Donnerstag, 24. September 2020
Segestes, wie man ihn auch sehen kann - „Es ist nie so wie es aussieht“
Der menschliche Wunsch „verstehen zu wollen“ reizt uns auch die Inhalte antiker Überlieferungen immer wieder nach Neuem und Unentdecktem auszuloten.
Sie haben uns zahlreiche Spielräume hinterlassen die mit plausiblen Erklärungen geschlossen sein wollen. Ein unzertrennlicher und notwendiger Prozess, der der Forschung geschuldet ist. Es scheint nicht nur so, sondern es ist in der Geschichte immer alles eng miteinander verknüpft und verbacken. Ohne ein vorher auch kein nachher und jede neue Generation die nach Varus aufwuchs bewertete ihn und seine Zeit anders. Zeitliche Sprünge im Zuge der Nachbetrachtung sind daher auch hier unvermeidbar, so verwirrend es auch manchmal sein mag. Aber da müssen wir durch. Wie sich Schmand auf der Milch absetzt, drängen sich auch neue Spekulationen wie von selbst an die Oberfläche und bringen frische Ideen in die Debatte. Die Starre fest gefahrener Gedankengänge lässt sich so überwinden und wie jedem Keller, steht es auch der historischen Bewertung gut zu Gesicht von Zeit zu Zeit entrümpelt zu werden. Man blickt auf die Geschichte wie auf ein buntes Karussell oder auf eine sich drehende Roulettekugel und erst wenn wir das Rotierende zum Stillstand bringen um es besser analysieren zu können, reiben wir uns die Augen, blicken wir klarer und merken, wie bequem wir es uns schon in dem Glauben gemacht hatten, so und nicht anders muss es damals gewesen sein. Aber genug der schönen Worte, denn wir müssen wieder einmal zurück ins Jahr 17 + um dieses Kapitel zu Ende zu bringen. Am Anfang standen die Männer der ersten Stunde, nämlich im historischen Sinne die „Urberichterstatter“ und das waren außer Manilius vor allem Ovid und Strabo. Zwei Männer wie sie ungleicher kaum sein können. Ovid konnte uns natürlich aus der Verbannung heraus und Jahre vor dem Triumphzug des Jahres 17 + nicht die daran teilnehmenden Germanen beim Namen nennen. Es war schließlich seine Fiktion und er war kein Hellseher. Aber Ovid ahnte, wie er seinen Kaiser Augustus glücklich machen konnte um ihm in seiner tristen Agonie, resultierend aus der Varusniederlage einen Hoffnungsschimmer bieten zu können. Wie wir wissen war das was er tat nicht frei von Eigennutz, denn er erhoffte sich damit, dass Augustus die Verbannung gegen ihn aufheben würde. Wie in allen Zeiten stand und steht das persönliche Interesse oben an und auch das Verhalten von Segestes war von dem nicht weit entfernt. In Ovid`s an den Kaiser gerichteten rhetorisch übersteigerten Versen der Tristia ließ er Augustus gewissermaßen einen Blick in eine ruhmreiche Zeit werfen. Er nahm die Zukunft vorweg und ließ die Zeitgeschichte mit der Utopie verschmelzen. Der Kaiser sollte jedoch nicht mehr erleben, dass sein Wunschbild einmal wahre Gestalt annehmen würde. Aber die Träume von Ovid sollten zumindest in Teilen einmal reale Gestalt annehmen und es sollte nicht bei bloßen Schäumen bleiben. Was Strabo nicht tat bot uns Ovid auf seine poetische Weise. In Form von Umschreibungen teilte er uns einige interessante Wesensmerkmale und Verhaltensweisen jener Triumphzug - Teilnehmer mit, so wie sie seiner Phantasie und Vorstellungskraft entsprangen. Sie wurden von ihm so lebendig und ausdrucksstark zu Papier gebracht, dass sie halfen unser Einfühlungsvermögen für die Lage im alten Rom zu verbessern. Denn er versuchte ohne es selbst gesehen zu haben das Auftreten der fremdländischen Germanen zu beschreiben. Es könnte ihm leicht gefallen sein, da er vor seiner Verbannung in Italien mit eigenen Augen sah, wie