Freitag, 10. Januar 2020
„Kalkriese“ - Was sagen die Völkerkundler
Welcher Geschichtsfreund bevorzugt nicht die harten Fakten und vernachlässigt dafür die weichen. In der Archäologie stehen daher zunächst einmal jene Funde am unteren Ende der Beliebtheitsskala, die sich einer handfesten zeitlichen Bestimmung entziehen und auch keine sichere Zugehörigkeit bzw. Zuordnung hinsichtlich Funktion oder Nutzung gestatten. Andererseits sind es aber gerade sie, die die Forschung besonders faszinieren, anspornen und inspirieren. Unsicherheit in Klarheit zu verwandeln ist das Ziel, denn sie könnten noch einiges verbergen, was sich bislang unseren Blicken entzog und was uns neue Erkenntnisse nicht nur versprechen sondern auch verschaffen könnte. Aber hier beschäftigen wir uns mit der Örtlichkeit um Kalkriese im ethnologisch geographischen Sinne. Das markante Wort „Kalkriese“ ist durch seine spektakulären Funde bereits zu einem internationalen Synonym und Begriff antiker deutscher Schlachtfelderforschung geworden. Aber es fehlt uns dazu nach wie vor das Wesentliche. Nämlich die fixe Jahreszahl, wann dort das möglicherweise legendäre Gefecht statt fand. Wüsste man es könnte man daraus weitere Schlüsse ziehen, ein neuer Kontext ließe sich erschließen, vieles wäre rekonstruierbar und eingebettet in die literarischen Fakten der antiken Historiker würde so manches plausibler werden. Aber wir vermissen eben den wichtigen zeitlichen Bezug und damit den härtesten aller Fakten um die Varusschlacht wie ich meine vom Nethegau ins Hasegau verlegen zu können. Folglich können wir auch keine tiefer gehenden und eindeutigen Schlüsse aus jenem Kampf ziehen, von dem uns nur die Bodenfunde offenbaren, dass dort einmal die Waffen ultimativ gegeneinander geschlagen wurden. Oftmals verläuft derartiges auch in die entgegen gesetzte Richtung. Dann wissen wir zwar von einem Ereignis, vermuten in groben Zügen auch die Örtlichkeit, kennen sogar den Grund der Auseinandersetzung, finden aber das dazugehörige Schlachtfeld nicht. Ein Beispiel dafür ist die weit aus größere Hunnenschlacht 451 + auf den katalaunischen Feldern. Hier haben wir es mit der umgekehrten Lage zu tun, indem wir von einer Schlacht wissen, aber das dazugehörige Schlachtfeld noch nicht gefunden haben. Im Falle dieses Blog Buches „Vom Sommerlager in den Untergang“, schwebt mir an Hand zahlreicher Hinweise und Theorien zwar der Verlauf und die Streckenführung des mehrtägigen Marschgefechtes in Ostwestfalen vor, aber die Funde bleiben aus. Wofür es allerdings auch gute Gründe gibt. Man kann sich nun aussuchen welches von beiden das Angenehmere ist. Ein Schlachtfeld mit Funden, dem der Kontext fehlt, oder ein Schlachtfeld ohne Funde, dafür aber mit Kontext. Doch zurück zu den Beweis kräftigeren, da sichtbaren Relikten, die man erst ergraben und frei pinseln musste. Abgesehen von den Bodenverfärbungen, kann man vereinfacht sagen, das alles was hart ist meist auch langlebig ist. Folglich besteht es aus Metall oder aus gesteinsartigen oder gesteinsbildenden Substanzen bzw. Mineralstoffen wie Glas, Porzellan aber auch Knochen. Während sich die weichere Biomasse schneller zersetzte und über die Jahrtausende verging oder sich verflüchtigte, kann sich Metall auch noch im verklumpten Zustand, genauso wie Knochen aber auch organisches Material bei optimalem ph-Wert länger im Boden erhalten. Daher kommt auch den noch in Spuren vorhandenen, weil daran anhaftenden Begleitelementen bei der zeitlichen Bestimmung des Objektes eine Bedeutung zu. Da uns zudem auch keine schriftlichen Zeugnisse darüber bekannt sind was dort passiert ist und was uns die Geschehnisse an jenem „Riesen aus Kalk“ erklären helfen könnte, bleibt es ein Buch an dem noch alle sieben Siegel so gut wie unbeschädigt sind. Die Vorgehensweise ist der Wissenschaft verpflichtet und die Archäologie muss es so handhaben. So sind zwar die Prioritäten gesetzt, aber viele andere und nicht weniger interessante Betrachtungsfelder bleiben leider zu oft auf der Strecke oder werden unterschwellig gesehen meines Erachtens zu wenig in die Deutung mit einbezogen. Den Begriff „Fakt“ was seine Zielrichtung anbelangt zu definieren wäre abendfüllend, ich möchte es daher vereinfachen. Wir haben also diese harten Fakten, sowie die weichen Fakten die noch auf ihre Deutung warten, aber auch noch die „butterweichen“ Fakten. Und sie verbergen sich hinter den Seelen der Spezies „Mensch“, also hinter unseres gleichen. Blättert man in den Büchern der älteren oder klassischen Literatur wird einem schnell bewusst, dass wir uns in den letzten 2000 Jahren und noch weit darüber hinaus im Wesen nicht grundlegend verändert haben. Es ist das Spiel der Ewigkeit. Tugenden waren immer schon Mangelware, aber auch der Zwang in Notlagen zusammen halten zu müssen sitzt tief und lässt die Menschen wieder auf sich zugehen. Wir kennen das. Diese kurz eingeschobenen Kapitel sollen aber einen vorsichtigen Beitrag dazu leisten in dem sie einen kleinen Teil dessen aufzeigen könnten, der uns verloren gehen kann, wenn wir unsere Gedanken in Bezug auf die Vorgeschichte und den möglichen Hergang der Schlacht bei Kalkriese nicht den freien Kräften unserer Visionen überlassen. Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt formulierte es einmal sehr drastisch mit den Worten: "Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen", was zweifellos wie ein abfälliges Totschlagargument gegen das Intuitive und das Vorstellungsvermögen aller Visionisten unserer Zeit klingt. Er mag vielleicht Recht gehabt haben, aber hier sind ausnahmsweise einmal nicht jene für gewöhnlich in die Zukunft gerichteten Visionen gemeint. Hier geht es darum unseren Blick zurück in die ferne Vergangenheit zu werfen. Die Zeit aus der wir kommen und nicht die, wo wir hingehen möchten. Denn auch das ist Vision. Da ein Lichtstrahl ebenso schnell vergeht wie er in dem kurzen Moment auch sehr erhellend wirken kann, müssen wir uns auch dafür einen offenen Geist bewahren. Am Anfang sah doch alles so einfach aus, denn nichts war robuster als die scheinbar harten Fakten die uns die im 19. Jahrhundert bei Barenau entdeckten und später verschollenen augusteischen Münzschätze versprachen. Man brauchte also nur an Theodor Mommsen und andere seiner Zeitgeister fest glauben und schon konnte der „Fall Varusschlacht“ zu den Akten gelegt werden. Aber das Gläubige vertrug sich noch nie mit dem Forschenden und erst recht nicht mit dem Wissenden. Aber derzeit steckt eben genau dieser forschende Aspekt etwas in einer Sackgasse fest. Und zu allem Überfluss schwindet nun auch noch der Glaube daran, in Kalkriese jemals auf das zu stoßen, was uns eine dauerhafte Gewissheit garantiert. Wir hätten es sozusagen mit einem doppelten Dilemma zu tun, wenn uns nicht noch die Hoffnung bleiben würde. Aber wonach suchen wir eigentlich in Kalkriese. Letztlich wünschen wir uns doch ein menschliches Skelett zu finden, das alles enthält wonach uns der Sinn steht. Dieses Skelett eines Verstorbenen hätte zweierlei Bedingungen zu erfüllen. Es muss zweifelsfrei von einem Menschen stammen der einmal bei einer der drei unter gegangenen Varuslegionen gedient hat also ihnen zugeordnet werden kann. Keinem Auxiliarkelten oder Germanen und auch keinem freien also gegnerischen Germanen. Und man müsste dann an ihm noch militärisch also gattungsbezogene Identifikationsmerkmale folglich Ausrüstungsteile gleich welcher Art ausfindig machen können. Eine Kennung zum Beispiel für die „LEG XIX COH II“ zu finden wäre also das Mindeste bzw. das ultimative Muss. Noch besser wäre vielleicht der Fund eines Signaculum, dass man in diesen Zeiten in einem Lederbeutel um den Hals trug. Ein reizvolles Objekt, das ein Germane allerdings als begehrte Trophäe schnell an sich genommen hätte und wohl auch hat. Damit wäre man schon einen großen Schritt weiter. Aber damit nicht genug, denn diesem Skelett müsste man zudem auch noch DNA fähige Bestandteile wie etwa Knochenmark entnehmen können, womit sich der Todeszeitpunkt zurück verfolgen ließe. Und dieser Zeitpunkt muss darüberhinaus noch eine jahresgenaue Zuordnung erlauben. Dann noch einen auswertbaren Baumstamm mit Jahresringen in seiner unmittelbaren Nähe zu finden mit dem sich dann tunlichst alles noch auf den Herbst des Jahres 9 + datieren ließe und wir hätten das Ziel erreicht. Denn dann erst wüssten wir genau, dass das Gefecht auch im Zusammenhang mit der Varusschlacht stand oder die Varusschlacht war. Ein ideales Zusammentreffen vieler Träume, das wohl nie in Erfüllung gehen dürfte. In der Folge würden uns schon DNA fähige Substanzen, gleich wo wir sie fänden erfreuen, Hauptsache sie ließen sich dem Herbst 9 + zuordnen. Aber dann würde uns möglicherweise wieder der Bezug zu einer Varus Legion fehlen und es ginge nur der halbe Traum in Erfüllung. