Freitag, 13. November 2020
Velleius Paterculus - Der Mann im Hintergrund der Varusschlacht
Sie werden sich erinnern, Segestes der wandelnde Alptraum deutscher Frühgeschichte, der uns immer noch auf Schritt und Tritt verfolgt, wenn wir an diese Zeiten denken. Aber in diesem und im nächsten Abschnitt soll Paterculus nochmal die Hauptrolle einnehmen. Denn die Analyse seiner Niederschrift könnte uns nicht nur einen Einblick in den Verlauf der Varusschlacht geben. Sie kann uns auch dabei helfen den Verdacht zu erhärten, dass Segestes den Verrat nur erfand. So wird uns Segestes auch in diesem Kapitel nicht ganz aus seinen Klauen entlassen. Diese scheinbar untote Unperson schlechthin die möglicherweise auch noch in so mancher Sage ein verdecktes Weiterleben führt, drängt sich immer wieder ins Zentrum der Ursachenforschung. So fragt man sich, wie er es damals in Rom angestellt haben könnte, den auf ihn lauernden Gefahren und Fallstricken zu entrinnen. Er muss ziemlich talentiert gewesen sein und über die nötigen Showqualitäten verfügt haben, denn anders ist das Ergebnis kaum vorstellbar. Alles nur zum Schein und zur Wahrung seiner persönlichen Interessen sozusagen „in Zeiten schwerer See“ vorzugeben muss bühnenreif gewesen sein. Es gelang ihm offensichtlich in Rom eine perfekte und überzeugende Show seiner Loyalität abzuliefern, womit es ihm gelang seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Sicherlich wirkte es sich positiv aus, dass Kaiser Tiberius sich dem nicht entgegen stellte. So steht der Mensch Segestes wie man ihn sich vorstellt vor uns schon fasst wie ein Hologramm. Er führte ein bewegtes Leben, das viele Facetten der Theatralik kannte und man sieht ihn förmlich wie er in Rom auftrat und wie er sich dort verhielt. So könnte er sich auch den Stil eines geschickten Selbstdarstellers zugelegt haben, wofür es in Westfalen eine treffende Bezeichnung gibt. Denn für einen Menschen dieses Schlages hat man im Jargon einen speziellen Namen. Man könnte ihn mit dem Begriff „Schautermann“ charakterisieren. Ein Wort hart an der Grenze zum Schimpfwort. Und zwar da, wo so langsam der Spaß endet. Ein Schautermann war kein Dummer und keineswegs ein Narr, aber er übertrieb es, blähte sich, trug dick auf, war anfänglich noch unterhaltsam, machte sich aber schnell unbeliebt. Man ging einem solchen Mann möglichst aus dem Weg. Er gab Wissen vor und man wünschte sich derartige Leute nicht in seiner Nähe. Nach dem Motto mehr Schein als Sein zwang man ihn in die Lage sich in Rom gut verkaufen zu müssen. Denn er lief immer Gefahr wegen seiner Flucht aus Germanien verspottet zu werden und unglaubwürdig zu wirken. Und er wurde seiner Rolle gerecht. Eben ein Schautermann bis zuletzt, ein Angeber oder Aufschneider wie er sich vor dem römischen Volk und den ihn Befragenden mit dem Brustton der Überzeugung zur Schau stellte. Das Wort Schautermann oder Blender trifft es gut, die Bezeichnung ist alt und heute noch im Bergischen Land bis nach Ostwestfalen in Gebrauch. Allerdings nennt man den Schautermann im ostwestfälischen Raum um Paderborn und Brakel nicht Schautermann sondern Schautemann. Etymologisch könnte es sich im übertragenen Sinne aus dem altsächsischen „skauwon“, dem altengischen „sceawian“, vom niederländischen „schowen“, bzw. dem althochdeutschen „scowon“ für anschauen bzw. von zeigen und darstellen ableiten lassen. Obwohl es auch andere Deutungsversuche gibt. Segestes ist in Rom als Schauspieler bzw. Showman in eigener Sache unterwegs gewesen und hat dort seine eigene Show veranstaltet und sich erfolgreich zur Schau gestellt. Der geborene Schautermann, dem man in Rom alles glauben wollte, dem man aber in Westfalen schon kein Bier mehr ausgegeben hätte und um den es an der Theke schnell einsam geworden wäre. Vielleicht tut man ihm mit dieser Beschreibung auch unrecht, aber vieles spricht dafür. Aber zurück zu Paterculus. Die zeitliche Nähe in der er zum Varus Ereignis stand macht seine Überlieferung zu etwas Besonderem. Eine Konkurrenz zu parallel schreibenden römischen Zeitgenossen hatte er nicht zu fürchten, besser gesagt sind uns bis auf Strabo keine bekannt geworden. Strabo der 23 + verstarb und er, der bei seinem Tod 42 Jahre alt war, könnten sich gekannt haben. Man geht davon aus, dass Paterculus wie auch Strabo den Triumphzug für Germanicus im Jahre 17 + mit erlebte. Aber er berichtete nicht darüber. Man sollte daher annehmen, dass Paterculus mindestens den selben Kenntnisstand über den Triumphzug und das damit verbundene Geschehen besaß wie Strabo, der darüber berichtete. Und Paterculus könnte daher auch die germanischen Stammesnamen, von denen Angehörige im Zug in Ketten mit geführt wurden gekannt haben und ebenso dürften ihm die ehrwürdigen Germanen die auf der Tribüne saßen nicht nur namentlich, sondern auch persönlich bekannt gewesen sein. Und wenn Segestes der Mann war, der wie kein anderer über das Insiderwissen aus Germanien verfügte, so war Paterculus sein Pendant auf römischer Seite. Seinen gesellschaftlichen Aufstieg verdankt Paterculus wie es in der Antike häufig anzutreffen ist einer langen militärisch geprägten Familientradition. Sein Großvater war der Adjutant eines Befehlshabers, sein Vater war ebenfalls Offizier und er selbst stand in der Funktion eines Militärtribun im gehobenen Dienst. Er wurde in den Germanenkriegen zum Reiterpräfekten ernannt und diente bzw. kämpfte acht Jahre unter Tiberius in Krisenregionen wie in Pannonien und Germanien. Aber nicht nur das, er war später sogar Legat und damit ein mit umfangreichen Vollmachten ausgestatteter Kommandeur. Und somit auch ein Vertreter des römischen Kaisers in den Grenzprovinzen. Im Falle einer zivilen Laufbahn könnte man ihn schon fasst als einen Gouverneur oder auch Statthalter ansprechen. Ein Mann der sich einiges heraus nehmen durfte, solange er mit der höchsten Instanz dem Kaiser nicht in Widerspruch geriet und das wurde an keiner Stelle erkennbar. Es musste also in die Zeit gepasst haben, dass er sich was allgemein als unschicklich galt gestatten durfte, einem ehemaligen Feldherrn und Statthalter des Imperiums wie Varus es war sogar noch nach seinem Tod Versagen vorwerfen zu können. Paterculus der viele Wochen, Monate und sogar Jahre an der Seite von Tiberius ritt, der mit ihm am Immensum Bellum teilnahm und später auch mit ihm in Pannonien kämpfte, dürfte auch beratenden Einfluss auf ihn und daher einen Anteil am einseitig von Tiberius verfügten Waffenstillstand im Herbst 16 + gehabt haben. Vor Paterculus konnte man nicht viel Geheim halten, denn er hatte seinen Platz in der Mitte des Staatsapparates. So spricht die Faktenlage vielleicht sogar dafür, dass neben Sejan vielleicht auch er selbst an den Gesprächen mit Segestes teilgenommen haben könnte. Segestes könnte ihm auch schon seit der Zeit persönlich bekannt gewesen sein, als im Jahre 5 + der große germanische Krieg, der Immensum Bellum zu Ende ging. So begegneten sich im Jahre 17 + in Rom möglicherweise zwei alte Bekannte wieder. Ob man sie alte Freunde nennen darf, würde der puren Spekulation entspringen. Paterculus könnte man daher guten Gewissens unterstellen, dass er die großen Zusammenhänge gekannt haben muss, soweit sie über die Schlacht nach Rom durchgedrungen sind. Es lässt sich einigen zum Teil tief ins Detail gehenden Ausführungen entnehmen, dass er auch über manche Ereignisse informiert war, die sich auf den unmittelbaren Hergang der Varusschlacht bezogen. Gäbe es da nicht noch eine andere Sichtweise, so sind Zweifel erlaubt, ob sein Kenntnisstand wirklich so gut war wie man annehmen könnte. Betrachtet man nämlich das, was Beatus Rhenanus von ihm 1515 in die Hände fiel, so kommt es uns in der Summe doch recht mager vor. Der Recherche nach hat Paterculus seinen Bericht vor der Hinrichtung des Prätorianerpräfekten Sejan verfasst, als sich dieser noch auf dem Höhepunkt seiner Macht befunden haben soll. Paterculus muss es also nicht unmittelbar vor Sejans Tod nieder geschrieben haben. So kann man zwar den Zeitpunkt seiner Aufzeichnungen auch noch eine unbestimmbare Zeit zurück datieren. Es lässt sich daraus aber auch noch etwas anderes schlussfolgern. Denn das von ihm nieder Geschriebene bezogen auf die Varusschlacht könnte sogar noch älteren Datums gewesen sein. Vereinfacht ausgedrückt, schrieb er es zwar Ende der 2o er Jahre nieder, aber sein Wissen über die Varusschlacht könnte er sich auch schon beispielsweise in den Jahren zwischen 17 + und 20 + zugelegt haben, es eben nur später nieder geschrieben haben. Insgesamt lässt sich anhand seiner Zeilen resümieren, dass das was er Ende der 20 er Jahre zu Beginn des 1. Jahrtausends zu Papier brachte inhaltlich etwas enttäuschend ausfiel. Denn nach alledem, was sich über ihn rekonstruieren lässt sollte man annehmen, dass selbst eine Kurzfassung aus seiner Hand schon umfangreicher hätte ausfallen müssen. Aber man darf ihm zugute halten, dass er nur wenige Aspekte hervor hob, denn er hatte uns entsprechend der Textstelle 119.