sich germanische Sklaven in römischer Gefangenschaft verhielten. Es war ein spektakuläres literarisches Produkt seiner inneren Visionen, was auch noch in ferner Zukunft unsere Interpretationsfreudigkeit anspornen wird. Dabei verlor er sich etwas in seinen eigenen verschwommenen Welten, schließlich war er Poet. Ungeachtet dessen, dürfte seine Beschreibung vom späteren, also tatsächlichen Verlauf des Triumphzuges nicht allzu weit entfernt gelegen haben. Strabo hingegen war live dabei, war kein Lyriker, sondern Geograph und somit Realist, bevorzugte die sachliche Darstellung, vermied Dramatik und Schönfärberei und wollte auch nicht gefallen. Aber dank Strabo ist es uns, wenn auch nur zum Teil vergönnt, auch die Bedeutung und Funktion vieler Personen des Triumphzuges und deren jeweilige familiäre Verbindung transparenter werden zu lassen. Man erkennt, dass auch Strabo vieles an Detailwissen aus dem Germanien seiner Zeit fehlte oder es nicht notierte und müssen auch bei ihm jedes seiner wenigen Worte mit Gold aufwiegen. Halten wir uns noch mal vor Augen, dass man mit dem Triumphzug im Mai 17 + den großen Schlussstrich unter die Varusschlacht und die Germanicus Feldzüge ziehen wollte. Man wollte das leidige Kapitel zum Abschluss bringen und es so spektakulär und triumphal wie möglich aussehen und enden lassen. Es wurde zum letzten offiziellen Anlass hoch stilisiert mit dem Ziel das Vergangene danach für immer zum Schweigen zu bringen. Und anders lässt es sich auch nicht erklären, dass man uns so wenig aus dieser unrühmlichen Zeit hinterließ. So ist es erforderlich im Zuge der Textanalyse aus der Feder von Strabo nach Trennlinien suchen zu müssen, mit denen sich die von ihm beschriebenen zwei wesentlichen germanischen Personenkreise die am Triumphzug teilnahmen unterscheidungsfähig machen. Dies war auf der einen Seite die Gruppe jener, deren Namen und stammesgeschichtliche Herkunft aus den jeweiligen fürstlichen Familien uns Strabo mitteilen konnte und auf der anderen Seite die namentlich Unbekannten. Germanen, die man im gepeinigten und versklavten Zustand vorführte. Und dies waren auch jene, die wie Strabo schrieb nun in Rom für alle deutlich erkennbar für ihre Taten zu „büßen“ hatten. Germanen, von denen er zwar keine Personennamen nennen konnte, dafür aber die Namen der Stämme denen sie einst angehörten. Aber an diesem Tag des Triumphes im Jahre 17 + schien es keine Bedeutung mehr gehabt zu haben, ob sie damals gegen Varus oder später gegen Germanicus kämpften. Es waren Germanen die nun ihren Kopf möglicherweise auch für Taten hinhalten mussten, die sie gar nicht begangen hatten. Eventuell mehr oder weniger beliebig Eingefangene, als gefangene Kriegsgegner, da sie sich scheinbar wahllos aus den unterschiedlichsten Germanenstämmen zusammen setzten. So könnte man auch annehmen Germanicus habe sie aus einer Vielzahl zur Verfügung stehender Männer einfach nur wahllos heraus gegriffen. Männer die er von Germanien aus über die Alpen nach Rom verschleppte um sie dort in Ketten spektakulär vorführen zu können. Aber wer will das schon behaupten. Denn es könnten im Zuge der antiken Dramaturgie genau so gut auch „Komparsen“ gewesen sein, die sich Germanicus in Italien beschaffte. Andererseits verließen aber immer wieder Sklavenzüge die römischen Kastelle am Rhein als Nachschub für die antiken Volkswirtschaften und wer will schon sagen, dass sich unter den vorgeführten Germanen nicht sogar Kelten befanden, die gezwungen wurden als Germanen aufzutreten. Es waren letztlich bedeutungslose Menschen aus dem entfernten Niedergermanien die an diesem Tag den Erfolg