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als das stete Sammeln jeglicher Indizien gleich wo sie sich finden lassen, munter fort zu setzen. Ein Schauprozess würde sich auf diese Weise in einen Indizienprozess verwandeln und was für das Gefecht bei Kalkriese gilt, träfe auch auf die Varusschlacht im Nethegau zu. Was uns aber bei der „Nethegau – Theorie“ entgegen kommt ist der schlüssige Gesamtkontext, den man in Kalkriese selbst beim besten Willen nicht erkennen kann. Aber bei aller Tristesse, denn ohne sich entmutigen zu lassen, sollte doch sowohl die Suche als auch das Kombinieren und Jonglieren in alle Richtungen unvermindert weiter gehen. Vielleicht sind neue Formen der Herangehensweise gefragt, wobei aber der Mensch der damaligen Zeit immer im Mittelpunkt zu stehen hat. Ohne über die für die Forschung nötigen Geldmittel zu philosophieren gehört zu alledem das permanente Aufgreifen neuer Ideen auch Brainstorming genannt, die Schlachtenanalytik also das Profiling, die übersichtliche Gestaltung via Flipchart, oder das Ordnen und Vernetzen von Fragen auch Clustering genannt um zumindest unser theoretisches Wissen zu bündeln. Eben das ganze Spektrum der Kreativtechnik. All dies scheint in Kalkriese bislang zu kurz gekommen zu sein. Daraus entwickelte sich ein Manko, aus dem wegen einer zu frühen Festlegung ein Versäumnis wurde, das aufgrund einer zu stark fund - archäologisch orientierten und darauf fixierten Fachwelt eine zu lastige Ausrichtung erfuhr. Viele kleine und größere Schlachtfeldfunde füllen inzwischen die Vitrinen und Ausstellungsräume des Kalkrieser Museums, aber man wähnt sich nach 32 Jahren Entdeckungsgeschichte als auch Tony Clunn auf die ersten augusteischen Münzen stieß, immer noch wie am Anfang. Was meine Hypothese zum Verlauf der Varusschlacht, also „Vom Sommerlager in den Untergang“ anbelangt, so möchte ich daran nicht rütteln, da zu viele Fakten für die „Nethegau – Theorie“ sprechen. Aber alle diskutierten Alternativen dazu völlig auszublenden wäre natürlich töricht und unentschuldbar zugleich. Diesen Vorwurf möchte man sich nicht einhandeln. Über ein immer noch, wenn auch in die Ferne gerücktes denkbares Varus orientiertes Schlachtenszenario an anderer Stelle den frühen Stab der Unmöglichkeit zu brechen griffe genauso zu kurz, wie die statt gefundene zu schnelle Festlegung. Man muss sich also auch die Freiheit nehmen den Versuch zu wagen anderen Thesen auf den Grund zu gehen um auch dort nach möglichen Alternativen Ausschau zu halten. Und dazu gehören natürlich auch andere mögliche Ereignisstätten im Großraum NRW/Niedersachsen. In Kalkriese lassen sie sich anhand von Funden ausmachen und man stellt sie zur Diskussion. Soweit mein Plädoyer für eine offene Strategie der Forschungslandschaft die unter der einstigen Vorgehensweise etwas gelitten hat. Aber der Frust darüber, dass zu befürchten ist, dass die Funde nie für eine klärende Endaussage reichen werden wiegt mehr und scheint derzeit unübersehbar den Optimismus etwas einzudämmen. Denn einmal in Erklärungsnöte geraten sieht man gerne den Wald vor lauter Römern, pardon Bäumen nicht mehr. In diesem Abschnitt möchte ich daher das ungeliebte Kapitel der unabwägbaren Gegebenheiten, also das der Imponderabilien breiter aufschlagen um das Interesse an neuen Überlegungen und eben auch Visionen zu wecken. So war es im Ringen um die beweissicheren Argumente immer schon ein wesentlicher Bestandteil meiner Methodik und des Aufbaus dieses „Blog – Buches“ mehrere Sichtweisen die auch gegen- und wechselseitig, also in sich konträr wirken dürfen anzustrengen, um sie parallel zu bewerten, damit man sich daraus resultierend einer möglichen Lösung im Sinne einer Indizienverdichtung besser annähern kann. So ging man zum Beispiel sehr wenig bis gar nicht einer, mit der Schlacht sehr eng verbundenen Frage nach. Nämlich der, in welchem germanischen Stammesgebiet sich die Schlacht am Kalkrieser Berg überhaupt zutrug. So sollte es doch Grundpfeiler jeglicher Herangehensweise sein, sich zuerst einmal eine Vorstellung darüber zu machen, wer denn das Land überhaupt besaß und es damals besiedelt hatte, von dem alle Welt spricht, wenn von der vermeintlichen Varusschlacht am Kalkrieser Berg die Rede ist. Und man sollte folglich der Frage nachgehen, wie es auch das alte Wort „angestammt“ so schön zum Ausdruck bringt, welcher Stamm also dort sein angestammtes Hausrecht ausgeübt haben könnte. So ist es doch naturgemäß nahe liegend, dass auch diese Germanen um deren Grund und Boden es letztlich gegangen ist und auf deren Scholle sich das Gefecht vollzog, noch vor allen anderen in den Verdacht geraten müssten, auch daran beteiligt gewesen zu sein. Von den dortigen Geschehnissen gleich welcher Art sie waren, sie müssen unmittelbar davon betroffen gewesen sein, denn es berührte und beeinflusste ihre Lebensbedingungen. Und sie wären es auch gewesen, die nach römischer Denkweise das erste Opfer einer späteren Vergeltungsaktion geworden wären, da sie dem Schlachtengelände als der nächst liegende Germanenstamm anwohnten. In der Regel sollte man auch davon ausgehen, dass in Friedenszeiten und die Jahre 17 + und 18 + könnte man bereits als solche einstufen können, größere Zugbewegungen zuvor mit den ansässigen Völkern abgestimmt und sich ein Wegerecht gesichert wurde. Die römische Kavallerie imposant im Aussehen, sollte also Sondierungsritte angestrengt haben auch um den Wegezustand zu erkunden, sie dürften aber auch Kontakte zu den Anwohnern aufgenommen haben. Genau diese Dinge eben, die man damals auch von Varus erwartet hätte, die er aber wohl unterließ. Ließe sich die Varusschlacht mit dem Gefecht bei Kalkriese vergleichen, würde man sich auch hier die Frage stellen, ob man dem Lösegeldkonvoi nicht auch eine Warnung vor einer möglichen Gefahr zu kommen ließ, wie es einst auch angeblich Segestes Varus gegenüber getan haben soll. Diese Hypothese würde allerdings in einen Wust von Szenarien münden und man sollte sich nicht darin vertiefen. Ob der Lösegeldkonvoi der zu den Angrivariern unterwegs war also in ähnlicher Weise nichts ahnend in seinen Untergang zog, lässt man also tunlichst offen. Da ein Sieger keine Werte auf dem Schlachtfeld zurück lässt, kann man davon ausgehen, dass der Punktsieg von Kalkriese eindeutig an die Adresse der Germanen ging. Bei etwas veränderten Vorzeichen ließe sich hinter dem Gefecht bei Kalkriese auch der kleine Bruder der Varusschlacht erkennen, denn auch hier könnte die Reihenfolge „Überfall folgt auf Hinterhalt“ gestimmt haben. Die Niewedder Senke befand sich, da sie am nördlichen Rand des Wiehengebirges lag, im ureigenen Siedlungsgebiet der dort ansässigen „Sumpfland“ Germanen. Dort, wo diese ihre Tiere züchteten und ihre Plaggenäcker bestellten, es war eben ihr Land, dass sie sich vielleicht sogar einst erkämpften oder das sie sich von der Natur abtrotzen und urbar machen mussten. Waren es noch dazu militärische Ereignisse und als solches könnte man auch den Lösegeldtransport ansprechen, so musste auch ihre besondere Wachsamkeit geweckt worden sein. Ob es sich also um den durch ziehenden Marschzug eines feindlichen Volkes, oder um die Handlungen eines befreundetes Stammes handelte, war zunächst mal nebensächlich, denn das Gebiet hatte schon einen Eigentümer der in Kenntnis gesetzt sein und der gefragt werden wollte. Man durchstreifte grundsätzlich und zu keiner Zeit Waffen tragend, hoch zu Ross und ohne vorherige Abstimmung fremde Ländereien und darin wird man vor 2000 Jahren genauso kleinlich gewesen sein, wie heute, wo bereits Luftraumverletzungen diplomatische Verstimmung auslösen können. Es sei denn man konnte sich dank kraftstrotzender römischer Dominanz immer noch nach alter imperialer Gepflogenheit und in gewohnt überheblicher Manier darüber hinweg setzen. Moore, Bannwälder, geologische Landmarken oder Gebirgskämme waren in jener Zeit die von der Natur seit uralten Zeiten gesetzten und vor gegebenen Grenzen der Stämme untereinander. Und auch wenn ein besonders fruchtbarer Landstrich immer umkämpft war, so musste man sich doch irgendwann einmal verständigt haben um sich zu arrangieren. Aber in den Niederungen waren es die Flussläufe mit ihren weitläufigen sumpfigen Einzugsgebieten und den verzweigten Altarmen, denen die größere Bedeutung bei der Grenzregelung und Findung zu kam. Je breiter und unüberwindlicher und unzugänglicher diese Landschaften waren, um so stärker und komplexer machte sich ihre trennende Wirkung bemerkbar. Im Betrachtungsraum sind dies vor allem die Flüsse Weser und Ems mit ihren Verästelungen. Aber den beiden kleineren dazwischen liegenden und langsam fließenden Flachlandflüssen Hunte und Hase gehört unsere Aufmerksamkeit, denn auch sie dürften