Unterhaltungswert kam zu allen Zeiten eine Bedeutung zu und so wollte der Leser in den Ereignissen auch einen Zusammenhang erkennen können. Tacitus kam dem nach, in dem er die Angaben von Segestes als Grundlage für seine eigenen Interpretationen der Abläufe nutzte. Dem Kapitel 1.55 (1-3) lässt sich seine Methodik entnehmen. Tacitus las, dass Segestes Varus mehrfach gewarnt haben wollte womit er richtig gelegen haben könnte, denn es hörte sich auch so an. Dann aber kommt er zu einer Reihe nicht nachvollziehbarer Schlussfolgerungen. So gelangt er zu folgenden Behauptungen. Nämlich zu Feststellungen die er alle dem Segestestext, zumindest nicht aus dessen Ansprache 1.58.(1-4) entnommen haben kann, denn daraus gingen diese Details nicht hervor. So zu der Ansicht, dass Segestes die letzte Warnung in jener Nacht aussprach bei der es sich um die letzte Nacht vor dem Auszug gehandelt hat. Die besagte nächtliche Warnung, für die es jedoch keine Zeugen gab, in der aber nur einzig Tacitus die letzte Nacht sah. Es kann also auch eine beliebige Nacht gewesen sein die bereits einige Tage vor dem Abzug lag. Dann fügt er hinzu, es wäre in dieser Nacht auch noch zu einem gemeinsamen Gastmahl gekommen, wovon Segestes aber auch nicht sprach und weitere Zeugen wiederum nicht existieren. Des Weiteren erwähnt Tacitus, dass man danach unter die Waffen trat. Auch diese Bemerkung kann man bei Segestes nicht nach lesen, denn der verlor kein Wort über einen Gang unter die Waffen und es gibt dafür ebenfalls keine Zeugen. Seine Ausführungen gipfeln dann in der Beschreibung, dass Segestes Varus geraten habe, er möge doch alle gefangen nehmen, dann würde das Volk keinen Aufstand mehr wagen. So nachzulesen in Kapitel 1.55 (2). Dieser Hinweis lässt besonders aufhorchen, denn Segestes sprach in der Tat über das Anlegen von Ketten. Aber während Tacitus dies an den Vorabend der Schlacht verlegte sagte Segestes, dass er erst nach der Varusschlacht Arminius und der wiederum ihm Ketten anlegte. So nachzulesen in Kapitel 1.58(3). Aber wann soll Segestes gesagt haben, dass er Varus riet Arminius und ihm die Ketten anzulegen, jedenfalls nicht, als man ihn 17 + in Rom befragte denn auch dies geht nicht aus dem Jahrbuch 1.58 (1-4) hervor. Sollten wir an dieser Stelle etwa den Beweis erbringen können, dass die Aussage von Segestes, man habe sich die Ketten nach der Varusschlacht gegenseitig angelegt bei Tacitus auf eine so starke Ungläubigkeit gestoßen ist, dass er sich gezwungen sah, diese Aussage auf der Vorabend zu verlegen, wo sie mehr Sinn ergibt. Diese Unlogik könnte für Tacitus deutlich zutage getreten sein, denn warum sollte man sich nach einer gewonnenen Schlacht noch gegenseitig Ketten angelegt haben. Eine Schlacht in die sich sogar auf Seiten von Arminius Segestes selbst hat mit hinein ziehen lassen. Vermutlich basierte in der Summe betrachtet vieles auf Mutmaßungen des Tacitus um seinem Jahrbuch die nötige Geschmeidigkeit und Plausibilität zu verleihen. Denn wir erinnern uns, dass Segestes außer der „Nacht“ bekanntlich keine Zeugen hatte. Man kann lediglich spekulieren, dass es zum Segestes Verhörtext noch ein unbekanntes Zusatzprotokoll gab, dass aber Tacitus nicht erwähnte. Hätte es derartiges gegeben, Tacitus hätte es uns wohl nicht verschwiegen. Tacitus wiederholte also den Wortlaut der Segestesrede, griff dann aber zu eigenen Formulierungen, vertiefte diese noch und verlieh ihnen zusätzlichen neuen Inhalt, so wie es sich ihm erschloss und wie es ihm logisch erschien. Aber als kritischer Geschichtsschreiber sollte man die Textstellen kennzeichnen, an denen Veränderungen durchführt wurden. Es fällt besonders auf, wenn man das Kapitel 1.58 (1-4) dem Kapitel 1.55. (1-3) Passage um Passage gegenüber stellt. Denn er steuerte kein neues grundlegendes Wissen bei, sondern stützte sich jeweils auf die Aussagen des Kapitels 1.58.(1-4) in dem er die Ansprache von Segestes zitierte. So deutet vieles daraufhin hin, dass auch Tacitus nur die Segestes Rede aus dem Jahr 17 + vorlag und er keine anderen Quellen nutzte, als diese eine Senatsquelle mit der Segestesrede. Was wir ähnlich wie bei Cassius Dio auch bei Tacitus wieder feststellen können ist das Verschieben oder Vorziehen von Begebenheiten in andere Kapitel. Denn Tacitus offenbarte uns den Segestes Textwortlaut unter 1.58.(1-4) kommentierte diesen dann aber schon im früheren Abschnitt 1.55.