der Germanicus Schlachten beweisen sollten und das Volk von Rom sollte und konnte sowieso keinen Unterschied feststellen. Sollten aber die Gefangenen tatsächlich alle aus den von Germanicus geführten letzten Schlachten, explizit denen des Jahres 16 + gegen die Germanen herrühren, so hätte uns Strabo damit einen weiteren Gefallen getan. Denn dann wüssten wir auch, welche germanischen Stämme es waren, die sich in diesem Jahr gegen Germanicus verbündet hatten. Denn Germanicus hätte demnach Germanen aus den Stämmen der Chauken, Ampsivarier, Brukterer, Usipeter, Cherusker, Chatten, Kattuariern, Lander und Tubanten in den Jahren zum Gegner gehabt. Marser nannte er nicht, da man sie außer in der Varusschlacht vermutlich nur in den Jahren 14 + und 15 + zu Feinden hatte. Ebenso finden wir erstaunlicherweise auch keine Angrivarier unter den Gefangenen. Diese stellten sich nur 16 + gegen ihn, hätten also wiederum nach der Schlacht am Angrivarierdamm gut in den Kreis der Gefangenen gepasst. Die Sugambrer die man in drei Stammesteile zersiedelte, waren ebenfalls nicht unter den Gefangenen, da sie zwischen 14 + und 16 + ebenso wie die Tenkterer offensichtlich bedeutungslos waren. Hätte uns Strabo sie uns trotzdem alle genannt, also auch die Stämme der Angrivarier, Tenkterer, Marser oder Sugambrer, so wäre fasst das gesamte „who ist who“ der größeren germanischen Feindesstämme komplett gewesen, so wie wir sie in West - und Mittelgermanien nach der Zeitenwende verorten und wie sie sich irgendwann einmal gegen Rom gestellt hatten. Unter den Fürstenabkömmlingen für die der Tribünenplatz reserviert war, befand sich auch ein namentlich genannter Sugambrer. Sollte dies möglicherweise der Grund gewesen sein, warum sugambrische Gefangene nicht mitgeführt bzw. erwähnt wurden. Es war der Sugambrer Deudorix der sich auf die Seite von Segestes geschlagen hatte. Er könnte aus der sugambrischen Absplitterung gestammt haben, die sich 11– auf der Flucht vor Tiberius mit den Marsern noch rechtzeitig nach Osten abgesetzt hatte. Schaut man sich die Feindesstämme an und beginnt bei den Chauken so wissen wir, dass bei der Schlacht von „Id – ista – wiso“ Chauken, obwohl sie auf Seiten von Germanicus standen trotzdem dabei halfen, dass Arminius verletzt entkommen konnte, also waren auch sie gegenüber Germanicus nicht in Gänze loyal. Die Tubanten standen den Chauken nahe kämpften aber 14 + auf Seiten der Marser gegen Germanicus und könnten folglich auch im Zuge dieser Schlacht in Gefangenschaft geraten sein. Von den Ampsivarier weiß man, dass auch dort das Fürstenhaus damals uneins war und er also auch Ampsivarier zu Gegnern hatte. Ein Stamm den vermutlich die Römer wieder gegen sich hatten, als es nahe der Ems vermutlich östlich von Bramsche zum Austausch der schiffbrüchigen Römer kam oder kommen sollte. Brukterer durften nicht fehlen, denn sie waren in allen Feldzügen die „Lieblingsbeute“ der Römer, da sie im Zugkorridor der westfälischen Bucht ansässig waren. Usipeter siedelten in der Nachbarschaft von Marsern und Sugambreren und standen ebenfalls wie die Kattuariern, Lander und Tubanten, Cherusker und Chatten im Dauerkonflikt mit Rom. Die Stammesliste von Strabo macht also einen vollzähligen und damit auch glaubwürdigen Eindruck. Die Stammesnamen könnten also gestimmt haben, was aber nicht gleichzeitig besagt, dass auch die vorgeführten Germanen diesen Stämmen einst angehörten. Hätte Germanicus nur zehn Männer pro Stamm in Ketten vorgeführt, hätte der Zug schon fasst an die hundert Germanen heran gereicht, die er in Rom präsentierte. Männer die man im Anschluss daran in die