Freitag, 26. Februar 2021
Publius Annius Florus - Das Absurde zwang ihn sich selbst zu widersprechen
Bevor dank Cassius Dio die mögliche Auflösung naht ist es nötig noch mal abschließend den Überlieferungen des Publius Annius Florus etwas auf den Zahn zu fühlen. Denn seine Worte sind, was Segestes anbelangt symptomatisch für das überkommene Wissen der Zeit und sie gleichen jenen der Historiker Paterculus und Tacitus. Was er uns über ihn sagte schrieb er im Original in Kapitel 2.30 Absatz (33 + 34) in lateinischer Schrift nieder. Es folgen nachstehend die drei gängigsten Übersetzungen.
Zu Beginn die Begründung von Florus für die Entscheidung von Varus den Umweg trotz der Warnung angetreten zu haben:

(33) 
( lateinischer Originaltext soweit wie überliefert)

"cum interim tanta erat Varo pacis fiducia, ut ne prodita quidem per Segesten unum principum coniuratione commoueretur".

Dazu drei Übersetzungen:

(33) 

"unterdessen war das Vertrauen des Varus in den Frieden so groß, dass er sich nicht einmal rührte, als ihm die Verschwörung durch Segestes, einen der Fürsten, aufgedeckt wurde".

(33)

"zwischenzeitlich war Varus so zuversichtlich, dass er selbst dann nicht beunruhigt war, als Segestes, einer der Häuptlinge, ihm die Verschwörung verriet".

(33)

"Varus vertraute indessen dem Frieden so fest, dass ihn selbst eine vorhergesagte und von Segestes, einem Fürsten, entdeckte Verschwörung nicht aus der Ruhe bringen konnte".

Daraus resultierend entwickelte sich nun das unvermeidbare Desaster, so wie Florus es beschrieb:

(34) 
( lateinischer Originaltext soweit wie überliefert)

"Itaque improuidum et nihil tale metuentem ex inprouiso adorti, cum ille - o securitas! - ad tribunal citaret, undique inuadunt; castra rapiuntur, tres legiones opprimuntur". 

Dazu drei Übersetzungen:

(34)

"Und als Varus unvorbereitet war und keine Angst vor so etwas hatte, erhoben sie sich in einem Moment, in dem er sie tatsächlich aufforderte, vor seinem Tribunal zu erscheinen, und griffen ihn von allen Seiten an. Sein Lager wurde besetzt und drei Legionen wurden überwältigt".

(34)

"Folglich griffen sie ihn, der nichts ahnte und so etwas nicht fürchtete, unvermutet losbrechend, von allen Seiten an, als er - welch eine Selbstsicherheit - zum Tribunal rief ; das Lager wurde geplündert, und drei Legionen wurden vernichtet". 

(34)

"Und so überfallen sie unerwartet den Unvorsichtigen und nichts der Art Befürchtenden. Gerade wie er, - o, diese Sicherheit - Leute vor Gericht laden lässt brechen sie unversehens von allen Seiten herein, nehmen das Lager im Sturm weg und machen drei Legionen nieder".