für die Ziehung der Stammesgrenzen mit maßgebend gewesen sein. Und wie wir wissen konnten es sogar schon kleine Bäche sein, denen eine wichtige „deilende“ Funktion zukam, so wie etwa der von Süden nach Norden fließende Deilbach nördlich von Wuppertal und der in die Ruhr entwässert. Der einst das Rheinland von Westfalen, aber auch mal Franken von Sachsen und möglicherweise auch schon Römer von Germanen trennte und heutzutage ein beliebtes Naherholungsgebiet ist. Da man den einen der beiden Flüsse, die Hunte als den westlichen Grenzfluss eines angrivarischen Siedlungsgebietes einstufen könnte, die Ems aber in diesem Abschnitt bereits zum Stammesgebiet der Ampsivarier gezählt wird, galt es die Besiedelungszonen im Winkel zwischen Hunte, Hase und Ems stammeshistorisch zu definieren. Da die Hase nur etwa acht Kilometer nordwestlich an Kalkriese vorbei fließt wird aus linguistischen Gründen angenommen, dass sich in diesem Raum einst die Wohngebiete der germanischen Chasuarier befanden und wenn genetisch nachweisbar auch heute noch deren Nachkommen. Einem Stamm dem man schon oder immer noch seinen unmittelbaren namentlichen Bezug zum Flüsschen Hase entnehmen kann. Ein germanischer Stammesname der uns auch in der Schreibweise Chasuaren, Hasuaren, Hasuarier und auf der verzerrten Karte des Claudius Ptolemäus als Casuary begegnet. Aber auch ein Name der sich in zwei Bestandteile zerlegen lässt. Dem Namensbestandteil „Warier“ begegnen wir häufiger. Es umfasst den gesamten Stamm, so wie es auch im Namen der Angrivarier oder der Ampsivarier zum Ausdruck kommt. So wurden bei der Namensfindung eines Stammes oftmals Bezüge hergestellt die sich an einen Fluß anlehnen, der durch ihr Siedlungsgebiet fließt. In etwa im Sinne von, die Leute an der Ems oder die von der Hase. Die Chasuarier der in der dortigen Region siedelnde Germanenstamm wurde wie der der Angrivarier auch nicht im Zusammenhang mit den Rachefeldzügen des Germanicus erwähnt. Auch römische Vergeltungskämpfe unter Germanicus gegen die Ampsivarier sind nicht bekannt geworden. Im Gegensatz zu den „nach varianischen“ Rachefeldzügen unter Germanicus gegen Chatten, Cherusker, Marser und Brukterer sind uns aus der Region nördlich des Kalkrieser Berges folglich keine zornigen Strafmaßnahmen des Imperiums, also Aktionen gegen die Stämme aus der Gegend um den Kalkrieser Berg dokumentiert. Als ein vereinfachtes Fazit könnte man also auch sagen, dass keine Varusschlacht am Kalkrieser Berg statt fand, da von Germanicus gegen die dortigen Stämme keine Rachefeldzüge bekannt geworden sind. Und die dortigen Stämme sind auch nicht als kriegerische Bündnispartner des Imperiums schriftlich in Erscheinung getreten. Lediglich die Episode um Arminius und den Ampsivarier Boiocalus lässt noch rätseln, wie weit die Spaltung dieses Stammes in Rom treu und Arminius treu gegangen sein könnte. Aber in diesem Zusammenhang gibt es noch einen weiteren Aspekt, auf den ich noch in einem anderen Kapitel eingehen werde. Die Siedlungsgebiete der besagten Chasuarier befanden sich also nicht in der völlig unerreichbaren Abgeschiedenheit der ausgedehnten norddeutschen Marsch- und Moorlandschaften, sondern säumten eine dort verlaufende und sicherlich häufig genutzte und sehr wichtige prähistorische Heer- und Handelsstraße und standen dadurch sozusagen unmittelbar mit dem tagesaktuellen Zivilisationsgeschehen in Verbindung. Vom einfachen Viehtrieb bis hin zum Transport von Handelsgütern als auch den Militärzügen müsste für sie das für damalige Verhältnisse quirlige Treiben ein gewohnter Anblick gewesen sein. Sie waren die Anrainer jener Verkehrsachse und betrachteten sich indirekt oder gewissermaßen vielleicht auch als die Bewacher, Herren oder Beschützer dieser bedeutsamen Lebensader, soweit sie ihr Siedlungsgebiet tangierte. Ihr Schicksal war eng damit verbunden und sie entschieden letztlich auch welchen Verlauf die Straße nahm oder nehmen sollte, konnten ihn daher auch geschickt beeinflussen, stellten aber nach Regen oder Frostphasen möglicherweise auch die Begehbarkeit wieder her und konnten diese dann aus taktischen Gründen bei Bedarf natürlich jederzeit auch behindern, also sperren und unterbrechen. Die Straße verlieh ihnen Macht und Einfluss den sie beim Warenverkehr nutzen konnten. Sie wachten als die Herrscher über den Kalkrieser Pass und diese Lage brachte sie in eine sensible aber damit verbunden auch verwundbare Position zugleich. (10.01.2020)

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Mittwoch, 1. Januar 2020
Die Demütigung von Kalkriese - Der Schlusspunkt 30 Jahre nach Drusus
Das Ereignis bei Kalkriese setzte möglicherweise ein Zeichen wie ein Fanal in die Zukunft, denn es könnte für den Beginn einer neuen Zeitrechnung gestanden haben. Ein Geschehen wie ein Resultat, dass das germanisch römische Verhältnis auf lange Zeit fest geschrieben haben könnte. In den langen Jahrzehnten danach erfahren wir nicht viel Neues, also historisch Verwertbares aus den Weiten nordöstlich des Rhein. Wir müssen auf Paterculus, Florus, Tacitus und Dio warten bis diese uns im Rückblick, zumindest auf die Varusschlacht bezogen neue Erkenntnisse verschaffen. Aber der Raum um Kalkriese verdunkelt sich wieder und es erscheint uns wie endlos bis sich die Forschung, wenn überhaupt auf schriftliche Quellen beziehen kann, die sich mit dieser Region beschäftigen. Aber nach der Varusschlacht die zur Wende führte, könnte das Gefecht bei Kalkriese den besagten Schlusspunkt gesetzt haben. Im letzten Beitrag beschrieb ich ein uns, man möge mich eines besseren belehren, bislang verborgen und unauffällig gebliebenes, aber vor allem unbeabsichtigtes Zusammenwirken zweier alter Historiker aus klassischer Zeit. Da der eine schon 23 Jahre tot war bevor der andere zur Welt kam und rund 125 Jahre zwischen ihren Geburten lagen, geraten sie nicht in den Verdacht im persönlichen Kontakt zueinander gestanden, geschweige denn sich ausgetauscht zu haben. Aber in der Summe und bei Abwägung ihrer Überlieferungen gaben sie uns nicht nur einen möglichen Hinweis auf die Ursache, die zu den Kampfhandlungen am Kalkrieser Berg führte, sondern bei Analyse der Fakten könnte man es schon fasst einen konkreten Fingerzeig nennen. Eine Denkvariante in etwa bzw. mindestens so belastbar wie die bisherigen Erklärungen die man zur Diskussion stellte. Damit verschafften sie uns indirekt auch eine neue Sicht auf das dortige Ereignis und die Dinge ließen sich in ein anderes Licht rücken. Aber dieser dadurch entstandene Blickwinkel ist nicht mehr der altgewohnte und vertraute mit dem man sich schon fasst angefreundet zu haben schien. Das uns diese beiden man muss sie schon Giganten unter den antiken römischen Historikern nennen, auf Basis ihres damaligen Wissenstandes in der Kombination betrachtet den Weg auf ein anders geartetes kriegerisches Zusammentreffen am Kalkrieser Berg aufzeigen, wirkt wie eine Auffrischung und hat angesichts der derzeit fest gefahrenen Debatte etwas elektrisierend an sich. Unerwartet erhellt es einen Pfad, den die Geschichtsforschung bislang nicht im Visier hatte, denn er verläuft nicht an jener Stelle an der die Historie es gerne gesehen hätte und wie wir es schon alle angenommen hatten. Denn bei näherer Bewertung dieser erstaunlichen und unabhängig voneinander entstandenen Hinweise müssen wir uns aus dem Betrachtungsfeld bisheriger Denkmodelle lösen und es verlangt auch etwas Mut sich auf die damit verbundenen veränderten Rahmenbedingungen einzulassen. Aber auch dies ist nicht mehr und nicht weniger als eine neue Theorie und man kann getrost auf dem Teppich bleiben. Trotzdem würde uns dies bei genauer Betrachtung zurück in eine Phase jenseits oder besser gesagt diesseits der Germanenkriege werfen, die man bislang außer acht ließ. Denn durch die neue Hypothese rücken nun urplötzlich die Jahre 17 + und 18 + in den Mittelpunkt bzw. den Vordergrund der Überlegung und da waren die Feldzüge des Germanicus bekanntlich schon ein oder zwei Jahre vorüber. Unter dem Vorbehalt meiner mit Argumenten gestützten Theorie, hätte nach den Aussagen Strabos zu urteilen Arminius auch noch im Jahr 18 + gekämpft haben können. Und auf Basis der Zeilen von Tacitus hätte auch in diesem Jahr 18 + noch der Gefangenenaustausch der Gestrandeten des Jahres 16 + angestanden haben können. Fazit dessen wäre die Schlussfolgerung, dass beide Aussagen, wenn man sie denn inhaltlich miteinander vernetzt das neuartige Szenario eines möglichen germanischen Raubüberfalls unter der Führung von Arminius auf einen römischen Lösegeld Konvoi ergeben würde und denkbar erscheinen lässt. Und dies könnte sich was geographisch sehr nahe liegend ist auch in der Niewedder Senke zugetragen haben. Ein lukrativer Wertetransport auf der einen Seite, der auf Basis