zahlreichen Steinbrüche des Imperiums oder günstigenfalls je nach Auswahlverfahren an die Agrarwirtschaft oder ähnliches weiter reichte oder wieder dorthin zurück schickte, wo man sie vorher ausgeliehen hatte. Konkret vermissen wir aber in seiner Aufzählung die Angrivarier vor allem aber die Namen diverser elbgermanischer Stämme mit suebischem Hintergrund die sich sicherlich auf der Seite von Arminius insbesondere 16 + an den Schlachten beteiligt hatten, sonst wäre Arminius gegen die Massen des Germanicus wohl erfolglos geblieben. Doch warum fehlten die Angrivarier in seiner Aufzählung, obwohl man Germanicus einen Triumphzug auch aufgrund seiner „Erfolge“ über die Angrivarier zugestanden hatte. Dem Wortlaut nach lautete die Bestätigung dazu:
„Cheruscis Chattisque et Angrivariis quaeque aliae nationes usque ad Albim colunt“. Und in der Übersetzung: „Cherusker und Chatten sowie die Angrivarier und die anderen Volksstämme, die im Gebiet bis zur Elbe wohnen“. Hatte Germanicus die Gefangenen etwa nur bei Idistaviso gemacht, als sich ihm noch keine Angrivarier in den Weg gestellt hatten. Wurde die Schlacht am Angrivarierdamm möglicherweise durch ausgeruhte uns unbekannte Krieger aus dem elbgermanischen Raum entschieden und Angrivarier konnte sich geschickt der Gefangennahme entziehen, oder war Rom gar nicht mehr imstande nach der Schlacht am Angrivarierdamm Gefangene machen zu können bzw. zu wollen. Und so konnte aus gleichem Grund Germanicus auch keine Elbergermanen in die Sklaverei führen. Oder konnte Strabo die Angrivarier nicht aufzählen, da ihr Stammesname unterdrückt wurde, weil man mit ihnen noch den Austausch der schiffbrüchigen Römer des Jahres 16 + zu Ende bringen wollte. Dann wäre dies eine mögliche Erklärung dafür gewesen, warum sich Germanen aus diesen Stämmen nicht unter den Gefangenen befanden bzw. von Strabo aufgezählt wurden. Germanen etwa aus dem Stamm der Langobarden die nicht tatenlos mit ansehen wollten, wie das Imperium möglicherweise bald seine Grenze bis an die Elbe ausdehnen würde und die die Gründung einer Provinz mit Namen „Albis inferior“ verhindern wollten. Spekulativ ließe sich annehmen, dass sich Germanen aus den Stämmen der Chatten oder Brukterer 16 + auch nicht mehr in der Intensität an den Schlachten beteiligt haben wie noch im Jahre 15 + oder davor gegen Varus, denn sie dürften ihres am Widerstand gegen Rom bereits zur Genüge getan und voll erfüllt haben. Gefangene die man unter ihnen machte müssten demnach bereits vor dem Jahr 16 + in Gefangenschaft geraten sein. Es war also eine bunt zusammen gewürfelte Schar die Germanicus unter der Angabe von Stammesnamen damals dem Volk präsentierte. Wirft man noch einen Blick auf die Logistik, so war der Sklavenmarkt in Italien sehr aufnahmefähig aber der Transport von Sklaven war um diese Zeit auch nicht unproblematisch. Gehen wir dann noch einen Schritt weiter, so waren die Distanzen umfänglicher und der Rückmarsch könnte auch so manchen Germanen eine Flucht ermöglicht haben. So könnte sich Germanicus auf jene Germanen konzentriert haben, denen man leicht habhaft werden konnte. So waren darunter auch Germanen, die mit den Schlachten des Germanicus unmittelbar nichts zu tun hatten und sich schon länger in den Kastellen am Rhein aufhielten und so dreht sich auch hier wieder das Rad der Spekulation. Es hilft uns aber die Zeiten zu verstehen, denn wie gesagt, es ist nie alles so wie es aussieht. Wobei man an dieser Stelle noch mal auf den Geographen in Strabo zurück kommen muss. Denn Strabo berichtet uns als Historiker der ersten Forschergeneration nach dem Jahre Null den Namen, den