Dienstag, 26. Januar 2021
Segestes - dankbarer Kronzeuge einer politischen Intrige geschichtlichen Ausmaßes ?
Die Varusschlacht ein Buch mit sieben Siegeln ? Nicht mehr so ganz, denn die Schleier lüften sich langsam. Weiß man chronologisch betrachtet wie in diesem Fall, wann die Schlacht geschlagen wurde, dann gesellen sich zu jeder Schlachtenerforschung noch die drei Fragen nach dem „warum“, dem „wo“ und dem „wie“. Bezogen auf die Varusschlacht scheint die Frage nach dem „warum“ noch die einfachste zu sein, denn dazu liegen uns die meisten Anhaltspunkte vor. Sich die Frage zu beantworten wie sich die Schlacht entfaltete wird in diesem Fall schon schwieriger, dafür scheint sich aber die Frage nach dem wo, im Zuge dieser Untersuchung wieder etwas zu erhellen. Aber die vierte Frage macht einen zusätzlichen Schwenk nötig. Denn sie zielt auf ein zweites „warum“ ab nämlich zu hinterfragen, warum sie sich nicht verhindern ließ. Und an dieser Stelle kommt Segestes ins Spiel, denn er will es in seiner Hand gehabt haben, dass es zu gar keiner Varusschlacht hätte kommen müssen, wenn der Feldherr auf ihn gehört hätte. Für das antike Schaltzentrum in Rom spielte er aber nur eine unwesentliche Rolle. Seine Bedeutung wuchs erst dadurch, dass er als Widersacher eines großen römischen Gegenspielers in Erscheinung trat, was ihn für das Imperium interessant machte. Diesem Sachverhalt verdankt er in erster Linie die ihm zuteil gewordene Aufmerksamkeit und verhalf ihm, dem kleinen Germanenfürsten vermutlich aus dem Süden des heutigen Niedersachsens der nur eine unbedeutende Randfigur darstellte, zu hohem Ansehen und Eingang in den Olymp antiker Literatur. In Wahrheit diente zunächst alles wohl mehr seinen eigenen und dann erst später auch den Interessen des damaligen Feldherrn Tiberius. Denn in Segestes fand man einen willigen, scheinbar neutralen, vor allem aber nützlichen Helfer der die Schuld einzig auf Varus lenkte und damit den Ruf vieler anderer vor allem aber den von Tiberius schützte. Vergessen wir nicht, dass Tiberius als er noch Feldherr war, durch sein Verhalten im Zuge des Markomannen Feldzuges eine erhebliche Mitschuld an der Varusniederlage auf sich lud. Genauer gesagt war es das von ihm angeordnete Ausdünnen der Varusarmee vor der Niederlage 9 +. Denn mit dieser Dezimierung und der damit einhergehenden Schwächung trug Tiberius maßgeblich und somit Schlachten entscheidend dazu bei, dass Varus den Krieg verlor, ja sogar verlieren musste. Und dafür lässt sich kaum ein besserer Gewährsmann finden als es der historisch unverdächtige Marbod war, der einstige Zeitzeuge aus Varustagen. Denn er brachte es mit seiner von Tacitus überlieferten Wortwahl „vacuas“ vortrefflich zum Ausdruck, unter welch widrigen Bedingungen Varus eine Provinz aufbauen und sie halten sollte. Denn mit einer Armee die „vacuas“ war, ein Wort das vom lateinischen Wort „vacuus“ abstammt und dem deutschen Wort „leer“ entspricht, ließ sich schlecht siegen. Tacitus erwähnte es in seinen Annalen II. 46 mit den Worten “Quonium tres VACUAS Legiones et ducem fraudis ignarum perfida deceperit“. Das Wort „vacuas“, dass wie kaum ein anderes Überliefertes auch die Irrungen und Wirrungen deutscher Geschichtsforschung wider spiegelt. Nämlich das urmenschliche Bedürfnis, dem auch die antiken Historiker verfielen, wenn sie sich berufen fühlten am historischen Wissenstand der Zeit eigenmächtig textuell zu werkeln