Samstag, 1. August 2020
Segestes fürchtete sich in seiner Burg - aber mehr vor seinen Freunden......
....... als vor seinen Feinden. Und so galt seine Sorge auch eher den anrückenden römischen Legionen des Germanicus, als dass er eine Gefahr hinter den angeblichen cheruskischen Belagerern sah, die ihm nur als willkommener Vorwand dienten. Vieles könnte man Segestes vielleicht vorwerfen, soweit man sich einbildet seinen Charakter zu kennen, aber einen fehlenden Realitätssinn wird man ihm wohl nicht nachsagen können. Denn das Taktieren und Lavirieren zwischen und hinter den Fronten lag ihm wie man weiß und das musste in jenen Tagen auch eine der Grundvoraussetzungen dafür sein, um alt werden zu können. So setzten ihn seine Informanten auch schon frühzeitig über die wachsende militärische Bedrohung und die Gewalttaten der Legionen in Kenntnis, die sich an seiner Südgrenze ereigneten. Ihre Zielrichtung ließ sich nun nicht mehr verheimlichen, wodurch für ihn die Stunde der Entscheidung immer näher rückte. Es mögen sich in den Jahren Antipathien, Animositäten und Differenzen zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn aufgebaut haben und Segestes könnte sich Arminius gegenüber auch aus Gründen des Altersunterschiedes überlegen gefühlt haben, was insgesamt zur Rivalität beigetragen haben dürfte. Aber auch die möglicherweise freiwillige Anwesenheit von Thusnelda rechtfertigt in dieser brisanten Lage noch keine Belagerung, wenn römische Legionen schon vor der Haustür stehen. Sich aber Arminius zu beugen falls man ihn belagert haben sollte um dann für ihn in einer Schlacht gegen Rom zu sterben, zumal seine Pläne bereits weiter viel griffen war für Segestes keine Option. Und die Überlieferungen von Strabo und Tacitus untermauern diese Theorie auf die ich noch eingehen möchte. Er kannte alle Großen und Mächtigen seiner Zeit von Drusus über Tiberius bis Germanicus, möglicherweise auch Augustus, sowie Marbod und natürlich Varus und fasst alle germanischen Fürsten im Großraum, sowie zahlreiche römische Legionskommandeure persönlich. Das machte aus ihm einen nicht zu unterschätzenden und mit allen Wassern gewaschenen Stammenslenker heute würde man sagen Innenpolitiker. Aus der Tiefe der Vergangenheit wirkt er auf uns diplomatisch geschmeidiger, besaß weder die widerborstigen Gene eines Arminius und er war auch kein Hellseher, obwohl er Gefahren gut einschätzen konnte. Hätte er damals voraus sehen können, dass Arminius einmal als Sieger und wohl nicht nur „am grünen Tisch“ die Kriegsschauplätze des Jahres 16 + verlassen würde, so wäre manches anders gelaufen und der krönende Abschluss im Mai 17 + in Rom hätte vermutlich ohne Segestes statt gefunden. Aber in Germanien beherrschte im Frühjahr 15 + Pragmatismus und Überlebenswille sein Verhalten und vieles spricht für sein nüchternes Kalkül. So malte er die Zukunft was auch nicht verwundert, für Germanien in schwärzesten Farben. Er hatte sich bei den vielen politischen Verwerfungen seiner Zeit bislang seine relative Selbstständigkeit bewahren können, war vermutlich auch schon in die politischen Ränkespiele unter dem römischen Konsul Ahenobarbus 1 + verstrickt und wusste wann es Zeit war die Zeichen des Himmels richtig zu deuten. Denn nun bewegte sich die römische Front scheinbar unaufhaltsam wie eine Lawine auf ihn und sein Herrschaftsgebiet zu. Durch sie fühlte er sich nicht nur bedroht, sondern war es auch. Geostrategisch betrachtet sah er sich urplötzlich mitten im Zentrum imperialer Kriegspläne. Lagen doch die Ostgrenzen des römisches Reiches für ihn seit seiner Geburt, etwa um das Jahr 30 - immer am Rhein, so konnte er sich im Hinterland an der Leine über die