(1-3). Aber wir können es ihm nachsehen, denn es war ihm aus aufbautaktischen Gründen nicht anders möglich, da die Varusschlacht auf die er sich unter 1.55.(1-3) bezog, nun mal 9 + statt fand und nicht als Segestes 17 + über das Geschehen des Jahres 15 + sprach. Somit verwertete er den Inhalt der Segestes Rede aus dem Jahr 17 + um damit seine eigenen argumentativen Lücken im Zusammenhang mit der Varusschlacht zu schließen. Er musste also zwangsläufig seine Kommentierung vorziehen, obwohl das Wissen über die Ereignisse des Jahres 9 + erst acht Jahre später über die Zunge von Segestes ans Licht kam. Aber was man nun vor diesem Hintergrund ebenfalls anders bewerten muss ist die Aussage zu der Tacitus in seinem Kapitel 1.59 (1-5) kommt. Denn was er darin zum Ausdruck bringt erscheint uns nicht anderes zu sein, als das was er vorher auch praktizierte. Er verfällt in seine eigenen Vorstellungswelten über das, was sich in Germanien nach der Befreiung des Segestes im Frühjahr des Jahres 15 + ereignet haben könnte. Er philosophiert sich die vermeintlichen Abläufe und Begebenheiten so zurecht wie er sie für realistisch hielt, kann aber in keinem Punkt eine reale Quelle heran ziehen. Denn wer wollte die Kunde, dass der gedemütigte Arminius aus den innergermanischen Gaulandschaften zwischen Ostwestfalen und dem Harzvorland gegen Rom zum Widerstand aufrief nach Rom getragen haben. Während der Zeitspanne die zwischen der Befreiung des Segestes im Frühjahr 15 + und dem Anrücken der Germanicus Armee im Sommer 15 + lag gab es keine diplomatischen Kontakte über die Grenzen hinweg die historisch aufgearbeitet worden wären. Eine Zeit in der sich kein Römer in Ostwestfalen aufhielt um es weiter zu geben. Für Tacitus aber war der von ihm erdachte Amoklauf des Arminius die Erklärung dafür, dass Germanicus sich gezwungen sah im Sommer 15 + einen weiteren Krieg gegen die Germanen zu führen. Und Arminius bot ihm dazu die nötige Argumentation die er aus seiner Vorstellungskraft heraus zu Papier brachte, weil er es sich genau so vorstellen konnte. Wie sollte er es sich nach hundert vergangenen Jahren auch anders vorstellen, warum Germanicus im Frühjahr 15 + seinen Krieg abbrach um ihn dann im Sommer 15 + wieder aufzunehmen. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass uns von Tacitus keine Details zum Verlauf der Varusschlacht vorliegen. Es schien ihm dazu nichts vorgelegen zu haben oder es war für ihn nicht mehr greifbar. Was die Varusschlacht anbelangt, so konnte Tacitus also lediglich über den Besuch von Germanicus auf dem Varus Schlachtfeld im Sommer 15 + berichte, folglich das, was aus dem Umfeld des Germanicus überliefert wurde und zitierte Segestes nur hinsichtlich der Vorgänge was die Ereignisse vor Varusschlacht 9 + anbelangten. Stoßen wir in seinen Jahrbüchern also auf historisches Wissen, dass nicht von Segestes stammte, so lässt es sich den Quellen entnehmen die Tacitus über die Feldzüge des Germanicus vorlagen. Zum Beispiel die Existenz eines Inguimerus, da dessen Anwesenheit beim Rückzugsgfecht 15 + an den langen Brücken bekannt war. Wenn wir mal von seinem wertvollen Hinweis auf die Örtlichkeit des „Teutoburgiensi saltu“ absehen wollen, suchen wir also weiter reichendes Wissen über die Varusschlacht bei Tacitus vergeblich. So hat auch Tacitus das traurige Los der modernen Geschichtsforschung gezogen in dem auch er diverse Lücken mit seiner eigenen Gedankenwelt schließen musste. Wie bedeutsam musste also für Tacitus die Segestes Ansprache gewesen sein, wenn sie sich inhaltlich durch viele seiner Jahrbücher bzw. Kapitel zog und er darauf basierend eigene Versionen schuf. Segestes las 17 + nicht mehr nach, was die Beamten des Kaisers nach seiner Unterredung mit ihm verfassten. Er vertraute auf den ihm zugestandenen Altersruhesitz, denn er hatte sich so verhalten wie man es von ihm erwartete, untertänig und widerspruchslos.

Original Übersetzung zu 1.58.(3) 

Was folgte, muss man eher beklagen als rechtfertigen; jedenfalls habe ich sowohl Arminius in Ketten legen lassen als auch (meinerseits) von seiner Partei erdulden (müssen), dass man mir (Ketten) anlegte. Sobald aber deine Truppe (da ist), ziehe ich das Alte dem Neuen, die Ruhe den Unruhen vor, und zwar nicht um einer Belohnung willen, sondern um mich von (dem Verdacht eines) Treubruchs zu lösen; zugleich (will ich) dem Volk der Germanen ein geeigneter Vermittler (sein), falls es die Reue dem Untergang vorzieht.

