Sonntag, 21. Januar 2024
Wo suchte die Renaissance die Varusschlacht - Die Humanisten waren auf dem richtigen Weg.
Ohne Otto von Freising der uns in der ersten Hälfte des 12. Jhdt. eines besseren belehrte hätte man den Eindruck gewinnen können, als ob das Mittelalter eine Epoche war in der man der Varusschlacht keine Bedeutung beimaß. Das so genannte Mittelalter ist eine im Grundsatz zeitlich nicht definierbare Zeitspanne weswegen man ihr Ende auch an geschichtlichen Großereignissen wie etwa der Entdeckung Amerikas 1492 oder dem Tod von Kaiser Maximilian 1519 festmachte, interessierte sich demnach nicht nur für unterhaltsame Drachentöter Geschichten, sondern auch für die realen Dinge der Vergangenheit. Aber nach Otto verging viel Zeit bis man sich wieder mit der Varusschlacht beschäftigen wollte. Genau 204 Jahre mussten zwischen seinem Tod im Jahr 1158 und dem im Jahre 1362 geborenen und aus dem 32 km östlich von Corvey gelegenen Einbeck stammenden Lateinlehrer Dietrich Engelhus vergehen bis uns dank seiner schriftlichen Aufzeichnungen wieder Informationen zur Schlacht vorliegen die etwas Licht auf die alte Großtat warfen. Durch seinen Tod im Jahre 1434 verpasste er den Wiederfund der Tacitus Annalen im Jahre 1507/1508 und so konnte er sich nicht an den Auswertungen beteiligen. Dadurch entgingen ihm zwangsläufig auch die darin enthaltenen geographischen Hinweise zum Austragungsort und gelangte zu der abweichenden Schlussfolgerung ihn in Mainz zu suchen. Was aber hier mehr überwog war weniger seine Theorie die sich später als unzutreffend erwies, als unsere Verwunderung darüber was auch bei ihm den Ausschlag gegeben haben könnte dieses aus seiner Sicht über 1300 Jahre zurück liegende Ereignis wieder aufzugreifen, mit dem auch wir uns über 2000 Jahre nach der Schlacht immer noch beschäftigen. Allerdings ohne geographische Hinweise zu hinterlassen so wie es Tacitus tat, beschäftigten sich auch andere antike Historiker mit dem Thema Varusschlacht, sodass es seit jeher durch die Jahrhunderte geisterte. Auf diesen Wegen dürfte das spärliche Wissen auch bis zu Engelhus durchgedrungen sein, der es in seiner zwischen 1419 und 1429 erschienen „Chronica nova“ verarbeitete und es mit Mainz verband. Der Gedanke an die Schlacht war nicht tot zu kriegen und es ging von ihr immer noch eine unerwartete Strahlkraft aus, so dass sich Ereignis in der Geisteswelt des ausgehenden Mittelalters immer noch einer hohen Beliebtheit erfreute. Resümierend lässt sich sagen, dass auch in einer Zeit als die Deutschen Ordensritter noch in Ostpreußen kämpften und die Annalen des Tacitus in Corvey irgendwo unter Verschluss lagen oder in verstaubten Regalen standen, die gebildeten Bevölkerungsschichten die antiken Schriften nicht aus der Hand gelegt hatten. In der Zeit nach dem 9. Jhdt. als die Corveyer Tacitus Annalen in Vergessenheit geraten waren ist festzustellen, dass es neben anderen uns unbekannten Überlieferungen vor allem die Schriften von Sueton und Florus waren, die das Interesse an die Schlacht wach hielten. Sie waren offensichtlich nördlich der Alpen weit verbreitet, sodass sich aus ihrem Inhalt der nichts an seiner Attraktivität verloren hatte schöpfen ließ. Daraus, dass sich selbst ein Einbecker Lateinlehrer wie Engelhus von diesem Thema angesprochen fühlte lässt sich schließen, dass das alte Ereignis wenn auch sicherlich nicht überall, so doch mit zum Lehrstoff in manchen Stadtschulen seiner Zeit gezählt hatte. Man kann zudem daraus schließen, dass man sich ungebrochen, also auch in den zwei Jahrhunderten die davor lagen mit der Schlacht auseinander gesetzt hatte. Wenn auch nebulös und durchsetzt mit viel Unkenntnis hatte sich das Wissen über diese Schlacht erhalten können und bewegte die Gemüter zu allen Zeiten auf eigenartige Weise. Man möchte das neu entstandene Interesse an ihr gerne mit dem in der Renaissance erwachten germanophilen Zeitgeist begründen, hätte es da nicht schon im zwölften Jahrhundert einen Otto von Freising gegeben. Wissen das sich verbreitet hatte, lange bevor den Humanisten der große Sprung nach vorne gelang und man zusätzlich zu Tacitus auch noch die Schriften von Cassius Dio und Paterculus entdeckte, sie intensiv studierte vor allem aber miteinander verglich und auswertete. Nach Engelhus betraten weitere „erbarmungslos“ fortschrittliche Humanisten der Renaissance die Bühne des Zeitgeschehens. Sie kannten kein Pardon, rüttelten am Althergebrachten vor allem aber besannen sich wieder der Antike. Dazu gehörte, dass sie sich auch an das scheinbar sorgsam gehütete Tabuthema wie jene Verbindung zwischen Arminius und der vermutlich später zu seinen Ehren errichteten Säule heran wagten. Am Vorabend der Reformation war es eine gewagte Zeit historische Forschungen unter Wahrung religiöser Überzeugungen zu betreiben. Ungeachtet dessen tastete sich im 16. Jhdt. eine mutige und wissensdurstige Schar Humanisten, die sich trotz anfänglicher Fehltritte kaum beirren ließ langsam wieder an die einstigen Geschehnisse auf der Suche nach den Örtlichkeiten heran. Etwa Georg Spalatin, ein Sammler römischer Quellen der mit Lucas Cranach dem Älteren, Philipp Melanchthon und Erasmus von Rotterdam in Verbindung stand. Ihm wird nachgesagt, er habe die Rettung von Martin Luther organisiert und auch mit ihm widmete sich nach Engelhus wieder ein Theologe der „Clades Variana“. Aber bis zur Varusschlacht im Nethegau sollte es noch ein weiter Weg sein. Spalatin wird der Satz nachgesagt Arminius „von hertzen lib“ zu haben und war wie man heute sagen würde der Medienberater von Martin Luther. Und obwohl Spalatin einer derjenigen gewesen sein sollte ja sogar müsste, der die 1507/8 in Corvey wieder entdeckten Tacitus Annalen las oder ihren Inhalt gekannt haben sollte, da sie 1517 in gedruckter Form wieder zurück nach Corvey gelangten und aus denen die geographischen Hinweise zu Ems, Lippe und Weser