Zeiten sicher fühlen. Die lange Anmarschstrecke die die Legionen durch die westfälische Bucht zu bewältigen hatten, die schroffe Egge, dann die Weser samt ihren Niederungen und der waldreiche Solling boten ihm Schutz. Und bei Bedrohung konnte er sich zur Not auch in den Harz mit seinen zahlreichen zerklüfteten Schluchten zurück ziehen, der nur nur 20 Kilometer von Vogelbeck entfernt begann. Als man Segestes mit dem römischen Bürgerrecht hofierte, anders ausgedrückt köderte waren die Zeiten andere. Da hatte die Varusschlacht noch nicht die Stimmung getrübt und die neuen Realitäten waren noch nicht absehbar. Aber nun ist Segestes schon lange, besser gesagt zu lange den Beweis schuldig geblieben mit dem er sich für die alte Ehrung hätte erkenntlich zeigen können. Sechs Jahre hätte er Zeit gehabt mit dem Imperium in Kontakt zu treten um alte Verbindungen aufzufrischen. Sein ängstlichen Verhalten spricht dafür, dass er es unterließ. Im Frühjahr 15 + konnte und musste daher auch Germanicus die einstige Würdigung als überholt betrachten und konnte sich sogar die Frage stellen, ob man sie ihm damals überhaupt zurecht zuteil werden ließ. Aber Germanicus kannte die Methode wie Rom sich seine Vasallen heran zog und wusste, dass man derartigen Auszeichnungen keine große Bedeutung beimessen brauchte. So könnte es nicht nur Germanicus gesehen haben und man sah in ihm mehr den Germanen als den „Halbrömer“. Als Römerfreund ist er soweit man es weiß, seitdem nicht mehr auffällig in Erscheinung getreten. Mit seiner Entscheidung das Lager zu wechseln hielt er sich lange zurück, was ihn verdächtig machte. Mit einer frühzeitigen Ergebenheitsadresse an Germanicus, hätte er das Blatt schon eher wenden können. Etwa zu dem Zeitpunkt als dieser mit seinen Legionen die Wetterau gerade hinter sich gelassen hatte. Folglich musste Germanicus in Segestes zunächst einmal den potenziellen Feind sehen und so hätte er ihn, der immerhin auch der Schwiegervater seines größten Widersachers Arminius war, wohl auch im Ernstfall behandelt, folglich schonungslos. Augenfällig war es schon, wie Segestes im Zuge seiner Reputationsrede die Gegenseite eindringlich daran erinnern musste, besser gesagt darauf pochte wie er doch immer treu und fest zu Rom gestanden hatte. Und dazu musste er sich 15 + auch die Mär von seiner an Varus ergangenen Warnung einfallen lassen, um sich seine letzten Chancen zu wahren. Mit dem unglaubwürdigen Status eines selbst ernannten Römerfreundes stand ihm nun bald ein kritischer Seiltanz in Form eines Kotau vor Germanicus bevor. Das war die Ausgangslage einer gänzlich neuen Situation, in der sich Segestes im Frühjahr 15 + wieder fand. Und damit ging eine bittere Erkenntnis einher. Denn nun lief er Gefahr sogar selbst und das noch dazu völlig ungewohnt von Süden her nicht nur bedroht, sondern auch bald angegriffen werden zu können. Segestes war noch ein junger Mann, aber wohl schon stolzer Vater als Drusus vermutlich über das zu seiner Zeit gegründete Höhenkastell Hedemünden zwischen 11 - und 9 - durch das Leinetal nach Norden zog um vielleicht in Wilkenburg die ersten römischen Spuren zu hinterlassen. Dabei kann einem Legionär möglicherweise die 1994 gefundene Bronzemünze des ersten Nemausustyps nahe der Vogelsburg aus der Tasche gefallen sein. Seitdem kam kein römischer Feldherr mehr aus dieser Richtung. Und selbst während des „Immensum Bellum“ der von 1 + bis 5 + andauerte gab es keine römischen Vorstöße aus dem Süden, was der aktuellen Lage eine deutlich kritischere Note verlieh, als alles bisherige. Segestes wurde nun verständlicherweise unruhig, denn er ahnte die Gefahr und so sah er sich gezwungen zu handeln, wollte er