Zusammenfassung zu 1.58.(3)

Beide Konfliktparteien legten sich also nach der Varusschlacht gegenseitig in Ketten um sich handlungsunfähig zu machen. Damit beendet Segestes seine Ausführungen mit denen er unterstreichen wollte alles getan zu haben um die Varusschlacht nicht zum Ausbruch kommen zu lassen. Nun aber waren bis zu seiner Befreiung 15 + sechs Jahre vergangen und Segestes wünschte sich zurück versetzt in dieses Jahr 15 + in seiner Rede die er 17 + vor dem Senatsausschuss hielt wieder das Anknüpfen an die alten Zeiten, als noch Varus residierte und große Unruhe herrschte. Segestes brachte aber zum Ausdruck, dass er Germanicus nicht herbei gerufen habe um sich von ihm für für seine Treue zu Rom belohnen zu lassen. Vielmehr ging es ihm darum den Verdacht zu entkräften, er könne gegen Rom einen Treuebruch begangen haben. Sollte aber nun der Teil der Cherusker, der sich gegen Rom gestellt hatte einsehen, dass man falsch gehandelt habe, so würde er Segestes dann gerne eine Vermittlerrolle zwischen jenen bzw. allen Cheruskern und Rom übernehmen.

Interpretation bzw. Fazit zu  1.58. (3)

Die Darstellung von Segestes gibt ein diffuses und verwirrendes Bild wider, denn wie sollte man es sich vorstellen, dass sich die Fürsten der rivalisierenden Stämme gegenseitig nach einer gewonnenen Schlacht noch in Ketten gelegt haben sollen. Es müssten demnach beide Stämme noch nach der Schlacht aufeinander los gegangen sein, wodurch es zu Auseinandersetzungen kam die mit gegenseitiger Gefangennahme endeten. Eine Erklärung die keinen Sinn ergibt und die die gesamte Darstellung als auch die Glaubwürdigkeit von Segestes ins Wanken bringt, zumal Segestes sich auf Seiten der Arminius Cherusker in die Schlacht mit hinein ziehen ließ. Denn einen siegreichen Arminius dürfte sicherlich nach der Schlacht niemand mehr gewagt haben in Ketten zu legen. Was soll also Segestes mit dieser Bemerkung beabsichtigt haben, wenn er nicht falsch zitiert wurde bzw. das Verhörpersonal es verdreht wider gab. Eine Fragestellung mit der sich bislang offensichtlich kein Geschichtsforscher beschäftigt hat, zumindest konnte ich keine Erklärungen dafür finden. Möglicherweise hatte sogar Tacitus die richtige Nase um zu erkennen, dass diese Darstellung nicht an das Ende der Varusschlacht, sondern an den Anfang gehörte, so wie er es auch dargestellt hat. Denn dem Tribunal glaubhaft zu machen, er habe sich noch nach der Varusniederlage mit Arminius angelegt dürfte ihm nicht gelungen sein. Letztlich musste Segestes jedes Mittel recht sich über jeden Verdacht erheben zu können sich untreu gegenüber dem römischen Volk gezeigt zu haben. Er begründete sogar das Herbeirufen von Germanicus damit, dass dies ein Mitgrund dafür war zu beweisen, dass er immer in Treue zu Rom gestanden habe. In seinem letzten Satz wird Segestes überdeutlich und bestätigt die Theorie zukünftig eine größere Rolle in einem römischen Germanien nicht nur einnehmen zu können, sondern auch zu wollen. Sich also Rom als neuer Führer der Germanen anzubieten, wenn denn die Kriege von Rom erfolgreich zu Ende geführt waren. Das Ziel, dass in ihm schlummerte und ihn bewogen haben könnte die Fronten zu wechseln. Nun wusste man im Rom des Jahres 17 +, dass daraus nichts wurde, dies also ein frommer Wunsch blieb. Segestes musste jetzt vorsichtig sein, denn er unterstellte dem Imperium indirekt das Versagen in den Germanenkriegen. So konnte er auch nie unter Beweis stellen, dass aus ihm ein guter romtreuer Cheruskerfürst werden konnte.

Original Übersetzung zu 1.58.(4) 

Für die jugendliche Verirrung meines Sohnes erbitte ich Gnade; meine Tochter wurde (dagegen), wie ich bekenne, unter Zwang hergeführt. Es liegt an dir zu erwägen, ob es mehr wiegt, dass sie von Arminius schwanger oder von mir gezeugt wurde."

Zusammenfassung zu 1.58.(4)

Segestes entschuldigt sich dafür,dass sich sein Sohn Segimundus vor der Varusschlacht Arminius angeschlossen hatte und gibt zu seine Tochter mit Gewalt aus den Händen von Arminius befreit zu haben. Er versuchte sie mit diesen Worten schadlos zu halten. Aber hier verborgen steckt ein kleiner Makel in meiner Hypothese. Denn in der Überlieferung spricht Segestes eine einzelne Person an, in dem es heißt. "Es liegt an DIR zu erwägen.....". Da meine Theorie aber darauf basiert, dass Segestes sie im Verhörraum in Rom zu Protokoll gab und nicht im Jahre 15 + vor Germanicus, so könnte man daraus schließen, dass er es doch in seiner Burg gesagt hat.Ich rechtfertige meine Theorie an dieser Stelle unter Zuhilfenahme der Gesamtanalyse und lasse es im Raum stehen.