hervor gingen war er der letzte Humanist, der immer noch die Auffassung vertrat, der Ort der Schlacht habe sich am Rhein bei Duisburg, statt in Ostwestfalen befunden. Erst der 1485 in Lippstadt geborene Priester und Humanist Johannes Cicinnius der auch Johannes Kruyshaer genannt wurde und dem Benediktinerkloster Essen – Werden nahe stand war es der, man möchte fasst sagen endlich als erster die „geographische Wende“ in der Varusforschung einleitete. Ihm ist 1539 nachweislich der deutliche Zusammenhang zwischen den Informationen aus den Tacitus Annalen und dem Osning aufgefallen was voraus setzt, dass er sie gekannt also gelesen haben musste. Unter dem Titel: „VAn der niderlage drijer Legionen vn[d] meren Römische[n] krijgßfolcks/ mit jrem Capitaneo Quintilio Varo/ by tyden der gebort Christi/ vnd Julio Cesare/ vnd Octauiano Augusto/ gescheit in Westphalen/ tuschen den wateren der Emesen vnd der Lippen/ by den Retborge vnd jn der Delbruggen“ veröffentlichte er in diesem Jahr eine historische Abhandlung. Dem pflichtete auch der 1559 geborene Philipp Melanchthon bei während Martin Luther noch zum Harz tendierte. In dem man sich nun von Süddeutschland distanziert hatte und und vom Rhein abgerückt ist, hatte sich der Suchhorizont nur rund 20 Jahre nach der Rückführung der gedruckten Tacitus Annalen unübersehbar nach Ostwestfalen genau genommen zum Osning verschoben. Die gewachsene Erkenntnis beeinflusste den Forschergeist aber nicht nur hinsichtlich der Tatsache die Schlacht jetzt in Ostwestfalen suchen zu müssen. Bekanntlich spielt ein weiteres historisches Großereignis in die Varusschlacht Forschung hinein, dass auch die Humanisten beschäftigte. Es war jener seltsame Vorfall der Irminsul Zerstörung im Jahre 772 den man augenscheinlich mit in Betracht ziehen sollte, wenn man nach der Örtlichkeit der Varusschlacht Ausschau hält. In diesem Zusammenhang führt die Spur zu Georg Spalatin der die Schlacht noch auf Duisburg bezogen hatte, aber nach unserem Wissenstand der erste war dem der namentliche Zusammenhang auffiel. Er erkannte den Gleichklang von Irminsul und Arminius und kannte demnach auch den Inhalt der fränkischen Reichsannalen die maßgeblich von Einhard beeinflusst waren und in denen von der Irminsul die Rede ist die Karl unweit von Marsberg zerstört hatte. Er tat es in seiner Schrift „Von den thewern - Deudschen Fürsten Arminio“ (Wittemberg 1535), wobei man das Wort “thewern“ in einen Zusammenhang mit „teuren und hochgeschätzten“ sehen kann. Man kann Spalatin der statt dem Osning die Region Duisburg favorisierte daher nicht unterstellen neben den nahezu identischen Worten Irmin und Armin auch schon die beiden Schauplätze miteinander in Verbindung bringen zu wollen. So kann er nicht in Verdacht geraten die Stätte der Varusschlacht da suchen zu wollen wo einst die Irminsul stand, die zwischen Marsberg und Willebadessen gelegen haben soll und die sich nach dieser Theorie auf halber Höhe unweit von Borlinghausen befand. Hätte sich Spalatin den Inhalt der Tacitus Annalen zunutze gemacht der bereits zu seiner Zeit bekannt war, dann hätte dies dazu führen können, dass auch er von seiner Duisburg Theorie abgewichen wäre und sich den Meinungen der anderen Humanisten angeschlossen hätte die zum Osning tendierten. In diesem Fall wäre ihm dann auch die geographische Nähe zwischen dem Osning und der Irminsul Stätte nicht entgangen und hätte als früher Forscher der erstmals hier aufgestellten Theorie Pate gestanden. Er wäre dann der erste gewesen, dem die Verbindungslinie zwischen den beiden Austragungsstätten Varusschlacht am Osning und Irminsul am Osning schon vor 5oo Jahren aufgefallen wäre. Möchte man davon absehen, dass schon die Corveyer Mönche den Zusammenhang im 9. Jhdt. erkannten, dann wäre es auch Georg Spalatin gewesen, der sich in einer langen Reihe von Forschern aus vielen Disziplinen die auf ihn folgten schon der Frage gewidmet haben könnte, ob die Irminsul nicht ein Denkmal für Arminius gewesen sein könnte. Hätte Spalatin gar gewusst, dass die Sachsen unter denen sich auch Falen aus dem Nethegau befanden, die Vortigern im 5. Jhdt. in die einst Römische Provinz Britannia rief, die sich inmitten des heutigen London ansiedelt hatten die ihre Traditionen mitnahmen und u.a. „verantwortlich“ für den dortigen Straßennamen "Ermine Street" waren, dann hätte Spalatin dies mit für seine Theorie nutzen können. Vielen im Mittelalter und der folgenden Renaissance wirkenden Historikern war es nicht vergönnt sich bis unsere Zeit Gehör zu verschaffen oder blieben namenlos da sie nichts schriftliches hinterließen. Aber in gemeinsamer Anstrengung gelang es dann doch noch dank des Wegweisers Cicinnius den Austragungsort von Augsburg, Mainz oder Duisburg nach Ostwestfalen zu verlegen, wo er ihn sich zwar im Osning vorstellen konnte, aber dennoch die Region um die heutigen Städte Rietberg und Delbrück favorisierte wo er vermutlich annahm, das sich dort das Varuslager befunden haben könnte. Damit pirschte man sich langsam an den vermeintlichen „Teutoburgiensi saltu“ nahe Borlinghausen heran, während es in den letzten Stunden der Renaissance und kurz vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges der Historiker Johannes Gigas war, der noch 1616 die Legionen bei Oelde - Stromberg marschieren sah. Daran, dass nun die Mehrzahl der Humanisten die Auffassung vertrat die Schlacht habe sich an jenem Gebirgszug zugetragen der sich sichelförmig östlich um die Städte Rietberg, Delbrück oder Oelde wölbte lässt sich erkennen, dass man den Fächer zwischen Bielefeld und Scherfede im Visier hatte woran sich bis heute nichts geändert hat. Das die frühe Kartographie dem folgte und den neuen Wissensstand zum Anlass nahm nachzuziehen war zu erwarten. (21.01.2024)

... link


Samstag, 6. Januar 2024
Schon im Mittelalter erwachte das Interesse an der Varusschlacht - Eine Belastung für den neuen Glauben.