sich wieder schadlos halten. So bot ihm die von Strabo beschriebene „günstige Gelegenheit“ im letzten Moment den Anstoß, um den drohenden zukünftigen kriegerischen Auseinandersetzungen geschickt zu entrinnen. Damit gelang es Segestes noch rechtzeitig den schon auf ihn gerichteten römischen Spieß umzudrehen und er suchte nur noch nach einer geeigneten Brücke auf der es sich gut den heiklen Gang ins Imperium antreten ließ. Da passte das Kontingent der Cherusker, dass als Unterstützung der Chatten dienen sollte möglicherweise gut in sein Konzept und er gab diese Germanen als eine Gefahr für sein eigen Leib und Leben aus. Er machte aus ihnen Germanen, die ihn angeblich bedrohen würden, so dass sich auf dieser Basis ein Germanicus als willkommener Retter aufschwingen konnte und sein Ansinnen die Fronten zu wechseln wirkte vor diesem Hintergrund umso glaubhafter. Worauf ich aber noch näher eingehen möchte. Obwohl es vermutlich gar nicht die ureigene Aufgabe und Bestimmung der Cherusker war die Herausgabe von Thusnelda zu erkämpfen, denn sonst hätten sie dieses aufgrund der geschilderten Übermacht gegen die Verteidiger wohl auch geschafft. Diese Theorie soll mit eine Basis für die Überlegung bilden, dass Segestes weniger glaubwürdig als eigennützig handelte und daher sind auch seine angeblichen Warnungen an Varus mit der gebotenen historischen Vorsicht zu genießen. Träfe diese Hypothese zu, würde sich auch der Verlauf der Varusschlacht schärfer abzeichnen, denn dann hätte ein nicht gewarnter Varus seinen Marsch in den Untergang völlig blauäugig angetreten und konnte daher auch um so leichter bezwungen werden. Aber zur Stärkung dieser Hypothese möchte ich mich in den folgenden Kapiteln noch mit den abweichenden Äußerungen der anderen römischen Historiker näher auseinander setzen, die sich zu der Frage wie Varus gewarnt worden sein soll, ebenfalls geäußert haben. Die cheruskischen Krieger rotteten sich jedenfalls wie bereits in der Theorie dargestellt in der Region an der unteren Leine nur in der Absicht zusammen abzuwarten und möglicherweise auf Verstärkung zu hoffen, da man nun mit einem römischen Vorstoß in ihr Kernland rechnen musste. Segestes sah sich unverhofft im Brennpunkt der Geschehnisse und nutzte wie argumentiert diese Gemengelage aus um es Germanicus gegenüber wie eine Bedrohung aussehen zu lassen. Eine Gefahr für seine Person, die es aber de facto nicht gegeben haben muss. Denn die cheruskischen Kämpfer hatten es nach meinem Dafürhalten nicht auf ihn abgesehen, da man diese Kampftruppe für größere Aufgaben abkommandiert hatte, aber nicht um eine schwangere Frau zurück zu bringen. Aber man sollte den Faden auch in die Bereiche des Möglichen spannen. Also noch mal von vorne. Tacitus hatte folglich seine Quellen in dergestalt interpretiert, als ob eine Belagerung statt gefunden hat. Denn Segimund soll es gegenüber Germanicus bei dem Zusammentreffen so zum Ausdruck gebracht, also gesagt haben. Zeugen die diesen Gesprächsverlauf dokumentierten bzw. bestätigen könnten und die es sicherlich gegeben haben dürfte, kennen wir nicht. Und selbst wenn es damals von Anwesenden römischen Kommandeuren aus dem Stab des Germanicus so protokolliert worden wäre, wir hätten nie erfahren, ob Segimund die Wahrheit sagte, oder ob er nur der Anweisung seines Vaters blindlings folge leistete. Und selbst das ist infrage zu stellen, denn es besteht auch die Möglichkeit, dass es Segimund gar nicht sagte und es nur die Protokollanten überlieferten um die Handlungsweise von Germanicus der Nachwelt gegenüber angemessener begründen zu können. Nach der Devise „Traue keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast“, könnte