Mittwoch, 18. Dezember 2019
Tacitus und Strabo - Was wussten sie von „Kalkriese“ ?
Das Aufstellen von Theorien ist oft mit wenigen Federstrichen oder Gedanken getan. Das Überprüfen kann zum mühsamen Geschäft werden und der angestrebte Konsens kann lange auf sich warten lassen. Was trug sich zu am Kalkrieser Berg und wann trug es sich zu. Zwei wie in Stein gemeißelte Kernfragen innerhalb einer schon seit rund 500 Jahren andauernden und schier endlos erscheinenden Diskussion um die legendäre Varusschlacht, die zeitweise zur Tragikomödie ausufert. Aber auf dem Weg zurück in die literarischen Urzeiten stößt man unweigerlich auf zwei namhafte Geschichtsschreiber. Hoch angesehene und ehrwürdige Persönlichkeiten die uns in der Forschung immer schon Pate standen und die uns so manches auf ihre „absunderliche“ Weise erzählen konnten. Beide versorgten sie uns schon mit vielen nützlichen Hinweisen. Und bei tieferer Betrachtung und vergleichender Analyse entdecken wir darunter sogar Informationen die uns dabei helfen könnten, unseren Blick einmal in eine andere und dazu noch in eine völlig neue Richtung zu lenken. Und sie taten dies wie so oft auf die typisch minimalistische Art jener Zeit. Ganz so, als wäre es für sie selbstverständlich, dass jeder Leser bereits wusste, was sie damit zum Ausdruck bringen wollten. Sie schrieben zeitlich unabhängig voneinander und der Ältere wusste nichts vom Jüngeren. Eine scheinbare Zusammenhanglosigkeit ihrer Überlieferungen versperrte uns bislang den Blick auf die Gemeinsamkeiten. An der Glaubhaftigkeit ihrer Worte zweifelt indes kaum jemand und so bedurfte es nur eines Funken und schon hätte die Übereinstimmung ins Auge fallen müssen. Der eine war der Römer Publius Cornelius Tacitus und der andere der Grieche Strabo. Und wer hätte gedacht, dass sie uns möglicherweise gemeinsam einmal eine Lösung für diese beiden Fragen anbieten könnten. Denn ihre Aussagen beweisen, dass es natürlich auch noch andere Erklärungen für die Hintergründe der Auseinandersetzung im Nadelöhr südlich von Barenau geben könnte. Eine übrigens sensible Örtlichkeit an der sich nicht umsonst eine alte Wasserburg befand, die dort schon im Mittelalter existierte und von wo aus einst eine Völkerstraße kontrolliert wurde, die bereits aus vorgermanischer Zeit stammte und die man den „Hellweg unter dem Berge“ nannte. Vielfach tendieren die Ansichten dahin, dass sich die dort statt gefundenen Kämpfe auch aus einer kritischen Distanz heraus betrachtet nur mit mancherlei Verrenkungen mit der Varusschlacht in Verbindung bringen lassen. Und auch ein Zusammentreffen, dass sich dort aus dem puren Zufall heraus ergab, muss es nicht gewesen sein. Brüchig gewordene historische Fundamente die zu Erklärungsnotständen führten lenkten die Forschung zuletzt auf die Feldzüge und Schlachten unter Germanicus. Aber den Quellen nach zu urteilen fanden diese im heutigen NRW und Niedersachsen, nur in Wesernähe, in Ostwestfalen und der westfälischen Bucht statt. Der historischen Rekonstruktion zufolge kämpfte Germanicus noch am Weitesten westlich, als er 14 + auf dem Rückzug zum Rhein nach seiner unrühmlichen Tat gegen die Marser noch mal von den Stämmen, allerdings von diesen erfolglos attackiert wurde. Einem Kampfplatz bei Kalkriese im Rahmen dieser Großschlachten sollte man daher kritisch gegenüber stehen. Zumal auch die dort befindlichen geographischen Besonderheiten einem Angreifer eine völlig andere Kampfphilosophie aufzwingen. So erschwerten dort im Gefahrenfall ausgedehnte vermoorte und daher unberechenbare Sumpflandschaften und flache Gewässer rückwärts gerichtete Flucht- und Rückzugbewegungen in nahezu alle nördlichen Richtungen. Eine Region in der sich ohne das genaue Wissen um die dort verlegten Bohlenwege jegliche militärische Taktik erübrigte. Also ein Gelände, dass sich nur auf den ersten Blick