die Elbe zu Römerzeiten trug nämlich Albis. Strabo erwähnte den Namen Albis erstmals im Jahre 18 +. Er tat dies im Zusammenhang mit der Vermutung, dass er ihre Quelle am Oberlauf der Saale sah. In diesem Jahr 18 + fand er vermutlich auch die nötige Muße und Zeit um viel seines angesammelten Wissens schriftlich zusammen zu fassen, was sich auf die Vergangenheit und die germanischen Verhältnisse bezog. So könnte dies die Annahme rechtfertigen, dass er auch erst im Jahr 18 + dazu kam seine Triumphzugdarstellung aus dem Jahr 17 + zu vervollständigen und nieder zu schreiben. Und in diesem Jahr 18 + in der Zeit, in der er nie nötige Ruhe aufbringen konnte, erwähnte er auch, dass Arminius „jetzt noch“ also demnach im Jahre 18 + immer noch kämpfen würde. Was dann wieder zu der Frage führt, gegen wen er 18 + zu kämpfen hatte. Das Strabo als seinen Gegner das Imperium meinte dürfte auf der Hand zu liegen, aber ließe sich der Hinweis auf Arminius kämpferisches Tun auch räumlich eingrenzen. Eine Fragestellung die schematisch in den Komplex der Schlacht am Kalkrieser Berg passen könnte, wo er also im Jahre 18 + noch gekämpft haben könnte und wovon Strabo noch erfuhr, als er seine Erinnerungen nieder schrieb. Demnach zu urteilen könnte auch Strabo noch etwas von der Schlacht am Kalkrieser Berg erfahren haben, als es zu dem möglicherweise gescheiterten Gefangenenaustausch der Schiffbrüchigen kam. Vergessen wir bei all den möglichen Gedankenketten nicht, dass es nur wenige Monate nach der gewaltigen Schlacht am Weserdamm der Römer gegen die Angrivarier und andere Stämme dazu kam, dass Germanen aus der gleichen Allianz die Armee des Marbod besiegten. So könnte man die Schlacht im Land der Angrivarier schon fasst wie eine Generalprobe, in Form eines Schulterschlusses oder Vertrauensbeweises unter Kampfgefährten werten und sie somit als den letzten Testlauf bezeichnen, den man noch brauchte um sich gemeinsam gegen die Markomannen zu verschwören. Man erkannte die gemeinsamen Interessen und besaß jetzt immer noch genügend Kraft in kürzester Zeit einen Zweifrontenkrieg erfolgreich zu bestehen. Einen derartigen Schritt wagt man natürlich nur, wenn man vorher am Angrivarierdamm einen alle motivierenden und siegreichen Abwehrkampf bestanden hatte, also das Imperium in der letzten Großschlacht auch in die Knie gezwungen haben dürfte und nun gegenseitige Verlässlichkeit erwarten konnte. Man könnte in den Ereignissen des Jahres 16 und 17 + auch die Geburtsstunde eines ersten größeren nach antiken Stammeszusammenschlusses sehen, denn Erfolge setzen neue Kräfte frei. Und möglicherweise kämpften in dieser Zeit auch schon Sachsen in den Reihen der Cherusker oder Elbgermanen mit. Aber zurück zu den Fakten. Auf der Sonnenseite des Triumphzuges befand sich also eine Gruppe die sich aus den scheinbar ehrenvollen, geladenen bzw. bedeutsameren und bevorzugten Persönlichkeiten zusammen setzte. Jene Erlauchten, die den Schlachten der Jahre 15 und 16 + durch ihre Flucht zu Germanicus noch rechtzeitig aus dem Weg gehen konnten. Also jener Personenkreis bei dem uns Strabo auch mit Namen dienen konnte. Aber Strabo erschwert uns die Einschätzung. Denn er drückt sich verwirrend aus, wenn es darum geht den höher Gestellten eine bestimmte Position innerhalb des Gesamtszenarios am Tag des Triumphes zu geben. So deutet er an, dass die würdigen Angehörigen des Segestes dem Zug beiwohnten, sich also möglicherweise auf einer Empore befunden haben könnten. Aber andererseits kann man es auch so lesen, als ob sie sogar teilweise selbst zum Bestandteil des Zuges wurden und in ihm mit marschierten. Denn