Obwohl sich schon Otto von Freising im 12. Jhdt. mit der Frage des Varusschlachtfeldes beschäftigt hatte, nahm die Debatte um sie doch erst richtig Fahrt auf, als sich ab dem 16. Jhdt. der Inhalt der „wieder entdeckten“ Tacitus Annalen herum sprach, der vorher nur Lückenhaft verbreitet war. Vergleichbar mit einem seismischen Prozess erschütterte im Jahre 9 + die Varusschlacht Mitteleuropa und die Nachwirkungen reichen bis in unsere Zeit. Sie wurde zur Sternstunde deutscher Geschichte aber pikant wurde es erst, als man auch wissen wollte wo sie einst statt fand, jene Schlacht unserer „First Nation“ gegen die Invasoren aus dem Süden. Otto von Freising trug sich als erster in die Liste der Suchenden ein und es war der Beginn einer scheinbar nie enden wollenden Suche die in eine Auseinandersetzung unterschiedlichster Theorien aber auch Wunschvorstellungen mündete. Ein Phänomen, das Eigendynamik entwickelte die schon fasst die eigentliche Bedeutung der Schlacht überdeckt hat, denn keinem in Deutschland statt gefundenen antiken Ereignis wurde über einen solch langen Zeitraum soviel Aufmerksamkeit geschenkt wie der Suche nach den Varusschauplätzen. Den Austragungsort zu entdecken wurde zum Allgemeingut historisch interessierter Bevölkerungskreise um nicht zu sagen zum Gesellschaftsspiel erhoben und es gibt kaum jemand im Staate der nichts von diesem Erinnerungsschatz weiß. Schon früh erkannte man zunächst in Detmold später in Bramsche, dass sich mit diesem Ereignis auch Geld verdienen lässt und die Suche entwickelte sich zum Vermächtnis von Generationen, dass in ihrer Tragweite das Forschen nach dem berühmten Bernsteinzimmer bei weitem übertrifft. Leider verweigert man diesem komplexen und vergeistigten Thema unserer römisch/germanischen Vergangenheit die ihm zustehende Aufmerksamkeit, denn nach einer diesbezüglichen Eintragung in dem aus 144 Positionen bestehenden deutschen immateriellen Kulturerbeverzeichnis sucht man es vergeblich. Der seit Jahrhunderten andauernde Prozess dieser außergewöhnlichen Forschungsgeschichte die sich wie eine verselbstständigende Geschichte in der Geschichte eingenistet hat. So als ob uns die Historie mit dem Aufspüren eine Pflicht für die Ewigkeit aufgebürdet hätte, übersah unser Zeitgeist das Einzigartige darin, sodass man es als Vorschlag bei der Deutschen Unesco Kommission einreichen sollte. In der Hoffnung im Fall Varus und seiner untergegangenen Armee sachdienliches zur Auffindung des Schlachtfeldes beitragen zu können beteiligten sich über die Jahrhunderte viele Historiker mal mehr und mal weniger erfolgreich mit der Suche. Anstelle belastbarer Beweise ließen sich immerhin gute Indizien präsentieren die für die Zukunft hoffen lassen. Aber selbst das wenige wäre nicht denkbar hätte es den einen antiken Historiker nicht gegeben dem es vergönnt war das Ereignis nahezu von Anbeginn und dann über die Jahrhunderte hinweg im Bewusstsein der Generationen wach zu halten. Es war der besonderen Hingabe und Vielseitigkeit seiner Themenauswahl und Methodik zu verdanken, dass seine Werke über die Zeiten zu Bestsellern wurden und es ihm gelang seine Leserschaft zu inspirieren. Und natürlich ist von Gaius Suetonius Tranquillus die Rede der nach 122 + verstarb und somit zeitgleich mit Tacitus lebte. Und obwohl er einen anderen literarischen Stil pflegte und von ihm abweichende Schwerpunkte setzte, zählte er zu den großen Geschichtsschreibern der Antike. Während die Nordgermanen die ersten waren, die im frühen Mittelalter begannen im trüben Milieu des Sagenhaften nach den einstigen Wahrheiten zu stochern, trug Sueton dazu bei der Varusschlacht ein reales Gesicht zu geben. Am deutlichsten gelang es ihm, in dem er den Aufschrei von Kaiser Augustus nach der Niederlage „seiner“ Legionen in Germanien uns allen auf ewig ins Gedächtnis schrieb. Ein Satz der die Zeiten nicht nur überdauerte, sondern vor allem die Menschen neugierig gemacht hat. Und selbst im Mittelalter in dem man annehmen sollte, dass man andere Sorgen hatte und die Varusschlacht noch bei Augsburg vermutete, setzte man die Suche nach dem Austragungsort fort. Und auch Otto von Freising kannte von Sueton den verzweifelten Ruf des Kaisers, wusste aber auch vom Detail der Knochenbestattung im Jahre 15 +, das uns aber bezeichnenderweise nur von Tacitus überliefert ist. Es könnte ihm aber auch die schon im Altertum viel gelesene Epitoma bzw. die Bambergensis von Florus vom Anfang des 9. Jhdts. vorgelegen haben, sodass ihm die Varusschlacht aus unterschiedlichen Quellen ein Begriff war. Von Otto von Freising ist zudem bekannt, dass er auch über Wissen von Paulus Orosius verfügte der bereits 418 + verstarb, so dass Otto auch bei ihm etwas über die Knochenbestattung gelesen haben könnte. Und selbst die an Opfern reichen Kreuzzüge konnten die Faszination die von dieser Schlacht ausging nicht zum Erliegen bringen. Es muss also im 12. Jahrhundert