für eine größere ausgreifende Schlacht eignet, denn eine derart amorphe Gegend ist sowohl für Freund als auch Feind nicht einschätzbar. Darin, dass es dort zu keinem militärischen Großereignis kam mag man sich auch mit einigen vor Ort tätigen Berufshistorikern einig sein, obwohl die Schlagwörter „Pontes Longi“ immer noch durch die Fachwelt geistern. Dafür bietet die Niewedder Senke aber andere und auch strategische Vorteile, von denen man auch in Rom wusste, denn sonst hätte man dort nicht mittendrin ein Marschlager errichtet. Das Wasserschloss Alt Barenau könnte man in der Tradition dieses römischen Lagers sehen. Die Senke vor dem Kalkrieser Berg befindet sich an der Südseite der norddeutschen Bucht, einer von den Eiszeiten geprägten geologischen Randlage. Die Region erlaubt kaum taktische Manöver ohne Gefahr zu laufen selbst vom Gegner abgedrängt oder eingekreist zu werden. Und ortsfremde Germanen konnten die Tücken die ihnen ein Moor bescherte genauso wenig einschätzen wie der Feind. Im Resümee könnte man festhalten, dass sich Kalkriese zu weit nordwestlich befand und nur über die geographische Ausstattung verfügte um es für kleinere Gefechte interessant zu machen. Auf den Punkt gebracht umringt Kalkriese eine Landschaft, die es mit einer anderen und von der Natur besonders begünstigten Region nicht aufnehmen kann. Denn einen gut zu verteidigenden und in Nordsüdrichtung verlaufenden Gebirgsquerriegel bot den Germanen nur der schroffe Eggekamm, die nachfolgende Wesersperre und das bewaldete Hinterland. Und auch die fehlenden Strukturen wie sie die zahlreichen südniedersächsischen Kleingebirge bieten, vermisst man östlich von Bramsche. Folglich eine strategisch eher ungünstige Region in der man keine Schlachten schlägt und in die sich insbesondere wegen der römischen Übermacht in den Jahren zwischen 14 + und 16 + auch keine germanischen Stämme zu einer großen Schlacht zusammen gefunden oder vorgewagt hätten. Und erst recht nicht im Sommer des Jahres 16 + als eine gewaltige Streitmacht unter Germanicus einen taktischen Rückzug in Form einer Absetzbewegung vollzog oder vollziehen musste, die man sich nicht erklären kann. Denn die Armee des Germanicus war um diese Zeit noch gigantisch, weil ihnen die verheerende Flutkatastrophe noch bevor stand. Man verfügte also als man die Senke passierte noch über eine erhebliche Anzahl kampffähiger Legionäre. Unter Beweis gestellt wird diese Faktenlage noch im Herbst des gleichen Jahres. Denn die Germanicus immer noch verbliebene immense Kampfkraft wird durch die Tatsache bestätigt, dass Silius noch im Herbst 16 + mit 30.000 Männern plus 3.000 Reiterlegionären die Chatten angreifen konnte und Germanicus mit seinen Legionen parallel dazu auch noch die Marser heim suchen konnte. Ein koordinierter zangenartiger Herbstfeldzug zweier Heeresgruppen der hinsichtlich seiner Kampfkraft in etwa der des preussischen Generals Blücher vor Waterloo entsprach und das war 1800 Jahre später. Auch die Vorstöße dieser beiden Armeesäulen verliefen damals für Rom unbefriedigend. Die Chatten wichen wieder aus und die Marser leisteten nur wenig Widerstand, flohen also ebenfalls rechtzeitig. Das weite Hinterland bot ihnen dazu die Gelegenheit und ließ die römische Armee wie die später fälschlicherweise Wehrmacht genannte Angriffsmacht in den 1940 er Jahren in Russland ins Leere laufen. Lediglich ein Adler aus der Varusschlacht ließ sich zurück holen. Bei diesem kräftemäßigen Missverhältnis hätte sich im Sommer 16 + sicherlich keine germanische Streitmacht mehr gewagt Germanicus auf seinem Rückweg, der vermutlich ebenfalls über Kalkriese verlief anzugreifen. Man könnte die Region um Bramsche in jener Zeit auch noch als römisches Einflussgebiet einstufen, sodass sich die Einheiten am Vorposten Kalkriese, der einzigen begehbaren Zuwegung oberhalb der Mittelgebirge