Segestes wohnte wie Strabo es dargestellt einerseits dem Triumphzug gemeinsam mit seinen direkten Angehörigen bei, was nach zuschauen oder Zuschauer klingt. Andererseits zog er aber auch selbst und das sogar ehrenhaft im Triumphzug mit, was mit den Worten „mit einher“ beschrieben wird. Die vornehmen Personen werden der Strabo Darstellung nach also auch im Triumphzug „einher geführt“  was wieder zum Ausdruck bringen würde, sie hätten sich mit den versklavten Germanen im Zug vermischt. Ein anderes Mal wiederum wird in einer Übersetzung gesagt, dass auch „Segestes selbst „in Ehren mit einher zog“. Also nicht nur „bei wohnte“. Man fragt sich also wo hier der Unterschied zwischen „beiwohnen“ und „einherziehen“ verborgen sein könnte. Man kann es als Wortklauberei betrachten, aber es klingt nach einem Unterschied. Denn „bei wohnen“ ist nicht gleich „mit gehen“. Man kann sich allerdings nur schlecht vorstellen, dass ein Segestes dann ohne Ketten am Leib hinter gefesselten Germanen winkend und lamentierend „einher ging“. Man könnte aber auch der Schilderung entnehmen, dass Segestes gemeinsam mit dem Familienclan dem Triumphzug als Zuschauer beiwohnte sich aber selbst weg von einer erhöhten Position auch schon mal an den Straßenrand begab. War also mal hier und mal dort anzutreffen. So schien Segestes an diesem Tag vermutlich recht umtriebig und nahezu hektisch unterwegs bzw. ständig in Bewegung gewesen zu sein. Strabo könnte ihn also an unterschiedlichen Stellen im Treiben der Massen erkannt haben und konnte ihm daher in seinem Augenzeugenbericht auch keinen fest Platz zuweisen. Strabos vage Darstellung liefert ein unpräzises Bild und beschreibt uns Segestes als einen unruhigen Geist, den die Szenerie vielleicht überforderte. Er wusste vermutlich selbst nicht so recht wo er hin gehörte. Und da er sich aufgrund seiner Entscheidung nun in den Mühlen eines undurchschaubaren Regierungsapparates wieder fand bzw. hinein geraten war, kann man seine Lage gut nachvollziehen. Vielleicht wusste er zu diesem Zeitpunkt schon, dass man seine Familie in alle Himmelsrichtungen auseinander riss und ihm seine Tochter nahm, für die er nach offiziellem Sprachgebrauch sogar auf die römische Seite über wechselte, damit sie nicht in die Hände von Arminius geriet. In Rom aber nahm man ihm Thusnelda und das war sicherlich nicht sein Wunsch, denn es ist kein Hinweis zu finden, dass sie bei ihrem Vater blieb. Dies könnte für ihn der Moment gewesen sein sich eingestehen zu müssen im Frühjahr 15 + vielleicht einen Fehler begangen zu haben, denn die Heimat lässt sich nicht wie ein Hemd wechseln. Zumal er auch noch die Wahl hatte, sich Arminius ergeben zu können. Und er selbst, auch wenn er alles überleben durfte war sich nicht sicher wie es für ihn auf einem Landgut irgendwo im Gallischen weiter gehen würde. Vielleicht erwartete ihn dort aber auch nur die Position eines Erntehelfers zu dem man ihn degradierte. Aber Strabo ging es in erster Linie darum seinen Lesern vor Augen zu führen, welch hohe Herrschaften aus dem germanischen Adelsstand der Feldherr Germanicus da aus fernen Landen nach Rom mit gebracht hatte. Sie konnten sich frei bewegen, mischten sich vielleicht sogar unters Volk, trugen keine Fesseln, standen immer unter Aufsicht, wurden aber nicht wie Gefangene behandelt. Denn letztlich waren es angesehene Germanen und eine germanische Fürstenfamilie war darunter, die sich im Frühjahr 15 + zunächst einmal freiwillig und ohne römischen Zwang in die Hände des Imperiums begab. Das sich die Fürstenfamilie auf diese Weise, wie möglicherweise nur vorgetäuscht wurde vor den