immer noch ein seltsames Phänomen gewesen sein, dass es da mal eine Schlacht gab die vor langer Zeit die heimischen Völker gegenüber einer hoch gerüsteten Armee für sich entschieden hatten, von deren Existenz und Hergang man aber keine genauen Vorstellungen mehr besaß. Da in der Reichsabtei Corvey seit dem 9. Jhdt. eine in lateinischer Sprache abgefasste aussagefähige Abschrift der Tacitus Annalen vorlag darf aufgrund der darin gefallenen geographischen Bezüge spekuliert werden, inwieweit man sich darauf basierend auch damals schon Vorstellungen zur Lokalisierung der Schlacht gemacht hatte. Da schon den Mönchen in Corvey die Ähnlichkeit der Worte Arminius und Irmin nicht entgangen sein dürfte darf man vermuten, dass auch sie nach einem plausiblen Bezug zwischen der Schlacht und der Errichtung der Irminsul gesucht hat oder versucht haben könnte ihn herzustellen. Wissen, dass man möglicherweise in Corvey zurück hielt und das man vielleicht aus Gründen klösterlicher Räson und Zurückhaltung weltlichen Dingen gegenüber schon seit den Tagen Rudolfs von Fulda nur diskret bewahrte. Was sich an Kenntnissen um die Irminsul erhalten hatte entstammte schon für die Corveyer Mönche die dort ab dem 9. Jhdt. wirkten einer nebulös religiösen Vorzeit. Es waren Geschehnisse die am Selbstverständnis des wahren Glaubens kratzten die man aber aus dem spirituellen Alltag fern halten wollte, da sie nicht mehr in eine Zeit passten in der man glaubte die blutigen Taten der Sachsenkriege hinter sich gelassen zu haben und nur noch für Frieden, Eintracht und christliche Nächstenliebe eintreten wollte. Hinzu kommt, dass man in den Vorbereitungen steckte um Karl dem Großen 1166 für sein „glorreiches“ Wirken und nicht zuletzt für die Zerstörung der Irminsul heilig zu sprechen. Otto von Freising der acht Jahre zuvor verstarb lebte in dieser Zeit und seine Vorarbeiten bestätigen, dass die Varusschlacht ihre Attraktivität nie verloren hatte und an vielen Orten immer noch auf unterschwellige Weise ein eigenartiges Schattendasein führte. Möchte man eine Verschwörungstheorie vermeiden, dann könnte man sich auch auf die reale Suche nach einem möglichen Komplott begeben. Etwa die Überlegung aufgreifen, dass man in Corvey das Wissen um die einstigen Örtlichkeiten der Schlacht und den daraus später erwachsenen Irminkult auch bewusst unter Verschluss halten wollte, da sich die heidnischen Stätten und Geschichten die vom Widerstandswillen der Vorväter zeugten nicht unbedingt für geeignet hielt, um sie mit der christlichen Lehre in Einklang bringen zu können. So wird man ab dem Bekanntwerden über das gesamte Mittelalter versucht haben diesen Vorgang zu kaschieren um dem verwerflichen Tun infolge der Sachsenkriege keine neue Nahrung zu liefern. So tat man alles um das noch vorhandene Wissen, dass die Menschen nicht vergessen wollten zu unterdrücken. Es war ihre Pflicht, die von ihren Glaubensbrüdern begangenen unmoralische Taten auf religiöse Weise sorgsam zu verbergen und auf einen einst aus vorchristlicher Zeit stammenden Nationalhelden namens Arminius durfte kein neuer sächsischer, der eigentlich der alte war mit Namen „Irminius“ folgen. So ließen sich zu keiner Zeit die taciteischen Quellen wie es auch bei Otto von Freising deutlich wird aus der Welt schaffen, sich leugnen oder verbergen. Der Klerus entlarvte sich schon damals im Zuge der Zerstörung der Irminsulstätte in dem er mangels besseren Wissens die in die Irre führenden Namen „Fanum“ oder „Idolum“ gebar, da man in ihr keine göttliche Sinngebung erkennen konnte und bemühte sich um halbherzige Erklärungen. Die Verbindung beider Ereignisse und die frappante Namensähnlichkeit die in Corvey erstmals auf fiel, ließ sich in Ostwestfalen auch im Mittelalter nicht mehr zum Schweigen bringen und so wirkte auch der varianische Schlachtenmythos immer noch nach, spukte im Untergrund und als Drachentöter im höfischen Lebens weiter und hatte das Potenzial die junge religiöse Ideologie wenn nicht zu gefährden, so doch zu stören. Da las man also allein oder im vertrauten Kreise in den Tacitus „Geschichtsbüchern“ von massiven Schlachten die an der Weser ihren Ursprung hatten, aber für die einfachen Menschen des Mittelalters und selbst die Mönche war es kaum vorstellbar, dass es sich dabei so hoch im Norden und fernab von Italien um die gescheiterten Okkupationsanstrengungen eines antiken Weltreiches gehandelt haben soll. Ein Imperium, das sich 1100 Jahre vor ihrer Zeit vergeblich bemüht hatte seine Außengrenzen mit Gewalt zu erweitern. Es fehlte ihnen vielleicht auch der Spürsinn sich ein gigantisches Schlachtengewitter vorzustellen, das „nur“ 30 Jahre andauerte und so schnell wie es begann auch wieder zu Ende war, obwohl die römischen Relikte in ihrer Zeit noch unübersehbar waren. Eine verschwommene und bizarre Vergangenheit die sich seit dem auf spiritistische Weise in den germanischen Hütten wach