Die Szenerie wie sie Florus in Textstelle (33) beschreibt, spielte noch vor dem Abzug aus dem Sommerlager an der Weser. Sein Vertrauen und seine Zuversicht in den Frieden werden in diesen Stunden bei Varus groß geschrieben. Er stützte und verließ sich offensichtlich auf die cheruskische Unterstützung. Varus war in dieser Phase wie man annehmen darf im Begriff alle Vorbereitungen für den herbstlichen Rückzug in die oder das Winterlager am Rhein zu treffen. Ein Marsch bei dem man vorher noch einen abseitig gelegenen Landstrich durchqueren wollte, weil es dort laut Arminius zu Unruhen gekommen sein soll. Varus fühlte sich der Lage gewachsen und war sich der Situation völlig bewusst. Und er war sich sicher, dass er bevor er in das Aufrührergebiet ziehen würde alle dafür nötigen Maßnahmen ergriffen hatte. Eine Region in der er auf militärisch unklare Verhältnisse stoßen würde. Was sich ihm jedoch nicht in seiner Gesamtheit erschloss und was er nicht erwarten konnte war die Tatsache, dass es schon auf dem Hinzug zu den Rebellen zu einem Angriff auf den Marschzug kommen würde und nicht erst in deren Stammesgebiet. Das sich nach Lage der Dinge ein Feldherr auf eine militärische Auseinandersetzung vorzubereiten hatte ist ein normaler Vorgang der daher auch bei keinem Militärangehörigen eine erhöhte Beunruhigung auslöste. Das Varus dies mit seinem Rückzug zum Rhein verbinden wollte, erhöhte allerdings den logistischen Aufwand, dem er aber mit einer Marschzugaufteilung begegnete. Varus verstand also in diesem Moment nicht, warum er hier von Segestes darüber hinaus noch zu übermäßiger Vorsicht angehalten wurde. Die Sachlage war für Varus klar zumal sich Segestes ihm gegenüber nicht in Details verstieg und Hintergrundwissen über das ihm Bevorstehende missen ließ. Und so akzeptierte er auch nicht den aus seiner Sicht irrwitzig zu nennenden Vorschlag von Segestes die germanischen Häupter in Fesseln zu legen und verwarf ihn konsequenterweise. Hätte es ihn gegeben und Varus hätte so gehandelt, wäre es ein höchst aggressiver Akt gegen das führende Fürstenhaus gewesen und hätte zwangsläufig zu einem unerwünschten Bruch mit ihm geführt und das in einem denkbar ungünstigen Moment. Soweit aber nur die Darstellung, wie man sie sich aus der Sicht des Segestes gerne vorstellen möchte und wie er sie vermutlich im Jahre 17 + in Rom überzeugend vortrug. Das es dann anders kam, ist hinlänglich bekannt. Und auch Florus kam nicht umhin uns einen Unvorbereiteten zu beschreiben, der er aber nicht war. Und darin liegt der Disens. Denn Florus bringt zum Ausdruck, dass Varus nicht nur unvorbereitet war, sondern das er auch nichts ahnte und alles für ihn völlig unerwartet kam. Aber so konnte es bekanntermaßen nicht gewesen sein. Denn immer unter der Prämisse betrachtet, dass die Segestes Warnung statt fand, war Varus keineswegs unvorbereitet, weder nichtsahnend und es kam für ihn auch nicht völlig unerwartet. Denn er wusste bereits von Arminius, dass man einen Konflikt nicht völlig ausschließen konnte, gleich wo er statt fand, ob bei den Aufrührern oder vielleicht sogar schon früher. Florus musste anhand seiner Vorlagen davon ausgehen, dass Varus aus dem Munde des Segestes bekannt war, dass eine Verschwörung im Gange sei. Aber Varus könnte den von Arminius angekündigten Aufruhr bereits für die ihm von Segestes mitgeteilte Verschwörung gehalten haben. Auch wenn er seine Worte nicht ernst nahm, so war er doch definitiv weder unvorbereitet noch nichtsahnend. Warum konnte also Florus Varus so unvorbereitet erscheinen lassen, wo er es doch gar nicht war. Eine mögliche Erklärung läge darin, dass auch Florus wie alle anderen Historiker darum rang nach Begründungen dafür zu suchen, wie ein mehrfach Vorgewarnter dann doch sehenden Auges ins Verderben reiten konnte. Und erneut wird deutlich, Varus war nicht vorgewarnt zumindest nicht von Segestes. Es ist auch denkbar, dass Florus dem Versuch erlag, seine Quellen so interpretieren zu müssen, als ob Varus die Warnung von Segestes schon völlig vergessen oder verdrängt hatte, als die Germanen über sein Lager her fielen, in dem er es als einen völlig unerwarteten Vorfall beschrieb. Da also Varus zumindest von Arminius über die grundsätzliche Gefahr in Kenntnis gesetzt war, trifft die Florus Beschreibung "nichtsahnend" und "unerwartet" nicht zu. Und auch ein Aufruhr also eine Erhebung so wie es geschildert wurde war kein alltägliches Vorkommnis. Man könnte annehmen, dass Florus dafür keine andere Erklärung hatte, als nur zu vermuten für Varus käme alles plötzlich und unerwartet. Denn es wollte nicht zusammen passen, aber er wollte es passend machen. Hier die deutliche Warnung vor einer Verschwörung und einem Aufruhr und als es dann zum angekündigten Überfall kam, soll er völlig