(1) ein umfassendes Werk über den Schlachtverlauf angekündigt. Er wollte also zu einem späteren Zeitpunkt ausführlicher werden. Sicher ist, dass Paterculus um 30 + noch lebte und er in dieser Zeit um die 50 Jahre alt gewesen sein müsste, also auch nicht mehr der Jüngste war. Man darf also rätseln wann er beabsichtigte sein Hauptwerk anzugehen. Merkwürdig erscheint jedoch, dass Paterculus wenn man den „Varus Teil“ seiner „Historia Romana“ in der Zusammenfassung betrachtet verhältnismäßig wenig über die eigentliche Schlacht zu berichten wusste. Zumal immerhin bis zu dem Zeitpunkt als er es nieder schrieb immerhin etwa 2o Jahre verstrichen sind. Eine lange Zeit in der er schon hätte mehr über die Schlacht erfahren haben müssen, als er uns hinterließ. Oder hatte er nur das fest gehalten, was er in seiner Vorabfassung für elementar bedeutsam und wesentlich hielt. Möglicherweise war ihm vieles andere nicht wichtig. Oder sollte man sogar annehmen müssen, dass Paterculus über die Schlacht gar nicht mehr wusste als das, was er verschriftete. War sein Wissenstand selbst 2o Jahre nach der Varusschlacht noch so mager, dass es für ihn nicht mehr zu berichten gab. Möglicherweise begann er sein Hauptwerk in diesem Alter auch gar nicht mehr, da es ihm nicht gelang weitere Erkenntnisse über den Schlachtenverlauf in Erfahrung zu bringen. Oder unterließ er es aus anderen Gründen. Vielleicht wollte er wegen der Staatsraison dieses traurige Kapitel gar nicht mehr vertiefen. Denn auch nach 20 Jahren war alles noch recht frisch, manche Teilnehmer könnten noch gelebt haben. Sie hätten vielleicht auch Einspruch erheben, oder sogar für Varus eine Lanze brechen können und wer wollte von diesem Drama alles noch schwarz auf weiß nach lesen wollen und alte Wunden aufreißen. Die mysteriösen Senatsakten wird er gekannt haben, er könnte aber auch ihren Inhalt verschwiegen haben und ließ nur das wenige zu, was auch im Sinne seines Kaisers war und er interpretierte es so, wie er es für richtig hielt. Hätte er es sich anders überlegt könnte es sich so angehört haben, wie es Cassius Dio rund 200 Jahre später formulierte. Aber er verzichtete darauf den einst so stolzen Legionen noch eine historische Grabrede nach zu rufen und wollte nicht die Rolle des Kriegsberichterstatters einnehmen. So scheint es nur so, als ob Paterculus nur wenige knappe Worte für die Schlacht übrig hatte, denn er umriss nur das karge offizielle Wissen, wie es sich in den ersten 20 Jahre nach der Niederlage herum gesprochen hatte. Aber über das Gesamtwissen über das er verfügte, schwieg er sich aus. So blieb sein Hauptwerk möglicherweise auch gar nicht verschollen, denn es hatte nie existiert. Also bleibt es an uns aus seiner Überlieferung das heraus zu lesen was für die Aufarbeitung des Verlaufs und der Örtlichkeit der Varusschlacht von Nutzen sein könnte. Kaum ein anderer Römer vielleicht mit Ausnahme von Tiberius kannte Germanien besser als Paterculus. Und er konnte als ein Front erfahrener Militarist vieles aus dem militärischen Blickwinkel heraus gut bewerten, was auch seinem Naturell entsprach. Zu Zeiten des Immensum Bellum überquerte er noch gemeinsam mit dem Feldherrn Tiberius die „germanische Julier Passhöhe“ nahe den Lippequellen von Schwaney den „caput Juliae“ und stieg mit ihm ins Nethetal ab um später die Weserauen zu erreichen, wo etwa vier Jahre später der Feind stehen sollte. So kannte er den späteren Großraum der Varusschlacht aus eigener Anschauung und er kannte auch die Wege die vor ihm schon Drusus nutzte. Und da Paterculus in Rom auch mit Germanicus zusammen traf könnte er auch noch vieles mehr erfahren haben. So zum Beispiel wo man damals für den verstorbenen Drusus einen Altar errichtet hatte und wo für die in der Varusschlacht gefallenen Legionäre ein Grabhügel errichtet wurde. Wer wollte da noch daran zweifeln, dass Paterculus zu jenen Männern gehörte, die auf der Höhe des damaligen Wissenstandes zur Varusschlacht waren, denn alle Großen der Zeit standen in unmittelbarem Kontakt zu ihm. Und nicht nur das, denn sein Wissen beruhte auf dem umfassenden Kenntnisstand beider Seiten. Er besaß somit die besten Voraussetzungen um an den Stellschrauben der römischen Innenpolitik im Sinne des Kaisers seines Freundes Tiberius mit drehen zu können. Was uns von ihm vorliegt erscheint vor diesem Hintergrund bewertet wie ein vorläufiger kurzer Abriss oder Rapport und so tun sich noch viele Fragen auf. Nicht nur die, warum er sich so lange Zeit damit ließ sein Wissen zu verschriften oder warum er so wenig über den gesamten Verlauf der Varusschlacht schrieb. Strabo sei es gedankt, dass er uns die Namen der Triumphzugteilnehmer überlieferte, die wir von Paterculus nicht erfahren haben, womit er sich im historischen Sinne einen bleibenden Namen machte. Aber erst Paterculus legte den Grundstock für unseren erweiterten Kenntnisstand. Strabo verfasste sein Werk möglicherweise erst im Jahr nach dem Triumphzug also 18 +. Aber im Gegensatz zu Paterculus konnte Strabo nichts zu den Ereignissen in Ostwestfalen beitragen. So fiel Paterculus auch mangels verschollener Texte wie etwa jene von Plinius dem Älteren und möglicherweise auch anderen Historikern eine um so bedeutsamere Rolle zu. Er war die römische Schlüsselfigur zur Varusschlacht und Paterculus sollte auch für lange Zeit der letzte sein, der uns wenigstens etwas über die Schlacht sagen konnte. Die lange Phase danach in der die Quellen schwiegen und sich die Ruhe über das einstige Schlachtengelände auszubreiten begann dauerte rund 90 Jahre. Sie setzte im Jahre 30 + ein und endete um das Jahr 120 + mit den Schriften von Tacitus und dem in etwa zeitgleich zu ihm berichtenden Florus. Und während Tacitus uns „nur“ den Ort des Geschehens überlieferte, war es das Verdienst von Florus, der uns nach Paterculus die ersten wichtigen Fakten zur Varusschlacht mitteilen konnte. Erst bei ihm lesen wir wieder Neues über Varus und seine Schlacht. Die Arbeit von Paterculus erhält jedoch weiteres Gewicht durch die bei ihm vorhandene Kompetenz, sowohl in historischer als auch in militärischer Hinsicht. Günstige Voraussetzungen und eigentlich wie geschaffen um von ihm plausible Antworten und Expertisen über die kriegerische Begebenheiten erwarten zu dürfen. Aber wir hoffen vergeblich denn Paterculus war nicht der geborene Historiker und sah daher darin auch nicht seine originäre Aufgabe, auch wenn man ihn später zu Recht so nannte. Irgendwann fühlte er sich dann doch dazu berufen zu schreiben und er entdeckte vermutlich erst im fortgeschrittenen Alter seinen Hang zur geschichtlichen Nachbearbeitung. Aber in Sachen Varusschlacht reichte es nur für den besagten Vorabbericht, denn die angekündigte große Aufklärungsschrift blieb aus. Vielleicht verordnete er sich aber auch selbst eine Nachrichtensperre solange, bis ihm die Zeit reif erschien etwas zu Verlautbaren. So notierte und interpretierte Paterculus nicht nur seine eigenen Erlebnisse und Erfahrungen, sondern widmete sich in weiten Teilen auch der gesamten römischen Geschichte. Aber hier zählt das Varusereignis und da war Paterculus ein wenig gnädig. Denn er gönnte uns, dass wir schon mal einen vorzeitigen Blick in seinen Wissensfundus werfen durften. Er hatte ihn nur einen Spalt breit geöffnet, der aber viel Raum für neue Schlußfolgerungen zulässt. Und dann wollte er irgendwann als er die 50 schon überschritten hatte, mit seinem Hauptwerk beginnen, das wir allerdings nie zu Gesicht bekamen. Was er uns offenbarte war für ihn auch nicht riskant, denn Kaiser Tiberius bot ihm für alles den nötigen Rückhalt. In dieses Szenario fügte sich auch Segestes der Urheber so vieler Deutungsversuche ein, der seinerzeit in Rom ins gleiche Horn blies, in dem auch er auf Konformität mit dem Kaiserhaus achten musste. Denn auch Segestes schob die Pietät beiseite und warf selbst dem verstorbenen Varus noch nach, seine warnenden Worte ignoriert zu haben. Nach Dichter, Astronom und Geograph befasste sich aber nun ein Militarist, der zum Historiker mutierte mit der Aufarbeitung. In alle Betrachtungen zu rückwärtigen Ereignissen spielen immer Querüberlegungen hinein. Ihnen nach zu gehen und keine auszulassen ist eine erstrebenswerte Grundvoraussetzung und ein hehres Ziel, will man dem gesamten Kontext der Varusschlacht gerecht werden. Die berühmten Fragen nach dem „wenn und aber“ oder dem „für und wider“, sollten daher an keiner Stelle zu kurz kommen, will man sich seinen klaren und nüchternen Blick nicht verstellen. Schließlich sollten die Erkundung des Schlachtenverlaufs und der Örtlichkeit und alles was dazu beitragen kann bei allen Recherchen immer an vorderster Stelle stehen. Den Abstand zu kennen, wieviel Zeit nach der Varusschlacht verstrich bis Paterculus seine Zeilen nieder schrieb hebt oder senkt auch die historische Qualität seiner Arbeit. Man nennt es den „Terminus post quem“ und es ist der wissenschaftlich fixierte Zeitpunkt an dem sich seine Niederschrift fest machen lässt. Die Dauer des Konsulats des Marcus Vinicius und der Hinweis auf den Prätorianer Sejan, den er verherrlichte bevor dieser 31 + hin gerichtet wurde bieten dafür wie schon dargestellt die nötigen Anhaltspunkte. Ihnen lässt sich entnehmen, dass Paterculus im Jahre 30 + noch gelebt haben muss, er also 30 + oder früher aber nicht später seinen Bericht über Varus verfasst haben könnte. Man sollte annehmen dürfen, dass alle seine Überlieferungen demnach recht gut den angesammelten Wissensstand der Zeit zwischen den Jahren 9 + und 30 + wider spiegelten. Salvatorisch ließe sich noch anmerken, dass man immer voraus setzen muss, dass er früher dokumentierte ihm unsicher erschienene Aussagen bis zum Schlusskapitel ordnungsgemäß und das möglicherweise im Jahre 30 + revidiert hat. Er könnte sich also auch in diesem Jahr immer noch in einer guten gesundheitlichen Verfassung befunden haben. Bedauerlicherweise findet sich aber in seinem schriftstellerischen Lebenslauf ein Abschnitt über den wir gerne mehr gewusst hätten. Eine Zeitspanne die leider ausfallen muss, da sie in die Zeit fiel, in der die Varusschlacht statt fand und er nicht vor Ort war. Eine turbulente Phase in der wir uns historisch betrachtet gewünscht hätten ein Mann wie Paterculus wäre selbst zum Zeugen oder gar zum Mitwirkenden der Schlacht geworden. Durch seine Abwesenheit ausgerechnet in jenem denkwürdigen Schicksalsjahr 9 + in Ostwestfalen, entstand oder hinterließ er uns aus nachrichtlicher Sicht betrachtet eine historische Leere. Aber er bemühte sich sie zu schließen bzw. kündigte dies zumindest an. Was er an Wissen sammelte also anderen Quellen entnahm, durch eigene Vorstellungen und Gedanken oder Erfahrungswerte ergänzte konnte daher immer nur halbwegs und daher unbefriedigend gelingen. Er trug wie man sich denken kann sicherlich viel an Wissen seiner Zeit zusammen, aber er verschriftete nur wenig davon. Das was uns vorliegt brachte er in einen Kontext und er versuchte, wie es später auch Cassius Dio und andere taten dem Text einen Erzählstrang zu verleihen. Bis zum Jahre 9 + war er kriegsbedingt in Pannonien gebunden. In Germanien ist er erst wieder für die Zeit nach der Varusschlacht, dann aber bis etwa 11 + historisch bezeugt. Wenn er nicht sofort nach der Katastrophennachricht des Jahres 9 + von Pannonien an den Niederrhein aufbrach, hielt er sich möglicherweise zusammen mit Tiberius noch kurzeitig in Rom auf, der dort aufgrund der „varianischen Staatstrauer“ auf seinen Pannonien Triumph vorerst verzichtet hatte. Gemeinsam brach man dann und das nahe liegender weise im zeitigen Frühjahr 10 + nach Germanien auf um dort die neu entstandene Lage nach dem Inferno im Saltus zu sondieren und die Grenze zu festigen. Man kann sich vorstellen in welchem Zustand sich ihnen im Frühjahr 10 + nur wenige Monate nach der Varusschlacht die Rheingrenze zwischen Köln und Xanten präsentierte. Die dortigen Besatzungstruppen unter Asprenas werden auf Tiberius und Paterculus und damit auf neue Befehle gewartet haben, denn die Unsicherheit war groß. Ich hatte Paterculus der Phase III zugeordnet, da er sich dem zeitlichen Ablauf nach bereits auf das Wissen bzw. die Quelle Segestes hätte stützen und sie sich hätte zunutze machen können, da sie ihm seit seinem Erscheinen in Rom im Jahre 17 + zur Verfügung gestanden haben könnte. Und das er sie auch hätte einsehen können dürfte unstrittig sein, denn er besaß den nötigen Rang und die Würde und damit den Zugang um das von Segestes „Hinterlassene“ bzw. „zu Protokoll“ gegebene erfahren zu dürfen. Aber was für alle Schreiber der Zeit galt, galt auch für Paterculus. Auch er konnte nur das verwerten was der germanische Wald dank dem flüchtigen Segestes frei gab und was ihm Tiberius und Germanicus und andere später noch sagen konnten. Sein umfangreiches Überlieferungswerk zu strukturieren ist nun Herausforderung und Aufgabenstellung zugleich um daraus die Fakten zur „Clades Variana“ heraus zu filtern und zu versuchen seine Quellen zu enttarnen aber auch um das tatsächliche Geschehen von der Eigeninterpretation zu trennen und teilweise zu enträtseln vor allem aber um es unterscheidbar machen zu können. (13.11.2020)