halten konnte und der Sagen - und Legendenbildung Auftrieb gab und Vorschub leistete. So bekam es die neue christliche Weltordnung mit zwei Sichtweisen und Strömungen zu tun denen sie was entgegen halten musste. Zum einen waren es die schriftlichen Darstellungen wie sie eine gedemütigte und bis dato an Siege gewohnte Großmacht hinterließ und zum anderen das, was man in Germanien daraus machte. Zwei sich in ihrer Lebensweise mental und gegensätzlich voneinander unterscheidende Zivilisationen was in unterschiedliche Betrachtungsweisen münden musste. War es aus römischer Sicht die Schmach der Niederlage, das Versagen des Feldherrn und die Erklärungsversuche wie es dazu kommen konnte, so rückten die germanischen Gegner ihren bedingungslosen Kampfeswillen in den Vordergrund und befassten sich nicht mit der strategischen Auswertung der Schlacht die für Rom zum Desaster wurde. Für die Germanen lag der Erfolg darin, dass es ihnen, einer untergerüsteten Schar Waffen tragender Bauern und Pferdezüchter aus einem Sammelbecken unterschiedlichster Stämme gelang diese Schlacht triumphal für sich zu entscheiden, aber über das wie und warum schwieg sich die Sagenwelt aus weil ihr in tausend Jahren das Hintergrundwissen verloren ging. Man hatte Mut gezeigt und Zusammenarbeit bewiesen und sich nicht davor gescheut sich gegen die stärkste Macht der Zeit zu stellen, wobei der namenlose einzelne Kämpfer verblasste und später nur der Name des germanischen Anführers die Zeiten überlebte. Ihm allein schrieb man letztlich die Glanztat zu, sodass er alles überstrahlte und in den Erinnerungen die Jahrhunderte überdauern konnte. Aber was tat die fortschrittliche fromme Lehre die auf den überholten paganen Götterglauben folgte und wie ging sie damit um. Mit der historischen Wahrheit verhielt es sich eher unproblematisch da man nur die Türen der Klosterbibliotheken schließen musste und sich danach die schlafenden Hunde die Otto von Freising geweckt hatte schnell wieder schlafen legten. Anders verhielt es sich mit der Sagenkomponente und ausgerechnet war es wieder ein Mönch dem es gelang die heile Christenwelt in Verwirrung zu stürzen, denn sein Reisebericht konnte sich sogar bis in unsere Zeit erhalten. Es war der aus Island stammende Gelehrte Nikulas Bergsson, Abt von Munkathvera der mit einer unscheinbaren Randbemerkung aufhorchen ließ. Er erwähnte nach dem er Paderborn verlassen hatte einen Drachen der, wie es Drachen so an sich haben sein Unwesen trieb und wobei strittig ist, ob es sich auf die Region Ostwestfalen bezieht. Es gibt jedoch eine schlüssige Theorie mit der es sich bestätigen läßt. Das in Island schon zu Bergssons Zeiten Drachensagen kursierten ist naheliegend, denn nur 20 Jahre nach seinem Tod wurde der Eddaverfasser Snorri Sturluson geboren der sich damit beschäftigt hatte und für den Nikulas Bergsson kein Fremder gewesen sein dürfte. Möglicherweise ließ sich Snorri auch von seinen Berichten inspirieren die nach dem Tod von Bergsson in Island bekannt wurden und er ergänzte damit sein Wissen über die Sagenwelt der Germanen. Was Nikulas Bergsson auf seiner Reise erfuhr war in der Gegend in der man ihn darauf hinwies ein offenen Geheimnis, sodass auch der damalige Paderborner Bischofs Bernhards von Oesede Kenntnis davon hatte. Wenn die Argumentation zutrifft wonach die im 5.Jhdt. aus dem Nethegau nach Südengland gerufenen Söldner die Vision eines „trahho“ auf der Insel einführten, der sich wohl eher auf Rädern fort bewegte statt mithilfe von Flügeln, so deutet der Nikulasverweis darauf hin, dass sich diese Vorstellung verbreitet hatte und sich mit Erinnerungen an den alten „Drachenkampf“ in Ostwestfalen verband. Hinzu kam der im Volk schwelende mit Zorn verbundene und tief verwurzelte Hass auf die fränkischen Gewalttaten sowie das nebulöse Halbwissen, dass sich um die Person eines Irmin drehte und kultartige Formen annehmen könnte. So galt es zu verhindern, dass das Wiederaufflammen allen Heidnischen für die Geistlichkeit oberste Priorität hatte. Und dazu gehörte es auch die noch im Volksglauben schlummernde Vorstellung einst existenter Drachengestalten zu verbannen die sich über die Sagenschiene immer noch wach hielten. Die Botschafter des Christentums waren nicht zu beneiden und hatte ihre liebe Not darauf zu achten, dass im Volk nicht wieder Unglaube und Ungedanken Fuß fassen konnten. So war der Klerus stets bemüht es mithilfe des kaum verständlichen Latein in die gottgewollten Bahnen zu lenken, kam aber nicht umhin auftretenden Erklärungsnotständen eigene Ansichten entgegen zu halten. Ein seltsames Beispiel für die Nachhaltigkeit ältester Ereignisse lieferten die massiven Zerwürfnisse zu Beginn der 30 er Jahre des 20. Jahrhunderts als der preußische Landtag entschied Teile des sächsischen Westfalens dem fränkischen Rheinland anzugliedern wodurch verkrustete Wunden über Nacht wieder aufbrachen, es zu Gewalttaten