man abgewandelt sagen „Traue keinem antiken Historiker, gleich ob er dabei oder nicht dabei war“. Aber verlassen wir uns nun im Rahmen dieser Theorie darauf, dass Segestes nicht geflunkert hat, seine Burg tatsächlich belagert wurde und Segimund es korrekt Germanicus berichtete. Aber Segimund sprach auch von einer Übermacht. Und da wird man schon nachdenklich und gerät ins Grübeln, denn was wollte man oder er in diesem Zusammenhang mit „Übermacht“ zum Ausdruck bringen. Vermutlich wollte Segestes über seinen Sohn Druck auf Germanicus ausüben, dass dieser nicht lange nachdenken und sich schleunigst auf den Weg machen sollte, bevor es zu spät sein könnte. Germanicus folgte bekanntlich der Bitte und ritt zur Burg des Segestes um ihn zu befreien. Er tat es allerdings ohne Segimund, denn den hatte man schon mal als Geisel zurück gehalten. Dann kam es also zu einer Auseinandersetzung zwischen Germanicus und den belagernden Cheruskern im Umfeld der Burg. Nun sollte man sich die Belagerung die im Zuge dieses Exkurses als glaubhaft eingestuft wird, näher betrachten. Dazu muss man aber zunächst in die Vorgeschichte zurück greifen. Vergegenwärtigt man sich die Lage in der Burg des Segestes die von einer Übermacht an cheruskischen Kämpfern umringt war, so müsste es in diesen Stunden ziemlich spannungsgeladen und turbulent zugegangen sein. Vor den Wällen möglicherweise eine dicht gedrängte grölende Menschenmasse, die gerade mit dem Versuch beschäftigt war sich ins Innere der Burg vorzukämpfen, aber von den Verteidigern noch gerade zurück gedrängt werden konnte. Oder wie sollte man es sich vorstellen ? Eine Belagerung entsteht nicht aus dem Nichts heraus und bahnt sich an. Es könnten untätige Cherusker mit oder ohne Auftrag von Arminius gewesen sein, die nun über die Stränge schlugen und die Phase im Raum Einbeck inne halten zu müssen nutzen wollten um Thusnelda der Obhut ihres Vaters zu entreißen. Und natürlich hätte er seine Tochter auch ohne Gegenwehr übergeben können, aber er handelte wohl eher nach dem Motto „Nur über meine Leiche“. Segestes und seine Männer beobachteten von der Wallkrone aus, dass sich der Belagerungsring um sie immer enger zog. So beriet er sich im engsten Kreis seiner Sippe und man entschied sich Segimund zu Germanicus zu senden um ihn um Hilfe zu Bitten. Aber von diesem Augenblick an reden wir über ein sehr schmales Zeitfenster und das immer unter der Prämisse betrachtet, dass es diese Belagerung tatsächlich gegeben hat. Dieser Hypothese nach hatte Segestes seinen Fürstensitz auf der Vogelsburg bei Vogelbeck, aber wir kennen nicht die Struktur und die Verteidigungsfähigkeit dieser prähistorischen Anlage in den ersten Jahrzehnten nach der Zeitenwende, zumal sie in den folgenden Jahrhunderten zahlreiche Umbauten erfahren haben dürfte. Fliehburgen in Höhenlagen in denen die Gaufürsten ihren Sitz hatten orientierten sich in der Bauweise an den von der Geologie vorgegebenen Strukturen. Die Vogelsburg gehört nach Ansicht von Dr. Geschwendt zu den eindrucksvollsten Anlagen aus frühgeschichtlicher Zeit in Niedersachsen. Die baulichen Reste befinden sich auf einer 262 Meter hoch gelegenen Bergkuppe am östlichen Leineufer und ihre ersten Bauspuren sollen mindestens in die Phase zwischen 150 – bis 0 -/+ zurück reichen, während Keramikfunde noch weit aus älter sind. Der Hauptzugang in die Doppelwallanlage befand sich im Nordosten, wo er auch stärker gesichert war. Um den Moment des Verlassen der Reiterschar um Segimund rekonstruieren zu können kommt der Frage eine Bedeutung zu, ob die Delegation dabei von den Belagerern beobachtet wurde, oder ob es ihnen gelang unbemerkt in Richtung Germanicus aufzubrechen. Man