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Freitag, 6. November 2020
Der Verrat des Segestes - Legte schon Paterculus die falsche Fährte der Tacitus, Florus und Dio folgten
Segestes war eine der Schlüsselfiguren zur Varusschlacht. Seine an Varus ergangene Warnung für die die Historie keine Zeugen nennt, die die Varusschlacht überlebten, ihr also die Beweiskraft genommen ist, soll von Varus nicht ernst genommen und abgetan worden sein. Die Nichtbeachtung durch ihn soll dann wiederum maßgeblich zu seiner Niederlage beigetragen haben. Die Person Segestes, der als der Urheber dieser letztlich nie beweisbaren, also möglicherweise auch nie ausgesprochenen Warnung in die Geschichte einging wurde damit zum Mysterium. In diesem Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden wie es die Historiker nach Strabo mit Segestes hielten. Also Paterculus, Tacitus, Florus und Dio. Denn diese vier hatten sich über Segestes und seine ominöse Warnung geäußert. Was schrieben sie also darüber, was glaubten sie selbst, was wussten sie und woher könnten sie es erfahren haben, was sie zu Papier brachten. Hatte Segestes nun Varus gewarnt oder täuschte er die Warnung 17 + nur gegenüber jenen in Rom vor, die er davon überzeugen musste. So könnten seine Äußerungen bei diesem denkbaren Verhör zwar der Wahrheit entsprochen haben, so wie es auch der offiziellen Lesart entspricht, aber sein Verrat an den Germanen bzw. die an Varus ergangene Warnung wurde damit nicht glaubwürdiger. Aber da gibt es noch eine weitere Theorie. Nämlich die, dass ihm seine Aussagen von der späteren Historie nur in den Mund gelegt wurden, er sie aber nie von sich gab. Ein solcher Schachzug ließe sich im politischen Sinne auslegen und man konnte es gegen den in Rom verhassten Varus verwenden. Es demnach also weder eine Warnung 9 +, noch ein Gespräch mit den Sekretären des Kaisers 17 + in Rom über sein damaliges Verhalten gab. Schieben wir aber diesen Verdacht beiseite und folgen zunächst der Spur der offiziellen Lesart, so wie wir es alle vorgesetzt bekamen nämlich in Segestes den Warner als auch den Verräter zu sehen. Dann mag Segestes sich in Rom in der Rolle eines Mannes gesehen und präsentiert ja schon fasst gesonnt haben, der Varus noch hätte das Leben retten können, wenn dieser nicht so uneinsichtig gewesen wäre und auf ihn gehört hätte. Segestes hatte demnach nicht nur sein Schicksal in der Hand gehabt, sondern auch noch das der drei römischen Legionen. Ein Germane wäre dann der Mann gewesen, der dem Imperium die Niederlage hätte ersparen können, hätte er damals doch nur die richtigen Worte gefunden und wäre es ihm gelungen Varus von der drohenden Gefahr zu überzeugen. Wer wollte in Rom auch schon einen solchen Mann Lügen strafen. So weit die allgemein bekannte historische Grundlage wie wir sie jedem Geschichtsbuch entnehmen können. Letztlich erscheint sie uns aber wie eine kaum zu glaubende und schwer verdauliche Anekdote. Würden wir doch vielen Sagen des Mittelalters nur halb soviel Glauben schenken wie dieser um 1000 Jahre älteren „segestinischen Schenkung“. So sollte man die Warnung des Segestes zumindest genauso in Zweifel ziehen, wie man es auch mit diesen alten Überlieferungen hält. Aber offensichtlich genießen die antiken Historiker trotz ihrer widersprüchlichen Angaben über Segestes einen besseren Ruf und erscheinen glaubwürdiger, als die 1000 Jahre jüngeren Erzählungen aus der Edda oder über die Nibelungen. Allesamt hochtrabende Worte von Verrat, Tod und Untergang, aber die Historie hat sie uns so in den Mund gelegt. Hatte Segestes also letztlich die Welt nur getäuscht wofür es begründete Annahmen gibt und Varus wurde gar nicht von ihm gewarnt, dann hätte er auch die Germanen nicht verraten. Denn beides geht miteinander einher. Warnung und Verrat zu gleichen Teilen. Varus verlor allerdings nicht nur die Schlacht wie man weiß, sondern er überlebte sie auch nicht. Vielleicht gerade deswegen oder auch trotzdem, man darf es drehen und wenden. So ist dies zu einem gewichtigen Teil unseres Wissensstandes und zu unserer Ausgangslage geworden, denn hätte Segestes den Feldherrn nicht gewarnt, würde es auch seine Niederlage erklären helfen und somit verständlicher machen. Aber was können uns dazu nun die vier antiken Historiker berichten, woraus wir das, was wir heute unseren Kenntnisstand nennen, ableiten können. Wir können uns vorstellen und wissen es auch zum Teil, dass das Bekanntwerden der Varusniederlage in Rom zu einer kurzzeitigen Panik geführt hat, sie mündete in eine Depression und löste eine gewisse Schockstarre vor einer ungewissen Zukunft aus. Das Desaster und die aufkommende Angst vor den nordischen Nachbarn hinterließ seine Spuren aus denen sich über die Jahrhunderte hinweg das bekannte italienische Volkstrauma entwickelt hat, dass sich bis in den Aberglauben steigerte. Man kann dies die Anfangs- oder Aufbruchphase nach der Demütigung nennen. Im Zuge der daran ansschliessenden Phase II begann man die Dramatik und das Ausmaß zu erfassen und aufzuarbeiten, man zog erste Konsequenzen, wir finden frühe schriftliche Zeugnisse darüber und die Stimmung begann sich langsam wieder aufzuhellen. Es waren die ersten greifbaren Bezugsquellen besser gesagt Erwähnungen und sie stammen von Ovid und Manilius. Aus dem Kaiserhaus ist uns aus dieser Zeit nichts bekannt geworden, denn Tiberius schwieg über Segestes. Sowohl Ovid als auch Manilius versuchten das Geschehene auf ihre Weise und in ihrem Sinne zu verarbeiten. Zu diesen zwei Männern der ersten Stunden, denn Historiker kann man sie nicht nennen, gesellte sich nach 17 + noch der Geograph Strabo hinzu. Alle drei vereint, dass keiner von ihnen berichtete, dass Segestes den Feldherrn vor der Varusschlacht gewarnt haben soll. Dies änderte sich erst im Zuge einer Phase III. Denn damit hob sich der Vorhang für jene antiken Historiker die über das unbewiesene Verhalten von Segestes informiert waren. Und unter ihnen gab es nur einen Mann der nämlich anders als Tacitus, Florus und Dio dem Geschehen am nächsten Stand und schon fasst hautnah dabei war. Es war Velleius Paterculus der als erster erwähnte, dass Varus von Segestes gewarnt worden sein soll. Er war ein dem Kaiser Tiberius nahestehender Offizier und Kampfgenosse aus schweren Zeiten, ein Mensch der Zeitgeschichte, obwohl er nicht in Germanien weilte, als dort die Varusschlacht tobte. Und gerade auf ihn bezogen muss daher die Fragestellung gelten, wann er sein Wissen über die Taten des Segestes verschriftete. Denn in ihm ließe sich die Urquelle von alledem ausmachen, was wir hinsichtlich der Warnung von Segestes erfahren haben. Daher fällt der Frage wie Paterculus es erfahren haben könnte auch eine besondere Bedeutung zu. So lässt die seltsame Gemengelage in jener Zeit wie bereits dargestellt auch den Verdacht aufkommen, dass Segestes die Warnung nie über die Lippen ging. Und ebenso, dass er sich darüber auch nie einem Tribunal gegenüber zu verantworten hatte bzw. stellen musste. Denn man könnte ihm seine warnenden Worte auch als ein Mittel der Intrige später in den Mund geschoben haben um das Versagen von Varus zusätzlich unumstößlich zu machen. Und auf wen wenn nicht Paterculus würde dieser Verdacht fallen, da er der erste war, der über die Warnung des Segestes berichtete. Aber wie hatte sich Paterculus einst geäußert. Von ihm ist überliefert, dass er gemäß Absatz 2,118.