nach Innergermanien dort immer noch relativ sicher fühlen konnten. Aber wenn bei Kalkriese kein Varus Suizid beging und auch ein Germanicus dort nicht seine zehn Augurenstäbe verlor, bleibt eigentlich kein historisches Ereignis übrig, das sich auf diese Region übertragen ließe. Aber halt, denn da gab es doch noch eine Begebenheit, wenn man sich nicht zu weit aus der Varus - Germanicus Ära entfernen möchte. In den voraus gegangenen Abschnitten bezog ich mich auf eine nachdenklich stimmende und fragwürdige Äußerung von Strabo. Er überlieferte uns, dass Arminius selbst noch nach dem glorreichen Triumphzug, den man für Germanicus im Mai des Jahres 17 + ausgerichtet hatte, immer noch kämpfen würde. Das er dies nicht noch in dem Jahr des Triumphzuges nieder schrieb, sondern es erst ein Jahr später im Jahr 18 + tat, begründete ich mit unserem Wissenstand, dass uns für das Jahre 17 + unter Gaius Silius keine römisch germanischen Schlachten überliefert sind in denen Arminius hätte kämpfen können oder müssen. Aber man hätte uns andererseits auch das eine oder andere Gefecht des Jahres 17 + verschweigen können. Im Jahre 18 + finden wir jedoch eine neue Lage in Germanien vor, die der Analyse bedarf. Auf den bekannten Haudegen General Aulus Caecina Severus, dem Mann der für Germanicus 15 + den Weg zum Varusschlachtfeld begehbar machen musste und der danach noch in einen Hinterhalt geriet, folgte im Jahre 21 + der relativ unbekannte Legat Gaius Visellius Varro. Sollte Aulus Caecina Severus noch bis 21 + Legat in Niedergermanien gewesen sein was strittig ist, denn die Annahmen sehen ihn in dieser Position nur bis 16 +, so war Aulus Caecina Severus neben Gaius Silius der für Obergermanien zuständig war, noch lange der zweite Mann und Befehlshaber in Niedergermanien. Beide hätten für die germanische Front verantwortlich gezeichnet und sie haben auch gemeinsam den Flottenaufbau um diese Jahre voran getrieben. Ein Flottenaufbau der uns aufgrund der Zerstörungen für die Jahre 17 bzw. 18 + in logischer Konsequenz überliefert wurde, der aber sicherlich nicht mit der kriegsbedingten gewaltigen Aufrüstungsleistung des Jahres 16 + zu vergleichen war. Aber eben das Jahr 17 + oder 18 + könnte auch noch von einem anderen Ereignis überschattet gewesen sein. Denn in diesem Jahr hätte es zum viel zitierten Gefecht am Kalkrieser Berg kommen können. Gründe die man im zuvor aufgenommenen Schiffbau sehen kann, die sich aber auch aus einem Grenzkonflikt heraus hätten ergeben können. Aber ein Kampf, der sich bei tieferer Einlese ins Thema weder Varus noch Germanicus zuordnen lässt. Ein Gefecht, dass sich dafür aber umso besser in das Gesamtbild des Oberbefehlshabers und Moderators Gaius Silius einfügen lässt vor allem aber, wenn man die Überlieferungen von Strabo und Tacitus mit in die Betrachtung einbezieht. Aber von vorne. So ist uns von Tacitus überliefert, dass bedingt durch den schweren Sturm im „Hochsommer“ des Jahres 16 + an der norddeutschen Küste als Germanicus den unerklärbar frühen Rückzug an den Rhein antrat römische Schiffe samt ihrer Besatzung sogar bis Britannien abgetrieben wurden. Die dortigen Kleinkönige, vermutlich von den küstennahen keltischen Stämmen der Cantiaci oder Trinovanten nahmen sie auf und gaben sie später wieder frei. Aber ohne das uns hier etwas von Lösegeldzahlungen bekannt geworden ist bzw. von ihnen eine Gegenleistung gefordert wurde. Andere Legionäre mögen in diesem Unwetter in die norddeutsche Bucht und dort ins kritische Wattenmeer abgetrieben worden sein. Bei welchen im Küstenbereich siedelnden germanischen Stämme und Sippen die Legionäre in germanische Gefangenschaft gerieten ist nicht bekannt. Chauken oder Friesen, aber auch die von Ptolemäus schon erwähnten Saxones könnten es gewesen sein. Was wir aber wissen ist, dass diese Gefangenen auf Ansinnen Roms, wie es