Interpretation bzw. Fazit zu 1.58. (4)

Nachdem was man nun von Segestes weiß, wie er taktierte und sich rein zu waschen versuchte müssen alle seine Aussagen vor einem anderen Hintergrund gesehen werden. Hinzu kommt die mögliche Einflussnahme der Beamten die ihn befragten und alles mit schrieben. Ob er es nun gesagt hatte oder sie es ihm in den Mund legten. Man muss also vieles befürchten und so manches annehmen dürfen. Denn wenn er Segimundus entschuldigte, so tat er das im gleichen Atemzug auch für sich, denn auch seine Rolle war nebulös. Und wenn er die Entführung seiner Tochter ansprach bedeutete dies nicht unbedingt, dass er dies gegen ihren Willen tat. Sondern könnte auch darauf hinweisen, dass Arminius sie unter Zwang fest hielt. Segestes sie also aus seinen Zwängen befreien musste. Möglicherweise musste er sie auch vorher gar nicht befreien, da sie sowieso bei ihm lebte, wo sie ihr Kind zur Welt bringen sollte. Denn die hierarchischen Verhältnisse waren damals anders und die Rechte von Thusneldas Vater in den Zeiten des Patriarchats waren ungleich höher als die des Vaters ihres Kindes, insbesondere wenn man die Traditionen der Raubehe oder des Brautraubes mit einbezieht oder sie bedenkt. Segestes musste vieles zurecht biegen, bis es in sein Konzept passte. Aber es war für Segestes letztlich der Durchbruch. Er hatte es nun geschafft und konnte sich vom eigentlichen Geschehen und den alten Gewalttaten entfernen und den treusorgenden Familienvater abgeben. Insgesamt eine gelungene Inszenierung die es in der Tat jedem Leser ungemein schwer macht am Wahrheitsgehalt zu zweifeln. (08.05.2020)

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Sonntag, 26. April 2020
Stehvermögen und Wortgewalt von Segestes waren beeindruckend. Seine „Befreiung“ im Jahre 15 + wurde zur Quelle deutscher Frühgeschichte
Der Lebensgeschichte des Segestes so weit man sie rekonstruieren kann, lässt sich ein wankelmütiges und schwer definierbares Lavirieren und Taktieren zwischen den Fronten und den großen Wortführern der Zeit entnehmen. Von Augustus über Tiberius und Varus bis Germanicus lernte er sie alle kennen oder stand mit ihnen wie auch zu den zahlreichen römischen Legionskommandanten zumindest in Kontakt. Und auf germanischer Seite war es wohl ebenso und sicherlich zählte auch Marbod mit dazu. Was diesen erlauchten Bekanntenkreis anbelangte, so konnte es wohl nur noch Arminius mit ihm aufnehmen. Seine Charakterfestigkeit ist daher umstritten, so dass die häufigen Bezüge, Kommentare und Überlieferungen die uns über ihn und sein Verhalten vorliegen zwangsläufig in der Moderne zu einer verzerrten Wahrnehmung der germanischen Geschichte geführt haben bzw. führen mussten und fragwürdig sind. Hinzu kommt, dass der Mann aufgrund seiner Taten in Rom unter erheblichen Rechtfertigungsdruck geraten sein dürfte, was seine Seriosität zusätzlich untergraben hat. Man würde heute sagen, seine Aussagen müssen daher wegen der „Besorgnis der Befangenheit abgelehnt“ werden. Aber wer sich mit der Entstehungsgeschichte, dem Verlauf und dem Ausgang der Varusschlacht beschäftigen möchte, der kommt an ihm nicht vorbei und darf ihn keinesfalls außen vor lassen, wenn er sich eine Meinung bilden will. Aber die Ereignisse im Verlauf des Jahres 15 + waren nicht minder spannend, als die des Jahres 9 + in dem die Varusschlacht statt fand. Denn in diesem Jahr 15 + loderten die Feuer des Krieges an vielen Stätten zwischen Eder, Lippe und Weser auf. Gekennzeichnet von zahlreichen Gewaltakten kämpfte sich Germanicus nun schon das zweite Jahr in Folge und dieses Mal sogar in zwei getrennt voneinander geführten Feldzügen, einmal im Frühjahr und einmal im Sommer durch die Gaulandschaften der germanischen Stämme. Aber in der Frühjahrszeit des gleichen Jahres noch während seines ersten Feldzuges kam es zu schwer interpretierbaren Turbulenzen, die auch die Führungsschwäche von Germanicus offenbaren. Man kann den Eindruck bekommen sein Frühjahrsfeldzug war der erneute Offenbarungseid für sein Versagen als Feldherr. Denn das was uns die Forschung darüber glaubhaft machen will, muss nicht zwangsweise der Realität entsprochen haben. Ein angeblich spontaner und kräftemäßig schwach besetzter Angriffskeil von Mainz ausgehend und ein vor ihm flüchtendes Chattenheer dürfte nicht der alleinige Grund für den vorzeitigen Abbruch des Frühjahrsfeldzuges gewesen sein. Man kann auch zu anderen Schlussfolgerungen gelangen. Vielmehr könnte man auch annehmen, dass die Verluste bei den Chatten größer waren als zugegeben, er ein Anrücken der Cherusker befürchten musste und er sich deshalb mit den Legionen des Caecina vereinigte, nach dem es ihm gelang gerade erst selbst einen Angriff der Marser scheinbar nur mit Mühe und Glück abwehren zu können. Folglich das mögliche Anrücken der Cherusker den Feldherrn Germanicus aufgrund seiner Unterzahl zwang nach Westen in Richtung Caecina auszuweichen. Erst mit der Zusammenführung der Legionen