(4) sagte, die Verschwörung wäre von Segestes gegenüber Varus aufgedeckt worden und das nach der ersten an Varus ergangenen Warnung, keine Zeit mehr für eine zweite geblieben sei. Auch hier klingt doch unüberhörbar die Stimme der Eigeninterpretation heraus. Denn wie wollte es Paterculus denn ermessen haben, dass damals die Zeit für eine zweite Warnung nicht mehr gereicht haben soll. Wer wollte es ihm gesagt haben oder wo sollte er es abgeschrieben haben. Viel mehr könnte es ihm auch nur so erschienen sein, als wäre es damals so gewesen. So schwingt etwas ultimativ Endgültiges in seinen Worten mit, wodurch auch seine ganze Überlieferung in den Verdacht gerät nur auf vermeintlichen Tatsachen zu basieren. Müssen wir also sogar schon die Urquelle Paterculus in Zweifel ziehen, wenn wir dem Sachverhalt auf die Spur kommen wollen. Und müssten wir damit sogar den eigentlichen Urheber Segestes aus germanischer Sicht völlig frei sprechen, jemals einen Sterbenslaut gegenüber Varus gesagt zu haben. Doch wo könnte das Motiv gelegen haben. Paterculus den man sogar als einen Freund von Tiberius bezeichnen könnte, wollte möglicherweise jegliche Mitschuld des Kaisers am Untergang der drei Legionen ersticken und je mehr man Varus anhängen konnte um so unbescholtener blieb Tiberius vor dem Senat und der Öffentlichkeit. Denn die Ereignisse vor der Varusschlacht verdeutlichen, dass er nicht völlig unschuldig am Desaster war. Und was hätte schlimmer sein können als das Gerücht, Tiberius habe die Varusniederlage mit zu verantworten gehabt ja vielleicht sogar herbei geführt. Als Paterculus es nieder schrieb saß Tiberius noch auf dem Kaiserthron, den er bis 37 + inne hatte. Aber den ungefähren Zeitpunkt seiner Niederschrift können wir nur rekonstruieren. Man hängt es an einer geschichtlichen Begebenheit besser gesagt einer Person auf. Dies war der einflussreiche Prätorianerpräfekt Sejan. Ein Mann der lange in gutem Einvernehmen mit Kaiser Tiberius handelte bevor man ihn, die Gründe dafür liegen im Dunklen, 31 + hinrichtete. Man darf annehmen, dass die Hinrichtung im Sinne von Tiberius oder möglicherweise auch auf seine Anweisung hin geschah, denn er war ihm zu einflussreich geworden und soll sich Dinge angemaßt haben, die ihm nicht zustanden. Paterculus stand zu Tiberius der sich bis zu diesem Vorfall positiv über Sejan geäußert hatte. Man kann daraus schließen, dass sich Paterculus von dem Moment an von Sejan abwendete, als Kaiser Tiberius dem Präfekten Sejan fallen ließ und ihm seine Gunst entzog. Da man bis etwa 30 + kein Zerwürfnis zwischen Tiberius und Sejan feststellen kann, behielt Paterculus seine gute Meinung über Sejan bis in diese Zeit hinein aufrecht. Erst als man Sejan 31 + hinrichtete endeten zwangsläufig auch seine Sympathien für ihn. Danach zu urteilen müsste Paterculus, da er Sejan noch in guten Zeiten bzw. zu Lebzeiten begegnete, seine „Historia Romana“ vor 31 +, dem Jahr seiner Hinrichtung vollendet haben. Ein umfängliches Werk was uns von Paterculus in zwei Teilen erhalten blieb. Man geht nicht davon aus, dass er den auf die Varusschlacht bezogenen Schlußteil schon vor dem Jahr 30 + zu Papier brachte, sodass bereits viel Zeit zwischen einem noch lebenden Varus und der Paterculus Überlieferung verstrichen ist. Sicherlich waren es turbulente und ereignisreiche 21 Jahre. Eine Zeitspanne in der Paterculus sein Wissen, also auch das über Segestes aus unterschiedlichen Quellen gespeist haben könnte. Er könnte es aber auch wie dargestellt im Sinne seines Kaisers verfälscht haben. Etwa dreizehn Jahre bevor Paterculus schrieb, saß Segestes im Jahre 17 + noch mit auf der Tribüne des zu Ehren von Germanicus veranstalteten Triumphzuges. Geht man wieder zurück auf den Stand unseres Schulwissens, dann fand sich anlässlich dieser spektakulären Darbietung sicherlich auch ausreichend Gelegenheit für Segestes um seine Sicht von den Geschehnissen, wie sie sich vor der Varusschlacht zutrugen in seinem Sinne in Rom kund tun zu können bzw. er wurde danach befragt. Der Haupttheorie folgend und einmal abgesehen von einer möglichen Einflussnahme durch Paterculus wurde Segestes nach seinem Erscheinen in Rom, vermutlich im Frühjahr 17 + zu den Vorgängen vor der Varusschlacht befragt und berichtete darüber mit Worten die er mit viel bedacht gewählt hatte, dennoch muss seine Glaubwürdigkeit in Frage gestellt werden, denn bekanntlich hatte Segestes für seine Version keine Zeugen mehr zu befürchten. So konnte er frei und forsch auftreten und musste lediglich überzeugend genug auf die römischen Beamten einwirken. Was ihm offensichtlich gelang. So kann man natürlich auch annehmen, dass sich auch Paterculus auf eben diese Befragung gestützt hatte und die Protokolle und das Wissen darüber wurde mangels anderer authentischer Berichte auch zur Grundlage seiner eigenen Überlieferung, so wie wir es in seiner „Historia Romana“ nachlesen können. Dann hätte sich Paterculus natürlich keiner Geschichtsverfälschung schuldig gemacht. Man muss also der Gerechtigkeit wegen in Erwägung ziehen, dass Paterculus der erste Historiker war, der Segestes bzw. seinen Verlautbarungen aufsaß oder dem Gesagten mangels besseren Wissens glauben schenkte. Somit wurde auch die Person des Paterculus zu einer Quelle für andere Historiker die seine Darstellung aufgriffen, da sie sie für zuverlässig hielten. Denn Paterculus genoss im alten Rom einen tadellosen Ruf. Auf Paterculus der 31 + verstarb, folgte für lange Zeit kein antiker Historiker mehr, der sich mit der Warnung des Segestes befasste. Erst später kamen Florus, Tacitus und Dio hinzu, die dann gemeinsam mit Paterculus den erweiterten Historikerkreis innerhalb der Phase III bildeten. Sueton war nicht unter ihnen, da er sich nicht mit der Person des Segestes beschäftigt hatte bzw. uns nichts dazu überliefert ist. Tacitus, Florus und Dio betraten lange nach Paterculus die Welt der Geschichtsschreibung und bestätigten in ihren Berichten ebenfalls, dass Segestes den Feldherrn auf die Gefahr eines Aufstandes hingewiesen haben soll. Alle konnten sie auf Quellen zurück greifen, die in Rom schriftlich hinterlegt waren und sich auf Segestes bezogen. Aber genau so konnten sie sich auch nur auf die eine Angabe von Paterculus gestützt haben. Aber letztlich waren alle vier Historiker von ihren Vorlagen abhängig und nur ihnen entnahmen sie die von Segestes an Varus ergangene Warnung, gleich von wem sie stammte. Wer um das Jahr 17 + in Gestalt des „ab epistulis“ als Vertrauter von Kaiser Tiberius an den angenommenen Gesprächen mit Segestes beteiligt gewesen sein könnte ist nicht nachvollziehbar, es könnte sogar der später in Ungnade gefallene Sejan oder auch Seianus genannt gewesen sein. Und diesen Faden aufzugreifen würde auch einen Sinn ergeben und es ließe sich vertiefen. Tiberius förderte Sejan in dem er ihn parallel zu seiner Thronbesteigung 14 + zum Prätorianerpräfekten ernannte. Und wer wäre besser geeignet das klärende Gespräch bzw. Verhör für die Senatsakten im Jahr 17 + mit Segestes zu führen als er. Ein aus judikativer und exekutiver Sicht qualifizierter Prätorianerpräfekt der noch dazu mit den Weihen des Kaisers ausgestattet war. Sejan dürfte dafür gesorgt haben, dass alles in den richtigen Bahnen verlief, Segestes sich keinen Ausrutscher erlaubte und kein Konflikt mit dem Kaiserhaus entstehen konnte. Und über Sejan wird auch eine Nähe zu Paterculus deutlich der auf diesem Wege erfuhr, was sich nach den Worten von Segestes einst in Ostwestfalen zugetragen haben soll. Hier wäre auch die Anknüpfstelle zu sehen wo es noch einmal sicherzustellen galt, dass nur Varus der große Versager war. Es war eine Zeit, als Sejan noch im Einklang mit Tiberius handelte und Paterculus seinen Wissenstand übernahm. Man könnte also in Sejan den Mittelsmann in der historischen Kette sehen der dabei half, dass die Rechtfertigungen des Segestes die Geschichtsbücher erreichten. Aber auch Naevius Sertorius Macro hätte schon an den Gesprächen mit Segestes teilgenommen haben können. Auf alle die Segestes damals in Rom befragten, muss es befremdlich und nahezu schockierend gewirkt haben, was er vor dem Ausbruch der Schlacht Varus gegenüber ausgesprochen haben will oder soll. Aber was auffällt ist die Tatsache, dass es immer nur Varus und kein anderer war, der zum Empfänger der Warnung aus dem Munde von Segestes wurde und sie entgegen nahm. Zeugen also Zuhörer die bei der Warnung des Segestes an Varus zugegen waren, konnte keiner der vier Historiker namentlich benennen. Es klingt demnach so, als ob Varus immer nur im Rahmen eines Zwiegespräches von Segestes gewarnt wurde. So liest man es bei Paterculus, dass nur Varus von Segestes informiert wurde mit den Worten: „….id Varo per virum eius gentis fidelem clarique nominis, SEGESTEN, indicatur. postulabat etiam“. Und auch nach Tacitus wurde ebenfalls nur Varus von Segestes informiert: „….Arminius turbatur Germaniae, SEGESTES parari rebellionem saepe“. Und genauso bei Florus. Auch von ihm wurde Varus nur von einer Person nämlich Segestes informiert „cum interim tanta erat Varo pacis fiducia, ut ne prodita quidem per SEGESTEM unum principum coniuratione commoveretur“. Nur Cassius Dio der letzte der antiken Berichteratter macht eine etwas abweichende Angabe. Bei ihm lesen wir, dass zwar auch nur die Einzelperson des Varus gewarnt worden sein soll, aber sogar von mehreren Personen und nicht nur von Segestes allein. Dieser Unterschied zu den anderen drei Historikern führt, wenn es denn so war, zu weiteren Überlegungen. Denn wer sollte außer Segestes Varus noch gewarnt haben. Aber auch wenn es nach Cassius Dio doch noch weitere Zeugen für die Warnung gegeben haben soll, so steht damit fest, dass es wieder außer Varus keinen anderen Römer gab, der von der Warnung im Sommerlager etwas gewusst zu haben schien. Da Varus und sein Generalstab seit dem Herbst 9 + nicht mehr lebte, hatte Segestes die freie Wahl der Darstellung. Segestes hätte bei einer Abweichung durch Dio demnach Varus immer nur persönlich, sozusagen unter vier Augen auf die bevorstehende Gefahr hingewiesen. Offensichtlich erreichten die Warnungen von Segestes immer nur Varus allein und es gab dafür in allen Überlieferungen keine weiteren römischen Zeugen die auf der Seite von Varus standen und es mit hörten. Ein Sachverhalt der nachdenklich macht und gleichzeitig verdächtig ist. Wir man sich denken kann, herrschte vor dem Ausmarsch aus dem Sommerlager einer nervöse Anspannung. Segestes wusste von der Gefahr und versuchte Varus zu überzeugen, stieß aber bei ihm bekanntlich auf taube Ohren. Aber eines tat Segestes den Überlieferungen zufolge nicht, denn kein Historiker schrieb, dass er auch versucht habe andere Personen aus dem Führungsstab von Varus auf die Gefahr eines germanischen Überfalls hinzuweisen. Segestes kannte die Generäle von den gemeinsamen Banquetts und er hätte in Anbetracht des hohen Risikos auch sie einweihen oder informieren können. Wenn es ihm also schon nicht gelang Varus die Problematik bewusst zu machen, so wäre es doch ein logischer Schritt gewesen, wenn er versucht hätte auf andere Personen Einfluss zu nehmen. Von Seiten der angedachten römischen „Untersuchungskommission“ hätte man ihn dies fragen können, aber über weitere Zeugen schweigen die Quellen. Letztlich musste es Segestes ohne diese Mitwisser darstellen, da er andernfalls dem hoch geachteten Militär indirekt eine Mitschuld am Versagen gegeben hätte. Eine Unverzeihbarkeit, denn die drei Legionen waren in den Augen aller die unantastbare Crème de la Crème des römischen Militärapparates die er nicht beschmutzen durfte. So könnte dahinter ein weiterer Ballanceakt von Segestes gestanden haben um sich keiner Gefahr auszusetzen. Diese Abschweifung zeigt aber erneut, auf welch