kam und vergessen Geglaubtes wieder hervor gespült wurden. Ein Kapitel worauf noch separat eingegangen wird. Einst ausgelöst durch ein urgewaltiges Schlachtenspektakel konnten sich die römerzeitlichen Ereignisse neben der Literatur auf unterschiedlichen Ebenen auch im Volksmund erhalten und verstreuten sich in Mittel- und Nordeuropa. Man kann darin eine Unterstützung dieser Theorie aus unerwarteter Richtung sehen oder eine wundersame Fügung ausgelöst durch heidnischen Unglauben nennen, aber im Mittelalter musste die kirchliche Obrigkeit auf die Geschichten aus der nordischen Sagenwelt reagieren. Nordeuropa war inzwischen nicht nur durch die intensive Missionstätigkeit näher gerückt und was nun bewirkte, dass die Welt der germanischen Götter auf unerwarteten Pfaden und leisen Sohlen wieder nach Ostwestfalen zurück kehrte, wo man doch meinte sie gerade erst erfolgreich eliminiert zu haben. Im Nikulasverweis kommt es zum Ausdruck wie die fabelhaften Geschichten von kaum bezwingbaren schier übermächtigen Gegnern, von Drachentötungen und viel Heldenmut langsam in einen nun lateinisch geprägten christlichen Süden einsickerten. Die Unwissenheit über den historischen Kern und seinen Wahrheitsgehalt vermischte sich mit der naiven Volksseele und die hohen Würdenträger sahen sich genötigt neue Theorien über die alten Geschehnisse zu stülpen. So setzte man dem eine eigene Heilslegende entgegen und entschied sich wie bereits ausgeführt für den heiligen Sankt Michael den Drachentöter. Und auch hier bekommt der abgewandelte Satz von Heinrich Heine seine eigene Bedeutung, wonach nicht alles tot ist, was begraben ist Aber den Humanisten fiel nicht nur die Aufgabe zu die Suche erst richtig zu befeuern, ihnen gelang es auch den Schlachtenhorizont zu lokalisieren.. (06.01.2024)

... link


Sonntag, 17. Dezember 2023
Wo siedelten die Cherusker - Eine Kernfrage der Varusschlachtforschung - Sie lässt sich beantworten.
Das die Cherusker nicht erst seit der Varusschlacht für Rom ein unberechenbarer Stamm waren und man ihr Verhältnis zueinander nicht partnerschaftlich bezeichnen kann lehrten uns schon die antiken Schriftsteller. Und da man der einhelligen Auffassung ist, dass sich ihre Siedlungsgebiete entlang der Mittelweser erstreckten stellt dies heutzutage auch kein Historiker mehr in Frage. Nach wie vor unklar ist jedoch wie weit sich ihre Stammesgebiete in die Breite und die Länge gezogen haben. Das der Harz für sie eine natürliche Barriere nach Osten bildete klingt plausibel, aber wo schlossen sich die Wohngebiete der Langobarden und Fosen im Nordosten an, wo grenzte man sich im Westen zu den Angrivariern, Brukterern, Marsern, Sugambrern oder Sueben ab und ab wann machte sich der Einfluss der Chatten bemerkbar. Und das, dass Eggegebirge nach Westen und die Dialektgrenze der Diemel nach Süden ebenfalls geographische Landschaftsmarken bildeten die sich auch als Abgrenzungen für die Stämme untereinander eigneten liegt nahe, aber wie stand es um das Verbreitungsgebiet der Cherusker nach Norden. Im Imperium hatte man sich aus taktischen Gründen das Land der Cherusker nicht nur zum Ziel gesetzt, sondern auch setzen müssen da es sich wie ein Riegel verhielt, der ihnen den weiteren Weg über die Nordostroute zur Elbe verstellte. Es unter ihre politische Macht zu bekommen um es als Sprungbrett und Durchzugsgebiet zu nutzen gilt daher in der Forschung als ausgemacht. Da durch die erfolgreichen Schlachten der Vergangenheit die Cherusker als besiegt galten, bestand für Rom in dieser Region keine unmittelbare Kriegsgefahr mehr, sodass sich Varus auf Weisung des Kaisers anschicken konnte die Grenze des Imperiums nach Osten zu verschieben. Die ihm vorgegebene Direktive bestand darin politische Ruhe also möglichst Frieden in die Region zu bringen und dies auf Basis eines Vertrages zu stabilisieren. Das dahinter nicht die Absicht stand mit den Cheruskern auf Augenhöhe verhandeln zu wollen, ließ sich der Geschichtsschreibung mehrfach entnehmen. Ohne die bewährten strategischen Vorkehrungen zu vernachlässigen setzte Varus die Legionäre als Bausoldaten ein wodurch erkennbar wurde, dass für ihn der kämpferisch militärische Aspekt in den Hintergrund trat. Er tat gut daran zumal man in Marbod eine latente Gefahr sehen musste und zur gleichen Zeit zahlreiche römische Legionen in Pannonien im Krieg standen. Wollte man den Auftrag auf friedliche Weise umsetzen. war man auf eine gute Zusammenarbeit mit den Cheruskern und ihren Kriegern angewiesen und vertraute ihnen bis zum bitteren Ende. Es fanden die nötigen Baumaßnahmen statt wie man sie heute noch anhand von Infrarot Luftaufnahmen erkennen kann und wie sie in Form von Erdwällen- und Pflasterarbeiten immer noch oberirdisch im Gelände sichtbar sind. Römische Bautrupps die im Zuge der Eggeüberquerung den Wegeausbau durchführten der auch unter Varus statt gefunden haben könnte. Zeitgemäße infrastrukturelle