vermutlich am Mittellauf der Diemel schuf Aulus Caecina Severus gemeinsam mit Germanicus wieder eine neue Ausgangsbasis und ein verbessertes Kräfteverhältnis auf Seiten der Römer. Germanicus hatte das ganze Unternehmen im Frühjahr 15 + schlecht vorbereitet und formierte daher seine Truppen um im Sommer des gleichen Jahres einen erneuten Vorstoß ins germanische Kerngebiet an der Weser zu wagen. Er beendete jedenfalls seinen Feldzug mitten in der „besten Jahreszeit“ in der man Kriege und Schlachten führte und setzte sich mit den verbliebenen Truppenteilen an den Niederrhein ab, von wo aus er seinen Sommerfeldzug plante. Aber es ist müßig in diese Diskussion einzusteigen, da diese Ereignisse mit der Varusschlacht nur im weiteren Sinne zusammen hängen. Es wäre ein gänzlich misslungener Frühjahrsfeldzug gewesen, wenn es nicht doch noch für ihn einen Prestigeerfolg gegeben hätte. Denn einer der bedeutendsten Germanenfürsten jener Zeit servierte sich Rom selbst auf dem Silbertablett. Und dieser Mann platzte nun mitten in ein ausklingendes Kampfgeschehen hinein und betritt völlig unerwartet die antike Weltbühne, womit er zur Quelle der deutschen Frühgeschichte wurde. Denn er bescherte uns Erkenntnisse über unsere Vorfahren wie wir sie nicht erwartet hätten. Und es war kein anderer als der Cheruskerfürst Segestes der sich im Frühjahr 15 + damals auch unverhofft für sein eigenes Volk und erst recht für die heutige Geschichtsforschung freiwillig den Händen des Imperiums auslieferte. Gründe dafür wurden zwar überliefert, lassen aber auch berechtigte Zweifel am Wahrheitsgehalt aufkommen. Die kritische Gemeinschaft der Forscher hat sich nun schon seit längerer Zeit die Aufgabe gestellt auch den möglicherweise anderen Beweggründen für sein Verhalten auf die Spur zu kommen. Denn Segestes war eine facettenreiche Gestalt und er war nicht nur Zeitzeuge, sondern in vielerlei Hinsicht auch ein historischer Gewährsmann. Dies aber nur insoweit, wie er uns bei der historischen Aufarbeitung hilfreich ist und sein Tun nicht einzig seinen persönlichen Interessen diente. Seinem Verhalten auf die Spur zu kommen bedeutet die Trennlinie zu erkennen; wo er für sein persönliches Wohlergehen agierte und wo er unabhängig von sich unser Wissen über die Historie erweiterte und woran wir Fakten und Eckpfeiler für die Geschichtsforschung fest machen können. Wollen wir uns einen Eindruck verschaffen, können wir dafür nur die mäßig vorhandenen antiken Überlieferungen nutzen. Was wir über ihn wissen verriet er der Nachwelt selbst als er sich im Jahre 17 + einigen römischen Staatsbeamten offenbaren musste. Erst dank ihrer schriftlichen Aufzeichnungen die über ihn im Jahre 17 + verfasst wurden, sind wir überhaupt imstande über ein eigenes Kapitel „Segestesforschung“ nachzudenken. Unübersehbar ist die Tatsache wie viele antike Historiker an der Person des Segestes nahezu fest kleben, auf ihn fixiert sind und sich vielfach auf ihn beziehen. Ob es sein Wirken im Zusammenhang mit der Varusschlacht im Jahre 9 + war, sein rätselhaftes Verhalten, das er im Zuge seiner Befreiung im Frühjahr 15 + an den Tag legte oder ob es sich um die Dinge handelte die sich 17 + im Zuge des Triumphzug ereigneten an dem er teilnahm bzw. um das was er im gleichen Jahr über sich, seine Denkweise aber auch seine Verhaltenszwänge preis gab. Immer wieder stand Segestes für die antiken Historiker im Mittelpunkt und faszinierte sie ab dem Jahr 9 + bis zum Jahr 17 +. Immerhin acht lange Jahre. So wurde aus ihm ein Fossil im Reigen deutscher Geschichtsforschung und sicherte sich damit einen ewigen Platz in den Schlagzeilen der Weltliteratur. Es war das Jahr 17 + in dem es ihn ungewollt bis in die Säle der Schreibkundigen des Imperiums verschlug und ein Jahr woran die Geschichtsschreibung ihre Uhren ausrichten müsste. Wäre es Rom gelungen auch noch Arminius irgendwann einmal zur Rede stellen zu können, in dem man ihn vielleicht gefasst hätte, wäre es wohl zu einer völlig anderen und abweichenden geschichtlichen Aufarbeitung gekommen. Arminius dann nach seinem Grund für den Kampf gegen Varus befragt, hätte möglicherweise zu der gleichen Antwort gegriffen, wie sie der Sohn des Dalmaters Bato dem Feldherrn Tiberius im Spätsommer 9 + gab als er sagte, „Ihr tragt die Schuld daran, schicktet ihr doch zu euren Herden als Wächter nicht Hunde und Hirten, sondern Wölfe“. Eine Antwort, die Tiberius offenkundig beeindruckte. Ich stellte im letzten Kapitel die Frage in den Raum, ob und wenn ja wie weit Segestes auch die Ereignisse die sich im Frühjahr 15 + in seiner Burg zutrugen gegenüber dem römischen Tribunal in seinem Sinne positiv zurecht rückte, also „aufhübschen“ musste. Denn auch sein Verhalten im Frühjahr 15 + wirft Fragen auf, die seinem nebulösen Auftreten im Jahre 9 + nahe kamen. Denn es blieben in der kritischen Jury des Senats auf beide Jahre bezogen Ungereimtheiten die Segestes ausräumen musste. Segestes können wir nicht unterstellen