um es stimmiger erscheinen zu lassen. Im Falle des Wortes „vacuas“ war es ein neuzeitlicher „Interpret“, der uns das Wort „vacuas“ argumentativ ausreden wollte und durch „vagas“ ersetzte, weil es ihm plausibler erschien. Es war der Philologe und Gymnasiallehrer Anton August Draeger der die Auffassung vertrat und sie 1863 mit recht lapidaren Worten begründete „das man nicht wüsste was vacuas bedeutete“. Sicherlich war auch er bemüht nach Sinnhaftigkeit zu suchen, aber wie hier dargestellt, darf man es auch anders bewerten. Die „Arminen Cherusker“ waren jedenfalls die Erzfeinde sowohl von Marbod, als naturgemäß auch von Tacitus. So war sich Tacitus mit Marbod in der Bewertung einig und er konnte sich auch die Bemerkung nicht ersparen darauf hinzuweisen, dass die Germanen nach Marbod`s Worten ihren Sieg nur der Schwäche der Varus Legionen zu verdanken hatten. Tacitus verfiel somit der Verlockung die Schmährede von Marbod in seinen Schriften zu thematisieren, da sie sich gegen den gemeinsamen Feind die Cherusker richteten. Aber damit verriet er uns gleichzeitig und wohl ungewollt auch den Hauptgrund der Varusniederlage. Denn mit dem Marbod Zitat das Tacitus sicherlich unbeabsichtigt einpflegte gab er den entscheidenden Hinweis, warum Varus die Schlacht verlor. Die demnach folglich weniger etwas mit dem Versagen des Feldherrn, als vielmehr mit der eklatanten Unterbesetzung seiner Armee zu tun hatte. Denn er zog eindeutig mit zu wenig Legionären zu den Aufrührern und das geschah einfach nur deswegen, weil ihm nicht mehr zur Verfügung standen. Und wer wollte da schon glaubhafter sein als Marbod. Aber auch Tacitus bürgte indirekt für die Richtigkeit, denn er verkannte die Brisanz des Wortes „vacuas“ und unterschätzte die darin liegende historische Sprengkraft, wie man heute im nachhinein feststellen darf. Hinzu kommt noch, dass man auch davon ausgehen darf, dass Marbod unparteiisch gewesen sein dürfte, da Tiberius ihn drei Jahre vor der Varusschlacht noch vernichten wollte. So betrachtet hatte Arminius seinen Sieg indirekt Marbod zu verdanken, da Tiberius wegen ihm die Varusarmee reduzierte. In erster Linie lag aber Marbod daran die Cherusker zu schmähen, da sie es nur mit einem unterbesetzten Gegner zu tun hatten, der ihnen da zum Opfer fiel und es ihnen wohl auch recht leicht machte. Es lag an diesem Tag weniger in Marbod`s Absicht und passte nicht in sein Konzept den Römern die Schuld für die Niederlage zu geben. Dem Germanen Arminius den Triumph zu missgönnen hatte bei ihm Vorrang vor dem Nachtreten des geschundenen und schon genug gestraften Erzfeindes Rom. Aber natürlich offenbart er damit im gleichen Atemzug auch den Grund und machte, ohne es zu betonen die römische Politik dafür mit verantwortlich, dass Arminius siegen konnte. Marbod wusste genauso wie Segestes wie schlecht es um die Sollstärke der drei Varuslegionen an der Weser bestellt war, nachdem man ihnen starke Kräfte für den Kampf gegen Marbod und dann übergangslos den Krieg in Pannonien entzog. Aber Marbod konnte von Tiberius im Gegensatz zu Segestes, der Varus die alleinige Schuld gab, nicht zum Schweigen gebracht werden. Marbod kannte die Ursache des Versagens und konnte sie auch ungestraft beim Namen nennen, denn Marbod wie auch Arminius konnte Tiberius nie habhaft werden und so konnte er seine Meinung offen sagen. Versetzen wir uns kurz in die Lage von Tiberius und sein Verhalten wird