Projekte aller Art wie es überliefert ist, die sowohl militärischen und gleichzeitig auch zivilen Zwecken zu dienen hatten. Trotzdem gilt unter Skeptikern die Frage als unbeantwortet ob Varus über den „westfälischen Hellweg“ aus Paderborn kommend einmarschierte oder über einen anderen Weg ins Stammesgebiet der Cherusker eindrang um es zu provinzialisieren. War der Hellweg tonangebend dann breiteten sich spätestens an seinem östlichen Endpunkt in Corvey vor ihnen die cheruskischen Siedlungen aus, man erreichte dort den Kern ihrer Wohngebiete und stand vielleicht schon fasst in deren Zentrum, zumindest aber im Grenzgebiet zu ihnen. Dabei denkt man in erster Linie an den Fürstensitz der Segimersippe unter denen man sich auch die Wälsungen vorstellen könnte, um sich der besseren Kontrolle wegen in deren Nähe nieder zu lassen. Aber was kann uns die Forschung dazu bisher an Anhaltspunkten liefern. So wäre es wünschenswert wenn zur Verbesserung der Beweislage dieser Theorie gute Argumente hinzu kommen. Und obwohl es seit längerer Zeit eine Möglichkeit gibt den Siedlungsraum zu identifizieren und einzugrenzen findet man den Namen dieses Stammes bislang in allen modernen, aber auch älteren Kartenwerken immer nur großformatig quer über einen weitläufigen und nicht näher definierten geographischen Raum eingetragen. Dies geschah sowohl aus Uneinigkeit als auch aus Unwissenheit, da man es sich aufgrund mangelnden Wissensstandes nicht zutraute ihn im Detail festlegen zu wollen. Eine Chance über dieses Volk einen abgrenzenden Rahmen zu legen und ihm eine Kontur zu geben scheint jedoch möglich zu sein, wenn man die Grabungsarchäologie mit einbezieht und an die einfachen Dinge des Alltags denkt. Gegenstände die man damals als Grabbeigaben verwendete oder die im Bereich häuslicher Ansiedlungen in den Boden gelangten. Gemeint sind die in traditionell unterschiedlicher Ausprägung und Formgebung produzierten keramischen Töpferwaren. Ihnen lassen sich unterschiedliche Herstellungsmethoden entnehmen wodurch sich auch die germanischen Völker bzw. Stämme untereinander unterscheidbar machen. Der 1908 geborene Prähistoriker und Professor für Vor – und Frühgeschichte Rafael von Uslar schlug diesen Weg ein. Er war vorsichtig riskierte es aber trotzdem Wesentliches zur Lokalisierung beizutragen, in dem er anhand von Keramikfunden eine Region isolierte und sich für die darin siedelnden Germanen für die Bezeichnung „Südhannoversche/Cheruskische Gruppe“ entschied. Sie erstreckte sich ab Hannover südwärts bis ins Leinetal nahe Göttingen, reichte ins Harzvorland und setzte sich teilweise auf dem westlichen Weserufer fort. In den Randbereichen insbesondere was den Betrachtungsraum westlich der cheruskischen Stammlande anbelangt fasst er die Stilrichtung der Gefäßarten als „rheinisch/westfälische Gruppe“ zusammen. So lässt sich umgelegt auf die germanischen Stammesgebiete schlussfolgern, dass sich die in diesen Regionen nachgewiesenen Topfformen den Angrivariern, Brukterern, Marsern, Sugambrern oder Sueben zuordnen lassen, während im Süden die chattische Formengruppe erkennbar wird. Der eingefügten Karte lässt sich auf Basis der Funde entnehmen, dass sich das Kerngebiet der Cherusker wie von Uslar feststellte im wesentlichen östlich der Weser erstreckte. Westlich davon dominierte die Gruppe die er die Rheinisch/westfälische nennt und in der die cheruskische Keramik nur noch lückig in den Randgebieten feststellbar ist. Was anhand der Verbreitungskarte ins Auge fällt ist, dass im Bereich um die Porta Westfalica einschließlich Minden keine Cherusker mehr siedelten. Ihre Spuren werden bereits östlich der Porta immer schwächer und lassen sich dann im unmittelbaren Raum um den Weserdurchbruch gar nicht mehr nachweisen. Es ist jene Landschaft die die Forschung für die Stammesgebiete der Angrivarier hält und wo man den Angrivarierdamm vermutet in der sich die cheruskische Bodenfunde kontinuierlich ausdünnten bis sie gar nicht mehr feststellbar waren. Wenn auch nur lückig so konnten cheruskische Erzeugnisse leicht westlich der Weser auch noch etwa zwischen Steinbergen und Emmerthal aufgefunden werden. Im Betrachtungsraum des Nethegau griff der cheruskische Gefäßanteil ebenfalls nur noch marginal über die Weser, sodass er sich nur im östlichen Nethegau bemerkbar machte. Im Norden hingegen scheint es der Höhenrücken des Deister gewesen zu sein, der das Cheruskerland nach Westen abgrenzte da er sich wie eine natürliche Grenze in Nordsüdrichtung erstreckte. Östlich davon erstreckte sich das cheruskische Kerngebiet während sich westlich des Deister auf Basis der Funde ein Mischgebiet erkennen lässt, in dem cheruskische Töpferwaren nur noch in geringerer Dichte nachweisbar waren um dann wie an der Porta erkennbar völlig zu verschwinden. Möchte man in die römischen Strategiepläne eintauchen, dann hätte Varus unter Nutzung der Hellweg Route das