darf nun rätseln wie die Reiterschar um Segimund die Bergfestung verlassen hat. Waren die Hänge zur Kuppe baumfrei, dann ließ sich die Wallburg von allen Seiten kontrollieren. Benutzte man dafür den Hauptzugang musste man durch die Reihen der Belagerer. War der Anstieg zum Fürstensitz mit Bäumen bestanden und gab es Notausgänge und versteckte Fluchtwege so war es für Berittene riskant die Wälle auf derartigen Pfaden zu verlassen. Es bei Dunkelheit zu wagen ein Pferd zu besteigen um dann schnellen Rittes ein Ziel zu erreichen ist riskant. Und auch wenn Pferde bei Dunkelheit besser sehen als Menschen dürfte ein Nachtritt wenn nicht Selbstmord, so zumindest ein Wagnis gewesen sein. Man könnte also davon ausgehen, dass keine Geheimhaltung möglich war und die Entsendung einer Delegation an Germanicus nicht ohne Wissen der Belagerer statt gefunden hat. Und ab diesem Moment tickte die Uhr und das sowohl für die Eingeschlossenen, als auch für die Belagerer. Denn beide Parteien standen nun vor der Frage wieviel Zeit diese Aktion kosten würde. Die Reiterschar musste eine Wegstrecke unbekannter Distanz zurück legen. Sie musste Germanicus finden und es waren zudem noch überzeugende Gespräche mit ihm zu führen. Germanicus musste dann entscheiden, sich vielleicht auch mit Caecina absprechen um dann nach Norden aufzubrechen. Hier stößt man aber noch unzweifelhaft auf eine gewisse Unlogik. Dadurch, dass Segimund eine Schilderung lieferte, mit der er eine germanische Übermacht zum Ausdruck brachte und die Lage auf Messers spitze stand war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Germanicus umsonst zur Burg des Segestes aufbrach. Denn er hätte bei seiner Ankunft nur noch auf die rauchenden Trümmer einer einstiges Segestesburg blicken können, aus der die Arminen bereits alle Bewohner nach Norden abgeführt hatten. Das Germanicus trotzdem aufbrach ist bemerkenswert und erweckt daher eher den Anschein einer Machtdemonstration mit ungewissem Ausgang oder den Willen einen Kampf riskieren zu wollen. Es lässt aber auch Zweifel an der geschilderten Übermacht der Arminen zu. Aber zurück zur vermeindlichen Realität. Unter günstigen Bedingungen ließe sich also für Hin- und Rückritt ein Zeitfenster von drei Tagen öffnen. Das bedeutet, die Eingeschlossenen mussten drei Tage durchhalten und die Belagerer hatten drei Tage Zeit um die Belagerung erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Es standen sich nun eine Verteidigerschar in einer möglicherweise gut befestigten Wallanlage und eine Übermacht cheruskischer Belagerer gegenüber. Schenken wir Tacitus glauben und tragen wir einer wahrheitsgetreuen Darstellung Rechnung, dann hingen die Tage an der Vogelbecker Vogelsburg an einem seidenen Faden. Wen konnte Segestes aufbieten der ihm bis zuletzt die Treue hielt und der vor allen Dingen sein Leben für Thusnelda auf`s Spiel setzten wollte. Hinzu kam noch, dass er nun auch noch auf die Kämpfer verzichten musste, die mit Segimund zu Germancius unterwegs waren. Auf wie viel Cherusker konnte sich Segestes überhaupt stützen die bereit waren mit ihm die Burg verteidigen zu wollen. Männer auf die später gemeinsam mit Segestes ein Übertritt ins Imperium folgte. Aber Männer über die uns Strabo nichts berichten konnte und wollte, denn seine Aufzählung im Rahmen des Triumphzuges 17 + umfasst keine einfachen namenlosen germanischen Mitstreiter von Segestes die dann mit ihm auf der Tribüne in Rom platz nehmen durften. Männer die noch zwei Jahre zuvor mit ihm gemeinsam die Burg gegen die Arminen verteidigt hatten. So spricht es für eine überschaubare Schar an Cheruskern, die sich da zur Wehr setzte und es unterstreicht die Strategie