uns Tacitus überlieferte frei gekauft wurden, also den Römern möglicherweise vorher zum Kauf angeboten wurden. Was nun allgemein verwundert ist der Hinweis, dass dieser Freikauf ausgerechnet unter Vermittlung der Angrivarier, den einstigen Kriegsgegnern erfolgte. Tacitus überlieferte es uns in lateinischer Sprache mit den Worten, „......multos Angrivarii nuper in fidem accepti redemptos ab interioribus reddidere“. Aber warum bediente sich Rom ausgerechnet der Angrivarier. Aus plausiblen Erwägungen heraus, kann man annehmen, dass das Imperium keine Kontakte zu jenen verstreut lebenden germanischen Küstenstämmen unterhielt, wo man die Schiffbrüchigen verwahrte. Die Angrivarier besiedelten aber bekanntlich eine Region, die sich zwischen der Küste erstreckte und die bis in die östlichen Einflussgebiete des Imperiums reichte, wobei man die Hunte als den westlichen Grenzfluss ihres Territoriums ansprechen könnte. Die Wohngebiete der Angrivarier umfassten demnach die Landmassen zwischen Küste und Wiehengebirge und schlossen diese Siedlungslücke womit sie sich als natürlicher Verhandlungspartner anboten. Verkürzt ausgedrückt kann man auch sagen, ohne sie lief nichts. Es ist weiterhin vorstellbar, dass den Angrivariern auch deswegen eine Schlüsselfunktion zufiel, da sich bei Ihnen auch noch römische Legionäre befunden haben könnten, die im Zuge der Kämpfe am Angrivarierdamm in ihre Hände fielen. Es waren also möglicherweise unter den frei zu kaufenden nicht nur Schiffbrüchige, sondern auch Legionäre des Jahres 16 +. Damit ließe sich zusätzlich begründen, warum man die Germanen aus dem Stamm der Angrivarier in die Freikaufverhandlungen mit einbezog bzw. sie mit der Koordination beauftragte. Denn es ist erstaunlich, dass in diesem Zusammenhang, immer voraus gesetzt Tacitus hat die Angrivarier nicht mit den Ampsivariern verwechselt, man für die Vermittlung um den Austausch zwischen dem Imperium und den „Norddeutschen“ Stämmen zustande zu bringen die germanischen Angrivarier um Hilfe gebeten hat. Immerhin ein Stamm mit dem man noch unlängst im Jahre 16 + in heftigen Auseinandersetzungen lag, den man aber zwischenzeitlich auf wundersame Weise „begnadigt“ hatte. Es wurde und es musste mit dem Ziel die Schiffbruch erlittenen oder gefangen genommenen Römer frei zu bekommen folglich auch eine Gegenleistung erbracht werden. Tacitus nennt uns dafür das Wort „redemptos“ abgeleitet vom Verb „redimere“ für zurück kaufen oder los kaufen. Unter Lösegeld stellt man sich natürlich zuvorderst eine Münzzahlung vor. Es könnte aber auch zu Gegenleistungen an die Germanen in anderer Art und Ausführung gekommen sein, denn Germanen verwendeten kein Geld. Auch Werte und Dinge, wie wir sie uns heute nicht mehr so recht vorstellen können. Güter wie etwa Werkzeuge für den Alltagsbedarf, Gebrauchsmaterial, folglich Gegenstände, woraus diese auch immer bestanden haben mögen, könnten für die Germanen mehr Bedeutung gehabt haben und man könnte sie den Germanen im Austausch angeboten haben. Ob diese Angebotspalette letztlich von ihnen akzeptiert wurde, wäre eine andere Frage. Ebenso schwebt über allem die große Ungewissheit wie man diesen Menschenhandel zwischen einem vermeintlichem Rechtsstaat und einem prähistorischen Volk angegangen und abgewickelt haben könnte, wenn man zudem erschwerend noch einen anderen Stamm dazwischen schalten musste. Aber auch dafür wird es eine Lösung gegeben haben. Unsere Phantasie dürfte allerdings nicht ausreichen und schnell an gewisse Grenzen stoßen, will man sich vorstellen, wie es abgelaufen sein könnte. Denn die „vermittelnden“ Agrivarier sahen sich nun „unvermittelt“ zwischen den Fronten und Blaupausen wie unsere Vorfahren derartiges einfädelten liegen nicht vor. Da es aber für alle drei Parteien eine „win win Situation“ war, wird man einen Weg gefunden haben, denn alle wollten