einer realistischen Hochrechnung auch recht ansehnlich und umfangreich ausgefallen sein könnte und mit dem man nun beabsichtigte die gefangenen Römer aus der Gefangenschaft zurück zu kaufen. Ihn könnten gewisse germanische Stämme bereits im Auge gehabt haben, um ihn an besagter Stelle und das schon vor dem Erreichen seines Endzieles abzufangen. Es ist aber auch denkbar, dass der Gefangenenaustausch unerwartet scheiterte und nicht vereinbarungsgemäß verlief, da die Bedingungen oder Voraussetzungen dafür von einer der beiden Parteien nicht zufriedenstellend erfüllt wurden. Um es deutlich auszudrücken, man geriet sich im kritischen Moment in die Haare. Diese Kolonne marschierte folglich und so ganz gegen manche vorherrschende und lieb gewonnene Ansicht nach Osten und drang somit von Westen her in die Niewedder Senke ein, passierte bzw. stieß auf den dortigen Hellweg „Unter dem Berge“ und blickte dabei auf den südlich davon gelegenen Kalkrieser Berg. Möglich ist auch, dass man im entdeckten römischen Marschlager in der Engstelle auch eine geplante oder ungeplante Rast eingelegt hatte. Das Kampfgeschehen brach dann aber, wie es das Wort „Überfall“ trefflich zum Ausdruck bringt, für die römische Kolonne plötzlich, also überfallartig über sie herein. Und das es hier etwas zu rauben gab, dass hatte sich bereits hinlänglich herum gesprochen. Viele Varianten die ihre Eigendynamik entwickelten und die ein ursprünglich aus humanen Gründen ersonnenes, abgesprochenes und daher friedliches Aufeinandertreffen in einen Kampf ausarten ließen, was dann in einen mit Waffen ausgetragenen Konflikt führte, lassen sich ohne große Phantasie zu entwickeln ausmalen. Letztlich geriet die Lage völlig außer Kontrolle und die Ereignisse überschlugen sich. Soweit die Annahme. Es ist denkbar, dass es sich bei diesem Gefecht auf lange Sicht gesehen um die letzte größere Auseinandersetzung gehandelt haben könnte, die zwischen den beiden ungleichen Völkern statt fand. Zwei Kulturen die beide noch ihre Zeit brauchten, um sich aus ihrer einst heftigen militärischen Verstrickung, Umklammerung und Spirale der Gewalt heraus zu winden. Eine von Tiberius 16 + für viele unerwartet getroffene Entscheidung die einen Irrweg beendete, die aber auch aus der Not heraus geboren wurde, da der notwendige Nachschub aus dem Hinterland ins Stocken geriet und die Mittel fehlten bzw. die Ausgaben stiegen. Ein Krieg vom Imperium angezettelt, der einst die Völker gegeneinander aufbrachte als man in Rom noch meinte, neue Provinzgründungen auch in Germanien nach dem Vorbild Galliens im Handumdrehen umsetzen zu können. Die feindliche Gesinnung steckte um die Jahr 17 + und 18 + noch tief in den Knochen der leidtragenden Völker Germaniens und man war noch weit von der Normalität entfernt. Kalkriese war demnach auf der historischen Agenda ein Spätgeschehen, das sich aber dem Kontext nach noch den ausklingenden augusteischen bzw. tiberianischen Germanenkriegen zuordnen ließe. Ein Waffengang der sich etwa sieben Tagesmärsche gemessen vom kürzesten Abstand zum Rheinufer der damaligen römischen Reichsfeste Vetera entfernt vollzog der aber die Unberechenbarkeit jener misstrauischen Zeiten unterstrich. Und in eben diesem Jahre 18 + oder ein Jahr zuvor hätte es auch noch mal Ernst werden können, obwohl man im Imperium bereits hoffte auf politisches Tauwetter setzen zu können. Um meine Theorie noch weiter mit Inhalt zu füllen, könnte sich der besagte Marschzug im römischen Kommandozentrum Vetera/Xanten gebildet und sich von dort aus auf direktem Wege über Dingden/Römerrast nach Kalkriese in Bewegung gesetzt haben. Andererseits wissen wir aber auch, dass lange Überlandmärsche aufgrund der damaligen Wegezustände die schlechtere Alternative waren und an die technische Substanz gingen. Nach Möglichkeit Flüsse zu nutzen, war daher immer das Gebot der Stunde und man hätte sich auch unter Nutzung der vorhandenen und ausgebauten Kanäle vom Rhein zur Ems aufmachen können. Aber der vereinbarte Übergabeort gab letztlich die Zielrichtung vor und so musste man sich mit dem Lösegeld und den weiteren Tauschobjekten den Siedlungsgebieten des neu gewonnenen aber fremd gebliebenen Handelspartners auch zwangsläufig annähern. Die Stammesgebiete der Angrivarier werden je nach dem wen man befragt, oder welcher Theorie man folgen möchte in der norddeutschen Tiefebene um die Mittelweser oder im Werrekessel vermutet. Sie sollen jedoch in westlicher Richtung die Territorien der Ampsivarier eines germanischen Stammes der die Emsauen besiedelte, berührt haben. Aber bei genauem Hinsehen stoßen wir möglicherweise auf ein besseres Lagebild. Da man dem Namen nach die Ampsi- oder Amsivarier auf ein bzw. ihr Siedlungsgebiet an der Ems zurück führt und die Angrivarier als ihre östlichen Nachbarn galten, könnten die Wohnsitze der Angrivarier auch noch relativ weit nach Westen ausgegriffen haben bzw. vorgeschoben gewesen sein. Der im 2. Jahrhundert lebende Claudius Ptolemäus überliefert uns den Siedlungsraum der „Angrivary“ südlich der Chauken und westlich der Weser. Dazu passt auch noch eine Übersichtskarte aus dem Jahr 1000, aus der die Siedlungsgebiete der sächsischen Stämme nach den Sachsenkriegen hervor gehen. Bramsche - Kalkriese gehörte um diese Zeit zum Herzogtum Westfalen, aber der heutige Ort Stemwede – Drohne, obwohl er sich nur 14 Kilometer östlich von Kalkriese befindet, lag bereits im sächsischen Herzogtum Engern. Eben jenes Engern, dass sich in etwa deckungsgleich über die ehemaligen Stammesgebiete der Angrivarier gelegt haben soll. Eine detaillierte Sprachuntersuchung könnte in diesem Grenzraum vielleicht noch Aufschluss über jetzt noch existierende Dialektunterschiede geben. Denn auch heute noch verläuft eine nachvollziehbare alte Isoglosse in Nordsüdrichtung östlich von Bohmte, die dabei hilfreich sein könnte. Sie trennt den Sprachraum in einen westlichen Teil, in dem das so genannte Nord - Niedersächsische gesprochen wird und in einen östlichen Landstrich in dem das Ost - Westfälische und demnach das engrisch/angrivarische gesprochen wird. Wollte man Sprachhistorisch betrachtet im Kontrast zum Ost – Westfälischen Sprachraum auch einmal einen West – Westfälischen Sprachraum definieren, so könnte man diesen dann in die Regionen möglicherweise östlich des Rheins ins Westmünsterländische, aber sprachlich auch noch in die Gebiete westlich des Niederheins legen. West – Westfälisch würde dann demnach sowohl im linksrheinischen Klever Land als auch im rechtsrheinischen Emmerich, Rees oder Bocholt gesprochen. Dann besäße man möglicherweise auch noch einen kleinen Anhaltspunkt der darauf hindeuten könnte, wie weit das Imperium seinerzeit seine rechtsrheinischen Fühler ausgestreckt haben könnte, denn da könnte sich ebenfalls eine Sprachgrenze befunden haben. Dann wären die südlichen Bereiche des Nord Niederfränkischen Sprachraums in etwa identisch mit einem West - Westfälischen. Aber im engrischen Urdialekt östlich der Ems müssten die Sprachwurzeln des Angrivarischen verborgen liegen und wir müssten sie dort suchen und auch noch finden können. Einen sprachgeographischen Mittelpunkt für ein sich derart lang in Nordsüdrichtung erstreckendes Engern ist nicht möglich. Was in der Tat auch ein Erschwernis darstellt, um das Stammesgebiet der Angrivarier umreißen zu können. Aber auch damals fühlte man sich schon einem ethnischen weil sprachlich verbundenen Raum „zugehörig“ und identifizierte sich damit. Der römische Marschzug bewegte sich also ab Bramsche, ob er dahin nun hauptsächlich auf dem Wasser- oder dem Landweg gelangte mag dahin gestellt sein, in östlicher Richtung vor. So rückte man schon langsam und wäre dann später unvermeidbar in ein von Angrivariern, also den späteren Engern beanspruchtes Siedlungsgebiet vorgestoßen. Ein Gebiet, dass zwar nur wenige Kilometer östlich von Kalkriese begann, in dem sich aber selbst heute noch dialektisch betrachtet ein anderer Zungenschlag heraus hören lässt. Denn Angrivarien begann den Spuren der Sprachforschung folgend schon bei eben jenem Stemwede – Drohne etwa 14 Kilometer östlich von Bramsche - Kalkriese. Zwischen beiden Orten dehnten sich einst die großflächigen und heute noch in Relikten anzutreffenden Moorgebiete der Ems- und Weserstämme aus, die durch dieses Unland voneinander abgetrennt waren. Die Wohngebiete der Angrivarier erstreckten sich bis an die Hunte die ihnen als westlicher Grenz- bzw. Orientierungsfluss gedient haben könnte, was auch durch die Karte aus dem Jahr 1000 noch in etwa seine Bestätigung findet. Die Kalkrieser Region passt daher räumlich vorgelagert und streckenmäßig betrachtet gut in einen möglichen Korridor in dem sich der Gefangenenaustausch vollzogen haben könnte. Und was sollte auch einen überschaubaren römischen