des Segestes die Belagerung nur vorgetäuscht zu haben um sich auf diese Weise eine goldene Brücke zu Germanicus aufbauen zu können. Allemal eine Episode mit vielen Fragezeichen. Man sollte annehmen die Belagerer, zumal sie als Übermacht dargestellt wurden, hätten die wenigen Tage genutzt um alles auf eine Karte zu setzen. Sollte es also tatsächlich Aufgabe und Auftrag dieser historisch überlieferten „Übermacht“ an arminiustreuen Germanen gewesen sein Thusnelda zu befreien, so gelang es ihnen letztlich nicht die Burg des Segestes in der verbleibenden Zeit sozusagen im Sturmangriff in Besitz zu nehmen, denn Segestes konnte schließlich befreit werden. Werfen wir nochmal einen Blick auf die Methodik einer Belagerung. Wie hätte man sie sich überhaupt vorzustellen. War es eine dichte und undurchdringliche Kette die Segestes mit seinen Männern nicht hätte durchbrechen können, da sich unter den Belagerern auch noch zusätzlich seine eigenen Männer befunden haben sollen. Denn der Hinweis, dass sich auch seine eigenen Stammensgenossen unter den Belagerer befanden lässt aufhorchen. Denn dies kann man den taciteischen Worten „adversus vim popularium“ entnehmen. In deutscher Sprache bedeutet es etwa er wurde „Volk“ belagert bzw. von „dem Volk zugehörigen“ belagert. Und ein Volk ist gemischt und setzt sich aus der Gesamtheit aller Stammesgruppen der Cherusker zusammen. Und so könnte man darunter auch Männer verstehen die zum Segestesclan gehörten. Sein eigener Stamm war also geteilt in Freund und Feind, folglich stand nicht sein gesamter Stamm geschlossen hinter ihm und verteidigte mit ihm seinen Fürstensitz. Und das dem so sein könnte, ist auch nicht aus der Luft gegriffen, denn dies belegt eine Übersetzung aus der sich der Hinweis auf die Anziehungskraft und das Talent eines erfolgreichen, rhetorisch fähigen und taktisch klug agierenden Mannes wie Arminius heraus lesen lässt, der sie alle faszinierte und auch die Kämpfer aus dem Segestesclan magisch mit anzog. Wer sich der Aura von Arminius entziehen konnte blieb bei Segestes, aber es deutet darauf hin, dass ihm da nicht viele Männer gefolgt sein dürften. Um seine Verteidigungsfähigkeit war es also nicht zum Besten bestellt. Aushungern wollte man Segestes wegen seiner Tochter sicherlich auch nicht, aber man sollte auch die Fortifikation frühgermanischer Wallburgen nicht unterschätzen. So stellt man sich dennoch die Frage wie ernsthaft man diese Belagerung einstufen soll, wenn sie unter diesen Voraussetzungen nicht gelang. Entweder war die Übermacht doch nicht so groß wie Segestes über seinen Sohn verlauten ließ bzw. Tacitus es darstellte, oder die Burg war wie dargestellt sehr gut zu verteidigen, bzw. man ging nur halbherzig ans Werk. Und dann geschah das Seltsame. Denn Segestes entschied sich für die heikle Vorgehensweise Germanicus sozusagen über die Köpfe der feindlichen Belagerer hinweg direkt aufsuchen zu lassen um ihm sein Anerbitten mitzuteilen. Und in dieser Form der Kontaktaufnahme zwischen ihm und Germanicus muss man sicherlich mehr ein gewagtes Unternehmen sehen vielleicht sah er darin auch seine letzte Chance und es war alles andere als ein gut durchdachtes Manöver. Aber es weist trotzdem auf einen abgebrühten Schachzug des Taktikers Segestes hin auch in dieser schwierigen Lage noch nicht aufzugeben. Oder den Mut der Verzweiflung die Gunst der Stunde verpassen zu können. Auf Segimund und die anderen, die den Auftrag von Segestes auszuführen hatten wird es wie ein Himmelfahrtskommando gewirkt haben. Denn ein Ritt zu Germanicus hätte für sie im ungünstigen Fall auch in der römischen Gefangenschaft enden können. Denn letztlich war ihnen bewusst, dass sie auch