auf ihre Weise profitieren. Die zur Disposition stehenden und auf ihre Freiheit wartenden Legionäre darben bis zu ihrem Freikauf günstigenfalls neben dem Kuhstall in verrußten nach Fisch riechenden und feuchten germanischen Langhäusern, bevor sie wieder in die ersehnte Zivilisation zurück durften. Den Gegenwert für sie wird man nach langem hin und her ausgehandelt haben und sie traten in Fesseln ihren Marsch in den Süden an. So stand ihnen ein tagelanger Marschzug mit manchen Unterbrechungen ins Ungewisse und bei wechselndem Bewachungspersonal bis zum vereinbarten Übergabeort bevor. Es könnte so gewesen sein, wobei wir auch nicht wissen, ob sie dort auch jemals eingetroffen sind. Über die Höhe der Summe, also die Art der Währung und den Umfang kann man nur spekulieren. Denn dies hängt von der Kopfstärke und dem Rang der Verirrten, aber auch von den Wünschen und Begehrlichkeiten der beteiligten germanischen Stämme ab. Aber der nötige Gegenwert für die frei zu kaufenden Legionäre könnte schon erheblich gewesen sein, vor allem wenn zu den Schiffbrüchigen noch gefangene Römer der letzten Schlacht an der Weser hinzu kamen. Waren zudem noch ein oder mehrere bedeutende Abkömmlinge aus betuchtem römischen Adel darunter, dürfte allemal ein erklecklicher Betrag zusammen gekommen sein, der sich auf die beteiligten germanischen Stämme verteilte. Aber woher stammte das ausgehandelte Lösegeld oder kamen mögliche anderweitige Tauschobjekte hinzu und wer finanzierte alles noch dazu auf Basis der „Vorauskasse“. Da es nicht von den Legionskassen der rheinischen Kastelle herrührte, musste es wie in jener Zeit üblich von den reichen Familienangehörigen aufgebracht werden und wohl weniger von der Staatskasse. Für nicht so begüterte und einfache Legionäre wird das Schicksal einen anderen Weg gefunden haben. Aber das für den Freikauf nötige Lösegeld hatte wiederum seine eigene Herkunftsgeschichte. Denn man wird es aufgrund der Höhe nicht mit laufenden Einnahmen, also dem Münzgut der Zeit bestritten haben können. So entnahm man es möglicherweise in trister Stimmung so mancher altehrwürdigen Truhe. Und einige schon lange gehortete Ersparnisse des römischen Adels traten nun ihren Weg nach Germanien an. Münzen die man dort vielleicht schon seit Generationen aufbewahrt hatte und von denen man sich jetzt schmerzlich trennen musste. Münzen deren Prägezeit daher schon sehr lange zurück gelegen haben könnte und aus Zeiten stammte, als Rom großer Reichtum aus erfolgreichen römischen Kriegen, so zum Beispiel gegen das Seleukidenreich zufloss. Denn man grub bei Kalkriese bekanntlich Münzen aus, die in dieser Zeit geprägt wurden, genau genommen soll es im Jahre 180 – gewesen sein. Und es ist schwer vorstellbar, dass man die damals fasst 190 Jahre alten römischen Münzen als ein normales und alltägliches Zahlungsmittel verwendete bzw. sie in Umlauf waren. Denn dann wären sie zu abgegriffen für eine aktuelle zeitliche Zuordnung gewesen. Wertvolles Metall, dass aus siegreichen römischen Schlachten unterlegener Völker stammte und das eingeschmolzen in den Münzen des Imperiums weiter lebte. Es ist sogar theoretisch möglich, dass in diesen Menschenhandel auch noch Römer aus der Varusschlacht mit einbezogen worden sein könnten, denn auch diese Schlacht lag noch nicht weit zurück. Varuslegionäre die man später unter Kaiser Tiberius und unter dem Deckmantel einer Germanicus Schlacht sicherlich auch nach Italien einreisen ließ, denn wir kennen ja die Vorgeschichte dazu. Aber das von Tacitus in sehr knappen Worten geschilderte Verfahren „Lösegeld gegen Gefangene“ war typisch für all die wenigen Überlieferungen jener Zeit, die sich uns erst beim zweiten Blick erschließen und enträtselt werden können. Damals funktionierte noch kein „online Banking“ und bevor man die Auslösung auf den Weg bringen konnte, verstrichen die