Marschzug anderes dazu bewogen haben können sich in eine derartige Region zu verirren, als hier auf ein Gegenüber mit ähnlich gelagerten Interessen zu stoßen. Und wollte man von Vetera aus ins Kernland der Angrivarier aufbrechen, so bot sich ihnen als die beste Alternative von Westen her anrückend, auch immer nur die Route nördlich des „Kalcrisi“ an, wie man den Berg in althochdeutscher Sprache genannt haben könnte. Denn der direkte Landweg von Xanten über die Dörenther Klippen und durch Engter nach Kalkriese wird seinerzeit nicht karrentauglich gewesen sein. Nach der Überlieferung von Tacitus waren die Angrivarier erst kurz zuvor von den Römern vermutlich für ihre „Untaten“ die sie im Jahre 16 + begangen hatten, begnadigt worden. Man kann annehmen, dass dies eine Grundvoraussetzung für die Zusammenarbeit war. Es beruhte auf den gegenseitigen Interessen, also nach dem Methode „eine Hand wäscht die andere“. Denn es war eine Vertrauensbasis zu schaffen, da man mit einem soeben noch verfeindeten Germanenstamm kein Geschäft hätte abwickeln können. So werden die einst gegnerischen Angrivarier auch nicht über Nacht zu romtreuen Vasallen konvertiert, dürften aber einer „Vermittlungsprovision“ gegenüber nicht abgeneigt gewesen sein. Hier trafen und hier mussten sich zwei Parteien im gegenseitigen Einvernehmen in der Mitte getroffen haben. Man muss kein Prophet sein um nicht auch spekulieren zu können, dass dies möglicherweise auch zum Missfallen anderer germanischer Stämme geschah, die in diesen Handel nicht eingebunden waren. Ihnen blieb somit der Profit verwehrt und ihr Interesse wuchs die Pläne durchkreuzen zu wollen. Der Wertetransport zu den Angrivariern tangierte zuvor zwangsläufig auch die Siedlungsgebiete diverser anderer germanischer Anrainerstämme wie möglicherweise die der Ampsivarier oder Brukterer. Vielleicht aber auch noch anderer kriegsbedingter „zerpflückter“ Reststämme, die aus den Zwangsdeportationen oder den innergermanischen Konflikten und Zwistigkeiten zwischen Rhein und Ems hervorgingen und hier eine neue Bleibe fanden. Und möglicherweise könnten auch noch andere Völker wie die immer noch starken Cherusker nicht davon erbaut gewesen sein, dass man sich annäherte und die Angrivarier nun mit anderen germanischen Nordstämmen kooperierten. Eine ungute Phalanx, die sich da für die Cherusker hätte auftun können. Möglicherweise könnten sich diese neuen Entwicklungen und vielleicht sogar zukünftige Allianzen auch für andere östliche Stämme bis in den Elbraum hinein als bedrohlich erweisen, denn man konnte sich nicht sichern sein, dass sich daraus nicht auch eine längere Zusammenarbeit ergab, die letztlich ihre Territorien bedrohen könnte. Denn eine römische Kriegsflotte wieder aufzurüsten bei gleichzeitiger Begnadigung eines germanischen Stammes und zudem noch einer Kooperation mit diesem zum Zwecke des Gefangenenaustausches, also einer vorsichtigen Annäherung klingt verdächtig und lässt an einem ernsthaften und dauerhaften römischen Friedenswillen zweifeln. Denn bekanntlich waren römische Verträge nie ein Akt der Sympathie, sondern nur ein begrenztes Zweckbündnis um eigene Interessen zu wahren und möglicherweise auch um alte Hegemonieansprüche neu entstehen zu lassen. Also eine höchst anrüchige Sache, die da im Gange zu sein schien, folglich ein Geschäft, dass den Argwohn so mancher Germanenstämme geweckt haben könnte und möglicherweise auch den des Arminius, der ja bekanntlich immer noch kämpfen musste wie uns Strabo sagte. Zumal in dieser Zeit auch niemand wusste wie lange sich Kaiser Tiberius an seinen Waffenstillstand gebunden fühlte. Es war eine Zeit, in der die Glut des Krieges noch lange nicht ausgetreten war und eine Zeit in der man sich in Germanien besann den Begriff eigener Bündnispoltik zu buchstabieren um ihn neu zu definieren. Übersehen wir hier auch nicht die Generationsverschiebungen wie ich es schon an anderer Stelle anklingen ließ. Denn es drängten kampfesmutige junge Männer nach die an den Germanicusschlachten und erst recht der Varusschlacht noch nicht nicht teilgenommen hatten, aber nun zeigen wollten was in ihnen steckte. Eine geomilitärische Lage die unter vielen Historikern auch berechtigterweise die Vermutung aufkommen ließ, Arminius wollte sich aus eben jenen Gründen zum Germanenkönig aufschwingen um gegenüber dem Imperium ein stärkeres Gegengewicht aufzubauen und eine gesteigerte Wehrhaftigkeit in die Waagschale legen zu können , was dann zu seiner Ermordung geführt haben könnte. Übrigens möglicherweise ein Ansinnen mit Langzeitwirkung. Denn noch im Jahre 919 beugte ein Mann einer derartigen Gefahr im Sinne einer Wiederholungstat bzw. Duplizität vor. Denn es ließ den Sachsenherzog und späteren König Heinrich den Ersten bei dem ähnlichen Gedanken erschaudern und er verzichtete vielleicht auch aus der Erinnerung seiner Vorväter und der Mentalität seiner Stammesgenossen heraus in Fritzlar auf die Königssalbung sowie die Königskrönung. Seinen weisen und ablehnenden Worten lässt es sich entnehmen. Aber die alten Germanen östlich des Rhein gab es immer noch. Sie waren allerdings unter Heinrich dem Ersten nun die neuen alten Germanen. Denn sie besannen sich ihrer alten eigentlichen Stammesnamen und sie mieden die ihnen einst von fremden Völkern auferlegte Sammelbezeichnung Germanoi, Germanos oder Germani mit der sie sich noch nie identifizierten oder verwendeten. Folgerichtig nannten sich wieder so oder immer noch wie sie es gewohnt waren nämlich Sachsen und Engern. Wobei allerdings die Geschichte für die Westfalen, Falen und Ostfalen Namenshistorisch betrachtet eine andere Entstehungsgeschichte vorsah auf die ich noch eingehen möchte. Keine Frage also, dass der Überfall auf die lukrative Fracht auch eine gute Gelegenheit bot die Fronten zu klären, sodass hier noch mal Arminius seine bewährten Strategien anwenden konnte um auf diesem Wege und vielleicht sogar gegen die Interessen der Angrivarier gerichtet wieder an der Vergeltungsspirale zu drehen auch um alte Rechnungen zu begleichen. Bündnisse und politische Ränke zu schmieden hatte er gelernt. Bei Bedarf Zwist und Argwohn zu sähen und zu nutzen gehörte mit dazu. Bei positiven Verlauf hätte es für Rom zum Testfall werden können, ob sich in Germanien Signale zeigten, worauf sich neue Bündnisse aufbauen ließen. Nach dem Motto, was damals mit den Cheruskern nicht gelang, geht vielleicht im zweiten Anlauf mit den Angrivariern. Aber im Inferno von Kalkriese wurde alles wieder zunichte gemacht, der Funken erlosch fürs Erste und die Zeit wurde auf Gefriertemperatur zurück gestellt. Das Experiment war zu Ende. Vergessen wir auch nicht, das Silius nach seinem massiven aber unbefriedigenden Vorstoß im Herbst 16 + immer noch Ambitionen verspürt haben könnte bei Tiberius zu erreichen, dass dieser seine Anordnungen widerrief, denn auch Tacitus äußerte sich was dies anbelangt später kritisch über den Befehl von Kaiser Tiberius. Ein erfolgreicher Geschäftsabschluss mit den Angrivariern hätte also allemal dazu beitragen können, dass man in Rom neu nachgedacht haben könnte. Vielleicht hätte man sogar einen neuen mutigen Schritt nach vorne ins Auge fassen können in dem man gemeinsam mit den Angrivariern die Weser kontrollieren bzw, sie als neue Ostgrenze ins Visier nehmen könnte. Man kann sich vorstellen, dass die wertvolle Auslösung wie auch immer sie sich zusammen gesetzt haben könnte, zuerst an einer zuvor vereinbarten Stelle den Angrivariern übergeben werden sollte. Diese dann im Gegenzug die Garantie für die Weitergabe zu den anderen Stämmen übernahmen und in dieser Phase die Gefangenenübergabe statt finden sollte, oder man die Schiffbrüchigen im Grenzgebiet ihrer Fesseln entledigte und sie frei setzte. Bei diesem Austausch hätten tunlichst auch Gesandte der Stämme anwesend sein müssen, die bis dato im Besitz der Gefangenen waren und die ein Interesse daran haben mussten, direkt in den Genuss des zugesprochenen Anteils zu kommen. Aber man kann sich auch noch etwas anderes vorstellen. Denn wie es historisch dokumentiert ist, waren unsere Vorfahren mehr für ihr doppelzüngiges Verhalten und weniger für Zuverlässigkeit und Vertragstreue berüchtigt. In Kalkriese hätten also auch ganz andere germanische Konstellationen, Bündnisse oder Zweckgemeinschaften nach den Werten, die man ihnen auf den Präsentierteller legte Zugriff nehmen können. Es kommt aber auch noch ein weiterer Gesichtspunkt hinzu der bei der bisherigen Debatte um die Schlacht bei Kalkriese erstaunlicherweise wenig Beachtung und Einfühlungsvermögen fand. Ein Begleitaspekt auf den ich im nächsten Abschnitt eingehen möchte (01.01.2020)

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Mittwoch, 18. Dezember 2019
Tacitus und Strabo - Was wussten sie von „Kalkriese“ ?
