Montag, 9. Oktober 2017
Die "alten" Germanen
Die „Germanen“ schlechthin gab es in diesem Sinne natürlich nicht, daher halte ich es mal mit Tacitus und den von ihm benannten drei Hauptgruppen den Ingävonen, Istävonen und Hermionen und verstehe darunter eben „diese Germanen“. An den Germanen im Betrachtungsgebiet zwischen Lippe, Ems und Weser gingen sicherlich auch die Wanderungen der Kimbern und Teutonen in südliche Gefilde nicht unbemerkt vorüber. Aber es waren Germanenstämme wie sie und man machte sich über deren Verbleib wohl so seine Gedanken und auch diese fanden Eingang in ihr Weltbild vom erstrebenswerten Siedlungsland im angenehmeren Klima. Aber auch das Wissen um das erst wenige Generationen zurück liegende Teilen Arrangieren oder Erkämpfen ihrer eigenen Siedlungsräume wohl mit La - Tène zeitlichen Bevölkerungsgruppen oder der ihnen nahe stehenden Jastorf Kultur. Alles war sicherlich noch in den Erinnerungen ihrer Sippengeschichte allgegenwärtig. Immerhin mussten ihre Vorväter noch um den “Piepenkopf” ringen, eine im 3. Jahrhundert v. Chr. errichtete Wallburg bei Dörentrup in der Nähe von Lemgo, die auch Amelungsburg genannt wird und das war zum Zeitpunkt der Kimbern und Teutonenwanderungen für sie volksgeschichtlich betrachtet noch nicht sehr lange her zumal in diesen Zeiten sensationelle Neuigkeiten auch die Ausnahme bildeten. Auch sie selbst waren aufgrund ihrer ursprünglichen Ausbreitungstendenz immer noch auf Südexpansion eingestellt. Nun kamen ihnen aber gegen alle Erwartungen genau diese an die Wärme gewohnten Südvölker immer mehr entgegen und erhoben zudem noch Ansprüche auf ihre angestammten Siedlungsgebiete. Was mag da im Kopf eines Germanen vorgegangen sein, der sich entschieden hatte seinen Lebensraum gegen eine weit entfernt liegende Region im ersehnten Süden auszutauschen. Eigentlich ein Anachronismus für die damalige Zeitgeschichte, der sich aber später in der Völkerwanderungszeit endgültig umkehren sollte. Ungeachtet dessen ist das Thema germanischer Mentalität und Verhaltensweise auch ein Aspekt, der bei aller Betrachtung nicht außen vor bleiben sollte, aber naturgemäß heutzutage nur schwerlich zu greifen ist. Historiker sind es gewohnt in wissenschaftlich nachvollziehbaren Kategorien zu denken, ja geradezu denken zu müssen. Für sie käme dieser Schwenk oder Blick in die germanische Seele einem unverzeihlichen Quantensprung gleich. Ihn zu überwinden dürfte vielen unter ihnen daher schwer fallen, zumal man darauf auch in Zeiten interdisziplinärer Forschung nicht unbedingt eingehen muss und man darauf auch keine oder nur wenige stichhaltige Theorien aufbauen kann und zudem noch Gefahr läuft in der einschlägigen Fachwelt verlacht zu werden. Nichts schlimmer als das. Naturnah lebende Völker zwischen Althergebrachtem und Zivilisationsschock reagieren unerwartet und ihre Wesenszüge beherbergen viele Elemente zwischenmenschlicher Umgangsformen die wir uns heute, da wir es gewohnt sind „fortschrittlich“ denken, handeln und reagieren zu müssen kaum mehr vorstellen können. Aber es wären nicht unsere eigenen Vorfahren, wenn wir nicht da und dort nicht doch noch so die eine oder andere übereinstimmende Wesensart wieder erkennen würden. Der Versuch diesen innewohnenden oft unbewussten aber auch immer stark religiös beeinflussten Geisteswelten der germanischen Antike nachzugehen, ihr nachzuspüren lässt die Denkungsweise unserer Vorfahren aber erfassbarer werden. Lokalisierbar irgendwo zwischen “Furor teutonicus” und andererseits geprägt von stoischer Apathie und Gelassenheit, gewachsen und aufgewachsen in schier endlosen Winternächten in kargen zugigen Behausungen, immer hart am Rande von Leben und Tod und den Göttern hilflos ausgeliefert, förderte in unserer Region, die schon Tacitus als unwirtliche, regennasse Urwälder Westgermaniens beschrieb einen Typus, der sicherlich für die Mittelmeerkultur mehr als befremdlich war. Den Westfalen schreibt man ja nicht von ungefähr zu, auch noch heute ein besonders stur köpfiger Menschenschlag zu sein. Die Kunde der sich heran nahenden Römer dürfte die Germanen in Ostwestfalen spätestens im Zuge des Gallischen Krieges erreicht haben, sonst