als Geisel dienten, wenn etwas Unvorhergesehene eintreffen könnte bzw. Segestes vielleicht sogar Arglistiges im Schilde führte. Germanicus hat, wie es überliefert ist seine Entscheidung gut abgewogen. Und dazu gehörte eine realistische Einschätzung der Lage. Wie also könnte sich Germanicus außer der Geiselnahme noch abgesichert haben bevor er ins Lager des Segestes aufbrach. Zweifellos war Caecina nicht mehr weit und der Korridor zur Segestesburg berührte auch keine Gaue bzw. kein Stammesgebiet der Arminen konnte also nicht als Provokation aufgefasst werden. Und während Germanicus vermutlich noch zögerte und grübelte, musste Segimund etwas nachhelfen und tischte ihm die Belagerungszenerie auf. Dadurch war Segimund aber auch gezwungen ihm klare Angaben darüber zu machen mit welchen germanischen Kräften aus der Arminius Sippe Germanicus im Umfeld der Segestesburg zu rechnen hatte. Denn davon hing jetzt ab, wie viel Männer Germanicus mitnehmen musste um in keinen Hinterhalt zu geraten. Allerdings lässt sich der Übersetzung der Hinweis entnehmen, dass er seinen ganzen Heereszug drehen ließ. Segimund berichtete ihm wie befohlen, schätzte die Anzahl als überschaubar ein, musste aber das Risiko abgeschwächt darstellen. Denn andernfalls hätte Germanicus möglicherweise auf diese Stippvisite völlig verzichtet, denn in eine ungeplante Schlacht wollte er sich nicht verwickeln lassen. Schließlich hatte er sich schon bevor Segimund kam abgesetzt und seine Pläne die Cherusker im Alleingang von Süden aus anzugreifen, also ohne Caecina hinzu zu ziehen, bereits aufgegeben. Germanicus könnte für die Aktion auch auf genügend schnelle berittene Einheiten zurück gegriffen haben, unter denen sich kampfbereite Männer befanden die im Ernstfall auch schlagkräftig genug waren mit kleineren cheruskischen Ansammlungen fertig zu werden und keine Fusslegionäre die zu unflexibel und deren Anmarsch zu zeitraubend gewesen wäre, wogegen aber die Überlieferung spricht. Und über allem schwebt die Frage, ob das cheruskische Kontingent, dass man als Übermacht darstellte nicht auch für Germanicus ein Wagnis hätte bedeuten können. Segimund gelang es jedenfalls einen überzeugenden Auftritt hinzulegen und das Ansinnen seines Vaters geschickt vorzutragen, denn Germanicus reagierte wie erhofft und ließ seine Kräfte nach Nordosten zurück reiten bzw. marschieren. Bei einem Marsch ist allerdings davon auszugehen, dass die römische Entsatz Armee wohl mehr als drei Tage dafür benötigt hätte. Germanicus muss also die Risiken gut abgewogen und sie zu seinen Gunsten ausgelegt haben, sonst hätte Segestes vergeblich auf seine Befreiung bzw. seinen Seitenwechsel gewartet. Am 26.5.0017 durfte Segestes aber dann dank Germanicus in Rom doch noch seinen großen Tag erleben, aber über seinen weiteren Werdegang schweigt die Historie bis auf den kleinen Hinweis, dass man ihn in Gallien untergebracht haben könnte. Segimund überbrachte im Beisein der Gesandten brav die Botschaft seines Vaters an Germanicus. Und dieser erfuhr möglicherweise auch erst in diesem Moment etwas über die Existenz einer Schar kampfbereiter Cherusker die an der oberen Leine standen und auch davon, dass sich Segestes mit einem kleinen Teil der Cherusker vom Gesamtstamm abspalten wollte. Informationen über die er vorher keine Kenntnis besaß. Diese Erklärung würde zweifellos einer bislang geltenden historischen Auffassung entgegen stehen. Nämlich der, dass Germanicus seinen Frühjahrszug 15 + nur deswegen antrat, da er von den Stammeskonflikten zwischen den Cheruskerfürsten schon in seinem Mainzer Kastell Kenntnis hatte und davon profitieren bzw. deswegen den Zwist für sich nutzen wollte. (01.08.2020)