Das Aufstellen von Theorien ist oft mit wenigen Federstrichen oder Gedanken getan. Das Überprüfen kann zum mühsamen Geschäft werden und der angestrebte Konsens kann lange auf sich warten lassen. Was trug sich zu am Kalkrieser Berg und wann trug es sich zu. Zwei wie in Stein gemeißelte Kernfragen innerhalb einer schon seit rund 500 Jahren andauernden und schier endlos erscheinenden Diskussion um die legendäre Varusschlacht, die zeitweise zur Tragikomödie ausufert. Aber auf dem Weg zurück in die literarischen Urzeiten stößt man unweigerlich auf zwei namhafte Geschichtsschreiber. Hoch angesehene und ehrwürdige Persönlichkeiten die uns in der Forschung immer schon Pate standen und die uns so manches auf ihre „absunderliche“ Weise erzählen konnten. Beide versorgten sie uns schon mit vielen nützlichen Hinweisen. Und bei tieferer Betrachtung und vergleichender Analyse entdecken wir darunter sogar Informationen die uns dabei helfen könnten, unseren Blick einmal in eine andere und dazu noch in eine völlig neue Richtung zu lenken. Und sie taten dies wie so oft auf die typisch minimalistische Art jener Zeit. Ganz so, als wäre es für sie selbstverständlich, dass jeder Leser bereits wusste, was sie damit zum Ausdruck bringen wollten. Sie schrieben zeitlich unabhängig voneinander und der Ältere wusste nichts vom Jüngeren. Eine scheinbare Zusammenhanglosigkeit ihrer Überlieferungen versperrte uns bislang den Blick auf die Gemeinsamkeiten. An der Glaubhaftigkeit ihrer Worte zweifelt indes kaum jemand und so bedurfte es nur eines Funken und schon hätte die Übereinstimmung ins Auge fallen müssen. Der eine war der Römer Publius Cornelius Tacitus und der andere der Grieche Strabo. Und wer hätte gedacht, dass sie uns möglicherweise gemeinsam einmal eine Lösung für diese beiden Fragen anbieten könnten. Denn ihre Aussagen beweisen, dass es natürlich auch noch andere Erklärungen für die Hintergründe der Auseinandersetzung im Nadelöhr südlich von Barenau geben könnte. Eine übrigens sensible Örtlichkeit an der sich nicht umsonst eine alte Wasserburg befand, die dort schon im Mittelalter existierte und von wo aus einst eine Völkerstraße kontrolliert wurde, die bereits aus vorgermanischer Zeit stammte und die man den „Hellweg unter dem Berge“ nannte. Vielfach tendieren die Ansichten dahin, dass sich die dort statt gefundenen Kämpfe auch aus einer kritischen Distanz heraus betrachtet nur mit mancherlei Verrenkungen mit der Varusschlacht in Verbindung bringen lassen. Und auch ein Zusammentreffen, dass sich dort aus dem puren Zufall heraus ergab, muss es nicht gewesen sein. Brüchig gewordene historische Fundamente die zu Erklärungsnotständen führten lenkten die Forschung zuletzt auf die Feldzüge und Schlachten unter Germanicus. Aber den Quellen nach zu urteilen fanden diese im heutigen NRW und Niedersachsen, nur in Wesernähe, in Ostwestfalen und der westfälischen Bucht statt. Der historischen Rekonstruktion zufolge kämpfte Germanicus noch am Weitesten westlich, als er 14 + auf dem Rückzug zum Rhein nach seiner unrühmlichen Tat gegen die Marser noch mal von den Stämmen, allerdings von diesen erfolglos attackiert wurde. Einem Kampfplatz bei Kalkriese im Rahmen dieser Großschlachten sollte man daher kritisch gegenüber stehen. Zumal auch die dort befindlichen geographischen Besonderheiten einem Angreifer eine völlig andere Kampfphilosophie aufzwingen. So erschwerten dort im Gefahrenfall ausgedehnte vermoorte und daher unberechenbare Sumpflandschaften und flache Gewässer rückwärts gerichtete Flucht- und Rückzugbewegungen in nahezu alle nördlichen Richtungen. Eine Region in der sich ohne das genaue Wissen um die dort verlegten Bohlenwege jegliche militärische Taktik erübrigte. Also ein Gelände, dass sich nur auf den ersten Blick für eine größere ausgreifende Schlacht eignet, denn eine derart amorphe Gegend ist sowohl für Freund als auch Feind nicht einschätzbar. Darin, dass es dort zu keinem militärischen Großereignis kam mag man sich auch mit einigen vor Ort tätigen Berufshistorikern einig sein, obwohl die Schlagwörter „Pontes Longi“ immer noch durch die Fachwelt geistern. Dafür bietet die Niewedder Senke aber andere und auch strategische Vorteile, von denen man auch in Rom wusste, denn sonst hätte man dort nicht mittendrin ein Marschlager errichtet. Das Wasserschloss Alt Barenau könnte man in der Tradition dieses römischen Lagers sehen. Die Senke vor dem Kalkrieser Berg befindet sich an der Südseite der norddeutschen Bucht, einer von den Eiszeiten geprägten geologischen Randlage. Die Region erlaubt kaum taktische Manöver ohne Gefahr zu laufen selbst vom Gegner abgedrängt oder eingekreist zu werden. Und ortsfremde Germanen konnten die Tücken die ihnen ein Moor bescherte genauso wenig einschätzen wie der Feind. Im Resümee könnte man festhalten, dass sich Kalkriese zu weit nordwestlich befand und nur über die geographische Ausstattung verfügte um es für kleinere Gefechte interessant zu machen. Auf den Punkt gebracht umringt Kalkriese eine Landschaft, die es mit einer anderen und von der Natur besonders begünstigten Region nicht aufnehmen kann. Denn einen gut zu verteidigenden und in Nordsüdrichtung verlaufenden Gebirgsquerriegel bot den Germanen nur der schroffe Eggekamm, die nachfolgende Wesersperre und das bewaldete Hinterland. Und auch die fehlenden Strukturen wie sie die zahlreichen südniedersächsischen Kleingebirge bieten, vermisst man östlich von Bramsche. Folglich eine strategisch eher ungünstige Region in der man keine Schlachten schlägt und in die sich insbesondere wegen der römischen Übermacht in den Jahren zwischen 14 + und 16 + auch keine germanischen Stämme zu einer großen Schlacht zusammen gefunden oder vorgewagt hätten. Und erst recht nicht im Sommer des Jahres 16 + als eine gewaltige Streitmacht unter Germanicus einen taktischen Rückzug in Form einer Absetzbewegung vollzog oder vollziehen musste, die man sich nicht erklären kann. Denn die Armee des Germanicus war um diese Zeit noch gigantisch, weil ihnen die verheerende Flutkatastrophe noch bevor stand. Man verfügte also als man die Senke passierte noch über eine erhebliche Anzahl kampffähiger Legionäre. Unter Beweis gestellt wird diese Faktenlage noch im Herbst des gleichen Jahres. Denn die Germanicus immer noch verbliebene immense Kampfkraft wird durch die Tatsache bestätigt, dass Silius noch im Herbst 16 + mit 30.000 Männern plus 3.000 Reiterlegionären die Chatten angreifen konnte und Germanicus mit seinen Legionen parallel dazu auch noch die Marser heim suchen konnte. Ein koordinierter zangenartiger Herbstfeldzug zweier Heeresgruppen der hinsichtlich seiner Kampfkraft in etwa der des preussischen Generals Blücher vor Waterloo entsprach und das war 1800 Jahre später. Auch die Vorstöße dieser beiden Armeesäulen verliefen damals für Rom unbefriedigend. Die Chatten wichen wieder aus und die Marser leisteten nur wenig Widerstand, flohen also ebenfalls rechtzeitig. Das weite Hinterland bot ihnen dazu die Gelegenheit und ließ die römische Armee wie die später fälschlicherweise Wehrmacht genannte Angriffsmacht in den 1940 er Jahren in Russland ins Leere laufen. Lediglich ein Adler aus der Varusschlacht ließ sich zurück holen. Bei diesem kräftemäßigen Missverhältnis hätte sich im Sommer 16 + sicherlich keine germanische Streitmacht mehr gewagt Germanicus auf seinem Rückweg, der vermutlich ebenfalls über Kalkriese verlief anzugreifen. Man könnte die Region um Bramsche in jener Zeit auch noch als römisches Einflussgebiet einstufen, sodass sich die Einheiten am Vorposten Kalkriese, der einzigen begehbaren Zuwegung oberhalb der Mittelgebirge nach Innergermanien dort immer noch relativ sicher fühlen konnten. Aber