er hätte mit seinem Dazutun die geschichtlichen Abläufe verändert, dazu fehlen uns die konkreten Anhaltspunkte, aber er hat zweifellos selbst Geschichte geschrieben. Aber auch die weiteren Recherchen um seine Person werden noch viel Akribie erfordern was mehrere Betrachtungswinkel auf ihn nötig macht. Segestes wird uns also noch eine Zeit beschäftigen. Zudem will man Segestes ja auch nicht noch mehr Unrecht tun, als es die Gelehrtenwelt bereits über ihm ausgoß. Es wird also eine reizvolle Aufgabe sein auch den Dingen des Jahres 15 + nachzugehen bevor dann in den folgenden Kapiteln wieder die Varusschlacht in den Vordergrund rückt. Denn alle historischen Informationen die sich auf Segestes zurück führen lassen geben Anlass sie zu hinterfragen und dazu gehören in der Tat alle Hinweise die uns die antiken Historiker explizit über ihn und das bevorzugt im Zusammenhang mit der Varusschlacht hinterließen. Nachdem ich bereits einigen Argumenten hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit nach gegangen bin und noch weitere aufgreife um die These zu erhärten, dass die Segestes Äußerungen zumindest anzuzweifeln wenn nicht gar falsch sind, geht es in diesem Abschnitt zuvorderst um das Frühjahr 15 +. Unser Wissenstand, der sich auf die alten Quellen stützt, die teilweise auf recht seltsame Weise zu uns durch gesickert sind, wird uns also unweigerlich auch in diesem Kapitel begleiten. Aber wer einen Eisberg erklimmen möchte braucht unter den Sohlen die richtigen Nägel. So müssen wir wie gewohnt dem nach gehen was uns die antike schreibende Zunft auf Basis der Taten der damals aktiv handelnden Personen an Wissenswertem hinterließ. Im Zusammenhang mit der Analyse der Ereignisse im Frühjahr 15 + kommt uns ein Umstand zugute, der uns die Rekonstruktion und die Zuordnung erleichtern hilft, denn alle Ereignisse im Frühjahr 15 + standen räumlich in enger Verbindung zueinander. Er dient aber auch unserem Verständnis und Einfühlungsvermögen, denn wir wollen uns auch hinein denken können mit welcher Topographie es die Menschen von damals zu tun hatten. So erkennen wir auch erst bei genauem Hinschauen das dichte Geflecht an Verbindungslinien zwischen den lokalen Konfliktzonen der damaligen Zeit. Ereignisse die sich alle unweit voneinander zutrugen und die sich besonders im Frühjahr 15 + zusammen ballten. Allesamt militärische Scharmützel, die sich auf einen recht überschaubaren geographischen Raum konzentrierten. Mit Bad Karlshafen an der Weser im Mittelpunkt, wo sich heute die drei Bundesländer NRW, Niedersachsen und Hessen berühren liegen die Schauplätze der Schlachten im Abstand von nur wenigen Tagesmärschen relativ dicht beieinander. Von Bad Karlshafen bis Einbeck – Vogelbeck wo ich die Segestes Burg vermute sind es nur 37 km. Bis Schwaney in dessen nähe ich Aliso verorte sind es ebenfalls 37 Km. Bis Metze, wo Germanicus den Chattenhauptort verwüstet haben könnte sind es 49 km und bis Marsberg, wo Caecina gegen die Marser gekämpft haben könnte sind es 46 km. So rücken uns plötzlich alle Örtlichkeiten näher und werden für die Logistik und unser Vorstellungsvermögen greifbarer. Wir neigen für gewöhnlich dazu uns damit schwer zu tun, wenn wir uns lange zurück liegende Begebenheiten gegenwärtig machen möchten und wir sie den uns gut bekannten und geläufigen Örtlichkeiten zuordnen wollen. Insbesondere für das Jahr 15 + gilt daher der Leitsatz „Geschichte vergeht - Landschaften überdauern“. Denn auch die Kämpfe zweier so unterschiedlicher Zivilisationen fanden in diesem Jahr wieder mitten in Deutschland statt und nicht auf dem Mond. Es geschah quasi mitten unter uns, fasst schon vor der Haustür und vor unseren eigenen Augen. Das zu verstehen, also das weit zurück liegende an sich heran zu lassen, um es dann im alltäglichen und in der unmittelbaren Umgebung wieder aufzuspüren und es in diesem Sinne zeitlos zu machen, stellt eine visionäre Kunst dar. Sich vorstellen zu wollen, dass man einst den sterbenden Drusus auf einer Bahre kurzzeitig dort abgesetzt haben könnte, wo sich heute über dem Asphalt die Einkaufswagen der Firma Lidl in Brakel drängen, lässt uns förmlich zusammen zucken. Dieser geographische Exkurs lässt uns auch ein Gespür dafür entwickeln, warum die Cherusker es vorzogen haben sollen ihren Rettungseinsatz bei den Chatten abzubrechen und vielleicht nur bis nach Einbeck kamen. Es ist diese verflixte Textstelle 1.56 (5) in der uns Tacitus überlieferte, dass die Cherusker ihre Unterstützung für die Chatten zurück gezogen haben, weil ihnen Caecina den Rückweg hätte abschneiden können, obwohl Germanicus bereits von sich aus von den Chatten abließ und den Rückmarsch antrat. Andererseits kann es auch eine beschönigende Darstellung aus der Feder von Tacitus gewesen sein. So könnte es Germanicus gescheut haben die in die Wälder ausgewichenen Chatten in Verbindung mit den anrückenden Cheruskern in einer Umkehrbewegung plötzlich gegen sich zu wissen. Die damaligen