fragilen Gerüst die Argumentationslage von Segestes aufgebaut war und es spricht wieder für die Theorie, dass es von seiner Seite keinerlei Frühwarnungen gab. So glaubte man ihm in Rom alles, weil man es ihm glauben wollte. Unabhängig davon wird der Nachrichtenfluss über das, was sich unmittelbar vor dem Ausbruch der Varusschlacht zutrug Rom nur noch als ein Rinnsal erreicht haben. Die Aussagen derer die Überlebten, die später frei gekauft wurden oder flüchten konnten und die etwas hätten sagen können oder wollen, dürfte verschwindend gering gewesen sein. Nach Jahren oder Jahrzehnten wollte in Rom niemand mehr wissen was damals geschah. Alle Äußerungen die die vier Historiker der Phase III über das Gesagte von Segestes machten und die uns bekannt geworden sind beruhen wie man annehmen darf auf den Schutzbehauptungen, die Segestes erst im Jahre 17 + aus Gründen seiner persönlichen Reputation und seiner Überlebensstrategie in Rom der Öffentlichkeit preis gab. Im Krisengebiet des östlichen Westfalens des Jahres 9 + dürften ihm diese gefährlichen Hinweise an Varus sicherlich nicht über die Lippen gegangen sein. Falls doch hätte er die Konsequenzen daraus wohl nicht überlebt. Demzufolge sollte man alle Überlieferungen die auf diesem von Segestes inszenierten Konstrukt basieren, aber von den späteren antiken Historikern wider besseren Wissens aufgegriffen wurden für fragwürdig halten. Man könnte sie als tendenziös beeinflusst bezeichnen, da sie sich aus einer menschlichen Notlage heraus ergaben, in der Segestes damals steckte. Und dazu gehören auch die von Tacitus gemachten Angaben darüber, dass Segestes sich sogar selbst angeboten haben soll, sich in Fesseln legen zu lassen. Und nicht nur das. Varus sollte auf seinen Vorschlag hin auch noch Arminius und die anderen Anführer der Cherusker gefangen nehmen, um so die Wahrheit heraus finden zu können. So könne Varus dann ganz sicher sein, dass das dadurch führerlos gewordene germanische Volk keinen Aufstand mehr gegen ihn riskieren würde. Widmet man sich dem Segestes „Ausredenkatalog“ etwas genauer, so fällt bei seinem Plan ins Auge, dass er nur auf den ersten Blick plausibel erscheint. Ein rhetorisches Manöver, dass er seinen Fragestellern in Rom als glaubwürdig anbot. Denn er konstruierte für sie einen Vorschlag für sein damaliges Verhalten, das in der Praxis nicht umsetzbar gewesen wäre und den kein Varus der Welt akzeptiert hätte. Aber eine Idee mit der sich die Theoretiker im Tribunal des Palatin überzeugen ließen und auch zufrieden gaben. Gemeint ist sein Einfall, man könne alle hohen germanischen Fürsten und ihn gleich mit in Fesseln legen, um auf diese Weise den Aufstand zu ersticken. Aber denken wir seinen Plan und sein Ringen um Reputation einmal zu Ende. Dann hätte also Varus wie von ihm empfohlen gehandelt. Er legte also ein Dutzend ehrwürdiger Germanen in Ketten. Und schon stellt sich die nächste Frage, nämlich wie lange er sie denn in Ketten liegen lassen wollte. Aber was wäre dann passiert. Man könnte die Schlussfolgerung daraus ziehen in dem man die Frage aufwirft, ob denn die Varusschlacht ausgeblieben wäre, wenn er wie von Segestes vorgeschlagen gehandelt hätte. Hätte er es sich denn überhaupt erlauben können, sich den Marsch zu den Aufrührern zu ersparen. Wäre ihm etwa ein Signal oder ein plötzlichen Zeichen der Verständigung aus dem südlichen Nethegau zugegangen, dass der Aufstand durch das in Fesseln legen der Aufrührer in sich zusammen gebrochen wäre, oder hätten die Unruhen angehalten. Hätten also die Germanen den Aufruhr trotzdem fort gesetzt und daher immer noch um den Besuch von Varus als Schlichter und oberstem Gerichtsherr gebeten. Denn nach wie vor musste Varus davon ausgehen, dass im südlichen Nethegau Germanen ansässig waren die sich im Aufruhr befanden und denen an seiner Schlichtung gelegen war. Oder hätte Varus entschieden die Aufrührer nun nicht mehr zu beachten, sie links liegen zu lassen und den Aufstand als Finte durchschaut. Wie verlässlich war Segestes in diesem Moment und was wäre, wenn sich der Aufstand ohne sein Einschreiten später gegen Rom gerichtet hätte, selbst wenn man die vermeintlichen Anstifter in Fesseln gelegt hatte oder dann erst recht. Ganz so wie es ihm Arminius geschildert hatte musste Varus damit rechnen, dass die Rebellion auch bei einem in Fesseln liegenden Arminius weiter gehen könnte. Das in Fesseln legen war also keine sichere Option um mit den Aufständischen die eigentlichen Ursachen für den Aufruhr abklären zu können. Um sicher zu gehen, dass im Süden Ruhe herrschte sollte man daher annehmen, dass er sich davon selbst überzeugen wollte und sogar musste. Diese nur ansatzweise führbare Diskussionstiefe zeigt bereits, dass sich hier eine Gemengelage zusammen braute, die Varus auch bei einer Gefangennahme der Cherusker keinen Schritt weiter gebracht hätte. Segestes konnte demzufolge Varus auch nicht davon überzeugt haben, dass der Aufstand mit einem in Fesseln liegenden Arminius in sich zusammen gebrochen wäre. Und ohne eine cheruskische Schutztruppe im Rücken zu wissen, hätte Varus wiederum nicht ins Aufstandsgebiet ziehen wollen und hätte einen möglichen Krisenherd zurück gelassen. So wäre es zweifelhaft gewesen, ob Varus auch ohne cheruskische Unterstützung in den Süden gezogen wäre. Aber so ließ sich nicht der durchschlagende Beweis erbringen, mit dem man Arminius und seine Männer mit einem Komplott in Zusammenhang hätte bringen können. Denn so wie es Arminius dargestellt hatte wollten die Arminen lediglich einen Aufruhr mit Hilfe von Varus verhindern. Wie hätte sich später Segestes auf den Standpunkt stellen können, dass man es ihm zu verdanken hatte, dass Varus nichts zugestoßen wäre. Und genauso hätte Varus ihm vorwerfen können, die Männer um Arminius auf sein Geheiß hin zu unrecht in Fesseln gelegt und sie sich zu Feinden gemacht zu haben­. Wie also hätte Segestes jemals beweisen sollen, dass dieser Schritt bzw. sein Vorschlag einen Aufstand verhindert hätte. Denn mit dem in Fesseln legen allein, ließe sich nicht beweisen, dass deswegen der Aufstand ausblieb. Segestes wäre folglich die entscheidende Beweisführung schuldig geblieben und das hätte ihn in arge Schwierigkeiten gebracht. Anders ausgedrückt. Die Cheruskerfürsten wären eingekerkert worden wo und für wie lange auch immer, Varus wäre dem falschen Ratschlag gefolgt, ihm wäre zwar nichts zugestoßen aber die Arminen seine „getreuen“ Vertragspartner hätten sich zu Unrecht verdächtig gefühlt und darüber hinaus sogar bestraft gesehen. Und sie hätten dies glaubhaft vorbringen können. So hätte Segestes zwar recht behalten, aber Varus hätte sich aufgrund der Unschuldsvermutung einen folgenschweren Fehler geleistet. Mit einem derartiges Argument ließen sich von Segestes nur Beamte in Rom beeindrucken, aber ein Varus der sich mitten im Feindesland unter vermeintlichen Freunden bewegte, hatte sich den realen Dingen des Alltags zu stellen und da wäre selbst wenn es so gewesen wäre, kein Platz für Phantasiegebilde aus dem Munde eines Segestes gewesen. In der Tat wäre das in Fesseln legen einer ganzen Oberschicht wahrlich nicht gut angekommen. Varus saß auf einem Pulverfass und wäre ein erhebliches Risiko eingegangen. Ein Eklat mit ungewissem Ausgang in alle Richtungen wäre denkbar gewesen. Hätte Varus auf Segestes gehört, so hätte allein schon diese Tat für sich genommen, einen Aufstand auslösen und ihn selbst Kopf und Kragen kosten können. Denn Varus standen nur drei Rumpflegionen zur Verfügung und er brauchte gerade die Cherusker die Segestes bezichtigte. Hinzu kommt, dass er das Land an der Weser vom September bis in den März hinein wieder der Stammesherrschaft der Cherusker überantworten musste und er wollte das Land im Frühjahr 10 + so vorfinden wie er es im September verlassen hatte. Ein morsches Argumentationsgebilde was Segestes da in Rom auftischte. So muss man auch aus heutiger Sicht, den Varus gegenüber gemachten Vorschlag schon als abwegig bezeichnen. Denn er trägt schon nahezu naive Züge in sich, die wir uns bis heute gezwungen sehen sie ernsthaft diskutieren zu müssen. Möchte man Segestes in die Karten schauen, dann könnte er sich damit in Rom auch einen argumentativen Freiraum verschafft haben war Teil seines Planes um Glaubwürdigkeit zu erringen, der auch aufging. Voraus gesetzt man wollte sich dieser Theorie zu neigen. Auf diese Weise gelang es ihm auch indirekt gegenüber den Beamten des Senats der römischen Provinzialverwaltung in Germanien zu mehr Achtung zu verhelfen. Denn ein römischer Statthalter, der den unterworfenen Völkern eine gewisse Selbständigkeit ließ, der aber in kritischen Situationen, wenn die römische Herrschaft in Frage gestellt wurde imstande war, mit der nötigen Härte vorgehen zu können. es aber nicht darauf anlegte. Eine kraftvoller Auftritt der sich in Rom glaubhaft verkaufen ließ, wo man meilenweit vom Ort des Geschehens und somit von der Realität entfernt war. Segestes könnte daher dieses Szenario passenderweise zusätzlich mit in sein Argumentationsgerüst aufgenommen haben. Schließlich war er Taktiker und musste alles auf eine Karte setzen, damit man in ihm in Rom nicht einen Menschen erkennen konnte, der seinerzeit nur halbherzig und mit hintergründigen Absichten die Fronten wechselte. Er musste den Verdacht entkräften, vielleicht damals der gemeinsamen germanischen Sache doch nicht gänzlich abgeschworen zu haben. Denn er ließ sich bekanntlich letztlich an der Seite von Arminius doch noch in den Krieg gegen Varus hinein ziehen. Greift man in die Kiste des „Wenn und Aber“, so hätte Segestes auch annehmen können, es würden sich Germanen finden lassen, die die Fürsten Segimer und Arminius in Ketten liegend noch nachträglich der Aufrührerschaft bezichtigt hätten. Germanen die auf der Seite von Segimer und Arminius standen, hätten wohl nicht ihre eigenen Anführer verraten. Es sei denn man hätte gedungene Verräter gefunden die sich dazu bereit erklärt hätten. So lässt sich hinter allem was Segestes vortrug ein irreales Fundament ausmachen. Doch zurück zu den vier antiken Historikern der Varusschlacht – Geschichte und wie sie ihr Wissen um das Verhalten von Segestes formulierten. Paterculus saß am Nächsten zur Quelle und äußerte sich relativ eindeutig. Seine Worte lassen sich der Übersetzung nach etwa wie folgt greifen „aber nach der ersten Warnung von Segestes fand sich keine Zeit mehr für eine zweite Warnung“ (Paterculus 2.118.4“. Anders ausgedrückt, Segestes konnte ihn nur einmal warnen, hätte es vielleicht auch noch ein zweites Mal versucht, aber da war es bereits zu spät. So zumindest interpretierte es Paterculus. Varus hatte schon das Sommerlager verlassen und ließ sich durch nichts und auch von Segestes nicht mehr umstimmen bzw. von seinem Marsch zu den Aufrührern abhalten. Diese Überlieferung lässt jedoch einen unmissverständlichen Unterschied zu dem erkennen, was Tacitus überliefert hat. Denn er schrieb, „Segestes habe Varus mehrfach und sogar noch anlässlich des letzten Gastmahl enthüllt, dass man einen Aufstand vorbereiten würde“ (Tacitus 1.55.2).Glauben wir Paterculus warnte Segestes den Feldherrn nur einmal, glauben wir Tacitus warnte Segestes ihn mehrmals. Somit haben wir es also mit abweichenden und unerklärlichen Quellenangaben zu tun. Mehrfachwarnungen sollte Segestes sie ausgesprochen haben, hätten seinem Ruf vor dem Tribunal sicherlich besser zu Gesicht gestanden, als wenn er Varus nur einmal auf die Gefahr hingewiesen hätte. Dazu passt auch die Textstelle 1.58.2 in der Tacitus Segestes sagen lässt „also habe ich Arminius bei Varus angeklagt ... wurde aber vertröstet“. Auch dieser Hinweis unterstreicht die schon flehentlich wirkenden Worte von Segestes, wirklich alles getan zu haben um Varus zu überzeugen, sich aber immer nur eine Abfuhr ein handelte. Der arme Segestes, der doch wirklich nichts unversucht ließ um Varus zu schützen. Die Worte von Florus (2.30.33), dass die Verschwörung Varus gegenüber von Segestes aufgedeckt wurde, birgt keinen Interpretationsspielraum, als das bereits bekannte. Aber die Worte von Cassius Dio 56.19.3 genießen einen besonderen Stellenwert. Denn während der erste Informant Paterculus noch Zeitzeuge war, lagen zwischen seiner und der Überlieferung von Cassius Dio rund 200 Jahre. 200 Jahre die viel verwässerten, in der aber auch manches aktenkundig geworden sein könnte, von dem Paterculus 200 Jahre zuvor noch nichts wusste. Dio schrieb der Übersetzung nach (56.19.3) „und allen, die mit Argwohn die Entwicklung (im Vorfeld der Varusschlacht) beobachteten und (Varus) zur Vorsicht mahnten, denen schenkte er nicht nur keinen Glauben, sondern warf ihnen auch noch vor, dass sie sich grundlos erregten“. So veränderte sich über die Jahrhunderte das Gesicht der Überlieferung. Denn auf Paterculus der berichten konnte Varus wäre nur einmal von Segestes gewarnt worden folgte 100 Jahre später Tacitus, der schon „wusste“, dass Varus von Segestes sogar mehrfach gewarnt worden sein soll. Und am Ende der Historikerriege der Phase III erscheint Cassius Dio der 236 + verstarb und seine Worte bilden den Abschluss im Reigen um die Frage was in den Stunden vor dem Verlassen des Sommerlagers besprochen worden sein soll. Cassius Dio sichtete und las vieles, verarbeitete es und versuchte sich noch nach 200 Jahren einen Überblick zu verschaffen um sich in die alten Ereignisse hinein zu denken. Er machte vieles passend was ihm verwirrend erschien, brachte eine gewisse Kontinuität und einen Zusammenhang in den Verlauf der Varusschlacht, was vor ihm niemand tat. Er war bemüht das Stückwerk zu verbinden und es aufzuhellen. Dabei bemühte er seine Phantasie in dem er sich die verregneten germanischen Wälder und die stürmische Wetterlage in Ostwestfalen vorzustellen versuchte. Die Tiefe der Empfindsamkeit die Dio dem Feldherrn Varus entlockte in dem er sich bemühte noch nach 200 Jahren seine Worte nach zu empfinden baut auf dem Wissen auf, das ihm seine Vorfahren als Vorlagen hinterließen. Und was diesen Wissensstand anbelangt, so sind wir bei einem den Zeiten nahe stehenden Paterculus vermutlich besser aufgehoben auch wenn der sich vermutlich nur auf den uns bekannten Segestes stützen konnte, der letztlich nur überleben wollte. Bei der Betrachtung der Historie zur Varusschlacht gehen viele Geschichtsinteressierte auf den ersten Blick davon aus, dass die Darstellungen der vier großen Berichterstatter unterschiedlicher kaum sein können. Dies lässt sich jedoch als Irrtum entlarven, denn sie sind alle sehr gut kompatibel zueinander und lassen sich sehr wohl mit einander vereinbaren. Man muss sich „nur“ der Faktenlage bewusst werden, dass wir es immer nur mit einer Urquelle zu tun haben. Denn es lassen sich keine kreuz und quer verlaufenden Informationsstränge erkennen. Die Zahl der Anwesenden vor dem Ausmarsch war überschaubar. Segestes kannte sie alle und wusste wer von ihnen die Schlacht überlebt hatte und wer nicht. Es war für ihn ein einfaches sich auf Basis von Verstorbenen ein Alibi für seine Taten aufzubauen. Zur Theorie gehört auch die Akribie, denn auch die Mehrtagesschlachtdarstellung wie sie uns Cassius Dio rekonstruiert hinterließ, lässt sich nur auf dieser Basis Leben einhauchen. Ohne diese Vorgehensweise und eine an den Details orientierte Herangehensweise wäre es nicht möglich gewesen, dem bislang unentdeckten Marschtag auf die Spur zu kommen. Gemeint ist hier der erste Marschtag, an dem sich noch kein Schlachtgeschehen entwickelte. Aber es finden sich noch weitere Beweisketten mit denen sich unterstreichen lässt, dass Segestes einen großen Anteil an der Varusniederlage trug, da er dieser Theorie folgend Varus wider alle Annahmen nicht warnte. Jeder der vier großen Historiker hat sich unabhängig voneinander mit seinem ureigenen Szenario in der Geschichtsschreibung verewigt, konnte aber wie sich inhaltlich offenbart immer nur einer Quelle folgen und die lautete Segestes. Eine Quelle in der die späteren Historiker Florus, Tacitus und Dio mit Ausnahme von Paterculus vermutlich schon gar nicht mehr den eigentlichen Urheber Segestes erkannten. Kanalisiert man die Überlieferungen, dann betonte Paterculus als Offizier natürlichen den militärischen Aspekt und war weniger daran interessiert, was ein Segestes von sich gab. Tacitus konnte uns nur über das Auffinden des Schlachtgebietes und die Bestattungsrituale sechs Jahre nach der Schlacht etwas verraten. Für die Warnung des Segestes hatte er nicht viele Zeilen übrig. Florus trumpfte mit der Lagerüberfallvariante am zweiten Marschtag auf und bei ihm erschien Segestes nur als Randfigur. Cassius Dio beschrieb die gesamte Mehrtagesschlacht und auch er folgt hinsichtlich Segestes auch nur der Quelle die alle nutzten. Trotzdem ist bei geringer Abweichung alles miteinander kompatibel. Betrachten wir aber möglichst unvoreingenommen die Überlieferungen dieser vier Geschichtsschreiber so fällt eines auf. Denn obwohl sie auf den ersten Blick alle nicht in voller Gänze zueinander passen wollen, so ist ihnen doch eines gemeinsam. Denn gleich wann sie schrieben, ob Paterculus ( um 30 + ) Tacitus (um 116 + ) Florus (um 120 + ) oder Dio (um 200 + ), waren sie sich alle darin einig, dass Segestes den Feldherrn gewarnt und damit die Germanen verraten hatte. Nur Cassius Dio wich etwas davon ab, da er den Namen von Segestes nicht erwähnte und von mehreren sprach die Varus gewarnt haben sollen. Was muss an dieser Ur - Quelle für die späteren Historiker so glaubhaft gewesen sein, dass keiner daran zweifelte und alle die Warnung in ihren Schriften erwähnten. Die Antwort klingt einleuchtend. Sie schrieben über die Jahrhunderte verteilt und das nur in Nuancen also bei minimalen Abschweifungen nahezu immer nur deswegen das Gleiche, da es neben Segestes keine zweite Quelle gab auf die sie sich hätten beziehen können. Und das obwohl Dio eine Mehrtagesschlacht und Florus den Lagerüberfall innerhalb dieser Mehrtagesschlacht beschreibt nähern sich beide wieder an, wenn sie über das berichten, was Segestes tat. Diese Feststellung lässt erkennen, wie identisch Florus mit Dio schrieben, was vielen Historikern wie abweichend erscheint. Das Verhalten von Segestes hat demnach bei allen nicht nur einen tiefen sondern auch einen nahezu identischen Eindruck hinterlassen. Vieles ihrer Überlieferungen wirkt nur scheinbar nicht kompatibel, aber das Thema „Segesteswarnung“ verband sie alle und keiner von ihnen ließ es aus. Es zieht sich wenn auch nicht als ein Hauptthema, so aber doch durch alle antiken Schriften von Paterculus über Florus, Tacitus bis hin zu Dio, der 2oo Jahre nach Paterculus schrieb. Trotz der insgesamt mager zu nennenden Ausbeute an Zeilen die sie für die Varusschlacht übrig hatten, wollten sie uns doch diesen bedeutsamen Sachverhalt nicht verschweigen. Nämlich den, dass ein römischer Feldherr einem Warnhinweis nicht folgen wollte und darauf hin zur Strafe selbst und mit ihm noch drei Legionen unter gingen. Dieser Hinweis den Strabo noch nicht verarbeitete, weil er es vermutlich nicht wusste, hat sich ab dem Jahr 17 + durch alle antiken Quellen gezogen, hat sich immer wieder fort gesetzt und jede weitere Abschrift des Urtextes machte ihn um so glaubhafter. So weit, dass Cassius Dio zu Beginn des 3. Jahrhunderts den Namen von Segestes schon gar nicht mehr explizit nennen brauchte, da ihn schon jeder kannte. Während man in Rom darauf achtete, dass die Tat des Segestes und das nachweislich bis ins 3. Jahrhundert nicht mehr in Vergessenheit geraten sollte, schien sich für den detaillierten Verlauf der Schlacht auf sehr lange Zeit niemand mehr zu interessieren. Rund 80 Jahre mussten nach Paterculus verstreichen bis Tacitus und Florus die Thematik wieder aufgriffen und weitere 1oo Jahre dauerte es dann noch bis Cassius Dio auch auf die Idee kam, die alten Akten noch einmal aufzurollen. Es war damals eine schier unglaubliche Geschichte die Segestes in Rom zum Besten gab und sie verhalf dieser Legende zu einer erstaunlichen Langlebigkeit. Niemand durfte aufgrund höherer Weisungen in den ersten Jahrzehnten nach der Zeitenwende an der Aussage zweifeln, da sie gut ins kaiserliche Konzept passte und später legten sich die Nebel der Zeit über die einstige Realität. So ging es in die Geschichte ein als die Worte eines treuen Römerfreundes. Und man vergas über die Jahre in welchem Dilemma doch dieser Mann damals steckte, als er sich in die Obhut des Gegners flüchtete um nach den Kriegen als Germanenfürst von Roms Gnaden zurück kehren zu können.(06.11.2020/Ergänzungen 07.11.2020)

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Dienstag, 20. Oktober 2020
Welche Schuhgröße hatte Varus ?