Kerngebiet der Cherusker in seiner Gänze direkt im Visier gehabt, da er es mittig vor sich liegen hatte. Es ließ sich über Höxter ansteuern womit er den ersten größeren cheruskischen Vorposten erreichte hätte, hinter dem sich das Cheruskerland begann in voller Breite auszudehnen. Theorien wonach sich das römische Hauptlager nicht im Weserborgen von Corvey sondern zwischen Hameln und Minden befunden haben könnte würde bedeuten, dass sich Varus ab dem Lippeoberlauf an der westlichen Flanke des cheruskischen Stammesgebietes nach Norden vorgearbeitet hätte und damit den umfänglichen Südteil des cheruskischen Stammesgebietes im Rücken gehabt hätte. Ein gesundes Misstrauen sollte Varus davon abgehalten haben denn er hätte falls sich die Cherusker wieder als feindselig erweisen sollten die Gefahr darin sehen können, dass sie ihm im ungünstigen Fall den Rückweg zur Lippe abgeschnitten hätten. Jede nach Norden ausgreifende Aktion seinerseits hätte für ihn einen langen Rückweg zur Folge gehabt, sodass ihm eine Entscheidung in Hellwegnähe zu bleiben als die ratsamere erschienen sein dürfte. Diverse historische Arbeitsgruppen tragen sich noch mit dem Gedanken die Varusschlacht könnte sich sogar nördlich von Osnabrück zugetragen haben. Dabei verkennen sie zweifellos die erhebliche Marschdistanz die zwischen dem cheruskischen Hauptsiedlungsgebiet das aus östlicher Sicht betrachtet am Deister endete und bis zum Kalkrieser Berg rund 90 km beträgt. Schwer vorstellbar, dass die Krieger der Cherusker über diese Entfernung durch Angrivarier - und auch Chasuarierland Tuchfühlung mit den Varuslegionen gehalten haben sollen bis man sie dann im Schlund von Kalkriese in den Hinterhalt gelockt haben soll um sie dort aufzureiben. Zurück in den Nethegau könnte man auf Basis dieser Herangehensweise zu der Auffassung gelangen, dass er den Funden nach zu urteilen in den ersten drei Jahrhunderten nach der Zeitenwende von Stämmen besiedelt war, die zu weiten Teilen dem rheinisch/westfälischen Typus zuzurechnen ist. Das würde aber auch bedeuten, dass man die Angrivarier der Topfform nach zu urteilen den Rhein – und nicht den Wesergermanen zuzuordnen hätte. Es würde aber auch deutlich machen, dass Marser, Sugambrer, Brukterer und vielleicht auch Sueben dem Stil nach noch als Rheingermanen zu bezeichnen wären, sich also von den cheruskischen Wesergermanen unterscheiden würden. Dies würde dann in die Überlegung münden, mit welchen Stämmen sich Arminius abzusprechen hatte als er, sein Vater und die anderen Fürsten sich entschieden dieser Theorie zufolge Varus in den Kessel bei Borlinghausen zu locken. So könnte man den Eindruck gewinnen, als dass die Nische des Nethegau zwischen Egge und Weser, in der die Cherusker nur den östlichen Teil nahe dem Weserufer besiedelt hatten und die Brukterer nicht sesshaft waren, da ihr Siedlungsgebiet auf dem Eggekamm am östlichen Ende der Münsterländer Bucht endete von jenen Stämmen genutzt bzw. besiedelt wurde die einst Tiberius nach Osten abgedrängt hatte. Der Fundhorizont der zur Auswertung zur Verfügung stand erstreckte sich über die ersten 3oo Jahre nach der Zeitenwende in der es zu Umsiedlungen und Verschiebungen innerhalb der Stammesgesellschaften gekommen sein dürfte, so dass der Anteil der cheruskischen Bevölkerung im Nethegau um das Jahr Null auch noch höher gelegen haben dürfte, als in der Folgezeit in der die Cherusker bekanntlich an Einfluss verloren hatten.



Teilausschnitt der Karte von Rafael von Uslar.
Die starken Schraffuren kennzeichnen die Kerngebiete die schwachen Linien die Einflusszonen. Deutlich erkennbar der Stil der rheingermanischen Topfform westlich und östlich der Porta die ihren Namen "West"falica folglich zu Recht trägt.



Rot gekennzeichnet:
Das Hauptsiedlungsgebiet der Cherusker (Fundregion der cheruskisch/südhannoverschen Topfform)
Gelb gekennzeichnet:
Die Übergangsregion ein Mischgebiet der Topfformen sowohl von Rhein - als auch Wesergermanen
Grün gekennzeichnet:
Die Wohngebiete von Rheingermanen wie sie in den ersten 3. Jhdt. nach Osten ihre Siedlungstätigkeit ausgedehnt haben könnten.
Blau gekennzeichnet:
Die südlich angrenzende chattische Topfform

Auch dank Rafael von Uslar der über die Keramikverteilung etwas Klarheit in die Zusammensetzung der damaligen Bevölkerungsschichten und ihrer Siedlungsgebiete brachte, lassen sich weitere Indizien zusammen ziehen, die diese Gesamttheorie stützen. Abgeschlagen am Nordwestende cheruskischer Siedlungstätigkeit und demnach schon im Angrivarierland liegend, erscheint auf dieser Basis auch die Theorie eines varianisches Sommerlager in der Nähe von Minden als fragwürdig. Da der Hellweg nicht erst seit Menschengedenken begangen wird konnte sich die römische Militärstrategie auch anhand der Verfügbarkeit ältester Straßensysteme orientieren und man könnte ihn ab der Egge auch die Bezeichnung „Cheruskerspieß“geben.(17.12.2023)

... link