wenn bei Kalkriese kein Varus Suizid beging und auch ein Germanicus dort nicht seine zehn Augurenstäbe verlor, bleibt eigentlich kein historisches Ereignis übrig, das sich auf diese Region übertragen ließe. Aber halt, denn da gab es doch noch eine Begebenheit, wenn man sich nicht zu weit aus der Varus - Germanicus Ära entfernen möchte. In den voraus gegangenen Abschnitten bezog ich mich auf eine nachdenklich stimmende und fragwürdige Äußerung von Strabo. Er überlieferte uns, dass Arminius selbst noch nach dem glorreichen Triumphzug, den man für Germanicus im Mai des Jahres 17 + ausgerichtet hatte, immer noch kämpfen würde. Das er dies nicht noch in dem Jahr des Triumphzuges nieder schrieb, sondern es erst ein Jahr später im Jahr 18 + tat, begründete ich mit unserem Wissenstand, dass uns für das Jahre 17 + unter Gaius Silius keine römisch germanischen Schlachten überliefert sind in denen Arminius hätte kämpfen können oder müssen. Aber man hätte uns andererseits auch das eine oder andere Gefecht des Jahres 17 + verschweigen können. Im Jahre 18 + finden wir jedoch eine neue Lage in Germanien vor, die der Analyse bedarf. Auf den bekannten Haudegen General Aulus Caecina Severus, dem Mann der für Germanicus 15 + den Weg zum Varusschlachtfeld begehbar machen musste und der danach noch in einen Hinterhalt geriet, folgte im Jahre 21 + der relativ unbekannte Legat Gaius Visellius Varro. Sollte Aulus Caecina Severus noch bis 21 + Legat in Niedergermanien gewesen sein was strittig ist, denn die Annahmen sehen ihn in dieser Position nur bis 16 +, so war Aulus Caecina Severus neben Gaius Silius der für Obergermanien zuständig war, noch lange der zweite Mann und Befehlshaber in Niedergermanien. Beide hätten für die germanische Front verantwortlich gezeichnet und sie haben auch gemeinsam den Flottenaufbau um diese Jahre voran getrieben. Ein Flottenaufbau der uns aufgrund der Zerstörungen für die Jahre 17 bzw. 18 + in logischer Konsequenz überliefert wurde, der aber sicherlich nicht mit der kriegsbedingten gewaltigen Aufrüstungsleistung des Jahres 16 + zu vergleichen war. Aber eben das Jahr 17 + oder 18 + könnte auch noch von einem anderen Ereignis überschattet gewesen sein. Denn in diesem Jahr hätte es zum viel zitierten Gefecht am Kalkrieser Berg kommen können. Gründe die man im zuvor aufgenommenen Schiffbau sehen kann, die sich aber auch aus einem Grenzkonflikt heraus hätten ergeben können. Aber ein Kampf, der sich bei tieferer Einlese ins Thema weder Varus noch Germanicus zuordnen lässt. Ein Gefecht, dass sich dafür aber umso besser in das Gesamtbild des Oberbefehlshabers und Moderators Gaius Silius einfügen lässt vor allem aber, wenn man die Überlieferungen von Strabo und Tacitus mit in die Betrachtung einbezieht. Aber von vorne. So ist uns von Tacitus überliefert, dass bedingt durch den schweren Sturm im „Hochsommer“ des Jahres 16 + an der norddeutschen Küste als Germanicus den unerklärbar frühen Rückzug an den Rhein antrat römische Schiffe samt ihrer Besatzung sogar bis Britannien abgetrieben wurden. Die dortigen Kleinkönige, vermutlich von den küstennahen keltischen Stämmen der Cantiaci oder Trinovanten nahmen sie auf und gaben sie später wieder frei. Aber ohne das uns hier etwas von Lösegeldzahlungen bekannt geworden ist bzw. von ihnen eine Gegenleistung gefordert wurde. Andere Legionäre mögen in diesem Unwetter in die norddeutsche Bucht und dort ins kritische Wattenmeer abgetrieben worden sein. Bei welchen im Küstenbereich siedelnden germanischen Stämme und Sippen die Legionäre in germanische Gefangenschaft gerieten ist nicht bekannt. Chauken oder Friesen, aber auch die von Ptolemäus schon erwähnten Saxones könnten es gewesen sein. Was wir aber wissen ist, dass diese Gefangenen auf Ansinnen Roms, wie es uns Tacitus überlieferte frei gekauft wurden, also den Römern möglicherweise vorher zum Kauf angeboten wurden. Was nun allgemein verwundert ist der Hinweis, dass dieser Freikauf ausgerechnet unter Vermittlung der Angrivarier, den einstigen Kriegsgegnern erfolgte. Tacitus überlieferte es uns in lateinischer Sprache mit den Worten, „......multos Angrivarii nuper in fidem accepti redemptos ab interioribus reddidere“. Aber warum bediente sich Rom ausgerechnet der Angrivarier. Aus plausiblen Erwägungen heraus, kann man annehmen, dass das Imperium keine Kontakte zu jenen verstreut lebenden germanischen Küstenstämmen unterhielt, wo man die Schiffbrüchigen verwahrte. Die Angrivarier besiedelten aber bekanntlich eine Region, die sich zwischen der Küste erstreckte und die bis in die östlichen Einflussgebiete des Imperiums reichte, wobei man die Hunte als den westlichen Grenzfluss ihres Territoriums ansprechen könnte. Die Wohngebiete der Angrivarier umfassten demnach die Landmassen zwischen Küste und Wiehengebirge und schlossen diese Siedlungslücke womit sie sich als natürlicher Verhandlungspartner anboten. Verkürzt ausgedrückt kann man auch sagen, ohne sie lief nichts. Es ist weiterhin vorstellbar, dass den Angrivariern auch deswegen eine Schlüsselfunktion zufiel, da sich bei Ihnen auch noch römische Legionäre befunden haben könnten, die im Zuge der Kämpfe am Angrivarierdamm in ihre Hände fielen. Es waren also möglicherweise unter den frei zu kaufenden nicht nur Schiffbrüchige, sondern auch Legionäre des Jahres 16 +. Damit ließe sich zusätzlich begründen, warum man die Germanen aus dem Stamm der Angrivarier in die Freikaufverhandlungen mit einbezog bzw. sie mit der Koordination beauftragte. Denn es ist erstaunlich, dass in diesem Zusammenhang, immer voraus gesetzt Tacitus hat die Angrivarier nicht mit den Ampsivariern verwechselt, man für die Vermittlung um den Austausch zwischen dem Imperium und den „Norddeutschen“ Stämmen zustande zu bringen die germanischen Angrivarier um Hilfe gebeten hat. Immerhin ein Stamm mit dem man noch unlängst im Jahre 16 + in heftigen Auseinandersetzungen lag, den man aber zwischenzeitlich auf wundersame Weise „begnadigt“ hatte. Es wurde und es musste mit dem Ziel die Schiffbruch erlittenen oder gefangen genommenen Römer frei zu bekommen folglich auch eine Gegenleistung erbracht werden. Tacitus nennt uns dafür das Wort „redemptos“ abgeleitet vom Verb „redimere“ für zurück kaufen oder los kaufen. Unter Lösegeld stellt man sich natürlich zuvorderst eine Münzzahlung vor. Es könnte aber auch zu Gegenleistungen an die Germanen in anderer Art und Ausführung gekommen sein, denn Germanen verwendeten kein Geld. Auch Werte und Dinge, wie wir sie uns heute nicht mehr so recht vorstellen können. Güter wie etwa Werkzeuge für den Alltagsbedarf, Gebrauchsmaterial, folglich Gegenstände, woraus diese auch immer bestanden haben mögen, könnten für die Germanen mehr Bedeutung gehabt haben und man könnte sie den Germanen im Austausch angeboten haben. Ob diese Angebotspalette letztlich von ihnen akzeptiert wurde, wäre eine andere Frage. Ebenso schwebt über allem die große Ungewissheit wie man diesen Menschenhandel zwischen einem vermeintlichem Rechtsstaat und einem prähistorischen Volk angegangen und abgewickelt haben könnte, wenn man zudem erschwerend noch einen anderen Stamm dazwischen schalten musste. Aber auch dafür wird es eine Lösung gegeben haben. Unsere Phantasie dürfte allerdings nicht ausreichen und schnell an gewisse Grenzen stoßen, will man sich vorstellen, wie es abgelaufen sein könnte. Denn die „vermittelnden“ Agrivarier sahen sich nun „unvermittelt“ zwischen den Fronten und Blaupausen wie unsere Vorfahren derartiges einfädelten liegen nicht vor. Da es aber für alle drei Parteien eine „win win Situation“ war, wird man einen Weg gefunden haben, denn alle wollten auf ihre Weise profitieren. Die zur Disposition stehenden und auf