Wer mein Vorwort vor rund drei Jahren gelesen hat, der hat noch in Erinnerung, dass mir daran gelegen ist, Geschichte nie langweilig erscheinen zu lassen. Kapitel einzuschieben die vom großen Geschehen um die Varusschlacht etwas ablenken sollen, waren daher beabsichtigt. So soll auch diese Thematik die Diskussion etwas bereichern helfen. Betritt man den altehrwürdigen Kaiserdom zu Speyer oder die Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg und steigt dann in die dazugehörige Gruft ab spürt man wie die Temperatur abfällt, sich der Sauerstoffgehalt verändert und die Erwartung steigt. Auf die Hektik der Parkplatzsuche folgt dann plötzlich eine seltsame Stille. Umgeben von Sarkophagen und dem Wissen um die darin liegenden Gebeine fühlen sich die Jahrhunderte wie ein Wimpernschlag an. Das Gefühl der Nähe zu längst Vergangenem weckt gleichzeitig einen Eindruck von Vertrautheit, so als ob die Verstorbenen noch Leibhaftig wären. Wir bewegen uns als gingen wir in ihren Fußspuren und für Sekundenbruchteile blicken wir mit ihren Augen auf die Welt. Es gibt kaum einen Ort an dem man sich näher an der Geschichte wähnt, als in einer mittelalterlichen Grablege, wo die alten Zeiten greifbar erscheinen. Ob es Kaiser Konrad II oder Mathilde die Tochter Otto des Großen war, in der kurzen Zeit unserer Anwesenheit fühlt man sich mit ihnen verbunden. Varus hingegen ist aus der Geschichte entschwunden und wir kennen keinen Ort, der sich mit ihm verbinden ließe. Wir können uns zwar ausmalen, dass er vom Castra Vetera I in Birten auf die Lippe Mündung hinüber blickte, aber damit endet auch schon unsere Phantasie. Dank der Geschichtsforschung, der Geologie, der Topographie oder der Geographie und natürlich dank Heribert Klabes lässt sich der römische Hellweg von Aliso zur Weser rekonstruieren. Inmitten dieser Zugtrasse stößt man mit Hilfe des digitalen Geländemodells auf eine Vielzahl verdächtig eingefärbter roter Linien die je nach Höhe mehr oder weniger stark hervor gehoben sind. Parallel zueinander verlaufende doppelreihige Strukturen, Kreise oder einfach nur Linien. Sie können vieles bedeuten aber auch nur vortäuschen und reichen vom Forstweg bis zu den einst in der Region stattgefundenen Kriegshandlungen die ebenfalls ihre Spuren hinterließen. Aber unter und zwischen ihnen verbergen sich auch Hinweise aus ältesten Zeiten die sich kaum noch erkennen lassen sich aber durch die besagten roten Farbmarkierungen sichtbar machen lassen. Heribert Klabes beschrieb den Wegeverlauf in Teilen in seinem Buch "Corvey - Eine karolingische Klostergründung an der Weser". Blickt man auf das Lidar Luftbild wecken insbesondere Doppellinien, wenn sie etwa 6 bis 7 Meter auseinander liegen und sich über größere Distanzen hinziehen die besondere Aufmerksamkeit der Geschichtsfreunde, wobei zu beachten ist, dass die kurz vor Kriegsende in der Region eingesetzten Panzer VI lediglich eine Breite von 3,75 Meter aufwiesen. Aber oft beginnen und enden sie im scheinbaren Nichts und darüber liegende zeitlich nähere Wegeführungen verdecken vieles. Da aber Varus laut Cassius Dio an die Weser gelockt wurde, könnte sich unter diesen schwer definierbaren Strichen oder Wegeführung auch jene befinden, an denen Varus vorbei kam. Sollte die Theorie zutreffen, so wären hier möglicherweise die Örtlichkeiten zu suchen, wo sich einst Varus bewegte und seinen Fuß auf ostwestfälischen Boden setzte. Aber auch wenn die Theorie stimmig klingt, die Bodenarchäologie muss letztlich das Problem lösen. Wenn sie dort auch nicht mehr den Fußabdruck von Varus finden kann, so wäre es aber möglich zwischen Schwaney und dem Netheberg auf die Reste der Varusstraße zu stoßen, mit der vielleicht schon Lucius Domitius Ahenobarbus begonnen haben könnte. Auf dem Wege einer Expedition ließe es sich vielleicht schon näher ergründen und die Chancen stehen gut.(20.10.2020)

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Nicht 17 + sondern 18 +. Das Gefecht von Kalkriese. Gab auch Thumelicus eine Antwort.
Dieses Kapitel knüpft an die Theorie an, dass sich die Kämpfe östlich von Bramsche im Jahr 18 + ereigneten. Sie geschahen in dem Zusammenhang, als der Gefangenenaustausch der 16 + schiffbrüchig gewordenen Römer eingefädelt von den Angrivariern unter Beteiligung der Ampsivarier und der Cherusker eskalierte. Ein Gefecht bei dem die Germanen das Lösegeld und die Wertsachen an sich brachten, die ein römischer Marschzug für sie im Gepäck mit führte und was man im Gegenzug in Grenznähe den Germanen zu übergeben hatte. Einen neuen Mosaikstein dazu könnte Thumelicus beisteuern. So beginnt es damit, dass uns Strabo und Tacitus eine ungewöhnliche Unstimmigkeit hinterließen. Denn Thusnelda die Mutter von Thumelicus, die laut Tacitus noch im Frühjahr 15 + sichtbar schwanger war, kann nicht schon zwei Jahre später im Mai 17 + ein dreijähriges Kind gehabt haben, so wie es uns von Strabo überliefert wurde. Aber wo verbergen sich die Gründe für die abweichenden Überlieferungen der beiden Historiker. Die an sich als zuverlässig gelten. Strabo überliefert also, dass das Kind 17 + drei Jahre gewesen sein soll. Tacitus hingegen schrieb, dass die Mutter noch im Frühjahr 15 + schwanger war. Infolgedessen kann ihr Kind im Jahr 17 + nur zwei Jahre, allenfalls noch ein paar Wochen älter gewesen sein, aber keine drei Jahre alt. Natürlich gilt die Version von Strabo als die stärker Belastbare von beiden, da er Zeitzeuge war und er den Kleinen sah. Andererseits wissen wir nicht, wer ihm damals das Alter von Thumelicus mitteilte. Und ob er es schon während des Triumphzuges oder erst später erfuhr. Tacitus schrieb etwa 1oo Jahre nach Strabo, war also auf eine oder auch mehrere dazwischen liegende Quellen angewiesen. Sicherlich ist diese Episode vor der großen Geschichte nur eine unbedeutende und somit nebensächliche Randnotiz. Trotzdem blieb sie nicht völlig wirkungslos auf die Nachwelt. Jedenfalls berührte die traurige Gestalt des kleinen Thumelicus die antike Geschichtsschreibung, obgleich wir wenig über ihn wissen. Die Etymologie des Wortes Thumelicus war immer schon Objekt wissenschaftlicher Analysen. Man suchte nach Erklärungen aufgrund seiner mütterlichen Herkunft kam aber auch zu anderen Überlegungen. Zum Beispiel wird der kleine antike griechische Altar des Dionysos im mittleren Bereich des Orchesterkreises Thymel genannt. Darum gruppierte sich der Chor. Wer dort auftrat wurde der Überlieferung nach mit dem Namen Thymelicus verspottet. Daraus schloss man, das Thumelicus in seinem späteren Leben verlacht wurde. Der Grieche Strabo stellte diesen Vergleich jedoch nicht her. Er nennt ihn Thoumelikos also nicht Thymelikus oder Thymelikos. Im römischen Imperium könnte man ihn trotzdem so genannt haben, es kam Strabo nur anders zu Ohren. Dieser Pfad muss also nicht unbedingt ein Holzweg gewesen sein. Ob man den Kleinen aber bereits in diesem Alter verspottet hat, sei dahin gestellt. Aber wie wird daraus ein Untersuchungsgegenstand im Zusammenhang mit der Varusschlacht Forschung. Bekanntlich hat sich die Frage etwas fest gefahren, um welche Schlacht es sich gehandelt haben soll, die sich damals nördlich des Kalkrieser Berges zugetragen hat. Man erschloss sich bislang einen Blickwinkel in dem man sich zuerst auf, wen auch sonst nämlich auf Varus konzentrierte, dann aber wegen wachsender Widerstände aus Fachkreisen auch die Germanicus Feldzüge mit in Betracht ziehen musste. Diese endeten jedoch 16 +. Den Horizont erweiterte man jedoch nicht nach vorne. Das Jahr 17 + in Betracht zu ziehen stand überhaupt nicht zur Debatte, da für dieses Jahr keine römischen Schlachten in Germanien überliefert sind, es also an der Germanenfront aus römischer Sicht ruhig blieb. Was allerdings nicht für die Germanen untereinander galt. Denn man lieferte sich in diesem Jahre 17 + eine heftige Schlacht mit den Markomannen die für die Arminius Koalition siegreich endete. Im Jahr 18 + könnte sich jedoch eine andere Situation eingestellt haben. Denn nun gab es möglicherweise wieder einen Grund sich einer Auseinandersetzung mit Rom zu stellen. Strabo hinterließ bekanntlich im Zuge seiner Berichterstattung über den Triumphzug für Germanicus, der am 26. Mai 0017 statt fand den viel sagenden Hinweis, dass Arminius „jetzt immer noch kämpfen“ würde. Dies zieht nun die Frage nach sich, wann Strabo seinen Bericht über den Triumphzug verfasste. Tat er es in der zweiten Hälfte des Jahres 17 + könnte er damit jene Schlacht der Elbe/Weser Germanen gegen Marbod gemeint haben, in der „Arminius immer noch kämpfen“ würde. Tat er es erst im Jahre 18 + so könnte es sich auch um die Anspielung auf ein Gefecht zwischen Germanen und Legionen gehandelt haben. Ob Strabo mit seiner Niederschrift des „jetzt noch kämpfenden Arminius“ an den Krieg der Cherusker