Kommunikationswege im offenen Feld und das nicht immer zuverlässige Einschätzen der gegenseitigen Kräfteverhältnisse wird vor diesem Hintergrund manche Entscheidung rätselhaft erscheinen lassen. Aber es verdeutlicht uns auch, wie nahe Germancius noch im Grenzgebiet zu den Cherusker operierte und unweit der Segestes Burg gestanden haben könnte, als die Segimund Delegation bei ihm eintraf. Und man kann sich zudem plausibel machen, welchen Rückweg Germanicus von Metze nördlich der Eder aus an den Niederrhein einschlug. Aber wie immer hinterlässt vieles mehr Fragen als Antworten, so verlief das Jahr 15 + nicht minder verwirrend als das Jahr 9 + in dem Varus starb. Um es besser zu verdeutlichen sei der Hinweis gemacht, dass dazwischen nur sechs Jahre lagen und die meisten die das Jahr 9 + überlebten, wohl auch noch 15 + lebten. So weit ein kleiner Rückblick in die Geographie passend zur Zeit. Der weitere Verlauf erfordert die Miteinbeziehung von Germanicus und Segestes. Sich mit ihren jeweiligen Persönlichkeiten zu beschäftigen, aber auch mit den anderen Personen von denen wir hörten kann aus der alten Historie einen unterhaltsamen Stoff machen. Insbesondere diese beiden Personen und sozusagen ihre Biographen Strabo und Tacitus sollen gegenübergestellt werden. Aber natürlich auch Arminius der omnipräsente Germanenfürst. Strabo schrieb bzw. veröffentlichte seine Geographie in griechischer Schrift und das tat er wie ich vermute im Jahre 18 +. Sie reicht zurück bis zur römischen Niederlage gegen die Parther 53 – bei Carrhae wie man aus einem Hinweis ableiten kann. Er erwähnte die Kämpfe Roms gegen keltische aber auch germanische Stämme, wie etwa die Sugambrer. Kriege die noch alle vor der Zeitenwende geführt wurden. Er stellte dabei, wie es sich auch für einen Geographen gehört, einen Bezug zu den besonderen landschaftlichen Strukturen und Besonderheiten in den jeweiligen Regionen her in denen gekämpft wurde. Fand die Auseinandersetzung in wüstenähnlichen Gebieten statt, dann boten sich die Senken an, um sich vor den Blicken des Gegners zu schützen, so wie es in Carrhae geschah. Waren es wie in Germanien die Moore, Sümpfe und Wälder, so ließen sich diese gut in die Verteidigung mit einbeziehen. Strabo war ein nüchtern denkender Stratege und übersah daher auch nicht die kampftaktische Bedeutung die sich dahinter verbarg. Naturräume die ihre eigene unterstützende Wirkung entfalten konnten, wenn man sie nur zu nutzen wusste. Was natürlich sowohl Angreifer als auch Verteidiger begünstigen konnte, wenn sie im Krieg standen und sich schützen mussten. Aber er stellte einen Zusammenhang her indem er sie insbesondere den angegriffenen und oft benachteiligten Völkern zubilligte. Für jene Menschen, die in den teils unwirtlichen Gegenden lebten, war es die vertraute Umgebung, während sie für den Gelände unkundigen Feind wie in jedem Krieg schnell zur Falle werden konnte. Strabo prägte für die Historiker die auf ihn folgten den hier vereinfacht wieder gegebenen aber äußerst zutreffenden Satz, von den Einheimischen, er nennt sie Barbaren, „die die Natur für sich kämpfen ließen“ und besser lässt es sich auch kaum ausdrücken. Und die damals noch vielfach sich selbst überlassene Natur in Ostwestfalen und Südniedersachsen half in der Tat kräftig mit, wenn man im Kampf gegen Rom erfolgreich sein wollte. Nicht nur dem Stamm der Cherusker verhalf sie mehr als einmal aus ihr taktischen Nutzen zu ziehen. Denn dank der zwölf Kilometer langen schroffen Egge zwischen Neuenheerse und Borlinghausen, dem sumpfigen Nethetal, der Weser und einem großen Rückzugsraum im Hinterland verfügte man bei ihnen über genau das, was Strabo zum Ausdruck bringen wollte. Man besaß diese Vorteile, die den Kelten aufgrund des Atlantik versagt blieben, denn Gallien ist Meer umspült, somit endlich und überschaubarer. Gleichermaßen profitierte auch Rom später vom Stromverlauf des Rhein, als sich das Imperium selbst zur Wehr setzen musste und sich die Germanen anschickten, es erst zu bedrohen um es sich dann einzuverleiben. Für diese Aufarbeitung ist es von Bedeutung, dass Strabo seinen geographisch/historischen Streifzug durch die ihm bekannte Welt und was er in seiner Geographica 1. Kap. 17 nieder schrieb an dem Tag enden lässt, an dem für Germanicus der Triumphzuges statt fand, nämlich dem 26.5.0017. Danach schweigen die Quellen und wir erfahren für eine lange Zeit nichts mehr darüber, was sich im Jahre 15 + in Germanien zutrug. Was sich aber ändern sollte, als Segestes samt Familie im Jahre 17 + in Rom erschien. Unser Wissen darüber endet abrupt mit den letzten Zeilen aus der Feder von Strabo und damit auch zunächst einmal unser Wissen über den Grund den damals Segestes hatte oder vorgab, sich in die Hände von Germanicus zu begeben und sich von ihm retten zu lassen. Der vierte Historiker nach Ovid, Manilius und Strabo der uns half viele Begebenheiten besser zu verstehen war der römische Offizier und Historiker