aber garantiert mit dem Untergang oder vielleicht besser gesagt der Domestizierung der Treverer nach der Niederlage des Indutiomarus und seines Todes wonach sich Teile der Treverer vor allem Verwandte des Getöteten bis weit ins rechtsrheinische Germanien abgesetzt haben dürften um sich nicht der Römerherrschaft beugen zu müssen. So routiniert wie es für die Römer war nun ihr Erschliessungskonzept für eine Sumpf – und Waldregion umzusetzen und Wege und Brücken in eine der Zivilisation bislang abgekehrte Region zu schlagen, so ungleich irritierter reagierten damals die bodenständigen Völker im heutigen Westfalen, Nordhessen oder im Süden von Niedersachsen auf die beben gleiche mit Varus einhergehende Erschütterungswelle gegen ihre archaisch geprägte Kultur. Als die Römer ins Land strömten muss es den Germanen geradezu die Sprache verschlagen haben, als sie bis ins letzte Dorf plötzlich mit den “Segnungen” der römischen Zivilisation konfrontiert wurden. Aber welche Antwort gab darauf eine Bevölkerung die es gewohnt war ihren alten Ritualen und Lebensweisen zu folgen. Eine gewisse kindliche Naivität gemischt mit Bauernschläue, Schlitzohrigkeit und Trotz auf der einen und der permanenten Angst vor göttlichen Strafmaßnahmen begleitet von Blitz und Donner bis zu Dürren, Missernten und Hungersnöten auf der anderen Seite, ließ alle denkbaren Reaktionen zu. Unterwürfige Ergebenheit genährt durch den Anblick prächtiger, aber vor allem Angesichts glänzender Rüstungen, waffentechnischer Überlegenheit, mobiler Errungenschaften, aber auch die ureigene Hoffnung auf Machtzugewinn und ein besseres Leben war sicherlich auch damals schon eine Antriebsfeder für die eine oder andere auch unterwürfige Verhaltensweise gegenüber den neuen Machthabern. Eine Welt war in Umbruch geraten, neue Götter, andere Sprachen, dunkelhäutige und kleinwüchsige Menschen und aufgezwungene Spielregeln bestimmten plötzlich das Bild einer autarken sich selbst versorgenden aber doch traditionell sehr wehrhaften Landbevölkerung, die auch mit der Außenwelt am weit entfernten Rhein kaum was zu tun hatte. Selbst sprachlich dürfte es bei den damaligen Ostwestfalen schwer gehapert haben, die schon arge Probleme gehabt haben dürfen, sich mit den Rheingermanen verständigen zu können, geschweige denn mit den neuen Eroberern und ihren Dutzenden von Dialekten und zu dem noch in Latein. In vielen Nächten dürfte sich die Sippe um die damalige Jahrtausendwende um die spärlichen Feuer versammelt haben und alle mussten sie sich in beengten Verhältnissen das dumpfe Gemurmel und das unzufriedene Murren der Greisinnen und Greise die schon “op de Böllerkes” kauten aber auch der klappernden Runen werfenden Seherinnen und stillenden Ammen anhören, dass es so nicht mehr weiter gehen könne. Einigen Jüngeren unter ihnen hing das Gejammer der Alten wohl schon zum Halse raus, während sich die ersten bereits vor die Brust schlugen und sich mannhaft und angriffslustig zeigten. Hier mag einem auf der Zunge liegen zu sagen, und “plötzlich flog die knarrende Hüttentür auf und schon wieder kam Arminius diese Nervensäge rein”. Als Drusus und Tiberius damals durch ihre Lande zogen, sagten sie alle noch, “wer kommt, der geht auch wieder”, als sich aber jetzt überall herum sprach, dass an der Lippe schon die ersten Gebäude und Anlegestellen von Menschen gebaut würden, die unter einer Peitsche arbeiten mussten, erreichten diese Neuigkeiten Lauffeuern gleich auch schnell das Wesertal und die alten Stammlande darüber hinaus. Aber guter Rat war teuer, so versuchte man es erst mal mit der Stellung von Geiseln und ließ sich auf Verträge ein die ihren Namen nicht verdienten. Doch im Geheimen wurden bereits alte Waffenbrüderschaften beschworen, jedoch harrte man in den abgeschiedenen Dörfern noch lange der Dinge, wartete auf höhere Zeichen und sah dem neuen Treiben erst mal ungläubig, tatenlos und wie erstarrt zu. Und mit Blick auf die unzerstörbaren Hünengräber und die Opferaltäre der Vorfahren reichten ihre stammesgeschichtlichen Erinnerungen auch noch sehr weit zurück und ließ sie dadurch wieder um so gelassener bleiben. Nur keine Hektik. (zuletzt bearbeitet 24.10.17 - 13:30)