gegen die Markomannen dachte, kann nicht ausgeschlossen werden. Hat er es jedoch erst 18 + zu Papier gebracht, dann kann es sich auch um ein römisch germanisches Duell gehandelt haben. Allerdings drückt die Bemerkung von Strabo auch ein gewisses Erstaunen darüber aus, dass Arminius immer noch nicht des Krieges müde war. Strabo wusste, dass das Imperium bereits im Jahre 16 + den einseitigen Waffenstillstand ausgerufen hatte. So drückt seine Bemerkung vermutlich auch Verwunderung darüber aus, warum Arminius trotzdem noch kämpfen würde. Einer Recherche bedürftig ist der Zeitpunkt, wann Strabo erfuhr, dass Arminius jetzt noch kämpfen würde und wann er es nieder schrieb. Da ein kriegerisches Aufeinandertreffen zwischen Germanen und Römern für das Jahr 17 + nicht überliefert ist, gibt es nur die besagten zwei Alternativen. Erstens, er hörte vom Markomannenkrieg noch im Jahre 17 +. Dann bekam er diese Information sehr zeitnah und konnte sie schon in der zweiten Jahreshälfte 17 + in seinen Bericht über den Triumphzug mit einfließen lassen. Dies setzt natürlich auch den schnellen Nachrichtenfluss von der Oberelbe oder dem Ostharz nach Rom bzw. je nach dem wo die Heere aufeinander trafen, voraus. Ob es für Strabo allerdings erwähnenswert gewesen sein könnte, dass sich zwei Germanenvölker gegenseitig bekriegten sei dahin gestellt, denn innergermanische Konflikte dürften im Imperium nicht auf besonderes Interesse gestoßen sein. Andererseits wissen wir, dass es der Wunsch von Tiberius war, dass sich die Germanen in Zwistigkeiten untereinander aufreiben. Man könnte es also vielleicht auch so auslegen, dass Strabo zum Ausdruck bringen wollte, Arminius würde gegen Rom immer noch keine Ruhe geben, da ihm ein rein germanisches Duell irgendwo im Nordosten wenig berührte. Die Schlussfolgerung geht dahin, dass Strabo seinen Bericht über den Triumphzug nicht unmittelbar nach dem Triumphzug und auch nicht in der zweiten Jahreshälfte 17 + nieder schrieb, sondern sich damit Zeit ließ und sich erst 18 + mit dem Erlebten befasste. In dem Jahr, indem er sich auch mit der Geographie Germaniens explizit dem Quellgebiet der Elbe beschäftigte. Die Arbeit war für Strabo teil seines Lebenswerkes und auch in damaliger Zeit widmete man sich für gewöhnlich derart umfänglichen Schreibarbeiten nur mit der nötigen Muße und Abstand und nicht kurzfristig bzw. erst im Alter. Schlussfolgernd daraus kann angenommen werden, dass Strabo seine Erinnerungen an den Triumphzug erst 18 + nieder schrieb und er mit dem „jetzt noch immer kämpfenden Arminius“ nicht die Markomannenschlacht meinte. Aber der Überlieferung von Strabo lässt sich noch ein weiterer Hinweis dazu entnehmen, dass er erst im Jahre 18 + zur Feder griff. Woraus sich die Theorie entwickeln ließe, dass Strabo mit dem „jetzt immer noch kämpfenden Arminius“ die Schlacht meinte, die sich denkbarerweise 18 + zutrug und im Zuge der Gefangenenübergabe, also dem Raubüberfall bei Kalkriese statt gefunden haben könnte. Dazu das Strabo seinen Bericht über den Triumphzug erst 18 + verfasste und sich damit auch auf den in diesem Jahr kämpfenden Arminius bezog, gibt auch der kleine Thumelicus der Sohn von Arminius Anlass. Denn Strabo schreibt, dass Thumelicus am Tag des Triumphzuges, dem 26.5.0017 drei Jahre alt gewesen sein soll. Damit ließe sich zwar nicht auf den Monat genau, aber doch in etwa seine Geburtszeit zurück rechnen und so müsste er um den 26.5.0014 zur Welt gekommen sein. Nach Tacitus war aber seine Mutter Thusnelda im Frühjahr 15 + noch sichtbar schwanger, als Germanicus sie mit nahm. Diese Rechnung geht also zeitlich nicht auf. Da möchte man nun fragen, wer von beiden recht hatte, Tacitus oder Strabo. Hochschwanger lässt uns erahnen, dass die Geburt zeit nah bevor stand und unmittelbar nach der „befreienden Gefangennahme“ im Frühjahr 15 + statt gefunden haben könnte, womöglich noch auf der Rückreise zum Rhein. Thumelicus der nach Strabo am 26.5.0017 drei Jahre alt war, dürfte also nach Tacitus am 26.5.0017 erst zwei Jahre und einige Monate alt gewesen sein. Zwischen den historisch überlieferten Altersbestimmungen des Knaben Thumelicus liegt also etwa ein Jahr. Aber zuvor sei noch die Zuverlässigkeitsfrage gestellt. Tacitus hatte das Jahr 15 + in dem Thusnelda schwanger von Germanicus oder seinen Begleitern aufgegriffen oder erfahren bzw. aus uns nicht bekannten Quellen, die er aber für korrekt hielt. Es muss danach also Personen gegeben haben, die aus dem Anblick heraus bestätigen konnten, dass Thusnelda als Germanicus die Segestes Burg aufsuchte hochschwanger war. Diese Aussage beruhte folglich auf Tatsachen und wurde wohlweislich von Segestes nicht beeinflusst. Wer sagte aber Strabo, dass Thumelicus im Mai 17 + drei Jahre alt gewesen ist. Oder kann man einem Kind in dieser Zeit das Alter ansehen. Könnte er mit zwei Jahren schon wie ein drei Jähriger ausgesehen haben, sicherlich ja und genauso auch umgekehrt. Aber besteht die Möglichkeit, dass vielleicht Tacitus und Strabo auch beide gleichzeitig Recht gehabt haben könnten. Strabo stellt mit seinem deutlichen Hinweis darauf, dass Arminius „JETZT“ also in diesem Moment, folglich hoch aktuell immer noch kämpfen würde, einen klaren Zeitbezug zum Augenblick her. Strabo hielt also sozusagen die Schreibfeder noch fasst in der Hand, während Arminius zur gleichen Zeit also „JETZT“ immer noch kämpfen würde. Aber in diesem gleichen Moment bzw. Satz berichtet Strabo auch, dass Thumelicus „nun“ drei Jahre alt sei. Bezog Strabo das Alter von drei Jahren also auf den 26.5.0017 oder schon auf das Jahr 18 + als er seinen Bericht verfasste. Hatte Strabo möglicherweise dem am 26.5.17 + erst zwei jährigen Sohn im Jahr 18 + ein weiteres Jahr hinzu gerechnet. Dann würde dazu auch die Schwangerschaft von Thusnelda im Frühjahr 15 + passen und es gäbe somit auch keinen Dissens zur Überlieferung von Tacitus. Thusnelda stand 15 + kurz vor ihrer Niederkunft, Thumelicus war 17 + zwei Jahre und Strabo gab sein Alter im Jahr 18 + mit drei Jahren an. Es ergäbe sich auf Basis dieser Altersrechnung auch, dass Arminius demnach im Jahre 18 + noch immer in Kämpfe verstrickt war. Dies ermöglicht eine weitere Schnittstellenbetrachtung. Sie könnte zu dem Ergebnis führen, dass bereits im Jahre 18 + wieder Germanen gegen Römer kämpften. Und das Jahr 18 + war demnach das Jahr in dem Arminius „jetzt“ noch kämpft. Etwas geschmeidiger formuliert lautet der Originaltext von Strabo, den er über den Triumphzug im Jahre 17 + hinterließ „Arminius, der den Krieg der Cherusker anführte und die Treue gegen Quintilius Varus brach und der „JETZT“ noch den Kampf fortsetzt; sowie Thusnelda mit ihrem dreijährigen Sohn Thumelicus,“. Auf den Punkt gebracht kann man sich nun eine Meinung bilden was Strabo unter „JETZT“ verstanden hat. Schrieb er es noch 17 +, dann kämpfte Arminius auch noch in diesem Jahr gegen wen auch immer, bzw. Strabo erfuhr vom Krieg gegen die Markomannen. Schrieb er es erst 18 +, dann trug Arminius einen Kampf in diesem Jahr aus, aber gegen wen ? So entsann sich Strabo möglicherweise im Jahr 18 + auch noch mal des kleinen Thumelicus zurück, dessen Schicksal ihn offensichtlich bewegt hatte, denn sonst wäre ihm seine Anwesenheit und sein mögliches Alter keine Zeile wert gewesen. Auf Entfernung das Alter eines Kleinkindes zu bestimmen, ist ohnehin unmöglich, so könnte er auf Strabo schon wie ein kräftiger Dreijähriger gewirkt haben, obwohl er erst zwei Jahre alt war. Er rekapitulierte im Jahre 18 +, dass dieses Kind heute etwa drei Jahre alt „gewesen sein müsste“. Und sein Vater ? Der hielt in diesem Jahr immer noch seinen Kopf für eine Sache hin, die eigentlich schon längst als abgeschlossen galt. Denn Rom hatte sich 16 + entschieden, Germanien für die nächste Zeit nicht mehr zu bekriegen und sich zurück zu ziehen. Aber Überfälle auf Transportzüge standen immer noch auf seiner Agenda. Eben einer wie jener, der sich 18 + bei Kalkriese zugetragen haben könnte und wovon auch Legionäre der Legio I Germanica betroffen waren. Eine in der Tat schwierige Diskussionsgrundlage. Aber die nur auf den ersten Blick voneinander abweichenden Altersangaben von Strabo und Tacitus auf Thumelicus bezogen, könnten das Ereignis von Kalkriese auf das Jahr 18 + verdichten helfen. Zweifellos gewinnt diese Querverbindung mit Bezug auf das Alter von Thumelicus für sich allein genommen nicht an Plausibilität. Sie lässt sich jedoch damit steigern, wenn man sie in Kontext zu den vielen anderen Hinweisen setzt. Damit ließe sich der Verdacht erhärten, dass auch Arminius 18 + am Kalkrieser Berg selbst noch mit dabei gewesen sein könnte, als man den Gefangenenaustausch vollziehen wollte. Allerdings war Varus da schon neun Jahre tot. (20.10.2020)

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