Monate und ging viel Zeit für die nötigen Verhandlungen ins Land. Verhandlungen die jahreszeitlich bedingt ruhten, dann wieder aufgenommen wurden, scheitern konnten und zu wieder neuen Anläufen führten. Denn derartiges ließ sich damals nicht über Nacht einfädeln. All dies spricht für einen Gefangenenaustausch, der sehr verzögert statt gefunden haben muss und sich sogar noch bis in den Herbst 18 + hingezogen haben könnte. Überliefert ist, dass die römischen Soldaten aus weiten Entfernungen den Weg zurück zum Rhein anzutreten hatten, denn Tacitus schrieb, dass je abgeschlagener die Region war, um so phantasiereicher deren spätere Erzählungen ausfielen. Kamen sie aus Britannien hatten sie in der Tat wohl eine aufregende und nicht unerhebliche Strecke auch über den Ärmelkanal hinter sich bringen müssen. Von ihnen konnten also allemal die interessanten Berichte gestammt haben. Was aber die von der germanischen Küste oder vom norddeutschen Binnenland Freigekauften anbelangt, so mussten zuerst einmal die Nachrichten, dass es überhaupt noch Überlebende am Rand des Wattenmeeres oder wo auch immer gab aus diesen peripheren Regionen die römische Kastelle erreicht haben. Man kann also rekapitulieren, dass die Verhandlungen erst danach aufgenommen werden konnten und erst dann konnte auch der geeignete Zahlungsmodus und das Volumen ausgehandelt werden. Sollten also tatsächlich Sprösslinge aus Rom oder anderen und gar noch weiter südlich gelegenen italienischen oder gallischen Provinzen darunter gewesen sein, so galt es auch noch mit den dortigen Familien in Kontakt zu treten. Es war also von beiden Seiten ein logistischer vor allem aber ein diplomatischer Kraftakt nötig. Denn nicht nur geographische Hindernisse wie die Alpen waren zu überwinden, sondern auch über Regionen, Provinzen und Feindesgrenzen hinweg mussten Verbindungen geknüpft bzw. hergestellt werden. Ein aufwändiges Verfahren an dem die Stämme die im Besitz der Schiffbrüchigen waren, aber auch die Angrivarier und manch anderer beteiligt war. Was uns da von Tacitus also recht kurz und bündig mitgeteilt wurde, liest sich in einer realistischen Darstellung weit aus umfänglicher. Denn bevor man die Angrivarier als Vermittler gewinnen konnte, waren auch mit diesen noch diverse Verhandlungen nötig, denn ohne Rückversicherung mit den römischen Unterhändlern tätigte man auch keine Gefangenenfreikäufe mit anderen Germanenstämmen, man ging also sicherlich nicht in Vorleistung. Also ein recht umfangreiches Prozedere, dass gerade deswegen viele versteckte und offene Mitwisser auf den Plan rief. Offensichtlich war es nicht nur Silius wichtig, die Männer wieder aus den germanischen Hütten zurück zu holen, sondern auch dem Reich war es der Aufwand und die Umstände wert gewesen. Aber vor allem natürlich den jeweiligen Familien, die den Gegenwert auf den Tisch legen mussten. Gaius Silius übte eine lenkende Herrschaft aus und sah sich gegenüber beiden germanischen Provinzen verpflichtet. So lässt es sich bei Tacitus heraus hören. Ungeachtet dessen zeigt sich bei ihm aufgrund der Chattenkriege die er von Mainz aus an ging, dass sein Schwerpunkt in Obergermanien lag. Gaius Silius könnte in Abstimmung mit Aulus Caecina Severus den Gefangenenaustausch eingefädelt haben. Der Terminologie folgend hätte es etwa ein oder zwei Jahre nach dem Schlachtenjahr 16 + im Jahr 17 + oder 18 + dazu gekommen sein können. Und jene Stelle, wo man den Tausch „Lösegeld gegen Gefangene“ vollziehen wollte, könnte auch der Ort gewesen sein wo viele Historiker der Überzeugung sind, dass dort auch Varus vorbei gekommen sein könnte. Im nächsten Abschnitt möchte ich versuchen die Begegnung der Unterhändler auch punktuell zu fixieren. Die Schnittstelle wo der Breitengrad 52.413872 auf den Längengrad 8.098746 trifft, nämlich das alte römische Wachlager am Oberesch. (18.12.2019)