verständlich. Für Tiberius war die Schlacht in Ostwestfalen schon lange Vergangenheit als ihn, den im Jahre 14 + gerade frisch vom Senat zum Kaiser gewählten Pontifex im Jahre 15 + die Nachricht aus Germanien erreichte, dass ein ihm bekannter Zeitzeuge plötzlich die Seiten gewechselt hatte. Zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht fest, dass Segestes einmal samt Anhang 17 + in Rom erscheinen würde. Kaum einer und auch nicht Tiberius konnte damit rechnen, dass sechs Jahre nach der vergessen geglaubten Schlacht nochmal eine Person aus den Nebeln vergangener Tage trat und seine Kreise stören könnte. Und noch dazu ein Mann, der über umfassende Detailkenntnisse zur Varusschlacht verfügte. Und wenn jemand, natürlich ausgenommen Arminius die genauen Gründe kannte, warum Varus die Schlacht verlor, dann war es außer Marbod sicherlich Segestes. Segestes kannte die römische Truppenstärke vor dem Ausbruch der Kämpfe und die von Varus ausgegebenen Befehle. Segestes wusste alles und wohl auch noch etwas mehr, als es Tiberius lieb sein konnte. Segestes hatte möglicherweise in vertraulichen Gesprächen einiges erfahren. Zum Beispiel war ihm bekannt, dass Tiberius dafür verantwortlich war, dass man Varus Truppenteile für den Markomannen Feldzug im Jahre 6 + entzog, kurz bevor dieser seine Statthalterschaft im Jahre 7 + antrat. Das machte Varus schwach, anfällig und abhängig für Unterstützungsangebote germanischer Kräfte. Je nach dem wie eng das Verhältnis zwischen Varus und Segestes war ist es auch nicht auszuschließen, dass Varus im Zwiegespräch mit ihm über Tiberius sogar recht deutlich wurde und sich mehr als nur kritisch über ihn äußerte. Tiberius musste also daran gelegen sein, dass Segestes als sich abzeichnete, das dieser römischen Boden betreten würde, nur vorher abgestimmte Aussagen über die Zeit machte als Varus noch Statthalter in Germanien war. Im Jahre 17 + als er schon den Kaiserrock trug, musste Tiberius dafür sorgen, dass Segestes seine vorgegebenen Warnungen die nur seiner Entlastung dienten aufrecht hielt und sie bestätigte um jeglichen Makel von seiner eigenen Person fern zu halten. Damit fiel Segestes unversehens eine brisante Rolle zu, in der er sich keinen Fehler leisten durfte und er spielte sie gut. Er musste sich zwangsläufig aber auch nicht widerwillig als Zweckinstrument missbrauchen lassen, was aber in seinem Sinne lag, denn schließlich war es für ihn eine Überlebensfrage. Aber die Weichen seiner Taktik hatte er schon gestellt, als er sich 15 + auf Basis genau dieser Argumentation in die Hände von Germanicus begab. Aber richtig deutlich wurde er erst, als er es es alles nochmal in Rom zu Protokoll geben musste, damit die Nachwelt auch keinen Zweifel an der Alleinschuld von Varus hegen konnte. Der Ausgang der Varusschlacht war demnach 17 + immer noch ein hoch brisantes Politikum aus dem Kaiser Tiberius ungeschoren heraus kommen wollte. Aber mit der von Segestes eingeschlagenen Strategie der vorgetäuschten Warnung trafen sich seine, mit den Interessen von Tiberius und Tiberius fädelte, natürlich ohne selbst in Erscheinung zu treten ein seltsames Bündnis ein, dass Eingang in die Historie fand. Man nennt es auch „eine Hand wäscht die andere“. So bot es nicht nur die Erklärung warum Varus mit seinen Legionen unter ging, sondern trug in sich auch den Keim einer Verschwörung.(26.01.2021)

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