ihre Freiheit wartenden Legionäre darben bis zu ihrem Freikauf günstigenfalls neben dem Kuhstall in verrußten nach Fisch riechenden und feuchten germanischen Langhäusern, bevor sie wieder in die ersehnte Zivilisation zurück durften. Den Gegenwert für sie wird man nach langem hin und her ausgehandelt haben und sie traten in Fesseln ihren Marsch in den Süden an. So stand ihnen ein tagelanger Marschzug mit manchen Unterbrechungen ins Ungewisse und bei wechselndem Bewachungspersonal bis zum vereinbarten Übergabeort bevor. Es könnte so gewesen sein, wobei wir auch nicht wissen, ob sie dort auch jemals eingetroffen sind. Über die Höhe der Summe, also die Art der Währung und den Umfang kann man nur spekulieren. Denn dies hängt von der Kopfstärke und dem Rang der Verirrten, aber auch von den Wünschen und Begehrlichkeiten der beteiligten germanischen Stämme ab. Aber der nötige Gegenwert für die frei zu kaufenden Legionäre könnte schon erheblich gewesen sein, vor allem wenn zu den Schiffbrüchigen noch gefangene Römer der letzten Schlacht an der Weser hinzu kamen. Waren zudem noch ein oder mehrere bedeutende Abkömmlinge aus betuchtem römischen Adel darunter, dürfte allemal ein erklecklicher Betrag zusammen gekommen sein, der sich auf die beteiligten germanischen Stämme verteilte. Aber woher stammte das ausgehandelte Lösegeld oder kamen mögliche anderweitige Tauschobjekte hinzu und wer finanzierte alles noch dazu auf Basis der „Vorauskasse“. Da es nicht von den Legionskassen der rheinischen Kastelle herrührte, musste es wie in jener Zeit üblich von den reichen Familienangehörigen aufgebracht werden und wohl weniger von der Staatskasse. Für nicht so begüterte und einfache Legionäre wird das Schicksal einen anderen Weg gefunden haben. Aber das für den Freikauf nötige Lösegeld hatte wiederum seine eigene Herkunftsgeschichte. Denn man wird es aufgrund der Höhe nicht mit laufenden Einnahmen, also dem Münzgut der Zeit bestritten haben können. So entnahm man es möglicherweise in trister Stimmung so mancher altehrwürdigen Truhe. Und einige schon lange gehortete Ersparnisse des römischen Adels traten nun ihren Weg nach Germanien an. Münzen die man dort vielleicht schon seit Generationen aufbewahrt hatte und von denen man sich jetzt schmerzlich trennen musste. Münzen deren Prägezeit daher schon sehr lange zurück gelegen haben könnte und aus Zeiten stammte, als Rom großer Reichtum aus erfolgreichen römischen Kriegen, so zum Beispiel gegen das Seleukidenreich zufloss. Denn man grub bei Kalkriese bekanntlich Münzen aus, die in dieser Zeit geprägt wurden, genau genommen soll es im Jahre 180 – gewesen sein. Und es ist schwer vorstellbar, dass man die damals fasst 190 Jahre alten römischen Münzen als ein normales und alltägliches Zahlungsmittel verwendete bzw. sie in Umlauf waren. Denn dann wären sie zu abgegriffen für eine aktuelle zeitliche Zuordnung gewesen. Wertvolles Metall, dass aus siegreichen römischen Schlachten unterlegener Völker stammte und das eingeschmolzen in den Münzen des Imperiums weiter lebte. Es ist sogar theoretisch möglich, dass in diesen Menschenhandel auch noch Römer aus der Varusschlacht mit einbezogen worden sein könnten, denn auch diese Schlacht lag noch nicht weit zurück. Varuslegionäre die man später unter Kaiser Tiberius und unter dem Deckmantel einer Germanicus Schlacht sicherlich auch nach Italien einreisen ließ, denn wir kennen ja die Vorgeschichte dazu. Aber das von Tacitus in sehr knappen Worten geschilderte Verfahren „Lösegeld gegen Gefangene“ war typisch für all die wenigen Überlieferungen jener Zeit, die sich uns erst beim zweiten Blick erschließen und enträtselt werden können. Damals funktionierte noch kein „online Banking“ und bevor man die Auslösung auf den Weg bringen konnte, verstrichen die Monate und ging viel Zeit für die nötigen Verhandlungen ins Land. Verhandlungen die jahreszeitlich bedingt ruhten, dann wieder aufgenommen wurden, scheitern konnten und zu wieder neuen Anläufen führten. Denn derartiges ließ sich damals nicht über Nacht einfädeln. All dies spricht für einen Gefangenenaustausch, der sehr verzögert statt gefunden haben muss und sich sogar noch bis in den Herbst 18 + hingezogen haben könnte. Überliefert ist, dass die römischen Soldaten aus weiten Entfernungen den Weg zurück zum Rhein anzutreten hatten, denn Tacitus schrieb, dass je abgeschlagener die Region war, um so phantasiereicher deren spätere Erzählungen ausfielen. Kamen sie aus Britannien hatten sie in der Tat wohl eine aufregende und nicht unerhebliche Strecke auch über den Ärmelkanal hinter sich bringen müssen. Von ihnen konnten also allemal die interessanten Berichte gestammt haben. Was aber die von der germanischen Küste oder vom norddeutschen Binnenland Freigekauften anbelangt, so mussten zuerst einmal die Nachrichten, dass es überhaupt noch Überlebende am Rand des Wattenmeeres oder wo auch immer gab aus diesen peripheren Regionen die römische Kastelle erreicht haben. Man kann also rekapitulieren, dass die Verhandlungen erst danach aufgenommen werden konnten und erst dann konnte auch der geeignete Zahlungsmodus und das Volumen ausgehandelt werden. Sollten also tatsächlich Sprösslinge aus Rom oder anderen und gar noch weiter südlich gelegenen italienischen oder gallischen Provinzen darunter gewesen sein, so galt es auch noch mit den dortigen Familien in Kontakt zu treten. Es war also von beiden Seiten ein logistischer vor allem aber ein diplomatischer Kraftakt nötig. Denn nicht nur geographische Hindernisse wie die Alpen waren zu überwinden, sondern auch über Regionen, Provinzen und Feindesgrenzen hinweg mussten Verbindungen geknüpft bzw. hergestellt werden. Ein aufwändiges Verfahren an dem die Stämme die im Besitz der Schiffbrüchigen waren, aber auch die Angrivarier und manch anderer beteiligt war. Was uns da von Tacitus also recht kurz und bündig mitgeteilt wurde, liest sich in einer realistischen Darstellung weit aus umfänglicher. Denn bevor man die Angrivarier als Vermittler gewinnen konnte, waren auch mit diesen noch diverse Verhandlungen nötig, denn ohne Rückversicherung mit den römischen Unterhändlern tätigte man auch keine Gefangenenfreikäufe mit anderen Germanenstämmen, man ging also sicherlich nicht in Vorleistung. Also ein recht umfangreiches Prozedere, dass gerade deswegen viele versteckte und offene Mitwisser auf den Plan rief. Offensichtlich war es nicht nur Silius wichtig, die Männer wieder aus den germanischen Hütten zurück zu holen, sondern auch dem Reich war es der Aufwand und die Umstände wert gewesen. Aber vor allem natürlich den jeweiligen Familien, die den Gegenwert auf den Tisch legen mussten. Gaius Silius übte eine lenkende Herrschaft aus und sah sich gegenüber beiden germanischen Provinzen verpflichtet. So lässt es sich bei Tacitus heraus hören. Ungeachtet dessen zeigt sich bei ihm aufgrund der Chattenkriege die er von Mainz aus an ging, dass sein Schwerpunkt in Obergermanien lag. Gaius Silius könnte in Abstimmung mit Aulus Caecina Severus den Gefangenenaustausch eingefädelt haben. Der Terminologie folgend hätte es etwa ein oder zwei Jahre nach dem Schlachtenjahr 16 + im Jahr 17 + oder 18 + dazu gekommen sein können. Und jene Stelle, wo man den Tausch „Lösegeld gegen Gefangene“ vollziehen wollte, könnte auch der Ort gewesen sein wo viele Historiker der Überzeugung sind, dass dort auch Varus vorbei gekommen sein könnte. Im nächsten Abschnitt möchte ich versuchen die Begegnung der Unterhändler auch punktuell zu fixieren. Die Schnittstelle wo der Breitengrad 52.413872 auf den Längengrad 8.098746 trifft, nämlich das alte römische Wachlager am Oberesch. (18.12.2019)

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