Arminius Germanen rettete, erwähnte Strabo mit keinem Wort. Denn das hätte möglicherweise nach einer leichten Beute klingen und einen Schatten auf den großen Feldherrn Germanicus werfen können. Aber ins Lager der Römer „über zu wechseln“, wie Strabo es andeutet, oder sich ihnen zu „unterwerfen“, wie wir es bei Tacitus lesen, macht doch einen gravierenden Unterschied. Denn Tacitus nutzte das lateinische Wort „dediti“, dass für „ergeben“ steht. Aber vor einem Feind wie Germanicus, von dem man gar nicht bedroht wird, sondern den man sogar gegen andere Feinde zu Hilfe gerufen hatte, vor dem braucht man nicht zu kapitulieren und sich auch nicht ergeben oder unterwerfen. Und wieder scheint es so, als ob hier der Romanautor Tacitus und nicht der Geschichtsschreiber Tacitus die Oberhand behielt. So kam das Strabo`sche „überwechseln“ dem wahren Tatbestand wohl näher als die taciteische Interpretation einem sich beugen und unterwerfen vor dem Stärkeren. In der Zusammenfassung wird also erkennbar, dass Segestes nicht nur die Tatsachen vor der Varusschlacht für ihn passend darstellte, sondern auch bei dem von ihm eingefädelten bzw. inszenierten Frontenwechsel sechs Jahre später seine eigene Regie führte. Wer ihm glaubte hatte zwangsläufig auf das falsche Pferd gesetzt. Und im Umkehrschluss blicken wir wieder auf einen arglosen Varus, der im Herbst 9 + seinem Feind Arminius ins offene Schwert lief, da er kein Risiko sah, weil er nichts wusste. Aber lässt man Segestes und seine nicht ergangene Warnung an Varus außen vor, so änderte dies letztlich nichts an dem Tatbestand, dass Varus eine Niederlage erlitt. Aber Strabo sah möglicherweise auch noch andere hehre Gründe für den Seitenwechsel des Segestes. Er wollte es vermutlich so zu verstehen geben, als ob schon die Herrlichkeit des Imperiums allein ausreichte, dass sich sogar selbst höchste Würdenträger fremder Völker gerne in den Bann eines prosperienden Reiches ziehen ließen, um die Wohltaten die von ihm ausgingen genießen zu können. Was letztlich auch oftmals zutraf wie man weiß. Der Segestes Familienteil konnte sich beim Triumphzug 17 + frei bewegen, ihnen legte niemand Fesseln an gleich von wo aus sie an ihm teil nahmen oder ihm zu sahen, ob als Zuschauer von der Tribüne aus oder als Zugteilnehmer, so der Eindruck den man der Strabo Darstellung entnehmen kann. Schließlich war Segestes spätestens nach seiner „Varuswarnung“ und damit indirekt auch seine Familie dafür bekannt, den Römern wohl gesonnen zu sein. Ihm winkte letztlich ein Alterruhesitz wie auch immer dieser aussah und was über die in seiner Obhut befindlichen Getreuen nicht sagen kann. Seine vom „falschen“ Germanen geschwängerte Tochter Thusnelda mit Sohn Thumelicus im Arm wird man ungleich argwöhnischer betrachtet haben als ihn. Tochter und Sohn gelangten später von Rom nach Ravenna, wo sich ihr weiteres Schicksal verläuft und sich nur spekulativ erschließen lässt. Und auch seinen Sohn Segimund wird man in Rom nicht mit dem gleichen Maßstab gemessen haben wie seinen Vater Segestes. Segimund, der seinerzeit zeitweise als Priester am Kölner Ubieraltar diente, aber auch schon mal die Seiten wechselte, könnte ein völlig anderes Schicksal zuteil geworden sein, als seinem Vater. Vielleicht war er es sogar, der die erbeuteten Waffen aus der Varusschlacht offen herum liegen ließ, als Germanicus den Saal betrat. Auch Sesithakos der Sohn des Bruders von Segestes mit seiner Gattin Ramis könnte, je nach dem was man in Rom über sie Belastendes wusste, mit zweierlei Maß gemessen worden sein. (24.09.2020)

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