Paterculus, der nach 3o + verstarb. Bedauerlicherweise widmete er sich aber mit keiner Silbe dem, was sich um die Person des Segestes in den Jahren 15 + und 17 + tat und was ihn damals um - und antrieb, so dass wir sowohl ihn als auch Florus und Dio bei dieser Betrachtung völlig außen vor lassen müssen. Um wieder fündig werden zu können, müssen wir einen Schritt weiter gehen und einen vorsichtigen ersten Blick sehr weit nach vorne werfen. Und dafür müssen wir uns hoch aufrichten, denn hundert Jahre sind eine lange Zeit. Strabo und alle anderen waren nun längst tot und neue unbedarfte nach rückende Generationen schufen sich mit gehörigem Abstand zum Vergangenen ihr eigenes Bild. Um diese Zeit schwang sich auch ein großer unter den bekannten Historikern auf, um über diese alten Dinge neu zu berichten und sie aufzurollen. Es handelte sich bei dem Mann nicht mehr und nicht weniger als um den berühmten und allseits geschätzten, 56 + geborenen und 120 + verstorbenen Publius Cornelius Tacitus der sich berufen fühlte, nachdem etwa vier Generationen verstrichen waren, die Vergangenheit noch mal aufleben zu lassen. Von wo, von wem, woher und woraus er sein Wissen auch immer nahm bleibt allerdings ein ewiges Geheimnis. Aber er dürfte wohl aus mehreren Quellen geschöpft, also in unterschiedliche Schriften Einblick genommen haben. Und er konnte lediglich aus alledem zitieren und abschreiben, da er selbst keine Zeitzeugen mehr befragen konnte und nie in Germanien war. Nun eine Analyse oder Studie zu wagen, in dem man den Inhalt seiner Jahrbücher, die er in den Jahren zwischen 110 + und 120 + verfasst und veröffentlicht haben soll mit dem zu vergleichen was uns Strabo hinterließ, ist eine interessante Herausforderung. Hier der eine nämlich Strabo, der noch ganz nahe am Geschehen stand und manches noch mit eigenen Augen sah, dem sich aber noch vieles an Detailwissen nicht erschlossen hat und dort Tacitus der aus einer völlig anderen Perspektive heraus über diese alten Zeiten berichtete. Tacitus war gut 20 Jahre alt, als der milde Titus Kaiser von Rom war und beendete sein Werk möglicherweise unter Kaiser Trajan, vielleicht auch erst unter Kaiser Hadrian. Und er erlebte einschließlich vieler unbekannt gebliebener Kaisergrößen insgesamt neunzehn von ihnen. Es war damals ein Kommen und Gehen unter der Herrschergestalten und das sich darunter kein Kaiser mehr befand, der sich sonderlich für das Tun und Wirken eines Germanicus oder Segestes interessierte liegt auf der Hand. Dies ließ aber andererseits Tacitus freie Hand und er konnte jene verstaubten Quellen eingesehen haben, für die sich vor ihm lange Zeit keiner mehr interessiert hatte. Quellen, die teils gut recherchiert aber auch tendenziell gewesen sein konnten und folglich hatte er die Qual der Wahl, welche er nutzen sollte. Aber wie sah es der weltbekannte Tacitus aus der Retrospektive seiner Zeit heraus. Ihm, dem vielleicht nun in Teilen auch die alten Unterlagen zugänglich waren, die damals auf dem Gesagten des Segestes basierten und die sich auf sein Schicksalsjahr 15 + bezogen. Er könnte aber auch Schriften vor sich liegen gehabt haben, die zweifelhafter Natur und Herkunft waren. Was wusste Tacitus also, woher konnte er es gewusst haben aber vor allem, was wollte er uns glauben machen, weil er es damals persönlich für richtig und plausibel hielt. Denn auch er wird auf Kontroversen und Unverständliches gestoßen sein, ähnlich wie es über hundert Jahre nach ihm auch Cassius Dio erging. Seinem Jahrbuch 1,57, dass er lange nach den Ereignissen des Jahres 15 + zu Papier brachte bzw. veröffentlichte, können wir einige neue Erklärungen entnehmen, von denen Strabo entweder noch nichts wusste oder nicht darüber berichtete. Und schon allein deswegen, weil Strabo so sparsam mit seinen Worten umging lassen sich seine wenigen Äußerungen zwar nicht mit Gold aufwiegen, aber trotzdem anders interpretieren, als die etwas umfänglicher ausgefallenen Erläuterungen des auf ihn 100 Jahre später folgenden Tacitus. So durfte Tacitus möglicherweise auch dort schürfen und konnte da seinen Wissensdurst stillen, wo die römischen Staatsbeamten damals die prekären Ungereimtheiten hinterließen, die man Segestes zwar abnahm ihm aber möglicherweise auch damals schon nicht glauben konnte oder wollte. Antworten die er im Jahre 17 + in seiner schwierigen Lage gab um sich rein zu waschen. Vielleicht stieß Tacitus sogar auf schriftliche Randnotizen von Beamten in denen diese schon ihre Zweifel zum Ausdruck brachten, denn man darf die damaligen „Protokolle“ nicht mit heutigen Maßstäben messen. Aber seinen Darlegungen lässt sich entnehmen, dass ein Großteil davon den Eindruck erweckt, als ob er nahezu ungefiltert aus dem Munde des Segestes entsprang und sich so in den schriftlichen Aufzeichnungen wieder findet, also 1 : 1 nur auf ihn zurück geführt werden kann bzw. auf ihn zugeschnitten war. (26.04.2020)

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