unvorbereitet gewesen sein. Man kann darin auch für einen kurzen Moment auf den Gedanken kommen, dass auch schon Florus an der Segestes Warnung so seine Zweifel hatte. Gab es sie, oder gab es sie nicht ? Was den wie angenommen nicht vorgewarnten Varus dann maximal überrascht haben wird und worüber er auch über alle Maße erstaunt gewesen sein dürfte, war dann höchstens die Tatsache, wie unerwartet heftig ihm die Germanen entgegen traten. Und das sich die abtrünnigen Cherusker im unmittelbarem Gefolge von Arminius dann auch noch zusätzlich gegen ihn erhoben, hatte ihm auch ein Segestes nicht angekündigt und ihm nicht "en detail" erläutert. So hätte Segestes Varus zum Beispiel auch auf die leicht zu durch schauende brisante Konstellation hinweisen können, in dem man ihn um Abstellungen zum Zwecke des Trossgeleit gebeten hatte mit dem Hintergedanken seine Kampfkraft zu schwächen. Segestes hätte ihm sagen können, dass dies schon Teil der Strategie vor der eigentlichen Schlacht war. Er hätte ihm auch sagen können, dass Arminius und seine Auxiliartruppen ihm dann nach dem Ausschalten dieser Abstellungen nach reiten würden, um ihm in den Rücken zu fallen. Er hätte ihn mit der Gefahrenlage konfrontieren können, dass man ihn nahe der Egge in eine Sackgasse ähnliche äußerst abwegige Region ohne sichere Wegeverbindungen lockte und das ihm dort kaum ein Ausweg blieb und ihm kein sicheres Lager mehr zur Verfügung stehen würde. Allesamt reichlich Material, denn Segestes verfügte über genügend Detailkenntnisse womit er seine Glaubwürdigkeit hätte bequem unterstreichen können, wenn er gewollt hätte. Aber er hat geschwiegen. Und Segestes hätte dieses Wissen auch nicht nur an Varus weiter geben, sondern es auch mit dem römischen Generalsstab teilen können ja sogar müssen, der schließlich aus drei verantwortungsvollen Legionskommandeuren und anderen Befehlshabern bestand. Denn auch zu ihnen dürfte er Zugang gehabt haben. Denn wenn ihm schon Varus kein Gehör schenkte, dann doch vielleicht seine militärischen Profis denen er sich hätte anvertrauen können. Erinnert sei an die Worte von Paterculus der da sagte, dass die Varuslegionen von allen die Tapfersten waren was ihre Zucht, Schlagkraft und Erfahrung anbelangt. Und solche Kommandanten sind nicht leicht zu überlisten und hätten schon erkannt und gut abgewogen, was ihnen da ein Segestes mitgeteilt hätte. Denn in vielen Kriegen waren sie unter allen römischen Truppen die Ersten und das wären sie nicht gewesen, wenn sie sich wie unreife Truppenführer verhalten hätten. Und diese als kriegserfahren beschriebenen Top Legionen sollen alle nichts von dem erfahren haben, was Segestes Varus geraten haben wollte. Seine unbewiesenen Prophezeiungen die sich als Verrat in die Geschichtsbücher eingeschlichen haben gingen letzlich in Erfüllung und das Resultat bekam den Namen Varusschlacht. Dem Inszenator Segestes dienten sie als guter Vorwand in schwieriger Lebenslage um nicht von den aufziehenden Germanicus Feldzügen betroffen zu werden. Für die römische Gesellschaft war es das gefundene Fressen und geeignet als unterhaltsame Vorlage mit hohem melodramatischen Wert. Tiberius hingegen nutzte es als Machtkalkül und es diente seinem guten Ruf. Denn als römischer Kaiser wollte er aufgrund der von ihm angeordneten Ausdünnung der Varuslegionen nicht als Mitschuldiger an der Niederlage in Erscheinung treten. Eine Tragödie die dank vieler Facetten auch reichlich Stoff für zukünftige Mythen und Legenden bot, worauf ich noch eingehen möchte. Von alledem unbeirrt nahm die Schlacht ihren Verlauf und selbst für den Fall, dass es die Warnung eines Segestes tatsächlich gegeben haben sollte, so hätte dies am späteren Hergang nichts geändert, denn Arminius war der Mann dem Rom vertraute und mehr noch, nämlich vertrauen musste. Es bedurfte auch keines Verrats von Segestes, denn den Aufruhr hatte Arminius dem Feldherr schon vorher auf seine Weise "verraten". Worunter man allerdings keinen Verrat versteht, sondern den wichtigen Hinweis eines befreundeten Germanenfürsten. Arminius hatte die Lage unmissverständlich geschildert und Varus glaubhaft machen können, sodass dieser es nicht mehr ignorieren konnte. Segestes hätte sich die Warnung, selbst wenn er gewollt hätte allerdings ersparen können, denn er wäre damit bei Varus auf taube Ohren gestoßen. Anekdotenhaft ließe sich noch anmerken, dass mangels nutzbarer schneller Kommunikationswege in die Krisenregion jegliche Fernaufklärung scheitern musste, womit sich die Schlacht noch hätte vermeiden lassen können. Nach allem was sich recherchieren lässt hatte Varus hatte also Pech im Unglück. Segestes nutzte die diffusen Umstände für seine Reputation, konnte alles unbesorgt in seinem Sinne auslegen und für sich aufhübschen. Dem Abschnitt 2.30 (33) bei Florus lässt sich also eigenartigerweise die gleiche Darstellung entnehmen, wie sie bereits von Paterculus und Tacitus als Rechtfertigung für das Verhalten von Varus dargelegt wurde und womit sich in Rom sein Untergang so vortrefflich begründen ließ. Eben jene skurrile Charakterbeschreibung des Versagers Varus wie sie für einen einerseits friedliebenden und als gutmütig beschriebenen Menschen hinterlegt ist, der dann aber zum brutalen Richter mutieren konnte, sich letztlich aber als militärisch unfähig erwies. Ein perfektes Melodram für eine neue Showbühne war geboren. Und darauf das derartiges in Rom nicht ausufern konnte achtete Kaiser Tiberius sogar höchst persönlich. Denn es ist überliefert, dass er sich auch schon mal gezwungen sah, so wie es 23 + geschah, das Theatervolk zu maßregeln, wenn es über die Stränge schlug. Allesamt Beschreibungen die in sich unschlüssig wirken und daher die Geschichtsforschung in die Sackgasse ewiger Ratlosigkeit führten. Aber wie schrieb Florus noch gleich. Sein Vertrauen in den Frieden war so groß und fest und er war so zuversichtlich und in keiner Weise beunruhigt. Varus muss sich also in der Tat nicht nur in seinem Sommerlager wie in einem völlig gefahrlosen Außenposten des Imperiums gefühlt haben, sondern hat auch die Risiken im Großraum an der Weser als völlig unproblematisch eingeschätzt, also unterschätzt. Hand aufs Herz, kann man natürlich die Frage aufwerfen, wer denn dieses alles in Rom später überhaupt so gut gewusst haben könnte. Aber man weiß letztlich von wenigen Überlebenden der Schlacht, die die Stimmung so wie sie sie damals erlebten wieder gegeben haben könnten. Aber auch noch ein Segestes könnte die Lage unabhängig von seiner ominösen Warnung in Rom in der Form geschildert haben. Die Warnung des Segestes immer als zutreffend voraus gesetzt, lässt sich aus den Überlieferungen des Florus nun folgendes Fazit ziehen. Varus war guter Dinge und er trat den Marsch zu den Aufrührer in der vollen Überzeugung an, es könne ihm keinerlei Gefahr drohen. Für Florus musste alles so erscheinen, als ob Varus trotz Vorwarnung wirklich völlig unvorbereitet war. Eine absurde Situation die Florus letztlich dazu zwang sich in seinen Darstellungen selbst zu widersprechen. Denn die Textstelle 33.) ist nicht kompatibel mit der Textstelle 34.). Denn wie konnte sich ein Varus um Himmelswillen sicher fühlen, obwohl er doch von der Warnung des Segestes gewusst hatte. Aber es gibt nur dann ein perfektes Konstrukt ab, wenn man aus Varus einen Totalversager machen möchte und das war er beileibe nicht. Was dann die Florus Darstellung eines Überraschungsangriff auf das Lager anbetrifft, als Varus zu Gericht rief, so griff er diesen Hinweis nicht aus der Luft, denn dazu verfügte er über Quellen und Informationen, die sich nahtlos in das Geschehen der Varusschlacht einbinden lassen. Kenntnisse, die im Gegensatz zu seinen Überlieferungen über Segestes wahrhaftiger Natur waren, da man diese nicht manipulieren brauchte, denn es wird kein Nutznießer erkennbar. Da aber der besagte Lagerüberfall auf die Person Segestes kein Bezug nimmt, soll darauf an anderer Stelle vertiefend eingegangen werden. Was aber die hinlänglich verbreitete, aber auf tönernen Füßen stehende "Großtat" des Segestes in Bezug auf seine Warnung anbelangt, die uns in den letzten Kapiteln auf Schritt und Tritt verfolgt hat, so erscheint nun doch endlich noch das lang ersehnte Licht der Aufklärung am Tunnelende. Und dieses Licht lässt auch die innere Ruhe und Gelassenheit besser verstehen, in der sich Varus vor dem Abzug wie in Friedenszeiten wähnte und es lässt sich vieles unter einem anderen Licht betrachten. Nämlich befreit von Verschwörungsabsichten und Reputationsbemühungen wie Segestes sie einst in Rom auftischte, gab es damals nur eine geschickt eingefädelte Täuschung und die gelang nur Arminius mit Unterstützung seines Vaters. Aber neben den schwer zu deutenden aber in puncto Segestes von Paterculus, Tacitus und Florus auch kaum glaubhaften Quellen haben wir noch den besagten Hoffnungsschimmer. Denn es existierte noch eine unverfälschte Version über die Begebenheiten an den Tagen vor dem Abzug aus dem Sommerlager. Es war Cassius Dio der es erst lange nach Florus zu Papier brachte. Und fortan spukt auch nun kein Segestes mehr durch das Varusereignis. Denn Dio beschert uns einen zweiten und was den Fall Segestes anbelangt, auch einen von seinen Vorgängern unabhängigen und nachvollziehbaren Erzählstrang und er öffnet damit die Tür zu besagter zweiter Quelle. Informationen die nur ihm vor lagen und die nur er auswerten konnte. Demnach müsste man ihn aus der Phase III entlassen, denn ihm steht eine eigene Kategorie zu. (26.02.2021)

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